Wissenswerte CD 1 | Jahrbuch 2006 Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert ein Vortrag von Mikheil Samkharadze > Aushang > Präsentation > Bilder Mikheil Samkharadze | Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert zum Inhalt zurück weiter 410 Wissenswerte CD 1 | Jahrbuch 2006 Einladung Mikheil Samkharadze | Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert zum Inhalt zurück weiter 411 Wissenswerte CD 1 | Jahrbuch 2006 Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert Der Muridenkrieg in Tschetschenien im 19. Jahrhundert In den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts hatte Russland fast Mikheil Samkharadze ganz Kaukasien erobert, es blieben nur noch die „Gorzen“, die Bergvölker in den höchsten Bergen Nordkaukasiens. Die Ver- Einleitung bindungswege waren in der gesamten Region sehr schmal, so Ende des 18. Jahrhunderts richtete sich Russlands Interesse auf dass die Dörfer für eine große Armee fast unzugänglich waren. Kaukasien. Das kaukasische Gebiet war immer ein Streitpunk Die kleineren Truppen der russischen Armee, die an Kämpfe der Großmächte. Viele große Länder wollten diese Region im Gebirge nicht gewöhnt waren, boten den Einheimischen kontrollieren. Hier haben sich die Interessen Russlands und ein leichtes Angriffsziel. eines anderen mächtigen Reiches, der Türkei, getroffen. Aus Im Vergleich zu anderen Regionen Kaukasiens war die feu- diesem Zusammenstoß von Interessen resultierten die russisch- dale Gesellschaftsbildung unter den Bergvölkern nicht so stark türkischen Kriege. Diese Kriege wurden im Jahr 1829 mit dem ausgeprägt. Die größte gesellschaftliche Schicht bildeten die so Friedensvertrag von Adrianopel beendet, und so stand Russ- genannten „Usdenen“, d. h. freie Bauern. Eine höhere Position land fast das ganze Nord- und Ost-Kaukasien zur Verfügung. in der Gesellschaft genossen die Scheiche (Fürsten) und ihre Aber dieses Gebiet war schon immer schwer zu kontrollieren. Helfer (Naiben). Dem Scheich kam im sozialen Zusammen- Durch die Vielzahl kleiner Länder mit verschiedenen Spra- leben der Bergvölker eine Schlüsselrolle zu: Er traf die wich- chen, unterschiedlicher Kultur und Religion war die koloni- tigsten politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen. satorische Aufgabe für Russland schwer zu verwirklichen. So Im 19. Jahrhundert versuchte Russland Nordkaukaukasien führte Russland seine Politik mit Zuckerbrot und Peitsche. zu seinem Vorposten zu machen, um die Kontrolle auf die Mikheil Samkharadze | Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert zum Inhalt zurück weiter 412 Wissenswerte CD 1 | Jahrbuch 2006 Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert ganze Region zu erstrecken. Im Zuge dieser Bestrebungen für alle Muslime. Aber die zweite Stufe, Tarikat, galt nur für wurden hier viele russische Festungen errichtet. Die Truppen wenige. Im Tarikat spielten Murschiden, die die Gesetze des der russischen Armee überwachten ständig Durchfahrtswege Tarikat lehrten, eine besondere Rolle. Ihre Schüler nannte man und Kreuzungen. In dieser permanenten Kontrolle sahen die Muriden. Um die Normen des Tarikats für die Bevölkerung tschetschenischen und dagestanischen Bergvölker eine Gefahr zugänglich zu machen, haben Tschetschenen sie umgeformt. für ihren Lebensstil und eine direkte Provokation. Diese Erneuerungsbewegung erhielt den Namen Muridismus. Die Bergvölker betrieben Viehzucht, weil der Ackerbau in ho- In Dagestan und Tschetschenien hat sich eine militärisch-theo- hen Bergen nicht möglich war. Die Viehzucht erforderte aber kratische Einheit unter der Führung des Imams, des geistlichen viel Platz, woran es in den Bergen mangelte. Zur Sicherung Führers, herausgebildet. Den Russen wurde Djihad, der heilige der eigenen Ernährung überfielen die Bergvölker umliegende Krieg, erklärt. So begann der Kampf um die