Alles andere als auf dem Holzweg 1909 | 2010 101 Jahre Lindner | 91 Jahre Schweizer Holzwolle Geschichten zum Centenarium | Lindner Verpackungen GmbH, Wattwil „Memoiren sind das Gegenteil einer Klarsichtpackung.“ David Frost Prolog | Auf Spurensuche Besser als mit diesem Spruch von David Frost kann man es nicht auf den Punkt bringen: Als wir uns auf Spurensuche machten, erwies sich bald einmal, dass einiges in der Lindner-Geschichte im Verborgenen liegt. Nicht etwa, weil Geheimbündlerisches oder sonstige, gewollte Verheimlichungen mit im Spiele gewesen wären. Nein, vielmehr stellte es sich heraus – wie das in den meisten Schweizer Familien der Fall ist –, dass bei den Lindners die Altvordern nie grosses Aufheben um ihre Person und ihre Leistungen gemacht haben. Das Leben war bisweilen hart, sehr hart mit ihnen umgegangen; Leben hiess somit oft – überleben. Da hielt man sich nie gross mit der eigenen Person und der eigenen Geschichte auf. Trotzdem ist es gelungen, ein Puzzle zusammenzufügen. Es fehlen zwar einige Teile, aber das tut den Leistungen, die von den vorangegangenen Generationen erbracht worden sind, keinen Abbruch. Tatsache ist: Die Firma Lindner besteht seit über einem Centennium und hat schwierige Zeiten überstanden, indem es ihr gelang, sich den Zeiten anzupassen und mit „bäumigen“ Leistungen (im wörtlichen und übertragenen Sinne) nicht nur zu überleben, sondern auch zu prosperieren. Unter „Anpassen“ verstehen wir heute Diversifizieren, Erneuern, Kooperieren – Erfolgsfaktoren, die für das Unternehmen entscheidend waren und immer noch entscheidend sind. Den Familienangehörigen und allen anderen Personen, die diese Geschichte nacherzählt und miterlebt haben, sei dafür bestens gedankt: allen voran Ruth JenniLindner, Verena Wildhaber-Lindner (Enkelinnen des Firmengründers) sowie Heinz Wildhaber (Ehemann von Verena). Ebenso jenen, die all die interessanten Schriften und Dokumente aus unterschiedlichsten Archiven zutage gefördert haben. Schriften, die lückenlos den Aufschwung des „bäumigen Goldes“, der Holzwolle, dokumentieren und somit die Lindner-Story auf attraktive Art und Weise ergänzen. Im Unterschied zur Lindner-Story ist die Chronik der Holzwolle chronologisch und fast lückenlos verbrieft. Marcus Plehn (Heidelberger Schriften zur Pharmazie- und Naturwissenschaftsgeschichte) sowie anderen Chronisten, die nirgends aufgeführt sind (das Internet kann sehr anonym sein), sei hierfür ebenfalls gedankt. Wattwil, Herbst 2009 Die Lindner-Story: Seit über 100 Jahren erfolgreich oder Alles andere als auf dem Holzweg Ort der Handlung Zeitspanne Handlungsstränge Hauptpersonen Lichtensteig und Wattwil im Toggenburg Mitte des 19. Jahrhunderts bis 2009 Geschichte des Unternehmens Geschichte der Holzwolle Firmengründer: Karl Friedrich Lindner (I) *8. Juli 1851, †30. August 1928, ursprünglich Deutscher, Bürger der USA, eingebürgert in Oberhelfenschwil im Jahre 1890 2. Generation: Friedrich Georg Lindner (II), Gründer *23. Dezember 1877, †29. Dezember 1930 Marie Elisa, geb. Zulauf, Ehefrau 3. Generation: Karl Friedrich Lindner (III), Betriebsnachfolger *12. September 1908, †03. März 1966 Emma, geb. Waltert, Ehefrau 4. Generation: Ruth Jenni-Lindner, Tochter von Lindner III und Betriebsnachfolgerin, GL Finanzen, pensioniert. Verena Wildhaber-Lindner, Tochter von Lindner III, Unterstützung GL, pensioniert. Heinz Wildhaber-Lindner, Ehemann von Verena Wildhaber, GL Technik, Eintritt 1967, pensioniert. 5. Generation / nichtbiologische Nachfolge: Thomas Wildberger, ab 1996 im Betrieb, seit 2007 Inhaber und Mehrheitsaktionär. Teil I „Wecke ein Bedürfnis und zeige, wie es mit Deinem Produkt befriedigt werden kann.