© Nordreisender - Fotolia.com ANTRIEBS- & SCHALTTECHNIK Auf der Niederspannungsebene installierte Kompensationsanlagen sollen die Blindleistung ausgleichen. Allerdings können deren Schalt­ handlungen die Funktionsweise von empfind­ lichen Verbrauchern beeinträchtigen Netzschonende Blindleistungskompensation Die Installation von Blindleistungskompensationsanlagen in Industrienetzen erfolgt meist auf der Niederspannungsebene. Deren Schalthandlungen verursachen schwach gedämpfte Einschwingvorgänge, welche empfindliche Verbraucher in der Funktionsweise beeinträchtigen können. Mithilfe eines von der HTW Aalen [1] und Schäfer Elektronik [2] entwickelten Zuschaltverfahrens kann man die Einschwingvorgänge vermeiden und damit die Netzqualität verbessern. Das neue Verfahren ermöglicht es, eine hochdynamische Kompensation mit häufigen Schalthandlungen des Blindleistungskompensators zu realisieren. Text: Heinrich Steinhart, Matthias Hauber, Swen Bosch ie meisten industriellen Verbraucher, wie elektrische AnD triebe, wirken ohmsch-induktiv. Sie beziehen induktive Blindleistung aus dem Netz, welche die Übertragungseinrichtungen, wie zum Beispiel Leitungen und Transformatoren, zusätzlich zur Wirkleistung belasten. Die Installation von ortsnahen Blindleistungskompensationsanlagen sorgt dafür, dass die Blindleistung nur noch zwischen Kompensator und den Verbrauchern pendelt. Dies entlastet einerseits die Energieversorgungsnetze und reduziert andererseits den CO2-Ausstoß. Besonders hohe Anforderungen an das Ansprechverhalten einer Kompensationsanlage stellen Lasten mit fluktuierender Wirk- und Blindleistungsaufnahme, wie Aufzugs- 4/2014 www.etz.de anlagen, Schweißgeräte oder Pressen. Um deren Blindleistungsbedarf kompensieren zu können, bedarf es einer hochdynamischen Regelung, die die Blindleistungsaufnahme am Übergabepunkt auf den gewünschten Leistungsfaktor bzw. cos ϕ einregelt. Aufbau einer Kompensationsanlage Neben den nötigen Schutzeinrichtungen, wie Sicherungen, besteht eine Kompensationsanlage (Bild 1) im einfachsten Fall aus elektronischen oder mechanischen Schaltern, über welche die Kondensatoren auf das Netz aufgeschaltet werden können. Häufig erfolgt eine binäre Abstufung der Kondensatorbatterien (1C/2C/4C). 3 ANTRIEBS- & SCHALTTECHNIK 3 Verbraucher 1 V Übergabepunkt Verbraucher 2 C 2C 4C Kondensatorbatterien … Netz Verbraucher n Regeleinrichtung 01 Beispielhafter Aufbau einer Kompensationsanlage 40 A 20 10 0 I −10 −20 −30 −40 40 A 20 10 0 I −10 −20 −30 −40 0,03 Mögliche Schaltgeräte und Zuschaltverfahren 0,04 0,05 0,06 0,07 0,08 t 0,09 0,1 0,11 s 0,13 02 Ströme einer Phase beim Zuschalten der ungeladenen (oben) beziehungsweise der geladenen (unten) Kompensationskondensatoren ans Netz Leiter L T Thyristormodul mit Ansteuerung L D Leiter L1 C N RLade C ü Kompensationszweig 4 Da netzparallele Kondensatoren dazu neigen, mit der Netzimpedanz in Resonanz zu geraten, werden sie verdrosselt. Als Kennwert dient der Verdrosselungsfaktor p, der das Verhältnis der induktiven zur kapazitiven Reaktanz beschreibt. Die Resonanzfrequenz des so entstehenden Reihenschwingkreises ist so zu wählen, dass sie unterhalb der niedrigsten vorkommenden Spannungsoberschwingung liegt, welche in der Projektierungsphase der Kompensationsanlage durch eine Netzanalyse ermittelt wird. Die Verdrosselung dient damit zum Schutz der Kondensatoren vor unzulässig hoher Stromoberschwingungsbelastung. Die Grenzwerte hierzu definiert die Norm DIN EN 60831-1 (VDE 0560-46) [3]. 03 Schematische Darstellung der Ladeschaltung mit Transformator Die Zuschaltung der Kondensatoren kann über mechanische oder elektronische Schalter erfolgen. Da der Schaltzeitpunkt bei mechanischen Schaltern (Schütze) nicht genau definiert werden kann, treibt die auftretende Spannungsdifferenz zwischen der Netzspannung und der vorhandenen Restspannung des Kondensators einen hohen Einschaltstrom, der im Wesentlichen durch die Verdrosselung begrenzt wird. Zudem ergeben sich schwach gedämpfte einschwingende Vorgänge. Durch Verwendung elektronischer Schalter – in der Regel Thyristoren – lassen sich die Kondensatoren zu einem genau definierten Zeitpunkt zuschalten. Dieser ist so zu wählen, dass die Kondensatorspannung genau der Netzspannung entspricht. Dadurch lässt sich der hohe Einschaltstrom vermeiden, allerdings treten auch hier einschwingende Vorgänge auf (Bild 2 oben). Besser ist es die Kondensatoren auf den Scheitelwert der Kondensator­ spannung zu laden und sie zum Zeitpunkt des Scheitelwerts der Netzspannung zuzuschalten. Dann ergeben sich keine einschwingenden Vorgänge mehr, da der Kondensatorstrom zu diesem Zeitpunkt ohnehin seinen natürlichen Nulldurchgang besitzt und sich somit nach dem Zuschalten die Schaltung sofort in einem stationären, eingeschwungenen Betriebszustand