Freiheit. Dörfer. Russland konnte ein solches Verhalten nicht zulassen. Es wollte die ganze Region unter Kontrolle halten und kei- Muridismus nerlei Willkür der „Gorzen“ mehr dulden. Deswegen kam es Der Islam als Religion besteht aus zwei Teilen: „Ussul-ad-din“ ständig zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Russen ist eine dogmatische Glaubenslehre des Islams. Der zweite und Tschetschenen. Die Bergvölker konnten dem russischen Teil, „Ussul-al-fikh“, bildet die Grundlagen des islamischen Reich nur die islamische Ideologie entgegensetzen. Rechtssystems. Dieser Teil enthält die praktische Lehre des In Dagestan und Tschetschenien war der Islam bereits ver- Islams und gilt als Richtschnur der islamischen Lebensweise. breitet. Die erste Stufe des suffistischen Islams, Schariat, galt Die Hauptquellen des islamischen Rechtssystems (Schariat) Mikheil Samkharadze | Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert zum Inhalt zurück weiter 413 Wissenswerte CD 1 | Jahrbuch 2006 Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert sind der „Koran“, die „Sunna“ (Beispiele aus dem Leben des Der Zustand religiöser Entrücktheit konnte sowohl durch das Propheten), die „Idschma“ (Gelehrtenaussprüche über die Schweigen, als auch durch laute Schreie und ekstatische Tänze Gesetze des Korans) und „Kijas“ (Deutung der im Koran und erreicht werden. in der Sunna nicht geregelten Gesetze durch islamische Rechts- In den islamischen Ländern entstanden viele sufistische Or- gelehrte). Über die Deutung dieser Quellen gibt es bis heute den nach unterschiedlichem Ritus. Der älteste von ihnen war keinen Konsens zwischen den konkurrierenden muslimischen der Orden der Kadiriten, der bereits im 12. Jahrhundert von Schulen. Abd-al-Kadir in Bagdad gegründet wurde. Diese Lehre war in Im Islam gibt es verschiedene Richtungen. In den Lehren wird Mittelasien im 14. Jahrhundert sehr populär. Genau diese vom die unmittelbare Nähe zu Gott gepredigt. Daher kommt der Propheten Becha-ad-din-Nahschbendi in Buchara gepredigte Bettler- und Heiligenkult, der in der islamischen Welt ver- Lehre fand im 19. Jahrhundert in Kaukasien eine weite Ver- schiedene Ausprägungen hat. Auf dieser Grundlage entstand breitung. die mystische Lehre, der Sufismus (Tassavvuf- die Lehre über Schariat ist die erste Stufe des Islams, und jeder Muslim muss das Geheime), die formal auf dem Koran gründete, sich aber sie erreichen. Aber die Normen von Schariat können unter- vom orthodoxen Islam unterschied. Das Ziel des Sufismus schiedlich ausgelegt werden. Deswegen sind die Gläubigen in war, mit Hilfe verschiedener religiöser Übungen, wie etwa einer schwierigen Lage. Um ihre Seele zu retten, müssen die dem Gebet und eine besondere Lebensweise, nicht nur nach Muslime die zweite Stufe des Islams erreichen, die den Namen den wahren islamischen Regeln zu leben, sondern sich auch Tarikat trägt. Im Tarikat müssen sie sich immer ausschließlich auf dem Weg der mystischen Ekstase mit Gott zu vereinen. nach dem Koran richten und alles andere, was außerhalb der Mikheil Samkharadze | Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert zum Inhalt zurück weiter 414 Wissenswerte CD 1 | Jahrbuch 2006 Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert Religion existiert, ignorieren. Über dem Tarikat gibt es im Is- lich politischen Charakter. Das Hauptziel des Tarikats war die lam noch zwei Stufen, Maarafat und Charikat. Charikat ist die Vereinigung des Menschen mit Gott. Aber das Tarikat in Kau- oberste Stufe, die nur von Heiligen erreicht werden kann. kasien forderte seine Gläubigen zum heiligen Krieg (Djihad Die Normen des Schariats müssen von allen Muslimen befolgt bzw. Hasavat) gegen die Ungläubigen auf. Für den Islam ist die werden. Da die Vollkommenheit, die Tarikat verlangt, nur Welt in zwei Teile geteilt: Dar-al-islam (Welt des Islams) und von wenigen