Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen am 19./20. November 2011 in Verden Mit Krieg lässt sich nicht gut Werbung machen Durch die im März 2011 beschlossene Aussetzung der Wehrpflicht hat ausgerechnet die schwarz-gelbe Bundesregierung eine uralte Forderung der Friedensbewegung erfüllt – die faktische Abschaffung des Wehr- und Zivildienstes für junge Menschen in Deutschland. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben sich für dieses Ziel seit ihrer Gründung engagiert eingesetzt und begrüßen grundsätzlich das Ende der Zwangsdienste. Was in den letzten Jahrzehnten nicht funktionierte, wurde in den letzten Monaten - angesichts der historischen Bedeutung dieser Entscheidung - in relativ kurzer Zeit umgesetzt. Bereits Anfang April 2011 wurden keine Wehrund Zivildienstleistende mehr eingezogen und im Juli sind die ersten Freiwilligen in die Kasernen eingezogen. Daraufhin mehrten sich in der Öffentlichkeit die Diskussionen, wie der zivile aber auch der militärische Bereich sich in Zukunft ohne die vielen tausenden Zwangsdienstleistenden entwickeln wird. Für die Bundeswehr ist die künftige Gestaltung als freiwillige Berufsarmee die große ungelöste Frage. Eins ist allerdings bereits jetzt klar: Die künftig fehlenden Massen an Wehrdienstleistenden müssen kompensiert werden, um die „internationale Leistungs- und Einsatzfähigkeit der Truppe“ auch in Zukunft zu gewährleisten. Dafür braucht es neue „Freiwillige“. Die schöne Welt der Werbung - Von Krieg ist nicht die Rede Die Bundeswehr wird in den nächsten Jahren ihre Werbeaktivitäten für die Nachwuchsgewinnung für die Truppe massiv ausbauen (müssen). Unter dem Slogan „Wir. Dienen. Deutschland“ wirbt sie junge Menschen, die sich für den „SoldatInnenberuf“ interessieren. Im Spot sind schöne Bilder zu sehen – junge Frauen und Männer in Aktion mit modernster Technik. Leider fehlen jedoch die Bilder von den Schrecken und grausamen Folgen des Krieges in Afghanistan. Wer sich heutzutage für den Dienst bei der Bundeswehr entscheidet, muss damit rechnen, dass sie oder er auch in den zahlreichen Auslandseinsätzen der Bundeswehr eingesetzt wird und dies im schlimmsten Fall mit dem Leben bezahlt. Davon erfahren die ZuschauerInnen im Spot allerdings nichts. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen halten eine derart irreführende Werbung für unverantwortlich. Kein einziges Wort über die realen Gefahren der Auslandseinsätze für die potenziellen Interessierten zu verlieren, ist schäbig und wir fordern das verantwortliche Bundesverteidigungsministerium dazu auf, diese Art der Werbung sofort zu beenden. Statt schöner Bilder muss man ehrlich die Realität abbilden. Anforderungen an BewerberInnen werden heruntergeschraubt Nach Recherchen des ARD-Politmagazins Panorama ist das Bundesverteidigungsministerium sogar dazu bereit, dem Mangel an Freiwilligen mit einer Absenkung der qualitativen Anforderungen an die BewerberInnen zu begegnen. Laut einem internen Papier zur Attraktivitätssteigerung des Dienstes sollen in Zukunft auch BewerberInnen mit „unterdurchschnittlicher“ Bildung oder „ohne Schulabschluss“ SoldatIn werden können. Diese Strategie hat seine Gründe: Zahlen des Bundeswehrverbandes belegen, dass bereits im ersten Monat der Dienstzeit - im August 2011 - etwa 13 Prozent der neuen SoldatInnen den Dienst quittiert haben. Der Bundeswehr fehlen die Leute und deswegen werden die Anforderungen an die Soldatinnen und Soldaten aufgeweicht. Das ist besonders skandalös, wenn man bedenkt, dass die Bundeswehr diese Menschen voraussichtlich in Kriegseinsätze schicken wird. Die Bundeswehr - auch als Arbeitgeberin - wird der Fürsorgepflicht für ihre Soldatinnen und Soldaten nicht gerecht. Die Bundeswehr im Klassenzimmer Jugendoffiziere - also junge SoldatInnen - der Bundeswehr sind bereits seit vielen Jahrzehnten in den Schulen aktiv. Sie haben die Aufgabe SchülerInnen und LehrerInnen über die Aktivitäten der Bundeswehr und über aktuelle sicherheitspolitische Herausforderungen der Bundeswehr zu informieren. Dies alles geschehe nach dem Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform“. Sie sollen zur politischen Bildung der SchülerInnen beitragen. Es gehe also nur um einen Austausch zwischen Bundeswehr und Gesellschaft, um eine für die Demokratie schädliche Sonderrolle der Streitkräfte angesichts der negativen Erfahrungen mit der Reichswehr aus den Zeiten der Weimarer Republik zu verhindern. Soweit die Theorie. Formal ist es den Jugendoffizieren strengstens verboten die SchülerInnen zu werben. Dieses so genannte Indoktrinationsverbot lässt sich jedoch leider nicht durchsetzen. Immerhin werben die Jugendoffiziere (zum Teil auch unfreiwillig) mit ihren Biografien und mit ihrem persönlichen Vorbildcharakter für den SoldatInnenberuf und damit für das Militär als Arbeitgeber. Das hat selbst der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hellmut Königshaus, in einem Interview mit dem NDR im Januar 2011 zugegeben. Auf die Frage, ob die Grenze zwischen informieren und werben nicht fließend seien, antwortete er: „Ja, das ist immer so, dass die Grenze zwischen informieren und werben nicht klar, oder je nach Standort jedenfalls zu definieren ist.“ Die SchülerInnen in den Abschlussklassen werden oftmals in einer Situation von den Jugendoffizieren aufgesucht, in der sie sich selbst über ihre eigene Berufs- und Zukunftsgestaltung im Unklaren sind. Während dieser Phase der Orientierung ist ein Angebot vom „Arbeitgeber Bundeswehr“ - häufig allzu einfach und verlockend. In Niedersachsen obliegt es der Verantwortung jeder einzelnen Schule vor Ort, ob sie die Bundeswehr in die Klassenzimmer lässt bzw. Gesuche annimmt. Dies versteht die Landesregierung unter „eigenverantwortlicher Schule“. Ebenfalls hat die Landesregierung darauf verzichtet, wie andere Bundesländer mit den Streitkräften eine so genannte Kooperationsvereinbarung zu schließen. In diesen Kooperationsvereinbarungen gibt es die Möglichkeit, Regeln für die Präsenz der Truppe in der Schule verpflichtend festzuschreiben. Aufgrund dieses unkoordinierten Wildwuchses ist es der Landesregierung auch deshalb nicht möglich, solide und umfassende Daten über die Präsenz der Bundeswehr an niedersächsischen Schulen zu liefern, wie Landtagsanfragen von Grünen und Linken beweisen. Im Hochschulbereich ist die Unübersichtlichkeit übrigens nicht weniger gering. Die LehrerInnengewerkschaft GEW „fürchtet den zunehmenden Einfluss der Bundeswehr auf die inhaltliche Gestaltung des Unterrichts und der LehrerInnenaus- und Fortbildung“, in NRW fordert das Bündnis „Schule ohne Bundeswehr“ von der rot-grünen Landesregierung die Aufhebung ihrer Kooperationsvereinbarung und die Arbeitsgemeinschaft Dienst für den Frieden e.V. verlangt Friedensbildung statt Bundeswehr in den Schulen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen solidarisieren sich mit dem Protest zahlreicher SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern gegen die steigende Präsenz des Militärs an unseren Schulen und rufen ihre Ortsgruppen dazu auf, gemeinsam mit den Beteiligten vor Ort den Protest zu organisieren. Auch wir fordern ein Verbot von Aktivitäten der Bundeswehr an allen Bildungs- und Erziehungseinrichtungen in Niedersachsen. Im Falle einer Regierungsbeteiligung nach der Landtagswahl in Niedersachsen 2013 wollen wir versuchen das Verbot der Bundeswehr in Niedersachsens Bildungs- und Erziehungseinrichtungen umzusetzen und diese Forderung wird auch Teil unseres Landtagswahlprogramms werden.