befindet (Bild 2 unten). www.etz.de 4/2014 Vorladen der Kompensations­kondensatoren Bei einer Verdrosselung der Kondensatoren entsteht durch die LC-Reihenschaltung eine Spannungsüberhöhung am Kondensator, die vom Verdrosselungsgrad p abhängig ist. Dadurch wird eine separate Einrichtung zur Vorladung beziehungsweise zur Ladungserhaltung benötigt. Diese kann auf verschiedene Arten ausgeführt sein: ·· Hochsetzsteller: Als Eingangsspannung kann eine externe Hilfsspannung oder die gleichgerichtete Netzspannung verwendet werden. Hierbei ist die Verwendung zusätzlicher aktiver Elektronik notwendig. ·· Spannungsverdoppler: Die passive Variante kann zum Beispiel als Villard- oder Delon-Schaltung ausgeführt sein. Bei beiden Varianten ist die Ausgangsspannung doppelt so hoch wie der Scheitelwert der Eingangsschaltung. Die Ausgangsspannung wird hier über einen nachfolgenden Spannungsteiler eingestellt. ·· Transformator: Zum Beispiel ein Einphasen-Steuertransformator mit anschließender Gleichrichtung. Bild 3 zeigt exemplarisch den Aufbau eines Kompensa­ tionszweigs einschließlich der Ladeschaltung. Die Vorladung beziehungsweise die Ladungserhaltung der Kondensatoren erfolgt über Dioden, welche für den doppelten Scheitelwert der Kondensatorspannungen auszulegen sind, und über Lade­widerstände, die zur Strombegrenzung bei ungeladenen oder ans Netz geschalteten Kompensationskondensatoren dienen. Das Übersetzungsverhältnis ü des Transformators kann man so wählen, dass die Leerlaufspannung dem Scheitelwert der Kondensatorspannung entspricht. Die Leerlaufspannung liegt hier im Fokus, da aufgrund der hochohmigen Ladewiderstände der Transformator quasi nicht belastet wird. In der Praxis empfiehlt es sich, die Leerlaufspannung etwas höher zu wählen und die Kondensatorspannung über einen Spannungsteiler zwischen dem Ladewiderstand sowie einem dem Kondensator parallel geschalteten Widerstand einzustellen. Dieser dient damit auch als Dauer-Entlade­ widerstand beim Abschalten der Anlage, wie es die DIN VDE 0560-1 [4] definiert. Die zeitlich korrekte Zuschaltung der Kompensationskondensatoren erfordert eine Erfassung der Netzspannungen. Um sofort den stationären, eingeschwungenen Zustand zu erreichen, bedarf es bei unverdrosselter Ausführung einer Zuschaltung der vorgeladenen Kondensatoren zum Zeitpunkt des Scheitelwerts der Netzspannung. Ist eine Verdrosselung installiert, so ändert sich die Phasenverschiebung zwischen Kondensatorstrom und Netzspannung im stationären Zustand. Der Zeitpunkt der Zuschaltung müsste je nach Verdrosselung angepasst werden. In der Praxis kann man dies aber aufgrund der geringen Phasenverschiebung sowie der geringen zeitlichen Änderung der Netzspannung um den Scheitelpunkt vernachlässigen. lungen würden die Rückwirkungen der herkömmlichen Zuschaltverfahren das Netz mit Verzerrungsleistung belasten. Abhängig von den verwendeten Algorithmen zur Leistungsberechnung kann die auf einem Mikrocontroller oder einem digitalen Signalprozessor implementierte Blindleistungsregelung innerhalb einer Netzperiode reagieren und bedarfsgerecht Kondensatoren auf das Netz aufschalten. Durch das beschriebene Zuschaltverfahren ist es möglich, den Blindleistungsbedarf ohne einschwingende Vorgänge und ohne zusätzliche Netzrückwirkungen zu kompensieren. Es entstehen keine Beeinträchtigungen empfindlicher Verbraucher. (no) Literatur [1]Hochschule Aalen - Technik und Wirtschaft, Aalen: www.htw-aalen.de [2] Schäfer Elektronik GmbH, Achern: www.schaeferpower.de [3]DIN EN 60831-1 (VDE 0560-46):2003-08 Selbstheilende Leis­ tungs-Parallelkondensatoren für Wechselstromanlagen mit ­einer Nennspannung bis 1 kV – Teil 1: Allgemeines - Leis­ tungsanforderungen, Prüfung und Bemessung – Sicherheits­ anforderungen ­– Anleitung für Errichtung und Betrieb. Berlin · Offen­bach: VDE VERLAG [4]DIN VDE 0560-1 (VDE 0560-1):1969-12 Bestimmungen für Kon­ densatoren – Allgemeine Bestimmungen. Berlin · Offenbach: VDE VERLAG Autoren Prof. Dr.-Ing. Heinrich Steinhartlehrt an der HTW Aalen in den Bereichen elektrische Antriebstech­ nik, Leistungselektronik und Sensorik & Aktorik. [email protected] B. Eng. Matthias Hauberist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Labor für elektrische Antriebstech­ nik und Leistungselektronik der HTW Aalen. [email protected] M. Sc. Swen Boschist wissenschaftlicher Mitar­ beiter im Labor für elek­trische Antriebstechnik und Leistungselektronik der HTW ­Aalen. [email protected] Hochdynamische Kompensation Vor allem der Blindleistungsbedarf von Verbrauchern, wie Schweißgeräten oder Pressen, stellt einen hohen Anspruch an die Dynamik der Kompensation, da hier für die Dauer weniger Netzperioden bis zu einigen Sekunden hohe Blindströme auftreten. Durch die hohe Anzahl an Schalthand- 4/2014 www.etz.de 5