Erwählten erreicht werden kann, konnte derje- Dar-al-chabr (Welt der Feinde). Mit der zweiten Welt muss der nige, der sich Gott widmen wollte, zum Murschid gehen und gläubige Muslim einen Krieg führen, solange bis die Ungläubi- ihn bitten, als sein Schüler (Murid) aufgenommen zu werden. gen unterworfen sind. Murschid führte ihn in die Geheimnisse des Tarikats ein. Da- In Kaukasien war die Forderung nach dem Djihad durch die nach musste der Schüler das Wort „Allah“ tief in sein Herz damalige politische Situation bedingt. Das kaukasische Volk prägen. So konnte ein Muslim die Tarikat-Stufe erreichen. kämpfte gegen das russische Reich, und dieser Krieg verlangte In verschiedenen islamischen Ländern gibt es verschiedene strengere Maßnahmen. Die Propheten des Tarikats versuchten, Schulen des Tarikats. Die Besonderheit des kaukasischen Tari- die breiten Massen der Bevölkerung unter ihrer Lehre zu ver- kats war, dass es keine Derwische und deren Orden anerkann- einigen. Eine besondere Rolle spielte dabei der Imam: Er hatte te. Die Muriden gruppierten sich um ihre Lehrer (Murschide) unbegrenzte Macht und wurde als Prophet Mohammeds be- oder um den Scheich. Der Scheich wirkte in einem bestimmten zeichnet. Der kaukasische Tarikat forderte von seinen Gläu- Gebiet oder Khanat und hatte seine Helfer (Masunen oder bigen nicht nur religiöse Aktivität, sondern auch Handlungen Naiben) um sich. Der Tarikat hatte in Kaukasien einen deut- auf militärischer Ebene. Die Gläubigen wurden als Muriden Mikheil Samkharadze | Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert zum Inhalt zurück weiter 415 Wissenswerte CD 1 | Jahrbuch 2006 Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert bezeichnet und hatten nicht einen Murschiden zum Führer, kasien verstärken sollten; sie mobilisierten die Bergbevölke- wie es in anderen muslimischen Ländern üblich war, sondern rung für den Bau der Wege und Festungen und erhoben hohe den Imam. Steuern. Die stolzen „Gorzen“ wollten diese Maßnahmen nicht gelten lassen, und folglich gab es immer wieder Aufstände gegen Die Auseinandersetzungen zwischen Russland und den die russische Macht. Die Russen antworteten darauf mit harten „Gorzen“ im 19. Jahrhundert Repressalien: Sie vernichteten ganze Aulen (Bergdörfer), ver- Die historische Erfahrung hat dem russischen Reich gezeigt, brannten die Ernte, schenkten den Kosaken die rare Ackerbau- dass Nordkaukasien ein Schlüssel zur Kontrolle von ganz Kau- fläche. Das folgende Beispiel vom Bericht des Generals Ermoliv kasien war. Aber dieses Gebiet hatte eine schwierige ethnische mag die Zustände im Kaukasus in jener Zeit veranschaulichen: und geographische Lage. Besonders kompliziert war die Situ- „Am 20. Dezember 1819 kam unsere Armee zum Dorf Ullu- ation in Tschetschenien und Dagestan. Hohe Berge und enge Aija. Die Bewohner versteckten ihre Sachen und das Vieh in den Schluchten erschwerten die Kontrolle noch mehr. Bergen. Wir kamen ins Dorf und verbrannten alles. Die Dorf- Die Tschetschenen haben der Expansion der russischen Armee bewohner verließen das Dorf in solcher Eile, dass einige Mütter nicht tatenlos zugesehen. Sie wollten ihre Freiheit nicht ohne ihre kleinen Kinder zurückgelassen haben. Wir verbrannten 800 Kampf aufgeben. Der Widerstand der Tschetschenen wurde Häuser. Das soll allen anderen als Beispiel dienen.