Vortrag von Dr. Norbert Haase an der Universität Strassburg, 27.08.2011 Von « Ons Jongen », « Malgré-nous » und anderen Von « Ons Jongen », « Malgré-nous » und anderen Das Schicksal der ausländischen Zwangsrekrutierten im Zweiten Weltkrieg1 Ich wollte zuerst die Universität Strassburg für den freundlichen Empfang danken. Ich freue mich eine Bericht über das Schicksal der ausländischen Zwangsrekrutierten in der Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs Sie vorzustellen. Ich will ganz besonders meinen Kollegen Frédéric Stroh danken, den ich an der Universität Dresden kennengelernt habe. Er ist ein französiche Spezialist in der Geschichte der “Malgré-nous”, Opfer der NS-Militärjustiz während des Zweiten Weltkriegs. Die Wehrmacht griff im Verlauf des Zweiten Weltkrieges durch Zwangsrekrutierungen auf die Einwohner bestimmter besetzter Gebiete zurück: Elsass und Lothringen, Luxemburg, die sogenannten « eingegliederten Ostgebiete » Westpolens und Teile Sloweniens. Innerhalb des deutschen Millionenheeres mögen die gegen Kriegsende auch in Südosteuropa ausgehobenen Kontingente zwangsrekrutierter « Volksdeutscher » militärisch kaum ins Gewicht gefallen sein und den Kriegsverlauf nicht entscheidend beeinflusst haben, obschon die nationalsozialistische Kriegsführung letsthin nicht auf sie verzichten wollte. Besondere Aufmerksamkeit verdienen diese Soldaten, die nach dem Krieg wegen ihrer aufgezwungenen Kollaboration in ihren Ländern vielfach im Zwielicht standen und deren Schicksal im Nachkriegsdeutschland kaum Beachtung fans, jedoch nicht zuletzt wegen der hohen Verweigerungsraten in ihren Reihen und der verschärften Methoden militärischer Disziplinierung im « totalen Krieg ». In verggleichender europäischer Perspektive ist bislang nicht versucht worden, das Schicksal der Zwangsrekrutierten nachzuzeichnen. Die Bedeutung von Rekrutierung und Verweigerung und die Sanktionen, mit denen der NS-Staat auf sie reagierte, sind wenig bekannt. Die besondere Situation in der Tschechoslowakei, in Südschleswig und in Eupen-Malmedy und auch österreichische Belange müssen hier ausser acht bleiben. Die Geschichte der umfanreichen nichtdeutschen Armeen sowie der internationalen Freiwilligen von Wehrmacht und Waffen-SS ist ebensowenig Gegenstand dieser Studie2. 1 Vorstudie zu einem von der Stiftung Volkswagenwerk geförderten Forschungsprojekt "Freiheit hinter Stacheldraht - Regimegegner in westalliierter Kriegsgefangenschaft" im Rahmen der Forschungsstelle Widerstandsgeschichte von Freier Universität und Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Veröffentlicht in: Norbert HAASE und Gerhard PAUL (hg.), Die anderen Soldaten, Frankfurt-am-Main 1995, S. 157-173. 2 Vgl. Peter Gosztony: Hitlers Fremde Heere. Das Schicksal der nichtdeutschen Armeen im Ostfeldzug, Düsseldorf - Wien 1976; Hans Werner Neulen: An deutscher Seite. Internationale Freiwillige von Wehrmacht und Waffen-SS, München 1985; Joachim Hoffmann: Die Ostlegionen 1941-1943, Freiburg 1981. 1 Vortrag von Dr. Norbert Haase an der Universität Strassburg, 27.08.2011 Von « Ons Jongen », « Malgré-nous » und anderen Hitlers Idee von einem « Grossgermanischen Reich » als nationalsozialistischem Grossstaat wies den besetzten Ländern unter deutscher Hegemonie eine völlig untergeordnete Rolle zu. Ziel der deutschen Kriegs- und Besatzungspolitik war eine durchgreifende europäische Neuordnung. Die “Lebensraumpolitik”, eine siedlungspolitische Herrschafts- und Ausbeutungsstrategie auf der Basis von Massenvernichtung und Vertreibung, zielte auf die Durchsetzung rassenideologischer Politik und setzte einen unübersichtlichen Prozess der Neuordnung der europäischen Bevölkerungsverhältnisse in Gang3. Infolge der Annexionen der besetzten Gebiete gerieten die deutschen und “eindeutschungsfähigen” Bevölkerungsgruppen in Mittel- und Osteuropa in den Sog einer völkerrechtswidrigen Rekrutierungsproxis. Die Haager und Genfer Konventionen untersagten es, Staatsangehörige der gegnerischen Partei zu zwingen, an Kriegsoperationen teilzunehmen, die gegen ihr Land gerichtet sind. Erst durch die Einführung der deutschen Staatsangehörigkeit in den angegliederten Gebieten schuf sich das NS-Regim eine formale Legitimation für die Einführung der Wehrpflicht. Das Beispiel Polen Das schrittweise eingeführte System der “Deutschen Volksliste” (DVL) in den 1939 eingegliederten Gebieten Westpolens (Danzig-Westpreussen, Ostoberschlesien, Südostpreussen und sogenannter “Warthegau”) wies Deutschen und Polen interschiedliche Pflichten und Gratifikationen zu, wobei die moisten Polen rechtlose “Untermenschen” blieben, ins “Generalgouvernement” (GG) ausgesiedelt oder auch nach Deutschland zur Zwangsarbeit verschleppt wurden4. Himmler schuf im Rahmen der “Volkstumspolitik” wenige Wochen nach Kriegsbeginn die Institution des “Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums” (RKF), einer bevölkerungspolitischen Selektionsbehörde, deren Aufgabe in der Vorbereitung der Vertreibung der Juden und Polen, sozialpolitischer und ökonomischer Planungen sowie der “Feinauslese” arbeitsfähiger und “eindeutschungsfähiger” Polen bestand. Durch die Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft mit Wirkung vom 26. Oktober 1939 für “im Volkstumskampf bewährte Deutsche”, die Einführung einer “Staatsangehörigkeit auf Widerruf” für die polnisch beeinflussten” Zwischenschichten” hatten die deutschen Wehrersatzbehörden alsbald Zugriff auf Angehörige der DVL. Diese wurden im Einberufungsbefehl ausdrücklich darauf hingewiesen, mit dem Gestellungstage Soldat zu sein und den Wehrmachtgesetzen zu unterliegen. Die unvollständige Anwendung der DVL etwa in Oberschlesien im Oktober 1941 hinderte die Wehrmacht nicht an der Rekrutierung, zumal aller Wahrscheinlichkeit nach die Wehrerfassung vor Einführung der DVL stattgefunden hatte. Und selbst in der rechtlich und “volkstumspolitisch” 3 Grundlegend zur Besatzungsherrschaft bis 1941/42 Hans Umbreit: Auf dem Weg zur Kontinentalherrschaft, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, hg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt (Band 5/1: organisation und Mobilisierung des deutschen Machtbereichs), Stuttgart 1988, S. 3-347. 