Ethik in der amtstierärztlichen Praxis.

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Ethik in der
amtstierärztlichen
Praxis.
Ein Wegweiser
Ethik in der amtstierärztlichen Praxis.
Ein Wegweiser
Vorwort
Als Verantwortlicher für Verbraucher_innengesundheit und Veterinärwesen am Bundesministerium für Gesundheit freue ich mich über den erfolgreichen Abschluss des ­Projekts
zur Ethik in der amtstierärztlichen Praxis, das in Zusammenarbeit mit dem Messerli
Forschungsinstitut durchgeführt wurde. Der Wandel des Verhältnisses von M
­ enschen
und Tieren und die ­
damit verbundenen Widersprüchlichkeiten und Werteumbrüche
stellen für das Berufsfeld der Amtstierärzt_innen eine zentrale Herausforderung dar.
Besonders Dilemmata wie etwa die Tötung von gesunden Tieren zur Tierseuchen­
bekämpfung, aber auch Fragen zur Vermenschlichung von Tieren haben in unserer
­Gesellschaft eine intensive Debatte über den richtigen Umgang mit Tieren angefacht.
Impressum
Amtstierärzt_innen stehen hier im Spannungsfeld zwischen Tierschutz, ö
­ konomischen
Fragen, Politik, Recht und Öffentlichkeit. Für die Bewältigung ­
ihrer amtstierärztlichen
Die vorliegende Publikation entstand im Rahmen des Projekts ‚Vethics for vets – Ethik in
Aufgaben sind neben der fachwissenschaftlichen Expertise weitere F
­ähigkeiten wie
der amtstierärztlichen Praxis’. Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Gesundheit
der Umgang mit schwierigen Entscheidungssituationen, Medienkompetenz, psycho-
gefördert und am Messerli Forschungsinstitut (­Veterinärmedizinische Universität Wien,
logisches Gespür, der Blick fürs Wesentliche in Stresssituationen und insbesondere
Medizinische Universität Wien und ­Universität Wien), Abteilung Ethik der Mensch-Tier-­
ethische Fragestellungen relevant. Dies bleibt für das Berufsbild der ­Amtstierärzt_­innen
Beziehung von 2012 bis 2015 durchgeführt.
nicht folgenlos. Deshalb freut es mich, dass das Bundeministerium für Gesundheit ein
Projekt unterstützen konnte, in dem gemeinsam mit Amtstierärzt_innen Hilfestellungen
Projektteam:
für ethische K
­ onfliktfelder in der amtstierärztlichen Praxis erarbeitet wurden. Sei es im
Univ. Prof. Dr. Herwig Grimm (Projektleitung)
Kontext der Tierseuchenbekämpfung oder der landwirtschaftlichen Nutzung von ­Tieren,
MMag. Kerstin Weich (wissenschaftliche Koordination)
in der Konfrontation mit Euthanasie oder Animal Hoarding — Amtstierärzt_innen tragen
Dr. Stefano Saracino (wissenschaftliche Mitarbeit)
Verantwortung und sind aktiv an der Gestaltung der gesellschaftlichen Entwicklung
Mag. Christian Dürnberger (wissenschaftliche Mitarbeit und Auswertung)
der Mensch-Tier-Beziehung beteiligt. So ist es das längerfristige Ziel, mit Projekten wie
Hannah Kranz, B. A. (Organisation und Dokumentation)
Vethics for Vets die Amtstierärzt_innen dabei zu unterstützen, ihre Verantwortung
strukturiert wahrzunehmen und mit normativen Konflikten besser umgehen zu können.
Herausgeberschaft und Redaktion:
Es freut mich, dass eine große Anzahl an Amtstierärzt_innen und Wissenschaftler_innen
Herwig Grimm, Christian Dürnberger, Kerstin Weich
an den Workshops am Messerli Forschungsinstitut teilgenommen hat und der Einladung
Text: Christian Dürnberger
gefolgt ist, gemeinsam über ethische Fragestellungen nachzudenken. Das große Interesse
Layout: Flora Klonner
an den öffentlichen Veranstaltungen hat zudem gezeigt, dass dieses Projekt nicht nur zur
Wien 2015
Reflexion der Verantwortung von Amtstierärzt_innen beigetragen hat, sondern ­gewiss
ISBN: 978-3-200-04267-4
auch zur Sichtbarkeit des Berufsstandes und seiner Bedeutung in der Öffentlichkeit.
Zitationsvorschlag:
Dr. Ulrich Herzog
Dürnberger, C. / Grimm, H. / Weich, K.: Ethik in der amtstierärztlichen Praxis. ­­Ein Wegweiser.
Leiter der Abteilung Verbraucher_innenschutz und Veterinärwesen,
Wien 2015
Bundesministerium für Gesundheit, Wien
5
Vorwort
Vorwort
Als Ausbildungs- und Forschungsstätte trägt die Veterinärmedizinische Universität Wien
Wer sich gegenwärtig mit ethischen Fragen zum Umgang mit Tieren auseinandersetzt,
eine hohe Verantwortung für die Gesundheit und das Wohlergehen von Tieren. Gegründet
stößt auf die Notwendigkeit, nicht nur die Tiere in den Blick zu nehmen – sondern e
­ benso die
1765 von Maria Theresia feiert unsere Universität 2015 ihr 250-jähriges Bestehen. Das
menschlichen Akteur_innen. Diese Überzeugung spiegelt sich nicht zuletzt in der Benen-
Jubiläumsmotto „250 Jahre Verantwortung für Tier und Mensch“ umreißt das vielfältige
nung der Abteilung „Ethik der Mensch-Tier-Beziehung“ am Messerli Forschungsinstitut ­wider.
Aufgabenfeld von Tierärztinnen und Tierärzten sowie die besondere gesellschaftliche Be-
Zentrale Akteur_innen der m
­ odernen Mensch-Tier-Beziehung sind dabei unzweifelhaft­
deutung der Veterinärmedizin. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, ist ein breites
Amtstierärzt_innen. Sie ­waren es daher, die im Fokus des Projekts ‚Vethics for vets – Ethik
Kompetenzprofil der Tierärztinnen und Tierärzte unabdingbar. Auch die ethische Reflexion
in der amtstierärztlichen Praxis’ standen: Mit welchen ethischen Schwierigkeiten sind sie in
und Bewusstseinsbildung ist Teil dieses Profils. Die tierärztliche Arbeit ist eingebettet in
ihrem Berufsalltag konfrontiert? Welche Werte können dieser Berufsgemeinschaft Orientie-
einen gesellschaftlichen Wertewandel der Mensch-Tier-Beziehung, der somit stets neue
rung geben? Und wie können sie einen professionellen Umgang mit den ­Herausforderungen
ethische Herausforderungen mit sich bringt.
ihrer Profession finden? Fragen dieser Art wurden über drei Jahre im Dialog zwischen
Amtstierärzt_innen und Veterinärmediziner_innen sowie Ethiker_innen diskutiert. Zent-
Die Auseinandersetzung mit Ethik in der Veterinärmedizin hat sich in den vergangenen
rale Ergebnisse, Erkenntnisse und Hilfestellungen werden in dem vorliegenden Wegweiser
Jahren maßgeblich intensiviert und auch in der Wissenschaft und Forschung wurden neue
zusammengefasst.
Handlungsfelder geschaffen. Seit der jüngsten Studienplanreform ist die tierärztliche Ethik
fixer Bestandteil der Ausbildung. Mit der Etablierung eines Lehrstuhls für die Ethik in der
Der Dank des Messerli Forschungsinstituts geht im Besonderen an das Bundesministerium
Mensch-Tier-Beziehung am Messerli Forschungsinstitut bearbeiten seit 2012 Ethikerinnen
für Gesundheit für die Förderung des Projekts sowie an die Teilnehmenden der z­ ahlreichen
und Ethiker gemeinsam mit Veterinärmediziner_innen vor allem praxisrelevante Frage-
Workshops und Veranstaltungen. Ohne ihre Bereitschaft, sich Zeit zu nehmen und sich in
stellungen aus dem tierärztlichen Berufsfeld. Um sich genau mit diesen Fragestellungen
den interdisziplinären Austausch einzubringen, wäre die ethische Begleitung im „luftleeren
auseinandersetzen zu können, ist der enge Austausch mit Tierärzt_innen Voraussetzung.
Raum“ verblieben. In diesem Sinne sei an dieser Stelle auch noch einmal ausdrücklich den
‚Vethics for vets — Ethik in der amtstierärztlichen Praxis’ ermöglichte einen mehrjährigen
zuständigen Behörden und Institutionen gedankt, die es ihren Mitarbeiter_innen ermög-
und intensiven Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis mit Fokus auf die amtstierärztliche
licht haben, an den Veranstaltungen teilzunehmen. Darüber hinaus gilt unser Dank allen, die
Tätigkeit. Ich bedanke mich beim Bundesministerium für Gesundheit für die Unterstützung
das Projekt unterstützt haben und auch weiterhin mit uns gemeinsam Debatten über eine
und Ermöglichung dieses Projekts und die gute Zusammenarbeit mit allen Beteiligten.
Ethik in der amtstierärztlichen Praxis führen werden.
Mit den oben genannten Maßnahmen und dem Vethics for vets-Projekt hat Österreich
Prof. Dr. Herwig Grimm
im internationalen Vergleich eine Vorreiterrolle eingenommen. Der Wertewandel in u
­ nserer
Abteilung Ethik der Mensch-Tier-Beziehung am Messerli Forschungsinstitut,
Gesellschaft wird sich auch in Zukunft fortsetzen, sodass neue Konfliktfelder auftreten
Veterinärmedizinische Universität Wien, Medizinische Universität Wien und Universität Wien
­werden, die einen kontinuierlichen Diskurs zwischen Praxis und Theorie erfordern. Dafür
sind wir bestens gerüstet.
Dr. Sonja Hammerschmid
Rektorin der Veterinärmedizinischen Universität Wien
6
7
Inhalt
10
Warum ein Wegweiser für eine Ethik
in der amtstierärztlichen Praxis?
63
Schwerpunkt 2: Tiere — lebendiger Rohstoff?
65
Verdinglichung ohne Rücksicht?
67
Moralische Praktiken im Umgang mit Tieren
69
Der Responsibility Check
72
Rhetorik – Wie ist besseres Argumentieren möglich?
80
Kommentierte Auswahlbibliografie
87
Schwerpunkt 3: Der überforderte Mensch
13
Schwerpunkt 1: Tiere töten
14
Besser Sterben. Tiergerechtes Töten.
16
Die Ethical Matrix
20
Zwei Normen amtstierärztlicher Praxis
25
Normenkonflikte als Normalfall
28
Kommentierte Auswahlbibliografie
34
Kadaver — Kreatur — Kotelett. Schlachten
87
Der Mensch als Maß aller Tiere
36
Begriffswolke als Mapping
90
Animal Hoarding — Wenn Tiere überhand nehmen
41
Über Ethik und Tugenden
92
Der ethische Entscheidungspfad
46
Kommentierte Auswahlbibliografie
98
Kulturelle Hintergrundfolien der Mensch-Tier-Beziehung
49
Kadaver — Kreatur — Kotelett. Keulen
50
Animal Disease Intervention Matrix
56
Die Vielfalt amtstierärztlicher Rollen
61
Kommentierte Auswahlbibliografie
101
Kommentierte Auswahlbibliografie
111
Auf dem Weg zu einer Ethik in der amtstierärztlichen Praxis
Warum ein Wegweiser?
Warum ein Wegweiser?
Warum ein Wegweiser für eine Ethik in der amtstierärztlichen Praxis?
und ­informierten Umgang mit ethischen Fragestellungen zu verhelfen sowie argumentative
Fähigkeiten in moralischen Streitfragen einzuüben.
Das Verhältnis von Menschen und Tieren ist im Wandel: Nie zuvor wusste der Mensch mehr
über die Tiere als heute, nie zuvor wurden mehr Tiere als Nutztiere gehalten als in den ver-
Das Projekt war auf einen intensiven Dialog zwischen Theorie und Praxis ausgerichtet. Im
gangenen hundert Jahren und wohl auch nie zuvor in der Geschichte waren Heimtiere dem
interdisziplinären Austausch trafen ATÄ auf Vertreter_innen der Philosophie, der Rechtswis-
Status eines Familienmitglieds näher als in unseren Zeiten und unseren Breiten. Ein der-
senschaften, der Geschichtswissenschaften oder auch der Psychologie, um in z­ ahlreichen
artiger Wandel zeitigt dabei stets auch Widersprüchlichkeiten und offene Fragen: Warum
Workshops und öffentlichen Veranstaltungen entscheidende Fragen des amtstierärztlichen
werden manche Tiere in unüberschaubarer Zahl geschlachtet und andere als Heimtiere
Berufsfelds zu diskutieren. Im Mittelpunkt der Debatten standen nicht abstrakt konstruierte
gestreichelt? Findet die Mensch-Tier-Beziehung zunehmend zwischen Verdinglichung und
Szenarien, sondern Fallbeispiele aus der täglichen amtstierärztlichen Praxis. Ethische Kon-
Vermenschlichung statt? Stehen Tierschutz und Nutztierhaltung in einem notwendigen
flikte wurden innerhalb von drei Themenschwerpunkten behandelt:
Widerspruch? Und inwieweit kann auch gut gemeinte Fürsorge eine Art von Tierquälerei
Tiere töten
bedeuten?
Tiere nutzen
Tiere lieben
Diese Widersprüchlichkeiten der modernen Mensch-Tier-Beziehung treten dabei an e
­ inem
Ort in besonderer Deutlichkeit zutage: in der amtstierärztlichen Praxis. Sei es bei der
Frage nach der Euthanasie von Heimtieren, sei es bei der Betreuung und Kontrolle von
Der vorliegende Wegweiser versteht sich als auswertende Zusammenfassung der in den
­landwirtschaftlichen Tierbeständen, sei es bei der Tierseuchenbekämpfung oder beim Um-
Workshops durchgeführten Arbeiten und Diskussionen. Er soll dazu beitragen, die ethische
gang mit Phänomenen wie Animal Hoarding: Bei all diesen Fragen zeigt sich, dass für die
Reflexion von ATÄ zu fördern, ihnen konkrete und praxistaugliche Hilfestellungen an die
Bewältigung amtstierärztlicher Aufgaben neben der fachwissenschaftlichen Expertise stets
Hand zu geben, unübersichtliche Kontroversen rund um das amtstierärztliche Berufsfeld
auch eine ethische Orientierung in Entscheidungssituationen erforderlich ist. Diese D
­ ia-
zu strukturieren und auf diesem Wege Grundlagen für einen professionellen Umgang mit
gnose war Ausgangspunkt des Projekts ‚Vethics for vets – Ethik in der amtstierärztlichen
den beschriebenen Spannungsfeldern zu schaffen. Der Wegweiser wendet sich daher im
Praxis’. Wenn Amtstierärzt_innen (im weiteren Verlauf: ATÄ) laufend mit Problemen von
Besonderen an ATÄ selbst — zugleich sind die diskutierten Fragen für jede_n von Relevanz,
moralischer Relevanz konfrontiert sind, ist es ein notwendiges Unterfangen, die ethischen
der_die sich für die ethischen Aspekte der Mensch-Tier-Beziehung interessiert.
Herausforderungen des amtstierärztlichen Berufsfelds explizit zu machen.
Der Begriff „Wegweiser“ im Titel macht deutlich, dass die hier dargestellten Debatten als
Das ­Projekt sollte dabei nicht zuletzt für ATÄ den Freiraum schaffen, über Fragen nach-
Schritte auf dem Weg zu einer ‚Ethik in der amtstierärztlichen Praxis’ verstanden werden
zudenken, für die im täglichen Berufsalltag vielleicht kaum Zeit bleibt, die jedoch ohne
können. Ihre Notwendigkeit wird im Spiegel der stattgefundenen Workshops und dem Wi-
Zweifel von besonderer Bedeutung für eine verantwortliche Erledigung ihrer Aufgaben sind.
derhall, den das Projekt über die österreichischen Landesgrenzen hinaus erfahren hat, un-
Auf der Grundlage der Erfahrungen von ATÄ wurden daher in einem ersten Schritt r­ elevante
zweifelhaft.
Zwangslagen und ethische Schwierigkeiten ihres Berufsalltags benannt, um darauf
aufbauend unter der Leitung von Ethiker_innen die identifizierten Konfliktfelder ­gemeinsam
zu diskutieren. Ziel war, eine selbstständige Reflexion wie einen professionellen Umgang
mit den Dilemmata des amtstierärztlichen Berufsfelds zu fördern, zu einem strukturierten
10
11
Warum ein Wegweiser?
