Schweizerische Eidgenossenschaft Confédération suisse Confederazione Svizzera Confederaziun svizra Schweizer Armee Moralisches Urteilen, Entscheiden und Handeln – Zur W irksamkeit der Ethikausbildung in den Streitkräften Herausgeber Militärakademie an der ETH Zürich, 8903 Birmensdorf ZH, 2011 Verantwortlich für diese Nummer: Dr. Stefan Seiler, lic. phil. Andreas Fischer, BSc Sibylle Vögtli Stefan Seiler, Andreas Fischer und Sibylle Vögtli (Hrsg.) Gestaltung, Satz und Druck Höhere Kaderausbildung der Armee (HKA), Multimedialer Dienst (MMD) Bildmaterial Titelseite, ETH Zürich, Fotograf: J. Tissot Titelseite, Treppenhaus MILAK, Signaletik: Bringolf Irion Vögeli GmbH; Fotograf: W. Mair Militärakademie an der ETH Zürich © 2011 Militärakademie an der ETH Zürich, 8903 Birmensdorf/ZH Schriftenreihe ISBN: 978-3-9523186-3-8 Moralisches Urteilen, Entscheiden und Handeln – Zur W irksamkeit der Ethikausbildung in den Streitkräften Militärakademie an der ETH Zürich Schriftenreihe S t e f a n S e i l e r, A n d r e a s F i s c h e r und Sibylle Vögtli (Hrsg.) M I L A K S c h r i f t N r. 10 MILAK Schrift Nr. 1 – 2003 1 Herausgeber Militärakademie an der ETH Zürich, 8903 Birmensdorf ZH, 2011 Verantwortlich für diese Nummer: Dr. Stefan Seiler, lic. phil. Andreas Fischer, BSc Sibylle Vögtli Gestaltung, Satz und Druck Höhere Kaderausbildung der Armee (HKA), Multimedialer Dienst (MMD) Bildmaterial Titelseite, ETH Zürich, Fotograf: J. Tissot Titelseite, Treppenhaus MILAK, Signaletik: Bringolf Irion Vögeli GmbH; Fotograf: W. Mair © 2011 Militärakademie an der ETH Zürich, 8903 Birmensdorf/ZH ISBN: 978-3-9523186-3-8 2 MILAK Schrift Nr. 1 – 2003 Inhaltsverzeichnis 5 Editorial Stefan Seiler, Andreas Fischer, Sibylle Vögtli 7 Dilemmatraining – Entwicklung von moralischen Entscheidungskompetenzen bei Schweizer Berufsoffizieren Stefan Seiler, Andreas Fischer 15 Gewissenhaftes Handeln im Militär Dieter Baumann 37 Moralisches Urteilen, Entscheiden und Handeln – Zur Wirksamkeit der Ethikausbildung in den Streitkräften: Ein Beitrag aus (truppen-) psychologischer Sicht Uwe Drews 47 Der Sinn und Zweck berufsethischer Bildung aus der Sicht betroffener Soldaten Andreas Kastberger, Stefan Gugerel und Karl Novak 53 Ausbildungshilfe, Ausbildungsthema – Die ZDv 10/4 (zE) „Lebenskundlicher Unterricht“ – Selbstverantwortlich leben – Verantwortung für andere übernehmen können Mathias Wilke 61 Erfahrungen als Militärseelsorger bei der Truppenbegleitung von Soldatinnen und Soldaten von ISAF (International Security Assistance Force) Stefan Jurkiewicz 69 Die Autoren MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 3 4 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 Editorial Dr. Stefan Seiler lic. phil. Andreas Fischer BSc Sibylle Vögtli Sehr geehrte Leserinnen und Leser Im Juni 2010 fand die dritte Expertenkonferenz „Sachstand der ethischen Bildung in den Streitkräften“ an der Militärakademie der ETH Zürich statt. Die Expertengruppe, bestehend aus Teilnehmern des „Zentrums Innere Führung“ (D), der Heeresunteroffiziersakademie des Bundesheeres (A), der Militärakademie an der ETH Zürich (CH) und der Berufsunteroffiziersschule der Armee (CH) hat sich das Ziel gesetzt, die ethischen Herausforderungen im militärischen Handeln, sowie die ethische Ausbildung der Soldaten und militärischen Führungskräfte zu thematisieren und sich zwecks der Verbesserung der Ausbildungsmethoden international auszutauschen. Die 10. Ausgabe der Schriftenreihe der Militärakademie an der ETH Zürich hält die Ergebnisse der letzten Expertenkonferenz zum Thema „Moralisches Urteilen, Entscheiden und Handeln – Zur Wirksamkeit der Ethikausbildung in den Streitkräften“ fest. Die Thematik ist hochaktuell, denn der langfristige Erfolg von militärischen Einsätzen, sei es in internationalen Konflikten oder in der Friedensförderung, hängt in grossem Masse davon ab, wie ethisch sich eine Streitkraft verhält. Unethisches Verhalten kann dazu führen, dass die Unterstützung der Streitkräfte durch die Zivilbevölkerung im Konfliktgebiet, durch die Zivilbevölkerung und die Politik in der Heimat, durch die internationale Gemeinschaft und durch die Soldatinnen und Soldaten selbst, drastisch abnimmt und die ganze Mission gefährdet. Der Sprengkraft, die ein unethisches militärisches Handeln in sich birgt, sind sich heute fast alle westlichen Armeen bewusst und der Ethikunterricht ist ein fester Bestandteil der militärischen Ausbildung geworden. Wie, von wem und in welcher Form der moralische Kompass der Armeeangehörigen richtig gestellt werden soll, wird jedoch von Land zu Land unterschiedlich interpretiert und gehandhabt. Ebenfalls sind zur Wirksamkeit der jeweiligen Ausbildungsprogramme noch viele Fragen offen. Es freut uns ausserordentlich, dass wir Ihnen zu diesem Thema eine Reihe spannender Artikel präsentieren dürfen: Stefan Seiler und Andreas Fischer zeigen in ihrem Interaktionalen DualProzess-Modell, welche psychologischen Prozesse bei der moralischen Entscheidungsfindung eine Rolle spielen. Sie verweisen auf das komplexe Zusammenspiel von Rationalität und Intuition in der Moralpsychologie und geben mit ihrem Dilemmatraining ein praktisches Beispiel, wie man die moralische Entscheidungsfindung gezielt entwickeln kann. Dieter Baumann stellt in seinem Aufsatz einen umfassenden Ansatz zur Militärethik vor, der neben der Soldatin/dem Soldaten auch die Führung und Ausbildung, die Armee als Organisation und die Gesellschaft berücksichtigt. Aus diesem Ansatz leitet er vier Thesen ab, die darauf abzielen die ethische Urteilsbildung auf allen Stufen praxisnah und im Zusammenspiel mit bereits bestehenden militärischen Entscheidungsprozessen auszubilden. MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 5 Aus Sicht der Psychologie beleuchtet Uwe Drews die Ethikausbildung in den Streitkräften. Kritisch diskutiert er gängige Ausbildungsmethoden, die auf dem entwicklungspsychologischen Fundament von Lawrence Kohlberg beruhen und regt dabei an, sich Gedanken zur Messbarkeit von Wirksamkeit und Qualität ethischer Ausbildungsprogramme im Militär zu machen. Aufbauend auf dem strukturierten Konzept für die Berufsethische Bildung von österreichischen Unteroffizieren entwickelten die Ausbildner an der Heeresunteroffiziersakademie in Enns (A) Unterrichtsmaterialen, die auf die Bedürfnisse der jeweiligen Kursteilnehmer zugeschnitten sind. Andreas Kastberger, Stefan Gugerel und Karl Novak präsentieren dazu Resultate einer Untersuchung, in welcher die Unterrichtsteilnehmer nach ihrer persönlichen Einschätzung der Relevanz berufsethischer Bildung befragt wurden. Mathias Wilke stellt in seinem Aufsatz die Ausbildungshilfe „Lebenskundlicher Unterricht – selbstverantwortlich leben – Verantwortung für andere übernehmen“ vor. Er postuliert den lebenskundlichen Unterricht als unverzichtbare Ergänzung bei der Entwicklung berufsethischer Kompetenzen, der die Persönlichkeitsbildung der Soldatinnen und Soldaten fördert, um ihnen die Handlungssicherheit zu geben, moralische Urteile zu fällen und sich ethisch korrekt zu verhalten. Ein spannender Erfahrungsbericht rundet diese Schrift ab: Stefan Jurkiewicz schreibt von seiner Tätigkeit als Militärseelsorger bei der Truppenbegleitung von ISAF in Afghanistan im Jahre 2009. Aus nächster Nähe erlebte er die persönlichen Probleme der sich im Einsatz befindenden Soldatinnen und Soldaten und verdichtet diese zu einem aufschlussreichen Lagebild über die psychischen Herausforderungen im Einsatz. Wir möchten allen Autoren herzlich für Ihr Engagement danken und wünschen den Leserinnen und Lesern eine interessante und aufschlussreiche Lektüre. Die Herausgeber Dr. Stefan Seiler 6 lic. phil. Andreas Fischer MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 BSc Sibylle Vögtli Dilemmatraining – Entwicklung von moralischen Entscheidungskompetenzen bei Schweizer Berufsoffizieren Stefan Seiler Andreas Fischer In der Diskussion darüber, wie man am effizientesten Moral und Ethik bei Soldaten und Offizieren ausbilden sollte, stellen sich regelmässig folgende Fragen: Was soll in militärethischen Ausbildungsprogrammen unterrichtet werden? Wie sollen die Inhalte im Unterricht vermittelt werden? Und wer sollte am Besten den Unterricht gestalten und abhalten? Die Frage nach dem „was“ wird primär dadurch zu beantworten versucht, dass man den Gegenstandsbereich der Militärethik erläutert und die Vor- und Nachteile verschiedenster ethischer Konzepte (aristotelische Tugendethik, Utilitarismus, Deontologismus usw.) im Bezug auf militärisches Handeln gegeneinander abwägt. Bei der Frage nach der richtigen Methodik werden verschiedenste Konzepte von formellem Unterricht in der Moralphilosophie, über den Einsatz von Fallstudien, moralischer Dilemmas oder dem Studium „moralischer Helden“ herumgereicht. Bei der Frage nach dem „wer“ diskutiert man darüber, ob Ethiker, Philosophen, Geistliche, Psychologen oder erfahrenes militärisches Personal den besten Unterricht gestalten können (Robinson, 2008). Alle diese Fragen sind zweifelsohne wichtig, um die Ausgestaltung des militärethischen Unterrichts verbessern zu können und benötigen weiterer Klärung. Unser in diesem Artikel vorgestelltes Trainingsprogramm konzentriert sich jedoch auf einen weiteren Aspekt, der unter Militärethikern erst seit wenigen Jahren verstärkt Beachtung findet und den Soldaten als Entscheidungsträger in den Mittelpunkt rückt. Das Treffen von Entscheidungen gehört zu den Kernaufgaben von militärischen (und zivilen) Verantwortungsträgern. Erfolg und Misserfolg sind dabei in grossem Masse davon abhängig, ob eine Führungskraft in der Lage ist eine Situation richtig einzuschätzen, die aus der Analyse gewonnenen Erkenntnisse in realistische Zielsetzungen zu transformieren und diese Ziele gemeinsam mit den Unterstellten zu erreichen. Entscheidungen im militärischen Kontext haben praktisch immer einen Einfluss auf das Wohlergehen anderer Menschen, der Gesellschaft oder der Umwelt und sind deshalb ethisch relevant. Eine „verantwortungsbewusst handelnde“ militärische Führungskraft kann daher bei der Planung und Umsetzung eines Einsatzes (und auch der Ausbildung) ihren Fokus nicht nur auf die rücksichtslose Erfüllung des Auftrages richten, sondern muss sich dabei auch an ethisch-moralischen Massstäben orientieren, die ihr Entscheiden und Handeln begleiten (Seiler, 2010). Doch wie urteilen und entscheiden Menschen über moralische Aspekte einer Situation? Nehmen sie diese überhaupt wahr? Welche psychologischen Prozesse sind für deren Verarbeitung zuständig und wie lassen sich diese Prozesse durch Trainingsmassnahmen beeinflussen? In diesem Artikel möchten wir versuchen, diese Fragen anhand des Interaktionalen Dual-Prozess Modells (IDP Modell) der moralischen Entscheidungsfindung (Seiler, Fischer, & Ooi, 2010) zu beantworten. Darauf aufbauend stellen wir die Trainingsmethodik vor, welche wir an der Militärakademie an der ETH Zürich zur Ausbildung von Führungsverantwortung bei angehenden Berufsoffizieren anwenden. Unsere Betrachtungsweise und unser Ausbildungskonzept basieren auf psychologischen Entscheidungsprozessen, die intra- und interpersonal MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 7 stattfinden, wenn ein Individuum mit moralischen Herausforderungen konfrontiert ist. Wir haben nicht den Anspruch, dass unser Ansatz alle offenen Fragen im Zusammenhang mit militärethischer Ausbildung zu beantworten vermag, sind aber überzeugt, dass der Fokus auf moralische Entscheidungskompetenz ein wesentlicher Faktor zur Entwicklung von verantwortungsbewussten Soldaten, Unteroffizieren und Offizieren darstellt. Das Interaktionale Dual-Prozess-Modell des moralischen Entscheidens als Gr undlage für eine ef fiziente Trainingsstrategie Um die psychologischen Prozesse, die an moralischen Entscheidungen beteiligt sind, zu beschreiben, haben Seiler et al. (2010) die neusten Erkenntnisse aus der moralpsychologischen Forschung zusammengefasst und in ihrem „Interaktionalen Dual-Prozess-Modell des moralischen Entscheidens“ (IDP Modell; siehe Abbildung 1) integriert. Pe Person rson A Pe Person rson B eliciting e liciting situation situation 1. 1. moral moral perception perception 1. 1. moral moral perception perception 5a. 5 a. social social social 5. iinteraction ninteraction teraction reasoning reasoning intuition 4.4. 4 . post ppost ost hoc hoc hoc intuition 5a. 55. a. social social social interaction ininteraction teraction reasoning reasoning 3. 3. moral moral judgment/ judgment/ decision decision ffrom rom d decision ecision to to action action 2. internal internal dual dual process process 2. 2. process 2. internal internal dual dual p rocess 4.4. 4 . post ppost ost hoc hoc hoc moral moral decision decision making making process process 5b. 5b. social social interaction interaction 3. 3. moral moral judgment/ judgment/ decision decision motivation mo tiva v tion a and nd o ther interfering interfering other ffactors actors moral moral a action ction moral moral a action ction Das IDP Modell beschreibt die Prozessschritte, die von der Wahrnehmung moralischer Aspekte in einer Situation, über das Treffen moralischer Urteile und Entscheidungen bis zur moralischen Handlung reichen. Wir werden in der Folge die einzelnen Schritte erläutern und mögliche Konsequenzen für Trainingsinterventionen daraus ableiten. Moralische Wahrnehmung (moral perception) Bevor überhaupt ein moralischer Entscheidungsprozess in Gang gesetzt werden kann, muss eine Person die moralischen Aspekte einer Situa - 8 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 Abb. 1: Das Interaktionale Dual-Prozess-Modell des moralischen Entscheidens (Seiler, Fischer & Ooi, 2010). tion wahrnehmen. Ob und in welchem Umfang dies geschieht, hängt von der Sensitivität der Person und der Intensität der moralischen Stimuli der Situation ab (Clarkeburn, 2002; Jones, 1991; Sparks & Hunt, 1998). Die moralische Sensitivität bezieht sich auf die persönliche Fähigkeit einer Person, moralische Aspekte einer Situation zu erkennen. Die Intensität eines moralischen Stimulus bestimmt, wie gut er sich vom Hintergrund einer Situation abhebt. Eine effiziente Trainingsstrategie sollte aus diesem Grund die Diskussion oder Bearbeitung von moralischen Situationen mit einbeziehen, die den realen Herausforderungen eines Offiziers oder Soldaten entsprechen. Das heisst, dass man Szenarien verwenden sollte, die moralische Aspekte mit instrumentellen Anforderungen (Aufträge, Ziele) und situationalen Bedingungen (Zeitdruck, Gefahr) kombinieren. Nur so kann sichergestellt werden, dass die moralische Intensitäten der Trainingssituation und der Realität vergleichbar sind und die Sensitivität für moralische Probleme militärischer Aufgaben geschärft wird (Seiler et al., 2010). Internaler Dual-Prozess (internal dual-process) Nachdem eine Person die moralischen Stimuli wahrgenommen hat, werden diese verarbeitet. Bis in die späten 90er-Jahre war das kognitive Entwicklungsmodell des amerikanischen Psychologen Lawrence Kohlberg (1927-1987) die einflussreichste Theorie über die Beschaffenheit dieser Verarbeitung. Kohlberg (1969, 1981) war der Auffassung, dass ein moralisches Urteil das Resultat bewusster Denkprozesse (reasoning) ist. Die Qualität eines moralischen Urteils ist dabei vom kognitiven Entwicklungsstand eines Menschen abhängig, welcher bis zu einem gewissen Grade durch gezieltes Training beeinflussbar ist. In den letzten 20 Jahren geriet die Theorie von Kohlberg jedoch zunehmend unter Kritik. Verschiedene Studien (Haidt, 2001; Haidt et al., 2000; Shweder & Haidt, 1993; Wilson, 1993) legten den Schluss nahe, dass Menschen moralische Aspekte, nicht immer durch bewusstes Nachdenken, sondern oft intuitiv und ohne die Beteiligung bewusster Denkprozesse verarbeiten (intuition). Haidt (2001) zeigte, dass Menschen in moralischen Dilemmas oft sehr schnell ein Urteil darüber abgeben können, ob sie die Handlung der Akteure moralisch „richtig“ oder „falsch“ finden, jedoch bei der Bitte um eine Begründung, keine Argumente zur Unterstützung ihres Entscheids liefern können. Haidt (2001) schliesst aus dieser „moralischen Sprachlosigkeit“ (moral dumbfounding), dass diese Urteile kaum rational hergeleitet werden, sondern das Resultat moralischer Intuitionen sind, die auf einer unbewussten und automa tischen Informationsverarbeitung beruhen. Unter welchen Umständen bewusste Denkprozesse oder die Intuition das grössere Gewicht haben, ist noch nicht vollständig geklärt und bedarf weiterer Forschung (Narvaez, 2010). Beim Training moralischer Entscheidungskompetenzen ist es jedoch wichtig zu wissen, dass beide Prozesse beteiligt sein können, und höchstwahrscheinlich miteinander interagieren. Es macht darüber hinaus keinen Sinn, den einen Prozess MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 9 auf Kosten des anderen zu forcieren, da beide anfällig für kognitive Verzerrungen sind. Offiziere und Soldaten sollten daher ermutigt werden, beiden Prozessen Raum zu geben, indem sie angeleitet werden, ihre ersten, spontanen Reaktionen zu hinterfragen und im Gegenzug auch immer zu prüfen, ob eine rational elaborierte Entscheidung mit ihren intuitiven Neigungen und Gefühlen kompatibel ist. Nur so kann man wirkungsvoll „Schnellschüssen“ vorbeugen und Entscheidungen herbeiführen, für die militärische Führungskräfte die Verantwortung übernehmen und, noch viel wichtiger, mit denen sie auch nach einem Einsatz gut „leben“ können. Moralische Urteile / Entscheidungen (moral judgments and decisions) Ist die Verarbeitung des moralischen Stimulus vollzogen, bildet sich ein moralisches Urteil, bzw. eine moralische Entscheidung. Dieses Urteil oder diese Entscheidung muss aber keinesfalls schon endgültig sein, da durch post-hoc-Denkprozesse und soziale Interaktion Änderungen möglich sind. Post-hoc-Denkprozesse (post hoc reasoning): Oft suchen Personen, nachdem sie ein Urteil gefällt haben, nach Rechtfertigungsgründen. Dabei kommt es häufig zu kognitiven Verzerrungen, da nur nach Argumenten gesucht wird, die das ursprünglich gefällte Urteil unterstützen, während allfällige Argumente, die gegen das Urteil sprechen, nicht beachtet werden (Perkins, Farady, & Bushey, 1991). Vollständig vermeiden lassen sich solche Verzerrungen kaum. Wenn man sich dieser Problematik jedoch bewusst ist, ist die Chance immerhin erhöht, dass man die eigenen Argumente kritisch überprüft und dadurch allenfalls eine unmoralische Entscheidung verhindern kann. Soziale Interaktion (social interaction): Moralische Urteile und Entscheidungen werden häufig im Beisein und in der Auseinandersetzung mit anderen Menschen getroffen. Haidt (2001) erwähnte, dass die Äusserung eines moralischen Urteils andere Personen beeinflussen kann, indem diese angeregt werden, erneut über einen moralischen Gegenstand nachzudenken (5a). Wir glauben ausserdem, dass sich Personen durch die reine argumentative Auseinandersetzung mit einem moralischen Problem gegenseitig beeinflussen und dies noch bevor man für sich ein abschliessendes Urteil oder eine endgültige Entscheidung gefällt hat (5b). Die individuelle Fähigkeit Urteile und Entscheidungen in moralischen Konfliktsituationen zu treffen, wird durch die Interaktion und argumentative Auseinandersetzung mit anderen gefördert (Blatt & Kohlberg, 1975; Haidt, 2001). Deshalb gilt es eine Trainingsstrategie zu wählen, die Interaktionen z.B. in Form von Diskussionen, Gruppenentscheidungen, Rollenspielen etc. vorsieht. Darüber hinaus sollte auch das Management von Gruppenprozessen nicht vergessen werden, denn oft werden un ethische Handlungen in der Gruppe vollzogen. 