4 Martin Broszat: Nationalsozialistische Polenpolitik 1939-1945, Stuttgart 1961, S. 112ff.; Czeslaw Madajczyk: Die Okkupationspolitik Nazideutschlands in Polen 1939-1945, Berlin (Ost) 1987, S. 479ff. 2 Vortrag von Dr. Norbert Haase an der Universität Strassburg, 27.08.2011 Von « Ons Jongen », « Malgré-nous » und anderen umstrittenen Frage einer Rekrutierung von nicht in die DVL Eingetragenen obsiegten im Verlauf des Jahres 1943 die militärischen Bedürfnisse der Wehrmacht nach “Menschenmaterial”. In Oberschlesien regte sich bereits unmittelbar nach der Wehrerfassung im Frühjahr 1940 Widerspruch. In manchen Gemeinden blieb ihr mehr als die Hälfte der Wehrpflichtigen fern und ignorierte die oktroyierte deutsche Volkszugehörigkeit. IM Herbst 1941 wurden im Kreis Ratibor 129 Wehrpflichtige, die sich weiterhin zu Polen bekannten, der Gestapo übergeben, Eidverweigerer ereilte in der Regel dasselbe Schicksal. Die Zwischenschicht der Angehörigen der Abteilung 3 der DVL, die 1939-1941 den Rechtsstatus von Halbdeutschen notgedrungen in Kauf genommen hatte, schwenkte im Verlauf des Jahres 1942 um. Vermehrt wurden in Oberschlesien und Westpreussen DVL-Ausweise zurückgegeben, da ihre Inhaber die Einziehung zum Wehrdienst befürchteten. Die Stapoleitstelle Kattowitz berichtete am 21. April 1942, dass sich Einberufene “beim Abtransport zu ihren Garnisonsorten demonstrative der polnischen Sprache bedienen, polnische Lieder singen, und mit der Begründung den Fahneneid verweigern, dass sie sich nicht zum Deutschtum bekennen”5. Im April 1943 meldete der SD aus Danzig-Westpreussen Desertionen und sogar Sabotageakte. In Graudenz hätten offen polenfreundliche Kundgebungen stattgefunden, bei Abfahrt des Zuges Einberufene die polnische Fahne gehisst. In Pommerellen schlossen sich in erheblichem Umfange Wehrdienstflüchtlinge den Kampfgruppen der polnischen Untergrundarmee an. Sympathiekundgebungen polnischer Wehrmachtsoldatden aus Oberschlesien ereigneten sich in Frankreich. Viele liefen zu den westlichen Alliierten über. Insgesamt 89 300 Polen wurden als Wehrmachsoldaten in Nordafrika, Italien und Frankreich gefangengenommen, von denen sich mehr als 50 000 den im Verband der britischen Armee kämpfenden ponischen Streitkräften anschlossen, während ein Rest in Kriegsgefangenschaft verblieb. Vergeblich versuchte die ponische Exilregierung, auch die Sowjetunion zu einer Zuführung ponischer Überläufer zu den Streitkräften unter General Sikorski zu bewegen. Zahlenangaben über die Überläufer zur sowjetischen Armee und zur Partisanenbewegung sind nicht verfügbar. Wie Todesurteile des Reichskriegsgerichts (RKG) aus dem Frühjahr 1944 belegen, konnte die polnische Widerstandsbewegung mit konspirativen Organisationen in der Wehrmacht Fuss fassen. Wehrmachtsangehörige – “Volksdeutsche auf Widerruf” – wie der 32jährige Danziger Arbeiter Alfons Lendzion, der der Widerstandsorganisation “Polski Rzad Demokratyczny” (Regierung des demokratischen Polen) nahestand, und der aus der Tschechoslowakei stammende Pole Frits Latoszynski, Jahrgang 1915, der Verbindungen zur Organisation “Zwiuzek Jaszczurczy” (Eidechse”) unterhielt, hatten sich an propolnischen Widerstandsaktionen in ihrer Heimat beteiligt.6 Wehrmachtskreise äusserten sich im Februar 1943 skeptisch über den Ostfronteinsatz der in Polen Rekrutierten: “Der weitaus grössere Teil tat sic him Fronteinsatz in keener Weise hervor, vielfach wurden Kriegsdienstverweigerung und Fahnenflucht festgestellt. Letzter Vergehen wurden von diesen deutschen Staatsbürgern polnischen Volkstums damit entschuldigt, dass sie gebürtige Polen seien und zwangslaufig dem deutschen Volkskörper eingegliedert worden seien… Das OKH 5 Broszat (wie Anm. 4), S. 202f. 6 Feldurteil des Reichskriegsgerichts gegen Fritz Latoszynskivom 28.4.1944 (StPL RKA III 187/43); Archiv des Militärhistorischen Instituts (MHA) Prag: Bestand "Reichskriegsgericht" (RKG); Feldurteil des Reichskriegsgerichts gegen Alfons Lendzion vom 22.5.1944 (StPL RKA III 139/44); MHA Prag: RKG. Vgl. auch Madajczyk (wie Anm. 4), S. 498, Anm. 64. 3 Vortrag von Dr. Norbert Haase an der Universität Strassburg, 27.08.2011 Von « Ons Jongen », « Malgré-nous » und anderen beabsichtigt, diese Wehrmachtsangehörigen polnischer Nationalität aus der Front herauszuziehen und auf dem Balkan sowie im Westen einzusetzen.”7 Die Sanktionen des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) ashen seit Mai 1942 bei Annahmeverweigung von DVL-Ausweisen umgehende Verhängung von “Schutzhaft” und gegebenenfalls die Einweisung in ein Konzentrationslager vor. Himmler ordnete Ende 1944 in diesen Fällen die sofortige Exekution durch die Sicherheitspolizei an. Repressalien gegen Wehrpflichtige, die desertiert waren, sich dem Wehrdienst entzogen oder Partisanen angeschlossen hatten, beinhalteten für die Familienangehörigen die Aussiedlung und Verbringung in ein KZ. Andererseits gemahnte ein Merkblatt des Wehrkreiskommandos XX vom 1. September 1943 Offiziere an strenge Unterbindung propolnischer Kundgebungen, aber auch an fairen Umgang mit Soldaten der DVL, die nicht geringschätzig als “Pollacken” oder “Kaczmareks” bezeichnet warden sollten. Unnachsichtig zeigte sich die Wehrmacht gegenüber Eidverweigerern. Im Frühjahr 1944 hatte das RKG in einigen Fällen zu entscheiden, Volksdeutsche, die teilweise Anhänger der in der Industriearbeiterschaft Oberschlesiens nicht ohne Erfolg missionierenden Zeugen