Strategie & Innovation → Dienstleistungsmarketing Ein Zahntechniker denkt die Wertschöpfung neu Autoren: Thomas Gey und Sonja Beer Zahnersatz kostet Patienten immer ein kleines Vermögen, doch war das Preis-Leistungs-Verhältnis von Ärzten und Laboren lange nicht transparent. Daher hat sich ein Marketingkonzept eines Zahnzentrums etabliert, das Partnern und auch Kunden nutzt. Zahnbehandlungen sind meist nicht besonders angenehm. Schmerzen ver­ ursacht Patienten nicht nur die Behand­ lung, sondern auch der Griff ins Porte­ monnaie, wenn es um Zahnersatz geht. Zahlten gesetzliche Krankenkassen 1989 noch 85 Prozent zu, gibt es seit 2005 aufgrund von Gesundheitsreformen nur noch einen Zuschuss auf die Grund­ versorgung. Zwar führt das zu mehr Eigeninitiative seitens der Patienten, sich zu informieren, doch dürfen Zahn­ ärzte laut Berufsgesetz nur begrenzt Marketing betreiben, um für mehr Auf ­k lärung zu sorgen. Als gelernter Zahntechniker ergriff Heino Merten, Inhaber und Geschäftsführer des Zahn­ zentrums Lübeck, deshalb die Chance, sich mit Kunden über das Internet zu alternativen Zahnersatzangeboten auszutauschen. Denn im Unterschied zu Zahnärzten darf er als Handwerker werben, Preise nennen und Vorhernachher-Bilder zeigen. Mit dem direkten Blick auf Patienten veränderte Merten die Wertschöpfungs­ kette in einem entscheidenden Punkt. Der Zahntechniker entwickelte sich vom Zulieferer des Zahnarztes zum An­ sprechpartner des Patienten. Die erste 42 absatzwirtschaft 9/2009 Marketingmaßnahme bestand also da­ rin, seine zuvor als Informationsportal für Zahnärzte betriebene Internetseite so umzufunktionieren, dass verschie­ dene Angebote miteinander verglichen werden konnten. Erfolg verspricht laut Merten der Ansatz, sich vom Produktanbieter zum Pro­ blemlösungsanbieter zu wandeln: „Ver­ kauft wird kein Zahnersatz, sondern ein ‚strahlendes Lächeln‘, sozusagen Zahn­schmuck statt Zahnersatz.“ Beim OnlineMarketing, dem entscheidenden Hebel für den Erfolg, lege das Zahn­zentrum Wert auf Suchmaschinen­optimierung. „Damit ist das regionale Angebot in­ zwischen weltweit verfügbar und ne­ ben der Produktprogramm­erweiterung maßgeblich für den Erfolg“, unter­ streicht Merten. Aufmerksamkeit unter potenziellen Kunden erzielt der Zahn­ techniker, indem er Möglichkeiten der Akquise als Handwerksbetrieb nutzt. So schreibt er jährlich einen Wettbewerb für das „Schönste Lächeln in Lübeck“ aus und bewirbt diesen auch über klas­ sische Printmedien. Beim Service komme es darauf an, dass das Angebot unmissverständlich struk­ turiert sei. „Grundsätzlich haben Kun­ den die Wahl zwischen einem An­gebot für deutschen Zahnersatz, gefertigt in Lübeck, sowie ausländischem Zahn­ ersatz, gefertigt in Riga oder Singapur“, erklärt Merten. Doch seien auch die ausländischen Labore deutsche Meis­ terbetriebe, sodass in der technischen Qualität kein Unterschied bestehe. Zudem erhielten Patienten stets eine Garantiekarte aus dem Lübecker Labor als sogenannten Inverkehrbringer des Medizinprodukts. Als Premium­leistung werde der deutsche Zahnersatz ästhe­ tisch individuell angepasst. Etwa 20 Prozent der Patienten entschieden sich aufgrund des niedrigeren Preises aber für die Standardlösung. „Typische“ Kunden suchten in der Re­ gel zunächst ihren Zahnarzt auf, von dem sie einen Heil- und Kosten­plan bekämen. Nach der Kontaktaufnah­ me empfehle das Zahnzentrum einen „Zahnarztpart­ner“ in der Umgebung des Patienten, bei dem er sich einen zweiten Heil- und Kostenplan erstellen lassen könne. „Die vergleichbaren Alternativen zum ursprünglichen Plan sind vom Stan­ dard- bis zum Premiumangebot in der Regel deutlich preiswerter als Indi­ vidualangebote“, betont Merten. Dies werde zum einen durch die Produk­ tionsstandorte ermöglicht, zum an­ deren vereine das Zahnzentrum eine größere Einkaufskonzentration für Ma­ terialien als Labore ohne ein solches Netzwerk. In vielen Fällen lohne es sich sogar, aus dem Ausland nach Deutschland »Das Argument ›Made in Germany‹ hat als Handwerksleistung und in der Zahnmedizin einen Imagewert für die ausländische Nachfrage.