Kriselnde Stahlbranche Unmöglichster Job Umkämpftes Land IG Metall kuschelt bei Protesttag mit den Konzernen. Seite 2 Wer folgt Ban Ki Moon als Generalsekretär der Vereinten Nationen? Seite 8 Kleinbauern machen global für ihre Rechte mobil. Seite 10 Foto: 123rf/Milosh Kojadinovich Grafik: albamovimentos.org Dienstag, 12. April 2016 71. Jahrgang/Nr. 85 STANDPUNKT Der Erste Hier könnte Ihr Stereotyp stehen Regina Stötzel begrüßt die Debatte über Sexismus in der Werbung Vor 55 Jahren begann ein neues Zeitalter Es ist nicht so, als würde sich gar nichts ändern in der Werbung: Frauen sorgen sich nicht mehr ausschließlich um saubere Hosen für die kleinen Racker, guten Kaffee für die Familie und ihr Aussehen. Nein, manche gehen sogar arbeiten! Trotzdem könnte man nach wie vor meinen, es gäbe eigentlich nur Rama-Familien, schöne, gesunde, weiße und heterosexuelle Menschen und insbesondere Frauen mit Traummaßen. Wer der Norm nicht entspricht, dient als Witzfigur, Exot oder abschreckendes Beispiel (»Papa, wenn ich groß bin, will ich auch Spießer werden«). Das alles wird ein erweitertes »Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb« nicht ändern. Um möglichst große Käuferschichten anzusprechen, muss ein möglichst großer Konsens vorgegaukelt werden. Zweifelsohne wird es schwierig, ein solches Gesetz durchzusetzen und die Grenzen sexistischer Werbung zu definieren. Ein Konsens zwischen jenen, die es schon als Erfolg verkaufen, wenn sich nicht mehr auf jeder Motorhaube eine nackte Frau räkelt, und jenen, die Nacktheit und Sexualität per se schon für Sexismus halten, ist ohnehin nicht möglich. »Bikinifiguren« werden weiterhin die Werbung dominieren und die Geschlechterbilder nicht wesentlich weniger stereotyp ausfallen, wenn auch mal ein Mann den Hosenknopf nicht zu kriegt. Und mit der Kölner Silvesternacht hat das alles nur vermittelt zu tun. Aber das ist erst mal egal. Hauptsache, die Debatte kommt ordentlich in Schwung. Berlin. Es gibt Premieren. Und es gibt Ereignisse, die ändern die Welt. Oder: den Weltraum. Am 12. April 1961 kurz nach neun Uhr startete Mission Wostok 1 vom damals sowjetischen Baikonur, an Bord Juri Gagarin – wenig später war er der erste Mensch in einer Erdumlaufbahn. 55 Jahre später haben Fans dem Kosmonauten in der Region Ryazan südlich von Moskau eine Ehrung zuteil werden lassen, die der Dimension dieses Schrittes der Menschheit Richtung Sterne angemessen erscheint: Sie würdigten Gagarin mit dessen Konterfei auf einem zugefrorenen See in Überlebensgröße. Wie an »den Ersten« noch heute in den Staaten der früheren Sowjetunion mit Straßennamen, Denkmälern und Wandbildern erinnert wird, hat der Fotograf Alexandre Sladkevich dokumentiert – wie hier links im russischen Murmansk. Weitere Fotos finden Sie auf Seite 3. Wen beim Anblick dieser Fotos selbst der Wunsch übermannt, ins Weltall zu reisen, dem sei die jüngste Nachricht von der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos hier nicht vorenthalten: Man erwäge, sagt deren Chef Igor Komarow, auf der Raumstation ISS das Angebot für Touristen zu erweitern – wenn die Nachfrage stimme, könnten für reiche Kunden dort dann auch spezielle Hotel-Segmente um die Erde kreisen. Diese werden jedenfalls geräumiger sein als der Platz, den Gagarin in Wostok 1 zur Verfügung hatte. Und die Reisen werden auch länger dauern als jene 1 Stunde und 46 Minuten von 1961. So wie damals aber wird keiner dieser neuen Touristenflüge ins All die Welt noch einmal verändern. tos Seite 3 Foto: Alexandre Sladkevich UNTEN LINKS Wer bisher noch Zweifel am Sinn und an der Berechtigung von Ein-Euro-Jobs hegte, für den hat jetzt die bayerische Sozialministerin Emilia Müller die ultimative Aufklärung geliefert. Solche Allerbilligst-Arbeitsgelegenheiten seien eine Möglichkeit für Asylbewerber, sich mit den Gepflogenheiten der deutschen Arbeitswelt vertraut zu machen. Genau so ist es: Flüchtlinge, die sich hier ein besseres Leben erhoffen, lernen gleich mal, dass man in der deutschen Arbeitswelt zu Beinaheumsonst-Jobs