10 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 Moralische Handlung (moral action) Hat eine Person ein moralisches Urteil oder eine Entscheidung gefällt, liegt der Schluss nahe, dass sie nun dieser Entscheidung entsprechend handelt. Auch wenn dieser Schritt gedanklich einfach nachvollziehbar ist, hat die Forschung gezeigt, dass dies nicht immer der Fall ist. Obwohl man weiss, was richtig und was falsch ist, handelt man in der Praxis nicht immer danach. Es reicht nicht zu wissen, welche Handlung moralisch „richtig“ wäre – man muss sie auch ausführen wollen. Die Motivation moralisch zu handeln, ist individuell unterschiedlich ausgeprägt und wird entscheidend dadurch bestimmt, ob man sich selbst als fähig einschätzt, das moralisch Richtige in einer Situation durchzusetzen (Hannah & Sweeney, 2007). Das Entwickeln moralischer Entscheidungskompetenzen hat demnach zusätzlich den Wert, dass dem Soldat ein „Werkzeug“ vermittelt wird, mit dem er sich befähigt fühlt, komplexe moralische Konfliktsituationen zu meistern. Dadurch soll die Diskrepanz zwischen Entscheidung und Handlung verringert und öfters das „Gute“ getan und das „Schlechte“ verhindert werden. Das einsatzspezifische Dilemmatraining Beispiel: „Konvoi“-Dilemma Sie sind Kommandant von UNSoldaten, welche einen Konvoi bestehend aus 2 Radschützenpanzern, 2 PWs und 10 Lastwagen mit dringend benötigten Versorgungsgütern für die vom Hungertod bedrohte Zivilbevölkerung begleiten. Dabei geraten Sie in eine Strassensperre, die von bewaffneten Angehörigen einer Konfliktpartei durch einen Radschützenpanzer mit leichtem MG gesichert wird. Für das Passieren der Strassen sperre verlangt der Anführer die Hälfte der Hilfsgüter. Grössere zeitliche Verzögerungen des Hilfsgütertransports könnten aufgrund der sehr schlechten Wettervorhersage problematisch werden, da die Transportwege allenfalls unpassierbar werden. Das einsatzspezifische Dilemmatraining ist an der Militärakademie der ETH Zürich seit einigen Jahren ein fester Bestandteil des Ausbildungsblocks zur Entwicklung von Führungsverantwortung bei angehenden Berufsoffizieren. Der Inhalt des Trainings wurde gemäss den theoretischen Überlegungen des IDP Modells gestaltet. In einer ersten Phase wird den Trainingsteilnehmern ein Szenario mit einem moralischen Dilemma präsentiert (siehe Beispieldilemma). Das Szenario wird so ausgestaltet, dass es möglichst gut einer Situation entspricht, die von den Teilnehmern in ihrem realen Aufgabenbereich auch tatsächlich angetroffen werden könnte. So kann man sich der realen moralischen Intensität einer Situation annähern und die moralische Sensitivität der Teilnehmer wird für aufgabenbezogene moralische Aspekte geschärft. Nach dem Lesen des Szenarios werden die Teilnehmer in einer zweiten Phase gebeten, eine individuelle Lösung des Problems zu entwickeln. Durch eine schematische Vorgehensweise werden die Teilnehmer gezwungen rationale und intuitive Prozesse miteinander zu vereinen. a) Die Teilnehmer werden gebeten, ihre spontane Reaktion aufzuschreiben. Dieser Schritt soll dazu beitragen, die intuitiven Anteile der Entscheidungsfindung bewusst zu machen. b) Dann sollen die Teilnehmer die Kernproblem des Szenarios aus instrumenteller (Was ist hier meine Aufgabe? Wie lautet mein Auftrag?) und aus moralischer Sicht (Was sind die moralischen Herausforderungen in dieser Situation? Welche moralischen Werte sind bedroht?) bestimmen. MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 11 c) In einem weiteren Schritt identifizieren die Teilnehmer alle von der Situation betroffenen Personen, Gruppen und Institutionen. Sie versuchen deren Interessen zu erkennen und setzen diese mit den Kernproblemen in Verbindung. d) Anschliessend entwickeln die Teilnehmer verschiedene Lösungsalternativen und bewerten diese hinsichtlich instrumenteller und moralischer Aspekte und treffen eine Entscheidung, die sie schriftlich begründen. e) Da in einem Dilemma nie alle Interessen gleichwertig gegeneinander abgewogen werden können, sollen die Teilnehmer auch Handlungen in ihre Lösungen einfliessen lassen, die unerwünschte Wertverletzungen zumindest ein Stück weit kompensieren können. f) Die Teilnehmer sollen ihre Lösung abschliessend mit ihren ursprünglichen intuitiven Urteilen vergleichen und über Unterschiede und Gemeinsamkeiten reflektieren. In einer dritten Phase diskutieren die Teilnehmer ihre individuell getroffenen Lösungen in kleinen Gruppen von ca. 4 – 6 Personen. Hier sollen sie ihre Argumente vorlegen, die Lösungen anderer reflektieren und in ihre Gedankengänge einfliessen lassen. Martinelli-Fernandez (2006) empfiehlt, dass der Fokus solcher Gruppendiskussionen nicht nur auf die Lösung, sondern ebenfalls auf die Motive dahinter gerichtet werden sollte. Durch die Frage nach dem Warum werden die Teilnehmer gezwungen ihre Argumente vorzubringen und der kritischen Überprüfung durch die anderen auszusetzen. In einer vierten Phase sollte die Gruppe schliesslich zu einer gemeinsamen Lösung kommen und ihre Erfahrungen mit anderen Gruppen in einer Plenumsdiskussion teilen. Diese letzte Phase erlaubt es den Teilnehmern, noch einmal über ihren individuellen Beitrag zur Gruppenlösung, sowie ihr Verhalten und die Dynamik in der Gruppe nachzudenken. Die dritte und vierte Phase des Trainings bezieht sich auf die IDP-Prozesskomponente der sozialen Interaktion. Durch das mehrmalige Wiederholen des Trainings zu verschiedenen inhaltlichen Szenarien, sollten die Teilnehmer ein Prozessschema verinnerlichen, mit dem sie in der Lage sind, unterschiedlichste moralische Konfliktsituationen zu meistern. Man muss sich jedoch bewusst sein, dass die Entwicklung automatischer Denkschemata Zeit braucht und ständiges Training erfordert. Diskussion Im Militär werden rund um die Welt unterschiedliche Ethik-Programme durchgeführt. Leider stehen viele dieser Programme nur auf einer schwachen konzeptionellen oder theoretischen Basis oder wenden Methoden an, die nicht auf die Herausforderungen des soldatischen Berufs zugeschnitten sind. Zudem werden die meisten dieser Programme nicht auf ihre Wirksamkeit überprüft. In diesem Artikel haben wir ein Trainingsprogramm vorgestellt, das auf den theoretischen Überlegungen des IDP Modells beruht. Das IDP Modell beschreibt, welche Prozesse bei der Ent- 12 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 stehung moralischer Urteile und Entscheidungen beteiligt sind. Aus diesen Erkenntnissen haben wir mehrere Interventionskriterien abgeleitet und dargestellt, wie das einsatzspezifische Dilemmatraining diese Kriterien berücksichtigt. Um unserer eigenen Forderung nach einer kritischen Überprüfung der Wirksamkeit des Trainings nachzukommen, haben wir eine Interventionsstudie zur Überprüfung der Wirksamkeit des einsatzspezifischen Dilemmatrainings auf die moralische Entscheidungskompetenz durchgeführt. Erste Resultate zeigen, dass das Training einen positiven Einfluss auf die moralische Wahrnehmung, die Qualität der Auseinandersetzung mit moralischen Aspekten und die Bereitschaft zur Entwicklung von Kompensationshandlungen hat. Zudem hat es einen positiven Einfluss auf prozessbezogene Aspekte im Zusammenhang mit moralischen Entscheidungsprozessen, wie zum Beispiel das Durchführen einer systematischen Lagebeurteilung oder das Entwickeln von alternativen Lösungen. Die detaillierten Ergebnisse dieser Interventionsstudie werden zur Zeit in einer umfassenden Forschungspublikation dargestellt und diskutiert (Seiler, Fischer, & Voegtli, under review). Zum Schluss bleibt anzufügen, dass die Effekte eines einmaligen Trainings kaum über längere Zeit bestehen bleiben. Ethisches Entscheiden und Handeln lässt sich nicht per Kurzintervention entwickeln und anschliessend per Knopfdruck aktivieren, sondern muss durch ständige Übung entwickelt werden. Zudem empfehlen wir, dass moralische Konfliktsituationen nicht nur im Theoriesaal bearbeitet werden, sondern dass sie Gegenstand der praktischen militärischen Ausbildung werden. Erst so wird es gelingen, dass Soldatinnen und Soldaten lernen, die instrumentelle und ethische Dimension ihrer Aufgaben zu erkennen, zu verknüpfen und sich verantwortungsvoll zu verhalten. MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 13 Blatt, M., & Kohlberg, L. (1975). The effects of classroom moral discussion upon children’s level of moral judgment. Journal of Moral Education, 4, 129-161. Clarkeburn, H. (2002). A test for ethical sensitivity in science. Journal of Moral Education, 31(4), 439-453. Haidt, J. (2001). The emotional dog, and its rational tail: A social intuitionist approach to moral judgment. Psychological Review, 108, 814-834. Haidt, J., & Bjorklund, F. (2007). Social intuitionists answer six questions about morality. In W. Sinnott-Armstrong (Ed.), Moral psychology: Vol. 2. The cognitive science of morality (pp. 181-217). Cambridge, MA: MIT Press. Haidt, J., Bjorklund, F., & Murphy, S. (2000). Moral dumbfounding: When intuition finds no reason. Unpublished manuscript. Jones, T. M. 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Walzer1 „Es ist klar, dass sich die Ethik nicht aussprechen lässt.“ L. Wittgenstein2 Dieter Baumann 1. Einleitung Die Arbeitsgruppe „Sachstand ethischer Bildung in den Streitkräften“ hat sich unter anderem zum Ziel gesetzt, aktuelle Tendenzen und Herausforderungen im Bereich der militärethischen Bildung / militärischen Berufsethik zu thematisieren und zu diskutieren. Während der eigenen Arbeit zur Militärethik, gerade auch während meiner Bemühungen, Militärethik praxisorientiert auszubilden, kristallisierten sich vier Themenfelder heraus, die meiner Meinung nach in Zukunft noch vertiefter bearbeitet werden sollten.3 Das erste Themenfeld ist der Frage gewidmet, bis auf welche Funktion und Stufe Militärethik ausgebildet werden soll. Das zweite bezieht sich auf die Berücksichtigung der Wechselwirkung zwischen Vernunft und Emotion in der militärethischen Bildung mit der Frage, welche Rolle dem Gewissen zukommt. Drittens werden verschiedentlich Wege, Schemas und Abläufe zur ethischen Urteilsbildung publiziert. Gibt es in diesem Bereich einen geeigneten Ansatz für die militärische Praxis? Und schliesslich stellt sich die Frage, mit welchen Methoden Militärethik ausgebildet werden soll, damit die Ausbildung nicht nur oberflächlich und theoretisch bleibt, sondern die Grundhaltung und somit das Handeln der Soldaten prägt, ohne dabei zu indoktrinieren und zu manipulieren. Ziel des Beitrages ist es, die aufgrund von diesen Fragestellungen entwickelten nachfolgenden vier Thesen plausibel zu machen und anzudeuten, wie eine umfassende Begründung dieser Themenfelder aussehen würde, was an dieser Stelle nicht ausführlich geleistet werden kann.4 These 1: Eine gründliche Militärethikausbildung ist heute bis auf Stufe Soldat / Soldatin notwendig. 1. Walzer, M., Erklärte Kriege – Kriegserklärungen, Hamburg 2003, 61. 2. Wittgenstein, L., Tractatus Logico-Philosophicus, 6.421, Frankfurt a. M. 1984, 83. 3. Vgl. dazu auch: Cook, M., Syse, H., What Should We Mean by „Military Ethics“?, in: Journal of Military Ethics, Vol. 9, No. 2, 119 -122, 2010. 4. Der Text basiert auf meinem Vortrag anlässlich der Konferenz „Sachstand ethische Bildung in den Streitkräften“ an der Militärakademie an der ETH Zürich. Der Vortragsstil wurde beibehalten. Der Text übernimmt teilweise wörtlich Gedanken aus meinem Artikel Militärethik – Was sonst?, in: Zentrum Innere Führung (Hrsg.), Sachstand der ethischen Bildung in den Streitkräften, Arbeitspapier III/2008, Koblenz 2009, 40-56. These 2: Das Zusammenspiel zwischen Emotionen/Intuitionen und Vernunft wird in der militärethischen Ausbildung noch zu wenig berücksichtigt. Das Gewissen spielt für das Urteilen, Entscheiden und Handeln eine entscheidende Rolle. These 3: Die militärischen Führungstätigkeiten eignen sich als Schritte der ethischen / moralischen Urteilsbildung – keine Verdoppelung von Strukturen und Begriffen im militärischen Umfeld. These 4: Förderung eines praxisintegrierten und „narrativen“ Methodenansatzes, der auf Sinnvermittlung und Prägung der Grundhaltung zielt. MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 15 Die Thesen werden im Folgenden unterschiedlich tief erläutert (3.– 6.). Zuvor ist jedoch darzustellen, was unter einer integrativen Militärethik verstanden wird, da dieser Ansatz das Grundgerüst für die Beantwortung der Thesen bildet (2.).5 Als Zusammenfassung wird abschliessend ein Kodex für Soldaten vorgestellt (7.). 2. Integrative Militärethik Definition und Ziel: Militärethik ist die kritische Reflexion über a) das richtige und gute Handeln und Verhalten von Soldaten und Soldatinnen; b) das friedensfördernde Verhältnis zwischen Armeen, Staaten und der internationalen Gemeinschaft sowie c) das Selbstverständnis einer Armee mit ihrer Führungs-, Ausbildungs- und Erziehungskultur.6 Ziel der militärethischen Bildung ist es, dazu beizutragen, dass der Soldat und die Soldatin (aller Hierarchiestufen) ethisch korrekt handeln und sich moralisch verhalten. Nur, was ist „ethisch korrektes Handeln“? Der vorliegende Ansatz definiert das moralisch Gute / Richtige als das „Gute für den Menschen als Gemeinschaftswesen“7 und bezieht sich deshalb sowohl auf das Individuum mit seinem Gewissen wie auch auf die Gemeinschaft(en) mit dem Recht, den Institutionen und den Sitten. Die anthropologischen Grundeigenschaften der Menschen dienen dabei als Fundament der normativen Begründungen. Ethik will als kritische Reflexion der Moral einen überparteilichen Standpunkt einnehmen und universalisierbare Werte, Normen sowie Prinzipien formulieren. Die ethische Reflexion orientiert sich in dieser Perspektive vor allem an der allen Menschen unveräusserlichen Menschenwürde mit den daraus abgeleiteten elementaren Menschenrechten. Militärethik als Bereichsethik will das so definierte „moralisch Gute“ in Bezug auf die Institution Armee und die Soldaten und Soldatinnen konkretisieren. Vier Ebenen: Eine integrative Militärethik will auf Fragen auf vier Ebenen eine Antwort geben:8 1. Ebene (Gesellschaft): Zu welchen Zielen (wozu) und in welcher Situation (wann) ist die Anwendung militärisch organisierter Gewalt ethisch gerechtfertigt? (militärische Sozialethik) 2. Ebene (Armee): Welchen Normen unterliegt militärisches Handeln und speziell die Anwendung militärischer Gewalt vor, während und nach einem Einsatz? Wie ist eine diesen Normen entsprechende Armee zu gestalten und in der Gesellschaft zu verankern? Wie hat die Institution Armee beschaffen zu sein und welche soziale Verantwortung trägt die militärische Organisation gegenüber ihren Angehörigen? (militärische Institutionenethik) 3. Ebene (Führung und Ausbildung): Was ist eine gute militärische Führungs-, Ausbildungs- und Erziehungsperson? Welches sind die normativen Grenzen der militärischen Führung, Ausbildung und Erziehung? Worin besteht die Fürsorgeaufgabe militärischer Vorgesetzter? (militärische Führungsethik) 4. Ebene (Soldat / Soldatin): Wie soll ein heutiger Soldat, eine heutige Soldatin sein, handeln und sich verhalten? Welche Fähigkeiten, cha- 16 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 5. Vgl. ausführlich: Baumann, D., Militärethik, Stuttgart 2007; ders., Militärethik – Was sonst? 6. Vgl. dazu, Baumann, D., Armeeaufträge aus militärethischer Sicht, in: Military Power Revue, Nr. 1/2008, 19-30. Vgl. auch Smith, R., The Utility of Force, London 2006; Münkler, H., Der Wandel des Krieges, Göttingen 2006. 7. Vgl. Tugendhat, E., Vorlesungen über Ethik, Frankfurt a. M. 1993, 49-64. 8. Vgl. in Anlehnung an L. Bendel Baumann, D., Militärethik , 141f.; Bendel, L., Soldat und Ethik, in: O. Hoffmann, A. Prüfert (Hrsg.), Innere Führung 2000, Baden-Baden 2001, 9-24. rakterlichen Dispositionen und Verhaltensweisen (Tugenden) sind wünschenswert oder sogar notwendig und wie können diese ausgebildet werden? Wie gelingt dem Menschen als Soldat oder Soldatin ein gelingendes (glückliches) Leben? (militärische Individualethik) Abb. 1: Integrative Militärethik. Zusammenspiel der verschiedenen Ebenen: 9 Diese Ebenen können nur idealtypisch voneinander getrennt werden, sie sind immer miteinander verknüpft. So bewirken beispielsweise der durch die Tugenden und die Erziehung geformte Charakter und das durch Wissen und Erfahrung gebildete Gewissen, eine Situation überhaupt als ethisch relevant wahrzunehmen (Was ist das ethische Problem? Gibt es überhaupt ein ethisches Problem?). Die durch die Ausbildung geschulte und durch Erfahrung geprägte moralische Urteilskraft ermöglicht es, die von der Gesellschaft oder der militärischen Institution implizit übernommenen oder explizit reflektierten allgemeinen Werte und Normen auf eine spezielle Situation und ihre inhärenten Handlungsmöglichkeiten hin anzuwenden. Die einzelnen Möglichkeiten werden dabei durch die Vernunft und die moralische Intuition (implizit oder explizit) gewichtet (Was soll oder muss ich in dieser Situation tun?). Der wiederum aus dem gebildeten Gewissen und der Erfahrung stammende und durch die Selbstwirksamkeitsüberzeugung und situative Faktoren motivierte Wille wählt (rational oder intuitiv) die den fachlichen, körperlichen und institutionellen Fähigkeiten entsprechende Handlungsmöglichkeit (Was kann und will ich tun?). Bei der daraus folgenden Umsetzung der Handlung bestimmen wieder die Tugenden die Art und Weise des Handelns (Wie soll ich es tun?). 9. Vgl. Baumann, D., Militärethik, 143. Da nun aber in den meisten Fällen dieser Prozess nicht reflektiert, sondern intuitiv und vielfach sogar spontan abläuft, spielen die Grundhaltung und die Einstellung der Handlungsperson, die ihrerseits eine biografische Entwicklung und kulturelle Prägungen aufweist, eine ent- MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 17 scheidende Rolle. Sie richten nämlich die Wahrnehmungserfassung und Spontaneität im Handelnden so aus, dass – im Idealfall – reflexiv so gehandelt wird, wie es dem eigenen Selbstbild entspricht (Wer will ich sein? Als wen will ich mich zu verstehen geben?). Gleichzeitig prägt die „Atmosphäre“ in einer Situation oder einem konkreten Kontext die Wahrnehmung und Handlungsweise unbewusst (Wie wirken wir als Gruppe, Gemeinschaft? Wie werden wir von „Stimmungen“ beeinflusst?). Diese „Atmosphären“ sind ihrerseits von gesellschaftlichen, institutionellen und individuellen Werten mitgeprägt. Der Einzelne wäre überfordert, wenn er zu jeder Zeit alle Handlungsalternativen beurteilen und alle an ihn gestellten Ansprüche erfüllen müsste. Daher haben (ethisch reflektierte) Maximen, rechtliche und soziale Normen sowie Prozesse ihre unverzichtbare Funktion in der notwendigen Komplexitätsreduktion der Wirklichkeit (Wie sehen ethisch verantwortbare individuelle, institutionelle und gesellschaftliche Strukturen, Normen und Prozesse aus?), die wiederum alle Ebenen beeinflussen. Abb. 2: Wechselwirkungen. 3. Militärethik zielt auf Praxis These 1: Eine gründliche Militärethikausbildung ist heute bis auf Stufe Soldat / Soldatin notwendig. Um diese These plausibel zu machen, werde ich in einem ersten Schritt zeigen, was ich unter Nachhaltigkeit in der Militärethikausbildung verstehe. Daraus wird ersichtlich, wieso Militärethik nicht nur bestimmten Funktionen wie zum Beispiel Offizieren vorbehalten bleiben soll, sondern jeder Soldat und jede Soldatin stufengerecht eine militärethische Ausbildung erhalten sollte. Daran anschliessend zeige ich anhand des „hybrid-strategischen“ Soldaten, dass die Moral in den gegenwärtigen Konflikten ein entscheidender Faktor ist und auch aus diesem Grund 18 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 Militärethikausbildung auf allen Stufen nicht nur wünschbar, sondern vielmehr notwendig ist. Nachhaltigkeit: Es geht bei allen militärethischen Überlegungen und der Militärethikausbildung letztlich darum, dass Soldaten und Soldatinnen einen legitimen Auftrag bezogen auf die heutigen Bedrohungsformen und das daraus resultierende sicherheitspolitische Einsatzspektrum von Armeen nach einer verantwortbaren Ausbildung nachhaltig erfüllen können. Eine solche Nachhaltigkeit ist dann gegeben, wenn mindestens vier Felder zusammenwirken: 10 1) Wenn erstens der einzelne Soldat bzw. die Soldatin rational und emotional überzeugt ist, das ethisch sowie rechtlich Verantwortbare zu tun, sich entsprechend verhält und dadurch seine Handlungen und (zum Teil traumatischen) Erlebnisse auch verarbeiten kann, was sich positiv auf seine familiäre und gesellschaftliche Verankerung auswirken kann. 2) Wenn zweitens die Institution Armee ihre Operationstypen, die institutionelle Verfasstheit sowie die Fähigkeiten ihrer Soldaten und Soldatinnen an die jeweiligen Bedrohungsformen und rechtlichen Rahmenbedingungen anpasst und somit als Organisation innerhalb der ethischen Leitlinien effektiv und effizient handelt. 3) Wenn drittens die eigene Gesellschaft (und Politik) die Armee und ihre Soldaten und Soldatinnen in ihrer Aufgabe unterstützt, sie nicht missbräuchlich einsetzt sowie ihnen Wertschätzung entgegenbringt und deshalb auch ein breiter gesellschaftlicher Konsens über die Armeeaufträge besteht. 4) Wenn viertens die Staaten der internationalen Gemeinschaft und die Weltöffentlichkeit einem umfassenden Friedens- und Sicherheitskonzept verpflichtet sind, innerhalb welchem militärische Organisationen und Einsätze in bestimmten Kontexten als legitim, legal und notwendig zum Erhalt eines „rechtmässigen Friedens“ erachtet werden, gegen Missbräuche militärischer Gewalt aber auch entschieden vorgegangen wird. „Hybrid-strategischer“ Soldat: 11 Die Verantwortung, aber auch die notwendigen Fähigkeiten von Soldaten und Soldatinnen gerade auf unterer und unterster Stufe steigen in heutigen, durch die Bedrohungslage bedingten „Full-Spektrum-Operationen“ im Sicherheitsverbund an. Entsprechende „integrierte Missionen“ finden meistens „inmitten der Bevölkerung“ (R. Smith) statt und stehen und fallen mit der Legitimität und Akzeptanz der Einsätze bei der betroffenen Bevölkerung. Ethisch korrektes Verhalten und kulturelle Sensibilität sind in diesen multikulturellen Situationen entscheidend, um einen nachhaltigen Frieden zu erreichen. Dazu muss militärethische Bildung beitragen. 10. Vgl. Baumann, D., Militärethik – Was sonst? 