Wieviel Ethik und Religion braucht ein Krankenhaus? Referat auf dem Pflegekongress der Pfeifferschen Stiftungen Magdeburg 12.9.2013 Wie schnell sich die Zeiten doch ändern! Noch vor 200 Jahren gehörte es hierzulande zum Herzen eines Hauses für Kranke und Alte, dass da mindestens zweimal am Tag Gottesdienst gefeiert wurde. Rund um die Uhr standen Geistliche zur Verfügung für die Sterbesakramente. In vielen heutigen brasilianischen Krankenhäusern oder in Ghana oder in weiten Teilen Indiens, also alles sogenannte Schwellenländer, tummeln sich in den Krankensälen reichlich die Priester vielfältiger Religionen. Heilungsunterstützenden Kontakt zu den toten Vorfahren herzustellen etwa, gehört zum Regelgeschäft nicht nur der Familien, sondern auch des klinischen Personals, selbst wenn sie sich dazu teilweise der Religionsexperten von der Kirche, des Tempel oder des Garagenheiligtum gegenüber bedienen. Jetzt sagen Sie nicht: Genau das will der Bartosch hier jetzt auch haben! Oder die Kirche oder die Pfeifferschen Stiftungen! Nach der Devise : Dieser ganzen Brut ist doch eigentlich nie so ganz zu trauen. Nun darf ich Ihnen guten Gewissens versichern, dass weder die evangelische noch die katholische Kirche hierzulande, weder der Pfeiffervorstand noch dessen Stabstelle für Diakonie und Seelsorge 1 solche Masterpläne in den Schubladen unserer Sakristeien und Büros haben. Allerdings, es lohnt sich historisch wie soziologisch, es lohnt sich, sich klar zu machen: Unser hiesiger derzeitiger rationaler religionsferner Umgang mit Klinik, mit Pflege ist so zwingend nicht. Und vielleicht auch nicht immer nur gut. 1 Religion Wieviel Religion braucht also ein Krankenhaus? Zur Ethik komme ich dann im zweiten Schritt.Wieviel Religion? Das entscheiden Sie, spezifisch für Ihr Haus und Ihr Team. Ich gebe allein drei Rahmenrezepturangaben, Und Sie verfahren frei nach Kathi und Oetker: 1.1. Existentielle Situationen im Krankenhaus Erste Zutat: : Existentielle Situationen in Kliniken und überhaupt im Gesundheitswesen. Sie sollen mindestens genauso ernst genommen werden wie jetzt schon – eher deutlich mehr. Dass im Krankenhaus massiv gefühlt, still gelitten, gejubelt und geschrien und verschämt geweint wird, das wissen Sie und das wissen Sie dankenswerterweise sehr gut. Dieses Wissen um die existentiellen Situationen, das gehört in die Mitte des klinischen Alltags. Das wäre Rezeptangabe Nummer eins. Wir alle wissen, dassJubeln und vor allem Schreien schnell schon einmal Medikamente zur Folge haben können. Und Tränen werden noch viel zu oft beantwortet – von Angehörigen bis zu Mitpatienten und Klinikmitarbeitenden, incklusive mir mit der 2 altdeutschen Art: Komm, wird schon wieder. Musste durch jetz. Zähne zusammen, bist doch kein Waschlappen. Und unsere eigenen, durch so viel Existentielles induzierten Gefühle? Viele Studien haben ergeben: Wir alle arbeiten dann zufriedener in unseren Gesundheitsberufen, wenn wir anerkennen, was diese für Potentiale haben, was sie nicht zuletzt an existentiellen menschlichen Begegnungen positiv bieten. Diese Existentiellen Situationen nun werden von vielen von Ihnen und von vielen im Land nicht zwingend oder ausdrücklich nicht religiös beantwortet. Ein Krankenhaus oder Altenheim aber ,welches existentielle Fragen für blöd oder für lästig erklärt – ausgesprochen oder unausgesprochen, kann die Religion gleich sein lassen, irgendso einen Seelsorger, der da fürs QM und für ein paar Bekloppte seine Andachten feiert, das ist peinlich, das sollte man anständigerweise lieber ganz lassen und den Andachtsraum oder Raum der Stille als Bowlingbahn aufmachen. Damit man dort wenigstens ein bisschen Spaß haben kann, als Patient oder als Mitarbeiterin. Wenn nun aber das Krankenhaus oder Altenheim seine existentielle Dimension ernst nimmt und: altmodisch gesagt sogar liebhat, dann kann die Religion hilfreich sein – als e i n e der Antworten neben guter Führung, Bildung, Teamkultur, etc. Die Religion nimmt nämlich ernst, dass es so etwas wie „Seele“ gibt. Ein altes Wort für unser Empfangsorgan für Existentielles. 