“ Thomas Wildberger Geschichten zur Geschichte Lindner I, II und III – die Familienangehörigen erinnern sich Die Lindner-Geschichte ist von Beginn weg die Geschichte von Machern mit dem richtigen Augenmass für den Markt. Zwar lässt sich der Zeitpunkt der eigentlichen Geschäftsgründung nicht ganz genau definieren, er dürfte jedoch ums Jahr 1909 oder noch früher liegen. Wie die Familie Lindner ins Toggenburg gekommen ist, darüber gibt es wenig Schriftliches. Lindner I kam jedenfalls aus Amerika. Ruth Jenni weiss: „Es gibt eine Taufurkunde der deutschen Kirche zu Philadelphia aus dem Jahr 1874. Der Urgrossvater hat, wie mein Vater, gern getüftelt. Er hatte ein Geschäft nach dem anderen. Hat immer etwas angefangen, und wenn die Sache lief, hat er das Interesse daran verloren. Dann ging es von Neuem – mit etwas anderem – erneut los. Für die Urgrossmutter muss das schwierig gewesen sein.“ Dennoch muss er offenbar ein regelmässiges Einkommen gehabt haben. Ruth Jenni weiter: „In Lichtensteig gab es früher zwei Hotels, die ,Krone‘ und das ,Rössli‘. Ein Grossonkel hatte die ,Krone‘, mein Grossvater das ,Rössli‘. Daneben war er aber auch in anderen Bereichen geschäftlich tätig. Er hatte auch eine Camionnage, ein Transportgeschäft. 1910 wurde der Wasserfluh-Tunnel eingeweiht. Mein Grossvater (Lindner II) hat die Arbeits-Lokomotive sechsspännig über die Wasserfluh transportiert. Das ist auf einem alten Foto zu sehen. Auch betätigte er sich als Anthrazit- und Brennholzhändler.“ Kohle, Holz, Holzwolle Das Transportgeschäft und der Kohlehandel waren sichere Werte. Fest steht, dass im Jahre 1919 ein drittes Standbein hinzukam: Die Produktion von Holzwolle. Der umtriebige Lindner II produzierte anfänglich Holzwolle als Packfüllmaterial und für Meliorationen. Eigentlich war nicht ausgemacht, dass Lindner III in die Fussstapfen von Lindner II treten sollte. Ruth Jenni: „In den dreissiger Jahren sagte mein Grossvater (Lindner II) zu meinem Vater (Lindner III): ,Komm’ nicht ins Geschäft!‘ Dies sagte er auf Grund der wirtschaftlich schwierigen dreissiger Jahre. Mein Vater hat daher Textiltechniker an der Textilfachschule in Wattwil gelernt. Anschliessend arbeitete er zunächst in der Maschinenfabrik Rüti, dann bei Saurer. Leider erkrankte dann mein Grossvater. Er hatte einen Knaben aus dem kalten Zürichsee vor dem Ertrinken gerettet und sich dann selber eine Lungenentzündung zugezogen, da er in nassen Kleidern mit dem Fuhrwerk nach Hause gefahren war. Das war der Anfang vom Ende; er erholte sich nie richtig von dieser Erkältung. Vermutlich litt er auch an MS (Multiple Sklerose); denn er fiel ständig hin. So führte meine Grossmutter (Marie Elisa Lindner-Zulauf) von 1930 bis 1940 das Geschäft weiter. Und mein Vater hielt vorerst den Maschinensaal an den Wochenenden und in seiner übrigen Freizeit in Schuss.“ Zahlen auf Zeitungsrändern Ruth Jennis Vater, Lindner III, stieg schliesslich 1940 ins väterliche Geschäft ein, mit Unterstützung seiner Ehefrau Emma, die für das Kaufmännische zuständig war. Verena Wildhaber beschreibt ihn wie folgt: „Mein Vater hat immer auf alle Zeitungsränder geschrieben; hatte immer etwas im Kopf, plante, rechnete – überall Zahlen, Zahlen…Er hat immer etwas vorgehabt. Er war glücklich, wenn er etwas planen und tüfteln konnte.“ Der Zweite Weltkrieg brachte auch bei Lindners eine einschneidende Zäsur. Ruth Jenni: „Während des Zweiten Weltkriegs beschäftigte das Unternehmen einen Mitarbeiter, denn mein Vater wurde immer wieder eingezogen. Zudem war das Holz kontingentiert, die Beschaffung entsprechend schwierig, und der Staat schrieb sogar die Preise für die Holzwolle vor.