43f. 11. Vgl. Haltiner, K., Kümmel, G., Die Hybridisierung des Soldaten: Soldatisches Subjekt und Identitätswandel, in: G. Kümmel (Hrsg.), Streitkräfte im Einsatz, Baden-Baden 2008, 47-53. Durch die Medien, das nationale Strafrecht sowie das Völkerstrafrecht wird aber auch die individuelle Schuldfrage zunehmend in den Fokus gerückt. „Nur“ Befehle ausgeführt zu haben, reicht heute bei weitem nicht mehr zur individuellen Entlastung. Aber auch rechtlich korrektes Verhalten sistiert letztlich nicht die moralische Schuldfrage. Die reale oder wahrgenommene moralische Schuld meldet sich im Gewissen mit den entsprechenden emotionalen Begleiterscheinungen (posttrauma- MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 19 tische Belastungsstörung). Auch in diesem Bereich muss die Militärethik ihren Beitrag leisten. Im alltäglichen Handeln müssen rechtliche Rahmenbedingungen und Prozesse etabliert werden, die ethisch und rechtlich korrektes Verhalten fördern. Für den militärischen Einsatz braucht es Einsatz- und Verhaltensregeln, die rechtlich und ethisch korrektes Handeln ermöglichen. Diese dienen unter anderem auch dazu, die Soldaten und Soldatinnen zu entlasten, indem ihnen in die Überfülle von Handlungsvarianten eine Struktur gelegt wird und Richtungen der Handlungsmuster vorgezeigt werden. Solche Rahmenbedingungen und Regeln sollen die Soldaten und Soldatinnen dabei entlasten, jedoch nicht aus der Verantwortung entlassen. Auch Gegebenes ist von Zeit zu Zeit kritisch in Frage zu stellen. Ein gebildetes soldatisches Gewissen ist daher entscheidend und eine militärethische Bildung bis auf Stufe Soldat / Soldatin notwendig. Dies führt mich zur zweiten These über das Gewissen. 4. Militärethik zielt auf die Grundhaltung des Soldaten These 2: Das Zusammenspiel zwischen Emotionen/Intuitionen und Vernunft wird in der militärethischen Ausbildung noch zu wenig berücksichtigt. Das Gewissen spielt für das Urteilen, Entscheiden und Handeln eine entscheidende Rolle. Zum Plausibilisieren dieser These wird im Folgenden zuerst gezeigt, wie zentral und untrennbar die Wechselwirkungen zwischen Vernunft und Emotionen sind, die sich in der Grundhaltung des Soldaten und der Soldatin oder dem Ethos einer Armee zeigen. Das schwer zu definierende „Gewissen“ spielt dabei die zentrale Rolle. Wechselwirkung Vernunft – Emotionen: 12 Wenn Militärethik auf das Handeln und Verhalten von Soldaten und Soldatinnen zielt, dann muss sie berücksichtigen, dass die meisten Handlungen intuitiv, teilweise unbewusst und oft auch spontan oder sogar affektiv geschehen. Dies nicht nur im Einsatz, dort aber besonders, sondern auch im Alltag. Es besteht daher eine enge Wechselwirkung zwischen Vernunft, Emotionen und Intuitionen. Die teilweise anzutreffende Unterscheidung zwischen Vernunft und Intuition (bzw. Emotionen) oder auch Vernunft und Erfahrung ist aus diesem Grund zu Gunsten eines Ansatzes der Wechselwirkung zu überwinden. Intuitionen / Emotionen / Erfahrungen spielen bei (militär-)ethischen Fragestellungen mindestens eine dreifache Bedeutung.13 1) Auf der individuellen Ebene helfen sie unter anderem mit, sich in das Gegenüber einfühlen zu können (Empathiefähigkeit, kulturelle Sensibilität), die in der konkreten Situation spontan richtige Entscheidung zu treffen sowie geforderte Prinzipien oder Vorschriften (wie z.B. Einsatzregeln) zu verinnerlichen. Vielfach erfolgen Handlungen spontan, intuitiv und affektiv. Es ist deshalb entscheidend, wie diese Spon taneität „gerichtet“ ist, welches die Grundhaltung des Soldaten ist. 20 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 12. Vgl. Baumann, D., Militärethik – Was sonst? 48f.; Ammann, Ch., Emotionen – Seismographen der Bedeutung, Stuttgart 2007; Fischer, J., Grundlagen der Moral aus ethischer Perspektive und aus der Perspektive der empirischen Moralforschung, in: J. Fischer, St. Gruden (Hrsg.), Die Struktur der moralischen Orientierung, Münster 2010, 19-48. 13. Vgl. zu Folgendem vor allem Fischer, J., Theologische Ethik, Stuttgart 2002, 124-131, 239-251. Diese Intuitionen / Emotionen / Erfahrungen sind jedoch mit Hilfe der Vernunft aufzuklären und zu formen. 2) Auf der institutionellen Ebene hilft der gelebte „Habitus“ der Soldaten und Soldatinnen mit, eine „Atmosphäre“ zu schaffen, die das Umfeld affiziert. Der herrschende „Geist“ in einer Gruppe, Institution oder Gesellschaft wirkt auf einer vorsprachlichen und wohl auch vorbewussten Ebene stark. Dieses Phänomen lässt sich gut in Konfliktgebieten beobachten. Unter anderem durch die Omnipräsenz von Gewalt und das Auftreten von marodierenden Banden findet eine Verrohung der Sitten statt. Vieles wird in dieser Atmosphäre gar nicht mehr als falsch oder schlecht angesehen oder fällt unter eine falsch verstandene Gruppenkohäsion. Vor diesen Phänomenen sind auch Armeen nicht gefeit. Den Sitten und Gebräuchen, der Sprache, den Ritualen und Symbolen in der militärischen Gemeinschaft ist daher ein spezielles Augenmerk zu schenken. 3) Auf der ethischen Prinzipienebene helfen die Intuitionen im Sinne eines ethischen Kohärentismus mit, das für den Menschen moralisch Entscheidende emotional und rational in ein Gleichgewicht zu bringen.14 Gewissen: Im Gewissen, wie ich es verstehe, wirken rationale, emotionale, intuitive, triebhafte, motivierende, rechtfertigende und gesellschaftliche sowie transzendentale Elemente ineinander; oder einfacher gesagt: verschmelzen „Herz“, „Geist“, „Bauch“, „Seele“ und „Verstand“ zu einer einmaligen persönlichen Individualität und einem Selbstbild. Das Gewissen ist eine die Vernunft und Emotionen übergreifende Instanz, die eine die Handlungen und das Verhalten motivierende, prüfende, leitende sowie begleitende Funktion hat. Das Wissen über pflichtgemässes Verhalten führt nicht zwangsläufig zu einem solchen Verhalten. Vielmehr benötigt der Mensch eine Art „Regelinstanz“, die mit moralischen Emotionen und Gefühlen wie Freude, Stolz, Scham oder Schuld zu einem entsprechenden Verhalten „motiviert“. Erst durch die Verankerung des Wissens im Gewissen entstehen die Einsicht und das daraus resultierende Handeln aus einem Nicht-anders-Können heraus (das Wissen ist affektiv und emotional erfasst). 14. Vgl. u. a. Rawls, J., Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt a. M. 1974, 68-71. 15. Vgl. Ratzinger, J., Werte in Zeiten des Umbruchs, Freiburg 2005, 101ff. 16. Vgl. Arendt, H., Über das Böse, München 2006, 9-45. 17. Vgl. Welzer, H., Klimakriege, Frankfurt a.M. 2008, 30. Aber das Gewissen des Einzelnen kann – gerade wegen der zunehmenden Komplexität und der Handlungsmöglichkeiten – irren,15 oder es kann durch gewaltträchtige oder inhumane Situationen und Atmosphären verrohen. Historische Erfahrungen veranschaulichen, wozu Menschen fähig sind, wenn es zu einem gesellschaftlichen „Massenschlaf des Gewissens“ (F. Eberhard) aufgrund von Konformitätsdruck oder zunehmender Funktionalisierung und Bürokratisierung kommt.16 In einem gesellschaftlichen oder institutionellen System können sich inhumane Werte etablieren, oder es kommt zu „eingebauten Verantwortungslosigkeiten“ (H. Welzer) durch den arbeitsteiligen Vollzug von Handlungen.17 Das Gewissen der Entscheidungsträger muss daher in der militärethischen Ausbildung immer wieder durch Reflexion gebildet, geprägt und kultiviert werden. Gleichzeitig müssen aber auch rechtliche Rahmenbedingungen und Prozesse geschaffen werden, die Irrtümer oder Versagen von Verantwortungsträgern verhindern helfen. Deshalb kommt auch eine Militärethik MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 21 nicht ohne Prozesse, Organigramme, Hierarchien, Verfahren und Reglemente aus, die aber jeweils auf ihre ethischen Grundlagen und Auswirkungen zu prüfen sind. Dies kann unter anderem mit Hilfe der ethischen Urteilsbildung gemacht werden, was mich zu meiner nächsten These führt. 5. Zur militärethischen Urteilsbildung These 3: Die militärischen Führungstätigkeiten eignen sich als Schritte der ethischen /moralischen Urteilsbildung – keine Verdoppelung von Strukturen und Begriffen im militärischen Umfeld. Nach einigen Vorbemerkungen zum Prozess der ethischen Urteilsbildung wird zur Beantwortung dieser These ein erster Ansatz eines entsprechenden Schemas mit möglichen Fragen pro Vorgehensschritt vorgestellt. Vorbemerkung: Eine Funktion der Militärethik besteht darin, mitzuhelfen, bei aktuellen oder möglichen Konflikten zwischen Handlungsmöglichkeiten, die nicht rein „militärtechnischer“ Natur sind, eine Entscheidung herbeizuführen. Solche Konflikte können auf mindestens dreierlei Weise entstehen. Erstens, indem die einzelne Militärperson im eigenen Gewissen feststellt, dass in der vorliegenden Situation etwas mit ihrem persönlichen Wertesystem nicht übereinstimmt, was sich vielfach in einem entsprechenden Gefühl oder so genannten „Gewissensbissen“ zeigt. Zweitens, wenn die handelnde Person bemerkt, dass unterschiedliche Verpflichtungsaspekte miteinander kollidieren und sie nicht beiden Aspekten gleichzeitig gerecht werden kann (interner Werte- und Güterkonflikt). Drittens, indem unterschiedliche Personen eine Situation in unterschiedlicher Weise beurteilen, weil sie unterschiedliche Wertvorstellungen und Wertepriorisierungen oder sogar andere kulturelle Wertesysteme zu Grunde legen (externer Wertekonflikt).18 Gerade der letzte Punkt ist bei militärischen Einsätzen fast immer gegeben. Militärs greifen in Konfliktsituationen ein, die teilweise gerade aufgrund unterschiedlicher Wertevorstellungen (Ethnien, Religionen, Kulturen, Regierungsformen, Minderheiten etc.) entstanden sind. Im Planungsprozess müssen daher Handlungsoptionen entwickelt werden, die nicht zwingend mit dem Wertesystem aller beteiligten Parteien in Einklang gebracht werden können. Auch aus diesem Grund ist es für den militärischen Bereich so wichtig, universell anerkannte ethische Prinzipien (Menschenwürde, elementare Menschenrechte etc.) vor einem Einsatz zu definieren und diese in eine rechtliche Form zu giessen (Völkerrecht, humanitäres Völkerrecht, Einsatzregeln etc.). Diese ethischen Prinzipien und rechtlichen Normen bilden anschliessend die Schranken der Planung auf strategischer, operativer und taktischer Stufe und helfen mit, ethisch vertretbare Endzustände zu definieren. Zum Prozess: Zur Erarbeitung einer Lösung hilft ein strukturierter, rationaler Prozess der ethischen Urteilsbildung. Dieser soll es ermöglichen, eine möglichst adäquate und umfassende Beurteilung der Situation mit ihrer Faktenlage und Optionen zu erreichen, um den Entscheid breit abzustützen. Es darf aber im gesamten Prozess nicht ausgeblendet wer- 22 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 18. Vgl. zu dieser Unterscheidung Mathwig, F., Stückelberger, Ch., Grundwerte, Zürich 2007. den, dass bei jedem Schritt immer intuitive und emotionale Elemente enthalten sind und vieles wiederum von der Wahrnehmung und den richtigen Schlussfolgerungen abhängig ist. Schemas garantieren nicht schon die Lösung, sondern sie sollen mithelfen, wichtige Punkte nicht zu vergessen oder auszublenden. Der Prozess kann auf konkrete Einzelfälle / Situationen bezogen werden, aber auch auf ethische Grundsatzfragen, Prinzipen oder Maximen. Die Art und Weise sowie die Tiefe der Erarbeitung hängt entscheidend vom Faktor Zeit und der Komplexität der Situation oder Fragestellung ab. Je mehr Zeit zur Verfügung steht, je komplexer oder neuer die Aufgabenstellung, desto umfassender und methodengeleiteter hat die Analyse auszufallen.19 Fehlt die Zeit, wird man sich auf seine moralische Intuition verlassen bzw. auf seine „innere Stimme“ (sein „Gewissen“) hören. Diese Intuition soll daher durch exemplarische Anwendung des Prozesses in der militärethischen Ausbildung mitgeprägt werden. In der Militärethik drängt sich auf, dass zur Urteilsbildung nicht ein eigenes Schema entwickelt oder verwendet wird, sondern auf die militärischen Führungstätigkeiten der jeweiligen Armeen zurückgegriffen wird.20 Das Schema und die Begrifflichkeit sind dadurch einerseits den Armeeangehörigen bekannt, und andererseits wird damit auch zum Ausdruck gebracht, dass ethische Aspekte integraler Teil der militärischen Führungstätigkeiten sind. Ein Vergleich mit bestehenden nicht militärischen Prozessen zeigt, dass sich die militärischen Führungstätigkeiten dazu auch gut eignen. Abb. 3: Ethische Urteilsbildung im Vergleich. 19. Vgl. Zwygart, U., Wie entscheiden Sie?, Bern 2007, 218ff. 20. Vgl. zur ethischen Urteilsbildung vor allem: Tödt, H. E., Perspektiven theologischer Ethik, München 1988, 21-48; ders., Versuch zu einer Theorie ethischer Urteilsfindung, in: Zeitschrift für evangelische Ethik 21. Jg. (1977), 81-93. Vgl. auch Bender, W., Ethische Urteilsbildung, Stuttgart 1988, 174–185; van der Arend, A., Pflegeethik, Wiesbaden 1998, 51-68. 21. Vgl. Schweizer Armee, Führung und Stabsorganisation der Armee (FSO XXI), Ziffer 111-206; dies., Taktische Führung (TF XXI), Ziffer 383-391. Schritte: Die militärischen Führungstätigkeiten in der Schweizer Armee kennen folgende Systematik:21 1. Schritt: Problemerfassung 2. Schritt: Beurteilung der Lage 3. Schritt: Entschlussfassung 4. Schritt: Planentwicklung 5. Schritt: Befehlsgebung / Revision der Pläne Nach Schritt 1 parallel: Zeitplan und Sofortmassnahmen MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 23 Diese Schritte sollen im Folgenden als Schritte der ethischen Urteilsbildung vorgestellt werden. Dabei werden die Ziele des Schrittes und die entsprechenden Leitfragen stichwortartig aufgelistet sowie teilweise methodische Hilfen vorgestellt. Diese Punkte sind weder vollständig noch müssen sie in allen Entscheidungsfindungen gleich herangezogen werden. Sie sollen helfen, die für den jeweiligen Schritt wichtigen Elemente herauszuarbeiten und eine Idee des Vorgehens zu vermitteln. Problemerfassung Ziel a) Erkennen des Soll-Ist-Deltas b) Feststellen, um was es in der vorliegenden Situation aus ethischer Sicht überhaupt geht c) Klärung der Problemlage und erste Problembeschreibung d) Klären der eigenen Rolle und Verantwortlichkeiten e) Definition des angestrebten Endzustandes f) Definition von Handlungsrichtlinien zur Weiterarbeit / Festlegung der Gruppengliederung (bei Bearbeitung der Problemstellung in einem Stab oder einer Gruppe) Leitende Fragen – Was ist die Situation (IST) und welchen Endzustand will ich erreichen (SOLL)? – Um was geht es beim vorliegenden Problem, in der vorliegenden Situation? – Handelt es sich überhaupt um ein ethisches Problem oder geht es nicht vielmehr um „technische“ bzw. „pragmatische“ Probleme? – Gibt es Teilprobleme? – Welche persönlichen Verantwortlichkeiten / Bedürfnisse / Interessen sind betroffen? – Unter welchem Zeitdruck und in welcher Priorität ist zu handeln? – Wer behandelt was für die Weiterarbeit? Zur Methode Zur Klärung dieser Fragen hilft die Systematisierung in Problementdeckung (Übersicht über Problem), Problemklärung (Zerlegung eines komplexen Problems in über-, neben- und untergeordnete Teilprobleme) und Problembeurteilung (Zuständigkeit / Bedeutung / Dringlichkeit). Sofortmassnahmen / Zeitplan Diese beiden Prozesse laufen nach der Problemerfassung parallel zu den weiteren Schritten und dienen der Informationsgewinnung bzw. der Aufrechterhaltung der Handlungsfreiheit. Ziel Sofortmassnahmen: – Laufend ergänzende/zusätzliche Informationen zum Problem beschaffen. – Anordnungen zum Erhalt der Handlungsfreiheit treffen. 24 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 Zeitplan: – Festlegen, bis wann was getan werden muss, um das Problem zur Zeit zu lösen. Leitende Fragen Sofortmassnahmen: – Welche Zusatzinformationen muss / kann ich bei wem beschaffen, um über das notwendige Wissen zu verfügen? – Welche Massnahmen kann ich anordnen, ohne dem Entschluss vorzugreifen? Zeitplan: – Geht es um ein akutes Problem, das unter Zeitdruck behandelt werden muss, oder habe ich Zeit zur Erarbeitung der Lösung? – Bis wann muss ich einen Entschluss / Entscheid gefasst haben und was hat dies für einen Einfluss auf das weitere Vorgehen? Beurteilung der Lage Zur Beurteilung der Lage wird in der Planung die Analyse nach den Faktorengruppen Auftrag, Umwelt, gegnerische Mittel/Möglichkeiten, eigene Mittel sowie Zeitverhältnisse vorgenommen. Auch diese eignen sich – in angepasster Form – für die Situationsanalyse bei einem ethischen Problem oder Konflikt bzw. zur ethischen Urteilsbildung. Ziel a) Möglichst adäquate Erfassung der Situation b) Die entscheidungsrelevanten Faktoren (Werte, Maximen, moralische und rechtliche Normen, Interessen, Bedürfnisse, Güter etc.) erkennen und beurteilen sowie daraus Konsequenzen ableiten c) Wert-, Güter- und Interessenskonflikte sowie Dilemmas erkennen Leitende Fragen Auftragsanalyse: – Welches ist der Auftrag? Wie sieht der Auftrag aus ethischer Perspektive aus? – Welches ist der Gesamtrahmen des zu lösenden Problems (ethisch, politisch, rechtlich)? – Was wird von mir/uns genau erwartet (zum Beispiel: Lösung, Vermittlung, Beratung)? – Was erwarte ich von mir? – Wo und wie bin ich von meiner Funktion her gebunden bzw. frei? – Wie werde ich von wem unterstützt? Umweltanalyse: – Wie sieht die konkrete Situation genau aus? Wie ist sie entstanden? – Welche Personen /Gruppen sind mit welchen Werten, Interessen, Bedürfnissen involviert? – Wie sind die „Akteure“/„Faktoren“ untereinander verbunden? – Welche Güter, Werte und Überzeugungen stehen auf dem Spiel? – Wer trägt wem gegenüber für was welche Verantwortung? – Von welchem Menschen- und Weltbild wird ausgegangen? MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 25 – Welches Sach- und Fachwissen wird zur Lösung des Problems benötigt? – Wie sieht die rechtliche Situation aus? – Welche Sachzwänge gibt es (technisches Wissen, Stand Fachwissen etc.)? „Gegnerische“ Mittel und Möglichkeiten (hier besser: Interessen- und Konfliktanalyse): – Welche Handlungs- bzw. Verhaltensalternativen liegen vor? – Welche Wertvorstellungen, Rechte und Pflichten stehen in einem Konflikt? Wie können diese gewichtet werden? – Welches sind die widerstreitenden Interessen und Erwartungen? – Welche Güterabwägung muss vollzogen werden? Eigene Mittel: – Welches sind die eigenen Werte, Überzeugungen, Normen? – Welches ist der eigene Einflussbereich? Welche eigenen Möglichkeiten liegen vor? – Welches ist die eigene Verantwortung? – Welches sind die eigenen körperlichen, geistigen und funktionellen Mittel und Fähigkeiten? – Was sagt mein Gewissen? Zeitverhältnis: – Welche Zeitverhältnisse schränken mich wo und wie ein? Zur Methode Bei der Beurteilung der Lage ist die Faktorenanalyse nach dem „Aussage – Erkenntnis – Konsequenz“ (A-E-K)-Schema hilfreich. Aussagen (Fakten) aus den verschiedenen Faktorengruppen werden zueinander in Beziehung gesetzt, zu Erkenntnissen verdichtet (Was zeigt sich darin?) und daraus Konsequenzen abgeleitet (Wie handle ich deshalb?). Ebenfalls eignet sich das so genannte „Conflict Mapping“, bei dem die wichtigsten Faktoren (Akteure, Werte etc.) und ihre Verbindungen visualisiert und dadurch auch Abhängigkeiten aufgezeigt werden. Entschlussfassung Der implizite oder explizite Urteilsentscheid bildet den Abschluss des Abwägungsprozesses. Dieser kann rational erarbeitet und begründet werden, wird aber letztlich durch einen intuitiv-kreativen Akt im Gewissen abgeschlossen. Ziel a) Ermitteln der Handlungs- und Verhaltensoptionen b) Prüfen der betroffenen Normen, Güter, Perspektiven sowie Vor- und Nachteile der einzelnen Varianten c) Erstellen der Risikoanalyse d) Fällen des Entschlusses / Urteils e) Begründung des Entscheids 26 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 Leitfragen – Welche Handlungsmöglichkeiten / Verhaltensoptionen gibt es? – Welche ethisch relevanten Überzeugungen, Werte und Normen stehen bei den einzelnen Varianten auf dem Spiel? – Welchem Wert, welcher Norm wird bei den Varianten der Vorzug gegeben, wieso? – Welche rechtlichen Rahmenbedingungen und Normen sind betroffen? – Welche Menschenbilder sind involviert? – Ist die einzelne Option realistisch und sachgemäss? – Sind die Mittel zur Zielerreichung vorhanden und angemessen? – Wo befinden sich welche Risiken? – Wie kann das Urteil begründet werden? Zur Methode Wenn die Situation möglichst präzise erfasst wurde, können adäquate Handlungsoptionen zum Erreichen des gewünschten Endzustandes entwickelt werden. Die Optionen können anhand von Kriterien in einer „Bewertungsmatrix“ gegenübergestellt werden. Die Schwierigkeit besteht jedoch darin, zu bestimmen, aufgrund von welchen Kriterien die Varianten miteinander verglichen werden sollen und wie diese Kriterien gewichtet werden. Es gibt je nach Komplexität verschiedene „Kriterien“ und „Prüfverfahren“, die aber selber von unterschiedlichen ethischen Grundentscheidungen ausgehen. An dieser Stelle können sie nur angedeutet werden: „Kriterien“: Bestimmte ethische Maximen, Normen und Werte, Rechtmässigkeit, Tragbarkeit, Verhältnismässigkeit, Angemessenheit, Machbarkeit etc. „Prüfverfahren“: Reziprozität, Rollenübernahme, Perspektive des unparteiischen Dritten, Kategorischer Imperativ, Verallgemeinerung, „Schleier des Nichtwissens“, utilitaristisches Nutzenkalkül, Diskursansatz etc. Planentwicklung Ziel a) Detailausarbeitung, wie das Urteil (der Entschluss) umgesetzt werden kann b) Erstellen von Eventualplanungen Leitfragen – Wie wird der Entschluss in seinen Einzelheiten umgesetzt? – Wer macht was wann? – Was muss wo und wie initiiert und angepasst werden, um den Entschluss umzusetzen (zum Beispiel Prozessanpassung, Gesetzesänderung, politische Willensbildung etc.)