3 1. 2. Räume Zweitens, wir sind jetzt weiterhin in der, in Ihrer Kathi-OetkerKrankenhaus-Religions Rezeptur, schließlich wird es jedem Krankenhaus gut tun, wenn es Räume gibt, die etwas „für die Seele“ bieten. Das müssen gar nicht zwingend kirchliche Kapellen mit Kreuz sein. Es geht vor allem: um das ganze Haus mit allen vielen Fluren und Zimmern. In kirchlichen Krankenhäusern füllen wir diese Räume auch (wahrlich nicht nur!) mit dem Symbolschatz unserer christlichen Religion. Deshalb läuten hier bei Pfeiffer morgens, mittags und abends die Glocken, was unsere Patienten absolut genau wahrnehmen. Die Glocken läuten nur teilweise zu Andachten in der Kirche, vor allem läuten sie aus dem alten Glauben heraus, dass alle Zeit in Gottes Händen liegt. Und in den Zimmern kirchlicher Krankenhäuser hängen Kreuze weder um den nicht-christlichen zu zeigen, dass gefällig zu Kreuz kriechen sollen. Noch hängen sie da aus kirchlichem Pomp, sondern meistens hängen dort gerade eher kleine, wackelige Kreuze, hier bei Pfeiffer von Menschen mit Behinderung in deren Kunstwerkstatt erstellt. Die Kreuze hängen dort als Symbol des Leidens, auch eines Leidendürfens und sieh hängen dort als Symbol eines mitleidenden Gottes. Die Frage nach Räumen und Atmosphären haben wahrlich alle Häuser. Räume sagen nämlich mehr als Worte und als Prospkte. Es ist gut, dass es kirchliche Häuser gibt. Und es ist auch gut, dass es nicht-kirchliche Häuser gibt, die die wichtige Gestaltungsaufgabe ihrer Räume mit ihren jeweiligen Bildern und Symbolen lösen. Wenn sie gut sind.. 4 1.3. Seelsorge Und drittens und letztens – wir sind immer noch in der Rezepturanrührung, kommen da schließlich neben den Grundfragen um das Recht des Existentiellen im Krankenhaus und neben der Frage nach der Gestaltung von Räumen, kommen da drittens auch noch so eigenartige Menschen wie Seelsorgende, eine Art Himmelskomiker oder Totengräber oder ? Das mit der Seelsorge, dass sie eben nicht so garstig fremd wirkt, das funktioniert daher nur in zwei Möglichkeiten, die beide im Übrigen wissenschaftlich validierte Methoden sind in den allgemeinen Gesundheitswissenschaften. Entweder, Methode 1, die Seelsorgenden werden so etwas wie Teammitglied etwa im Team einer Palliativstation, geschlossenen Psychiatriestation, Intensivstation, Pädiatrie, was auch immer. Dann sind sie häufig bei Dienstberatungen dabei, man kennt sich und schätzt sich, weiß klipp und klar, dass Seelsorgende schon von deren eigenen Grundvorstellung und deren ureigenem Kirchenauftrag her überhaupt nicht nur für gläubige oder kirchliche, sondern für alle Menschen da sind. Oder , Methode 2, und so treibe ich es hier bei Pfeiffer, der Seelsorger macht Pastoralvisite. Was heißt das ? Ich gehe unangemeldet von Zimmer zu Zimmer und begrüße alle, wirklich alle Patientinnen und Patienten, stelle mich als Seelsorger vor und frage, wie es geht. Klar, mancher schmeißt mich dann raus, andere finden das total doof oder zumindest komplett überflüssig. Aber erstaunlich viele finden das nachvollziehbar und manche angenehm und ganz