„Euch aber, …, wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen und ihre Flügel bringen Heilung“ (Maleachi 3,20) Die Evangelische und Katholische Kirche im Landkreis Göppingen zu Fragen der Arbeit und Sozialen Gerechtigkeit Februar 2013 Wahrnehmung In Deutschland wachsen der Wohlstand und das Vermögen – aber nicht für alle Menschen! Es ist nicht zu übersehen: Einerseits unermesslicher und ständig wachsender Reichtum für Wenige, allen Finanzkrisen zum Trotz. Andererseits teilweise sinkende Reallöhne; viele schlecht bezahlte Arbeitsstellen mit Einkommen, von denen niemand leben kann; für öffentliche Aufgaben stehen nicht genügend Mittel zur Verfügung. Von Steuererleichterungen und anderen Vergünstigungen profitieren vor allem diejenigen, die viel Geld verdienen oder besitzen. Immer mehr Menschen sind auf Unterstützung von CARIsatt und Diakonieläden angewiesen. Viele Politiker scheinen den Teil der Menschen am unteren Rand „abgeschrieben“ zu haben. Unsicherheit greift um sich: Immer mehr Unternehmen unterliegen nur noch dem Profitstreben anonymer Kapitaleigner. Junge ausgebildete Menschen erhalten oft nur noch befristete und schlecht bezahlte Arbeitsverträge, die eine solide Lebensplanung kaum möglich machen. Wer Arbeit hat, von dem wird immer mehr verlangt. Der Druck strahlt aus bis in die Kindergärten und Schulen hinein. Liegt der Wert der Arbeit wirklich nur darin zu funktionieren und anderen Gewinn zu verschaffen? Unternehmen, die anders, menschlicher handeln, geraten zunehmend unter Druck. Öffentliche Auftraggeber üben zum Teil massiven Kostendruck auf Unternehmen, kirchliche und andere soziale Institutionen aus und fördern dadurch prekäre Arbeitsverhältnisse. Menschenbild Wir setzen uns für die ein, die das politische und wirtschaftliche Denken leicht vergisst. Das christliche Menschenbild und die Verkündigung Jesu Christi verpflichten uns dazu. „Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder (und Schwestern) getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40b). Daran maß Jesus ein gutes Leben. Das gilt für das persönliche und das gesellschaftliche Umfeld. Das vertröstet nicht auf das Jenseits, sondern ermutigt, nach Kräften an einer verbesserlichen Welt mitzubauen. Jeder Mensch ist ein Ebenbild Gottes, unabhängig von Alter, Fähigkeiten, Überzeugungen, sozialer Position oder Besitz. Das begründet seine unverlierbare Würde und seinen Wert. Zur Würde gehören die Grundrechte, einschließlich der sozialen Grundrechte wie dem Recht auf Arbeit. Der Würde entspricht, seine Existenz durch eigene Arbeit, d.h. Erwerbsarbeit, Familienarbeit und soziales Engagement, zu erhalten und zu gestalten. Durch die Arbeit nimmt der Mensch den göttlichen Schöpfungsauftrag wahr, die Erde zu bebauen und zu bewahren (Gen 2,15). Dazu braucht es soziale Gerechtigkeit und Arbeitsbedingungen, die die Würde des Menschen, seine Freiheit und sein Selbstbestimmungsrecht ernst nehmen. Soziale Gerechtigkeit schließt die Beteiligung und Selbstbestimmung aller Menschen ein, vor allem der benachteiligten und ausgegrenzten. Die Erwerbsarbeit sichert für die meisten Menschen die existenzielle Grundlage, indem sie allen soziale Integration, Freiheit und persönliche Entfaltung ermöglicht und als Vollzeitarbeit auskömmlich bezahlt wird. Übermäßiger Reichtum schädigt und gefährdet das Sozialgefüge und schlägt letztlich auf alle, also auch auf die Reichen, zurück (vgl. Jesaja 5). Wie kann mehr Gerechtigkeit entstehen? Wir erkennen, dass insbesondere bei Fragen zu Gerechtigkeit in Wirtschaft und Arbeitswelt die Verhältnisse unübersichtlich und in ihren Abhängigkeiten schwierig sind. Wir sehen es deshalb als Pflicht gerade auch der Kirchen an, unbequeme Fragen zu stellen, auch dann, wenn wir keine Antwort darauf haben. Und eine dieser wesentlichen Fragen heißt: Wie kann mehr Gerechtigkeit entstehen? Gerechtigkeit entsteht dann, wenn sich alle Menschen im Landkreis Göppingen in Arbeit einbringen dürfen. Wir fordern deshalb die Schaffung von guten Arbeitsplätzen – und wenn Die Evangelische und Katholische Kirche im Landkreis Göppingen zu Fragen der Arbeit und Sozialen