Globale Trends der Hospitality Industrie «Meet & Greet» am Rande des World Economic Forum 2016 Globale Trends der Hospitality Industrie FHO Fachhochschule Ostschweiz 1 Der Ferientourismus im Kanton Graubünden hat wirtschaftliche Probleme. Während die Hotelübernachtungen zwischen 1950 und 1970 von 1,8 auf 5,4 Millionen angestiegen waren, flachte die Entwicklung anschliessend bis in die Neunzigerjahre ab. Seither sind die Übernachtungen um nahezu 2 Millionen zurückgegangen. In der gleichen Zeitperiode (1990 bis heute) ist der Tourismus weltweit jährlich im Durchschnitt um etwa 4% gewachsen. Vor diesem Hintergrund organisierten das Departement für Volkswirtschaft und Soziales (DVS) in Zusammenarbeit mit dem Tourismusrat Graubünden am Rande des diesjährigen World Economic Forum (WEF) ein «Meet & Greet», bei dem Spitzen­manager weltweit führender Tourismus- und Hotelunternehmen und der Tourismus-Chef von Google über Herausforderungen, Trends und Lösungsansätze diskutierten und sich den Fragen namhafter lokaler Tourismusexponenten aus Unternehmen, Politik und Verwaltung stellten. Das Panel unter der Leitung von Prof. Dr. Ernst A. Brugger, Präsident des Tourismusrates Graubünden, wurde ermöglicht durch Alois Zwinggi, Head of Operation & Ressources des WEF. Begrüssung Regierungsrat Dr. Jon Domenic Parolini Vorsteher Departement für Volkswirtschaft und Soziales, Graubünden Panel Gäste Gerald Lawless President and Group CEO, Jumeirah Group Stephanie Linnartz Executive Vice President and Chief Marketing and Commercial Officer at Marriott International Peter Baumgartner Chief Commercial Officer Etihad Airways Rob Torres Managing Director of Travel, Google Moderation Prof. Dr. Ernst A. Brugger Präsident Tourismusrat Graubünden Text Prof. Dr. Andreas Deuber HTW Chur Globale Trends der Hospitality Industrie 2 Airbnb als weltweit grösste Zimmer- und Wohnungsvermittler hat kein einziges Hotel. Uber ist das grösste Taxiunternehmen, aber hat keine eigenen Fahrer und Taxis. Der weltweit grösste Händler Alibaba verfügt über keine eigenen Lager. Facebook als die grösste Medienseite hat keine eigenen Inhalte. Mit dieser Feststellung über die neuen Realitäten in der zunehmend digitalisierten Welt, dem Schwergewichtsthema am diesjährigen WEF, eröffnete Ernst Brugger die Diskussion. Und es wurde schnell klar, dass die Tourismus- und Reisewirtschaft von «Industrie 4.0», dieser Bewegung mit fundamentalen Auswirkungen auf Produktionssysteme, Management und Governance, ganz zentral betroffen ist. Dennoch haben andere Schlüsselthemen wie Qualität, Agilität und Geschwindigkeit, Nachhaltigkeit und Kundenzentrierung nicht an Aktualität eingebüsst und sind für die anwesenden Manager und ihre Firmen wichtige Handlungsparameter geblieben. Auch die herausragende Bedeutung von Marken wurde bestätigt. Airbnb als weltgrösster Zimmervermittler ohne eigene Hotels Rob Torres als Managing Director of Travel bei Google weiss natürlich um die herausragende Relevanz des Digitalisierungsthemas für den Tourismus. Dabei hat die Entwicklung längst die Phase als Insiderthema für Technologiefreaks überwunden, sondern es setzten sich Lösungen durch, die nicht nur billiger sondern vor allem auch einfacher sind und die Interaktion mit dem Kunden erleichtern. Also nicht nur High Tech, sondern vor allem Hi Touch, will heissen auf die Bedürfnisse der Nutzer zentriert, und zwar nicht standardmässig, sondern individualisiert. Die Potentiale solcher Lösungen sind gemäss Peter Baumgartner riesig. Der Chief Commercial Officer von Etihad Airways muss es wissen, hat er doch als Musiker («Peter Baumgartner & Friends») davon profitieren können, dass seine Songs dank digitaler Streaming-Technik über die ganze Welt verbreitet wurden, was in der alten Welt mit phyNeue digitale Lösungen sind sischen Tonträgern nicht nur billiger, sondern auch nicht möglich geweeinfacher, und sie erleichtern sen wäre. die Interaktion mit dem Kunden. Rob Torres Was Anwenderfreundlichkeit bedeutet, wird laufend überholt. So geht es heute nicht mehr um isolierte Lösungen in separaten Apps, zum Beispiel zum Suchen von Informationen, Zusam- Globale Trends der Hospitality Industrie menstellen von Angeboten oder Buchen, sondern um kombinierte Tools, die in der Lage sind, das Reisethema integral abzudecken. Und