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Um die Lesefreundlichkeit zu erhöhen und den Zugriff auf relevante Informationen schnell
und gezielt zu ermöglichen, finden sich im Wegweiser folgende wiederkehrende Elemente:
Fallbeispiel
Schwerpunkt 1
Tiere töten
Konkrete Fallbeispiele aus der amtstierärztlichen Praxis
Aus dem ethischen Werkzeugkasten
Instrumente und Hilfestellungen für eine eigenständige,
fundierte Diskussion und Bewertung ethischer Fragestellungen
Im österreichischen Tierschutzgesetz wird ein „vernünftiger Grund“ für die Tötung von TieAuf dem Weg zu einem amtstierärztlichen Ethos
ren gefordert. Insofern keine konkreten Gründe angeführt werden, bedarf es eines steten
Überlegungen zum amtstierärztlichen Selbstverständnis:
gesellschaftlichen wie von Expert_innen gestützten Aushandlungsprozesses, der darüber
Welche Werte geben in diesem Berufsfeld Orientierung?
reflektiert, inwiefern ein Grund als „vernünftig“ gelten kann — oder nicht. Die Tötung von
Tieren wird dabei in höchst unterschiedlichen Kontexten vollzogen. Um das Themenfeld zu
Kommentierte Auswahlbilbliografie
begrenzen, wurden im Rahmen des Projekts Schwerpunkte auf drei Formen der Tiertötung
Weiterführende und vertiefende Literatur
gelegt, die zum einen im amtstierärztlichen Beruf wichtig sind, zum anderen die angesprochenen Widersprüchlichkeiten der Mensch-Tier-Beziehung klar zutage treten lassen und
entsprechend oftmals für Polarisierung wie für moralische Empörung sorgen. Diskutiert
wurden:
die Euthanasie von Heimtieren
das Schlachten von Nutztieren
das Keulen von Tierbeständen
Bei allen drei Kontexten handelt es sich um etablierte Formen der Tiertötung, die unter veterinärmedizinischer Überwachung stattfinden und dem Ideal einer angst- wie schmerzlosen Tötung folgen. Wie im Folgenden gezeigt, zeichnen sich die Kontexte durch ­spezifische
ethische Fragestellungen aus, die nach einem professionellen und reflektierten Umgang
seitens der ATÄ verlangen.
12
13
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Besser Sterben. Tiergerechtes Töten.
Fallbeispiel A: Bissiger Hund
Der Begriff „Euthanasie“ stammt aus dem Griechischen (eu: gut, leicht; thánatos: Tod) und
„aus dem Nichts“ heraus seine Besitzerin ins Gesicht gebissen hat
lässt sich als „leichter, guter Tod“ übersetzen. Auch wenn der Begriff in aller Regel im Kontext
und sie dadurch schwer verletzt wurde, wird das Tier in amtstier-
der Heimtierhaltung seine Verwendung findet, ist festzuhalten, dass die Zielsetzung eines
ärztlichen Gewahrsam genommen – und euthanasiert.
„leichten und guten Todes“ ebenso im Kontext von Schlachtung und Keulung Geltung hat.
Auch dort soll der Tod eines Tieres angst- und schmerzlos herbeigeführt werden. Gemeinhin jedoch wird mit der Euthanasie von Tieren der durch eine Tierärztin oder einen Tierarzt
Fallbeispiel B: Überzählige Katzen
herbeigeführte Tod (etwa durch Injektion einer tödlichen Dosis eines Narkotikums) eines
In einem Tierheim, das zu großen Teilen durch öffentliche Gelder un-
Heimtieres aufgrund bestimmter klinischer Indikationen, oftmals wegen Leid und Krankheit,
terstützt wird, herrschen tierschutzwidrige Bedingungen. Obwohl in
assoziiert. Die Einschläferung eines alten, an einer schweren Krankheit leidenden Hundes
den Räumen maximal 30 Katzen gehalten werden können, sind über
kann hierfür als idealtypisches wie wirkmächtiges Beispiel genannt werden: Die Abwägung
60 Tiere untergebracht. Die Tiere sind verwildert und können unter
zwischen ­Lebensschutz und Leidensbeendung kann in diesem Fall so ausfallen, dass der
den herrschenden Umständen nicht tiergerecht versorgt werden.
Schutz des Wohlbefindens des Tieres über den Schutz seines Lebens gestellt wird — und
Anrainer_innen des Tierheims, die die Probleme jeden Tag vor Augen
es daher im Interesse des Tieres zu einer Euthanasie kommt (ein idealtypisches Beispiel,
haben, treten schließlich an die amtstierärztliche Behörde ­heran. Eine
das im Übrigen noch kritisch zu diskutieren sein wird). Die Kategorisierung von bestimmten
im Folgenden diskutierte Strategie zur Lösung des Problems der
Tieren als „Heimtieren“ ist dabei freilich alles andere als eindeutig und präzise. Im öster-
Überbelegung ist eine Reduktion der Katzenanzahl via E
­ uthanasie.
reichischen Tierschutzgesetz werden Heimtiere u.a. als „Gefährten“ beschrieben, als Tiere,
die „aus Interesse am Tier“ im Haushalt gehalten werden (§4, 3 TSchG). Ohne näher auf die
definitorischen Schwierigkeiten des Begriffs eingehen zu wollen, genügt für den vorliegen-
In beiden Fällen geht es um eine amtstierärztlich angeordnete Euthanasie von weitge-
den Kontext der Befund, dass solche tierischen Gefährten zu zig Millionen in der westlichen
hend gesunden Heimtieren. Wie sind diese beiden Fallbeispiele aus ethischer Perspektive
Welt leben. Die Frage nach dem „guten Tod“ eines Heimtieres ist damit alles andere als ein
zu diskutieren? Stellt man sich die Aufgabe, derartige Szenarien moralisch zu bewerten,
Nischenphänomen. Welche ethischen Implikationen sind der Praxis der Euthanasie nun
verlaufen die Debatten, so die Erfahrungswerte im Besonderen bei Gruppendiskussionen,
inhärent und was ist ihre Bedeutung für den amtstierärztlichen Berufsalltag? Um sich
in aller Regel unstrukturiert: Argumente treffen auf Anekdoten, die Diskussion verliert sich
­diesen Fragen zu stellen, wurden zwei Fallbeispiele bearbeitet.
in Detailfragen oder man kommt auf „Gott und die Welt“ zu sprechen. Um diesem Durcheinander zu entgehen, werden in der angewandten Ethik simple wie intuitiv zugängliche
­Instrumente zur Strukturierung ethischer Diskussionen entwickelt. Eines dieser Instrumente
ist die ­Ethical Matrix.
14
15
FALLBEISPIEL
Ein Hund ist mehrfach verhaltensauffällig geworden. Nachdem er
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
DIE ETHICAL MATRIX
Wer mit der Ethical Matrix arbeitet, ist aufgefordert, ein konkretes
Szenario unter der Berücksichtigung der drei Prinzipien hinsichtlich
Die Ethical Matrix ist ein Werkzeug zur Analyse ethischer Problem-
ihrer Konsequenzen für die von ihm identifizierten Betroffenen zu
stellungen. Mit ihr soll eine strukturierte Diskussion in moralischen
diskutieren und die Matrix auf diesem Weg schrittweise zu füllen.
Konfliktsituationen ermöglicht werden (Mepham et al. 2006). Die
Ethical Matrix wurde Mitte der 1990er vom Bioethiker Ben Mepham
Output entwickelt und im Rahmen von Vethics vor vets in folgendes
Die Ethical Matrix vermag verworrene Debatten zu ordnen, ethisch
Format adaptiert:
strittige Fragen deutlich zu machen sowie eine Grundlage für eine
begründete Entscheidungsfindung zu stellen. Konfliktfelder lassen
Berücksichtigung von
Nutzen
Schaden
Entscheidungsfreiheit
Mithilfe der Ethical Matrix lassen sich die beiden skizzierten ­Fall-
Betroffene a
beispiele diskutieren: Welche Betroffenen sind zu identifizieren und
Betroffene b
sich identifizieren, Kompromisse vergleichen.
wie werden sie von den jeweiligen Entscheidungen berührt? Welche Gründe sprechen für eine Euthanasie? Welche dagegen? Nun
...
besteht die Pointe eines Instruments wie der Ethical Matrix nicht
Vorgehen zuletzt in der selbstständigen Bewertung der Optionen bzw. in den
Die Matrix ist tabellarisch aufgebaut. In einer ethischen Diskussion
hierzu notwendigen Diskussionen innerhalb einer Gruppe. Dennoch
wird nach den Betroffenen gefragt. Dazu ist die Frage zu klären, wer
werden zur Illustration zwei ausgefüllte Matrizen abgebildet, die in
bei der anstehenden Entscheidung zu berücksichtigen ist. In der ­
den Workshops des Projekts erarbeitet worden sind.
linken Spalte werden als Betroffene diejenigen gelistet, die in der
­einen oder anderen Weise von der strittigen Frage berührt werden.
So soll sichergestellt werden, dass alle relevanten Interessen und
­Gruppen in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Neben
diesem ­Aspekt wird in der Matrix ein möglichst breites und intuitiv
­zugängliches Spektrum an ethischen Prinzipien für die Bewertung
berücksichtigt: Welchen Nuzzen hat eine bestimmte Strategie für
welche Betroffenen? Welchen Schaden verursacht sie? Und schließlich stellt sich die Frage, inwieweit die Entscheidungsfreiheit der
Betroffenen eingeschränkt oder geachtet wird. Die Matrix schließt
damit lose an die von Beauchamp / Childress (2001) als zentral erachteten ethischen Prinzipien der Autonomie, des Nichtschadens, der
Wohltätigkeit und der Gerechtigkeit an.
16
17
AUS DEM ETHISCHEN WERKZEUGKASTEN
AUS DEM ETHISCHEN WERKZEUGKASTEN
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Teil des Jobs erledigt
Vermeidung von Kosten;
Platz für andere Tiere
Sicherheit; weniger
Arbeitsaufwand
Öffentliche Sicherheit
ATÄ
Tierheimmanagement
Tierheimpersonal
Öffentlichkeit /Bürger_innen
„Gute“ Story
Katzen
Berücksichtigung von
Überleben
Nutzen
Job erfüllt?
Schwierige Lösungssuche
für Haltungsprobleme
Keine tiergerechte Haltung
ob der zu großen Zahl
Schaden
Vorgabe durch Gesetze;
Möglichkeit, Alternativen
bereitzustellen
Keine
Entscheidungsfreiheit
AUS DEM ETHISCHEN WERKZEUGKASTEN
Fallbeispiel B: Keine Euthanasie von überzähligen Katzen
ATÄ
Evtl. „Freude“, nicht 30
gesunde Katzen
euthanasieren zu müssen
Keine
19
Weiterhin Kosten für zu viele
Tiere
Medien
Keine
Keine
Evtl. Kosten für bessere Haltung
Keine
Wahrschl. dennoch Mitleid
Keine
Keine
Statuten;
behördliche Anordnung
Vorgabe durch Gesetz,
aber Ermessensspielraum
Keine
Keiner
Evtl. weiterhin „Pflegenotstand“
Besitzerin
Weniger Kosten; Steuergeld
für andere Bereiche
Evtl. Mitleid
Evtl. Mitleid
Evtl. Mitleid; evtl.
Anfeindungen durch Dritte
Tod
Entscheidungsfreiheit
Steuerzahlende
Evtl. Freude,
dass Katzen überleben
Steuerzahlende
Problem gelöst
Keiner (evtl. Vermeidung
eines Lebens in „Einzelhaft“)
Hund
Schaden
Katzenpensionspersonal
„Gute“ Story
Katzenpensionsmanagement
Medien
18
Behörde
Nutzen
Berücksichtigung von
Fallbeispiel A: Euthanasie — Bissiger Hund
AUS DEM ETHISCHEN WERKZEUGKASTEN
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Zwei Normen amtstierärztlicher Praxis
dass nicht nur die Interessen der Tiere (und / oder ihrer Besitzer_innen), sondern ebenso
Interessen der Öffentlichkeit wie zum Beispiel die öffentliche Sicherheit, die Verwendung
Im Anschluss an das Ausfüllen einer Ethical Matrix können diverse Analysefragen gestellt
von öffentlichen Geldern oder Belange der öffentlichen Gesundheit eine Rolle spielen.
werden: Welches Gut oder Interesse stellt das bedeutsamste in der Abwägung dar? Für
Auch diese Interessen, so wurde deutlich, müssen in bestimmten Fällen als „vernünftiger
­welche Betroffenen und Konsequenzen sind ATÄ überhaupt verantwortlich? Auf welche
Grund“ in Bezug auf Tiertötungen berücksichtigt werden. Andernfalls würden die han-
­können sie einwirken? Im Folgenden sollen jedoch weniger die Diskussionspunkte en ­détail
delnden ATÄ ihren Beruf nicht in Übereinstimmung mit der gegenwärtigen Gesetzeslage
wiedergegeben, sondern der rote Faden der gesamten Auseinandersetzung mit den beiden
und den entsprechenden Aufgaben ausüben. In diesen Normenkonflikten liegt demnach
­Fallbeispielen verfolgt werden. Was zeigen die Diskussionen und der Vergleich der ausgefüllten
eine wesentliche Quelle für die moralische Belastung von ATÄ. Wie auch immer Strategien
Matrizen? Welche Erkenntnisse konnten aus den Diskussionen in den Workshops mit Blick
­einer Entlastung aussehen mögen — die Reflexion auf die leitenden Prinzipien der eigenen
auf das amtstierärztliche Berufsfeld gewonnen werden? Zunächst zeigt sich, dass sowohl
­Arbeit ist unentbehrlich. Mit ihr wird beispielsweise deutlich, dass auch die Norm öffentliche
eine Entscheidung für wie auch gegen eine Euthanasie moralisch herausfordernde Frage-
Interessen auf zentralen ethischen Wertorientierungen der Gesellschaft basiert: Die F
­ rage
stellungen mit sich bringt: Während die Strategie des Euthanasieverzichts das Leben der
nach einem rechtfertigbaren Umgang mit
Tiere rettet, entspricht diese Entscheidung nicht unbedingt dem öffentlichen Interesse, das
öffentlichen Geldern beispielsweise mag
die öffentliche Sicherheit wie auch Fragen eines effizienten wie rechtfertigbaren Umgangs
im ­
Szenario der „überzähligen Katzen“
mit Steuergeldern im Blick hat. In beiden Fallbeispielen werden damit die Schwierigkeiten
noch keine Euthanasie begründen, sie kor-
und das Selbstverständnis des amtstierärztlichen Berufsbilds deutlich: ATÄ haben nicht nur
respondiert jedoch mit dem Prinzip der Ge-
das Wohlergehen des Tieres zu berücksichtigen, sondern ebenso etwaige öffentliche Inter-
rechtigkeit. Öffentliche Gelder sollen nicht
schließlich und über die gesetzlichen
essen miteinzubeziehen. Idealtypisch konnten in den Diskussionen damit zwei Normen frei-
verschwendet werden, sie sollen fair und
Anforderungen hinaus für Tierschutz
gelegt werden, die für die amtstierärztliche Arbeit eine bedeutsame Rolle spielen:
auch wirksam hinsichtlich gesellschaftlicher
zuständig angesehen würden. ­
Gerade
„Selbstbild – Fremdbild?“
Nicht wenige Teilnehmende nannten es
ein „gesellschaftliches M
­issverständnis“ ihres Berufs, dass ATÄ als aus-
in der medialen Berichterstattung über-
Zielvorstellungen ihre Verteilung finden.
Norm 1 stellt die Frage nach dem individuellen Wohlergehen des
Tieres und der Achtung seines Lebens.
Norm 2 stellt die Frage nach den öffentlichen Interessen.
Während praktische Tierärzt_innen hauptsächlich mit ethischen Fragen der ­Euthanasie
wiege ­
oftmals der Fokus auf Norm 1
Norm 2 – Öffentliche Interessen in den Blick
– Wohlergehen des Tieres, während
zu nehmen, gleicht demnach keineswegs
Norm 2 – Ö
­ ffentliche Interessen gerin-
einer blinden, bürokratisch angeleiteten
gere Beachtung erfahre. Zugleich ist
Pflichterfüllung — auch hier geht es viel-
zu ­
attestieren, dass derartige Selbst-
mehr um Werte und moralische ­
Grund
und Fremdbilder von Professionen in
überzeugungen.
einem Wechselverhältnis stehen; sie
verändern sich und entwickeln sich
im Sinne von Norm 1 – Wohlergehen des Tieres in Berührung kommen, sie also vor allem
weiter. Differenzen — sowohl zwischen
dann mit der Frage der Euthanasie konfrontiert werden, wenn es darum geht, das Leid
ATÄ als auch zwischen Selbst- und
­eines kranken Tieres zu beenden, sind ATÄ mit anders gelagerten ethischen Problemen von
Fremdbild — können Ausgangspunkte
­Euthanasie konfrontiert, da sie ebenso explizit Norm 2 – Öffentliche Interessen in Betracht
für ­Diskussionen und Reflexionen über
zu ziehen haben. Daher ist der Verantwortungsbereich von ATÄ ein tendenziell anderer als
Auftrag und ­
Herausforderungen des
jener von praktischen Tierärzt_innen. Die Teilnehmenden an den Workshops haben deutlich
Berufs sein.
gemacht: Die entscheidende Schwierigkeit in der amtstierärztlichen Praxis liegt eben darin,
20
21
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Von den problematischen Fällen zum Ideal
Zugespitzt ließe sich behaupten, dass die Geschichte von Paula nicht die Geschichte eines
moralischen Problems erzählt. Wenn alle Beteiligten übereinstimmen und sich z­wischen
Die Debatten entlang der beiden vorgestellten Fallbeispiele machen Schwierigkeiten
der angestrebten Entscheidung und den persönlichen Überzeugungen kein Widerspruch
­deutlich und legen Defizite offen. Aus der Rede vom Defizit ergibt sich eine Anschlussfrage:
regt, hält sich die ethische Herausforderung in Grenzen. Daraus folgt nicht, dass man die
defizitär vor welchem Hintergrund? Anders gefragt: Wie würde denn ein „idealer Fall“ von
­anstehende Entscheidung nicht „besser“ oder „schlechter“ gestalten könnte: Im vorliegen-
Euthanasie eines Heimtieres aussehen? Im Rahmen des Projekts wurde ein solcher „Ideal-
den Fall von Paula wählen die Tierärztin oder der Tierarzt und die Familie eben nicht nur die
fall“ entworfen.