“ Auch die fünfziger Jahre erforderten die Mithilfe aller Familienmitglieder. Als Kind gingen die beiden Mädchen Ruth und Verena mit dem Leiterwagen zur Bahn und brachten die Kleinmengen und eiligen Sachen zum Transport per Bahn auf die Station. Der Vater, Lindner III, hatte ihnen eigens dafür dieses Leiterwägeli mit Gummi-rädchen gekauft. Ruth Jenni berichtet: „Ich entsinne mich auch an die Seile aus Holzwolle, die hergestellt worden sind. Wir schauten als Kinder gerne zu im Betrieb, und ich erinnere mich noch gut an eine Frau, die Holzwolle spann, sowie an einen Mitarbeiter, der gehobelt, und an einen anderen, der gepresst hat. Vater hat manchmal nächtelang Messer geschliffen, tagsüber Kunden besucht. Das war das Leben, die Arbeit. Nebenbei hat man nicht viel anderes gemacht.“ Das Geschäft floriert – ein Umzug drängt sich auf Trotz des schwierigen wirtschaftlichen Umfelds prosperierte der Betrieb. Bald einmal wurde der erste Firmenstandort in Lichtensteig zu eng. Heinz Wildhaber: „Nebst akutem Platzmangel erwies sich auch der Lagerplatz als nicht ideal.“ Schliesslich bot sich 1956 die Möglichkeit, in Wattwil eine Sägerei mit Umschwung zu erwerben. Lindner III entschloss sich, die Firma neu mit doppelter Kapazität dort anzusiedeln. Bald wurde die Kapazität in Wattwil nochmals verdoppelt und die Sägerei stillgelegt. Qualität war immer ein zentrales Geschäftsanliegen von Lindner III. Die technische Entwicklung ermöglichte hier verschiedene Verbesserungen. Weitsichtig war auch der bereits in den sechziger Jahren erfolgte innerbetriebliche Einsatz von Elektrofahrzeugen zu Transportzwecken. Lindner III war sehr innovativ und verstand es, diverse technische Neuerungen geschickt in seinen Betrieb einzubauen. So wurde bereits ab 1956 die Holzwolle maschinell geschüttelt. Dadurch konnten die kurzen Fasern ausgeschieden werden, das erhöhte die Qualität der Holzwolle. Anschliessend wurde die Holzwolle mit einem Zyklon entstaubt. 1962 entwickelte Lindner III ein neues, bis heute einzigartig gebliebenes (und geheimgehaltenes) Messersystem. Dieses ermöglicht – auch heute noch – die Herstellung spiessenfreier Holzwolle. Ein grosser Wettbewerbsvorteil, von der Konkurrenz unerreicht! Heinz Wildhaber: „Nur so viel sei verraten: Wir sind dadurch in der Lage, Holzwolle in einer Feinheit von 0,05 mm bis hin zu einer Dicke von 0,25 mm zu produzieren.“ Holz wird knapp Heinz Wildhaber: „Wir haben auch Zeiten erlebt, in denen man kaum Holz hatte. Auch mussten wir das Holz selber aus dem Lastwagen holen. Das bedeutete zwei Stunden Schwerstarbeit, bis ausgeladen war.“ Aber auch der damals herrschenden Holzknappheit begegnete Linder III auf innovative Weise. Er setzte – auch das eine Exklusivität des Unternehmens – nebst Fichten- auch Föhrenholz ein. Fichtenholz war eine Zeitlang kaum mehr erhältlich, die Papierfabrikation hatte Vorrang. Not machte jedoch den Wattwiler Unternehmer erst recht erfinderisch, und so kam er auf den Gedanken, Föhrenholz zu benutzen. Ruth Jenni: „Es ging dann kontinuierlich weiter aufwärts, sodass wir bald einmal ein gutes Dutzend Mitarbeiter beschäftigen konnten. Brown Boveri, Benninger, Saurer, Bühler, Rieter, Sulzer, Doetsch Grether, Galenica – so lauteten die wohlklingenden Namen auf unserer Kundenliste. Kunden, die ihre wertvollen Güter mit Holzwolle für den Transport schützten.“ Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der Holzwolle sind damit bereits in den frühen Jahren des Unternehmens belegt. Zeitenwende im Verpackungsbereich 1966 starb Lindner III. Schwiegersohn Heinz Wildhaber kam in den Betrieb. Er hatte wie Lindner III ebenfalls Textiltechniker studiert. Das Verpacken mit Holzwolle geht auf Anfang der siebziger Jahre zurück; der Bahnund Schiffversand wurde weitgehend durch Lastwagentransporte ersetzt. Eine Zeitenwende brach an: Motoren wurden auf Paletten festgeschraubt und nicht mehr in Kisten mit Holzwolle verpackt. Und in den achtziger Jahren wurde das Verpacken mit Polystyrol-Chips aktuell und machte dem bisherigen Packstoff Holzwolle bös Konkurrenz. Chips erlaubten im Gegensatz zur Holzwolle auch maschinelles Verpacken mit Abfüllanlagen... Was tun? „So begannen wir 1979 ebenfalls mit Kunststoff, mit der Produktion von Polystyrol-Chips als Füllmaterial“, erinnert sich Heinz Wildhaber, „nachdem wir zunächst nur damit gehandelt hatten. Und wir haben Glück gehabt: Lindner erhielt in dieser schwierigen Zeit von Hoechst das exklusive Herstellungs- und Vertriebsrecht der Kunststoff-Chips für den Schweizer Markt. Bei der Herstellung von Chips hatten wir in der Folge immer zu wenig Kapazitäten. Wir hatten Kunden, die wir deswegen nicht bedienen konnten, obschon selbst an Samstagen die Anlage nicht stillstand. 1989 nahmen wir die modernste Chips-Anlage Europas in Betrieb. Das erregte Aufsehen: Shell kam mit Kunden aus Kanada und Skandinavien vorbei, um die Anlage zu besichtigen.“ Es brennt! 1969 schlug ein Blitz in einen Lagerschopf ein. 200 Ster Holz verbrannten... Vorreiterrolle in Sachen Umwelt Heute wie damals wird das Granulat immer noch mit Dampf geschäumt. Die Granulate bestehen zum Teil aus Rezyklat, das Treibgas ist FCKW-frei. Im Kreislauf integriert war schon damals (und ist es noch heute) die Wärmerückgewinnung. Linder hat also schon lange vor dem derzeitigen Öko-Boom gezielt auf eine nachhaltige Nutzung von Energien und Rohstoffen gesetzt. Auch die Chips sind umweltfreundlich und werden unter anderem auch als Drainage-Material eingesetzt, ein biologisch neutrales Produkt, das beim Entsorgen eine gute Energieverwertung gewährt. Und immer wieder: neue Produktideen Für die Nutzung der Holzwolle suchten und fanden die Lindners immer wieder neue Geschäftsfelder. Beispiele: Früher gingen die Leute in die Maschinenfabriken und fragten nach Holzwolle, die sie für den Gebrauch im Garten als sog. Erdbeerwolle zum Schutz vor Schneckenbefall einsetzten. Als die Maschinenfabriken fast keine Holzwolle mehr benutzten, begann Wildhaber Kleinballen anzubieten – die Erdbeerwolle war als eigentliches Markenprodukt geboren. Aber auch Ölwehrschläuche waren ein Thema. Alle Gemeinden des Kantons wurden damit ausgerüstet, auch im Thurgau, vor allem in den Seegemeinden. Die Ölwehrschläuche waren kostengünstig und praktisch, wiesen sie doch bessere physikalische Eigenschaften auf als die sogenannten Öl-Schürzen. Einziger Holzwolleproduzent der Schweiz Die Geschichte hat es gezeigt: Immer wieder musste sich Lindner an die Gegebenheiten des Marktes anpassen und sich nach der Decke strecken. Immer aber wurde in den angestammten Bereich der Holzwolle investiert. So wurden die Maschinen zum Beispiel mit Pneumatik ausgerüstet, damit die Mitarbeiter es einfacher hatten. „Wir sind auch die einzigen gewesen, die bereits 1972 eine vollautomatische Presse anschafften“, sagt Heinz Wildhaber – nicht ohne Stolz. Die Investitionen lohnten sich jedenfalls. Der technisch immer auf dem modernsten Stand gehaltene Maschinenpark sicherte das Überleben. Lindner ist heute der einzige Holzwolle-Produzent in der Schweiz. Schäumen und träumen Anfang der neunziger Jahre begannen sich die Marktbedingungen bei den Chips drastisch zu verändern. 