weil die modernen Konsumenten mit Smartphones unterwegs sind, verschmilzt sogar die Grenze zwischen Reisevorbereitung und –durchführung. Spannend ist die zunehmende Verschmelzung von realer und digitaler Welt, wie sie Google zum Beispiel mit Nexus bietet, einer Streaming Plattform für Filme und Bilder mit Findet Reisen zukünftig Spielanwendungen, deren Steuerung über im Kopf statt? Fernbedienung oder Gamepad erfolgt. Dadurch sind schon heute realitätsnahe virtuelle Reiseerlebnisse möglich. Wird es vielleicht gar soweit kommen, dass Reisen nur noch im Kopf stattfinden? Gerald Lawless, früherer Präsident und CEO der Jumeirah Hotels Group und designierter Präsident World Travel and Tourism Council, glaubt nicht an die Verdrängung des realen Reisens durch virtuelle Angebote. Auch Video-Konferenzen hätten Live-Meetings nicht ersetzt, sondern eher noch gefördert, weil Interesse nach einer persönlichen Begegnung geweckt werde. nur noch Digitale Techniken Der Luxusgast legt nach wie vor werden in Zukunft weiter an Bedeutung Wert auf zwischenmenschliche gewinnen (Stichwort Interaktion. Internet der Dinge). Gerald Lawless Sensoren zum Beispiel in Schuhen, Brillen und Kleidern liefern laufend Daten und erlauben Auswertungen und darauf aufbauend Angebote, zum Beispiel in oder von Hotels. Gemäss Gerald Lawless legt der Luxusgast aber nach wie vor grossen Wert auf zwischenmenschliche Interaktion, und Datensicherheit und –diskretion sind hier besonders wichtig. Die Auswirkungen der Digitalisierung auf das Marketing sind fundamental. Nach Ausführungen von Stephanie Linnartz, Executive Vice President and Chief Marketing and Commercial Officer von Marriott International, können die Millenials über klassische Marketinginstrumente immer weniger erreicht werden. Notwendig sind dafür erstens Überraschungen und Emotionen, wie sie zum Beispiel in den Clips von Marriott (French Kiss) oder von Renaissance Hotels (Business unusual) vermittelt und über Social Media verbreitet werden, und der potentielle 3 Kunde ist zweitens nicht bereit, in die Vorleistung zu gehen. Mit anderen Worten entstehen im digitalen Zeitalter Kundenbeziehungen über Anbieter-Vorleistungen, die einen wesentlichen Kundennutzen bringen (zum Beispiel cloud-basierte Dienstleistungen oder Gratis-Informationen). Daraus werden Daten gewonnen und zu präzisen Kundenprofilen verdichtet, die später für spezifische Kundenansprachen genutzt werden können. Gemäss Google-Manager Torres bedingt überraschende Kommunikation mit Millenials nicht zwingend grosse technische Installationen wie zum Beispiel die Content Studios von Marriott, sondern die notwendigen Technologien sind – etwa in Form von Tablets oder Smartphones und oft kostenloser Software - jederzeit dabei und einsetzbar. Linnartz brachte es auf den Punkt: Wer mit Millenials kommunizieren will, muss zu ihnen gehen. Und fast noch interessanter: Die klassischen herkunftsbasierten Marktsegmente sind passé und viel zu wenig präzis. Das digitale Zeitalter schafft ungeahnte Kundentransparenz und ermöglicht dadurch gezielte Kundenansprache. Ungeachtet dessen behält das gute alte «word of mouth» seine Bedeutung, nur Peter Baumgartner dass zufolge der modernen Social Media neue effiziente Kanäle für Empfehlungen unter Freunden zur Verfügung stehen. Bestimmte Kundengruppe haben einheitliche Verhaltensmuster, die es zu nutzen gilt. Als Beispiel führt Baumgartner die arabischen Kunden an, die jeweils in den Sommermonaten Genf als ihren «place to be» auswählen. Das gute alte «Word of Mouth» wird seine Bedeutung behalten. Interessant waren die Ausführungen zum Thema Branding. Marken haben im Tourismus nach wie vor eine wichtige Bedeutung, zum Beispiel zur Vermittlung eines bestimmten Images. Linnartz macht aber klar, dass die Marke an sich keinen Wert darstellt, sondern immer wieder in Wert gesetzt werden muss. Mit anderen Worten müssen sich die grossen Brands laufend überlegen, wie die durch sie vertretenen Werte wie zum Beispiel Sicherheit oder Luxus in konkreten Kundennutzen transformiert werden können. Marken sind somit kein Selbstzweck, was für die Schweiz mit ihrer starken Landesmarke eine wichtige Einsicht sein kann. Globale Trends der Hospitality Industrie Auf eine Frage im Publikum hin wird das zentrale Thema der