Jehovas waren, wegen “Zersetzung der Wehrkraft” zu verurteilen. Durchweg beharrte das RKG ohene Einschränkung auf dem Rechtsstandpunkt, die Angeklagten seien als Reichsdeutsche wehrpflichtig und daher ververpflichtet, Wehrdienst in jeder verlangten Form zu leisten und gegen den Feind die Waffen zu gebrauchen. In einigen Fällen widerriefen die Beschuldigten und hatten statt der Todes- eine Gefängnis- oder Zuchthausstrafe zu gewärtigen. Paul Dudnitzek aus Königshütte / Oberschlesien, der 1939 als Sanitätssoldat im polnischen Heer hatte dienen und aus Rücksicht auf seinen Glauben nur ein Gelöbnis ablegen müssen, wurde als Verweigerer am 15. September 1944 zum Tod veurteilt. Das RKG lehnte grundsätzlich eine aus Rücksicht auf religiöse Motive durchgeführte Einreihung in den Sanitätsdienst ab. Dudnitzek hatte sich der Vereidigung im Juli 1944 antzogen und sich auf die Bibel berufen. Er sei “nur unter Zwang” Angehöriger der DVL, da man ihm bei Weigerung “Zwangslager” angedroht hatte.8 Das Urteil wurde vor allem wegen der befürchteten Werbekraft seines Verhaltens verhängt. Ebensowenig freiwilig war der Löbauer Lehrer Bruno Piotrowicz im Schnellverfahren in die Abteilung 3 DVL lediglich “auf Grund seines blutsmässigen und kulturellen Hinneigens zum Deutschtum “eingetragen worden.9 Das Oberkommando des Heeres (OKH) wies wegen des Präzedenzfalles am 11. November 1944 das zuständige Generalkommando an, den Angeklagten wegen politischer und militärischer Unzuverlässigkeit aus dem Wehrdienst zu entlassen. Unter diesen Voraussetzungen lehnte das RKG eine Verurteilung zum Tode ab, um “weitere Massnahmen” den zuständigen Polizeibehörden des Reiches zu überlassen. Piotrowicz kam über das zentrale Wehrmachtgefängnis Torgau ins KZ. Der 45jährige oberschlesische Fahrradschlosser Johann Scholtyssek lehnte als gläubiger Katholik Ende November 1943 die Einberufung als Volksdeutscher ab und schickte den Einberufungsbefehl 7 Madajczyk (wie Anm. 4), S. 497. 8 Feldurteil des Reichskriegsgerichts gegen Paul Dudnitzek vom 15.9.1944 (StPL RKA II 377/44); MHA Prag: RKG. 9 Feldurteil des Reichskriegsgerichts gegen Bruno Piotrowicz vom 28.11.1944 (StPL RKA I 215/43); MHA Prag: RKG. 4 Vortrag von Dr. Norbert Haase an der Universität Strassburg, 27.08.2011 Von « Ons Jongen », « Malgré-nous » und anderen ungeöffnet mit einem Zettel zurück, dass er nicht Soldat werden wolle, da es verboten zi zu töten. Er fühle sich als « Europäer ».10 Das RKG verurteilte ihn zum Tode, gab ihm aber die Gelegenheit, seine Haltung zu widerrufen und sich vor dem Feinde zu « bewähren ». Die Wehrmachtführung befahl Ende 1943 angesichts der schwindenden Motivation, Soldaten der Abt. 3 DVL nicht mehr im Osten einzusetzen, da man ein Überlaufen auf die sowjetische Seite befürchtete. Seit Mitte 1944 ging man dazu über, keine geschlossenen Einheiten aus diesen Gebieten mehr aufzustellen, sondern die Rekruten in mehrheitlich aus Reichsdeutschen zusammengesetzten Verbänden zu integrieren. Das Beispiel Slowenien Nach dem Feldzug gegen Jugoslawien wurde der Vielvölkerstaat im April 1941 aufgeteilt. Von Solwenien fiel der nördliche Teil der Krain sowie die 1919 von Österreich abgetrennten Gebiete der Untersteiermark und Südkärntens an das “Grossdeutsche Reich”. Ohne formelle Annektierung wurde die Region als Reichsgebiet bahandelt, das nach Hitlers Vorstellung “wiedereingedeutscht” warden sollte. Ähnlich wie in Polen trat auch in Jugoslawien der RKF auf den Plan, wurden die Landkarten nach den rassistischen Neuordnungsplänen der Nationalsozialisten neu konzipiert. Auch wenn 1941 in mehreren “Wellen” etwa 54 000 Slowenen, darunter vor allem die Intelligenz und katholische Geistliche, aus ihrer Heimat nach Serbien und Kroatien sowie ins “Altreich” deportiert worden waren, wurde die Eindeutschungspolitik in Slowenien stets durch die prekäre Sicherheitslage in dieser Region beeinträchtigt.11 Gleichwohl waren seit 1942 Hunderttausende von Aussiedlungen betroffen, nachdem Volksdeutschen der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft, der “artverwandten” “heimattreuen Bevölkerung der befreiten Gebiete“ die “Staatsangehörigkeit auf Widerruf” verliehen worden war. Die von den Chefs der Zivilverwaltungen (CdZ) eingesetzten Vereinigungen “Kärtner Volksbund” und “Steirer Heimatsbund” erhielten die Aufgabe, die innere Formierung der Volksdeutschen voranzutreiben und auf diese Druck mit dem Ziel einer freiwilligen Meldung zur Wehrmacht auszuüben – ebenso wie bei den deutschen Minderheiten im Banat, in Kroatien und in Serbien. Die Besatzungsbehörden erhofften sich auch in der Untersteiermark, dass die Wehrpflicht “wesentlich zur Eindeutschung beitragen” würde. Der CdZ, Gauleiter Siegfried Uiberreither, erliess am 24. März 1942 eine Verordnung über die Einführung des Wehrrechts in der Untersteiermark, deren Wortlaut im Vergleich zu den anderen Gebieten erkennen lässt, dass man mit Problemen bei ihrer Umsetzung rechnete. Am selben Tage wurde auch die Arbeitsdienstpflicht verfügt. Zunächst wurden hier die Jahrgänge 1918-1925, bis zum Kriegsende die Jahrgänge 1908-1929 gemustert und zum Wehrdienst einberufen. Der CdZ und “Reichsstatthalter” in Kärnten und Oberkrain, Gauleiter Friedrich Rainer, folgte mit gleichlautenden Verordnungen zur Einführung von Wehr- und 10 Feldurteil des Reichskriegsgerichts gegen Johann Scholtyssek vom 31.1.1944 (StPL RKA I 423/43); MHA Prag: RKG. 11 Tone Ferenc (Hg.): Quellen zur nationalsozialistischen Entnationalisierungspolitik in Slowenien 1941-1945, Maribor 1980; Tone Ferenc: Absiedler. Slowenien zwischen "Eindeutschung" und Ausländereinsatz, in: Ulrich Herbert (Hg.): Europa und der "Reichseinsatz". Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in Deutschland 1938-1945, Essen 1991, S. 200-209. 