1991 gelangte der deutsche Umweltminister Klaus Töpfer ans Ruder; es traten zahlreiche neue Vorschriften mit hohen Folgekosten in Kraft. „Und in der Schweiz kam die Abfallgebühr pro Container“, erinnert sich Heinz Wildhaber, „das hat zu hohen Zusatzkosten geführt. Auch begann die Industrie, die Chips mehrfach zu gebrauchen, was wiederum zu einem Einbruch führte.“ Daher ergaben sich grössere Schwankungen im Absatz der Chips. „Wir waren sehr froh, dass wir auf zwei Beinen standen, Holzwolle und Kunststoffchips. Wenn die Holzwolle mal nicht lief, liefen die Chips und umgekehrt. Als drittes Bein bauten wir dann Mitte der neunziger Jahre – mit Thomas Wildberger – den Handel mit Zünd- und Packhilfsmitteln aus.“ Nachfolgeregelung? Ein „Freier“ stellt sich ein... Es gab oder gibt keine „biologischen“ Nachfolger. Sorgen hat man sich deswegen keine gemacht, kaum darüber nachgedacht. Geplant sei die Übergabe an einen Aussenstehenden nicht gewesen, sagt Heinz Wildhaber. Der Zufall wollte es anders: Heinz Wildhaber lernte Thomas Wildberger bei einem Firmenbesuch kennen. Wildberger arbeitete im Papier- und Verpackungsgrosshandel. Als Marketingleiter war er auf der Suche nach neuen Lösungen. „Nach einer Betriebsbesichtigung in Wattwil – die ihn beeindruckt haben muss – rief Wildberger Wildhaber an und teilte ihm mit, er wäre interessiert, sich am Betrieb zu beteiligen und diesen später gar zu übernehmen. Er hielt quasi um die Hand an... Und so geschah es. „Fast wie im Märchen. Ein Nachfolger war gefunden. Die Chemie stimmte, wir ergänzten uns optimal. Thomas war zuständig für das Marketing, ein Defizit, das wir bis dato hatten, Ruth Jenni war zuständig für die Administration und ich für die Technik“, schildert Heinz Wildhaber die „wilde Ehe“ mit Thomas Wildberger. Nomen est omen... Die Jahrtausendwende – Relaunch der Holzwolle – neue Märkte Thomas Wildberger war von Beginn an von der Qualität der Lindner-Holzwolle begeistert. „Ich habe die Holzwolle, die Lindner produziert, genau studiert und sagte mir: Die machen einen Rolls-Royce – und keiner weiss es.“ Als gewiefter Marketingmann fasste er sofort neue Märkte ins Auge. Heinz Wildhaber gab sich eher zurückhaltend. Als Thomas Wildberger ihm sagte, dass er die Holzwolle exportieren wolle, sagte er: „Das klappt nie! Die Ausländer konnten viel billiger produzieren als wir.“ Das Gegenteil war der Fall. „Heute liefern wir sogar in Tiefpreisländer, weil wir Qualität produzieren. Was geholfen hat, ist auch der Ökologiegedanke und die Nachhaltigkeit der Produkte, die überall an Bedeutung gewinnt“, sagt Thomas Wildberger. So kommt es, dass Lindner-Holzwolle heute in 17 Länder exportiert wird. Weitere Produktinnovationen aus Holzwolle – die Anzündhilfen „251°“ und „Flamtastic“ – folgten. Und laufend bosselt das Unternehme an neuen Produktideen herum und folgt damit einer alten Lindnerschen Tradition: dem Tüfteln. The proof of the pudding is in the eating: Kurz vor der Marktreife steht ein funktionelles WellnessKissen mit Holzwolle aus speziell geschlagenem Mondphasenholz. Gleichzeitig wird an einer Spezialeinstreu für Nutztiere gearbeitet; denn Lindner-Holzwolle – nur Lindner-Holzwolle – ist staubarm, antiseptisch, hygienisch und zu hundert Prozent naturbelassen. Was drauf steht, muss drin sein „Wir haben nie auf kurzfristigen Erfolg gesetzt, sondern immer den langfristigen Erfolg im Auge behalten“, sagt Heinz Wildhaber. Das heisst im Klartext: Zentral waren und sind bei allen Lindner-Produkten – und auch bei den geplanten Innovationen – zwei Aspekte. Der Kundenwunsch und ein hoher Qualitätsanspruch. Thomas Wildberger: „Wir sind kein Warenhaus, wir führen nur Artikel, die in unsere Kompetenzfelder passen; alles andere führen wir nicht. Wir verkaufen nur Dinge, über die wir auch wirklich fundiert Bescheid wissen. Es gibt keine Firma, die alles kann.