Infrastrukturen aufgegriffen. Gemäss Peter Baumgartner, für den der nahe Osten strategisch richtig im Fadenkreuz des internationalen Fluggeschäfts liegt, kommt der Infrastruktur für die Entwicklung einer Fluggesellschaft respektive eines Luftfahrtunternehmens eine zentrale Bedeutung zu. Etihad hat zusammen mit dem Staat Abu Dhabi grosse Summen investiert, nicht zuletzt auch, um die einseitige Abhängigkeit vom Erdöl zu verringern. Infrastrukturen im Sinne von Immobilien sind natürlich auch für Hotelunternehmen essentiell, wobei zum Beispiel Marriott kaum eigene Hotels besitzt, sondern diese basierend auf Managementverträgen oder auf Mietbasis betreibt, was –anders als in der Schweizer Berghotellerie – bei den richtigen Rahmenbedingungen durchaus rentabel sein kann – für beide Seiten. Lawless weist aber auch auf die immanenten Probleme einer Trennung von Betrieb und Eigentum hin, weil zum Beispiel bei einem bald auslaufenden Betreibervertrag kaum mehr Anreize für Investitionen bestehen. Im Zusammenhang mit dem Infrastrukturthema wurde kurz auf die Rolle des Staates eingegangen, der in touristischer Hinsicht einen wichtigen Gestaltungsauftrag hat, nicht nur bei der Bereitstellung von Infrastrukturen, zum Beispiel für den Verkehr. So verweist Gerald Lawless auf das Schengenvisum, das touristische Grenzübertritte wesentlich erleichtert und dadurch den Tourismus befördert. Ein wesentliches touristisches Potential sieht er in einer Vereinfachung der Der Staat hat in touristischer Visum-Prozesse, zum Hinsicht einen wichtigen Beispiel durch EinGestaltungsauftrag. richtung einer einheitGerald Lawless lichen elektronischen Plattform. Der hohe Investitionsbedarf im Tourismus und in der Hotellerie bedingt grosse Unternehmen, damit Economies of Scale bestmöglich genutzt werden können. Das war gemäss Stephanie Linnartz einer der Haupttreiber für die Übernahme von Starwood durch Marriott, wodurch eine Hotelkette mit mehr als 5‘500 Hotels entstand. Gerade die Bewältigung des digitalen Wandels bedingt riesige Investitionen, um das Produkt noch näher an den Kunden und dessen Bedürfnisse heranzubringen. Aber auch die grossen Investitionen in das Loyality-Programm und das Vertriebsnetz lassen sich so besser rentabilisieren. 4 Empfehlungen an die touristische Schweiz Diskussion unter Schweizer Touristikern Auf die Einladung zu einer Empfehlung an die touristische Schweiz riet Peter Baumgartner zu weniger Bescheidenheit, mehr unternehmerischem Mut und einem positiv-naiven Blick nach vorne. Die Schweiz sei ein spektakuläres Land, sagte Rob Torres, nur wisse man es noch zu wenig. Stephanie Linnartz unterstützte ihn in dieser Aussage und betonte, dass die Schweiz zufolge ihres Preisproblems umso mehr in Marketing investieren müsse, um vom wachsenden Mittelstand in den neuen Märkten profitieren zu können. Gerald Lawless regte bei allem Lob für das Angebot auch eine Produkteüberarbeitung an. Wichtig sei eine hohe Kadenz an neuen emotionalen Angeboten. In der anschliessenden Diskussion unter den anwesenden Touristikern und Touristikerinnen aus Graubünden und der Schweiz wurden die Ausführungen aus dem Panel mehrheitlich zustimmend zur Kenntnis genommen. Mit Recht wurde auf die bestehenden Standortnachteile hingewiesen: Hohe Kosten und geringe Produktivität. Verschiedene Voten brachten die berechtigte Angst zum Ausdruck, als KMU nicht überleben zu können. Botschafter Dr. Eric Jakob, Leiter der Direktion für Standortförderung, regte vor diesem Hintergrund für gewisse Orte und Destinationen auch Szenarien des Rückbaus an, weil der Tourismus nicht überall zukunftsfähig sei. Der hohe Zersplitterungsgrad des Schweizer Tourismus stelle allerdings ein selbstgemachtes Problem dar, und es sei nicht wirklich verständlich, weshalb das Thema Kooperation – entgegen besseren Wissens – einen so schweren Stand habe. Einhellig bestand die Ansicht, dass die Schweiz nach wie vor viele touristische Stärken habe (zum Beispiel Sicherheit, Erlebnisdichte, Erreicharkeit), die jedoch besser gebündelt und intensiver kommuniziert werden müssten. Durch einen Diskussionsteilnehmer wird angeregt, der im Panel angesprochenen Frage nachzugehen, ob und warum Schweiz Tourismus bei den Fluggesellschaften exklusiv mit der Swiss arbeite. Globale Trends der Hospitality Industrie 5