? – Was mache ich bei auftretenden Schwierigkeiten? Zur Methode Bei komplexeren Umsetzungen mit räumlich-zeitlichem Synchronisa tionsbedarf können die einzelnen Schritte in Phasen und Sequenzen unterteilt werden und in einer „Synchronisationsmatrix“ visualisiert werden. MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 27 Befehlsgebung und Revision der Pläne Ziel Befehlsgebung a) Den Entschluss konkret umsetzen / handeln b) Diejenigen, die den Entschluss umsetzen müssen, überzeugen und beauftragen c) Dynamiken und Einflüsse antizipieren, die die Umsetzung beeinflussen können Ziel Revision der Pläne Der Entscheid behält seine Gültigkeit, solange nicht neue Faktoren auftreten oder das externe und interne Handlungscontrolling durch die Feststellung einer Soll-Ist-Differenz einen neuen Prozess auslösen. Leitfragen Befehlsgebung – Wie soll ich handeln? Wie sollen die anderen handeln? – Wie kann ich mich und die anderen zur Umsetzung motivieren? – Reichen die eigenen Fähigkeiten und meine Selbstwirksamkeitsüberzeugung aus? – Entsprechen die Fähigkeiten und die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen der anderen der geplanten Umsetzung? – Wie gehe ich mit möglichen auftretenden Stress-, Angst- und Belastungsphänomenen um? – Wie gehe ich mit situativen, institutionellen und sozio-kulturellen Einflüssen um? – Welche sozialen (Gruppen-)Dynamiken und Prozesse muss ich beachten? – Was mache ich bei auftretenden Schwierigkeiten? Leitfragen Revision – Wird das gewollte Ziel erreicht? – Treten neue Probleme auf? Hat sich die Situation geändert? – Wurde etwas ausgeblendet oder vergessen? – Gibt es Gründe, auf den Entscheid zurückzukommen? Ist ein ethischer Urteilsprozess abgeschlossen und umgesetzt, können Lehren für nachfolgende Prozesse gezogen werden. Die Verarbeitung und somit Verinnerlichung von Erlebtem dient der Bildung von Handlungs- und Verhaltensmustern, die sich auf das individuelle, institutionelle oder kollektive Gedächtnis und die Gestaltung von Grundprinzipien auswirken können. Weil in militärischen Einsätzen vom Einzelnen nicht verlangt werden kann, permanent und für jede Handlungssituation eine umfassende ethische Urteilsbildung vorzunehmen, ist es notwendig, ethische Prinzipien sowie darauf basierende allgemeine strategische, operationelle und taktische Prinzipien zu erarbeiten und basierend auf den (kritisch geprüften) ethischen und rechtlichen Verpflichtungen Einsatz- und Verhaltensregeln zu erlassen. Dadurch wird dem militärischen Entscheidungsträger einerseits eine Struktur in seine Handlungsmöglichkeiten gelegt, zweitens eine erste grobmaschige Güterabwägung vorgenommen (Welchem Gut wird grundsätzlich ein Vorrang eingeräumt? Wie habe ich mich in erster Linie zu verhalten?) und ihm drittens die 28 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 grundsätzliche Richtung des Handelns gezeigt. Dies soll ihm Entscheidungs- und Handlungssicherheit geben, im Wissen, dass solche Prinzipien immer auf die konkrete Situation angepasst werden müssen und keine „Naturnotwendigkeit“ darstellen. Abb. 4: Skizze eines umfassenden Schemas. Beides, das Kennen und Verinnerlichen von allgemeinen ethischen Prinzipien sowie die Fähigkeit zur umfassenden ethischen Urteilsbildung, muss im Militärethikunterricht ausgebildet werden. Dies führt mich zur vierten und letzten These. 6. Konsequenzen für die militärethische Bildung These 4: Förderung eines praxisintegrierten und „narrativen“ Methodenansatzes, der auf Sinnvermittlung und Prägung der Grundhaltung zielt. Diese These basiert auf der Überzeugung, dass militärethische Bildung auf die Einsicht der Soldaten und Soldatinnen zielt und deren Grundhaltung beeinflussen will, ohne zu indoktrinieren oder zu manipulieren. MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 29 Dazu werden vermehrt narrative und praxisintegrierte Ansätze benötigt. Ein „Vierstufenansatz“ kann helfen, stufen- und funktionsgerecht die geeigneten Themen und Methoden für die militärethische Ausbildung zu bestimmen. Die Gefahren der militärethischen Bildung dürfen dabei jedoch nicht ausgeblendet werden. Narrativer Militärethik-Ansatz:22 Militärethische Bildung zielt auf Sinnvermittlung. Der Soldat oder die Soldatin soll in dieser Perspektive nicht primär aus rechtlichem oder sozialem Zwang handeln, sondern aus Überzeugung, das Richtige und ethisch Verantwortbare für sich, die Armee und die Gesellschaft zu tun. Diese Zielsetzung hat auch einen ganz pragmatischen Grund. Gerade in affektiv aufgeladenen Situationen, in denen rasch gehandelt werden muss, wird ein nicht verinnerlichtes externes rechtlich-moralisches Korsett in der Regel abgeworfen, was aufgrund der heutigen Stellung des „strategischen Soldaten“ fatale Folgen für den militärischen Einsatz haben kann. Ethische Normen sind daher in der Ausbildung – wenn möglich – in einer „Indikativ-Kohortativ-Struktur“ zu formulieren, das heisst weniger in der Form „Du sollst das Kriegsvölkerrecht einhalten“ als vielmehr „Weil ich als Soldat einen Rechtsvertreter darstelle, halte ich das Kriegsvölkerrecht ein“.23 Die Handlungs- und Beobachterperspektive wird dadurch durch einen notwendigen Identitätsfokus ergänzt (Wer will ich sein?). Es soll nicht nur erkannt werden, was zu tun ist, sondern vielmehr anerkannt werden, dass es zu tun ist. Es entsteht dann aus dem externen Müssen und Sollen ein internes „Nicht-anders-Können“. In der Ausbildung ist daher eine Art „freiwillige Selbstbindung aus Einsicht“ (Nunner-Winkler) auf der Basis eines aufgeklärten Wissens und Fühlens anzustreben. Dazu dient auch die Reflexion von persönlichen und fremden (Schlüssel-)Erlebnissen, die die persönliche Grundhaltung sowie individuelle und kollektive Einstellungen prägen. Ein narrativer Ansatz in der Ethikausbildung geht weiter davon aus, dass die moralische Grundhaltung – die Justierung des moralischen Kompasses – weniger (aber auch) durch Argumentieren gefördert wird, sondern vielmehr durch Erleben, Erzählen und Machen von Erfahrung, weil dadurch auch hier von der Beobachterperspektive in die Identifizierungsperspektive gewechselt wird. Solche Ansätze können zu sedimentierten Erfahrungen führen, die ihrerseits die Wahrnehmung und das Handeln beeinflussen. Auf solche Aspekte ist beispielsweise bei der Arbeit mit Fallbeispielen zu achten. Kein Fallbeispiel wird je die kommende Situation abbilden, aber durch die Auseinandersetzung mit ihnen (bis hin zu Dilemmatrainings) und durch die Identifikation mit den Handelnden sollen zu Grunde liegende Denkstrukturen, moralische Überzeugungen und Handlungsmuster erkannt werden, die es dem Entscheidungsträger ermöglichen, zukünftige Situationen in einer entsprechenden Perspektive zu sehen oder für neue Perspektiven offen zu sein. Es ist die Schulung von bestimmten Arten und Strukturen der Wahrnehmung und des Denkens sowie der Verinnerlichung von Entscheidungsprozessen und Entscheidungsmustern. In eine ähnliche Richtung weisen die Arbeiten von Hans Joas über die Entstehung von Werten und zur Wertebindung. Wertebindungen sind 30 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 22. Vgl. zur narrativen Ethik: Mathwig, F., Ethik in einer „Welt ohne Letztbegründungen“ in: M. Hofheinz, F. Mathwig, M. Zeindler (Hrsg.), Ethik und Erzählung, Zürich 2009, 345-381. 23. Vgl. Fischer, J., Theologische Ethik, Stuttgart 2002, 121ff. nach ihm nicht mit Absicht erzeugbar, sondern Personen müssen von ihnen „ergriffen sein“. Die Erfahrung des Ergriffenseins gehört ebenso dazu wie die Verankerung der Werte im Selbstbild. Deshalb entstehen für Joas Werte in Erfahrungen der Selbstbildung und Selbsttranszendenz.24 Erfahrungen müssen ermöglicht werden. Dies ist vor allem mit einem praxisintegrierten Ansatz möglich: Praxisintegrierter Ansatz: Unter einem praxisintegrierten Ansatz verstehe ich in diesem Kontext zweierlei: a) Erstens verstehe ich darunter den Einbau der Militärethikausbildung in den Ausbildungsalltag. In den praktischen militärischen Übungen sind militärethische Themen einzubauen. Dies wird heute teilweise bereits mit kriegsvölkerrechtlich relevanten Fragen gemacht. Genauso können aber auch „ethische Fragen“ in eine Übung eingebaut werden. Einzelne Fallbeispiele, beispielsweise aus der kanadischen Sammlung25, können nicht nur im Theoriesaal besprochen werden, sondern auch als Übungen „inszeniert“ werden. Dadurch wird der Praxis- und Realitätsbezug zum militärischen Einsatz und Alltag besser hergestellt. Faktoren wie Müdigkeit, Stress, Lärm etc. können je nach Bedarf zusätzlich eingeplant werden. Bei solchen Einsatzübungen geht es um das Einüben in die (richtige) geforderte Grundhaltung und somit in die Habitualisierung der geforderten Verhaltens- und Denkmuster. Es geht dabei nicht um ein blindes Übernehmen von fremder Erfahrung, sondern um die kreative Aneignung fremder sowie den Aufbau eigener Erfahrung. Vielfach entstehen positive oder negative Beispiele im konkreten militärischen Alltag (und Einsatz) eines Verbandes. Hier geht es für den Ausbilder und die Führungsperson darum, diese Situationen zu erkennen und anschliessend mit den Betroffenen zu thematisieren. Daher sollen primär die militärischen Führungspersonen und Ausbilder befähigt werden, Militärethik auszubilden. Sie leben mit der Truppe. Vorbilder tragen durch Nachahmung zur Tugendbildung bei. Dies ist wichtig. Es besteht aber die Gefahr, dass die Nachahmung als ein „Gleichwerden wie“ missverstanden wird. Es geht vielmehr auch hier um die Art und Weise und die Struktur des vorbildlichen Handelns und Verhaltens, die nachahmenswert sind, die aber der eigenen Persönlichkeit und Situation angepasst werden müssen. 24. Vgl. Joas, H., Die Entstehung der Werte, Frankfurt a. M. 1999. 25. Vgl. Canadian Defence Academy (Ed.), Ethics in the Canadian Forces: Making Tough Choices, 2006. b) Zweitens sollen in einem praxisintegrierten Ansatz in rechtsstaatlichen Armeen in erster Linie bestehende Reglemente und Vorschriften als Basis für die militärethische Ausbildung verwendet werden. Die ethischen Grundprinzipien und Grundwerte sollen aus den bestehenden Reglementen „gefiltert“ und besprochen werden. Dadurch kann wieder darauf verwiesen werden, dass ethische Fragen nicht einen Zusatz zur militärischen Ausbildung darstellen, sondern vielmehr ein integraler Bestandteil des soldatischen Selbstverständnisses sind. Um die menschenrechts- und grundrechtsbasierten Prinzipien in der Führung, Ausbildung und Erziehung auszubilden, MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 31 eignen sich beispielsweise in der Schweizer Armee neben der Verfassung vor allem das „Dienstreglement“ sowie die Reglemente „Grundschulung“, „Rechtliche Grundlagen für das Verhalten im Einsatz“, „Methodik der Verbandsausbildung“ und „Ausbildungsmethodik“. Das „Militärstrafgesetz“ sowie die „Disziplinarstrafordnung“ verweisen ebenfalls auf ethische Grundsätze, indem sie definieren, welches Verhalten in der Armee rechtlich sanktioniert ist. In diesem Bereich geht es darum zu erklären, wieso ein entsprechendes Verhalten nicht akzeptiert wird und welche Werte, Prinzipien und Güter dahinterstehen. Es ist Aufgabe der Militärethiker und Militärethikerinnen, diese Reglemente und Vorschriften sporadisch kritisch zu sichten und auf ihre Kompatibilität in Bezug auf die reflektierten ethischen Grundprinzipien (z.B. Menschenwürde) zu überprüfen. Vier-Stufen-Methodik:26 Zur Bestimmung der militärethisch geforderten Haltung und Handlungen können idealtypisch vier Stufen unterschieden werden, innerhalb derer die Handlungs- und Verhaltensanweisungen zunehmend konkreter, kontext- und situationsbezogener werden. Entlang diesen Stufen können und sollen auch verschiedene methodische Ansätze gewählt werden. 1. Stufe: (meta-)ethische Theorien zur Plausibilisierung und Rechtfertigung des Moralprinzips. Auf dieser Ebene geht es zentral um das Welt- und Menschenbild, das heisst um die Fragen, wie der Mensch und die Gesellschaft gesehen werden, was aus der Anthropologie für ein Gerechtigkeitskonzept folgen soll, was dem Menschen entspricht und wieso er sich letztlich moralisch verhalten soll. Mögliche Methoden: Auf dieser Stufe sind Ausbildungssequenzen zur Entstehung der bestehenden gesellschaftlichen und institutionellen Moral, zur Entstehung und Bedeutung der Menschenrechte sowie vor allem der UN-Charta mit der zu Grunde liegenden Vorstellung von Armeen, militärischen Einsätzen und dem Menschenbzw. Soldatenbild denkbar. Dazu eignen sich unter anderem Lehrvorträge, Diskussionen, Exkursionen zu wichtigen Institutionen und Orten oder auch Studienaufträge mit Referaten. 2. Stufe: die Bestimmung und Diskussion der grundlegenden Werte, moralischen Prinzipien und Maximen ausgehend vom Welt- und Menschenbild der Stufe 1, die sich durch einen hohen Allgemeinheitsgrad auszeichnen. Sie dienen in erster Linie der Orientierung und Verinnerlichung der Ausrichtung der Grundhaltung. Mögliche Methoden: Dazu geht es in der Ausbildung um Gewissensbildung, offene Diskussion über Werthaltungen, Grundprinzipien der Verfassung, das Soldatenbild im Dienstreglement, das Bild des militärischen Gegners, der Gegenseite oder von Zivilpersonen entsprechend dem humanitären Völkerrecht. Zu integrieren sind auch Fragen, als was sich die Institution Armee verstehen will, mit dem Ziel einer Akkulturation und Sozialisation in dieses Selbstverständnis. Hier kann unter anderem auf Methoden der „Werteklärung“ (values clarification) zurückgegriffen werden.27 32 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 26. Vgl. dazu Bayertz, K., Praktische Philosophie als angewandte Ethik, in: Ders. (Hrsg.), Praktische Philosophie. Grundorientierungen angewandter Ethik, Reinbek 1991, 12; Gillner, M., Praktische Vernunft und militärische Professionalität, Bremen 2002, 23f.; Baumann, D., Militärethik – Was sonst? 52-54. 27. Diese Methode ist jedoch nicht unumstritten, vgl. Oser, F., Althof, W., Moralische Selbstbestimmung, Stuttgart 1992, 475-516; Köck, P., Handbuch des Ethikunterrichts, Donauwörth 2002, 160-163; Pfeifer, V., Didaktik des Ethikunterrichts, Stuttgart 2. Auflage 2009, 316-318; Standop, J., Werte-Erziehung, Basel 2005. 3. Stufe: Formulierung von konkreten Regeln, Normen, Gesetzen, Kodizes und Handlungsanweisungen, die in Form prima facie gültiger Strukturierungen der Wirklichkeit das Handeln und Verhalten von Soldaten leiten und ihnen Handlungs- und Entscheidungssicherheit geben sollen, indem sie zwischen vorgeschriebenem, gebotenem, verbotenem, erlaubtem oder wünschenswertem Handeln und Verhalten differenzieren. Mögliche Methoden: Auf dieser Stufe ist einerseits die Rechtsbildung zentral, das heisst die Kenntnisse des Militärgesetzes, des Dienstreglements und des Militärstrafgesetzes mit Hilfe von Fallstudien. Andererseits beinhaltet diese Stufe die Vermittlung der militärischen Grundprinzipien, wie sie beispielsweise in der Grundschulung oder der Taktischen Führung vorliegen, durch praktische Übungen und Trainings, sowie drittens die konkrete Ausbildung von Einsatzregeln und entsprechenden Taschenkarten. 4. Stufe: das singuläre und adäquate moralische Urteil in einer konkreten Situation. Allgemeine Regeln, Normen und Gesetze können den konkreten Einzelfall nicht bestimmen, da die Situationsumstände immer einmalig sind. Zur Applikation der Prinzipien und Grundsätze braucht es die ethische Urteilskraft und die moralische Intuition. Mögliche Methoden: Zum Training der moralischen Urteilskraft dienen neben anderem Fallbeispiele28 (mit oder ohne Dilemmacharakter), historische oder aktuelle Praxisbeispiele sowie Filmausschnitte. Mögliche Methoden sind a) „Entschlussfassungsübungen“ anhand der militärischen Führungstätigkeiten (s. oben) und/oder b) eine Art „Fünf-Schritt-Verfahren“ [1. Schritt: Konfrontation mit dem Fall (oder Dilemma), 2. Schritt: spontaner Entscheid / erste Stellungnahme, 3. Schritt: Diskussion in Gruppen. 4. Schritt: Präsentation im Plenum und Schlussdiskussion, 5. Schritt: Ableiten von Konsequenzen].29 Die Schulung der Urteilskraft soll aber auch durch einen c) praxisintegrierten Ansatz unterstützt werden, wie er oben skizziert wurde. Abb. 5: Vier-Stufen-Methodik. 28. Als Auswahl: Canadian Defence Academy (Ed.), Rubel, R., Lucas, G. (Ed.), Case Studies in Military Ethics, Boston 2005; Stockdale J. (Ed.), Ethics for the Junior Officer, Annapolis 2001; International Society for Military Ethics: http://isme.tamu.edu/Cases/casesindex.html (Stand: 14. August 2010); Curcio, G.-P., Verantwortungsmotivation, Berlin 2008; Zwygart, U. 29. Vgl. z.B. Pfeifer, V., 182; Lind, G., Moral ist lehrbar, München 2. Auflage 2009, 83-85; Köck, P.,167-169. MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 33 Gefahren in der militärethischen Bildung: Der Stellenwert der Militärethik und der ethischen Bildung in den Streitkräften steigt nach meiner Wahrnehmung an. Trotzdem, oder gerade deshalb, dürfen die Gefahren der militärethischen Bildung nicht ausgeblendet werden. Militärethische Bildung ist immer eine Gratwanderung, weil sie auf die Grundhaltung und somit auf das Gewissen der Soldatinnen und Soldaten zielt. Abschliessend daher stichwortartig einige Felder, die kritisch im Auge behalten werden müssen. a) Die Hauptherausforderung besteht darin, sicherzustellen, dass militärethische Ausbildung nicht zu einer Indoktrination oder Manipulation verkommt, gerade durch „falsche“ Vorbilder oder eine Überhöhung der Institution Armee bzw. der eigenen Nation. Deshalb gehört das reflexive, kritische und universelle Moment der Ethik zur militärethischen Ausbildung zwingend dazu. b) Es darf zu keiner falschen Trennung zwischen militärischem Handwerk und ethischer Ausbildung kommen. Soldatisches Handeln kann absichtlich oder unbewusst missbraucht werden und richtet im Einsatz auch Schaden an. Daher sind ethische Fragen in den militärischen Alltag, in das militärische Denken und Handeln zu integrieren, beispielsweise in die militärischen Führungstätigkeiten. c) Ethik, Recht und Politik können und dürfen nicht voneinander getrennt werden. Soldatisches Tun beinhaltet immer ethische, rechtliche und politische Aspekte und es reicht nicht aus, ein „guter“ Soldat oder eine „gute“ Soldatin in einer „schlechten“ Organisation oder in einem „falschen“ Einsatz zu sein. Sie müssen erkennen, dass sie in einem Gesamtkontext handeln und teilweise strategisch-politisch denken müssen. Ein verkürztes „Ich übernehme dann schon die Verantwortung“-Denken verhindert gerade das Akzeptieren des Spannungsfeldes, einerseits als Individuum für die eigenen Handlungen verantwortlich zu sein und andererseits gleichzeitig in einem Kollektiv für eine Gemeinschaft zu handeln. d) Militärethische Ausbildung bezieht sich vielfach auf „extreme“ Beispiele und steht dadurch in der Gefahr, die „Alltagsmoral“ (wie z.B. Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, wachsam-kritische Loyalität) zu vernachlässigen. Mit „Dilemmatrainings“ kann auch suggeriert werden, dass der Soldat oder die Soldatin vielfach vor die Wahl gestellt sind, das kleinere Übel zu wählen. Es gab und wird immer wieder „tragische“ Situationen für Soldaten und Soldatinnen geben. Darauf hat man sie auch ganzheitlich vorzubereiten. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es viele Situationen gibt, die sich nicht durch eine Dilemmastruktur auszeichnen (oder man mit einer entsprechenden Vorbereitung das Entstehen einer solchen Struktur verhindern kann), sondern wo es klar ist, wie nach den gültigen ethischen und rechtlichen Prinzipien gehandelt werden sollte (oder sogar gehandelt werden muss). Wenn immer nur von Extremen gesprochen wird, wird das Extreme plötzlich normal, und das kann gleichgültig oder sogar zynisch machen. e) Militärethik kann den teilweise aus der Erziehung und Bildung fehlenden moralischen „Grundhumus“, den es für die Verankerung der ethischen Überzeugungen im Gewissen benötigt, nur bedingt entstehen lassen. 34 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 f) Militärethik sollte nicht hauptsächlich von „Ethik-Experten“ ausgebildet werden, sondern von den verantwortlichen Führungspersonen und Ausbildern. Militärethik ist eine Sache der Vorgesetzten. Diese sollen ihrerseits durch Fachpersonen geschult werden. g) Wertelisten (core values) helfen mit, allgemeine Grundsätze und das Selbstverständnis einer Institution darzustellen. Werden solche Listen aber absolut gesetzt oder die entsprechenden Werte als Schlagwörter missbraucht, verlieren sie ihren Sinn. Werte können nicht befohlen werden, sondern nur eingesehen und anerkannt. h) Ethische Grundprinzipien sollen in einer religionsneutralen Armee nicht religiös begründet werden, sondern müssen mit „säkularen“ Argumenten plausibel gemacht werden. 