5 Vortrag von Dr. Norbert Haase an der Universität Strassburg, 27.08.2011 Von « Ons Jongen », « Malgré-nous » und anderen Arbeitsdienstpflicht erst am 7. Juli 1942. Dort beschränkte sich die Rekrutierung auf die Jahrgänge 1916-1925. Zu vermuten ist, dass der im Vergleich zur Untersteiermark ungleich geringere Anteil volksdeutscher Bewohner in Oberkrain Anlass für diese Verzögerung gewesen ist. Hier mag auch der Grund für eine sehr starke Gegenbewegung zu suchen sein, den seit 1943 entzogen sich mehrere tausend Wehrpflichtige dem Dienst, um sich der Volksbefreiungsarmee Sloweniens anzuschliessen. Das Stabshauptamt des RKF in Berlin vermerkte am 10. Mai 1943: “Die zur Wehrmacht eingezogenen Oberkrainer verschwinden zu etwa 20% in den Wäldern.”12 Nicht wenige brachten offen ihre Abneigung gegen den Dienst in der Wehrmacht zum Ausdruck. Den slowenischen Partisanen ermöglichte diese Fluchtbewegung die Aufstellung ganzer Kampfeinheiten im Einsatz gegen den deutschen Okkupanten. Im Spätsommer 1943 zerstörten diese systematisch vornehmlich der “Eindeutschung” dienende Institutionen in Oberkrain. Angehörige von erschossenen Anhängern der Volksbefreiungsbewegung wurden ins Reichsgebiet in KZs verschleppt, Kinder von ihren Eltern getrennt. Nachdem Himmler die slowenischen Gebiete im Juni 1943 zum “Bandenkampfgebiet” erklärt und befohlen hatte, die slowenische Volksbefreiungsarmee zu vernichten, wurde ein dreimonatiger Ausnahmezustand verhängt. Nach dessen Beendigung wies CdZ Rainer die Oberkrainer abermals öffentlich auf die Treuepflicht “gegenüber Führer und Reich” hin. Doch wegen des massenhaften Zustroms zu den Partisanen wurden auf seinen Vorschlag hin die Einberufungen zur Wehrmacht in den genannten Gebieten im Verlauf des Jahres 1944 eingestellt. Das Beispiel Elsass und Lothringen Die französischen Departements Moselle, Bas-Rhin und Haut-Rhin, die seit dem Versailler Vertrag wieder zu Frankreich gehörten, wurden nach dem deutschen Einmarsch in Frankreich im Mai 1940 umgehend dem Deutschen Reich angeschlossen und wie deutsches Gebiet behandelt. Diese “zweite Annexion” durch Deutschland began mit einer rücksichtslosen Germanisierungspolitik. Nach den Plänen Hitlers sollte die “Eindeutschung” dieser Gebiete innerhalb von zehn Jahren vollzogen sein. Rasch wurden deutsche Gesetze wirksam, Massenverschleppungen vorgenommen, eine deutsche Verwaltung eingeführt, eine repressive Kirchenpolitik durchgesetzt und der öffentliche Gebrauch der französischen Sprache verboten.13 Der Abschottung von Frankreich folgte die Einführung einer obligatorischen Mitgliedschaft in den NS-Zwangskörperschaften. 1941 wurde der Reichsarbeitsdienst (RAD) eingeführt. Eine Minderhait schloss sich dem Regime an oder kollaborierte mittels der einflussreichen volksdeutschen Vereinigungen. Die Masse stand allerdings im unausweichlichen Gewissens- und Identitätskonflikt zwischen Verweigerung und Anpassung, den Widerstand wurde hart verfolgt: Tausende wurden in KZs, zumeist nach Schirmeck und Struthof, verschleppt. Nachdem bereits 1940 und 1941 ohne nennenswerten Zulauf zum freiwilligen Eintritt in Waffen-SS und Wehrmacht geworben worden war, wurde gegen anfängliche Bedenken des Oberkommandos 12 Ferenc (wie Anm. 11/1), S. 609. 13 Dieter Wolfanger: Die nationalsozialistische Politik in Lothringen (1940-1945), (Diss.) Saarbrücken 1977. 6 Vortrag von Dr. Norbert Haase an der Universität Strassburg, 27.08.2011 Von « Ons Jongen », « Malgré-nous » und anderen der Wehrmacht (OKW) am 25. August 1942, wie auch in Luxemburg, in Elsass und Lothringen die allgemeine Wehrpflicht eingeführt. Die militärische Kameradschaft, so die traditionelle Vorstellung, sollte die Assimilierung beschleunigen. Doch zuvor musste die Staatsangehörigkeitsfrage geklärt warden. Die drei CdZ der westlichen Gebiete drückten bei Hitler aufs Tempo. Mit der Einberufung oder bei Anerkennung als “bewährte Deutsche” erwarben Deutschstämmige aus diesen Gebieten nach der Verordnung über die Staatsangehörigkeit im Elsass, in Lothringen und in Luxemburg vom 23. August 1942 die deutsche Staatsangehörigkeit. Für unsichere Kandidaten eröffnete sich die Möglichkeit einer “Staatsangehörigkeit auf Widerruf”. Im August 1942 hatte die militärischeZwangslage alle formalin Einwände in den Hintergrund gedrängt. Die bedeutete für 130 000 elsässische und lothringische Männer die “incorporation de force” –Zwangsrekrutierung. Im Elsass waren zunächst die Jahrgänge 1919-1924 (Lothringen : 19201924), bis September 1944 auch 1908-1928 (Lothringen : 1914-1928) einberufen und in die Wehrmacht bzw. in die Waffen-SS eingegliedert worden, selbst wenn sie zuvor bereits in der französischen Armee gedient hatten. Der Musterungsbescheid verlangte von den Lothringern, “gewaschen, mit geschnittenem Haar und mit sauberer Wäsche zu erscheinen”. Die als “französischdekadent” angesehenen Elsässer sollten die Gelegenheit bekommen, Deutschland kennenzulernen, “dort, woe s am saubersten, am edelsten und am liebenswürdigsten ist: draussen an der Front”.14 Der Einsatz der “Malgré-nous” – mit dieser Selbstbezeichnung hatten sich die im Deutschen Reich “gegen ihren Willen” Rekrutierte unter dem Rechtfertigungsdruck der französischen Gesellschaft bereits nach dem Ersten Weltkrieg gegen einen Verratsvorwurf verwahrt – erfolgte vornehmlich an der Ostfront, aber auch in Nordafrika. 