« Heino Merten: Die im internationalen Vergleich herausragende technische Qualität des von deutschen Meisterbetrieben gefertigten Zahnersatzes schätzen Kunden aus aller Welt. zu f liegen, die Behandlung mit einem Urlaub vor Ort zu verbinden und noch mehr als 1 000 Euro zu sparen. „So er­ hält man eine teleskopierende Brücke in England für 8 800 Euro, beim Zahn­ zentrum Lübeck aber für 4 900 Euro plus Flug mit Ryan Air“, sagt Merten. „Cruise ’n’ smile“ lautet der Slogan für diese Art Zahntourismus. Ausländische Patienten würden in englischer Sprache aufgeklärt, vom Flughafen abgeholt und zum Labor gefahren, wo sie eine Führung sowie eine medizinische Vor­untersuchung und ein kostenloses Angebot erhalten. Im Sinne des AfterSales-Service lasse Merten nachfragen, wie zufrieden Kunden mit dem Zahn­ ersatz sind. Inzwischen hätten mehrere hundert Ausländer von dem Angebot Gebrauch gemacht, darunter am häu­ figsten Patienten aus England, Irland, Schottland, Skandinavien und Holland. Vorwiegend aus den USA oder Arabien reisten Patienten an, die nach Pre­ miumzahnersatz suchten. „Das Argu­ ment ‚Made in Germany‘ hat gerade als Handwerksleistung und nicht zuletzt in der Zahnmedizin einen enormen Image­wert für die ausländische Nach­ frage“, unterstreicht Merten. Zur „Arbeitsgemeinschaft bezahlbarer Zahnersatz“ (AgbZ) gehören seit Septem­ ber 2006 rund 80 Partnerpraxen und einige Kieferchirurgen, die Merten über die Website seines Zahnzentrums akqui­ rierte. Dazu kamen viele Hersteller von Dentalerzeugnissen, Implantaten und Zahngold sowie Dentaldepots. Diese Systempartner hätten einen Vertrag mit der AgbZ geschlossen, sodass sich deren Gebühren zur Unterstützung des Marketing verwenden lassen. Selbst die Patienten seien Teil des Netzwerks und fungieren als „Akquise-Partner“: Durch ein Empfehlungssystem im In­ ternet werden sie aufgefordert, ihren Zahnarzt nach erfolgter Behandlung zu bewerten. Das virale Marketing über die ↘ Empfehlungen à la Zahnzentrum Lübeck Der Erfolg dieses Geschäftsmodells spiegelt sich auch in betriebswirtschaftlichen Daten wider. Beispielsweise stieg der Umsatz 2008 im Vergleich zum Vorjahr um fast 31 Prozent und der Gewinn um 155 Prozent. Zudem liege der Gewinn im ersten Halbjahr 2009 trotz Wirtschaftskrise 20 Prozent höher als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Darüber hinaus greifen gegenüber 24 000 Internetnutzern pro Monat im Jahr 2007 derzeit etwa 120 000 auf das Angebot zu. Mehr Informationen gibt es unter folgenden Internetadressen: www.zz-l.de, www.agbz.de, www.die-zahnarztempfehlung.com, www.die-endverbraucher.de „Sterne“-Vergabe im Patientenforum bilde aber nur einen Anreiz für Zahn­ ärzte, Partner zu werden. Neben der er­weiterten Produkt- und Preisofferte gehörten beispielsweise die Anzeigen­ schaltung oder Radiowerbung, die Such­maschinenoptimierung der eige­ nen Website und die Schulung im Umgang mit Internetkunden zur Unter­ stüt­zung der Marketing- und Kunden­orientierung dazu. Zahnärzte zahlen eine Logistikpauschale von bis zu 300 Euro für die administrativen Kosten. Dadurch lassen sich die Logistikkosten der Netzwerkpartner reduzieren. In der Idee steckt laut Merten noch „gi­ gantisches“ Potenzial, da das Lübecker Labor zurzeit das einzige in Deutschland sei, das alle AgbZ-Zahnärzte betreue. Das wichtigste Ziel für die Zukunft bestehe darin, weitere Labore anzuschließen. Wenn möglich, soll dies in jeder größe­ ren Stadt und auch europaweit gelingen. Außerdem sei geplant, die Zahl zahn­ ärztlicher Kooperationspartner zu er­ weitern. Und ganz nebenbei bereitet Merten noch drei Internetplattformen vor, die sich ebenfalls mit dem Thema „Zähne“ beschäf­tigen sollen. ← PROF. DR. THOMAs GEY ist Professor für Marketing und strategische Unternehmensentwicklung an der Nordakademie – Hochschule für Wirtschaft, Elmshorn. Dr. Sonja BEEr ist Lehrbeauftragte für Führung und Selbst­ management an der Fachhochschule Lübeck im Fachbereich Wirtschaftsingenieurwesen. absatzwirtschaft 9/2009 43