7. Ein Kodex zum Schluss Als was also soll sich nun ein heutiger Soldat verstehen ("Sehen als") und entsprechend identifizieren? Dazu abschliessend folgender Vorschlag eines Kodex. Die umfassende Version beinhaltet 52 Punkte und ist im Buch „Militärethik“ publiziert:30 Als Soldat einer rechtsstaatlichen Armee … a) diene ich nur in einer rechtsstaatlichen, von nationalen politischen Behörden und (inter-)nationalen Gerichten kontrollierten Armee. b) erfülle ich diszipliniert, eigenverantwortlich und zuverlässig meine soldatischen Pflichten in allen legalen und legitimen Einsätzen. Dazu gehört, dass ich mir ein hohes (fachliches und körperliches) Können und Wissen in meiner Funktion aneigne. c) wende ich physische und im Extremfall tödliche Gewalt nur wenn notwendig sowie immer verhältnismässig an. d) respektiere und achte ich im Einsatz, in der Ausbildung und im Zusammenleben die unveräusserliche Würde und elementaren Menschenrechte jedes Menschen. e) halte ich mich an das humanitäre Völkerrecht sowie das Landesrecht, verweigere anders lautende Befehle und informiere meine Vorgesetzten über entsprechende widerrechtliche Handlungen und Anordnungen. f) verhalte ich mich gegenüber meinen Vorgesetzten, Kameraden und Unterstellten integer, kameradschaftlich und loyal. g) führe ich meine Unterstellten mit einer auftragszentrierten und menschenorientierten Führung. h) unternehme ich nichts, das dem Ansehen der Armee schadet. 30. Vgl. Baumann, D., Militärethik, 569-573. MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 35 36 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 Moralisches Urteilen, Entscheiden und Handeln – zur W irksamkeit der Ethikausbildung in den Streitkräften: Ein Beitrag aus (truppen-) psychologischer Sicht Als Leitgedanke des Beitrags ist wohl nichts geeigneter als der Ausspruch von Antoine de Saint-Exupéry: „Um klar zu sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung“. Uwe Drews Von dem diesjährigen Konferenzthema der Gesprächsreihe „Sachstand der ethischen Bildung in den Streitkräften“ ausgehend, wird versucht, das Thema aus der Sicht der Psychologie zu beleuchten. Und da dieses möglichst zielgerichtet auf militärische Aspekte angewendet werden soll, handelt es sich somit um eine zusätzliche Fokussierung auf truppenpsychologisch relevante Aspekte. Die Diskussion darüber, ob komplexe geistige Prozesse wie das moralische Urteil mit quantitativen Methoden überhaupt adäquat erfasst werden können, ist in der wissenschaftlichen Forschung nach wie vor virulent, wobei offenere Erhebungs- und Auswertungsmethoden der qualitativen Sozialforschung nunmehr im Vordergrund stehen. Als Beispiel sei hier auf die Analyse autobiographischer Erzählungen auf Basis narrativer Interviews mit dem Ziel einer Rekonstruktion der Eigenperspektive moralischer Erfahrungen im Kontext des Erzählenden verwiesen. Ein anderes Beispiel ist das Gruppendiskussionsverfahren. Auf die „Wirksamkeit der Ethikausbildung“, also die empirisch ausgerichtete Fragestellung von Messbarkeit, wird bei diesem Vortrag nicht näher eingegangen, denn um dieser komplexen Thematik der Wirksamkeit auch nur annähernd gerecht zu werden, würde es einer eigenständigen Betrachtung bedürfen. Zudem erscheinen die Aussagefähigkeit früherer einschlägiger Überlegungen, z.B. zu den Kohlberg-Dilemmata mit Rasch- und Mokken-Analysen, für diese Tagung wenig horizonterweiternd und wohl auch zu spezifisch. Mit diesem Vortrag Beitrag ist vielmehr die Hoffnung, – oder mehr militärisch ausgedrückt: die Absicht – verbunden, einen Impuls zu geben, Einzelaspekte aus einer ganz spezifischen Perspektive zu betrachten und so einen Beitrag zur Gesamtthematik zu liefern. 1. Moralpsychologie Eine der ältesten Fragen der Philosophie ist die nach „gut“ und „böse“, nach „richtig“ und „falsch“. Da diese Frage nicht nur Philosophen bewegt, sondern – mehr oder weniger – für jeden Menschen von Interesse ist, hat sich auch die Psychologie dieser Kernfrage angenommen. „Moralpsychologie“ ist ein Sammelbegriff für verschiedene Teilbereiche der Psychologie, die sich mit ethischem bzw. moralischem Verhalten beschäftigen, z.B. 쐌 mit der moralischen Entwicklung und Urteilsfähigkeit, 쐌 der Umsetzung von moralischer Urteilsfähigkeit in moralisches Handeln, 쐌 mit den Faktoren, die moralisches Verhalten ermöglichen und beeinflussen, sowie 쐌 Möglichkeiten der Moralerziehung. MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 37 Dass die psychologische Forschung hierbei nicht zu unumstrittenen, allgemein akzeptierten Ergebnissen gekommen ist, liegt wohl nicht nur in der Tatsache begründet, dass es sich bei den Akteuren um Psychologen handelt. Je nach prägend vorherrschendem Menschenbild kommen unterschiedliche Sichtweisen auch zu verschiedenen Ergebnissen, um die z.T. – auch das scheint typisch für die wissenschaftliche Diskussion zu sein – heftig gestritten wird. Aktuelle moralpsychologische Streitfragen sind z.B. – ob von einem universalen Stufenmodell moralischer Entwicklung ausgegangen werden kann oder – ob moralische Standards kulturell bedingt sind, sowie – geschlechtsspezifische Unterschiede, und auch – das Phänomen von Regressionen auf frühere Stufen der Moralentwicklung. Innerhalb der Moralpsychologie waren es vor allem die entwicklungspsychologischen Wissenschaftler, die Theorien zur Erklärung der Genese moralischer Vorstellungen entwickelten. In diesem Zusammenhang sind als die beiden wesentlichen Personen Jean Piaget und Lawrence Kohlberg zu nennen. Jean Piagets Schwerpunkt der Forschung widmete sich insbesondere dem Vorhandensein moralischer Regeln einerseits und dem tatsächlichen menschlichen Verhalten andererseits. Dazu postulierte er Stufen oder Phasen moralisch-kognitiver Entwicklung. Lawrence Kohlbergs Arbeiten basieren auf den Ergebnissen Piagets. Er verfeinerte dessen Stufenschema und indem er versuchte, moralische Urteilskompetenz zu messen, begründete er einen neuen Ansatz moralpsychologischer Forschung, nämlich die Untersuchung der Beziehung zwischen theoretischen moralischen Idealen und moralischen Wertvorstellungen von Individuen. 2. Jean Piagets Theorie der kognitiven Entwicklung Allgemein wird Jean Piaget heute als einer der grossen Vordenker der Entwicklungspsychologie gewürdigt. Er war Inspirator vielfältiger Forschungen. Seine umfangreichen Publikationen gelten als schwer lesbar. John Flavell, ein amerikanischer Piaget-Kenner, mag als Beispiel gelten, indem er davon spricht, dass ihm „Kürze, Klarheit und Richtigkeit irgendwie unvereinbar“ mit dem Versuch einer Darstellung von Piagets Theorie erscheinen (Kognitive Entwicklung, Stuttgart 1979, Seite 18). Jean Piagets Wissenschaftstheorie bzw. Erkenntnistheorie setzt sich dezidiert von dem zu Anfang des 20. Jahrhunderts dominierenden klassischen Behaviorismus ab. So kritisierte Piaget in seinen Publikationen oft das im Zentrum des klassischen Behaviorismus stehende Reiz-Reaktionsschema sowie die Konzeption des Lernens als Konditionierung und Habituation. Zeitlebens vertrat Piaget eine andere Position als die etablierte Psychologie. Er hielt den Gebrauch von Statistiken und auch standardisierten Untersuchungsmethoden für kontraproduktiv und vollzog seine Untersuchungen hauptsächlich an seinen drei eigenen Kindern und lei- 38 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 tete auf dieser sehr schmalen Forschungsbasis seine Erkenntnisse über Kinder im Allgemeinen ab. Für Piaget sind zwei komplementäre funktionale Prozesse von Bedeutung: Assimilation auf der einen und Akkomodation auf der anderen Seite. Beide sind für ihn Aspekte der kognitiven Anpassung, also Adaption des Individuums an seine Umwelt. Bei der Assimilation erfolgt eine Anpassung der Umwelt an den Organismus, bei der Akkomodation hingegen passt sich der Organismus den Umweltgegebenheiten an. Aus Sicht Piagets ist der Mensch ein „offenes System“. Darunter versteht er einen Organismus, der sich wandelt, auf Einflüsse der Umwelt reagiert, sich anpasst und die Umwelt selbst beeinflusst. Somit gliedert der Mensch seine Welt. Bekannt geworden ist vor allem Piagets Entwicklungsmodell der unterschiedlichen Stadien der kognitiven kindlichen Entwicklung, wobei charakteristisch für sein Modell ist, dass die vier einzelnen Stadien aufeinander folgen und ein Stadium erst durchlaufen sein muss, bevor das nächste folgen kann. Zudem sah er dieses Modell als universell gültig an, also in allen Kulturen gleichermassen vorkommend. In den Stadien wird durch die Prozesse der Assimilation und der Akkomodation eine bessere Anpassung des Individuums an die durch die Umwelt bedingten Gegebenheiten angestrebt (Adaption). Akkommodation geschieht, wenn, initiiert durch neue Erfahrungen, ein Ungleichgewicht zwischen den bereits aufgebauten kognitiven Strukturen und realen Situationen festgestellt wird. Diese beiden Prozesse werden durch Reifung, Erfahrung und durch Erziehung angeregt, was wiederum zum Durchlaufen der einzelnen kognitiven Stadien führt. Weit weniger bekannt als seine Forschungen zur Entwicklung des logischen Denkens sind Piagets Untersuchungen zum „Moralischen Urteil beim Kinde“ (Erstveröffentlichung 1932). Erst durch die Weiterführung der Arbeiten Piagets durch Lawrence Kohlberg erhielten diese Theorien Piagets einen grösseren Bekanntheitsgrad. Piagets Arbeit zur Moralentwicklung liegen Interviews und Verhaltensbobachtungen von etwa 100 Schweizer Kindern, überwiegend im Vor- und Grundschulalter, zugrunde. Eine Hauptschwierigkeit in der Analyse der kindlichen Moral besteht nach Piaget darin, dass das Kind im Alltag mit den Regeln einer „fertigen“ Erwachsenenmoral konfrontiert wird, die auf seine Bedürfnisse und seinen jeweiligen Entwicklungsstand keine Rücksicht nimmt. Dabei ist es schwer zu unterscheiden, inwieweit das Kind die Regeln tatsächlich berücksichtigt, sozusagen „an sich“, oder ob es sich lediglich der elterlichen Autorität fügt. Aufgrund seiner Beobachtungen und der Befragungen der Kinder kam Piaget zu dem Schluss, dass es im Wesentlichen zwei unterschiedliche Moralitätstypen gibt: die heteronome und die autonome Moral. Die heteronome Moral beruht auf dem moralischen Zwang der Erwachsenen und bewirkt beim Kind einen moralischen Realismus. Damit hält das Kind jede Handlung, die im Einklang mit den Regeln der Erwachsenen steht, für gut und jede die Regeln verletzende Handlung für schlecht. Der Interpretationsspielraum wird hierbei von Piaget als recht eng gedeutet. Die autonome Moral beruht demgegenüber auf Zusam- MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 39 menarbeit und Kooperation der Kinder untereinander. Die einseitige Achtung elterlicher Autorität wird abgelöst durch die gegenseitige Achtung der Kinder. Wenn die gegenseitige Achtung stark genug ist, im Individuum das Bedürfnis auszulösen, andere so zu behandeln, wie es selbst behandelt sein möchte, gelingt der Übergang zur autonomen Moral. Die Arbeiten Jean Piagets forderten dazu heraus, sie sowohl theoretisch wie auch empirisch einer Überprüfung zu unterziehen, wobei insbesondere die Vermutung vorgebracht wurde, dass Piagets Ergebnisse möglicherweise Kunstprodukte seiner Befragungsmethode seien. Der New Yorker Entwicklungspsychologe Thomas Lickona hat eine ausführliche Übersicht relevanter empirischer Untersuchungen zur moralischen Urteilstheorie von Piaget gefertigt. Als bestätigt bzw. gesicherte Erkenntnis kann demzufolge angesehen werden, dass das moralische Urteil sich in Abhängigkeit vom Alter und der Erfahrung sowie von der sozialen und kulturellen Umgebung entwickelt. Hier möchte ich eine erste, provokante Frage stellen: Ausgehend nicht von Defiziten im Bereich der kognitiven Entwicklung, wohl aber der mangelnden Erfahrung in einer sehr komplexen und vor allem stark dominierenden Umgebung, stellt sich die Frage, ob es denkbar ist, dass bei jungen, unerfahrenen Soldaten aufgrund der spezifischen militärischen situativen Rahmenbedingen eine Regression im Sinne eines Atavismus als Art Parallelität zu der kindlichen Situation auftritt, die bei der Ethikausbildung in den Streitkräften berücksichtigt werden sollte. 3. Lawrence Kohlbergs Modell der Entwicklung des moralischen Urteils Die Ergebnisse einiger zur Kategorie der „klassischen psychologischen Experimente“ gehörenden Forschungen (z.B. das Stanford-Prison-Experiment, das „Gefängnisexperiment“ von Haney, Banks und Zimbardo, 1973) haben verdeutlicht, dass menschliches Verhalten einer klaren Trennung von „Gut“ und „Böse“ zuwiderlaufen kann. Seit den Experimenten von Milgram (1982) wissen wir, dass selbst brave Bürger zu brutalen Folterungen bereit sind, wenn sie von Autoritätspersonen dazu aufgefordert werden. Der amerikanische Psychologe Lawrence Kohlberg hat sich insbesondere für die Gründe interessiert, die Menschen dazu veranlassen, etwas als gerecht oder ungerecht zu bewerten. Kohlbergs Modell der moralischen Entwicklung des moralischen Urteils hat nach wie vor eine zentrale Bedeutung für nahezu alle Arbeiten zur moralischen – und auch religiösen! – Entwicklung, sowohl in der Fortführung seiner Untersuchungen wie auch in der kritischen Auseinandersetzung damit. Kohlberg orientierte sich an John Deweys Überlegungen zur moralischen Erziehung und entwicklungspsychologisch am strukturgenetischen Ansatz von Jean Piaget. Er ging davon aus, dass sich die moralische Entwicklung in Anlehnung an Piagets Konzeption der kognitiven Ent- 40 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 wicklung als Stufenabfolge beschreiben lässt, indem das Individuum auf jeder Stufe ein organisiertes und auch in sich konsistentes Denksystem ausbildet, das sich in einer Art „Gleichgewicht“ mit den Anforderungen der umgebenden Aussenwelt befindet. Neue Erfahrungen, die das Individuum bei der aktiven Auseinandersetzung mit seiner Umwelt macht, stören zunehmend das gewonnene Gleichgewicht und führen so zur Herausbildung einer neuen Organisation auf einer höheren Ebene. Die Stufen folgen invariant aufeinander, und jede Stufe integriert die Denkstrukturen der darunter liegenden. Aufgrund der egozentrischen Orientierung am eigenen Wohlbefinden, erfordert jede höhere Stufe somit eine Erweiterung der sozialen Perspektivübernahme. Kohlberg, der seine Untersuchungen in den 50er-Jahren des Jahrhunderts begann und sein ganzes Leben diesem Forschungsbereich widmete, verweigerte sich in seinen Arbeiten – im Gegensatz zu Piaget – nicht einer empirischen Begründung. Es handelt sich dabei um ein Verfahren, das er „bootstrapping“ nannte, ein Ineinandergreifen von Theorie und Empirie. Kohlberg führte u.a. eine 20-jährige Längsschnittstudie an amerikanischen Jungen und auch zahlreiche kulturvergleichende Untersuchungen durch. Die zentrale Untersuchungsmethode aller Studien Kohlbergs und seines Mitarbeiterstabes besteht aus halbstrukturierten Interviews zu verschiedenen moralischen Dilemmata (moral judgment interview). Moralische Dilemmata sind konstruierte Szenarien über Konfliktsituationen, in denen sich der Protagonist zwischen zwei Wertebereichen entscheiden muss (z.B. zwischen dem Schutz von Eigentum und dem Erhalt von Leben). Ein Dilemma ist eine Zwangslage, in der eine Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten gefordert wird, die beide etwas Negatives beinhalten, also einen Aversions-Aversions-Konflikt darstellen. Das bekannteste von Kohlbergs genutzten Dilemmata ist das sog. „Heinz-Dilemma“, in dem ein Mann vor der Entscheidung steht, ober er ein lebensrettendes Medikament für seine Frau, für das er das Geld nicht aufbringen kann, durch einen Einbruch in die Apotheke beschaffen soll. In Interviews werden Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene zunächst gefragt, wie die handelnde Person sich entscheiden sollte. Daran anschliessend wird eine ausführliche Begründung erbeten. Für die Auswertung der Interviews ist nicht der Inhalt des moralischen Urteils, also die konkrete Handlungsentscheidung, von Bedeutung, sondern die Struktur des moralischen Denkens, die in der Begründung des Urteils zum Ausdruck kommt. Kohlbergs Modell gliedert sich in drei Ebenen: Auf der präkonventionellen Ebene ist das moralische Urteil an den Autoritäten des unmittelbaren sozialen Umfeldes orientiert. Auf der konventionellen Ebene erfolgt die Orientierung an den Konventionen und Erwartungen des weiteren sozialen und gesellschaftlichen Umfelds, und auf der postkonventionellen Ebene an übergeordneten Prinzipien. Jede Ebene ist nochmals in zwei Stufen unterteilt, mithin eine Gesamtzahl von sechs Stufen. Wobei allerdings anzumerken ist, dass die letzte, die sechste Stufe, empirisch kaum belegbar ist; sie hat einen eher theoretischen Charakter. Die Unterschiede zwischen den Stufen des moralischen Urteils bestehen weniger in zunehmendem Wissen um moralische Normen, sondern liegen in qualitativ anderen Denkweisen über moralische Pro- MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 41 bleme. Nach Kohlberg nimmt die Situationsgebundenheit moralischen Denkens von Stufe zu Stufe ab: Aus der Perspektive einer höheren Moralstufe werden moralisch relevante Unterschiede auf den Denkniveaus der niedrigeren Stufen als irrelevante Situationsmerkmale gedeutet. Der strukturelle Unterschied zwischen den Stufen korrespondiert mit der Erkenntnis, dass handlungsrelevante Merkmale eines moralischen Problems auf der nächsthöheren Stufe als situative Variationen eines moralischen Grundproblems gedeutet werden können. Sie stellen gleichsam nur die Einkleidung des moralischen Kerns dar, der von Stufe zu Stufe deutlicher wird. Dabei wird nicht die Auffassung vertreten, dass das moralische Handeln allein vom moralischen Urteilsniveau bestimmt wird. Vielmehr ist davon auszugehen, dass eine für richtig gehaltene Entscheidung nur dann in die Tat umgesetzt wird, wenn man sich in einer Situation subjektiv verantwortlich fühlt und bestimmte „nichtmoralische“ Fähigkeiten der Ich-Kontrolle die Ausführung der Handlung unterstützen. Zu diesen „nicht-moralischen Fähigkeiten“ werden kognitive Fähigkeiten wie Intelligenz, Aufmerksamkeit und auch die Fähigkeit zum Belohnungsaufschub (z.B. um einen einmal gewählten Entschluss beharrlich verfolgen zu können) gerechnet. Dieses Handlungsmodell lehnt sich an ein Vier-Komponenten-Modell der Entstehung moralischen Verhaltens von dem 1999 verstorbenen Direktor des „Center for Ethical Development“ der University of Minnessota, James R. Rest, an. Aus der Vielzahl von interessanten Einzelaspekten zu Kohlbergs Erkenntnissen soll hier kurz auf die Fixiertheit in einer Denkstruktur eingegangen werden: Es spricht viel für die Vermutung, dass Personen, die fest in den Denkstrukturen ihrer Stufe verankert sind, gegenüber dissonanten Informationen weniger offen sind als Personen, deren Denkstrukturen sich weiterentwickeln. Neu gewonnene Informationen können ein einmal erreichtes Gleichgewicht zwischen Individuum und Umwelt gefährden, gleichzeitig aber auch zu einer Akkomodation im Sinne der Erreichung eines neuen Gleichgewichts auf einer höheren Stufe führen. Ein Indiz für die Fixiertheit des Denkens an eine Stufe könnte möglicherweise in der Entschiedenheit liegen, mit der ein moralisches Urteil gefällt wird. Wer in Bezug auf komplexe moralische Probleme für sich selbst genau weiss, was richtig oder falsch ist, scheint gegenüber neuen Informationen weniger aufgeschlossen zu sein als derjenige, der sich seines Urteils nicht so sicher ist. Hier möchte ich einen zweiten Einschub in Form einer offenen Frage vornehmen: Alle militärischen Führer, insbesondere diejenigen, die über reichlich Ausbildungserfahrung verfügen, wissen, dass Soldaten nach klaren Aussagen streben, nach „Kochrezepten“ verlangen. Transferleistungen werden nur ungern als Herausforderung angenommen. Gilt es in der didaktischen Konzeption bei der „Ethikausbildung“ von Soldaten diesbezügliche Schlüsse aus den Erkenntnissen Kohlbergs zu ziehen – und wenn ja: Wie können wir individuell geformtes Wissen über „richtig“ und „falsch“ in Bezug auf militärische Dilemmata vermitteln? Oder nehmen wir – bewusst – in Kauf bzw. intendieren sogar, dass Soldaten im Kontext von Kohlbergs Modell ein einmal erreichtes Gleichgewicht zwischen Individuum und Umwelt gefährden? 