“1 durch das Vorgehen der russischen Soldaten noch verstärkt. Die Russen bauten ihre Festungen in den Bergen und gründeten neue Dörfer für Kosaken, die die Position Russlands in Kau- Mikheil Samkharadze | Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert 1 N.A.Smirnov: Muridism im Kaukasus. Hrsg.: Akademie der Wissenschaft der UdSSR, Moskau 1963, S. 38 (übers. v. Autor des vorliegenden Beitrags) zum Inhalt zurück weiter 416 Wissenswerte CD 1 | Jahrbuch 2006 Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert Zuerst hatte der spontane Widerstand der Bergvölker einen Agitation statt. Die Geistlichen haben sogar eine Cholera-Epi- chaotischen Charakter. Doch die islamische Geistlichkeit hat demie für ihre Interessen instrumentalisiert, indem sie diese diese Prozesse nicht unbeteiligt beobachtet. Sie war grundsätz- als Gottes Willen interpretierten, damit die Bevölkerung noch lich gegen die Kolonialpolitik Russlands und stellte häufig die stärker an Allah glaubte. Anführer der Volksaufstände. Die ideologischen Führer, Schei- In dieser Periode gewann Mullah Mohammed an Autorität. Er che und Propheten, die angeblich ihre Anweisungen von Gott wurde später erster Imam von Dagestan und bekam den Na- empfingen, riefen das Volk zum Krieg gegen Russland auf und men Hasse-Mohammed. Er predigte den Islam und hat durch verkündeten, dass nach der Lehre des Korans jeder Muslim frei seine Tätigkeit die Aufmerksamkeit des Scheiches von Dage- sein müsse. stan- Dschemaladdin auf sich gerichtet. Er wurde von Dsche- Im Mai 1830 ernannte ein Lehrer namens Abdula vom Dorf maladdin eingeladen und hatte die Möglichkeit, sein Schüler Ischalti sich selbst zum Scheich. Dank der Verbreitung der (Murid) zu werden. Zunächst wurde er von Hasse-Moham- Schariat-Gesetze unter der Bevölkerung rief er alle zum Krieg med abgewiesen, doch später begann er bei Dschemaladdin gegen Russland auf. In demselben Jahr nahm der Scheich Scha- die Gesetze des Tarikats zu erlernen. Dschemaladdin hat ihn ban mit 5000 Mann das Dorf Sakatala ein. General Strelkov, schließlich zu seinem Masun (Helfer) gemacht. der das Dorf zurückzuerobern versuchte, hatte keinen Erfolg Bisher nannten sich diejenigen, die in der islamischen Welt ei- und verlor 220 Mann. Aber im November 1830, als Schaban ner religiösen Bewegung vorstanden, Propheten oder Scheiche. Sakatala verlassen hatte, vernichtete Strelkov das ganze Dorf. Aber Hasse-Mohammed war der erste, der eine Idee der Ver- Die Aufstände im Jahre 1830 fanden mit starker religiöser einigung aller Völker von Tschetschenien und Dagestan unter Mikheil Samkharadze | Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert zum Inhalt zurück weiter 417 Wissenswerte CD 1 | Jahrbuch 2006 Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert dem Hasavat (Heiliger Krieg) eingebracht hat. Den Krieg hat dert. Früher war der Tarikat nur für wenige erreichbar. Aber er nicht nur den Russen, sondern auch denjenigen Tschetsche- Hasse-Mohammed und seine Anhänger erklärten den Tarikat nen erklärt, die keinen Kampf gegen die Russen führten. Im zur Lehre für das ganze Volk, – die Lehre nämlich, die für das Januar 1830 kam er in das Dorf Arakenovskaja und nahm dort Gelingen Hasavats notwendig war. Als die Scheiche einsahen, den einheimischen Fürsten fest. Er befahl der Bevölkerung, dass der Tarikat für den Kampf gegen die Russen nützlich wer- die Gesetze des Schariats im Leben zu verwirklichen und hat den konnte, haben sie Hasse-Mohammad unterstützt. Damit freiwillige Aufständische für die Überfälle auf russische Fes- wurde die Position von Hasse-Mohammad deutlich verstärkt. tungen rekrutiert. Hasse-Mohammeds Aufrufe trugen immer Aber dies hatte zur Folge, dass die Scheiche, die an der Seite einen radikal religiösen Charakter, z. B. : „Wir haben vor Gott Aslan-Chans, des Fürsten von Awarien, standen, vertrieben einen Eid auf den Koran geschworen, dass wir bis zum letzten wurden. Der Nachfolger von Hasse-Mohammad, Hamsat- Atemzug für unser Land kämpfen werden. Wir rufen euch auf, Bek (1832–1834), hat einen Überfall auf Awarien organisiert, für der islamischen Glauben zu sterben“2. um die dortige Region zu vernichten. Er selbst wurde bei die- Viele waren mit der Wirkung Hasse-Mohammeds und seiner sem Überfall getötet. Nachfolger nicht einverstanden. Einige Scheiche haben erklärt, Nach Hamsat-Bek wurde Schamyl, ein anderer Schüler von dass er gegen die echte