gezwungen werden kann. Und dass man sich nicht wehren kann, wenn man auf der sozialen Leiter ganz unten steht. Wer das ablehnt, dem müssen laut Müller die Leistungen gekürzt werden – die sich für Asylbewerber auf minimalem Niveau bewegen. Solche Sanktionen seien »wichtig, um die soziale Balance in der gesamtgesellschaftlichen Akzeptanz zu erhalten«. Auf gut Bayerisch: Der Staat demonstriert den Deutschen, dass sich der Flüchtling nicht alles erlauben darf. Am besten gar nichts. wh ISSN 0323-3375 Ver.di macht Druck auf Orangensaftindustrie Deutsche Handelsketten sollen sich für bessere Arbeitsbedingungen brasilianischer Pflücker einsetzen Mehr als die Hälfte des hierzulande getrunkenen Orangensaftes kommt aus Brasilien. Die dortigen Pflücker erhalten maximal 250 Euro Lohn im Monat. Von Simon Poelchau Diese Woche bekommen die Geschäftsführungen der Lebensmittelketten Rewe und Kaufland Besuch von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und Kollegen aus der brasilianischen Orangensaftindustrie. »Wir wollen, dass die Unternehmen Druck auf die Hersteller machen, damit diese die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten eindeutig verbessern«, erklärte ver.di-Vorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger am Montag in Berlin. Denn diese arbeiteten unter schlechtesten Bedingungen, damit der Orangensaft hierzulande billig ist. Was Nutzenberger zusammen mit den brasilianischen Gewerkschaftern und der Christlichen Initiative Romero (CIR) fordert, sind menschenwürdige Arbeitsbedingungen sowie transparente und existenzsichernde Löhne für die Orangenpflücker und Beschäftigten in den Saftfabriken. »Dies ist in Brasilien keine Selbstverständlichkeit«, so Nutzenberger. Im Gegensatz zur Textilbranche, die von vielen Subunternehmen geprägt ist, ist das Geschäft mit den flüssigen Vitaminen ein hochkonzentrierter Markt. Über die Hälfte des weltweit konsumierten Saftes wird im brasilianischen Bundesstaat Sao Paulo produziert. Das Geschäft dort teilen sich die drei Multis Cutrale, Citrosuco und Louis Dreyfus. Sie verarbeiten den Saft meist zu Konzentrat, weil dies die Transportkosten nach Europa erheblich reduziert. Zwei Drittel des Saftes werden in die EU exportiert. Deutschland ist mit 17 Prozent der größte Abnehmer. Hier kommt der Orangensaft vornehmlich über die großen Einzelhandelsketten an den Endverbraucher. Die Handelsketten erhalten knapp ein Viertel des Endpreises, die Hersteller, die in Europa aus dem Konzentrat wieder Saft machen, bekommen 30 Prozent. In Brasilien kommt nur ein Viertel des Kaufpreises an. Der Lohn der Arbeiter macht lediglich vier bis sieben Prozent aus. Bereits vor knapp drei Jahren haben ver.di und CIR gemeinsam eine Studie über die Arbeitsbedingungen in der brasilianischen Orangenbranche erstellt. Im Sommer 2015 folgte die Nach- folgestudie »Ausgepresst: Hinter den Kulissen der Orangensaftindustrie«. Demnach hat sich »leider noch nicht viel getan«, wie Sandra Dusch von CIR erzählte. Umgerechnet rund 200 bis 250 Euro verdient ein brasilianischer Pflücker im Monat. »Das ist auch »Wir wollen, dass die Unternehmen Druck auf die Hersteller machen« Stefanie Nutzenberger, ver.di in Brasilien nicht genug zum Überleben«, berichtet Joao de Oliveira von der brasilianischen Nahrungsmittelgewerkschaft. Und dafür müsse man fast 1,5 Tonnen Orangen am Tag ernten. Denn die Pflücker erhalten ihren Lohn je nach dem Gewicht der gesammelten Orangen. Dabei sei der Prozess des Wiegens und der Berechnung des daraus resultierenden Lohns in der Regel völlig intransparent, beklagen die Gewerkschafter. Zudem seien überlange Arbeitstage von zwölf Stunden ohne Pause keine Seltenheit. Vor allem aber gehöre Brasilien »zu den Weltmeistern beim Pestizidverbrauch«, so Dusch. Die Pflücker erhielten jedoch weder eine angemessene Anweisung zum Umgang mit den Giften noch individuelle Schutzkleidung. So sind seit 2007 die Arbeitsunfälle im Zusammenhang mit Pestiziden um 67 Prozent angestiegen – ebenso die Zahl der gemeldeten Todesfälle von 132 auf 