-d 71. Jahrgang Nr. 121 ÖKO-LOGISCH Tödlicher Giftcocktail Von Joachim Wille D ie Regenwälder sind gigantische Klimamaschinen, die das Wetter weiträumig durch den von ihnen ausgelösten permanenten Wechsel von Verdunstung und Niederschlag beeinflussen. Sie gelten als „grüner Ozean“, und sie sind enorme Kohlenstoffspeicher, was für die globale CO2-Bilanz von entscheidender Bedeutung ist. Sie zu retten, ist eine der wichtigsten Aufgaben der Umwelt- und Klimapolitik. Die Analyse zum Erfolg dieser Bemühungen, die der Club of Rome jetzt vorgelegt hat, ist freilich mehr als ernüchternd – und müsste als Weckruf wirken. Der Autor des Reports, der frühere WWF-Chef Claude Martin, zeichnet ein dramatisches Bild. Zwar ist die Entwaldung in einigen Regionen in den letzten Jahren etwas langsamer fortgeschritten, so auch im größten zusammenhängenden Regenwaldgebiet der Erde am Amazonas. Doch erstens, warnt Martin, steht diese positive Entwicklung auf der Kippe, weil Brasilien ein Bergbaugesetz plant, das Landwirtschaft, Bergbau und Wasserkraft-Nutzung teilweise auch in Schutzgebieten zulassen würde. Und zweitens hat sich die Zerstörung Regenwald in den südostbraucht mehr asiatischen UrSchutz wald-Regionen sogar noch beschleunigt – vor allem, weil dort große Flächen für Palmöl-Plantagen und Soja-Anbau gerodet werden. Ein „tödlichen Giftcocktail“, so Martin, braue sich da zusammen – nicht nur durch die Agrarindustrie und die Zerstückelung der Flächen durch Straßen, sondern auch durch den Klimawandel. Inzwischen weiß man, dass der Regenwald nicht beliebig flexibel auf die Erwärmung und verlängerte Trockenzeiten reagieren kann. In Dürrejahren wie 2005 und 2010 wurde er bereits zeitweise von der „Senke“, die Kohlendioxid aufnimmt, zur Quelle. Der Wald heizt dann den Klimawandel zusätzlich an. Ein neuer Anlauf für den Tropenwaldschutz ist nötig. Schon einmal hat so etwas funktioniert – zumindest für Amazonien. Auf dem UN-Erdgipfel in Rio 1992 wurde ein Pilotprogramm zum Schutz von Brasiliens Urwäldern flottgemacht. Deutschland tat sich dabei besonders hervor, es finanzierte alleine die Hälfte der dafür bereitgestellten 350 Millionen Dollar. Das Programm trug zum Rückgang der Entwaldung, zur Erhaltung des Artenreichtums und zur nachhaltigen Nutzung der Regenwald-Ressourcen bei, und es half, Landrechte der indigenen Bevölkerung zu sichern. Damals war Helmut Kohl Bundeskanzler, und alle Welt lobte ihn für seine Ankündigung, Waldschützer zu werden. Heute ist eine Initiative, die das UN-Programm zum Waldschutz, genannt REDD, stärker in Fahrt bringt, überfällig. Wäre doch ein Job wie maßgeschneidert für Kohls NachNachfolgerin Angela Merkel, die mal „Klimakanzlerin“ hieß. WISSEN & CAMPUS Frankfurter Rundschau 778 „Der bloße Appell hilft nichts“ Umweltpsychologin Katharina Beyerl erklärt, wie die Deutschen Klimaschützer werden Ist das nicht gerade der Fall? Nicht, wenn man die große Gefahr auf konkrete, erreichbare Ziele runterbricht. Wenn die Bevölkerung ernsthafte Veränderungen bei staatlichen Institutionen, Konzernen und Betrieben wahrnimmt, wenn Klimaschutz also zur Norm wird, dann stärkt das auch das Gefühl, dass ein großes Ziel erreichbar ist. Auf individueller Ebene können konkrete Ziele sein: öfter vegetarisch essen, regionale Produkte kaufen, Standbybetrieb bei Elektrogeräten vermeiden, eine Solaranlage aufs Dach bauen, oder einer Energiegenossenschaft beitreten. Allein der Appell „tu was!“ oder „rettet das Klima!“ hilft wenig. Warnungen müssen wir immer verbinden mit Bewältigungsstrategien, die machbar sind. Auch positive Rückmeldungen zur Wirkung von Verhaltensänderungen wie etwa CO2-Einsparungen können motivieren. Frau Beyerl, am 1. Juni treffen sich die Klimadiplomaten, um in Bonn die Pariser UN-Klimakonferenz im Dezember vorzubereiten. Nach 20 Jahren Weltklimagipfeln verfeuert die Welt allerdings ungebremst ihre fossilen Reserven und steuert auf eine Klimakatastrophe zu. Ein Massenaufstand bleibt aber aus. Wie erklären Sie sich das? Viele Menschen haben im Alltag verschiedene Sorgen – Jobsorgen, Geldprobleme, Krankheit. Da ist der Klimawandel, wenn überhaupt, nur ein Teil und rückt schnell in den Hintergrund. Viele denken, dass sie selbst in naher Zukunft nicht betroffen sein werden, sondern eher andere, die weit weg leben. Die bloße Vorstellung, dass es mal schlimm werden könnte, reicht nicht, um einen großen Aufstand auszulösen. Ist der Klimawandel zu abstrakt, um ihn als konkrete Gefahr zu empfinden? Eine Gefahr nimmt man meist erst als solche wahr, wenn etwas, das einem wichtig ist, akut bedroht ist. Klimatische Veränderungen und damit verbundene Gefahren sind nur bedingt direkt wahrnehmbar, auch wenn Veränderungen der Jahreszeiten oder Extremwetterereignisse spürbar sind. Näher