Option „­Euthanasie“, sondern überlegen sich darüber hinaus, wie diese Entscheidung zum
Wohle der Hündin wie auch der Familie am besten umgesetzt werden kann (zum Beispiel
FALLBEISPIEL
durch eine Euthanasie in der vertrauten Umgebung). In der Reflexion wurde deutlich, dass
Fallbeispiel C – Paula als Idealfall einer Euthanasie?
eine „­ideale Euthanasie“ im Besonderen dadurch charakterisiert ist, dass „niemandem die
Paula, eine Labradorhündin, ist seit sechzehn Jahren Teil der Familie.
Schuld gegeben werden kann.“ Die Entscheidung für eine Euthanasie liegt „quasi auf der
Eines Tages verhält sie sich auffällig und wird daher in die Tierarzt-
Hand“ und vollzieht sich „ohne viele Worte“, da jedem_jeder Beteiligten klar ist, dass „die Zeit
praxis gebracht. Dort wird Krebs diagnostiziert. Glücklicherweise
gekommen ist“. In diesen Beschreibungen deutet sich eine „wohltuende Schicksalshaftigkeit“
spürt Paula keine Schmerzen. Die Hündin kehrt nach Hause zurück.
der Ereignisse an, die nicht zuletzt einen tiefgehenden Konsens aktueller Moralvorstellungen
Nach ein paar Tagen versammeln sich alle im Wohnzimmer und ver-
zu Mensch und Tier wie auch Leben und Tod signalisiert. Die Entscheidungsträger_innen
abschieden sich von der Hündin. Danach wird Paula im Hausbesuch
­haben weniger den Eindruck, eine Entscheidung zu treffen, als dass sich die Entscheidung
euthanasiert – sie schläft friedlich ein.
von selbst versteht. Die Euthanasie wirkt wie ein notwendiges Schicksal, in das man sich
fügt, und weniger wie eine freie Entscheidung zwischen verschiedenen Optionen, die gegen-
Was macht die Geschichte von Paula zu einem Idealfall? Es können
einander abzuwägen wären. Wo die Kategorie „Schicksal“ im Raum steht, lösen sich ein-
verschiedene Aspekte genannt werden, die sowohl den Grund der
deutige Verantwortungen auf.
Euthanasie als auch das spezifische Vorgehen betreffen:
Blickt man auf die geschilderten Fallbeispiele A und B zurück, zeichnen sich die Diffe—
das ­fortgeschrittene Alter der Hündin, die auf ein „gutes“ Leben
renzen in aller Deutlichkeit ab: In beiden Fällen spielen die Bedürfnisse des i­ndividuellen
zurückblicken kann
Tieres durchaus eine Rolle, müssen jedoch stärker mit anderen Interessen abgeglichen
—
ihre Krankheit, die zugleich weitgehend schmerzfrei verläuft
­—
der Krankheitsverlauf, der keine akute Entscheidung notwendig
bzw. das Bedürfnis nach Sicherheit würden den Ausschlag für eine Euthanasie geben.
macht, so dass Zeit für einen Abschied durch die Familie bleibt
Zwar m
­ ögen derartige ökonomische Zwangslagen und gesetzliche Vorgaben in manchem
—
die vertraute Umgebung, in der die Euthanasie vollzogen wird
Fall auch als eine Art „Schicksal“ empfunden werden, nichtsdestotrotz braucht es hierbei
—
die Entscheidung für eine Euthanasie, die frei von ökonomi-
schen Zwängen getroffen werden kann
werden. Bei den „überzähligen Katzen“ wie beim „bissigen Hund“ handelt es sich um
weitgehend gesunde Tiere. Nicht eine etwaige Krankheit, sondern ökonomische ­Zwänge
­immer noch eine bewusste Entscheidung — andere Optionen wären ebenso denkbar. So
kann beim „bissigen Hund“ die Frage gestellt werden, ob durch Erziehungsmaßnahmen
das verhaltensauffällige Beißen in den Griff zu bekommen wäre. im Szenario der „überzähligen ­Katzen“ kann, ja muss aus Sicht der Beteiligten gefragt werden, ob alle Alternativen
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Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Normenkonflikte als Normalfall
der_die handelnde Akteur_in tatsächlich für eine Euthanasie entscheiden, wird mit dem
Das altgriechische Wort ethos bedeutete den Griechen einst Sitte
Moment der „bewussten Entscheidung“ eine konkrete Verantwortung greifbar, die im Fall
und Charakter, sprich jene tradierten Gewohnheiten, die einen
der „wohltuenden Schicksalshaftigkeit“ bei „Paula“ zwar auch vorhanden ist, aber ob des
adäquaten Umgang mit Situationen und Problemen des Alltags
allgemeinen Konsenses in den Hintergrund tritt. Verantwortung kann hierbei im ursprüng-
erlaubten. In der Gegenwart findet der Begriff oftmals im Wort
lichen Wortsinn gelesen werden: Gerade wenn eine Entscheidung strittig genannt werden
Berufsethos Verwendung. Gemeint ist damit eine ­grundsätzliche
darf, kann damit gerechnet werden, dass man dafür Rede und Antwort stehen muss.
Orientierung, die das Handeln einer bestimmten Berufsgruppe
prägt. Wenn hier wiederholt nach einem amtstierärztlichen Ethos
In den Differenzen zwischen „Paula“ und den Fallbeispielen A und B treten damit noch ein-
gefragt wird, ist die Zielsetzung weniger die Erstellung eines Grund-
mal die beschriebenen Normen in den Vordergrund: „Paula“ kann gerade deswegen als
satzkatalogs im Sinne eines „Du sollst“ bzw. „Du sollst nicht“, son-
Idealfall verstanden werden, da es hier zu keinem Normenkonflikt kommt. Die ­Geschichte
dern vielmehr soll ein reflektiertes Selbstverständnis hinsichtlich
erlaubt einen alleinigen Fokus auf Norm 1 — Wohlergehen des Tieres. Die Entscheidung
zentraler Fragen gefördert werden, die es fallspezifisch in immer
für die Euthanasie ist damit gewissermaßen eine „Privatentscheidung“ und berührt nicht
neuen A
­ nläufen zu d
­ iskutieren gilt: Welche Fragen sind für die
Norm 2 — Öffentliche Interessen, während eben diese bei den Fallbeispielen A und B den
amtstierärztliche Berufsgemeinschaft bedeutsam? Wofür steht
Konflikt ­wesentlich ausmachen. Grundsätzlich zeigen sich in der Geschichte von „Paula“
man in ­seinem Beruf ein? Nach w
­ elchen Prinzipien wird gehandelt?
spiegelbildlich Vorstellungen eines „guten Sterbens“, wie es sich viele Menschen auch für
Welche Werte geben dem B
­ erufsstand Orientierung?
sich selbst wünschen. Die Idealvorstellungen von einem schmerzlosen, friedlichen Tod sind
Was kann nun aus der Diskussion der drei Euthanasie-Fallbeispiele
dabei normativ wirksam, sprich: Auch wenn im Grunde jeder weiß, dass es sich hierbei um
für einen amtstierärztlichen Ethos gewonnen werden? ­Vorweg ist
ein Idealbild jenseits der üblichen Realität handelt, prägen diese Ideale als Norm unsere
eines festzuhalten: Die freigelegten Normen (Wohlergehen des Tie-
Entscheidungen und Erwartungen. Wenn weiter oben nach der Bezugsgröße des Defizits
res und öffentliche Interessen), die für die amtstierärztliche A
­ rbeit
gefragt wurde, dann lautet eine Antwort also: Die beiden Fallbeispiele A und B erscheinen
handlungsleitend sind, können konfligieren — und tun es in der Regel
eben vor dem Hintergrund normativer Idealvorstellungen wie jener von „Paula“ als defizitär.
auch. Darüber hinaus können berufliche Verpflichtungen mit per-
Es sind nicht zuletzt Kontrastfolien von gewünschten Soll-Zuständen, die — explizit oder
sönlichen Einstellungen und moralischen Überzeugungen in Wider-
implizit — unsere Beurteilungen prägen und deren Aufzeigen zu einer höheren Transparenz
spruch geraten. Wo Normen auf diese Art und Weise konfligieren,
der Meinungsbildung aller im Entscheidungsprozess Beteiligten beitragen kann.
dort beginnt nicht nur die Notwendigkeit ethischer Reflexion, dort
hat man es auch mit schwierigen Entscheidungen zu tun. In anderen
Worten: Normen sind Normen, weil sie sich im gesellschaftlichen Zusammenleben bewährt haben — widersprechen sie einander, haben
damit meist beide Standpunkte gute Argumente auf ihrer Seite. Die
beiden handlungsleitenden Normen „Wohlergehen des Tieres“ und
„öffentliche Interessen“ — auch das machten die Diskussionen in den
Workshops deutlich — können hierbei nicht endgültig und nicht im
Abstrakten gewichtet werden. Eine Entscheidung, inwieweit nun das
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AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS
wie etwa das Organisieren von Ersatzunterbringungen geprüft worden sind. Sollte sich
AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Tierwohl oder etwaige öffentliche Interessen schwerer wiegen,
Umfeld nicht gerade erleichtert. Wenngleich die einzelne Amtstier-
kann nur fallweise und kontextsensitiv erfolgen. Der Ort der
ärztin oder der einzelne Amtstierarzt nur bedingt Möglichkeiten
­Amtstierärztin oder des Amtstierarztes ist demnach grundsätzlich
hat, die öffentliche Debatte und mediale Thematisierung zu prä-
zwischen ­beiden Normen. Stets muss ob eines konkreten Einzel-
gen, ist das Erkennen und Aufzeigen dieses Defizits — ebenso wie
falls auf Basis der amtstierärztlichen Expertise abgewogen ­werden.
die ­skizzierte Reflexion über die Normen der eigenen Profession
Darüber definiert sich nicht zuletzt eine verantwortungsvolle
­
— ein erster wie unabdingbarer Schritt.
Expertentätigkeit: Gäbe es klar vorgegebene Richtlinien, die automatisiert auf den Einzelfall angewendet werden können, spräche
man kaum von einer Aufgabe, die Expertise und Kompetenz verlangt.
Eine Ethik für ATÄ ist demnach nicht als Ausbildung zu „­mora-
Weiterführende Fragen
lischen Superhelden“, die immer und überall die einzig ­wahre ­Lösung
zu komplexen Problemen kennen, zu verstehen. Vielmehr geht
Der „tötende Arzt“: Inwieweit steht die Tötung als amtstierärztliches Instrument in einem
es um das Einüben einer bestimmten Selbstreflexion, da sich die
Widerspruch zu Ihrer ursprünglichen Motivation, ein Studium der Veterinärmedizin zu
Notwendigkeit einer fallweisen Entscheidung bei k­ onfligierenden
beginnen?
­Normen nicht aus der Welt schaffen lässt. So sehr sich ATÄ angesichts des geschilderten Dilemmas auch wünschen mögen, eine
Inwieweit wandelt sich Ihrer Wahrnehmung nach nicht nur das Verhältnis zum Tier – son-
eindeutige Lösung zu finden, die jeden Dissens in Wohlgefallen
dern auch zum Tod? Die Soziologie geht von einer zunehmenden Tabuisierung des Todes in
­auflöst und ihre Entscheidung jeder möglichen Kritik enthebt, sind
unserer Gesellschaft aus. Welche Auswirkungen hat das auf den Umgang mit Heimtieren
sie demnach besser beraten, die grundsätzliche Schwierigkeit, es
und Tiertötungen?
in zahllosen Situationen mit Normenkonflikten zu tun zu haben, in
einem ersten Schritt schlicht als Teil ihres Berufs zu akzeptieren:
Inwieweit beeinflussen die (normativ wirksamen) Idealvorstellungen aus der kurativen
Diese Schwierigkeit ist als essentieller Bestandteil ihrer Profession
­Praxis die amtstierärztliche Wertelandschaft? Wie viel „Arzt“ steckt im „Veterinärpolizist“
zu verstehen — und nicht als ein Mangel individueller Kompetenz.
oder sollte in dieser Rolle stecken?
Eine Aussicht, wie der Arbeitsalltag von ATÄ zu verbessern wäre, wurde dabei in den Diskussionen der Workshops deutlich: Wünschenswert wie notwendig ist, dass beide Normen — Wohlergehen des
­Tieres und öffentliche Interessen — stärker noch als bisher in der ­
öffentlichen Wahrnehmung und medialen Thematisierung des amtstierärztlichen Berufs aufgegriffen werden. So kann die v
­ erbreitete
Vorstellung, ATÄ seien ausschließlich für Tierschutz um jeden Preis
und über die gesetzlichen Anforderungen hinaus z­ uständig, als ein
zentrales Missverständnis des Berufsbilds bezeichnet werden — ein
Missverständnis, das die Arbeit gerade im Kontakt mit dem sozialen
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Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Interesse am Leben begründen können, und weist Positionen zurück, die
von der Unversehrbarkeit des Tieres durch Tötung ausgehen.
The Animals Studies Group: Killing Animals. Urbana 2006.
Geisteswissenschaftliches Überblickswerk zu den etablierten Praktiken der
Law, J: Care and Killing: Tensions in Veterinary Practice. In: Mol, A Tiertötung aus philosophischer, soziologischer, anthropologischer, kultur-
/ Moser, I / Pols, J (Hrsg.): Care in Practice: on Tinkering in Clinics,
wissenschaftlicher und historischer Perspektive. Analyse und Diskussion
­Homes and Farms. Bielefeld 2010, 57–69.
verschiedener Tötungspraktiken in Vergangenheit und Gegenwart unter
Der Autor veranschaulicht unter soziologischen Gesichtspunkten die Grat-
Rückgriff auf Fallbeispiele und Statistiken.
wanderung zwischen Fürsorge und Tötungsmaßnahmen nach Ausbruch der
Maul- und Klauenseuche im Jahr 2001 in England unter besonderer Berück-
Birnbacher, D: Lässt sich die Tötung von Tieren rechtfertigen?
sichtigung der Rolle involvierter Veterinärmediziner_innen.
In: Wolf, U. (Hrsg.). Texte zur Tierethik. Stuttgart 2008, 212–231.
Rechtsphilosophische Überlegungen zur Ambiguität der Rechtslage in Bezug
Rippe, KP: Ein Lebensschutz für Tiere? In: Michel, M / Kühne, D / auf Nutzung und Tötung von Tieren. Skizzierung und Bewertung thematisch
Hänni, J (Hrsg.): Animal Law — Tier und Recht. Entwicklungen und
relevanter philosophischer Positionen und tierethischer Debatten.
­Perspektiven im 21. Jahrhundert. Zürich / St. Gallen 2012, 87–115.
Darstellung der philosophischen und rechtlichen Diskussion über das
Etzold, S: Hängt das Schwein auf!
­Modell des Würdeschutzes im Schweizer Tierschutzgesetz. Der Autor dis-
http://www.zeit.de/1999/46/Haengt_das_Schwein_auf (8. 8. 2015).
kutiert dies als rechtliche Alternative zum Lebensschutzkonzept, das im
Journalistischer Beitrag zur Geschichte der Tierjustiz vom Mittelalter bis zur
deutschen und österreichischen Tierschutzrecht durch das Konzept des
Neuzeit und über die Rolle des Tieres in der Rechtsprechung.
„vernünftigen Grundes“ gesetzlich festgelegt ist.
Huth, M: Ihr Tod geht uns an. Eine Phänomenologie des Sterbens
Simmons, A: Do Animals Have an Interest in Continued Life? In
von Tieren. In: Tierstudien. 2014 / 5, 59–74.
­Defense of a Desire-Based Approach. In: Environmental Ethics: An
Eigen- und Fremderfahrung von Tod und Sterben bei Mensch und Tier wer-
Interdisciplinary Journal Dedicated to the Philosophical Aspects of
den in diesem Artikel aus phänomenologischer Sicht analysiert. Zentrales
Environmental Problems. 2009 / 31(4), 375–392.
Argument ist, dass die Versehrbarkeit des Tieres den Menschen bei seiner
Fremderfahrung des Tiertodes betrifft und in die ethische Verantwortung
Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz, e.V.
nimmt. Problematisiert wird vor allem die Nichtbeachtung der tierischen
http://www.tierschutz-tvt.de/m/index.php?id=merkblaetter (10.8.2015).
Sterbeerfahrung in der Nutztierhaltung und Fleischproduktion.
Direkter Zugriff auf Merkblätter des TVT, u.a. zur ethischen Beurteilung der
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Kaldewaij, F: Animals and the Harm of Death. In: Armstrong, SJ /
Botzler, RG (Hrsg.): The Animal Ethics Reader. London 2008, 59–62.