206. »Die Dunkelziffern sollen noch weitaus höher sein«, heißt es in der Studie »Ausgepresst«. Was den brasilianischen Orangensaft für den moralischen Konsumenten hierzulande noch ungenießbarer macht: Angestellt werden die Pflücker meist nicht direkt von den Plantagenbesitzern, sondern von sogenannten Lidern – Arbeitsvermittlern. Diesen Lidern müssen die Arbeiter von ihrem kargen Lohn Geld für Transport, Unterkunft und Verpflegung abtreten. Eigentlich sind solche sklavenähnlichen Bedingungen laut brasilianischem Gesetz verboten. Doch verfolgt wird dies nur selten, da den Behörden die Mittel dazu fehlen. Falls doch, zahlten die Firmen lieber Strafen, statt grundsätzlich etwas zu ändern, erzählen die brasilianischen Gewerkschafter. Bundesausgabe 1,70 € www.neues-deutschland.de Maas für Werbung ohne Sexismus Justizminister will ein »modernes Geschlechterbild« fördern Berlin. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) plant ein Gesetz gegen geschlechterdiskriminierende Werbung in Deutschland. Wie der »Spiegel« berichtet, seien Veränderungen am »Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb« vorgesehen. Künftig sollen Werbeanzeigen verboten werden, die Nacktheit in den Vordergrund stellen und Personen auf ihre Sexualität reduzieren. Das Bundeskabinett werde demnächst über den Gesetzentwurf beraten. Mit dem Vorschlag folgt Maas einem Beschluss des SPD-Parteivorstands vom Januar, wonach sich die Partei für ein »modernes Geschlechterbild« einsetzen wolle. Für den Entwurf ließ sich der Justizminister auch von Frauenrechtlerinnen der Initiative »Pinkstinks« beraten, die bereits seit Jahren für ein Gesetz gegen Sexismus in der Werbung kämpfen. Bei der Werbeindustrie stieß die geplante Reform erwartungsgemäß auf Ablehnung. Der Deutsche Dialogmarketing Verband (DDV) warnte, Maas wolle »gut funktionierende Marktmechanismen« untergraben. nd Seite 5 5835 Minderjährige verschwunden Grüne: Flüchtlingskinder können Opfer von Menschenhändlern werden Berlin. Im vergangenen Jahr sind in Deutschland einem Bericht zufolge 5835 minderjährige Flüchtlinge verschwunden. 555 von ihnen seien jünger als 14 Jahre, schrieben die Zeitungen der Funke Mediengruppe unter Berufung auf eine Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Parlamentsanfrage. 2171 als vermisst gemeldete junge Schutzsuchende seien wieder aufgetaucht. Gründe für das Verschwinden könne das Bundesinnenministerium nicht nennen. »Die vermissten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge kommen überwiegend aus Afghanistan, Syrien, Eritrea, Marokko und Algerien«, heiße es in der Antwort weiter. Luise Amtsberg (Grüne) warnte davor, dass die Kinder Opfer von Menschenhändlern werden könnten. Es bereite ihr Sorgen, dass die Bundesregierung »die Gefahren durch Zwangsprostitution und Ausbeutung nicht ernsthaft in Betracht zieht«, erklärte sie. Dass die hohe Zahl der Verschwunden die Bundesregierung nicht in Alarmbereitschaft versetze, sei traurig. epd/nd Keine Lösung zu Vorstandsboni VW-Vorstandschef Müller für Reduzierung um ein Drittel Wolfsburg. Die Mitglieder des VW-Präsidiums haben sich am Montag nicht auf eine Regelung für die Bonuszahlungen an die Konzernvorstände einigen können. »Die Vorstandsboni sind Gegenstand laufender Diskussionen in den VW-Gremien, deren Ergebnis kann und möchte ich nicht vorweggreifen«, erklärte der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil, der auch Aufsichtsrat bei dem Autobauer ist. Bis zum 28. April muss es eine Einigung geben. Dann wollen die Wolfsburger ihre Jahresbilanz vorstellen. Bei den obersten Kontrolleuren von VW gehen die Meinungen über die Bonuszahlungen auseinander. Der Betriebsrat, das Land Niedersachsen und die IG Metall befürworten wegen des Abgasskandals eine deutliche Reduzierung der Sonderzahlungen. Dem Vernehmen nach liegen mehrere Ansätze auf dem Tisch. So soll Vorstandschef Matthias Müller eine Senkung um rund ein Drittel vorgeschlagen haben. Jedoch gebe es im Vorstand auch Vertreter, die auf der vollen Zahlung bestehen. dpa/nd