Lehre des Korans und gegen das Scha- Scheich Dschemaladdien, zum Anführer der tschetscheni- riat verstoßen hat. Bald hat sich die Situation radikal verän- schen Volksbewegung. Sein Name steht für die Vollendung des Umformungsprozesses der Tarikat-Gesetze. Der Tarikat galt 2 Ebenda, S. 57. Mikheil Samkharadze | Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert bereits früher als verbindlicher Normenkodex. Als Schamyl zum Inhalt zurück weiter 418 Wissenswerte CD 1 | Jahrbuch 2006 Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert einen theokratischen Staat, das Imamat, gründete und sich zum große Rolle. Er war ein begabter Menschenführer und Organi- Imam ernannte, brauchte er den religiös-theoretisch fundierten sationstalent, der auch in religiösen Fragen große Kompetenz Tarikat und die Implementierung der Schariat-Gesetze im Leben besaß, so dass er durch seine Kenntnis des Tarikats und per- des Volkes zur Stärkung seiner eigenen Stellung. Er veränderte sönliche Fähigkeiten es verstand, eine außerordentliche Wir- deshalb die bestehenden Gesetze nach Vorstellungen des Scha- kung auf die Menschen auszuüben. riats und nannte sie Nisamen. Auf diese Weise konnte Schamyl In Reaktion auf Schamyls Wirkung begann Russland 1839 seinen Staat nach diesen religiösen Normen umgestalten. ernsthaft gegen die Bergvölker vorzugehen. Es wurden drei Der einzige ernsthafte Konkurrent Schamyls war Taschew- Kolonnen unter der Leitung der Generalleutnante Rajewski, Chadji, der die Position von Hamsat-Bek offen für sich bean- Golowin und Grabbe formiert. Sie sollten im Norden Dages- spruchte. In dieser Auseinendersetzung spielte aber der Lehrer tans agieren, wo Schamyl seine Festung hatte. Am 5. Juni hat von Schamyl, Scheich Dschemaladdin, der ihn unterstützt hat, die russische Armeee bei Aul Burtunai Schamyl mit seinen eine große Rolle. Angesichts seiner Unterstützung hatte 5.000 Mann geschlagen. Schamyl ging nach Arghuan und stell- Taschew-Chadji keine Chance und wurde im Jahre 1837 te sich hier mit 6.000 Aufständischen den Russen entgegen. Schamyl unterworfen. Später wurde er von Schamyl zum Trotz der fast unzugänglichen Lage des Dorfes erstürmten die Naib bestimmt. Russen diese Festung am 13. Juni. Schamyl setzte sich nach der Schamyl führte in seinem Imamat eine strenge Disziplin. Al- Felsenfestung Achulgo ab. Erst am 3. September konnten die les tat er im Namen Allahs. Nicht zuletzt die persönlichen Russen auch diese Festung erstürmen. Schamyl entkam und Charakterzüge Schamyls spielten bei seinem Führungsstil eine flüchtete nach Weden, ohne dass damit der Muridismus schon Mikheil Samkharadze | Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert zum Inhalt zurück weiter 419 Wissenswerte CD 1 | Jahrbuch 2006 Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert niedergeschlagen worden wäre. Schon nach kurzer Zeit erho- drei russische Kolonnen weiter vor, während Schamyl gegen ben sich die Bergvölker wieder, so dass die Russen mehrere Wladikawkas marschierte und den Aufstand auf Zentralkau- Jahre lang keinen dauerhaften Erfolg erreichen konnten. 1843 kasien zu erweitern versuchte. General Jewdokimow eroberte eroberte Schamyl Awarien. Das kaukasische Korps bekam währenddessen Warandi und Schatoj, wodurch die Tschetsche- daraufhin 1844 eine Verstärkung von 40.000 Mann aus Russ- nen bittere Verluste erlitten. land. Dennoch verloren die Russen im gleichen Jahr mehrere Anfang 1859 vereinigten sich drei russische Kolonnen unter Festungen an die Muriden und konnten den Sitz Schamyls, Jewdokimow am Fluss Baß und begannen am 29. März die die Festung Dargo, nicht erobern. Der Krieg gegen die Türkei Belagerung der von Schamyls Sohn verteidigten festen Burg (1853 bis 1856) vermehrte noch die Schwierigkeiten Russlands Weden. Am 13. April wurde sie von General Jewdokimow in Kaukasien. erobert. Schamyl war nun auf Dagestan