42 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 4. Kritik und Weiterentwicklung an und von Kohlbergs Arbeiten Obwohl Kohlberg seine Stufenhierarchie zeitlebens immer wieder überarbeitet, verfeinert bzw. ergänzt hat, ist an seinem Modell vielfach Kritik geübt worden. Hinsichtlich der methodischen Grundlagen reagierte Kohlberg mit einer geradezu akribischen Präzisierung der Erhebungsund Auswertungsmethode. Aus feministischer Perspektive wurde in den 80er-Jahren insbesondere von Kohlbergs ehemaligen Mitarbeiterin Carol Gilligan, der späteren Gründerin des „Harvard Center on Gender and Education“, geforscht. Nach Kohlbergs Modell argumentieren Frauen eher auf der Stufe 3, Männer hingegen auf der 4. Stufe. Gilligan kritisierte die zentrale Bedeutung der Gerechtigkeitsperspektive (ethic of justice), die für Männer dominierend sei. Neben dieser gäbe es aber auch eine Fürsorgeperspektive (ethic of care), an der sich eher Frauen orientierten. Mit dem Postulat von zwei Moralarten geschlechtsspezifischer Art wurden eine umfassende Diskussion und weitere, detaillierte Forschungen ausgelöst. Als Resultat kann festgestellt werden, dass die bestimmende Frage, ob es eine geschlechtsspezifische Moral gebe, heute eher verneint wird. Ob sich jemand bei moralischen Dilemmata eher an konkreten Bedingungen und zwischenmenschlichen Beziehungen bzw. lieber an Gesetz und Ordnung oder aber an übergeordneten Prinzipien orientiert, scheint weniger eine Frage des biologischen Geschlechts als vielmehr des Inhalts des Dilemmas zu sein. Wenn sich Frauen und Männer zwar nicht in ihrem moralischen Denken unterscheiden, so doch in Bezug auf konkrete, rollenbezogene Entscheidungen, bei denen grosse Meinungsdiskrepanzen zwischen den Geschlechtern feststellbar sind. Die Wechselwirkung zwischen moralischer Kompetenz und situativer Betroffenheit erweist sich weit bedeutsamer als das Geschlecht. Weit mehr umstritten ist auch heute noch der Zusammenhang zwischen moralischem Urteil und moralischem Handeln. Kohlberg selbst kam aufgrund empirischer Untersuchungen zu dem Schluss, dass eine Übereinstimmung zwischen moralischem Urteil und moralischem Handeln mit der Höhe der Stufe des moralischen Urteils zunimmt. Dennoch erlaubt das moralische Urteil keine konsistente Vorhersage moralischen Handelns in konkreten Situationen, weil dieses neben der Situationsbewertung auch die Selbstzuschreibung der Verantwortlichkeit und der erforderlichen Handlungskompetenzen erfordert. Hierbei auf die zwar sehr interessanten aber auch äusserst komplexen Themen, die mit den Stichworten „Selbsttäuschungsstrategien“ sowie „Selbstunaufmerksamkeit“ verbunden sind, einzugehen, würde den Rahmen dieser Veranstaltung sprengen und scheint mir einer ggf. gesonderten Einzeldarstellung vorbehalten zu sein. Es ist aber mit einer gewissen Zuversicht anzunehmen, dass die Intensität des Denkens sich nicht immer direkt auf die Handlungsentscheidungen auswirkt. Weiterhin gibt es ein „intuitiv richtiges“ moralisches Verhalten, das vom Handelnden nicht weiter begründet werden kann. Wollte man daraus folgern, anstatt das Gespräch über moralische Dilemmata lieber das moralische Verhalten zu untersuchen, so ist dem entgegen zu halten, dass beobachtetes Ver- MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 43 halten in seiner Tiefenstruktur erst dann zugänglich ist, wenn man es als intentional und damit als Handlung rekonstruieren kann. Und hierzu wird die Selbstauskunft des Handelnden benötigt. Ein weiterer Kritikpunkt richtet sich gegen die Vernachlässigung der emotionalen Dimension in Kohlbergs theoretischer Konzeption. Die Entwicklung moralischer Gefühle wie z.B. Schuldgefühle oder moralische Empörung finden bei Kohlberg keine systematische Berücksichtigung. Die Frage, ob sich Kognition und Emotion aber tatsächlich unabhängig voneinander entwickeln, ist bis heute ungeklärt. Die Antwort hängt dabei auch davon ab, wie Kognitionen und Emotionen theoretische konzipiert werden. Es spricht einiges dafür, dass zumindest höhere, also komplexere Emotionen als kognitiv konstruiert betrachtet werden können. So kann beispielsweise moralische Empörung erst dann entstehen, wenn eine gegebene Situation kognitiv entsprechend wahrgenommen und bewertet wird. Der Konstanzer Georg Lind, der mit Kohlberg zusammengearbeitet hatte, hat die Methoden im Rahmen eigener Interventionsstudien und Lehrerfortbildungsprogramme weiter ausgearbeitet. Der „Moral Judgment Test“ (MJT) hat inzwischen eine grosse Verbreitung gefunden und wurde auch in zahlreichen Studien eingesetzt. Besonders zu nennen ist hier das schulpraktische Erprobungsprojekt „Demokratie und Erziehung in der Schule“, im Zeitraum 1985 –1991 in Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Obwohl diesem Test eine hohe Reliabilität und Validität bescheinigt wird, gilt die Kritik vor allem, dass er eher die Präferenz eines Probanden für ein vorgegebenes Verhalten misst als das aktive moralische Urteilen. Generell lässt sich feststellen, dass im Zusammenhang mit der Methode der Dilemma-Diskussion die Fragen nach den genauen Wirkungsfaktoren und wie sich diese noch weiter verbessern lassen noch nicht vollständig geklärt sind. Auf der Grundlage vieler Studien und Erprobungsprojekte hat Lind eine Revision der Kohlberg-Methode entwickelt, die „Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion“ (KMDD). Diese ist vielseitig anwendbar, objektiv evaluierbar und auch relativ leicht vermittelbar. Ihre beiden zentralen Prinzipien – Unterstützung und Herausforderung sowie demokratische Moral – haben erste empirische Evidenz gefunden. Dass einige mit Emotionen befasste Teile des Gehirns bei der Beschäftigung mit „persönlichen“ Szenarien deutlich aktiver sind als bei „unpersönlichen“ Szenarien belegen erste hirnphysiologische Experimente, die zu Beginn des neuen Jahrtausends ein Team aus Philosophen, Psychologen und Hirnforschern mit Hilfe der neuen bildgebenden Verfahren an der Princeton-University durchgeführt haben. Noch sind wir weit davon entfernt, die hirnphysiologischen Vorgänge zu erklären, die sich bei der Beschäftigung mit „Moral“ abspielen, aber weitere neuen Erkenntnisse sind gerade auf diesem Gebiet zu erwarten, insbesondere was Funktionen des limbischen Systems betreffen. 44 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 Literaturverzeichnis Heidbrink, Horst: Einführung in die Moralpsychologie. Weinheim 2008 (3. Auflage). Kohlberg, Lawrence: Die Psychologie der Moralentwicklung. Frankfurt 1995. Lickona, Thomas (Hg.): Moral Development And Behavior: Theory, Research, And Social Issues. New York 1976. Lind, Georg und Jürgen RASCHERT (Hg.): Moralische Urteilsfähigkeit: Eine Auseinandersetzung mit Lawrence Kohlberg über Moral, Erziehung und Demokratie. Weinheim 1987. Lind, Georg: Ist Moral lehrbar? Ergebnisse der modernen moralpsychologischen Forschung. Berlin 2002 (2. Auflage). Lind, Georg: Moral ist lehrbar: Handbuch zur Theorie und Praxis moralischer und demokratischer Bildung. München 2003. Rest, James R.: Ein interdisziplinärer Ansatz zur Moralerziehung und ein Vierkomponenten Modell der Entstehung moralischer Handlungen. In: Oser, F., W. Althof und D. Graz (Hg.). Moralische Zugänge zum Menschen – Zugänge zum moralischen Menschen: Beiträge zur Entstehung moralischer Identität. München 1986 (Seiten 20 - 41). MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 45 46 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 Der Sinn und Zweck berufsethischer Bildung aus der Sicht betroffener Soldaten1 1. Einleitung Andreas Kastberger Für die Berufsethische Bildung (BeB) der österreichischen Unteroffiziere gibt es seit 2006 ein strukturiertes Konzept, das in die Curricula aller Ausbildungsgänge eingearbeitet ist. Seit 2008 ist auch eine Dienstprüfung auf der dritten Ebene der Ausbildung (zum Stabsunteroffizier) vorgesehen. Auf diese juristisch-organisatorische Basis aufbauend, erstellte das Team der Unterrichtenden an der Heeresunteroffiziersakademie (HUAk) in Enns Unterrichtsmaterialien, die sowohl den militärischen Notwendigkeiten als auch dem Alter sowie der Erfahrung der Kursteilnehmer entsprechen. Unbeantwortet blieb allerdings bis jetzt die Frage, wie die Kursteilnehmer selbst diesen Teil ihrer Ausbildung einschätzen, worauf sie mehr oder weniger Wert legen bzw. in welcher Weise ihnen Fortbildung sinnvoll und anstrebenswert erscheint. Das vorliegende Projekt von Andreas Kastberger und Stefan Gugerel sollte dieser dritten Säule der BeB beim Österreichischen Bundesheer (ÖBH), nämlich den betroffenen Soldaten, nachspüren. Stefan Gugerel 2. Der Verlauf der Untersuchung Karl Novak 76 Teilnehmer am Lehrgang Militärische Führung 3 (MilFü3) haben von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, nach Ablegung der Dienstprüfung Berufsethik freiwillig und anonym einen Fragebogen auszufüllen. Dieser enthielt neben einfach zu beantwortenden Entscheidungsfragen auch Fragen, die Raum für eigene Meinung und Wünsche boten. Die Auswertung erfolgte durch einen Projektmitarbeiter, der in den beiden befragten Lehrgängen weder als Unterrichtender noch als Prüfer auftrat. 3. Der erste Fragenkomplex: Möglichkeit und Sinn moralischer Erziehung/berufsethischer Bildung 1 Der Begriff „Soldat“ wird im folgenden Beitrag für männliche und weibliche Soldaten geschlechtsneutral verwendet. 98 % der Befragten halten die BeB von Unteroffizieren für sinnvoll (66 „Ja“, 32 „Ja, eher schon“), 2 % für „Nein, eher nicht“. Kein einziger Teilnehmer wählte die Option „Nein“. In Gesprächen während den Unterrichtspausen bzw. auch in Diskussionen wird man öfter mit Erstaunen konfrontiert, warum auch Unteroffiziere mit Ethik befasst werden, sie seien ja „bloss ausführende Organe“. Ein nicht unwesentlicher Nebeneffekt der BeB ist vor allem im Rahmen der höheren Unteroffiziersausbildung die Weckung eines Nachdenkens über den eigenen Stellenwert und die eigenen Möglichkeiten. Das Anvertrauen von Verantwortung für das eigene Handeln gehört zu den Kerninhalten des Unterrichts, die Präsentation verschiedener Handlungsbegründungsmöglichkeiten wird daher als Unterstützung und interessanter Denkanstoss wahrgenommen. Die hohe Zustimmung zum Gesamtkonzept kann aber in mehrerlei Hinsicht interpretiert werden: – Sinnvoll, weil brauchbar für den Dienst – Sinnvoll, weil bisher unbekannt – Sinnvoll, weil gute Abwechslung zu rein innermilitärischen Inhalten MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 47 Eine spätere Untersuchung könnte dieses Zuschreiben von Sinn näher unter die Lupe nehmen, besonders darauf hin, ob verstärkter Bedarf nach BeB durch mehr und mehr fehlende Verhaltensprägung durch Familie, Freundeskreis, Gesellschaft bzw. militärische Tradition entsteht. Um in einer solch unübersichtlichen Zeit die Brücke zwischen liberalen Arbeits- und Loyalitätsvorstellungen der Gesellschaft und einem unhinterfragt anspruchsvollen Anforderungsprofil des Militärs zu schlagen, könnte die BeB mit ihren historischen (z.B. Entstehung der Menschenrechte, unterschiedliche Beurteilung von Sklaverei oder Folter) und kulturübergreifenden (z.B. Soldatenethos in Buddhismus, Christentum, Islam, Kommunismus oder Utilitarismus) Darstellungen interessante neue Konzepte bieten. Die bewusst an zweiter Stelle platzierte Frage, ob moralisch richtiges Handeln durch Bildungsmassnahmen erlernt werden könne, beantworteten wiederum 97 % mit „Ja“ bzw. „Ja, eher schon“. Die Allgemeinheit der Frage lässt offen, welche Bildungsmassnahmen geeignet und sinnvoll eingesetzt werden. Die Bandbreite geht von der Vermittlung von Sachinhalten als Entscheidungsgrundlage, über Rollenspiele und Übungen bis zum simplen Androhen von Strafe. Wenn man unter Moral auch die Summe der vorgeprägten und übernommenen Vorstellungs- und Verhaltensweisen versteht, so ist das Militär von seinem inneren Wesen her zutiefst moralisch, hat es doch einen sehr speziellen (meist impliziten) Kodex von Umgangs- und Entscheidungsformen, die neu hinzukommenden Soldaten auf jeden Fall beigebracht werden müssen, bevor diese vollwertige Mitglieder des Systems sein können. 4. Der zweite Fragenkomplex: Die Kommandantenbeurteilung Die nächsten Fragen lauteten „Beschäftigen sich die Kommandanten des ÖBH Ihrer Ansicht nach ausreichend mit Fragen der ethischen Dimensionen Ihres Handelns?“ und „Fühlen sich Ihrer Ansicht nach die Kommandanten ausreichend über das bestehende Bildungsangebot zur ethischen Bildung für Soldaten informiert?“. Etwa zwei Drittel der Befragten (13 % „Ja“ und 47 % „Ja, eher schon“) haben den Eindruck, dass österreichische Kommandanten nicht nur die militärische Relevanz und die technischen Umstände ihres Handelns bedenken, sondern auch die ethische Dimension, also die Frage nach dem Guten im eigenen Handeln. Dies ist insofern wichtig, als Absolventen des Militärischen Führungslehrgangs 3 auch als Zugskommandanten eingesetzt werden, das heisst: Auch für ihr eigenes Handeln wird die Berücksichtigung der ethischen Dimension ein wichtiger Bestandteil sein. Umso mehr verwundert, dass über 50 % der Befragten angaben, Ihrer Ansicht nach seien die Kommandanten nicht ausreichend über das berufsethische Fortbildungsprogramm informiert. Wenn einerseits bewusst ethische Massstäbe für das Handeln massgeblich gemacht werden, zugleich aber wenig Kenntnis über das Fortbildungsangebot besteht, könnte das einerseits bedeuten, dass Vertiefung ethischer Grundlagen in Eigeninitiative erfolgt, oder aber, dass ein mit Abschluss der Ausbil- 48 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 dung erreichter Kenntnisstand für die gesamte spätere Dienstzeit als ausreichend eingeschätzt wird, weshalb keine Weiterbildung notwendig wäre. Wohlwollend gelesen stellt das Ergebnis eine Forderung nach besserer oder flächendeckender Beteiligung mit Information dar. Man kann ja nicht gleichzeitig von der Wichtigkeit des Sachverhaltes sprechen und keine Massnahmen ergreifen, um diesen Bereich weiter auf- und auszubauen. 5. Der dritte Fragenkomplex: Die eigene Situation Da nun aber – auch das ist ja ein Inhalt der BeB – die Verantwortung für die Fortbildung nicht allein bei den Vorgesetzten gesucht werden kann, setzte der abschliessende Teil direkt bei den Lehrgangsteilnehmern an: Die Frage, ob sie selbst gut über Weiterbildungsangebote informiert seien, beantworteten je 38 % mit „Ja, eher schon“ und „Nein, eher nicht“. Das verwundert, weil zugleich 74 % ein besseres Angebot an Fortbildungsveranstaltungen wünschen. Man kann nun davon ausgehen, dass jemand, der sich für die Sache interessiert, auch selbst nach Angeboten sucht. Daraus ergeben sich angesichts der beiden Ergebnisse zwei Fragen: Gibt es genug Angebot und ist dieses Angebot ausreichend bekannt? In besonderer Weise wurden Exkursionen und verstärkter Praxisbezug gewünscht, ist es doch immer leichter, vom Konkreten zum Allgemeinen zu kommen, als umgekehrt einen ethischen Grundsatz philosophisch einwandfrei darzustellen und dann den Kommentar zu hören: „Das funktioniert nur in der Studierstube!“. Dabei ist auch festzustellen, dass manche Interessierte aufgrund ihrer dienstlichen Unabkömmlichkeit nicht die Möglichkeit geboten bekommen, an weiterführenden Veranstaltungen teilzunehmen, besonders in jüngeren Jahren und niedrigeren Dienstgraden. Für andere besteht kein militärinterner Fortbildungsbedarf, weil sie durch eigene Bemühungen Informationen sammeln und sich extern weiterbilden wollen. 6. Die Rückschlüsse Der bisherige BeB-Teil des MilFü3 versuchte schon, auf frühere Feedbacks hin, das Kurskonzept „vom Kopf auf die Beine“ zu drehen. Der Ausgang wird in jedem der drei Module „Menschenrechte“, „Internationale Einsätze“ und „Grundlagen“ von konkreten Einsätzen (nach Möglichkeit des ÖBH) genommen, mit historischen und ausserösterreichischen Inhalten ergänzt und dann wiederum im dritten Schritt in konkreten Spezialfällen angewandt. Damit bleibt Raum, eigene (Auslands-)Erfahrung einzubringen und trotzdem auch die eigene Sicht anhand der zusätzlichen Information neu zu justieren. Dass trotzdem noch mehr Praxisbezug gewünscht wird, liegt wohl nicht zuletzt daran, dass der grössere Teil dieser Ausbildung im Lehrsaal stattfindet und damit gerade nicht einen sehr praktischen Eindruck erweckt. Zeitgenössische Filme der Populärkultur zur Illustration in Ausschnitten einzusetzen oder anhand pädagogisch wertvoller Spiele humorvoll MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 49 auf den Weg des kritischen Nachdenkens zu führen, sind Methoden, die Enge des Klassenraums aufzubrechen. Exkursionen sind gleich eine mehrfache Unterstützung: Erstens tritt bei Exkursionen die Klasse als Militär in ziviler Öffentlichkeit auf, die Abstimmung aufeinander, die Rücksichtnahme auf zivile Gepflogenheiten und auch das Aushalten von Unverständnis, wenn zum Beispiel die Euthanasiegedenkstätte Hartheim bei Linz von Uniformierten besucht wird, lassen Formen von Ausgrenzung und Unbehagen am eigenen Leib spüren. Wer das einmal so wahrgenommen hat, wird sich in Zukunft anders verhalten, wenn er eine Position innehat, von der aus er andere ausgrenzen oder lächerlich machen könnte. Zweitens konfrontieren Exkursionen mit konkreten Zeugnissen konkreter Ereignisse, die nun abschreckend oder beispielhaft sein können wie zum Beispiel das Benediktiner-Kloster Melk in der Wachau, das nicht nur zum Weltkulturerbe gehört, sondern seit Jahrhunderten Hort der Wissenschaften, auch des interkulturellen und überzeitlichen Zusammenarbeitens ist. Drittens bieten Exkursionen die Möglichkeit, Spezialisten zu bestimmten Themen direkt zu befragen, etwa Vertreter der Österreichischen Buddhistischen Gesellschaft oder der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. 7. Gefragte Themen: Religionen, Menschenrechte, Folter Zu den Themen, zu denen man am meisten Zusatzinformation wünscht, gehören einerseits die Religion, vor allem in ihrem Verhältnis zur Gewaltlegitimierung und -anwendung. Das beruht vielleicht auf dem verbreiteten Phänomen, jeden gewaltsamen Konflikt mit Religionsunterschieden begründen zu wollen. Besonders Vertreter von Buddhismus und Islam können hier durch eine Fülle an historischem und gegenwärtigem Detailwissen den eigenen Horizont massiv weiten. Auch Darstellungen des Christentums aus der Perspektive der evangelischen und katholischen Militärseelsorge trägt diesem Anliegen Rechnung. Die Frage der Menschenrechte, vor allem ihrer Durchsetzung, berührt Soldaten insofern, als im eigenen System und bei Auslandseinsätzen im Rahmen humanitärer Interventionen ganz besonders darauf geachtet wird, wie die Einsatzkräfte selbst mit den Rechten umgehen, die sie zu schützen beauftragt sind. In Zeiten, in denen die Handlung jedes „kleinen Mannes“ – mit Handy aufgenommen und im Internet verbreitet – einen ganzen Einsatz desavouieren kann, muss jeder nicht nur über die konkreten Einsatzregeln Bescheid wissen, sondern auch selbstbewusst und kompetent die dahinterstehenden Grundsätzen benennen und begründen können. Das Beispiel der Folter als absolut verbotener Handlung ruft immer wieder Fragen hervor, ob es nicht doch begründete Ausnahmefälle gäbe bzw. ob man nicht Gleiches mit Gleichem vergelten können muss, sei es auch nur im Sinn der Abschreckung. Zugleich erschüttern täglich neu nicht nur die Meldungen aus weit entfernten Krisenregionen, sondern auch von exzessiver Gewaltanwendung vor der eigenen Haustüre bzw. in Schulen und Familien. Am Beispiel der Folter, zu der oft und heftig 50 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 diskutiert wird, lassen sich auch verschiedene ethische Begründungsmodelle gut durchexerzieren. 8. Resümee Die Befragung von 76 angehenden Stabsunteroffizieren des ÖBH ergab, dass der berufsethischen Bildung ein hoher Stellenwert zukommt, dass sie für Dienst und Persönlichkeitsentwicklung förderliche Inhalte vermittelt und damit sinnvoll ist. Die zukünftige Gestalt der Weiterbildung wird einerseits in qualifizierter Weise auf die konkret angefragten Themen abgestimmt sein müssen, anderseits sollten bestehende und neue Kanäle der Information über entsprechende Veranstaltungen effizient genutzt werden. Abkürzungsverzeichnis BeB HUAk MilFü 3 ÖBH Literaturverzeichnis Baumann, Dieter: Militärethik. Theologische, menschenrechtliche und militärwissenschaftliche Perspektiven (Theologie und Frieden Bd. 36); Stuttgart 2007. Evangelisches Kirchenamt für die Bundeswehr: Friedensethik im Einsatz. Ein Handbuch der Evangelischen Militärseelsorge; Gütersloh 2009. Fenner, Dagmar: Ethik; Wie soll ich handeln? (UTB basics); Tübingen 2008. Figl, Johann (Hrsg.): Handbuch der Religionswissenschaft. Religion und ihre zentralen Themen; Göttingen 2003. Fischer, Johannes u.a.: Grundkurs Ethik. Grundbegriffe philosophischer und theologischer Ethik; zweite, überarb. und erw. Aufl.; Stuttgart 2008. Grabner-Haider, Anton / Prenner, Karl: Religionen und Kulturen der Erde; München 2004. Hersh, Seymour M.: Die Befehlskette. Vom 11. September bis Abu Ghraib; Reinbek bei Hamburg 2004. Hinsch, Wilfried / Janssen, Dieter: Menschenrechte militärisch schützen; Ein Plädoyer für humanitäre Interventionen (Beck‘sche Reihe); München 2006. Köck, Peter: Handbuch des Ethikunterrichts. 