Visak, T: Can Killing Be Justified? A Dismissal of the R
­ eplaceability
Die Autorin argumentiert, dass tierische Grundbedürfnisse ein subjektives
­Argument. In: Millar, K / Hobson-West, P (Hrsg.): Ethical Futures:­
­Biosciences and Food Horizons. Nottingham 2009, 165–169.
28
29
KOMMENTIERTE AUSWAHLBIBLIOGRAFIE
KOMMENTIERTE AUSWAHLBIBLIOGRAFIE
Tiere töten
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
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Eine Untersuchung utilitaristischer Argumente zur Tötungsfrage und zu
174–175.
­einer tiergerechten Tierhaltung. Die leitende Frage ist, ob sich Tiertötung
und Massentierhaltung durch utilitaristische Theorien rechtfertigen oder
Fawcett, A: Euthanasia and Morally Justifiable Killing in a Veteri-
­entkräften lassen.
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guten Todes des Tieres. Der Schwerpunkt liegt auf psychologischer Ausei-
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Hofman, H: Tieren beim Sterben helfen. Euthanasie in der Tierarztpraxis. Butzbach 2013.
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Darstellung unterschiedlicher Positionen zu Euthanasie und Sterbehilfe in
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Umschau 2005 / 60 (12), 694–698.
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Sterbehilfe näher beleuchtet und anhand von Fallbeispielen veranschaulicht.
Palmer, C: Killing Animals in Animal Shelters. In: The Animal ­Studies
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In: The Veterinary Record. 2009 / 165 (10): 275–276.
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30
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KOMMENTIERTE AUSWAHLBIBLIOGRAFIE
KOMMENTIERTE AUSWAHLBIBLIOGRAFIE
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
KOMMENTIERTE AUSWAHLBIBLIOGRAFIE
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
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Yeates, JW: Ethical Aspects of Euthanasia of Owned Animals. In:
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William, JK / Cohen, SP / Fudin, CE / Kutscher, AH / Nieburg, HA /
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Psycholog_innen zur individuellen und sozialen Auseinandersetzung mit
Verlust, Tod und Trauer bei der Euthanasie von Tieren. Verbindung allgemeiner philosophisch-ethischer und historischer Überlegungen zur Euthanasie
mit praktischen Erfahrungen von Veterinärmediziner_innen und Sozialarbeiter_innen.
Stauch, S: Euthanasie in der Kleintierpraxis. Berlin 2007.
Empirische Studie zur Euthanasie in der Kleintierpraxis über einen Zeitraum
von 12 Jahren. Dokumentation, statistische Datenanalyse und Auswertung
der Euthanasiefälle hinsichtlich Faktoren wie Indikatoren, Verlauf, Tierart
und soziologischer Kategorien der Patientenbesitzer_innen (Geschlecht,
Alter, etc.).
Rollin, BE: An Ethicist’s Commentary on Veterinarians Treating
Unowned Animals and Euthanizing Unwanted Animals. In: The
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32
33
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Kadaver — Kreatur — Kotelett. Schlachten
und in ihrer moralischen Bedeutsamkeit begründet werden. Diese Reflexion mag dabei im
Besonderen für jene Gruppen naheliegend sein, die beruflich mit der Nutztierhaltung zu tun
haben — relevant aber ist sie für die gesamte Gesellschaft. Die amtstierärztliche Profession
ist vom Agieren an den Knotenpunkten derartiger Widersprüche und ihrem gesellschaftlichen
Die am häufigsten durchgeführte Tiertötung erfolgt zum Zwecke der Lebensmittelgewin-
Widerhall gekennzeichnet. ATÄ kommen mit „Einzelschicksalen“ von Tieren ebenso in Berüh-
nung. Während bei der Euthanasie von Heimtieren in aller Regel ein einzelnes Tier oder
rung wie mit Tieren als Ressource in der Nutztierhaltung und haben in der Folge nicht nur
­einige wenige Tiere betroffen sind, geht es hier um ein massenhaftes Töten. So wurden laut
innerhalb dieser Kontexte einen adäquaten Umgang mit ethischen Dilemmata zu finden. Sie
Statistik Austria im Jahr 2014 über 5 Millionen Schweine und 77 Millionen Hühner allein in Ös-
werden darüber hinaus auch von Unvereinbarkeiten und ­Missverhältnissen zwischen diesen
terreich geschlachtet. Trotz dieser hohen Zahlen gilt, dass das Schlachten weitgehend unter
Kontexten herausgefordert. In der Diskussion der Vielfalt der amtstierärztlichen Rollen wird
Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet: Die Schlachtung vollzieht sich in gesellschaftlich
näher darauf eingegangen, welcher Umgang mit diesen W
­ idersprüchlichkeiten zwischen
ausgelagerten Einrichtungen, die durchschnittlichen Bürger_innen bekommen — wenn sie
den Kontexten möglich und gewinnbringend ist. Im Folgenden jedoch soll der Blick auf ATÄ
nicht gerade eine Fernsehdokumentation zum Thema sehen — von den Schlachtprozessen
und ihre Rolle bei der Schlachtung gerichtet sein.
wenig zu Gesicht. Dieses „Unsichtbarwerden“ der Schlachtung — das im Vergleich mit
vorangegangenen Jahrhunderten besonders deutlich wird — geht einher mit einer zunehmenden Professionalisierung und Intensivierung (plakativ: Die genannten Zahlen wie auch
Schlagworte, Eindrücke, Assoziationen
die vorgeschriebenen Hygienestandards legen es nahe, dass die Schlachtung nicht mehr im
eigenen Hinterhof stattfindet). Zum anderen stellt sich die Frage, inwieweit die Trennung
ATÄ überwachen die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben in Schlachtbetrieben. Sie kontrol-
des fertigen Fleischprodukts von der vorangegangenen Tötung Ausdruck eines bewussten
lieren die einzelnen Schritte vom Transport und Entladen der Tiere über ihre Betäubung bis zur
Verdrängens als mentale Strategie ist.
Schlachtung und der Verarbeitung des Fleisches. Wie erleben sie dabei dieses Arbeitsumfeld,
das großteils aus den Augen der Öffentlichkeit und — frei nach Norbert Elias — „hinter die
Intuitiv empfinden viele Menschen die zwischen Heim- und ­Nutztierkontext bestehenden
Kulissen der Zivilisation“ verdrängt worden ist? Mit welchen Assoziationen und Eindrücken
Differenzen als spannungsgeladen: Wenige auserwählte Tiere w
­ erden in den Stand von
verbinden sie diese Tätigkeit? Wie wird die eigene Rolle wahrgenommen und beschrieben?
­Familienmitgliedern erhoben, während die große Masse zum Zwecke der Nahrungsmittel-
Diese Fragen wurden den ATÄ in dem Vethics for vets-Workshop zur Schlachtung gestellt.
produktion im Akkord geschlachtet wird. Die marginale biologische ­Differenz etwa zwischen
Ihre Antworten werden in Form einer Begriffswolke visualisiert.
Hunden und Schweinen kann diese unterschiedliche Behandlung nicht erklären. Deutet sich
hier, so fragen viele, nicht ein eklatanter Widerspruch in der Mensch-Tier-Beziehung an, der
als „moralische Schizophrenie“ bezeichnet werden muss?
Aus ethischen Perspektive können derartige Widersprüche Ausdruck von U
­ ngerechtigkeit
sein. Wer einen Widerspruch erkennt, kann sich in diesem Sinn dazu aufgerufen fühlen, an
seiner Beseitigung zu arbeiten. Zugleich aber vermag eine intuitiv empfundene Überzeugung die ethische Reflexion nicht zu ersetzen: Nicht jede Ungleichbehandlung ist notwendigerweise ein moralischer Skandal. Widersprüche müssen vielmehr konkretisiert, reflektiert
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Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
AUS DEM ETHISCHEN WERKZEUGKASTEN
BEGRIFFSWOLKE ALS MAPPING
Die Begriffswolke ist eine Methode der Informationsvisualisierung.
Sie dient dazu, größere Mengen an Daten intuitiv zugänglich darzustellen. Die Begriffswolke (oder Schlagwortwolke) gehört zu den
bekanntesten derartigen Methoden und entstammt maßgeblich
der Sphäre des Internets. Die Methode ist anschlussfähig an verschiedene Formen des Mappings, das Erstellen einer „Landkarte“
von Texten, Diskussionen und Prozesse, die im Besonderen in der
­Soziologie entwickelt wurden.
Vorgehen
Zentrale Begriffe, Schlagworte und Assoziationen zu einem ­Thema,
Die atmosphärischen Beschreibungen der befragten ATÄ skizzieren das Arbeitsumfeld
einer Frage oder einer Erfahrung werden notiert und zu einer
„Schlachthof“ als herausfordernd: Es sei steril und abweisend, laut und oft kalt, es rieche
­Begriffswolke versammelt. Die Möglichkeiten der strukturierenden
unangenehm, alles müsse schnell gehen, es sei oftmals hektisch. Ihre eigene Rolle in diesem
Ausgestaltung sind vielfältig: Verbindungen und Verästelungen
Umfeld beschreiben sie als stark von äußeren Zwängen bestimmt: Die Arbeit wird als Exe-
können sichtbar gemacht, verschiedene Gruppierungen angelegt
kution von bestehenden Rechtsvorgaben geschildert, der Ermessensspielraum als gering
werden, Relevanzen von Begrifflichkeiten durch Schriftgröße ge-
eingeschätzt. Neben den rechtlichen Vorgaben, deren Einhaltung überwacht werden muss,
kennzeichnet sowie Unterteilungen in Rubriken durch verschiede-
seien die ökonomischen Zwänge des gesamten Produktionsprozesses zu jedem Moment
ne Farbgebungen vorgenommen werden.
spürbar. Als jene Instanz, die eine „Kontrolle der Kontrolle“ durchführt, können ATÄ dabei
eine Irritation des eingespielten Produktionsablaufs darstellen: jede ihrer Entscheidungen
Output
kann den Prozess verzögern. In dieser Situation eine Entscheidung zu treffen, die im Betrieb
Visualisierungsmethoden sind simpel, ermöglichen jedoch eine
als unpopulär gelten könnte, kann als belastend empfunden werden und benötigt zwei-
­intuitiv zugängliche Kartografie der Wahrnehmung und Bewertung
fellos Konfliktfähigkeit. Der Handlungsspielraum von ATÄ im Kontext der Schlachtung ist
von Themen oder Kontexten. In diesem Sinne können Begriffswol-
demnach stark eingeschränkt. Allenfalls können sie ihre Rolle unterschiedlich — zwischen
ken als eine Art „visualisiertes Brainstorming“ gelesen werden,
restriktiver Kontrolle und konstruktiver Partizipation — auslegen. Die Relevanz von ­äußeren
das eine hilfreiche Grundlage für Diskussionen und die Entwick-
Zwängen betrifft dabei nicht nur sie, sondern auch das Schlachtpersonal, dessen Arbeit
lung von Fragestellungen bietet. Die plastische Wiedergabe und
psychisch und physisch hochanstrengend ist, genauso wie auch die übrigen Mitarbeiter_in-
das Einfangen spontaner Assoziationen ermöglichen, auf Distanz
nen im Schlachtbetrieb: Alles unterliege den „Gesetzen“ der Ökonomie, die ein Höchstmaß
zum Eigenen, Selbstverständlichen und Unmittelbaren zu treten.
an Rentabilität ­einfordern. Wenn überhaupt, so die Diskussionen, hätten der Konsument
Damit ist eine wichtige Voraussetzung für eine ethische Reflexion
und die Konsumentinim gesamten System noch die größte Entscheidungsfreiheit durch ihr
geschaffen.
Einkaufsverhalten.
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Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Mittelpunkt das Tier steht, als auch als Kontrollorgan von Produktionsstandards, die die
­Qualität des Endprodukts gewährleisten sollen. In den Worten der Teilnehmenden: ATÄ
­stehen im Schlachthof „zwischen den Fronten.“
Ein Strang der geführten Debatten lässt sich zu folgendem Statement verdichten: „In der
gegenwärtigen Maschinerie der Schlachtung kommt das Tier als Tier nicht vor. Es ist bloß
ein Mittel für ökonomische Interessen. Ich, als Amtstierärztin, bin nur ein ­kleines RädBegriffswolke:
Amtstierärztliche
Praxis im Kontext der
chen in dieser gut geölten Maschine.“ In dieser Interpretation des eigenen B
­ erufs deutet
sich die Selbstanklage einer „Komplizenschaft“ an. Es stellt sich jedoch die Frage: Kom-
Schlachtung aus Sicht
plizenschaft mit wem? Als Reaktion auf die Selbstanklage wurde aus den ­Kreisen der
der Teilnehmenden der
ATÄ zurückgefragt: Greift die Antwort „mit Konzernen der Fleischindustrie“ in d
­ iesem
Vethics for vetsWorkshops
Fall nicht zu kurz? Ließe sich nicht ebenso argumentieren, dass ATÄ weniger „Komplizen“ eines bestimmten ökonomischen Systems und ihrer A
­kteur_innen, sondern
vielmehr der gesamten Gesellschaft sind? Die herrschenden Bedingungen in den Schlacht-
Die Begriffswolke weist darüber hinaus auf die Gleichzeitigkeit von Schutz und Verzwe-
betrieben, seien es die hohen hygienischen Standards oder auch das serielle ­Töten großer
ckung des Tieres hin: Tierethische Verantwortung für den Bestand und das Einzeltier trifft
Zahlen, sind dieser Interpretation gemäß wesentlich auf die Wünsche und ­Erwartungen
auf massenhafte Verwertung des Tieres als Ressource. Von dem grundlegenden ­Paradox
der Nahrungsmittelkonsument_innen zurückzuführen. Auch wenn der Umgang mit dem
des Schlachthofes sind ATÄ aufgrund ihrer umfassenden Zuständigkeit besonders betrof-
Nutztier wie eingangs skizziert weitgehend an Orten geschieht, die ­abgeriegelt sind, und
fen. Tierschutzaspekte wie tiergerechte Transportbedingungen und Vermeidung von Stress
von professionalisierten Berufsgruppen erledigt wird, ist dieser Umgang doch immer noch
spielen eine bedeutsame Rolle und werden von den ATÄ kontrolliert — zugleich ist das Tier
Ausdruck gesamtgesellschaftlicher Überzeugungen. Beide Perspektiven haben etwas für
ein Faktor in einem Produktionsprozess, der mit Begriffen wie „Fließband“ beschrieben
sich: Das Statement „nur ein kleines Rädchen in einer gut geölten Maschinerie“ weist auf
wird. Das Tier auf dem Weg zur Schlachtbank ist weitgehend ent-individualisiert. Es tritt vor
die unzweifelhafte Bedeutsamkeit ökonomischer Dynamiken hin — der Tonfall jedoch klingt
allem als Teil einer unüberschaubaren Masse bzw. als Element einer Serie auf.
desillusioniert. Das Gegenargument, man sei „Komplize der Gesellschaft“, ist Ausdruck der
Überzeugung, dass gesetzliche Vorgaben den Konsens der Gesellschaft widerspiegeln.
In den amtstierärztlichen Kontrollvorgaben von Schlachtbetrieben schlagen sich dem-
­Dabei allerdings gilt es, einen naiven Tonfall zu vermeiden: Gesetzliche Regulierungen basie-
nach konträre Perspektiven nieder: die Tierschutzdebatte der letzten Jahrzehnte, die ein
ren immer auch auf einem Interessensausgleich, dessen Ergebnis kritisch diskutiert werden
höheres Tierwohl des individuellen Nutztieres fordert, sowie die aus industrieller Sicht
kann. Die hierbei auftretende Spannung begegnet uns in der Reflexion über die Vielfalt der
­nahezu perfektionierte, serielle Schlachtung großer Tierbestände, die auf günstige und
amtstierärztlichen Rollen wieder.
unbedenkliche Produkte in ausreichender Menge ausgerichtet ist. Die tierethische Verantwortung der ATÄ besteht — in Auslegung des Tierschutzgesetzes — darin, das ­Wohlbefinden
Die ethische Frage, inwiefern der Mensch überhaupt Tiere töten darf, ließe sich bei der Eut-
des Tieres zu schützen, es vor Leid zu bewahren und Schäden und Ängste zu minimieren.
hanasie von Heimtieren ebenso stellen wie bei der Keulung von Tierbeständen angesichts
Zugleich sind die Tiere im geschilderten Prozess zuallererst Ressource für einen Indust-
von Seuchen. Drängend wird diese Frage jedoch nicht zuletzt im Kontext der Schlachtung,
riezweig. ATÄ fungieren damit sowohl als Kontrollorgane tierethischer Standards, in d
­ eren
wo die Zahlen in die Milliarden gehen.