zurückgeworfen und Nach dem Krieg übernahm der Fürst Barjatinski den Ober- stand in einer fast unangreifbaren Stellung am Koi-su, wo er befehl im Kaukasus. Im August 1856 wurden fünf Militär- jedoch von Fürst Barjatinski geschlagen wurde. Der Berg Gu- kommandos eingerichtet, und die Hauptmacht der Russen nib war seine letzte Zufluchtstätte, bevor er sich am 6. Septem- ging nach Ostkaukasien. Vom Süden und Osten her drangen ber ergab. Ostkaukasien war damit von Russen erobert. Scha- die russischen Truppen unter General Jewdokimow und Fürst myl wurde festgenommen und nach Russland gebracht. Orbeliani ein, unterwarfen 1857 die Große Tschetschnia und Kachetien, nahmen 1858 den Pass Argun und erbauten am Fuße des Gebirges die Festung Argunskoje. Im Juni drangen Mikheil Samkharadze | Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert zum Inhalt zurück weiter 420 Wissenswerte CD 1 | Jahrbuch 2006 Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert Zusammenfassung Im Tarikat spielte die Lehre des Musridismus die Hauptrolle. Der Muridenkrieg im 19. Jahrhundert in Kaukasien ist ein Bei- Muriden waren Schüler, die von einem Murschid in der islami- spiel für die Instrumentalisierung der Religion für politische schen Lehre ausgebildet wurden. Da in Tschetschenien alle, die Zwecke. Auf den ersten Blick war das ein Kampf den Bergvöl- am heiligen Krieg teilnahmen, als Muriden bezeichnet wurden, ker gegen das russische Reich. Aber während dieses Krieges ist bekam dieser Krieg den Namen Muridenkrieg. Dieser Krieg im Islam eine neue Bewegung entstanden, und es vollzog sich hat gezeigt, welche Auswirkung der religiöse Fanatismus auf eine Umformung der Gesetze des Tarikats. Die Ursache lag die Menschen haben kann. Mit Hilfe der begabten Anführer darin, dass das tschetschenische Volk eine wirksame Waffe im konnten die Tschetschenen fast 14 Jahre lang gegen das russische Kampf gegen Russland brauchte und diese in der muslimischen Reich kämpfen, was insofern wichtig ist, als Russland damals Ideologie erblickte. stark genug war, das Türkische Reich niederzuschlagen. Der In den Gesetzen des Tarikats war der heilige Krieg gegen die Muridenkrieg in Tschetschenien ging in die Geschichte Kauka- Ungläubigen vorgesehen. Der Tarikat war aber auch eine Lehre siens als Musterbeispiel von Mut und Beharrlichkeit ein. von relativ eingeschränkter Wirkungsmöglichkeit, weil sie nur für Wenige erreichbar war. Schamyl und seine Nachfolger haben den Literatur Tarikat so umgestaltet, dass er seine Wirkung auf die ganze mus- 1. Die Muslime in der Sowjetunion und in Jugoslawien – An- limische Bevölkerung erstrecken konnte. Breite Menschenmassen dreas Kappeler/ Gerhard Simon/ Georg Brunner. Markus vereinigten sich hinter den Losungen des Hasawats und kämpften Verlag Köln 1989 S. 213–234. (Das ist Ein Artikel von Uwe mit fanatischer Ergriffenheit gegen die russische Übermacht. Hallbach, über Muridenbewegungen im Kaukasus im Mikheil Samkharadze | Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert zum Inhalt zurück weiter 421 Wissenswerte CD 1 | Jahrbuch 2006 Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert 19. Jahrhundert, Entstehung dieser Bewegung und ihre 1950. (In diesem Buch ist die Tätigket von Imam Schamyl, Folgen) die Entstehung des Muridismus in Kaukasien, seine Ent- 2. Muslim resistance to the tsar: Shamil and the conquest of Chechenia and daghestan – Gammer Mosche . London 1994. (Das Buch beschreibt das Widerstand des Tschetschenischen und Dagestanischen Volkes, Imam Schamyl und seine Tätigkeit.) 3. Mjuridism na kavkaze – N.A. Smirnow. Izdatelstvo akademii nauk. Moskwa 1963. (In diesem Buch ist dargestellt, wie wicklung und der Krieg der Tschetschenen und Dagestanvölker gegen Russland dargestellt). 