“ Teil II „Erfolgreiche Organisationen haben eins gemeinsam: Sie konzentrieren sich in erster Linie auf ihre Kunden.“ Kenneth Blanchard Innovationen kommen und gehen, das Echte bleibt Der „nichtbiologische“ Nachfolger äussert sich Weshalb kommen die Kunden zu Lindner? Welches sind die Erfolgsfaktoren eines Kleinunternehmens wie Lindner? Thomas Wildberger, der „nichtbiologische“ Nachfolger und heute Inhaber der Lindner GmbH, nimmt zu diesen zentralen Fragen gerne Stellung: „Unsere Kunden fragen sogar noch viel direkter, oft ganz unverblümt: ,Könnt ihr denn die versprochenen Leistungen überhaupt einhalten? Seid ihr morgen noch am Markt?’ Nun, es gibt uns seit über 100 Jahren, diese Frage lässt sich somit gut entkräften. Das ist das eine. Andererseits müssen jedoch die vier grundlegenden P des Marketing ebenfalls stimmen, müssen laufend überdacht und angepasst werden, wenn man Erfolg haben will: Price, Product, Placement, Promotion. Heute ist es entscheidend für den Einkäufer, dass seine Lieferanten verlässlich sind. Daraus ergibt sich unsere Produkt-strategie und damit verbunden die entsprechende Kommunikation. Die Fragen, die mich immer wieder umtreiben, sind: ,Wie agieren wir? Wie bringen wir alles unter einen Hut?’ Als Kleinunternehmen dürfen wir uns – bei aller Produktvielfalt – nicht verzetteln.“ Thomas Wildberger war 15 Jahre im Produktmanagement eines Handelsunternehmens im Bereich Verpacken tätig, zudem in verschiedenen Kommissionen und Ausschüssen. Im Rahmen dieser Tätigkeit hat er Heinz Wildhaber kennen und schätzen gelernt. Dieser (Wildhaber) erwähnte ihm (Wildberger) gegenüber beiläufig, dass er sich gelegentlich Gedanken über eine Nachfolgeregelung mache, aber keinen internen Nachfolger habe. „Auf Grund dieser Aussage bin ich nach Wattwil gereist und habe mir den Betrieb etwas genauer angeschaut. Ich sah, dass Lindner ,RollsRoyce‘ produziert. Nur Insider wussten dies. Diese Ausgangslage war spannend, und so bemühte ich mich darum, diesen Betrieb und damit die Nachfolge zu übernehmen. Der Rest ist Geschichte, siehe erster Teil“, erzählt Wildberger mit dem ihm eigenen Understatement. Nach seinem Eintritt im Jahre 1996 stellte er – zusammen mit Heinz Wildhaber und Ruth Jenni – den Verpackungshandel auf die Beine. „Wir wollten ein tiefes, aber nicht zu breites Sortiment mit hochwertigen Produkten. Der Kunde sollte merken – und das ist bis heute so geblieben –, dass wir etwas von der Chose verstehen. Wir verkaufen nur Produkte, die wir als Hersteller selbst einsetzen würden.“ Gleichzeitig, im Jahr 1996, lancierte Lindner das Geschäft mit den vorgereckten Folien. Diese waren damals brandneu, weltweit. „Wir konnten die Vertretung eines Produzenten übernehmen und den Markt entwickeln. Trotz aller Unkenrufe – es gab Stimmen, die uns nicht gut wollten – gelang es uns, dieses Produkt erfolgreich in den Markt zu drücken. Resultat: Es gehört heute noch zum guten Ton, dass man ,vorgereckt‘ arbeitet. Wir sind die Ersten gewesen; gegen alle Widerstände haben wir im Bereich Stretchfolien reüssiert, sehr gut sogar.“ Im Rahmen einer Strategieentwicklung hat Wildberger 1996 das Holzwolle-Geschäft durchleuchtet und kam zum Schluss, dass Kunststoff auf Grund des steigenden Umweltbewusstseins nicht eine Lösung für alle und alles sein würde. „So entschieden wir uns, die guten Produkte, die wir hatten, weiter zu entwickeln. Im Marketingjargon würde man wohl von einer Line extension sprechen.