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Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
es zu töten (Singer 1980). Die Frage nach der Zulässigkeit der Tiertötung wird dann entlang
Exkurs: Tiere töten in der Philosophie
der Vermögen jeweiliger Tierarten differenziert. Für Delfine, Menschenaffen und Elefanten
In der philosophischen Bestimmung des Verhältnisses zwischen Mensch und Tier spielt der
stehen die Chancen gut, in die Kategorie der zukunftsbewussten und damit sterblichen Tie-
Tod eine wichtige Rolle. Die heute wohl bekannteste Formulierung des Zusammenhangs
re aufgenommen zu werden. Die darf man dann auch nicht mehr töten (Birnbacher 2008).
findet sich im Werk des Freiburger Philosophen Martin Heidegger: „Die Sterblichen sind die
Die mühsame Konstruktion solcher Ausnahmen bestätigt vor allem eines: Tiere haben in
Menschen. Sie heißen die Sterblichen, weil sie sterben können. Sterben heißt: den Tod als Tod
der Moderne das Sterben verlernt. Dabei gehört das Unvermögen zu sterben genauso zum
vermögen. Nur der Mensch stirbt. Das Tier verendet. Es hat den Tod als Tod weder vor sich
Tier wie das Vermögen zu leiden. Beides bestimmt sowohl die Auffassung von Tieren als
noch hinter sich“ (Heidegger 1950, 180). Heidegger bestimmt den Menschen in Abgrenzung
auch den Umgang mit ihnen. Der Fokus auf die Leidensfähigkeit, wesensbestimmend für
zum Tier anhand des Kriteriums der Sterblichkeit. Mit der Abgrenzung des Menschen vom Tier
Tiere in der Moderne, ermöglicht so auch tierethische Argumentationen, die den Tod und
reiht er sich in eine lange Tradition der Philosophiegeschichte ein, in der die Frage nach dem
die Tötung von Tieren als moralisch und tierethisch irrelevant kennzeichnen (Luy 1999, eine
Wesen des Menschen über diverse Alleinstellungsmerkmale beantwortet wurde. Demnach
Gegenposition formuliert Wolf 2014). Wenn Tiersein bedeutet, nicht sterben zu können, ist
sind Menschen dadurch von anderen Tieren geschieden, dass sie etwa sprechen können oder
Tiertötung höchstens ein Problem unter Menschen, die Tiertötungen rechtfertigen müssen
Verträge schließen, vernunftbegabt sind oder Werkzeuge benutzen – Oder eben dadurch,
oder wollen. Die Frage, ob man Tiere töten darf oder sollte, ist mit weitreichenden Fragen
dass sie sterben können. Gerade der Tod – darin hat die Heidegger’sche ­­Perspektivierung
nach Sterblichkeit, Humanität und Existenz verbunden. Vielleicht befragt gerade das Tier in
recht – verträgt sich von den in der Tradition vorgeschlagenen Mensch-Tier-Unter-
singulärer, einzigartiger Weise die Menschen in ihrer Sterblichkeit – durch ihre Ähnlichkeit
scheidungen wohl am besten mit dem modernen Selbstverständnis des Menschlichen.
und Andersartigkeit. Vielleicht mussten die Tiere auch deshalb aus dem Kreis der Sterbli-
Heute ein Mensch zu sein, heißt, ein Subjekt zu sein, und zu dem wird, wer sich des eigenen
chen ausgeschlossen werden.
Todes bewusst ist. Der Mensch als Subjekt, das meint gemeinhin, dass jeder Mensch eine
unersetzliche Einzigartigkeit darstellt. Diese subjektive, individuelle Existenz verschwindet
unwiderruflich mit dem eigenen Tod. Der Tod selbst, bzw. das Bewusstsein davon, sind fun-
Über Ethik und Tugenden
damentale Bezugspunkte für das, was es heißt, ein Subjekt zu sein. Faktisch ist nicht von
Das Schlachten von Tieren wird gegenwärtig zunehmend in ethi-
der Hand zu weisen, dass die Grenze zwischen Subjekt und Nicht-Subjekt, zwischen
scher Perspektive diskutiert: Ist es moralisch rechtfertigbar? Wenn
Sterben und Verenden als Grenze zwischen Mensch und Tier gezogen wird. Die Tötung e
­ ines
ja, welche Standards sollen dabei gelten? Welche ­Konsequenzen
­Menschen ist ein Verbrechen, dessen unbedingte Aufklärung Stoff für unzählige ­Krimis
hat das serielle Schlachten von Milliarden von Tieren für die
­bietet. Nur Menschen können ermordet werden. Tiere hingegen verenden oder werden
Mensch-Tier-Beziehung? Der Ruf nach Ethik wird regelmäßig dann
­getötet — routiniert bis industrialisiert, so fachgerecht wie unproblematisch.
laut, wenn sich moralische Gewissheiten auflösen und bis dato
­unhinterfragte Selbstverständlichkeiten zu bröckeln beginnen. Erst
Diese Normalität und die ihr zugrundeliegenden Zuschreibungen bestimmen auch­­weite
wenn man nicht mehr weiß, was zu tun ist, sprich wenn die Alltags-
Teile der tierethischen Debatte um die Tiertötung. Auch hier wird den Tieren, mehr oder
moral nicht mehr greifen will, setzt die Notwendigkeit ethischer
weniger explizit, das Vermögen zu sterben abgesprochen. Ein Großteil der (interessensba-
Reflexion ein. Damit ist eine grundsätzliche Situation beschrieben,
sierten) Argumentationen, ob man Tiere töten darf, folgt dieser Perspektive. Dabei wird die
die der Ethik in ihrer Wahrnehmung oftmals schadet: Insofern sie es
Antwort auf diese Frage an biologischen / kognitiven Fähigkeiten einzelner T
­ ierarten fest-
nämlich mit komplexen, in einem Wandel aufbrechenden m
­ oralischen
gemacht: Nur wenn ein Tier eine Vorstellung von Tod und Leben besitzt, kann es falsch sein,
Streitfragen zu tun hat, auf die es in aller Regel ­keine einfachen Ant-
40
41
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
worten gibt, wird ihr vorgeworfen, dass ihre ­­Diskussionen einem
sche Frage von höchster Brisanz, der sich jedoch viele Menschen
bloßen Austausch von Befindlichkeiten ohne E
­ rgebnis gleichen.
weitgehend entziehen. Nicht wenige schaffen beispielsweise be-
Dem ist jedoch zu widersprechen: Schon Aristoteles (384–322 v.
wusst eine mentale Distanz zur Fleischproduktion. Sie ­wollen ­lieber
Chr.) votierte dafür, dass der menschliche Geist sich nicht nur
nicht so genau wissen, welche Prozesse ­stattgefunden haben, bis
mit Beschreibungen und Kategorisierungen der Welt aufhalten
das Fleisch im Supermarkt die Kühlregale auffüllt. Was demnach
­dürfe, sondern dass er über dieses empirische Wissen hinaus die
fehlt, ist eine breite gesellschaftliche Debatte über die Haltung
Frage nach dem Guten und Richtigen zu stellen habe. In diesen
und das Schlachten von (Nutz-)Tieren. Das Ausbleiben d
­ ieser of-
beiden Bereichen — Empirie auf der einen und Ethik auf der anderen
fenen Diskussion ist dabei zum Schaden all jener ­Akteur_innen,
Seite — ist freilich nicht derselbe Präzisionsgrad von Wissen möglich.
die beruflich mit der Nutztierhaltung zu tun haben. Berufsgrup-
Exemplarisch: Die Verdauung eines Tieres vermag ich wissen-
pen wie Landwirt_innen oder auch ATÄ können in dieser Strategie
schaftlich präziser zu beschreiben als eine Antwort auf die Frage zu
der Ausblendung nämlich irritierend wirken. Darüber hinaus lau-
­finden, in welchem Fall Euthanasie moralisch geboten ist — nichts-
fen sie Gefahr, als moralische Sündenböcke herhalten zu müssen.
destotrotz, so Aristoteles, müssen wir in beiden Bereichen dasselbe ­Engagement unserer Vernunft aufbringen.
Insofern eine breite gesellschaftliche Debatte zwar wünschenswert,
Ethik versteht sich demnach als ein wissenschaftliches Projekt.
aber nur schwer zu initiieren ist, wird die Förderung der Selbstreflexi-
Es geht ihr nicht um den bloßen Austausch von „Bauchgefühlen“,
on dieser Berufsgruppen über ihren gesellschaftlichen Auftrag, ihre
­vielmehr orientiert sich ethisches Nachdenken an den methodi-
Verantwortung und die Grenzen ihrer Verantwortung — wie bereits
schen Idealen der Rationalität, Nachvollziehbarkeit, Kohärenz und
weiter oben betont — umso bedeutsamer. Zu dieser Selbstreflexion
Systematik. Noch in einem weiteren Punkt gleicht Ethik den (Na-
gehört auch die F
­ rage nach dem eigenen Handlungsspielraum. Diesen
tur-)Wissenschaften: Es gibt für sie keinen endgültigen Abschluss
beschreiben ATÄ — konkret im Kontext der Schlachtung — als weitge-
in ihrem Erkenntnisstreben. Aus jeder Debatte lassen sich neue
hend von ­äußeren Zwängen bestimmt. Eigener Spielraum erscheint
Fragestellungen gewinnen, wie auch jede Antwort, die heute even-
ob der gesetzlichen Vorlagen, deren Einhaltung zu kontrollieren ist,
tuell common sense ist, damit zu rechnen hat, aus guten Gründen
und ob des ökonomischen Drucks, der die gesamte ­Fleischindustrie
morgen widerlegt zu werden. Die Fragen nach dem Guten und in
durchwirkt, äußerst gering. Zugleich aber wissen ATÄ darum,
welcher Welt wir eigentlich leben wollen, sind demnach notwen-
dass sie ihre Rolle unterschiedlich auslegen können: Gesetzliche
digerweise immer wieder aufs Neue zu diskutieren — ohne diesen
Vorgaben und Kontrollen sind das eine — die Art und Weise, wie sie
fortlaufenden Prozess als defizitär zu verstehen.
kommuniziert und exekutiert werden, etwas anderes. Hier eröffnet
Mit dem Gesagten ist klar, dass es in der Ethik nicht um das Erhe-
sich Gestaltungsfreiraum. An dieser Stelle wurde im Rahmen des
ben des moralischen Zeigefingers geht. Ihr Ziel ist es ­weniger, mo-
Workshops das ethische Konzept der Tugenden vorgestellt und
ralische Gewissheiten zu predigen, als strukturiert über m
­ oralische
auf seine Tauglichkeit für eine reflektierte Gestaltung von Hand-
Ungewissheiten nachzudenken. Eine entscheidende m
­ oralische
lungsspielräumen diskutiert. Auch wenn der Begriff der Tugend in
Ungewissheit unserer Zeit lautet dabei: Wie wollen wir als Einzelne
vielen Ohren ­einen ­altmodischen und verstaubten Klang aufweisen
und als Gesellschaft mit Tieren umgehen? Diese F
­ rage ist eine ethi-
mag, ­erlebt die ­Tugendethik seit einigen Jahrzehnten eine Renais-
42
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AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS
AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
sance. Ein wesentlicher Grund wird in der Komplexität der m
­ odernen
leg_innen — immer geht es auch darum, die eigene Position kommu-
Welt gesehen, die auch hier schon angesprochen wurde: Angesichts
nikationsstark einzunehmen, ohne Feedback oder andere Meinun-
komplexer E
­ ntscheidungsfindungen in ­einem a
­ rbeitsteiligen, hoch-
gen auszublenden. Stets ist man herausgefordert, sich in ­Dialoge
vernetzten und globalen Gesellschaftssystem
­­
scheint es oftmals
einzubringen, Entscheidungen zu begründen und ­Konflikte, so sie
nahezu unmöglich, klare und eindeutige H
­ andlungsanweisungen
nicht zu lösen sind, zumindest zu moderieren und zu ­befrieden.
in abstracto zu erarbeiten. Tugendethiken stellen daher weniger
Welche Tugenden aus Sicht von langjährigen ATÄ darüber hinaus
moralische Imperative auf, sondern richten den Fokus auf den
vonnöten sind, um ein guter Amtstierarzt oder eine gute Amtstier-
Handelnden selbst: Was braucht es, um mit K
­ onflikten ­umzugehen
ärztin zu sein, und inwieweit sich die erwünschten ­
Tugenden
und gute Entscheidungen zu treffen?
­eventuell je nach Kontext (Kontrolle in S
­ chlachtbetrieben, ­Euthanasie
Was als tugendhaft angesehen wird, unterliegt dabei einem
­eines Heimtieres, Keulung von Nutztierbeständen, Konfrontation
­historischen Wandel. In der Antike und im Mittelalter galten die vier
mit Animal Hoarding, …) unterscheiden, ist ein Forschungsdesiderat:
­sogenannten Kardinaltugenden Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit
teamfähig, einfühlsam, entschlussfreudig, flexibel, lernbereit, ­loyal
und Mäßigung als bedeutsam (was dann im konkreten Fall unter
gegenüber dem Staat, ehrlich, humorvoll, professionell ­distanziert,
einem gerechten Handeln oder einem gemäßigten Lebensstil ver-
selbstkritisch …? Die Antwortmöglichkeiten sind vielfältig. Eine
standen wurde, war freilich noch einmal eigens auszudiskutieren
­zentrale weiterführende Frage liegt auf der Hand: Inwieweit können
und oft genug Anlass für Dissens). Von Rittern wurde unter anderem
bedeutsame amtstierärztliche Tugenden im Ausbildungslehrgang
aufrichtige Treue oder heitere Gelassenheit erwartet; als bürgerliche
vermittelt werden? Wenn nur bedingt, wo ist der Ort ihrer Aneig-
Tugenden gelten nach wie vor Sparsamkeit oder auch Fleiß. Die ge-
nung? G
­ eschieht sie durch Vorbilder, durch Erlebnisse im Beruf, die
schichtliche Bedingtheit darf jedoch nicht als Beliebigkeit missver-
sich wie Niederlagen anfühlen, aus denen man jedoch lernt, wie
standen werden: Welche Tugenden als maßgeblich eingeschätzt
man besser hätte vorgehen können, oder bräuchte es hierzu Wei-
werden, gibt durchaus Auskunft über eine Epoche — oder eben
terbildungsangebote, die nicht in der Ausbildungsphase, sondern
auch über die zentralen Herausforderungen eines Arbeitsfelds. Eine
erst später greifen, wenn ATÄ bereits eingehende ­
Erfahrungen
­gewinnbringende Frage lautet demnach, welche Tugenden in einer
mit den Schwierigkeiten ihres Berufsfelds gemacht haben? Die
bestimmten Profession dienlich sind. Was braucht es, um ein guter
­explizite Benennung amtstierärztlicher Tugenden ist ein Auftrag,
Amtstierarzt oder eine gute Amtstierärztin zu sein? Die Workshop-
der aus den Workshops hervorging und das Projekt überdauern
Arbeiten zur Schlachtung zeigen, dass eine wissenschaftlich und
wird.
gesetzlich fundierte Expertise die Basis der amtstierärztlichen
Tätigkeit darstellt — aber dass diese längst nicht ausreicht, „um
den Job wirklich gut zu erledigen.“ Über das Fachwissen hinaus ­
fordert die Arbeit hohe Konflikt- und ­Kommunikationsfähigkeit. Die
amtstierärztliche Arbeit ist demnach nicht zuletzt eine ­kommunikative: Sei es im Umgang mit Tierhalter_innen, Bürger_innen,
­Behörden, Schlachtbetrieben, Tierärzt_innen oder auch mit Kol44
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AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS
AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Weiterführende Fragen
Wageningen 2013, 379–385.
rungsprozesse von Schlachthöfen in gegenwärtigen Mediendiskursen ein
dürfen sich ATÄ im Gegenzug von der Gesellschaft erwarten?
und h
­ interfragt vor allem das in den Medien transportierte Bild einer „verantwortungsvollen Schlachtung“.
Welche Tugenden sind im amtstierärztlichen Beruf vonnöten? Hat sich die Bedeutsamkeit
bestimmter Tugenden für die tägliche Arbeit über die Jahrzehnte verändert? Welche Tugend
Humane Slaughter Association
ist heute eventuell entscheidender als früher?
http://www.hsa.org.uk/publications/publications (1.8. 2015).
Literatur und Material zum tierschutzgerechten Schlachten
Inwieweit können bedeutsame amtstierärztliche Tugenden im Ausbildungslehrgang
Huth, M: The ‚secret of killing animals’ In: Röcklingsberg, H / Sandin,
­vermittelt werden?
P (Hrsg.): The Ethics of Consumption. The Citizen, the Market, the
Law. Wageningen 2013, 268–272.
KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE
Schlachten
Nieradzik, L: Die Ausgrenzung der Grausamkeit: Wiener Tierschlachtung im 19. Jahrhundert. In: Seifert, M (Hrsg.): Die mentale
Brantz, D: Recollecting the Slaughterhouse. In: Cabinet, A Q
­ uarterly
Seite der Ökonomie. Gefühle und Empathie im Arbeitsleben. ­Dresden
Magazine of Art and Culture. 2001 / 09, 118–23.
2014, 197–208.
Der Beitrag gibt einen Einblick in die Geschichte der Schlachthäuser als
Aus historisch-kulturwissenschaftlicher Perspektive wird der Einfluss von
Attraktionen im 19. Jahrhundert in den USA. Das Thema „Tierschlachtung“
Technisierung und Rationalisierung auf die Abeitserfahrung in den Schlachtbe-
wird in kulturellen und historischen Kontexten erörtert und in Beziehung zu
trieben des 19. Jahrhundert am Beispiel des Wiener Fleischgewerbes dargestellt.