6. http://aleph0.clarku.edu/huxley/UnColl/WestRev/Schamyl. html von 24.03.2006 7. http://www.iles.umn.edu/Faculty/bashiri/CentAsia/Shamil. html von 23.03.2006 der Muridismus im Islam entstand und wie er im Kaukasus 8. http://www.duden.de/index2.html?duden-suche/werke/ verbreitet ist. Dargestellt ist auch die Struktur von Imamat dgfw/000/043/Muridismus.43491.html von 24.03.2006 und der Kampf der Bergvölker gegen Russland) 4. Reakcionnaja sosnatellnost dvijenija Mjuridisma I Schamilja na kavkaze – N. A. Smirnow. Izdatelstvo „Znanie“. Moskwa 1952. (Das Buch beschreibt die religiöse Seite der Muridenbewegung, Entstehung und Entwicklung des Muridismus und seine Besonderheiten im Kaukasus) 5. K voprosu o charaktere dvijenjia mjuridisma I Schamilja – M. D. Bagirov. Izdatelstvo polititscheskoj literaturi. Moskwa Mikheil Samkharadze | Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert zum Inhalt zurück weiter 422 Wissenswerte CD 1 | Jahrbuch 2006 Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert Muridismus i n Tschetschen i e n i m 19. Jahrhundert Mikheil Samkharadze | Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert zum Inhalt zurück weiter 423 Wissenswerte CD 1 | Jahrbuch 2006 Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert Mikheil Samkharadze | Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert zum Inhalt zurück weiter 424 Wissenswerte CD 1 | Jahrbuch 2006 Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert Die Gesellschaftsbildung in Tschetschenien im 19. Jahrhundert Usdenen - freie Bauern Naiben – Helfer der Fürsten Scheiche – Fürsten Mikheil Samkharadze | Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert zum Inhalt zurück weiter 425 Wissenswerte CD 1 | Jahrbuch 2006 Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert ISLAM Ussul-ad-din Mikheil Samkharadze | Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert Ussul-al-fikh zum Inhalt zurück weiter 426 Wissenswerte CD 1 | Jahrbuch 2006 Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert Die Hauptquellen des islamischen Rechtssystems: 1. KORAN 2. SUNNA – Gesamtheit der überlieferten Aussprüche und Lebensgewohnheiten aus dem Leben des Propheten Mohammed (Richtschnur islamischer Lebensweise) 3. IDSCHMA – Gelehrtensprüche zur Deutung des Korans 4. KIJAS – Deutung der durch den Koran und die Sunna nicht geregelten Gesetze durch islamische Rechtsgelehrte Mikheil Samkharadze | Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert zum Inhalt zurück weiter 427 Wissenswerte CD 1 | Jahrbuch 2006 Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert Na c h suphistischer L e h r e m u s s m a n diese vier Stufen emporsteigen, um die geistliche Vollkommenheit zu erreichen Maarafat Chariqat Tariqat Schariat Mikheil Samkharadze | Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert zum Inhalt zurück weiter 428 Wissenswerte CD 1 | Jahrbuch 2006 Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert Gemäß dem Islam ist die Welt zweigeteilt: Dar-al-islam (Welt des Islam) Dar-al-chabr (Welt der Feinde) Mikheil Samkharadze | Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert zum Inhalt zurück weiter 429 Wissenswerte CD 1 | Jahrbuch 2006 Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert Mikheil Samkharadze | Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert zum Inhalt zurück weiter 430 Wissenswerte CD 1 | Jahrbuch 2006 Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert Mikheil Samkharadze | Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert zum Inhalt zurück weiter 431 Wissenswerte CD 1 | Jahrbuch 2006 Bilder Mikheil Samkharadze | Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert zum Inhalt zurück weiter 432 Wissenswerte CD 1 | Jahrbuch 2006 Bilder Mikheil Samkharadze | Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert zum Inhalt zurück weiter 433 Wissenswerte CD 1 | Jahrbuch 2006 Bilder Mikheil Samkharadze | Muridismus in Tschetschenien im 19. Jahrhundert zum Inhalt zurück weiter 434