“ Erfolgreiche Strategie Diese Strategie erwies sich als erfolgreich. Mit dem einsetzenden, steigenden Umweltbewusstein verbuchten die Produktbereiche Euterwolle, biologische Packhilfsmittel, Dekoration und Spedition laufend Zuwachsraten, zum Teil im zweistelligen Prozentbereich. „Der Export ins Ausland war dann die logische Folge der gestiegenen Nachfrage. Trotz des vergleichsweise hohen Preises überzeugte die Qualität unserer Holzwolle auch im Ausland. Wir liefern konstant hohe Qualität, der Kunde erhält absolut naturbelassene, spiessenfreie, reine Holzwolle“, begründet Wildberger den Erfolg dieses Geschäftszweigs. Im Verpackungssektor mit Kunststoffchips und Folien gelang es ebenfalls, zusätzliche Marktanteile zu gewinnen. „Wir konnten den Bereich Chips ausbauen. Heute sind wir die Nummer eins auf dem Schweizer Markt. Alle Betriebe, die nicht mehr mitmischen wollten oder konnten, wurden von uns übernommen. Genau nach dem Schema, nach dem Lindner seinerzeit die Kunden der Wettbewerber, die ihre HolzwollenProduktion aufgegeben hatten, übernehmen konnte.“ Die Kunden wollen von Lindner durchdachte Lösungen – Kioskware gebe es zuhauf auf dem Markt, sagt Wildberger. Mittlerweile ist es den Wattwilern gelungen, ein Netz von Herstellern aufzubauen, „die verstehen, wie der Schweizer Markt tickt. Wir sind in der Lage, Spezialitäten auch in kleinsten Mengen anzubieten. Ob gross oder klein, alle Kunden werden gleich behandelt. 1996 entschieden wir uns, ohne Aussendienst auszukommen. Wir besuchen die Kunden nur auf deren Wunsch. Dieses Konzept hat sich bis heute bewährt, wir wollen keine Händeschüttler sein, wir sind Berater.“ Wildberger ergänzt: „Da wir rund 1200 Tonnen im Jahr produzieren, die wir mittlerweile in 17 Länder exportieren, braucht es einerseits ein facettenreiches Marketing. Allein im Bereich Holzwolle sind wir in mehreren Märkten zu Hause, von Agrar bis Lifestyle. Der Einsatz der Holzwolle als Anzünder führte beispielsweise dazu, dass über das BBQ, das Grillieren, ein neues Segment erobert werden konnte. Wir machen nur, was wir auch verstehen. Von Anbeginn an haben wir uns mit Spezialisten umgeben, sei es für die IT, das Verpackungs-Design oder Technik und Logistik. Viele Leute arbeiten mit uns zusammen, Tierärzte, ETH-Studenten, Ökound Gesundheitsspezialisten, Designer, Verpackungsspezialisten etc. Den Dekorationsbereich für den Ostersektor haben wir beispielsweise an eine Behindertenwerkstatt ausgelagert. Dort arbeiten über zwölf Leute jahrein, jahraus für uns. Wir selber beschäftigen seit Jahren ebenfalls immer um die zwölf festangestellte Mitarbeitende.“ Qualität steht bei Lindner im Zentrum. Deshalb werden auch die Maschinen laufend revidiert und auf neuesten Stand gebracht. Ausgeprägtes Umweltbewusstsein ist seit jeher (siehe Teil I) ein Thema. So wurde jüngst die alte Heizung durch ein Fernwärmekonzept ersetzt, und die interne Logistik funktioniert mit elektrisch angetriebenen Kleingefährten. Wildberger abschliessend: „Keiner kann garantieren, dass wir 200 Jahre alt werden, aber wichtig ist, dass die Firma als Ganzes funktioniert. Es ist nicht meine Person, die im Vordergrund steht, es ist das ganze Team. Lindner ist solide finanziert. Diverse Produkte und Dienstleistungen sind im Entstehen. Die guten, langjährigen Kundenbeziehungen bilden vor allem auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten eine solide Basis für die Zukunft.“