mache sogar notwendig, dass im Krankenhaus ein Pfarrer und Seelsorger vorbeikommt, der zuhört oder einfach nur mal vorbeischaut, der betet oder einfach nur den Segen da lässt, wenn er wieder geht. 5 1.4. Summa summarum : Wieviel Religion also braucht ein Krankenhaus und auch ein Altenheim? Sie können die Rezepturmengen nun, frei nach Kathi und Oetker mit Ihrem eigenen Meßbecher zusammenstellen, wo Sie jeweils schauen, wie viel Existentielles in Ihr Haus oder Team passt, welche Räume es für die Seele gibt und geben soll und welche Form professioneller Seelsorge sinnvoll ist. Bevor ich zur Ethik komme, noch eine Anmerkung. Aus Nordrhein-Westfalen kommend, bringe ich viele Erfahrungen mit muslimischen Patientinnen und Patienten mit. Und, auch hier in Magdeburg, bedeutet eine Verbindung zur jüdischen Synagogengemeinde, mir persönlich ganz viel. Die Menschen nun, sie sind alle gleich. Fragst Du sie nämlich , wenn Sie Patientin sind oder Patient, ob Sie Imam, Rabbi oder Pfarrer wollen, lehnen sie brüsk ab. So weit sei es noch nicht. Und was soll ich mit dem reden. Diese Gemeinschaft zwischen den Religionen enthebt uns vor allem in den Kliniken mancher angestrengt interkulturell-interreligiösen Akrobatik, die wir meinen, einem Auditor in Glanzfolien vorlegen zu müssen. Lassen Sie die Patienten und deren Familien machen. Die wissen genau Bescheid, was sie brauchen und wollen – bis hin zur Totenwaschung. Schlimmstenfalls, so habe ich es erlebt, kostet es ein paar Zusatzstunden für den Reinigungsdienst, wenn nach einer buddhistischen Aussegnungszeremonie der Reis wieder vom Prosekturboden heruntergeschmirgelt werden muss. Die vietnamesische Großfamilie wird es Ihnen und Ihrem Krankenhaus allerdings bis an Ihr Lebensende aus ganzem Herzen danken und allezeit für Sie mitbeten. 6 2 Ethik Jetzt, deutlich kürzer, zur Ethik: Wieviel Ethik braucht ein Krankenhaus? Das „kürzer“ nicht deshalb weil es weniger wichtig ist als Religion – im Grunde ist es nämlich eher umgekehrt, sondern: Die Fachleute für Ethik sind nicht wir Theologinnen und Seelsorger, sondern Sie alle, wir alle in den Einrichtungen des Gesundheitswesens. Essen.Trinken. Ausscheiden. Atmen. Aufhören zu atmen. Sexualität, Reden, Schweigen. Das ist Alltagsethik. Das ist für uns alle am wichtigsten. Und da kennen Sie sich als Pflegende exzellent aus. Und gesundheitswissenschaftlich wird immer deutlicher, wie Ihre hohe Kombinationsgabe an Intuition, Reflektion, Handlungswissen hier bereits die meisten Nöte und Konflikte gut angehen kann Warum nun hat seit sechs Jahren sogar die Bundesärztekammer, kein Hort der Revolution in Deutschland, die Notwendigkeit erkannt, Ethikberatung für deutsche Krankenhäuser ausdrücklich zu fordern und zu unterstützen? Weil, und dies sehr positiv in Richtung Medizin und in Richtung ärztliche Standesorganisation gesprochen, weil die neuen Medizinergenerationen wissen und ahnen, dass sie nur interprofessionell weiterkommen. Deshalb unterstützt die BÄK nicht schwerpunktmäßig, die Einrichtung von solchen Ethikkomitees , wo irgendwelche Honoratioren über Kaffeetassen wichtige Dinge ziemlich lateinisch austauschen, sondern die BÄK unterstützt – was wiederum von den berufsständischen Organisationen der Pflege ausdrücklich befürwortet wird, die BÄK unterstützt die Einrichtung von fallbezogener Ethikberatung, welche wiederum von jenen Ethikkomitees aufgebaut und begleitet wird. 7 Und da sind genau Sie gefragt! Denn in den ethischen Fallberatungen, da reden nicht die Honoratioren mit den Kaffeetassen, sondern da sprechen Sie als gut den Fall kennende Fachleute mit Kolleginnen und Kollegen anderer Berufsgruppen, die alle den Fall, die alle Frau V. oder Herrn G. kennen, begleitet oder behandelt haben. Sie sprechen im Rahmen eines geregelten klinikweit bekannten und geschützten Verfahrens mit Moderationsleitfadens. Ihre Fallbesprechung wird moderiert von einem dafür zusatzqualifizierten Kollegen oder Kollegin, die allerdings keine Fallkenntnis haben dürfen.. 