Entwicklung, Wandel und Kontinuität moderner Zivilisation gesetzt. D
­ abei
Die These ist eine Verschiebung professioneller und öffentlicher Wahrnehmung
wird auch die Entwicklung von Schaustellung bis zur Unsichtbarkeit der
auf „Grausamkeit“ bei der Tötung von Tieren durch die Industrialisierung des
Schlachthöfe in der Industrialisierung thematisiert.
Schlachtbetriebes.
Burt, J: Conflicts around Slaughter in the Modernity. In: Animal
Pachirat, T: Every Twelve Seconds. Industrialized Slaughter and the
­Studies Group (Hrsg.): Killing Animals. Urbana 2008, 69–99.
Politics of Sight. New Heaven / Connecticut 2001.
Untersuchung der sozialen Dimensionen und kulturellen Hintergründe un-
Innenperspektive auf die Arbeitsprozesse und Kontrollmechanismen im
terschiedlicher Schlachtmethoden in Vergangenheit und Gegenwart.
Großschlachthof. Politische Auseinandersetzung mit gesellschaftlicher Außenwahrnehmung und Sichtbarkeit der Schlachthöfe und Tötungspolitiken in
Gutjahr, J: The Reintegration of Animals and Slaughter into
modernen Gesellschaften.
­Discourses of Meat Eating. In: Röcklingsberg, H/Sandin, P (Hrsg.):
The Ethics of Consumption. The Citizen, the Market, the Law.
46
47
KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE
Die Autorin geht auf die Strukturen der Darstellungs- und Revisualisie-
Die Gesellschaft erwartet von ATÄ als Kontrollorgan, Schlachtungen zu überwachen – was
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Sebastian, M: Tierliebe im Schlachthof? Das Interesse am Wohl der
Tiere als Verarbeitungsstrategie von Gewalt im Schlachthof. In:
­Tierstudien. 2013 / 3, 102–113.
Kadaver — Kreatur — Kotelett. Keulen
Gestützt auf empirische Untersuchungen beschreibt Sebastian, welche
­psychischen Strategien Arbeiter_innen anwenden, um die Ausübung ihrer
Die nutztierhaltende Landwirtschaft ist immer wieder mit Tierseuchen konfrontiert. Um
Tätigkeit in Schlachtbetrieben zu rechtfertigen und zu normalisieren. Der
­ihnen Herr zu werden, kommen verschiedene Instrumente zum Einsatz: von vorbeugenden
­Autor zeigt die Widersprüchlichkeiten zwischen Vorstellungen über Tier-
Maßnahmen bis zu akuten Bekämpfungsstrategien nach Ausbruch einer Seuche. Ein In-
schutz und Tierliebe und den Praktiken der Tiertötung auf.
strument, das immer wieder für aufgeregte gesellschaftliche Debatten sorgt, ist die Keulung
von Tierbeständen. Keulen meint das Töten von (auch gesunden, aber erregeranfälligen)
Tieren, um die weitere Verbreitung einer Seuche zu verhindern. Von Keulungsmaßnahmen
sind dabei in der Regel alle Tierbestände in epidemiologisch definierten Risikozonen
betroffen; die Tierzahlen können entsprechend hoch ausfallen. Zur Diskussion stehen d
­ abei
nicht nur tierisches Leid bzw. Wohlergehen, sondern ebenso die ökonomischen Auswirkungen. Tierseuchen, so hält der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik beim deutschen
­Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft exemplarisch fest, sind eine „allgegenwärtige Gefahr für die Fleischmärkte.“ Sie „können nicht nur das Produktionspotenzial und den Handel deutlich einschränken, sondern auch erheblichen Einfluss auf die
Nachfrage h
­ aben“ (WBA 2015, 14). Die ökonomische Relevanz wird auch in den gesetzlichen Vorlagen explizit. In der Richtlinie 2003 / 85 EG zur Tierseuchenbekämpfung heißt
es in a
­ llgemeiner Form: „Eine der Aufgaben der Gemeinschaft im Veterinärbereich besteht
darin, die Tiergesundheit in der Gemeinschaft zu verbessern, um auf diesem Wege die
­Rentabilität der Tierhaltung zu steigern und den Handel mit Tieren und tierischen Erzeugnissen zu e
­ rleichtern. Hierbei ist die Gemeinschaft auch eine Wertegemeinschaft, die sich
in der T
­ ierseuchenbekämpfung nicht allein von kommerziellen Interessen leiten lassen darf,
sondern auch ethische Grundsätze gebührend zu berücksichtigen hat.“
Eine gebührende Berücksichtigung ethischer Grundsätze – was bedeutet dies im ­
vorliegenden Kontext? Fragen, wie sie auch in der öffentlichen Debatte vermehrt gestellt
­werden, drängen sich auf: Ist es grundsätzlich moralisch vertretbar, gesunde Tiere massenhaft zu töten, um Seuchen einzudämmen, menschliche Gesundheitsrisiken einzuschränken
und Ökonomien zu sichern? Die Reflexion hinsichtlich der Rolle von ATÄ in der ­Bekämpfung
von Seuchen kann hierbei auf den vorangegangenen Überlegungen aufbauen: Erneut
­konfligieren auf den ersten Blick Norm 1 – Wohlergehen des Tieres und Norm 2 – Ö
­ ffentliche
48
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Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Interessen. Welche konkreten Zielsetzungen aber sind hierbei im Besonderen und en ­détail
3 Bewertung der Methoden – Wie wirken sich die möglichen
shop zur Keulung auf Basis eines Tools diskutiert, das ausdrücklich für eine f­ achgerechte
­Beurteilung seuchenrechtlicher Maßnahmen entwickelt wurde: die sogenannte­­Animal
4 Vergleichen der verschiedenen Szenarien
­Disease ­Intervention Matrix (ADIM). Entlang der Debatten um die ADIM werden schnell die
­Schwierigkeiten ersichtlich, mit denen ATÄ bei der Umsetzung der Seuchenbekämpfung
Die ADIM nennt hierbei in Schritt 3 fünfzehn bedeutsame Ziele und
konfrontiert sind. An dieser Stelle taucht dabei erneut eine Frage auf, wie sie in den vo-
Güter, die in der Seuchenbekämpfung zu berücksichtigen sind.
rangegangenen Kontexten und Fallbeispielen bereits formuliert wurde: Wie können ATÄ mit
den gegebenen und oftmals als eng empfundenen Rahmenbedingungen umgehen? Wie
kann es ihnen gelingen, von den unterschiedlichen Anforderungen und Erwartungen nicht
— Die Gesundheit der Nutztierhalter_innen wie der Kontrollieren
den muss gewährleistet sein.
— Die öffentliche Gesundheit muss geschützt werden.
„zerrissen“ zu werden?
— Die Tiergesundheit muss geschützt werden.
— Das Wohlergehen der Tiere ist sicherzustellen.
ANIMAL DISEASE INTERVENTION MATRIX
AUS DEM ETHISCHEN WERKZEUGKASTEN
— Schäden an der Umwelt sind zu begrenzen.
Die Animal Disease Intervention Matrix (ADIM), entwickelt vom
— Die negativen psychischen Auswirkungen für die Nutztierhalter-
belgischen Ethiker Stefan Aerts (2006), ist ein anwendungsorientiertes
Tool
zur vergleichenden
Beurteilung
konkreter
Seuchenbekämpfungsmaßnahmen. Die Arbeit mit ihr setzt relevantes Fachwissen voraus. Das Tool eignet sich also nicht für Laien,
sondern adressiert vielmehr Expert_innen wie ATÄ.
­
_innen müssen so weit wie möglich minimiert werden.
— Die negativen psychischen Auswirkungen für die Kontrollieren
den müssen so weit wie möglich minimiert werden.
— Der Respekt in der Mensch-Tier-Beziehung ist sicherzustellen.
— Die wirtschaftlichen Verluste in der Landwirtschaft sind zu be-
Vorgehen
Die ADIM ist ein computerbasiertes Kalkulationsprogramm, das
grenzen.
auf eine transparente, reflektierte (prospektive oder r­ etrospektive)
— Die wirtschaftlichen Verluste außerhalb der Landwirtschaft sind
Entscheidungsbewertung im Seuchenfall abzielt. Sie weist vier
­übergeordnete Arbeitsschritte auf:
— Eine tiefergehende Beunruhigung des öffentlichen Lebens
zu begrenzen.
1 Beschreibung des Problems – Konkretisierung des Seuchenfalls
2 Identifizieren von Methoden – Welche Optionen und Szenarien
sind denkbar? (Keulung? Impfung? Etc.)
50
(bis hin zur Panik) ist zu vermeiden.
— Besonders „wertvolle“ Tiere (wie z.B. vom Aussterben bedrohte
Arten) müssen geschützt werden.
— Die Wertschätzung von Nahrung muss berücksichtigt werden.
51
AUS DEM ETHISCHEN WERKZEUGKASTEN
Methoden auf zentrale Güter und Zielsetzungen aus?
zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen? Diese Frage wurde in dem Work-
AUS DEM ETHISCHEN WERKZEUGKASTEN
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
—
Die Nahrungsmittelsicherheit muss gewährleistet sein.
—
Die Praktikabilität muss bedacht werden.
Output
Die ADIM ermöglicht eine strukturierte Diskussion verschiedener
Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung. Die Teilnehmenden der
Die fünfzehn Zielsetzungen werden in jedem Szenario auf den
Workshops sehen vielfältige Einsatzmöglichkeiten für die amtstier-
Grad ihrer Erfüllung hin geprüft. Die Beurteilung wird mithilfe
ärztliche Praxis: Das Tool eignet sich, um prospektiv u
­ nterschiedliche
vorgegebener Fragen vorgenommen. Beispielsweise wird für die
Bekämpfungsmaßnahmen zu vergleichen, auch nach e
­rfolgten
Erfüllung des Zieles der Minimierung psychischer Auswirkungen
Seucheninterventionen die unter zeitlichem Druck getroffenen­­
bei Kontrollorganen gefragt, wie lange die jeweilige Maßnahme
Entscheidungen objektivierend zu bewerten sowie einen opti-
grundsätzlich andauert oder wie viele Arbeitsstunden pro Tag not-
mierenden Vergleich mit Alternativen zu fördern. Ausführliche
wendig sind. Die Erfüllung der Forderung nach Sicherstellung des
­Erläuterungen und Anwendungsbeispiele der ADIM finden sich in
tierischen Wohlergehens wird u.a. durch Fragen nach dem Ausmaß
der ­zugehörigen P
­ ublikation von Stefan Aerts (2006).
an Schmerz, Angst oder Hunger und Durst der betroffenen Tiere
beurteilt. Das Programm führt die gegebenen Antworten zusam-
Beurteilung konkreter Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung
men und liefert für den Schritt (4) Balkendiagramme, welche die
Vor- und Nachteile der Maßnahmen auf einen Blick verdeutlichen.
Mithilfe der ADIM lassen sich konkrete Seuchenbekämpfungsstrategien strukturiert bewerten und objektiviert miteinander vergleichen. Die Methode geht von Normenkonflikten als
Normalfall aus: Jedes genannte Ziel korrespondiert mit einem erstrebenswerten Gut und
verdient im Rahmen einer Seuchenintervention Berücksichtigung. Bei der Realisierung
­einer Seuchenbekämpfungsmaßnahme kommt es jedoch notwendigerweise zu Konflikten
zwischen diesen Gütern. So kann der Schutz der öffentlichen Gesundheit schwerwiegende
Beispieldiagramm einer
Konsequenzen für landwirtschaftliche Betriebe haben. Ein Seuchenfall ist ein Krisenfall:
Diskussion von vier
Eine Lösung, die allen Zielsetzungen gleichermaßen entspricht, gibt es nicht. Gesucht wird
Szenarien der
vielmehr die bestmögliche Lösung innerhalb des Handlungsspielraums, der gesetzlich eng
Seuchenbekämpfung
(Aerts 2006, 125)
abgesteckt ist. Vor diesem Hintergrund gilt es, Optionen gegeneinander abzuwägen, um ein
best possible in einem worst case zu finden. Die ADIM ermöglicht eine konkrete Detaillierung bestehender Optionen. Beispielsweise können drei verschiedene Keulungsstrategien
verglichen werden, die sich in der Tötungsmethode oder unterschiedlichen Maßnahmen in
Rechts in der Abbildung sind die fünfzehn Zielsetzungen ­moderner
den definierten Risikozonen unterscheiden. Auch eine vergleichende Analyse verschiedener
Seuchenbekämpfung als Schlagworte samt Legende ­gelistet. Via
Strategien, etwa Keulung versus Impfung, kann vorgenommen werden.
Farb- und Mustergebung lässt sich übersichtlich erkennen, wie die
einzelnen, vorher festgelegten Szenarien (S 1 bis S 4) hinsichtlich
Während der Arbeit mit der ADIM wurde betont, dass eine Keulung eine belastende ­­Aus-
der Erfüllung dieser Güter zu beurteilen sind.
nahmesituation für alle Beteiligten darstellt. So besteht Konsens, dass Tiertötungen —
52
53
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
­unabhängig, in welchem Kontext sie durchgeführt werden — angst- und schmerzlos zu
ventionen liegt aus Sicht der ATÄ dabei besonderes Potenzial. So kann die Methode eine
erfolgen haben. Im Falle der akuten Seuchenbekämpfung im Betrieb kann das aber eine
aussagekräftige Grundlage für die interne Qualitätskontrolle liefern, indem Punkte aufge-
besondere Herausforderung darstellen. ATÄ sind hierbei mit der Problemlage konfrontiert,
zeigt werden, bei denen durch alternative Ausgestaltung der Intervention die negativen
„gleichzeitig für die Seuchenbekämpfung (schnellstmögliche Tötung von Tieren, um eine
Konsequenzen für manche Betroffene minimiert werden hätten können. Darüber hinaus
weitere Erregerausbreitung zu verhindern) und die Durchführung oder Überwachung der
sind die Ergebnisse der Bewertung ohne großen Aufwand Kolleg_innen mitteilbar. Der
tierschutzkonformen Tiertötung (die notwendigerweise Zeit für jedes einzelne Tier kostet),
Einsatz der ADIM kann in dieser Perspektive Debatten eröffnen und den fachlichen
verantwortlich zu sein“ (Hartnack 2012, 354). Norm 1 – Wohlergehen des Tieres konfligiert
Austausch intensivieren. Schließlich, so die Teilnehmenden, sind auch ethische Betrach-
hier gewissermaßen in Echtzeit mit Norm 2 – Öffentliche Interessen.
tungen von­­Zukunftsvisionen möglich. So kann mit der ADIM analysiert werden, inwieweit
die Entwicklung bestimmter Marker-Impfstoffe eine maßgebliche Verbesserung der ­aktuell
Betroffene Landwirt_innen leiden nicht nur an den ökonomischen, sondern auch — wie die
zur Verfügung stehenden Maßnahmen bei Seucheninterventionen brächte. Wenn ja, dann
ADIM explizit macht — an den psychosozialen Folgen. Sie beschreiben neben ihrer ­eigenen
hätte man „handfeste“ Argumente, um beispielsweise eine entsprechende Forschung
Ohnmacht oftmals eine „Angst vor Veterinären, die den Staat verkörpern“ und die „Ver-
­voranzutreiben.
nichtung“ einfach „durchdrücken“ (Jürgens 2002, 48). Doch auch für die ATÄ stellt eine
Keulung eine enorme Belastungsprobe dar. Wichert von Holten, Seelsorger im Rahmen der
Die ADIM visualisiert nicht zuletzt die bereits vielfach beschriebenen S
­ chwierigkeiten
MKS-Taskforce des Landes Niedersachsen, hat Tierärzt_innen bei der Seuchenbekämpfung
amtstierärztlicher Praxis. Sie übersetzt die Notwendigkeit des Abwägens zwischen
begleitet und beschreibt seine Eindrücke in drastischen Worten: „Kein Tierarzt studiert Tier-
konfligierenden Normen in Diagramme und veranschaulicht, dass das Erreichen eines
medizin, um Tiere möglichst effektiv zu töten. Die allermeisten Tierärzte und Tierärztinnen
­gerechtfertigten Zieles auf Kosten eines anderen, ebenso gerechtfertigten Guts gehen
stehen mit ihrem Gewissen und mit ihren Neigungen in der Fürsorge und Hilfe in Verant-
kann. Außenstehende, die noch nicht mit dem Programm gearbeitet haben sowie mit den
wortung gegenüber der leidenden Kreatur, die sich selbst in ihrem Schmerz und Leid nicht
Schwierigkeiten amtstierärztlicher Praxis nicht vertraut sind, mag das positive Feedback
äußern kann. Hier nun müssen sie Gewaltanwendung durchsetzen, sind Arm des Gesetzes.
überraschen. Polemisch zugespitzt könnte kritisch gefragt werden, weshalb die Visualisie-
[…] Innerhalb des Geschehens haben sie eine isolierte Position […] sie erleben die größte
rung von Ausweglosigkeiten und Kompromissen so viel Zustimmung erfährt. Was bringen
Form von Desolidarisierung, wo sie Ziel aller ohnmächtigen Wut werden“ (zit. nach Hartnack
­Diagramme, die zeigen, dass die eine gute Entscheidung nicht möglich ist?