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Berufsethische Bildung Heeresunteroffiziersakademie Lehrgang Militärische Führung 3 Österreichisches Bundesheer MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 51 52 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 Ausbildungshilfe, Ausbildungsthema Die ZDv 10/4 (zE) „Lebenskundlicher Unterricht“ S e l b s t v e r a n t w o r t l i c h l e b e n – Ve r a n t w o r t u n g f ü r a n d e r e übernehmen können 1. Einführung und Anmerkungen Mathias Wilke Die geänderten Anforderungen an die Bundeswehr, die Zunahme von Auslandseinsätzen, die Notwendigkeit der durchgehenden Einsatzbereitschaft erfordern auch eine Stärkung der ethischen Kompetenzen der Soldatinnen und Soldaten. Ausgehend von dem Leitbild „Staatsbürger in Uniform“ ist die Entwicklung und der Ausbau berufsethischer Elemente in der Ausbildung und im Handeln der Soldatinnen und Soldaten erforderlich. Es wird immer offensichtlicher, dass in den derzeitigen und zukünftigen Einsätzen hohe Anforderungen an die ethische und moralische Kompetenz unserer Soldatinnen und Soldaten gestellt werden. Diese Befähigung sollten die militärischen Vorgesetzten und Führer – wenn immer möglich – in einer umfassenden Ausbildung erwerben. Dafür ist es erforderlich, dass jeder Soldat und jede Soldatin, vor allem im Einsatz, ein Mindestmass an ethischem Grundwissen besitzen, welches den Ansprüchen seiner bzw. ihrer Aufgabe als Angehöriger bzw. Angehörige der Bundeswehr und Vertreter bzw. Vertreterin Deutschlands gerecht wird. Darüber hinaus soll jeder Soldat und jede Soldatin Handlungssicherheit erwerben, um situationsgerecht moralisch begründete Urteile fällen und sich korrekt verhalten zu können. Vorgesetzte sollen mit Hilfe ethischer Unterrichtung darin unterstützt werden, bei ihren Unterstellten Vertrauen in ihre Vorgesetzten und Gefolgschaft aus Einsicht zu fördern. Grundsätzlich ist zu beachten: Ethisches Denken und moralisches Handeln kann nicht „befohlen“ werden. Vielmehr handelt es sich hierbei um einen lebenslang andauernden Lern- und Anwendungsprozess, der auf eine nachhaltige Verhaltensänderung abzielt und bei jeder einzelnen Person unterschiedlich verläuft. Dem ist in der Ausbildung Rechnung zu tragen. Die Lerninhalte sind nicht vergleichbar mit digitalen, technischen oder kybernetischen kognitiven Lerninhalten, welche – einmal vermittelt – immer richtig angewendet werden können. Wiederholungen von Unterrichten oder Lernabschnitten im ethischen und moralischen Kontext leisten einen entscheidenden Beitrag zur Förderung der bewussten Aufmerksamkeit und zur Festigung der Handlungssicherheit. Diesen Sachverhalt zu negieren bedeutet, den Soldaten und die Soldatin in seiner bzw. ihrer menschlichen Natur nicht wahrzunehmen. 2. Didaktische und methodische Hinweise 2.1 Formale Anmerkungen zur Ausbildungshilfe Das Thema „Die ZDv 10/4 (zE) Lebenskundlicher Unterricht“ – Selbstverantwortlich leben – Verantwortung für andere übernehmen ist eine wesentliche und unverzichtbare Ergänzung zur moralischen Urteilsbildung, welcher verschiedene Anwendungsbereiche der Inneren Führung MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 53 in besonderer Weise verpflichtet sind (ZDv 10/1 Ziff.508.509 vgl. ZDv10/4 103). Der Lebenskundliche Unterricht leistet bei der Entwicklung berufsethischer Kompetenz eine unverzichtbare Ergänzung. In diesem Verständnis wirkt er auf die Persönlichkeitsbildung in den Bereichen „Individuum und Gesellschaft“, „Persönliche Lebensführung und soldatischer Dienst“ sowie „Moralische und psychische Herausforderungen des soldatischen Dienstes“ (Anlage 3). „Der Lebenskundliche Unterricht ist ein Ort freier und vertrauensvoller Aussprache und lebt von der engagierten Mitarbeit der Soldatinnen und Soldaten“ (ZDv 10/4 Nummer 104). Ein solches Gesprächsklima ist nur möglich, wenn sich alle Beteiligten verantwortlich für das Gelingen des LKU wissen. 2.2 Zielgruppe und Teilnahme von Vorgesetzten Die Zielgruppe der Ausbildung ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Folgende Faktoren bestimmen die Zielgruppe: – – – – Grösse (optimal 15 – 25 Personen) Lebensalter Vorkenntnisse, Bildungs- und Ausbildungsstand, Soziale Struktur der Gruppe (Zusammenhalt, Klima, Rollen, Positionen) Im Ergebnis bedeutet dies, dass jeder Unterricht anders abläuft und auch die Ziele in unterschiedlicher Ausprägung erreicht werden. Vorgesetzte, die sichtbar für ihr Handeln Verantwortung übernehmen, wirken als Vorbild in Haltung und Pflichterfüllung und bauen Vertrauen bei ihren Unterstellten auf. In diesem Zusammenhang hat die Vorgesetztenförderung eine Schlüsselfunktion in der Verbreitung richtigen Verhaltens in der Truppe. Die Teilnahme von Vorgesetzten am LKU ihrer Unterstellten trägt dazu bei, ihre Einstellungen und ihr Führungsverhalten für die Unterstellten transparenter zu machen. 54 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 Nehmen Vorgesetzte nicht am LKU teil, so drückt dies nicht automatisch ihr Desinteresse aus. Vielmehr kann es hilfreich sein, wenn Vorgesetzte bewusst auf eine Teilnahme am LKU verzichten, weil dadurch nicht selten das offene Gespräch innerhalb der Teilnehmergruppe gefördert wird. 2.3 Lernziele und Kontrolle Die Teilnehmenden am LKU sollen – ausgewählte theoretische ethische Konzeptionen kennen, – eigene und fremde Wertesysteme kennen und unterscheiden können, – sich ihrer individuellen Situation bewusst werden und sie beschreiben können, – lernen, eigene Emotionen und die ihrer Kameraden bewusster wahrzunehmen, – Entscheidungen bei Pflichtenkollisionen entwickeln können, – Konsequenzen ihres Handelns aufzeigen können, – bereit sein, werteorientiert zu handeln. Zusammengefasst bedeutet dies, dass – der LKU die Bereitschaft der Bundeswehrangehörigen gefördert werden soll, im Sinne der übergeordneten Führung und des Auftrages zu denken und zu handeln, – die Teilnehmenden am LKU ihre Rolle und ihre Funktion in der Bundeswehr in der rechten Weise einordnen und die an sie gestellten Erwartungen anerkennen. Die Vermittlung von Inhalten dient vor allem dazu, die situative Wahrnehmung der Teilnehmenden zu fördern und die praktische Anwendbarkeit moralischen Verhaltens einzuüben. Da es sich hierbei nicht nur um kognitive, sondern vor allem um affektive Ziele handelt, ist es besonders anspruchsvoll, das Erreichen dieser Lernziele zu überprüfen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass eine Kontrolle in diesem Bereich niemals als manipulativ, überwältigend 1, bevormundend oder indoktrinierend empfunden werden darf, um zu verhindern, dass der Lern- und Erkenntniserfolg ins Gegenteil verkehrt wird. 2.4 Ausbildungsinhalte und Ausbildungsverfahren Ausbildungsinhalte des LKU sind die zwölf Themen, die durch BMVg Fü S I 3 in Zusammenarbeit mit EKA und KMBA entwickelt wurden und die in der Anlage 3/1 der ZDv 10/4 (zE) aufgeführt sind. Ausbildungsverfahren sollten sich an den Gegebenheiten der Zielgruppe orientieren (Argumentationsbereitschaft, Vorkenntnisse, Grösse der Gruppe etc.). 1 Hier gilt das Gleiche wie das im Beutelsbacher Konsens für die Politische Bildung Geschriebene. Als Ausbildungsverfahren eignen sich insbesondere – das Lehrgespräch mit den Vorteilen, dass die Ausbildungsgruppe aktiviert wird, Lernvorgänge vertieft werden und eine ständige Kontrolle möglich ist, MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 55 – die Gruppenarbeit, in der praktisches Lernen und Lösen von Problemen eingeübt wird. Dies ist ein erwachsenengerechtes Verfahren, welches trotz seines grösseren Zeitaufwands nach Möglichkeit angewendet werden sollte, da mit ihm Selbständigkeit gefördert wird, – Moderierte Diskussionen und Rollenspiele, in denen Entscheidungssituationen mit Pflichtenkollisionen durchgespielt werden. Sie haben, wenn sie realistisch durchgeführt werden, in der Praxis einen hohen Wiedererkennungswert und sollten wenn immer möglich angewendet werden. Jedes Verfahren, das die Beteiligung aller Lernenden ermöglicht, ist zu bevorzugen. 2.5 Ausbildungsmittel und Organisatorische Bedingungen Schwerpunkt der Ausbildungshilfe sind die Themenblätter, welche die Ausbildungsthemen der Anlage 3/1 erschliessen. Diese Themenblätter werden in Kapitel 3 dieser Ausbildungshilfe im Detail vorgestellt. Weiter sind Powerpoint-Präsentationen beigefügt. Die Folien sind nicht weiter versiegelt oder anderweitig geschützt, um den Durchführenden, die diese Präsentationen verwenden, die Möglichkeit zu geben, die Folien nach den jeweiligen Erfordernissen vor Ort zusammenstellen zu können. Dabei bleiben nur diejenigen Fassungen allgemein verbindlich, die unverändert dieser Ausbildungshilfe entnommen sind. Die Organisatorischen Bedingungen (z.B.: Infrastruktur, Lärmbelästigung, Beleuchtung, Klima) richten sich nach den jeweiligen Gegebenheiten vor Ort. Die Ausbildungszeit sollte so gelegt werden, dass die Teilnehmenden nicht unter physischen Belastungen leiden (Müdigkeit, Stress). Im Übrigen wird an dieser Stelle auf die Methoden und Verfahren hingewiesen, die in der ZDv 3/1 „Grundsätze der Ausbildungslehre“ – insbesondere Kapitel 7 Ausbildungsformen /Ausbildungsverfahren niedergelegt sind. Da sich der LKU hauptsächlich an den Verstand, die Einsicht und die emotionale Intelligenz der Teilnehmenden wendet, sind vor allem Verfahren zielführend, bei denen die Teilnehmenden sich beteiligen können. 3. Die 12 Themen des Lebenskundlichen Unterrichts Die Themen des LKU sind durch die ZDv 10/4 (zE), Anlage 3 verpflichtend vorgegeben. Inhaltlich sind die Themen in drei Themenfelder gegliedert: 1. Individuum und Gesellschaft (5 Themen) 2. Persönliche Lebensführung und soldatischer Dienst (3 Themen) 3. Moralische und psychische Herausforderungen des soldatischen Dienstes (4 Themen) Darüber hinaus hat Fü S I 3 die Themen folgenden drei Abschnitten zugeordnet: 56 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 Abschnitt Grundausbildung (Farbe: rot): Themen: 1.1 Unser Menschenbild im Einklang mit dem Grundgesetz sowie andere Menschenbilder 1.3 Freiheit, Gewissen und Verantwortung Abschnitt Laufbahnlehrgänge sowie Vollausbildung und Grundbetrieb (Farbe: blau): Themen: 1.2 Identität und Toleranz 1.4 Religion in Staat und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland 2.1 Mensch / Familie und Dienst 2.2 Verantwortung übernehmen 3.2 Zugänge zu Friedens- und Konfliktethik aus dem europäischen Wertekanon 3.4 Umgang mit Konflikten, belastenden Situationen und Extremsituationen Abschnitt Einsatzausbildung (Farbe: grün): Themen: 1.5 Religion in Staat und Gesellschaft anderer Länder 2.3 Leben und Tod 3.1 Einführung in Kultur und Religionen / Ethos Weltreligionen 3.3 Einsatzbelastung: Verantwortung und Schuld 3.1 Themenblätter Die Ausbildungshilfe stellt für die 12 Unterrichtsthemen Themenblätter zur Verfügung, welche die Inhalte für die 12 Unterrichte erschliessen. Dies erfolgt in vier logisch aufeinander aufbauenden Schritten: MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 57 Schritt 1: Grundlagen / Sachstand / Impulse / Hintergründe. Hier geht es darum, den Durchführenden Materialien und Quellen zur Verfügung zu stellen bzw. darin zu unterstützen, den Lernenden Wissen zu vermitteln und eine gemeinsame Diskussionsplattform herzustellen. Schritt 2: Fragestellungen: Dieser Schritt definiert den Abholpunkt der Teilnehmenden. Er wird durch die folgenden Fragen gefunden: „In welcher Situation wird der Soldat mit diesem Thema konfrontiert?“ „Wo begegnet dem Soldaten dieses Thema?“ „Wo steht der Soldat?“ In einer Stoffsammlung, bei der auch ggf. die Erfahrungen der einsatz erfahrenen Soldaten genutzt werden, entwickelt sich ein beispiel- und lageorientierter Diskussionsaufbau. Schritt 3: Fragestellung: „Welche Erwartungen werden an den Soldaten gestellt?“ Mit dieser Frage nach dem Rollenverständnis/-verhalten/-erwartungen durch Vorgesetzte – Kameraden – Familie – Gesellschaft – Selbstbild kann die Vielschichtigkeit und Komplexität des Themas weiter vertieft werden. Diese Frage arbeitet, indem sie auf die persönliche Betroffenheit der Teilnehmenden aufmerksam macht, den Praxisbezug des Themas heraus. Dabei gilt es immer wieder festzustellen, dass es keine falschen Lösungen gibt. Schritt 4: Fragestellungen: „Welche Handlungsmöglichkeiten hat der Soldat in Bezug auf das konkrete Thema?“ „Welche Gestaltungsräume werden dem Soldaten ermöglicht?“ „Was ist zu tun“ 58 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 Durch die Formulierung von ethischen Einzelfalllösungen kann das Bewusstsein weiter trainiert werden. Auch ist es wichtig, die ethischen, politischen und militärischen Konsequenzen des soldatischen Handelns herauszustellen. Die Bedeutung des „Strategic Corporal“; die Wirkungen und Einflüsse einer medienbeeinflussten Gesellschaft müssen verstanden werden. Die Anwendung der hier vorgestellten vier Schritte hat didaktisch die Aufgabe, die Durchführenden bei ihren Vorbereitungen zu unterstützen. Sie entfaltet in Verbindung mit den 12 Themen eine Matrix (siehe Abbildung). Neben diesem methodischen Konzept soll durch die ständige Wiederholung der vier logisch aufeinander aufbauenden Schritte bei den Teilnehmenden erreicht werden, dass bei ihnen diese Betrachtungs- und Behandlungsweise von Situationen dazu beiträgt, auch in ungewohnten Umgebungen mit unbekannten Parametern Sicherheit in Wahrnehmen, Denken und Handeln zu erlangen. MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 59 60 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 Er f a h r u n g e n a l s M i l i t ä r s eelsor ger bei der Tr uppenbegleitung von Soldatinnen und Soldaten von ISAF (International Security Assistance Force)1 Stefan Jurkiewicz Seit Sommer 2001 versehe ich meinen Dienst als evangelischer Militärseelsorger bei der Bundeswehr. Nach Verwendungen auf Bataillonsebene, begleitete ich 2004 Soldatinnen und Soldaten der KFOR (Kosovo Force) – Mission für sechs Monate in Prizren, im Südwesten des Kosovo. Seit Februar 2005 versehe ich meinen Dienst beim EvMil (evangelisch militärisches) Pfarramt Koblenz III, wo ich neben der seelsorgerlichen Tätigkeit auch dem Grundlagenbereich des ZINFÜ (Zentrum Innere Führung) als evangelischer Theologe zugeordnet bin und dort vor allem die Weiterentwicklung der berufsethischen Bildung in den Streitkräften verfolge. In diesem Zusammenhang bin ich auch in den Spiess-, Chef-, Kommandeurlehrgängen engagiert, sowie in den Seminaren der Interkulturellen Kompetenzentwicklung, den Trauerbegleitseminaren, den Öffentlichkeitsarbeitsseminaren sowie den Lehrgängen der Zentralen Führerausbildung im Rahmen der einsatzvorbereitenden Ausbildung. Von März 2009 bis Juli 2009 begleitete ich als Seelsorger die Soldatinnen und Soldaten des 19. Deutschen Einsatzkontingents ISAF nach Afghanistan. Meine Einsatzorte waren Mazar-e-Sharif (MeS; mein Hauptaufenthaltsort), wo sich der Stab des RC North (Regional Command North) befindet, der Strategische Luftumschlagsplatz Termez in Usbekistan und das Hauptquartier (HQ) in Kabul, sowie das Camp Spann, wo sich die ISAFAusbilder der ANA (Afghanische Nationalarmee) befinden. Gemäss dem Militärseelsorgevertrag führe ich keine Waffe und trage keinen Dienstgrad. Mein als Schutzanzug deklarierter Fleckentarnanzug ist lediglich mit den Schulterklappen der Militärseelsorge gekennzeichnet. Mir stehen im Einsatz Infrastruktur in Form von Büro und Besprechungszimmern zur Verfügung. Personell ist mir ein Pfarrdienstfeldweibel zugeordnet, der infanteristische Schutzfunktion, organisatorische, administrative und persönliche Unterstützungsfunktionen wahrnimmt. Vor dem Einsatz durchlaufe ich weitestgehend die vollständigen, einsatzvorbereitenden Ausbildungsmassnahmen inklusive der Impfungen und der sanitätsdienstlichen Anteile. Von besonderem Wert war die Teilnahme an einer Stabsrahmenübung bei der ich das militärische Schlüssel- und Führungspersonal kennenlernen konnte, einschliesslich dem Kontingentführer, dem ich zur direkten Zusammenarbeit zugeordnet bin. 1 Die Äusserungen geben die persönliche Meinung und Erfahrung des Autors wieder. Das Camp Marmal in der Nähe der afghanischen Grossstadt Mazar-eSharif gelegen, bildet personell, infrastrukturell und aufgabenmässig eine extrem komplexe und weitläufige Situation ab. Das Lager mit seinen Ausmassen 2 km mal 1 km und seinen unterschiedlichen in sich selber umfangreich und eigenständigen Teilen, stellt eine besondere Herausforderung an die konzeptionelle Arbeit in quantitativer und qualitativer Hinsicht dar. So lassen sich unter anderem folgende Grossverbände mit je unterschiedlichen militärischen Binnenkulturen und jeweils eigens abgebildeten Führungsgrundgebieten und oft einer eigenen Stabs- und Versorgungskompanie identifizieren: – LogUBtl (Logistik Unterstützungs Bataillon) – rund 600 SoldatInnen – EG MeS (Einsatzgeschwader Mazar-e-Sharif) – rund 800 Personen mit drei Waffen – bzw. Flugsystemen, einem Flughafen mit Passagier MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 61 (PAX)- und Frachtbereich, mit drei Organisationsbereichen [Einsatz Kräfte (Flug) – Einsatz Unterstützung (Technik) – Objektschutz (Infanterie)] – Stab – rund 280 (international) – alle Führungsgrundgebiete und Gesamtverantwortung für die AOR (Areas of Reponsibility) des RC North – SanEinsVerband [eigener Stab – Klinik – SanBewegl – Medevac (Medical Evacuation)] – EinsatzWehrVerwaltung – inklusive den Handwerkern des technischen Betriebsdienstes und des umfangreichen und stark auftragsbelasteten Baubüros, da das Camp sich in einem Prozess des ständigen Ausbaus und Aufwuchs befindet. All dies zusammen schlägt sich unter anderem in folgenden zwei anschaulichen Zahlenbeispielen nieder. So besteht die Spiesse Runde aus 27 Spiessen und die Gemeinschaft der Vertrauenspersonen aus nahezu 60 SoldatInnen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass MeS in Grösse und Umfang sich mit einer voll funktionsfähigen politischen Gemeinde in Dorfgrösse vergleichen lässt. Es gibt dort ein Krankenhaus, einen Flughafen, einen Bauhof, Handwerker, Polizei, ein Bürgermeisteramt, eine Stadtverwaltung, eine Post, ein Geschäft mit einem Umsatz von 2,5 Mio € Umsatz, eine Radiostation, ein Bistroviertel, zwei Sport – bzw. Fitnesshallen, eine Kirche und eben Militär. Und dieses komplexe und umfangreiche Gebilde wechselt bei laufendem Betrieb alle vier Monate 90 % seiner Menschen und Bediensteten. Dass dies alles so reibungslos von statten geht, sollte uns mehr wundern als das Aufkommen von Problemen, auf die noch zu sprechen gekommen wird. Zu den regelmässig wiederkehrenden Veranstaltungen gehören die montäglichen Kinoabende im Rahmen der allgemeinen kulturellen Freizeitbetreuung, die wöchentlichen Chorproben, die Abendmeditationen im Rahmen der Verkündigung, die sonntäglichen Gottesdienste, die Radiobeiträge bei Radio Andernach, die Teilnahme an Briefings des Stabes, die „INFÜ (Innere Führung)- bzw. „Seelenrunde“, bei der sich Vertreter der Psychologie, der Psychiatrie, der Sanität, der Militärseelsorge und der militärischen Führung regelmässig über die aktuelle Stimmungslage des Kontingents austauschen. Neben der Unterstützung des Kontingents bei der notwendigen Gestaltung von diversen Besuchsprogrammen anlässlich der zahlreichen Besuche durch teils sehr hochrangige Repräsentanten aus dem Bereich der Politik (Kanzlerin, Aussenminister, parlamentarische Staatssekretäre, Wehrbeauftragter der Deutschen Bundestages), der Kirche (Besuch des Militärbischofs), des Militärs (u.a. Besuch des Generalinspekteurs, des Beauftragten für Erziehung und Ausbildung) und der Presse (ZDF, ARD, Spiegel, taz, FAZ, BILD, …) bildete natürlich die Seelsorge den Hauptanteil meines Auftrags. Ein Charakteristikum der seelsorgerlichen Kontakte im Auslandseinsatz liegt sicherlich darin, dass sie häufig unter der Hand, unvermittelt, mit- 62 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 ten im Alltagssmalltalk oft geradezu eruptiv aufbrechen um dann manchmal am Ende des Gesprächs wieder genauso unvermittelt im Alltagssmalltalk zu verebben. Nichtsdestotrotz entwickeln sich aus vielen Erst- und Einzelgesprächen notwendige Folgegespräche mit den Betroffenen selber oder auch mit vielen am Rande oder Unbeteiligten. Diese Gespräche dienen dazu das Lagebild zu verdichten oder um ein Netzwerk der Hilfe zu errichten. Die Gründe warum man als Seelsorger das Vertrauen erhält und zum Teil mit sehr intimen Lebensproblemen konfrontiert wird, sind: – das Herausgenommen- und Herausgehobensein aus der militärischen Hierarchie mit ihren spezifischen Meldezwängen – das Seelsorgegeheimnis unter dem der eigene Berufsstand steht – die einsatzspezifische Balance zwischen Intimität und Anonymität Als weitere Rahmenbedingung der emotionalen und psychischen „Grosswetterlage“ in einem Einsatzkontingent möchte ich auf die Beobachtung eines Regressionsmechanismus hinweisen. Meines Erachtens gibt es einen Zusammenhang zwischen den typischen repressiven Rahmenbedingungen des Alltagslebens im Lager mit all seinen autoritären Regularien und unserer seelischen Erinnerung. Wann sind wir das letzte mal so reguliert und bevormundet worden? Wahrscheinlich in der Zeit unserer Adoleszenz bzw. Pubertät. Anscheinend