30 % der Krankenhäuser in Deutschland und eine wachsende Anzahl Altenheime arbeitet mit der methodischen Ethischen Fallbesprechung. Ich habe diese Arbeit mit der Methode „Ethische Fallbesprechung“ über mehr als ein Jahrzehnt und mindestens ein Dutzend mal jährlich als sehr hilfreich erlebt, vor allem in der Intensivmedizin- und pflege und in den hochethischen Fragen der speziellen Gynäkologie, also Pränataldiagnostik und deren Folgen sowie in der Neonatologie, den knallharten Fragen um das Überleben allerschwerst erkrankter Neugeborener. Daher kann ich persönlich bezeugen, wie hilfreich das Instrumentarium „Ethische Fallbesprechung“ ist, wenn es allen Mitarbeitenden bekannt ist, wenn alle Mitarbeitenden das verbriefte Recht haben, eine solche Fallbesprechung einzuberufen, und wenn klar ist, dass die Beratung ausdrücklich nur zu Empfehlung führen. Und Empfehllungen können von Ärztinnen und Ärzten umgesetzt werden oder auch nicht, da ist notwendiger- und sinnvollerweise die ärztliche Garantenpflicht vor , die das ärztliche Gewissen schützt. Meistens aber, so meine und viele andere Erfahrungen, meistens haben die Empfehlungen handlungs leitenden, auf jeden Fall aber haben sie orientierenden Charakter, sie sind eine hohe Schule in Fainess und Zuhören, in Selbstzurücknahme und Selbstrelativierung. 8 Wenn Sie in Ihren Häusern so weit noch nicht sind mit halbwegs funktionierender ethischer Fallbesprechung , auch Pfeiffer ist auf dem öffentlich ausdrücklichen Weg, aber noch mehrer Schritte von der offiziellen Etablierung entfernt, dann sind Ihre Häuser daher nicht unethisch. Gute ethische Fortbildungen, oder auch Ethik als fester, etwa zweiwöchentlicher Bestandteil von Dienstberatungen und Visiten oder auch die die Ethik sehr gut thematisierende Gesundheitspflegeausbildung, sie alle sind ebenfalls zentral wichtig für die Frage, wie viel Ethik ein Haus hat und verträgt. Jetzt also auch hier noch einmal die Einladung an Sie zum persönlichen Rezeptieren, frei nach Kathi und Oetker, im Blick auf die Religion als auch im Blick auf die Ethik. Mehr als ein paar Ingredienzen konnte und wollte ich Ihnen nicht nennen – nicht zuletzt übrigens aus dem hohen Respekt, vor allem bei Ethik, vor Ihrer eigenen spezifischen Fachlichkeit, die ich seit über 20 Jahren kollegial täglich zu schätzen weiß. Daher : Alles Gute weiterhin Ihnen allen , gute Kräfte für Ihren – bei allem- wunderbaren BERuf, alles Gute für Sie auch persönlich und privat und gestatten Sie einem evangelischen Pfarrer, dass er schließt mit der ausdrücklichen Bitte an Gott, dass er Sie alle behüten und schützen möge. Hans Bartosch, Pfarrer(ev.) Pfeiffersche Stiftungen Magdeburg Stabstelle Diakonie und Seelsorge Empfohlene Literatur. Thomas Krobath/ Andreas Heller, Ethik organisieren, Freiburg 2010 Andrea Dörries, u.a. Klinische Ethikberatung, Berlin 2008 9 Cornelia Knipping, Kompendium Palliative Pflege, Zürich 2007 Christoph Morgenthaler, Seelsorge, Gütersloh 2008 Ulrich Körtner, Medizinethik, Berlin/New York, 2009 Ulrich Lilie/Eduard Zwierlein, Handbuch Integrative Sterbebegleitung, Gütersloh 2003 Hans Bartosch, Das Leben ist kostbar, Freiburg 2005 10