2012, 354). Auch wenn die Wortwahl dieses Zitats dramatisch zu nennen ist, können die
­Bedingungen der Keulung als ein idealtypisches Beispiel für die vielfältigen körperlichen
Eine thesenhafte Antwort muss mindestens zweifach ausfallen: Zum einen visualisiert die
und mentalen Belastungen des amtstierärztlichen Berufs gelten.
ADIM die Komplexität sowie die ethische Brisanz von anstehenden Entscheidungen im
­Kontext der Keulung und sorgt allein damit für eine gewisse Entlastung der handelnden
­Akteur_innen. Zum anderen — und entscheidender — erlaubt das Tool einen analytischen Blick
Wenn „das Gute“ schwer fällt… wird dann „das Bessere“ umso wichtiger?
auf Details der Ausgestaltung einer Seuchenintervention: von der Wahl der Tötungsart bis
zur Frage, ob die Tierhalter_innen im Rahmen der Möglichkeiten — wenn gewünscht — in
Die teilnehmenden ATÄ stellten der Animal Disease Intervention Matrix ein positives Z
­ eugnis
die Prozesse vor Ort eingebunden werden. Als These ließe sich formulieren, dass gerade in
aus: Die ADIM ermöglicht eine Objektivierung von Kriterien einer komplexen Entscheidung.
Situationen, die das eine wahrhaft Gute nicht erlauben, in denen also jede Entscheidung
Die innerhalb der rechtlichen Vorgaben erstellten Szenarien können auf ihr Potenzial, die
bedeutsame Güter und Interessen verletzt, die Suche nach kleinen Verbesserungen in der
relevanten Ziele zu erreichen, überprüft werden. Im Vergleich verschiedener Seucheninter-
Ausgestaltung ein gangbarer Weg ist, um die Schwierigkeit der Situation zu handhaben. In
54
55
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Im bisherigen Gang der Argumentation wurden derartige Fragen
zu „schrauben“, um zumindest „ein Besseres“ zu realisieren. Folgt man dieser These, so er-
nicht dem unmittelbaren amtstierärztlichen Aufgabenfeld zuge-
fährt ein Tool wie die ADIM ein positives Feedback, weil sie eine detaillierte Beschreibung
ordnet. Wie ist das gemeint? Um dies zu veranschaulichen, kann die
der Schwierigkeiten liefert, die im Anschluss von den ATÄ selbst als Ausgangspunkt für eine
Frage nach den unterschiedlichen Rollen gestellt werden, die ATÄ
Verbesserung ­herangezogen werden kann. Aus ethischer Perspektive zeigt sich hierbei die
in ihrem beruflichen Agieren einzunehmen haben. In den Vethics
Bedeutsamkeit einer adäquaten Deskription, wie sie gerade in Debatten der angewandten
for vets-Workshops wurden von den ATÄ — nicht nur mit Blick auf
Ethik, ob einer vermeintlich dringenderen normativen Beurteilung, oft genug vernachlässigt
den Kontext der Keulung, sondern generell — folgende ­Rollen als be-
wird.
deutsam benannt:
AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS
Die Vielfalt amtstierärztlicher Rollen
Sachverständiger
Jede der diskutierten Tötungsformen vollzieht sich in einem
­bestimmten Kontext mit spezifischen Wertorientierungen als Hin-
Beamter
tergrundfolie: Bei der Euthanasie eines kranken Tieres geht es
Mediator
­primär um Erlösung von Leid, bei der Euthanasie eines aggressiven
­Hundes um die öffentliche Sicherheit und um einen r­ echtfertigbaren
Umgang mit Steuergeldern. Das Schlachten dient der Produktion
von Nahrungsmitteln; die Tierseuchenbekämpfung schließlich fo­­
kussiert auf die Sicherung der öffentlichen Gesundheit sowie auf
das Wohlergehen eines Pfads der (nationalen) Ökonomie.
Vielfalt amtstierärztlicher
Rollen nach Einschätzung
Vollzugsbehörde
Psychologe
der teilnehmenden ATÄ
(Für eine höhere
Kadaver – Kreatur – Kotelett. Immer taucht das Tier in e
­ inem bestimmten Kontext auf. Und immer haben ATÄ mit den s­ pezifischen
­Lesbarkeit des Schaubilds
­Verzicht auf gendergerechte Sprache.)
?
Sozialarbeiter
ethischen Schwierigkeiten der jeweiligen Entscheidungsfindung
umzugehen. An verschiedenen Stellen der Debatten stellt sich ­dabei
die Frage nach alternativen Rahmenbedingungen: Was wäre, wenn
es noch weitere Möglichkeiten beim Umgang mit aggressiven
ATÄ sind demnach selbstverständlich Sachverständige, die bei-
­Hunden gäbe — auch wenn sie bereits mehrmals einen ­Menschen
spielsweise Tierleid zu diagnostizieren haben. Sie sind Beamt_innen
gebissen haben? Was, wenn in der Nutztierhaltung höhere, auf
einer Vollzugsbehörde und damit Vertreter_innen des Staats, seiner
Tierethik basierte Standards als jene der gesetzlichen Vorgaben
Gesetze und Regularien. In ihrer Tätigkeit sind sie aber nicht nur mit
gelten würden? Was, wenn die nutztierhaltende Landwirtschaft
Tieren und ihrem Wohlergehen konfrontiert, vielmehr müssen sie
kleinteiliger strukturiert wäre und Keulungen damit weniger wahr-
den gesamten Kontext der Mensch-Tier-Beziehung, also stets auch
scheinlich mit massenhaften Tötungen korrespondierten?
den Menschen, in den Blick nehmen. Hierbei fielen immer wieder
56
57
AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS
kurzen Worten: Wenn „das Gute“ nicht möglich ist, kann es umso wichtiger sein, an Details
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
die Begriffe Sozialarbeiter_in, Psycholog_in und Mediator_in: Tier-
tierärzt_in im Fallbeispiel auch Staatsbürger_in — eine Rolle, die in
ethische Probleme korrespondieren oftmals mit Menschen in
den Workshops von den ATÄ überraschenderweise nicht genannt
Problemlagen. Aus diesem Grund haben ATÄ es immer auch mit
wurde, die jedoch entscheidend sein kann. Ein_e Amtstierärzt_in,
­zwischenmenschlichen Herausforderungen zu tun. Diese Vielfalt
der _die mit den gegenwärtigen Strategien der Tierseuchenbekämp-
der Rollen wurde von ATÄ als Diskrepanz beschrieben, als etwas,
fung ­unzufrieden ist, kann diese als Expert_in für Tierseuchenbe-
­zwischen dem man zerrieben wird und das einen zerreißt. In den
kämpfung in ihrer_seiner Arbeitszeit kontrollieren und umsetzen —
Workshops wurde darüber hinaus jedoch auch noch eine andere
zugleich jedoch kann als Staatsbürger_in der Versuch unternommen
Perspektive eröffnet: Rollen einzunehmen bedeutet stets auch,
­
werden, die geltenden Rahmenbedingungen in der Nutztierhaltung
­Distanz zu schaffen und Freiheitsräume zu gewinnen. Ein p
­ lakatives
generell zu verändern, etwa durch eine aktive Beteiligung an gesell-
Beispiel liefert die amtstierärztliche Rolle bei der Keulung von
­
schaftlichen und politischen Diskussionsprozessen. Ja, es stellt sich
Nutztierbeständen. Folgendes Szenario ist denkbar: „Ein_e Amts-
die Frage, inwieweit ATÄ ob ihrer Expertise und Erfahrungen nicht im
tierärzt_in veranlasst angesichts einer S
­euche auf Basis der
Besonderen dazu aufgerufen sind, sich derartigen demokratiepoli-
­rechtlichen Regulierungen sowie der fachlichen Einschätzung der
tischen Prozessen bewusst zuzuwenden (Coleman 2010).
Situation die Keulung gefährdeter Tiere. Der gesamte Nutztierbestand der landwirtschaftlichen Betriebe in einer d
­efinierten
Risikozone muss exekutiert werden. Bei der Umsetzung der
Sachverständiger
Keulungsmaßnahmen bekommt der_die Amtstierärzt_in die
Schwierigkeiten hautnah mit und beginnt zu zweifeln: Wären
­kleinere Betriebsgrößen in der Landwir schaft für den ­Seuchenfall
Beamter
Mediator
nicht von Vorteil? Wäre es nicht notwendig, Landwirt_innen noch
besser über Seuchengefahren aufzuklären? Spielt die Sicherung
ökonomischer Interessen in der Tierseuchenbekämpfung eine
zu dominante Rolle? Und überhaupt: Wäre eine andere Form der
Vollzugsbehörde
Psychologe
Landwirtschaft nicht wünschenswert?“
In diesem Fallbeispiel zweifelt der_die Amtstierärzt_in an den
vorgegebenen Rahmenbedingungen, die zwar nicht unmittelbar
­
Teil des amtstierärztlichen Aufgabenfelds sind, aber dieses selbstverständlich prägen. Mit Blick auf die Vielfalt ­amtstierärztlicher
Sozialarbeiter
Bürger
Rollen kann gesagt werden: Ein_e Amtstierärzt_in ist für die
­
­­­Keulung von Beständen im Seuchenfall zuständig — zugleich aber
­erschöpft sich eine Person nicht alleine in ihrer beruflichen ­Rolle.
Vielmehr n
­ ehmen wir stets verschiedene Rollen ein, durch die wir
Gerade die Schwierigkeit, dass ATÄ nicht nur mit ethischen Her-
an der Gesellschaft partizipieren. Beispielsweise ist der_die Amts-
ausforderungen innerhalb bestimmter Bereiche, sondern ­darüber
58
59
AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS
AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
Keulen
denen Kontexten der Mensch-Tier-Beziehung konfrontiert sind,
kann auf diese Art und Weise fruchtbar gestaltet werden. Die
Aerts, S / Boonen, R / Bruggemann, V / De Tavernier, J / ­Decuypere, E:
­zunehmende Spannung zwischen Heim- und Nutztierhaltung bei-
Culling of day-old chicks: Opening the debates of Moria? In: ­Millar,
spielsweise ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein gesellschaftli-
K / Hobson-West, P (Hrsg.): Ethical Futures: Biosciensces and Food
ches „Megathema“ der kommenden Jahre. ATÄ agieren dabei zwar
Horizons. Nottingham 2009, 117–122.
direkt an den Schnittstellen dieser Widersprüche, eine Lösung
­
oder auch Bearbeitung, wie mit dieser Kluft umzugehen ist, ist
Brantz, D: Risky Business’. Disease, Disaster and Unintended Con-
von ­ihnen in ihrer Rolle als ATÄ jedoch nicht zu erwarten und käme
sequences of Epizootics in Eighteenth- and Nineteenth-Century
einer Überforderung gleich. Sehr wohl aber können ATÄ, gerade
France and Germany. In: Environment and History. 2011 / 17 (1), 35–51.
weil sie eine der wenigen Berufsgruppen darstellen, die an diesen ­
Im Text werden Methoden und Strategien im Umgang mit Seuchen am
Schnittstellen arbeiten, sich als Bürger_innen dazu aufgerufen
­Beispiel des Ausbruchs der Rinderpest im 18. und 19. Jahrhundert in Frank-
fühlen, für dieses Thema in der öffentlichen Agenda noch mehr
reich und Deutschland untersucht. Es folgt die Auseinandersetzung mit den
Aufmerksamkeit zu generieren sowie auch Lösungsvorschläge zu
Konsequenzen seuchenpräventiver Maßnahmen für die Entwicklung von
den ihrer ­Wahrnehmung nach drängenden Konflikten in den demo-
­Risiko-und Kontrollmanagement in modernen Gesellschaften.
kratiepolitischen Raum zu stellen. In kurzen Worten: Die Differenzierung ­verschiedener Rollen hilft, den Bereich der eigenen Profes-
Brown, K / Gilfoye, D (Hrsg.): Healing the Herds. Disease, Livestock
sionsverantwortung schärfer einzugrenzen und einen adäquaten
Economies, and the Globalization of Veterinary Medicine. Athens /
Umgang mit Erwartungen zu finden, die oftmals als „Zerreißproben“
Ohio 2010.
­beschrieben werden.
Historische und ökonomische Perspektiven auf die Entwicklung und Verbreitung von Mensch- und Tierkrankheiten werden in diesem Beitrag in
Zusammenhang mit der Geschichte der Veterinärmedizin und dem Aufkommen veterinärmedizinischer Tätigkeitsbereiche wie Präventions- und
Weiterführende Fragen
Kontrollprogramme zur Bekämpfung von Krankheiten und Seuchen in Verbindung gesetzt und in globalen Zusammenhängen erörtert.
Welche Gemeinsamkeiten lassen sich zwischen den Kontexten der Einzel- und Massentötung von Tieren finden? Welche Unterschiede?
Coleman, JG: Educating the Public. Information or Persuasion? In:
Journal of Veterinary Medical Education. 2010 / 42 (2), 74–82.
Wo sind in diesen Fällen die zentralen Hindernisse, wenn es um die Realisierung von Tier-
Der Artikel setzt sich kritisch mit der Aufklärungspolitik tierschutzrelevan-
schutzaspekten geht?
ter Probleme in den Medien und der Öffentlichkeit auseinander und fordert
eine einvernehmliche Informationspolitik, die sich auf veterinärmedizini-
Welche Hilfestellungen und Rahmenbedingungen würden ATÄ dabei helfen, die „Ausnah-
sches und wissenschaftliches Faktenwissen stützt.
mesituation Keulung“ besser zu bewältigen?
60
61
KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE
AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS
hinaus ebenso mit den Widersprüchlichkeiten zwischen verschie-
Schwerpunkt 2 | Tiere – lebendiger Rohstoff?
Schwerpunkt 1 | Tiere töten
KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE
Davis, M: Vogelgrippe. Zur gesellschaftlichen Produktion von Epidemien. Berlin / Hamburg 2005.
Journalistische Darstellung der Ausbreitungsformen und virologischen Zusammenhänge der Vogelgrippe. Polemische Auseinandersetzung mit dem
Schwerpunkt 2
Tiere — lebendiger Rohstoff?
politischen, wirtschaftlichen und medialen Umgang mit der Seuche.
Hartnack, S / Grimm, H / Doherr, MG / Kunzmann, P: Bericht
von ­einem Ethik-Workshop in der Schweiz 2007 zur Massentötung im Tierseuchenfall. In: Deutsche Tierärztliche Wochenschrift.
Niemals zuvor in der Geschichte hielt der Mensch so viele Nutztiere wie in der Gegenwart.
2009 / 116, 152–157.
Sie finden als Mast- und Schlachttiere, Milchtiere oder auch als Fett-, Leder-, Daunen- und
Jones, S: Animal Diseases (Zoonoses). In: Byrne, J (Hrsg.): Encyclo-
Felllieferanten Verwendung. Die Zahlen sind beeindruckend: In Österreich wurde für den
pedia of Plagues, Pestilence and Pandemics. Westport 2008 / 1,
1. Dezember 2014 ein Gesamtbestand von 1,9 Millionen Rindern und 2,87 Millionen Schweinen
19–23.
festgestellt. Die meldepflichtigen Geflügelbrütereien wiesen für dasselbe Berichtsjahr eine
Der Beitrag dokumentiert die Entstehung und Verbreitung von Zoonosen
Gesamteinlage von 114,4 Millionen Stück Hühner-Bruteiern aus (die Angaben stammen von
am Beispiel von Beulenpest und Grippe vor dem Hintergrund ökologischer
Statistik Austria). Auch im Nachbarland Deutschland ist die Nutztierhaltung von b
­ esonderer
und evolutionärer Entwicklungen.
Bedeutung: Mehr als 70 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe halten dort gegenwärtig
Nutztiere. Eine Zählung für den März 2013 ergab, dass in diesem Monat über 220 Millionen
Law, J: Culling, Catastrophe and Collectivity. In: Scandinavian
Nutztiere in deutschen Ställen standen (WBA 2015, 15). Mit Blick auf die globale Entwicklung
­Journal of Social Theory 2008, 16, 61–76.
ist festzustellen, dass die Nutztierhaltung einer der am schnellsten wachsenden landwirt-
Soziologische Untersuchung zu Verbreitung, Ursachen und Folgen der
schaftlichen Sektoren ist. Ob des Bevölkerungswachstums, zunehmender Urbanisierung,
Maul- und Klauenseuche 2001 in England und ethische Auseinanderset-
steigender Einkommen und Änderungen der Essgewohnheiten ist gerade die weltweite
zung mit den unterschiedlichen Strategien und Politiken, die im Zuge der
Fleischproduktion in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen. Eine Veränderung der
Seuchenbekämpfung entwickelt und umgesetzt wurden.
Dynamik ist nicht in Sicht (WBA 2015, 5ff.). Die beschriebene Verwertung nutzt dabei nicht
nur die Tiere, sie gestaltet durch gezielte Züchtung auch den tierischen Körper um. Die
Woods, A: A historical synopsis of farm animal disease and ­public
­vorgegebenen Abläufe und Räumlichkeiten in der Nutztierhaltung haben demnach auch die
policy in twentieth century Britain. In: Philosophical ­Transactions
Tiere verändert.
of the Royal Society of London, Series B: Biological Sciences.
2011 / 366 (1573), 1943–1954.