25 000 kamen an der Front ums Leben, 14 000 gelten als verschollen.15 Während die Westalliierten die ausländischen Wehrmachtsoldaten in ihren Kriegsgefangenenlagern alsbald separierten, in nationale Verbände oder die französische Fremdenlegion einreihten oder frühzeitig rapatriierten, widerfuhr den Kriegsgefangenen in der Sowjetunion ein tragisches Schicksal, da sie vielfach für Freiwillige gehalten wurden. Erst auf Veranlassung Frankreichs wurden sie im Lager Tambov zusammengefasst, wo viele Hundert wegen der harten Bedingungen umkamen. – Frankreich war gegen die Aufstellung einer Elsässisch-Lothringischen Legion, da man im Falle deutscher Kriegsgefangenschaft die Liquidierung dieser soldaten befürchtete. Die deutsche Einberufungspraxis, von den einen mehr oder weniger befolgt, wurde von anderen keinesfalls widerspruchslos aufgenommen. Spontan riefen Strassburger Studenten im August 1942 zum passiven Widerstand auf. Dieser drückte sich im Elsass und Lothringen in der Verweigerung des Einberufungsbefehls, dem Nichterscheinen bei Musterung oder durch Krankheitssimulationen aus und nicht zuletzt in lärmenden Protesten und dem demonstrativen Gesang der Marseillaise oder sogar Tragen der Trikolore. Durch organisierte aktionen gelang es Hunderten, vor allem im Sundgau, trotz verschärfter Überwachung in das unbesetzte Frankreich und in die Schweiz zu entkommen. Es soll elsässische wie lothringische Gemeinden gegeben haben, aus denen ganze Rekrutierungsjahrgänge flüchteten. 14 Lothar Kettenacker: Nationalsozialistische Volkstumspolitik im Elsass, Stuttgart 1973, S. 226. 15 Histoire de l'Alsace, ed. sous la direction de Philippe Dollinger, Toulouse 1970 (Neuausgabe 1991), S. 479ff. Vgl. auch Philippe Dollinger: L'Alsace Actuelle 1939-1977, Histoire de l'Alsace, Vol. VIII, Wettolsheim 1978. 7 Vortrag von Dr. Norbert Haase an der Universität Strassburg, 27.08.2011 Von « Ons Jongen », « Malgré-nous » und anderen Beispiele: Am 17. Oktober 1942 wurden am Bahnhof von Sélestat zwangsrekrutierte Elsässer, umringt von deutschen Uniformierten mit Maschinenpistolen, in den Zug verladen. Der 20jährige Joseph Kuhn aus Triembach-au-val erschien nicht, sondern er hielt sich über zwei Jahre bis zur Befreiung durch die Amerikaner im November 1944 in seinem Heimatort in einem kleinen feuchten Keller bei Verwandten versteckt. Seine Familie musste immer wieder Verhöre und Durchsuchungen der Gestapo durchstehen, sein jüngerer Bruder rené fiel als Zwangssoldat an der Ostfront. Kuhn starb 1947 an einer schweren Lungenkrankheit, Folge seines langen Aufenthalts im feuchten Keller.16 – Der 1922 in Farschviller geborene Henri Trinkwell hatte wegen Wehrdienstentziehung bereits drei Monate im Gefängnis gesessen, als er zwangsweise mobilisiert wurde. Er verweigerte den Fahneneid und wurde von einem Kriegsgericht zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach eineinhalbjähriger Flucht wurde e rim Oktober 1944 verhaftet und mit seinem Vater in das KZ Dachau deportiert, wo der Vater starb. Auch Bruder und Mutter wurden bis zum Kriegsende ins KZ gesteckt.17 Nach Gauleiter Wagners Auffassung war ein Elsässer, der sich als Franzose fühlte, “ein deutscher Verräter”. Um die jungen potentiellen Rekruten von einer Flucht in die Schweiz abzuschreken, wurden unter starker öffentlicher Anteilnahme erfasste Deserteure sofort erschossen oder in das KZ Struthof deportiert. Beispielsweise hatten am 3. Juni 1944 Gestapo, Wehrmacht und SS gemeinsam in Longeville-lès-St. Avold eine Razzia gegen Widerstandsgruppen und Wehrdienstflüchtlinge durchgeführt, bei der zwei Refraktäre erschossen, 130 verhaftet und ins KZ verschleppt wurden. In den moisten Fällen der Eidverweigerer und Wehrdienstflüchtlinge erfolgten Einweisungen ins KZ, wie es von den CdZ ausdrücklich angefordert worden war. Die Verordnung über Massnahmen gegen Wehrpflichtentziehung vom 1. Oktober 1943 drohte mit hârtesten Sanktionen. Sogar die Familien der nach grosszügigen Schätzungen 40 000 elsässischen und lothringischen Deserteure wurden vielfach, unter Beschlagnahme ihres Vermögens, nach Deutschland deportiert. Hunderte Familien mussten die perfiden “Sippenhaft” – Massnahmen erleiden. Das RKG verurteilte 1943/44 mindestens 11 zumeist religiöse Verweigerer zum Tode. Symptomatisch für die gerichtliche Verfolgung durch die Zivile und die Wehrmachtjustiz erscheint ein Urteil des Volksgerichtshofes (VGH) gegen zehn Elsässer wegen “Feindbegünstigung” u. a. “vom 11. Januar 1944, das in Tenor und Strafmass (7 Jahre Gefängnis) von einem Marinekriegsgericht übernommen wurde. Den Jugendlichen wurde vorgeworfen, im Juni 1943 auf dem Transport in einem Sonderzug deutschfeindliche Parolen (“Vive la France”, “Merde à la Prusse”, “Vive de Gaulle” usw.) verfasst, zum Abteilfenster hinausgeworfen und die Marseillaise gesungen zu haben.18 Der VGH 16 Frankfurter Rundschau, 5.8.1994, S. 6. 17 François Goldschmitt: Elsässer und Lothringer in DACHAU, No. 2 "Im Zugangsblock",o.O., o.D., S. 45 (mit einer Vielzahl weiterer Einzelschicksale); Henry Allainmat u. Betty Truck: La Nuit des Parias. La tragique histoire des 130.000 Francais incorporés de force dans la Wehrmacht et la Waffen-SS, Paris 1974; Georges Gilbert Nonnenmacher: La grande honte de l'incorporation de force des Alsaciens-Lorrains, Eupenois-Malmediens et Luxembourgeois dans l'armee allemande au cours de la deuxième guerre mondiale, Colmar 1966; Les incorporés de force Alsaciens et Mosellans - ces méconnus. La Charte. Organe de la Fédération Nationale André-Maginot. Supplement au No. 4, August-September 1985 (Mit einer ausführlichen Bibliographie). Dank schulde ich der Association des Evadés et Incorporés de Force, Colmar. 