ist daran ein Mechanismus gekoppelt, dass Menschen dann ihr Sozialverhalten, das ebenfalls aus dieser Phase ihrer Entwicklung stammt, reaktivieren. So erlebe ich manche Verhaltensweisen als eine Art von Renaissance der Adoleszenz. Das heisst die Pubertät feiert im Einsatz fröhliche Urstände. Dies schlägt sich unter anderem in folgenden charakteristischen Phänomenen nieder: Peergroup Verhalten, Gruppenidentitäten, Pachkult, Flirt-, Imponier und Partygehabe, Körperkult, Kräftemessen, Blödeleien, Kompensationsversuche in Witzen, Satiren und Sarkasmen, Versuche der Rebellion gegen vorgesetzte und vorgefundene Autoritäten und ihre Entscheidungen. Im Rückblick lassen sich unschwer vier unterschiedliche Seelsorgeschwerpunkte identifizieren, die sich ebenso ungezwungen den vier Quartalen des Kontingents zuordnen lassen und damit eine Art innere Dramaturgie eines Kontingents beschreiben. Phase 1: erster Monat – „langer Schatten von zu Hause“ oder „keiner geht mir belastet in den Einsatz“ Während für die Masse der Kontingentteilnehmer die ersten Wochen bestimmt sind durch angespannte Neugier und das Gefühl, dass es jetzt nach langen, manchmal nervenaufreibenden Wochen der Vorbereitung, dienstlich und privat, endlich losgeht und die Uhren endlich wieder für einen ticken, wird eine qualifizierte Minderheit von Menschen von ihren kalkulierbaren Alltagsproblemen eingeholt, weil sie der gewiss gutgemeinten aber natürlich auch naiven Mahnung ihrer Vorgesetzten, dass keiner belastet in den Einsatz gehen soll, keinen Glauben geschenkt haben und statt dessen den menschlich verständlichen Weg der Flucht vor berechenbaren Problemen in den Einsatz eingeschlagen haben. MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 63 „Die Zeitbomben“ bzw. „Altlasten“, die diese Personen vermeintlich in der Heimat hinter sich gelassen haben, erweisen sich als hartnäckiger und nachhaltiger als vermutet. Sie schlagen in Form von Dienst- bzw. Familienkonstellationen, Wirtschaft- bzw. Gesundheitsproblemen dann im Einsatz auf, schränken dort die Dienstfähigkeit ein und machen unter Umständen ein Repatriierungsverfahren notwendig, da Menschen mit einem solchen Hintergrund auch Kräfte im Kameradenkreis binden und die gesamte Einsatzfähigkeit im schlimmsten Fall einer ganzen Abteilung schwächen. Phase 2: zweiter Monat „heartbreak hotel“ In diesem Zeitraum treten die meisten Beziehungsprobleme auf. Sowohl die Partner in der Heimat als auch die Partner im Einsatz haben vielleicht zum ersten Mal seit Langem so viel Zeit sich unbeeindruckt und unbeeinflusst vom jeweiligen Partner Gedanken zu machen über die „wirkliche Qualität“ und den „wirklichen Zustand“ ihrer Beziehung. So muss ich immer wieder Verlassende und Verlassene trösten, begleiten und beraten. Ein nicht zu unterschätzender Faktor bildet dabei auch die Tatsache der räumlichen Distanz. Viele trennungswillige Partner beugen sich ihrer „Feigheit“ und nutzen die räumliche Entfernung um sich unberechenbaren psychischen, physischen und sozialen Reaktionen zu ersparen und hoffen, dass in den verbleibenden zwei Monaten die spontane Erregung und die damit verbundenen unberechenbaren Wogen der Emotionen und Reaktionen etwas abgeklungen sind. Ein nicht geringer Anteil dieser Beratung nimmt die Frage nach dem richtigen Kommunikationsmedium, dem richtigen Tonfall und dem angemessenen Stil ein. Selbstredend bilden Fragen der Schuld, der Angst, der Scham ebenso wichtige Anteile dieser oft bewegenden Gespräche ein. Phase 3: dritter Monat – „Mobbing – bossing - staffing“ – „Wir werden dünnhäutig“ Während in den ersten Wochen das Selbstbewusstsein vieler SoldatInnen geprägt ist von dem Gefühl, dass „ohne sie hier gar nichts läuft“, und die ungewohnte Nähe und das durch die Uniformen gleichgeschaltete Lebensgefühl mit einer Euphorisierung der Kameradschaft einhergeht, kippt nach dem „Bergfest“, das die Einsatzhalbzeit markiert, häufig die Stimmung. Die berühmt berüchtigte „Haut wird dünner“, der vielfach zu Recht beschworene „gläserne Vorgesetzte und Untergebene“ wird zur belastenden Wirklichkeit. Kein Mensch kann sich vier Monate lang rund um die Uhr verstellen. Die Masken fallen unwillkürlich. Es wird schmerzhaft offenbar, dass jeder Mensch aus einer Mischung von Stärke und Schwächen besteht. Es wird deutlich, dass vor allem die jüngeren Kontingentteilnehmer als Einzelkinder in einer durchindividualisierten Multioptionsgesellschaft mit scheinbar unendlichen Freiheiten sozialisiert wurden. Über Vorfälle, über die man acht Wochen lang gelacht und geschmunzelt hat, werden nun Beschwerden, Eingaben und Klagen geführt. Die Zahl der Disziplinarmassnahmen geht in die Höhe und die Stimmung wird zunehmend gereizter. Die Seelsorgegespräche nehmen immer mehr den Charakter von Beichtgesprächen an. Daneben werden immer häufiger Vermittlungs- und Mediationskompetenzen beim Seelsorger nachgefragt. Es muss immer wieder um die Möglichkeiten und Chancen eines Perspektivwechsels geworben werden. 64 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 Gerade hier ist ein kooperatives Verhältnis zu den psychologischen Fachkräften im Einsatz unabdingbar. Auch hilft hier ein inzwischen hoffentlich stehendes Vertrauensnetzwerk zu den militärischen Hierarchien, da gerade bei diesen Fällen eine Verdichtung des Lagebildes dringend erforderlich ist. Phase 4: vierter Monat – „Bilanzierungskrisen“ – „Abschiedsblues“ Bevor im letzten Monat die Heimat erneut ihren Schatten auf den Einsatz vorauswirft, sorgen die Streitkräfte durch ihr System der Dienstbeurteilungen für innere und äussere Unruhe. Fasst jeder möchte am Ende seiner Zeit eine Bilanz ziehen und die unterscheidet sich nicht selten von der Bilanz, die unter anderem der Vorgesetzte bezüglich der erbrachten Leistung gezogen hat. Wie so oft klaffen Selbst- und Fremdwahrnehmung weit auseinander. Oft höre ich Sätze, die diese Bewertungsdiskrepanz schmerzhaft beklagen und manchmal zu tiefen Selbstwert- und Motivationskrisen führen. Hinzu kommt, dass viele jetzt besonders müde und am Rande des Ausgebrannt seins sind und damit um so mehr auf vermeintlich mangelnde Wahrnehmung und Wertschätzung reagieren. Nie höre ich Klagen der fehlenden Wahrnehmung häufiger und bitterer als gerade jetzt. Die Stimmung in den Abschiedstagen und -stunden ist durch eine seltsam anmutende Wehmut und Melancholie geprägt, die sich manchmal auch durchaus tränenreich äussert. Vielen wird plötzlich gewahr, dass sie das Kontingentleben mit dem wirklichen Leben verwechselt haben und dass sie das wirkliche Leben mit seinen viel komplexeren und viel realeren Problemen gerademal für nur drei Monate vergessen durften. Umso härter wirkt nun die Wirklichkeit, die auf die Soldaten zu Hause wartet. Mal ist es mehr die dienstliche Welt, mit ihrem leider unverändert unzufriedenstellenden Arbeitsund Dienstbedingungen, mal ist es mehr die private Welt mit ihren komplexen Unwägbarkeiten und nicht zu vergessen der unvermeidliche Spagat den die Vereinbarkeit von Privatleben und Dienst mit sich bringt. Das Herstellen einer oft beschworenen „work-life-balance“ wird oft als beängstigende, nur schwer zu bewältigende Herausforderung gesehen. Es ist dieser Negativfond vor dem dann auch die Nähe, die immer auch eine bedrückende Enge im Einsatz ist, oft vorschnell und unreflektiert zur sentimentalen „Kameradschaft“ verklärt wird. Ein weiterer bedrückender Faktor ist die antizipierte Ahnung, dass die Heimat im Grossen wie im Kleinen mit relativ wenig Verständnis für das Erlebte und Geleistete im Einsatz zu Hause auf die Soldatinnen und Soldaten warten wird. Das reicht von der kritischen veröffentlichen Meinung in den Medien, bis zu den niederschmetternden Meinungsumfragen bezüglich der Akzeptanz für den ISAF-Einsatz, bis hin zu öffentlicher Missachtung in Alltagssituation oder genervter Gereiztheit im persönlich-familiären Umfeld, die vorerst mal nichts oder nichts mehr „über Afghanistan“ hören wollen. Die Fallstricke der Reintegration in die Situation der entsendenden Gesellschaft und der heimatlichen Beziehungsgeflechte sind vielfältig und die Ahnung davon so bedrückend, dass der Abschied oft nachhaltig davon geprägt ist. MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 65 Tod und Verwundung – die unübersehbare neue Einsatzwirklichkeit Am 29. April 2009 ist der erste Deutsche Soldat seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gefallen. Seitdem ist die neue Einsatzqualität mit ihrer unübersehbaren folgenreichen Qualität auch nicht mehr aus der medialen und politischen-gesellschaftlichen Diskussion wegzudenken. Töten und Getötet werden ist seither weder eine Theorie noch eine erwähnenswerte Ausnahme, sondern es gehört nun fast zur täglichen Dienstroutine. Es folgten drei Gefallene am 23. Juni 2009, die folgenreiche Anforderung eines Close-Air-Support-Schlags durch Oberst Klein am 04. September 2009, die Gefallenen vom 1. April 2010 und vom 15. April 2010 und eine nicht abreissende Kette von zur Routine gewordenen täglichen Gefechten mit an Leibe und Seele verwundeten Kameraden. Die neue Einsatzqualität findet unter anderem ihren Niederschlag in verarbeitenden selfmade-blogs und youtube-Sequenzen, in Podiumsdiskussionen, in auf dem Buchmarkt publizierten Erfahrungsberichten, in Kriegsreportagen, ja sogar in belletristischen deutschsprachigen Neuerscheinungen hat die in Vergessenheit geratene Figur des „Veteranen“ ebenso Einzug gehalten wie in die Drehbücher von zur Primetime ausgestrahlten Unterhaltungssendungen des Deutschen Fernsehens. Insgesamt musste ich während meines Einsatzzeitraumes neunmal an Särgen von gefallenen ISAF – Soldaten stehen. Jeder Gefallene und jeder verwundete Kamerad stellt eine besondere Herausforderung dar. Hier muss sich das Miteinander des oben erwähnten psychosozialen Netzwerkes bewähren, hier kommt in besonderer Weise die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Betreuungskräfte mit Ihren „Softskills“ mit den militärischen Führungskräften zum Tragen. Aufmerksam und sensibel wird über die Professionalität, die Wahrhaftigkeit und die Sensibilität der Ausführenden durch die unvermeidliche Öffentlichkeit des Kontingents gewacht. Die Organisation und Durchführung der Trauerappelle leistet durch die Ritualisierung einen unschätzbaren Beitrag zur kollektiven Bewältigung dieser für die Mitglieder der postheroischen Gesellschaft als heftige Herausforderung empfundene Krise. Der Ablauf muss funktionieren, die Worte müssen passen und sitzen, die grosse Zahl der unmittelbar mit den Gefallenen und Verwundeten konfrontierten Kameraden und Helfer darf nicht aus den Augen verloren werden und last but not least muss der Auftrag fortgeführt werden, muss der dienstliche Alltag wieder weitergehen. Die besondere homiletische Herausforderung für den Prediger besteht in dem theologischen und politischen wahr- und ernst nehmen der tatsächlichen Situation. Was bedeutet die Botschaft von Kreuz und Auf- 66 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 erstehung für die hier versammelte bzw. angetretene Gemeinde aus Nichtchristen und Christen, aus Jungen und Älteren, aus Offizieren und Nichtoffizieren, aus Männern und Frauen, aus Deutsch und internationalen Soldaten, aus Menschen, die den Verstorbenen nicht kannten und Menschen, die einen Verstorbenen kannten, aus Männern und Frauen, die ihren Auftrag fortsetzen müssen, die aus Gesellschaften kommen, deren Parlamente bzw. Regierungen sie entsenden und deren Bevölkerung nichts bzw. wenig über den Auftrag weiss oder wissen will, für eine Streitkraft, deren Soldatenbild auf dem Prüfstand des scharfen Gefechtes inmitten eines sogenannten asymmetrischen Konflikts steht um dessen korrekte Bezeichnung zuhause eine heftige Debatte entbrannt ist? Es ist ein Balanceakt den richtigen Punkt auszutarieren zwischen den Extremen der „Wehrkraftzersetzung“ auf der einen Seite und ebenso unverantwortlichen „Durchhalteparolen“ auf der anderen Seite ohne dabei in die Falle der belanglosen, politisch und theologisch korrekten Allgemeinplätze zu tappen. Auch muss ich hier daran erinnern, dass die unerwartete schwere Erkrankung oder der (plötzliche) Tod eines Angehörigen oder nahen Menschen in der Heimat mit Rückgriff auf die im Kontingent befindlichen Kompetenzen „bearbeitet“ werden muss. Dies reicht von der angemessenen Überbringung dieser „schlechten Nachrichten“ bis zum Vorhalten von Trauerritualen in Abwesenheit des Sarges und der professionellen Begleitung der anstehenden individuellen Trauerprozesse. Gerade hier kommt es wieder auf ein abgestimmtes interdisziplinäres Vorgehen im psychosozialen Netzwerk an. Wobei es immer wieder notwendig ist für eine notwendige Einzelfallbetrachtung jedes menschlichen Schicksals zu werben und notfalls zu kämpfen um vorschnellen Standardisierungen und Automatismen entgegenzuwirken. Ausblick Abschliessend will ich darauf hinweisen, dass der Begriff und das Phänomen der „Beziehung – Freundschaft – Kameradschaft – Geschwisterschaft auf Zeit“ einer Durchdringung und Reflexion bedarf, damit sie nicht voreilig moralisch abwertend diffamiert wird. Zumal einige begonnene Vertrauensbeziehungen ungeachtet der räumlichen Trennung bis weit über den Einsatzzeitraum hinaus den seelsorgerlichen Begleiter verfolgen und in vielen heimatlichen (Telefon) Gesprächen, Mailkontakten, Briefen, Besuchen und kirchlichen Amtshandlungen ihre Fortsetzung finden. Abrunden will ich diesen fragmentarischen Überblick über meine Einsatzerfahrungen als begleitender Militärseelsorger mit einem Bild und einem spirituellen Bekenntnis. Der Einsatz und das Leben und Wirken mit der Einsatzgemeinde gleicht einer grossen brechenden Welle, deren Tosen äusserst real und absolut bestimmend und einnehmend ist. Doch muss man gewahr bleiben, MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 67 dass, wenn die Welle verebbt und die Sonne einen Augenblick auf den Strandabschnitt der eben noch tosenden Welle scheint, es so aussieht als ob sie nie da gewesen wäre. So fordert und fördert jedes pastorale Engagement im Einsatz die Tugend der Demut und tiefen Dankbarkeit, trotz der fehlenden Garantie auf Erfolg oder gar Nachhaltigkeit im Bemühen die Nachfolge Christi zu beschreiten, nicht nachzulassen. 68 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 Autoren Dieter BAUMANN Dr. theol., Jahrgang 1973, Studium der Theologie in Bern, Ausbildung zum Generalstabsoffizier, seit 2006 Berufsoffizier der Schweizer Armee, 2001–2006 Wissenschaftlicher Assistent an der Militärakademie an der ETH Zürich. Militärische Verwendungen als Kompanie- und Bataillonskommandant, als Ausbilder in der Offiziersschule sowie als Generalstabsoffizier. Uwe DREWS Jahrgang 1954, Oberstleutnant, Studium der Pädagogik, Psychologie, kathol. Theologie und Religionswissenschaften in Bonn und Hamburg. Postgraduate Studies (Psychotherapie) an der Universität Hamburg und den USA. Ausbildung in Gesprächspsychotherapie, Hypnotherapie und Transaktionsanalyse. In der Bundeswehr Verwendungen u.a. in der Panzeraufklärungstruppe, in der Öffentlichkeitsarbeit (Jugendoffizier) sowie im Psychologischen Dienst. Seit 2009 Lehrstabsoffizier Sozialwissenschaften am Zentrum Innere Führung in Koblenz. Andreas FISCHER Jahrgang 1981, Rekrutenschule bei der mittleren Flugabwehr in Emmen (LU), Ausbildung zum Radarsoldat, ab 2002 Studium der Sozial- und Rechtspsychologie, des Strafrechts und der Kriminologie an der Universität Bern, seit 2008 wissenschaftlicher Projektmitarbeiter der Militärakademie an der ETH Zürich (Dozentur für Führung und Kommunikation), Forschungsprojekt „Zur Ausbildung von Führungsverantwortung bei Offizieren – Urteilen und Entscheiden in moralischen Konfliktsituationen“, seit 2009 an der Dissertation im Bereich Moralpsychologie. MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 69 Stefan GUGEREL Jahrgang 1979, Studium der Theologie, Religionspädagogik und Religionswissenschaft in St. Pölten, Linz und Wien; Grundwehrdienst ab 10 2004 zuerst bei Panzerartilleriebatallion 3, dann im Bundesministerium für Landesverteidigung als Kraftfahrer; ab 2005 Militärpastoralassistent und ab 2006 Militärdiakon in Wien; ab 2007 Militärpfarrer in Oberösterreich; gesamtösterreichische Vertretung der Militärdiözese in der ökumenischen Kommission der Bischofskonferenz bei der Kontaktstelle für Weltreligionen; Referent für Religionswissenschaft beim Theologischen Fernkurs; seit 2009 an der Heeresunteroffiziersakademie in Enns mit der Ethikausbildung betraut. Stefan JURKIEWICZ (geb. Werdelis) Jahrgang 1961. Studium der ev. Theologie in Mainz/Rhein von 1980 – 86. Vikariat. Ordination zum Pfarrer der evangelischen Landeskirche der Pfalz. Dorfpfarrer – Stadtpfarrer – Schulpfarrer – Lehrbeauftragter Fachleiter an einem staatl. Studienseminar – Fundraising Ausbildung – Geschäftsführer eines Kirchbauvereins – 2001 Eintritt in die Bundeswehr als Militärseelsorger – BtlEbene – 2004 sechsmonatiger Einsatz bei KFOR Prizren / Kosovo – Versetzung als Militärdekan ans EvMilPfarramt Koblenz III am Zentrum Innere Führung Koblenz – dort Mitarbeit im Grundlagenbereich – Schwerpunkt Entwicklung und Vermittlung Berufsethischer und sozialethischer Fragen – Mitglied in mehreren internationalen Militärethik-Netzwerken – 2009 Einsatz als Militärseelsorger bei ISAF 19 in Mazar-e-Sharif – Kabul – Termez. Andreas KASTBERGER Jahrgang 1968, Ausmusterung an der Theresianischen Militärakademie 1990, bis 1998 Verwendungen als Zugs- und Kompaniekommandant im Ausbildungsbetrieb des Bundesheeres in Salzburg, Studium der Pädagogik und Politikwissenschaft an der Universität Salzburg, seit 1999 Referatsleiter für Pädagogik an der Heeresunteroffiziersakademie, Auslandseinsätze als CIMIC-Offizier Brigade bei KFOR im Jahr 2002 und Leiter der Medienproduktionsstelle von PSYOPS KFOR im Jahr 2009, pädagogischer Projektleiter für die Einführung der berufsethischen Bildung für österreichische Unteroffiziere im Zeitraum 2005 – 2006 sowie langjähriger Leiter von berufsethischen Fortbildungsseminaren an der Heeresunteroffiziersakademie. 70 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 Karl NOVAK Jahrgang 1959, Ausmusterung an der Theresianischen Militärakademie 1985, Absolvent der Universitätslehrgänge „Wehrpädagogik“ und „Bildungsmanagement“, Auslandseinsätze bei UNFICYP 1993 als Kompaniekommandant und ISAF 2002 im Stab einer deutschen Brigade, in den letzten Jahren Dienstverwendungen in verschiedensten Stabs- und Führungsfunktionen in der Unteroffiziersaus- und Weiterbildung an der Heeresunteroffiziersakademie, seit 2008 als Leiter des Instituts 3 unter anderem Veranstalter der Berufsethischen Fortbildungsseminare für Unteroffiziere im Österreichischen Bundesheer. Stefan SEILER Dr. phil., Leiter der Dozentur für Führung und Kommunikation an der Militärakademie an der ETH Zürich. Forschungsschwergewichte: Leadership, interkulturelle Führung, moralische Entscheidungsfindung, Konfliktmanagement und Human Capital Management. Leitet Führungsseminare für zivile und militärische Führungskräfte und ist Gastdozent an verschiedenen Hochschulen im In- und Ausland. Von 2010 – 2011 Visiting Professor an der Nanyang Business School in Singapur. Von 2002 – 2006 Mitarbeiter bei der Credit Suisse in Zürich und New York, zuletzt als Mitglied der Direktion. Studium der Pädagogik und Psychologie an der Universität Freiburg (CH) und an der University of Leeds (GB). Mitglied der Militärwissenschaftlichen Arbeitsgruppe des Kommandanten Heer im Range eines Majors (Miliz). Vormals stellvertretender Kommandant eines Festungspionier-Bataillons. Carl Mathias WILKE Jahrgang 1955, Eintritt in die Bundeswehr 1975, Studium der Wirtschaftsund Organisationswissenschaften (WOW) an der Bundeswehruniversität in München. Mehrere Verwendungen in Stäben und in Luftwaffeneinsatzverbänden, von 1999 – 2001 Inspektionschef an der Unteroffizierschule der Luftwaffe. Seit 2002 Lehrstabsoffizier Pädagogik am Zentrum Innere Führung, seit 2010 ebenda Leiter der Zentralen Ansprechstelle für die militärische Ethikausbildung (Zetha). MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 71 72 MILAK Schrift Nr. 10 – 2011 Schweizerische Eidgenossenschaft Confédération suisse Confederazione Svizzera Confederaziun svizra Schweizer Armee Moralisches Urteilen, Entscheiden und Handeln – Zur W irksamkeit der Ethikausbildung in den Streitkräften Herausgeber Militärakademie an der ETH Zürich, 8903 Birmensdorf ZH, 2011 Verantwortlich für diese Nummer: Dr. Stefan Seiler, lic. phil. Andreas Fischer, BSc Sibylle Vögtli Stefan Seiler, Andreas Fischer und Sibylle Vögtli (Hrsg.) Gestaltung, Satz und Druck Höhere Kaderausbildung der Armee (HKA), Multimedialer Dienst (MMD) Bildmaterial Titelseite, ETH Zürich, Fotograf: J. Tissot Titelseite, Treppenhaus MILAK, Signaletik: Bringolf Irion Vögeli GmbH; Fotograf: W. Mair Militärakademie an der ETH Zürich © 2011 Militärakademie an der ETH Zürich, 8903 Birmensdorf/ZH Schriftenreihe ISBN: 978-3-9523186-3-8