Gerechtigkeit diese nicht zur Verfügung stehen -, Schaffung von bezahlter sozialversicherungspflichtiger Arbeit in Beschäftigungsgesellschaften, Kommunen, Einrichtungen und die Gewährung von hohen Lohnkostenzuschüssen. Dabei ist darauf zu achten, dass keine zwei oder mehr Klassen arbeitender Menschen dauerhaft geschaffen werden. Arbeit muss existenzsichernd und gerecht bezahlt werden, rechtlich abgesichert, unbefristet, familienfreundlich, verlässlich und inhaltlich gut sein. Der Mensch muss frei sein von Angst um seine tägliche Existenz. Wir sehen es als Verpflichtung, Unternehmen aktiv danach zu fragen, in welchem Umfang sie befristet beschäftige Mitarbeiter, Zeitarbeitnehmer und feste Arbeitsplätze haben. Wir fragen auch danach, inwieweit Minijobs und weitere prekäre Arbeitsverhältnisse umgewandelt oder zumindest mit den notwendigen Rechten wie Urlaubsgeld und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall realisiert werden können. Wir richten den Blick ebenso auf das wirtschaftliche Handeln unserer Kirchen und ihrer Verbände und wollen dies verstärkt unter dem Leitgedanken der Gerechtigkeit überprüfen. Um eine gerechte Verteilung herzustellen, sind die zu fördern, die bisher benachteiligt sind. Wir treten ein für Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration und zur frühzeitigen individuellen Bildungsförderung. Wir halten es für angebracht, diejenigen stärker in die Pflicht zu nehmen, die über hohe Einkommen verfügen. Wir fordern auf, den Abstand zwischen arm und reich deutlich zu verkleinern und Menschen, die benachteiligt sind, verstärkt zu fördern. Konkrete Forderungen im Landkreis Göppingen Wir sehen im Landkreis viele gute Lösungsansätze, in den Kommunen, Gemeinden, Kirchengemeinden, Gewerkschaften, Verbänden und Unternehmen. Das reicht von der Hilfe in Schulen, der Aktion Rückenwind, den Tafel-, Diakonie- und DRK-Läden, der Arbeit der Caritas, Diakonie und weiterer Wohlfahrtsverbände, den Vesperkirchen und der gemeinsamen Beschäftigungsgesellschaft bis hin zu Gesprächen mit politischen Parteien und Verantwortlichen der Wirtschaft und Gewerkschaften. Wir fordern die Fortführung dieser guten Ideen und darüber hinaus konkret: o o o o o o o o o o o Gute und angemessene Bezahlung in allen Unternehmen, insbesondere auch in allen kirchlichen und mit ihr verbundenen Einrichtungen Unbefristete Arbeitsverhältnisse, wo dies möglich und zulässig ist Selbstverpflichtung von allen öffentlichen und privaten Arbeitgebern im Landkreis zur Ausbildung und Förderung junger Menschen mit konkreten Ausbildungs- und Arbeitsangeboten, besonders auch für Jugendliche mit erhöhtem Förderbedarf Aufforderung an die einzelnen Kirchengemeinden, mindestens einmal im Jahr die soziale Arbeit in der Gemeinde zu beleuchten und zu bilanzieren Diakonisches und caritatives Handeln in den Kirchengemeinden stärken Lebenslagenbericht im Landkreis Göppingen, der Handlungsnotwendigkeiten aufzeigt – unter Federführung des Landkreises und unter Einbezug der Sozialverbände und Kirchen Als Kirchen nutzen wir den Tag der Sozialen Gerechtigkeit, um im Landkreis Göppingen auf soziale Herausforderungen hinzuweisen Schaffung von zusätzlichen entlohnten Arbeitsplätzen für Benachteiligte Sicherstellung der Grundfinanzierung der Beschäftigungsgesellschaft SAB Stärkung des Einzelnen und Ausbau vorhandener Stärken – in der Familie und im Kindergarten beginnend Förderung der Vereinbarkeit von Familienarbeit und Erwerbsarbeit unter Sicherstellung der Wahlfreiheit Wir fordern alle am gesellschaftlichen Leben Beteiligte auf, sich mit den zutage tretenden Notsituationen, ob Altersarmut, Bildungs(un)gerechtigkeit, Arbeitslosigkeit zu befassen, sich aktiv einzumischen und notwendige weitere Schritte einzufordern und zu gestalten. Es ist Auftrag einer solidarischen und prophetischen Kirche, weiter darüber nachzudenken und daran zu arbeiten, wie wir in Zukunft leben wollen – um der Menschen und ihrer Würde willen. Dekan Dietmar Hermann Dekanin Gerlinde Hühn Dekan Rolf Ulmer Die Evangelische und Katholische Kirche im Landkreis Göppingen zu Fragen der Arbeit und Sozialen Gerechtigkeit