18 Norbert Haase: "Gefahr für die Manneszucht". Zur Geschichte der Verfolgung von Nichtanpassung, Verweigerung und Widerstand in der Deutschen Wehrmacht im Spiegel der Spruchtätigkeit von Marinegerichten in Wilhelmshaven (1939-1945), Hannover 1995, S. 188 ff. 8 Vortrag von Dr. Norbert Haase an der Universität Strassburg, 27.08.2011 Von « Ons Jongen », « Malgré-nous » und anderen verzichtete auf die Verhängung der Todesstrafe, da er einen Teil der Schuld in der französischen Schulerziehung sah, unter deren antideutschen und antinationalsozialistischen Einfluss sie gestanden hätten. Ressentimentgeladen führte die Urteilsbegründung aus, "dass die allgemeine Dekadenz der französischen Erziehung, das Nichtentwickeln des Männlichen im Knaben, sich auch bei ihnen ausgewirkt hat. Deshalb war in ihnen der Stolz, als deutscher junger Mann jetzt Arbeitsdienst leisten zu dürfen und dann Soldat zu werden, gar nicht entwickelt worden." Der VGH verstand dieses Urteil aber auch als deutliche "erzieherische" Warnung, bei jedem künftigen Fall dieser Art von der Todestrafe Gebrauch zu machen. Das Schicksal der Elsässer und Lothringer im Zweiten Weltkrieg wurde im Spannungsverhältnis nationalsozialistischer Eindeutschungsstrategien einerseits und den traditionellen, aus der Erfahrung des Ersten Weltkrieges herrührenden Ressentiments im Militär gegen die als unzuverlässig geltenden "Franzosenköpfe" andererseits entschieden. Dies wird immer wieder an den gegensätzlichen Äusserungen der CdZ und Wehrmachtstellen deutlich. Gauleiter Bürckel zeigte sich in einem Brief an Himmler vom 11. Juni 1943 besorgt: "Nach wie vor gibt es unter den Lothringern Eidverweigerer, neuerdings auch Deserteure. Damit wird bestätigt, dass doch recht viele Elemente unzuverlässig sind." Wagner betonte Anfang 1944 wiederholt, dass durch die Wehrdienstbestimmungen die Elsässer davor bewahrt werden müssten, "sich als Deutscher 2. Klasse zu fühlen”.19 Von OKH und OKW waren Ausnahmevorschriften, wie etwa die Verweigerung des Heimaturlaubs, erlassen worden, die den Eingliederungsbestrebungen diametral entgegenstanden. Ein während der Ardennenoffensive erlassener Befehl, "alle ElsassLothringer und sonstigen unzuverlässigen Elemente ... herauszuziehen und hinter der Front zu sammeln”20, zeigt, dass die Vorbehalte nicht ausgeräumt werden konnten. Das Beispiel Luxemburg Nach nationalsozialistischer Auffassung gehörte "auch" Luxembourg zu "Grossdeutschland".21 Am 10. Mai 1940 hatten deutsche Truppen das Grossherzogtum besetzt und damit seine unbewaffnete Neutralität verletzt. Bei Wohlverhalten der Bevölkerung und der luxemburgischen Behörden hatte die Wehrmacht Rücksichtnahme in Aussicht gestellt. Dabei verhielten sich die selbstbewussten Luxemburger zunächst abwartend. Gauleiter Gustav Simon, CdZ in Luxemburg, hatte den Auftrag, das Land in kürzester Zeit dem "deutschen Volkstum" "wieder zurückzugewinnen". Die dazu angewandten Massnahmen entsprachen denen in Elsass und Lothringen weitgehend. Ab dem 23. Mai 1941 war auch für junge Luxemburger der RAD obligatorisch. Die allgemeine Wehrpflicht folgte am 30. August 1942. Eine Woche zuvor war wie im Elsass und in Lothringen die Übertragung der deutschen Staatsangehörigkeit auf Einberufene und "bewährte Deutsche" erlassen worden. Die 19 Kettenacker (wie Anm. 14), S. 230. 20 Wolfanger (wie Anm. 13), S. 220. 21 Emile Krier: Widerstand in Luxemburg, in: Ger van Roon (Hg.): Europäischer Widerstand im Vergleich. Die Internationalen Konferenzen Amsterdam, Berlin 1985, S. 232-248. Mein besonderer Dank gilt den Herren Michel Dahm und Jean Hames sowie der Fédération des Victimes du Nazisme, enrôlées de Force, a.s.b.l. Luxembourg. 9 Vortrag von Dr. Norbert Haase an der Universität Strassburg, 27.08.2011 Von « Ons Jongen », « Malgré-nous » und anderen Germanisierungspolitik kam somit einer "De-facto-Annexion" Luxemburgs durch das Deutsche Reich gleich.22 Zwar fügten sich zahlreiche Luxemburger in die "Volksdeutsche Bewegung" oder traten zum Teil nationalsozialistischen Organisationen bei, doch in ihrer Grundhaltung blieb die überwiegende Mehrheit des luxemburgischen Volkes auf Distanz. Der SD sah dahinter "die passive Resistenz weiter Bevölkerungsschichten".23 Das passive Widerstehen gegen den Unterdrücker war eines der wichtigsten Prinzipien der wirkungsvollen luxemburgischen Widerstandsbewegung und ihrer vielfältigen Aktionsformen. Auf die tiefe Zäsur einer Einführung der Wehrpflicht für die Jahrgänge 1920-1924, später auch 1925-1927, reagierten die Luxemburger mit Generalstreik. Einberufen wurden 10 211 junge Männer einer Gesamtbevölkerung von 293 000 Einwohnern, doch circa 2 800 dieser Zwangsrekrutierten desertierten.24 Als einer Art nationaler Nothilfe wurden überall im Land, vorzugsweise abseits der Wohnortschaften, Verstecke für die Flüchtigen organisiert oder diese ins Ausland geschleust. Von Januar bis August 1944 versteckten sich zum Beispiel 120 "Jongen" in dem stillgelegten Eisenerzstollen Hondsbësch bei Nidderkuer und wurden von der Bevölkerung unterstützt, später systematisch an anderen Orten versteckt. Der 22jährige Edouard Juncker aus Dahl desertierte im Frühjahr 1943 in Metz während eines Fronturlaubs vor dem Einsatz in Russland. Von Juni 1943 bis zur Befreiung Luxemburgs am 9. September 1944 versteckte er sich in einem französischen Kloster und im Ösling an verschiedenen Stellen in Bunkern und Scheunen.25 Andere versuchten sich etwa durch Simulation der Gelbsucht oder durch Selbstverletzungen dem Kriegsdienst zu entziehen. Es ist der Fall des Luxemburger Grenadiers Peter Wolff überliefert, der "Kameraden, die aus neu erworbenen Gebieten wie Elsass, Luxemburg und Polen stammen, zum passiven Widerstand gegen die Vorgesetzten aufstachelt".26 Von etwa 1 000 luxemburgischen Refraktären, die es vermocht hatten, mit Hilfe der Widerstandsbewegung ausser Landes zu gelangen, schlossen sich mehr als die Hälfte dem französischen Maquis oder der belgischen Armée Blanche an, sie versuchten vielfach nach England zu gelangen, um in den alliierten Streitkräften gegen Deutschland zu kämpfen. In der westlichen Kriegsgefangenschaft setzten sie sich von den deutschen Mitgefangenen ab und erwirkten ihre frühzeitige Repatriierung. In der Sowjetunion, wo vereinzelt dem kommunistischen Widerstand zugehörige luxemburgische recrutés de force zur Roten Armee überliefen und in ihren Reihen 22 Vgl. A.W. Fletcher: The German Administration in Luxemburg 1940-1942. Towards a "de facto" annexation, in: Historical Journal 13 (1970), S. 533-544. 