rückt die Gefahr, wenn Überflutungen, Stürme oder Hitzewellen uns direkt betreffen. Denkt die Mehrheit der Deutschen nach dem Motto: Ein paar Grad wärmer wären doch ganz schön? Generell wird der Klimawandel schon als Problem wahrgenommen. Aus der psychologischen Forschung wissen wir aber, dass eine allgemeine Einstellung nicht unbedingt zu einem spezifischen Verhalten führt. Wer den Klimawandel als Gefahr erkennt, wechselt nicht automatisch zum Ökostromanbieter oder reduziert seine Urlaubsflüge. In der Psychologie heißt das auch EinstellungsVerhaltens-Lücke. Woran liegt das? Viele wissen nicht, was sie tun können. Ihnen fehlt es an konkreten Zielen. Oder sie bezweifeln, ob ihr individueller Beitrag etwas bringt, um das Weltklima zu retten. Andere wiederum sehen ihren Beitrag geleistet, wenn sie die Lampen in der Wohnung mit LEDs ersetzt haben. Oft fehlen auch nachhaltige Alternativen. Und was bringt den Einzelnen dann zum Klimaschutz? Klimaschützende Verhaltensangebote, die für den Einzelnen umsetzbar und attraktiv sind. Derzeit sind oft die Produkte die preiswertesten, die ohne Rücksicht auf Umwelt und Gesundheit produziert werden. Eigentlich müsste es anders herum sein, so dass Klimaschutz für den Einzelnen ohne Nachdenken Standard im Alltag ist. Auch Verhaltensvor- Wie bewerten Sie, dass die Medien vor allem über Extremwetter-Ereignisse berichten? Die Berichterstattung sollte nicht nur Zerstörung zeigen, sondern gleichzeitig mit dem Darstellen von Schutzoptionen einhergehen. Extremwetterereignisse sind auch Gelegenheitsfenster, um beim Wiederaufbau Bauweisen und Verhalten zu ändern, an Folgen des Klimawandels anzupassen und umweltfreundlich neu zu bauen – in Deutschland selbst, aber auch bei der Förderung des Wiederaufbaus anderswo. bilder können helfen: Freunde in der Nachbarschaft, die eine eigene Solaranlage nutzen. Oder Firmen, in denen Klimaschutz vom Essensangebot in der Kantine bis zum Firmen-Elektroauto umgesetzt wird. Wenn in einer Gruppe bestimmte Handlungen erwartet werden, ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch, dass die auch umgesetzt werden. Kommt zur sozialen Anerkennung eine finanzielle Einsparung hinzu – dann ist das ein großer Anreiz. Was ist mit den Warnungen der Wissenschaftler und Politiker – stumpfen die Menschen mit der Zeit daran ab? Nein. Fragt man nach der Einschätzung von globalen Risiken, spielt der Klimawandel eigentlich immer eine Rolle. Ich glaube eher, die Menschen erwarten, dass Politik und Wirtschaft klimafreundliche und bezahlbare Alternativen anbieten – verlässliche und günstige Zugverbindungen, die Förderung der eigenen, ökologischen Energieproduktion, energetisch sanierte Wohnungen und Bürogebäude. Denn die Hauptursache für den Klimawandel sind vor allem die wenig nachhaltige Produktion von Konsumgütern und eine Infrastruktur, die zu großen Teilen noch auf der Energieversorgung mit fossilen Brennstoffen beruht. Globale Produktionsketten sind komplex und die Wirkungen unserer Konsumentscheidungen schwer für den Einzelnen nachvollziehbar. Es gibt also keinen Fatalismus? Zum Fatalismus kommt es erst, wenn eine Gefahr als zu groß wahrgenommen wird und die Möglichkeiten der Bewältigung als zu gering. ZUR PERSON Katharina Beyerl ist Psychologin mit Arbeitsschwerpunkt Umweltpsychologie und forscht seit 2012 am Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam. Sie beschäftigt sich mit Fragen der Wahrnehmung von Umweltveränderungen und des Klimawandels, sowie mit der Motivation von Menschen, auf globalen Wandel zu reagieren. PRIVAT Donnerstag, 28.Mai Was macht die Klimaberichterstattung aus psychologischen Gründen falsch? Über den Klimawandel wird sehr global berichtet. Viele Medien versäumen es, konkrete Folgen für die eigene, persönlich bedeutsame Region aufzuzeigen, Handlungsoptionen mit an die Hand zu geben, zu zeigen, wie effektiv und machbar die sind, oder Kontaktstellen anzugeben. Wenn die Medien mehr über nachhaltige Lebensstile berichten und als hip, modern, erstrebenswert und machbar darstellen, kann das neue soziale Normen schaffen. Werbung oder Lifestyle-Magazine funktionieren gerade deshalb: Sie transportieren Lebensgefühle, die vermeintlich erfolgreiche und attraktive Lebensentwürfe widerspiegeln. Und die werden oft imitiert. Was macht ihnen Hoffnung? In den 1950er und 1960er Jahren wurde viel Geld und politischer Wille in den Wettlauf ins All investiert. Wenn Menschen wirklich etwas erreichen wollen, und genügend politischer Wille da ist, sind sie auch in der Lage, viele Ziele zu erreichen.. Das Interview führte Benjamin von Brackel. Er ist Redakteur beim Onlinemagazin klimaretter.info, mit dem die Frankfurter Rundschau in einer Kooperation die Berichterstattung zu Klima und Umwelt intensiviert.