23 Meldungen aus dem Reich Nr. 238 vom 17.11.1941, in: Heinz Boberach (Hg.): Meldungen aus dem Reich. Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS 1939-1945, Herrsching 1984, S. 2999. 24 Die Zahlenangaben differieren nach den verschiedenen Quellen. Vgl. Krier (wie Anm. 19); Georges Als: L'enrôlement de force et les pertes en vies humaines dues à la guerre 1940-1945, in: Paul Lenners und Christiane Schmitz (Bearb.): ... Wéi wann et eréischt haut geschitt wier!..., Luxemburg 1993, S. 199f. 25 Lenners u.a. (wie Anm. 24), S. 186. 26 Otto Hennicke: Über den Justizterror in der deutschen Wehrmacht am Ende des zweiten Weltkrieges, in: Militärgeschichte 6 (1965), S. 718. 10 Vortrag von Dr. Norbert Haase an der Universität Strassburg, 27.08.2011 Von « Ons Jongen », « Malgré-nous » und anderen kämpften27, gelangten mehr als 1 000 Luxemburger in das Kriegsgefangenenlager Tambov. Ein Fünftel davon starb in den Lagern oder auf dem Rücktransport. Das Ausmass der gegen luxemburgische Unbotmässigkeiten gerichteten deutschen Repressalien, die vor allem die Verweigerungsbewegung gegen die deutsche Wehrpflicht treffen sollten, ist beträchtlich. Gauleiter Simon erklärte als Antwort auf die Streikbewegung am 31. August 1942 den Ausnahmezustand für Luxemburg. Todesurteile und Verhaftungen folgten. Unter Androhung härtester Sanktionen forderte er ein uneingeschränktes Bekenntnis zu Deutschland und drohte mit Zwangsaussiedlung tausender deutschfeindlicher oder Familien von desertierten Zwangsrekrutierten. 3 705 Luxemburger wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Die Verordnung gegen Wehrpflichtentziehung vom 10. Juli 1943 sah den Vermögenseinzug und "andere geeignete Massnahmen" vor. Im Frühjahr 1944 verhaftete ein SD-Einsatzkommando siebzig luxemburgische Refraktäre im französischen Zentralmassiv, von denen 11 im Konzentrationslager Natzweiler-Struthof erschossen wurden. Die anderen verurteilten Wehrmachtgerichte in Trier und Metz wegen "Fahnenflucht" und "Wehrkraftzersetzung" zum Tode. Etliche kriegsgerichtlich Verurteilte traten wie die deutschen Militärstrafgefangenen den Leidensweg in die Emslandlager an. Zahlreiche andere kamen in die Wehrmachtgefängnisse nach Torgau,28 abermals in die Bewährungstruppe oder ins KZ. Die Wehrmachtjustiz setzte auf die abschreckende Wirkung von Todesurteilen und vertraute zugleich auf eine "erzieherische Wirkung" langjähriger Haftstrafen. Der sich hier abzeichnende Konflikt zwischen Eindeutschung und Disziplinierung kommt etwa im Fall des Matrosen Edmund W. sinnfällig zum Ausdruck, der 1943 mit Hilfe der Widerstandsbewegung in den Niederlanden untergetaucht war. Ein Marinegericht verhängte im März 1944 wegen "Fahnenflucht" eine lebenslange Zuchthausstrafe: "Entscheidend war für das Gericht die Tatsache, dass der Angeklagte aus Luxemburg stammt. Als solcher Luxemburger geht ihm die militärische Disziplin und Erziehung völlig ab, die jedem deutschen Manne eine ganz andere Auffassung und Volkszugehörigkeit gibt. Es ist ja bekannt, wie wenig ein Volk, wie das luxemburgische, solche Begriffe kennt. Was man bei einem deutschen Manne unbedingt voraussetzen kann aufgrund seiner ganzen Ausbildung, kann man bei einem Luxemburger nicht verlangen."29 Die Entscheidung wurde jedoch vom Oberkommando der Kriegsmarine aufgehoben und die Verhängung der Todesstrafe gefordert. Das Gericht folgte dieser Vorgabe: "Es kann nicht zu Gunsten des Angeklagten gewertet werden, dass er als Luxemburger noch keine nachhaltige militärische Erziehung genossen hat... Gerade die Soldaten aus den angegliederten oder unter deutscher Verwaltung gestellten Gebieten müssen durch straffe Disziplin und wenn notwendig durch harte Strafen zur unbedingten Einhaltung ihrer Soldatenpflichten erzogen werden. Gerade ihnen gegenüber ist das Abschreckungsmoment der harten Strafe von ganz besonderer Bedeutung." Edmund W. wurde am 27. Juni 1944 in Spaden erschossen. 27 Mehrere Fallbeispiele in: Der antifaschistische Widerstand in Luxemburg. Dokumente und Materialien. Zusammengestellt von Henri Wehenkel, Luxemburg 1985, S. 144ff. 28 Norbert Haase u. Brigitte Oleschinski (Hg.): Das Torgau-Tabu. Wehrmachtstrafsystem - NKWD-Speziallager DDR-Straf-vollzug, Leipzig 1993, S. 123ff. 29 Hans-Jürgen Kahle: ... dessen 'Konservierung' im Zuchthaus sinnlos wäre! Todesurteile der Militärjustiz in Cuxhaven und Wesermünde 1939-1945, Cuxhaven 1991, S. 44. 11 Vortrag von Dr. Norbert Haase an der Universität Strassburg, 27.08.2011 Von « Ons Jongen », « Malgré-nous » und anderen Die Heeresrechtsabteilung im OKH erstellte im November 1943 für das OKW eine Aufstellung über Verfahren gegen Elsässer, Lothringer und Luxemburger wegen "Fahnenflucht" und "Wehrkraftzersetzung", die deren Anwachsen eindrucksvoll dokumentiert.30 Gemeldete Kriegsgerichtliche Verfahren gegen Elsässer, Lothringer und Luxemburg im Jahre 1943 Jan.-April Mai Juni Juli Aug. Sept. Elsässer 5 1 52 79 113 156 Lothringer 30 1 69 46 179 171 Luxemburger 3 3 58 101 60 221 Zus. 38 5 179 226 352 548 Am 21. Januar 1944 erhielt die Gauleitung Trier/Moselland aus dem OKH die Namen von 14 Luxemburgern, die zwischen dem 23. Juli und 22. Dezember 1943 von Divisionsgerichten inzwischen zum Tode verurteilt worden waren.31 Simon zeigte sich in einem Schreiben vom 8. Februar 1944 an den Befehlshaber des Ersatzheeres Generaloberst Fromm angesichts der militärischen Lage sehr besorgt über das rapide Ansteigen der Desertionen luxemburgischer Zwangsrekrutierter, für das er auch die seiner Auffassung nach zu milde Beurteilung der luxemburgischen "Fahnenflüchtigen" durch die Kriegsgerichte sowie den Rückhalt in der Bevölkerung verantwortlich machte. Fahnenflüchtige und Wehrkraftzersetzer müssten zum Tode verurteilt werden, zu Zuchthausstrafen verurteilte Deserteure gehörten ins KZ. Simon betonte, "dass kein Fahnenflüchtiger aus dem CdZ-Bereich Luxemburg diesen Krieg überleben darf..."32 Das OKH, das die Spruchpraxis der Heeresgerichte allerdings für angemessen hielt und hervorhob, der Strafvollzug liesse die Annäherung an KZ-Zustände ohne weiteres zu, änderte daraufhin im Mai 1944 die gerichtlichen Zuständigkeiten. Nach der Erschiessung des Ortsgruppenleiters der Volksdeutschen Bewegung in Junglinster am 20. Juli 1944 wurden 30 Einwohner verhaftet, in das Luxemburger "Grund"-Gefängnis sowie das SSSonderlager Hinzert verschleppt, nach ergebnislosen Verhören aber wieder entlassen. Gauleiter Simon hatte als Repressalien die Erschiessung von zehn kriegsgerichtlich verurteilten "Geiseln" veranlasst, die unter Mitwirkung des zuständigen Kriegsgerichts am 23. und 24. August 1944 in den Zuchthäusern Siegburg und Lingen kurzerhand durchgeführt wurden.33 Zu den schlimmsten Verbrechen ist in diesem Zusammenhang zweifellos der Mord an 91 luxemburgischen Zwangsrekrutierten zu zählen, die am 30. und 31. Januar 1945 im Zuchthaus Sonnenburg (Slonsk) aus den Emslandlagern nach dort überführt - Opfer eines Massakers der SS an mehr als 800 ausländischen Gefangenen wurden. 30 Die faschistische Okkupationspolitik in Belgien, Luxemburg und den Niederlanden (1940-1945). Europa unterm Hakenkreuz, Dokumentenedition Band 3, Berlin (Ost) 1990, S. 73.; Bundesarchiv Koblenz (BAK): NS 19 neu 2179. 31 Schreiben der Amtsgruppe Heeresrechtswesen beim OKH an die Gauleitung Trier/Moselland der NSDAP vom 21.1.1944 über Kriegsgerichtsverhandlungen gegen zum Dienst in die Wehrmacht gepresste Luxemburger. Zit.nach Europa unterm Hakenkreuz (wie Anm. 30), S. 239f. 32 Europa unterm Hakenkreuz (wie Anm. 30), S. 240f. 33 Als Geisel fir Jonglenster erschoss, hg. von der Fédération des Victimes du Nazisme, enrôlées de Force a.s.b.l. Luxembourg; Betr. Erschiessung von 3 luxemburgischen Flüchtlingen durch ein Sonderkommando des Zuchthauses und Strafgefängnisses Siegburg; BAK: R 22/2298 Strafvollstreckung in der Wehrmacht, Bl. 89ff. 12 Vortrag von Dr. Norbert Haase an der Universität Strassburg, 27.08.2011 Von « Ons Jongen », « Malgré-nous » und anderen Schlussbetrachtung Mit der in Aussicht stehenden Niederlage Deutschlands weitete sich die Rekrutierungspraxis zunehmend auch auf Südosteuropa aus, wo seit 1940 sehr viel erfolgreicher als im Westen für freiwillige Meldungen Volksdeutscher geworben werden konnte, wenngleich die Volksgruppenführungen intern einer Rechtspflicht zum Wehrdienst ablehnend gegenüber standen.34 Zum Kriegsende wurde hier vielerorts die Wehrpflicht verhängt, wobei die Rekrutierungsformen geradezu vormoderne Züge annahmen.35 Die in den eingegliederten Gebieten der an das Deutsche Reich angrenzenden besetzten Nachbarländer durchgeführte völkerrechtswidrige Zwangsrekrutierung liefert ein vielschichtiges und keinesfalls synchrones Erscheinungsbild, dessen Erhellung weiterer Forschungen bedarf. Die traditionelle Überlegung, durch die "Schule der Nation", das Militär, liesse sich eine engere nationale Integration erwirken, lässt erkennen, dass militärische Gründe für die Einführung der Wehrpflicht nicht allein ausschlaggebend waren. Diese überlagerten sich offenbar vielmehr mit bevölkerungspolitischen Zielsetzungen des NS-Regimes und hatten durchaus ein variables Verhalten der Behörden zur Folge. Dabei bleibt allerdings festzuhalten, dass sich diese Gebiete als Exerzierfeld für einen sich auch gegen die deutsche Bevölkerung stetig steigernden Terror erwiesen, wie er insbesondere an den "Sippenhaft"-Massnahmen gegen Familienangehörige von Überläufern sichtbar wurde, die in Deutschland erst nach dem 20. Juillet 1944 in grösserem Umfang praktiziert wurden. Die Wehrpflicht gehörte mittelbar zu den Instrumenten nationalsozialistischer Besatzungspolitik in Europa. Es ist allerdings fraglich, ob der militärische Nutzen der Zwangsrekrutierung aufwog, was durch den desintegrativen Einfluss der Gepressten an Widerständigkeit in die Armee hineingetragen wurde. Aber auch hier ergeben sich erste Ansätze eines differenzierten Bildes. Das beträchtliche Ausmass der Verweigerung gegen die zwangsweise Einberufung in die deutsche Wehrmacht erscheint keineswegs verallgemeinerbar und war von Land zu Land sehr verschieden. Es reichte in Abhängigkeit von der deutschen Herrschaftspraxis und von einem jeweils individuellen, nicht selten tragischen kulturellen, sprachlichen wie staatsrechtlichen Identitätskonflikt vom massenhaften passiven Widerstand der Luxemburger zum Partisanenkampf in Slowenien, von der umfangreichen Fluchtbewegung aus Elsass und Lothringen zur punktuellen Verweigerung religiös motivierter Volksdeutscher in den eingegliederten Ostgebieten. Naturgemäss wuchs mit der Dauer des Krieges die Zahl der Unzufriedenen, sank die Bereitschaft zur Kollaboration. So vielfältig das Erscheinungsbild war, so gab es, wie eine vereinzelt nachweisbare übergreifende Gruppensolidarität ausländischer recrutés de forcer nahelegt, zugleich eine die verschiedenen Gruppen einende Ablehnung des Waffendienstes für den Okkupanten. Die Verweigerung der deutschen Wehrpflicht steht nicht zuletzt deshalb im context des europäischen Widerstandes im Zweiten Weltkrieg zu sehen und zu interpretieren. 34 Johann Wuescht: Jugoslawien und das Dritte Reich. Eine dokumentierte Geschichte der deutschjugoslawischen Beziehungen von 1933 bis 1945, Stuttgart 1969, S. 317. 35 Sehr instruktive Hinweise zu den umfangreichen Rekrutierungen von Volksdeutschen in Rumänien, Ungarn und Jugoslawien sind der mehrbändigen Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, hg. vom Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, Düsseldorf 1956-1961 zu entnehmen. 13