Die verwendeten Begrifflichkeiten zeigen in aller Deutlichkeit an, dass Tiere hierbei
Der Artikel dokumentiert und analysiert das sich wandelnde Verständnis im
maßgeblich als Rohstoff gesehen werden: Man spricht von Bestandsgrößen, Produk-
Umgang mit Krankheiten und Seuchen in britischen Viehbeständen im 20.
tionseinheiten und Produktivitätsraten, von Erzeugungsvolumen und ­Produktionsfaktoren.
Jahrhundert auf landwirtschaftlicher, veterinärmedizinischer und national-
Zugleich wird mit Blick auf die letzten Jahrzehnte von vielen Stimmen ein Wertewandel
politischer Ebene.
­innerhalb der Gesellschaft diagnostiziert: Tierwohl, so die These, ist den ­Bürger_innen
62
63
Schwerpunkt 2 | Tiere – lebendiger Rohstoff?
Schwerpunkt 2 | Tiere – lebendiger Rohstoff?
gegenwärtig ein weit höheres Anliegen als noch in früheren Zeiten. (Polemisch ­gefasst
­zurückführen. Nun aber, in Zeiten und in Breiten, in denen wie angesprochen die meisten
ließe sich ergänzen: Inwieweit dieser Wertewandel nicht nur Bürger_innen, s­ ondern auch
Menschen eher mit Heimtieren denn mit Nutztieren in Kontakt kommen und sich ganz
Konsument_innen umfasst, ist umstritten.)
­generell eine verstärkte moralische Perspektive auf Fragen der Mensch-Tier-Beziehung
diagnostizieren lässt, wird gefragt, inwieweit diese unterschiedliche Behandlung ethisch
rechtfertigbar ist. Zugespitzt formuliert: Sollen die ethischen Standards, die gemeinhin für
Heimtiere angewandt werden, auch für Nutztiere gelten? Dies würde im Mindesten eine Revolution der Landwirtschaft bedeuten, die vielen als Utopie (oder gegebenenfalls auch als
Dystopie) erscheinen mag. Oder sind Fragen dieser Art ein Anzeichen dafür, dass wir als
Gesellschaft dabei sind, den Bezug zum Nutztier wie zur Landwirtschaft allgemein zu verlieren? Anders gefragt: Ist Nutzung und moralische Wertschätzung per se ein Widerspruch?
Verdinglichung ohne Rücksicht?
Der Mensch ordnet Tiere seinen Interessen unter und setzt sie zur Erfüllung seiner Z
­ wecke
ein. Was in aller Regel geschieht, wenn Tiere diese Zwecke nicht mehr erfüllen, davon erzählt
Es tritt ein Spannungsfeld zutage, das besonders deutlich wird, wenn man sich die verschie-
unter anderem das Märchen von den Bremer Stadtmusikanten: Der Esel, der jahrelang die
denen gesellschaftlichen Dynamiken der letzten Jahre und Jahrzehnte vor Augen führt: Die
schweren Säcke zur Mühle getragen hat, ist entkräftet und taugt nicht mehr zur Arbeit – sein
gesellschaftlichen Erwartungen an Tierschutz sind auch und gerade in der Nutztierhaltung
Besitzer will ihn daher töten. Der Hund, der ob seines Alters nicht mehr mit zur Jagd kann,
stark gestiegen; gleichzeitig wissen immer weniger Menschen um die reelle Praxis in der
soll erschossen werden. Die Katze, die für das Mäusejagen zu langsam ­geworden ist, soll
Landwirtschaft Bescheid. Das System der Tiernutzung ist für die meisten Verbraucher_in-
von ihrer Besitzerin ertränkt werden. Und der Hahn, für den Weckruf nicht mehr ­notwendig
nen weitgehend unsichtbar, es findet verstärkt gesellschaftlich abgekapselt statt. Immer
und fürs Eierlegen ohnehin nie zuständig, soll in der Suppe enden. Die Tiere im Märchen
mehr Menschen kommen mit Tieren nur noch im Kontext der Heimtierhaltung in Kontakt;
sind durch den Verlust ihrer Leistungskraft ihren Besitzer_innen nutzlos geworden. Das
der Konsum tierischer Produkte wie Fleisch sinkt in den Industrieländern nur geringfügig.
­Kümmern und die Sorge enden mit dem Tag, an dem sie ihren Zweck nicht mehr erfüllen. Es
Zugleich haben sich viele Menschen an die vergleichsweise günstigen Produkte aus der
sind also die Interessen des Menschen, die handlungsleitend sind. Ab wann ist eine solche
Nutztierhaltung gewöhnt. Gerade die bereits öfter angesprochene Kluft zwischen Heim-
Verdinglichung oder Instrumentalisierung ethisch unerlaubt?
und Nutztierhaltung wird dabei immer stärker zum Thema öffentlicher Debatten. Exemplarisch gefasst: Hunde sind in der Regel Gefährten des Menschen, während Schweine in
Eine Philosophin, die sich näher mit Praktiken der Verdinglichung auseinandergesetzt hat,
der Regel im Stall und in der Folge auf dem Teller zu finden sind. Diese Unterscheidung
ist Martha Nussbaum (Nussbaum 2002, 102). Ihre Differenzierungen folgen graduellen Ab-
lässt sich weniger auf biologische Unterschiede der Tiere denn auf kulturelle Bedingungen
stufungen: Nutzen wir ein anderes Wesen als Werkzeug für unsere eigenen Zwecke, spricht
64
65
Schwerpunkt 2 | Tiere – lebendiger Rohstoff?
Schwerpunkt 2 | Tiere – lebendiger Rohstoff?
sie von Instrumentalisierung. D
­ iese Instrumentalisierung kann jedoch verschiedene Di-
Moralische Praktiken im Umgang mit Tieren
mensionen annehmen, wie folgende ­Fragen klar machen: Behandeln wir dieses andere­
Wesen im Rahmen unserer Instrumentalisierung, als fehle ihm jegliche Autonomie und
Selbstbestimmung? Behandeln wir es, als fehle ihm Handlungsfähigkeit? Gehen wir mit ihm
Über den Schlüsselbegriff Verantwortung
um, als wäre es austauschbar? Nehmen wir auf die Verletzbarkeit des ­Wesens Rücksicht,
oder ­behandeln wir es als etwas, das man quasi zerbrechen und zerschlagen darf? Ist unser
Gerade in den Debatten zu Tieren als „lebendigem Rohstoff“ im Kontext der Nutztierhaltung
­Umgang mit ihm, als fehle ihm jegliche Subjektivität, als hätte es kein Erleben und Fühlen?
tauchte ein Begriff prominent auf, der grundsätzlich von besonderer Relevanz ist, für ATÄ
wie für jede Profession, und der daher im Folgenden im Mittelpunkt stehen soll: Die Rede ist
vom Begriff der Verantwortung. Um die Diskussionen und Argumentationen nachzuzeich-
Die Differenzierungen von Nussbaum erlauben die Argumentation, dass der Einsatz
von Tieren für eigene Zwecke nicht per se
ethisch problematisch ist. Selbst der Einsatz
von Mitmenschen zur Erfüllung der eigenen
Rechtfertigbare Instrumentalisierung?
ATÄ können in ihrer Kontrollfunktion von
landwirtschaftlichen Tierbeständen gewissermaßen als „Agent_innen g
­ egen
nen, soll ein Fallbeispiel geschildert werden, das als Problemanzeige dem weiten Feld der
„Nutzung von Tieren“ zugerechnet werden kann, zugleich aber auch verdeutlicht, inwieweit
bei ethisch relevanten Fragen zum Umgang mit Tieren stets auch der Mensch in den Blick
zu geraten hat.
eine rücksichtslose Verdinglichung – für
sein – und ist ein alltäglicher Fall. Man ­denke
eine ethisch rechtfertigbare Instrumen-
Fallbeispiel D: Rücksichtsloser / überforderter Tierhalter
an das Bestellen eines Getränks in einem
talisierung“ beschrieben werden. Was
Ein Amtstierarzt ist wiederholt mit einem landwirtschaftlichen
Kaffeehaus. In dieser Situation instrumentalisiert man den Kellner oder die Kellnerin
zur Erfüllung des eigenen Wunsches, den
hierbei gegenwärtig als ethisch rechtfertigbar gilt, ist gesetzlich vorgegeben
und unterliegt damit einem offenen gesellschaftlichen Aushandlungsprozess.
Betrieb konfrontiert, in dem die Standards tierethisch betrachtet
im Argen liegen. Die schlechten Haltungsbedingungen sind nicht
­zuletzt auf die Alkoholkrankheit des Tierhalters zurückzuführen.
Durst zu stillen oder einen Kaffee zu ge-
Die „rücksichtslose Verdinglichung“ geschieht also weniger aus
nießen. Zugleich aber kommt es in diesem
dem Ziel einer effizienten Produktionsmaximierung heraus denn
­Szenario – in aller ­Regel – zu keiner vollständigen Verdinglichung: Nicht nur werden der
aus Überforderung. Nichtsdestotrotz werden die Tiere bloß als aus-
Kellner oder die Kellnerin für ihre Tätigkeit bezahlt, entscheidend ist, dass sie in diesem
tauschbarer Rohstoff behandelt, ohne dass ihre Verletzbarkeit oder
Prozess weiterhin als Menschen wahrgenommen werden, über die die Kund_innen nicht
Subjektivität eine Rolle spielen würden. Der Amtstierarzt trifft eine
in ihrer Gesamtheit verfügen dürfen. Es kommt also zu einer Instrumentalisierung, in der
Entscheidung und schließt den Betrieb endgültig. Die Familienan-
jedoch die Autonomie, Subjektivität und Verletzbarkeit des Gegenübers nicht geleugnet
gehörigen des Tierhalters gehen mit dem Amtstierarzt in der Folge
werden. Genau diese Balance, so ein breiter Strang der Kritik, ist in der Nutztierhaltung in
hart ins Gericht: Er müsse doch wissen, dass sich die Situation des
vielen Fällen aber nicht mehr gegeben.
Mannes damit bloß weiter verschärfe. Ihr Vorwurf: Der Amtstierarzt
handelt verantwortungslos.
Das Fallbeispiel zeigt exemplarisch, was auch weiter oben an anderen Stellen der Debatten bereits deutlich wurde: Tierethische Probleme korrespondieren oftmals mit Menschen
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67
FALLBEISPIEL
Interessen kann durchaus gerechtfertigt
Schwerpunkt 2 | Tiere – lebendiger Rohstoff?
Schwerpunkt 2 | Tiere – lebendiger Rohstoff?
DER RESPONSIBILITY CHECK
in Problemlagen. Aus diesem Grund haben ATÄ wie erwähnt immer auch mit zwischenvon manchen ATÄ als Beschönigung empfunden werden, wissen doch nicht ­wenige davon
Vor dem Hintergrund, dass Verantwortung vielfach diskutiert wird,
zu berichten, wie sie bei derartigen Fällen von aggressiven Tierhalter_innen b
­ edroht wur-
zugleich aber doch oft ein nebulös verwendeter Begriff bleibt,
den oder wie betroffene Landwirt_innen wenige Tage nach Schließung des Betriebs den
­führte der Philosoph Günter Ropohl eine Strukturierung von Ver-
­Suizid wählten. Derartige Geschehnisse stellen die Frage, inwieweit eine Supervision ­gerade
antwortungstypen ein. Der sogenannte Responsibility Check baut
für ATÄ ein hilfreiches wie notwendiges Angebot darstellt. (Der Wunsch nach einer solchen
auf dieser Struktur auf.
Begleitung des Berufs wurde von Teilnehmenden wiederholt geäußert.) Im ­skizzierten
Fallbeispiel kommt erschwerend hinzu, dass die Familienangehörigen ihre Kritik durch
einen zentralen Terminus der Gegenwart vorbringen: Verantwortung ist ein Schlüsselbegriff in zahllosen Debatten, der auch im Laufe der Workshops mit den ATÄ in nahezu j­eder
­Diskussionsrunde fiel. Verantwortungsloses Handeln ist einer der heftigeren V
­ orwürfe, die
man einem_einer Vertreter_in eines Berufsstandes machen kann. Überall eingefordert
bleibt jedoch oft unklar, wer eigentlich wofür verantwortlich ist bzw. sein kann. Um das Ver-
1
2
3
A Wer
verant wortet
Individuum
Korporation
Gesellschaft
B Was
Handlung
Produkt
Unterlassung
C Wofür
Folgen
voraussehbar
Folgen unvoraussehbar
Fern- und
Spätfolgen
D Weswegen
Moralische
Regeln
Gesellschaftliche Werte
Staatliche
Gesetze
E Wovor
Gewissen
Urteil anderer
Gericht
F Wann
Vorher
(prospektiv)
Momentan
Nachher
(retrospektiv)
G Wie
Aktiv
Virtuell
Passiv
antwortungsprofil zu schärfen, kann unter anderem auf das Tool des Responsibility Checks
zurückgegriffen werden.
Verantwortungstypen
nach Ropohl (1994)
Vorgehen
Bestimmte Typen von Verantwortung ergeben sich, indem man anhand der Grundsatzfragen (linke Spalte) aus jeder Zeile ein Element
auswählt bzw. darüber diskutiert, inwieweit im entsprechenden Fall
eine derartige Auswahl möglich ist bzw. schwer fällt und warum.
68
69
AUS DEM ETHISCHEN WERKZEUGKASTEN
menschlichen Herausforderungen zu tun. Die Begrifflichkeit „Herausforderung“ mag dabei
Schwerpunkt 2 | Tiere – lebendiger Rohstoff?
Schwerpunkt 2 | Tiere – lebendiger Rohstoff?
Output
Davon unterschieden werden kann eine Professionsverantwortung, die jede ­
Person
Das Modell ist hilfreich, um die praktischen Dimensionen der Ver-
ob ihres Aufgabenfelds in ihrer beruflichen Rolle übernimmt. Weiter oben wurde
antwortung zu benennen und auch zu unterscheiden und sich auf
festgehalten, dass wir an der Gesellschaft nicht nur, aber doch auch im Besonderen
­­­
diese Art und Weise der komplexen Frage nach der eigenen Verant-
via ­unserer beruflichen Rolle partizipieren. Eine Lehrerin hat dabei andere Aufgaben zu
wortung und ihren Grenzen strukturiert anzunähern.
­verantworten als ein Bäckermeister, eine Experimentalphysikerin andere als ein Landwirt.
In allen ­genannten Fällen korrespondiert die entsprechende Professionsverantwortung
mit den Kompetenzen und der erworbenen Expertise, die diesen Berufsbildern zugespro-
Verantwortung zu übernehmen heißt allgemein, sich für eine bestimmte Aufgabe z­ uständig
chen werden. Eine Professionsverantwortung auszugestalten und ihr ­
nachzukommen,
zu erklären bzw. angesichts der Folgen des eigenen Tuns Rede und Antwort zu stehen.
bedeutet ­dabei weder, „nur eine Rolle zu spielen“, – sie ist also nicht als eine „Maske“ mis-
Schon die erste Frage des Responsibility Checks macht dabei deutlich, dass Verantwortung
szuverstehen, die wir a
­ ufsetzen und damit verbergen, „wer wir wirklich sind“, – noch ist
nicht nur als Individuum, sondern auch als Kooperation oder als gesamte Gesellschaft über-
sie als ein steter G
­ egensatz zur individuellen
­­
Verantwortung zu verstehen. Eine berufli-
nommen werden kann.
che Verantwortung ist in diesem Sinne k­ eineswegs amoralisch, vielmehr basiert auch sie
auf ­
bestimmten Wertüberzeugungen. Im
Im Fallbeispiel steht der Amtstierarzt eben nicht als Privatperson in den Stallungen des
Fall von Vertreter_innen des Staats kommt
rücksichtslosen bzw. überforderten Tierhalters, sondern als Vertreter des Staats. Er vertritt
­­
durch die Professionsverantwortung auch
also weniger seine eigenen moralischen Anschauungen als den moralischen Konsens der
eine gesellschaftliche Mitverantwortung ins
Gesellschaft, der sich in den gesetzlichen Vorgaben zur Nutztierhaltung abbildet. In d
­ ieser
Spiel: Berufe wie ATÄ, die gesetzliche Vor-
Funktion verantwortet er die Handlung der Schließung des Betriebs insofern, als er – nicht
gaben exekutieren, agieren eben nicht
schaubar und eng verwoben. Sich für
zuletzt im Wissen um die vorausgegangenen Warnungen an den Tierhalter – die ­absehbaren
„bloß“ aus ­eigenem Gewissen heraus, son-
alles verantwortlich zu fühlen, kann da-
Folgen derart einschätzt, dass keine Besserung der Zustände mehr eintreten wird. Seine
dern auf Basis ­gesellschaftlicher Interessen
bei in einer moralischen Überforderung
Verantwortung speist sich dabei weniger aus persönlichen moralischen Überzeugungen und
wie geteilter Werte. Wer mit d
­ iesen Vorga-
dem eigenen Gewissen als vielmehr aus den vorgegebenen Gesetzen. (Die eigenen Überzeu-
ben als Bürgerin oder Bürger unglücklich ist,
gungen und die gesetzlichen Vorgaben müssen einander dabei nicht n
­ otwendigerweise wi-
der kann wie weiter oben ­explizit angespro-
dersprechen; handlungsleitend sind im Fall einer Verantwortung, die man ob der Berufsrolle
chen, daran ­mitwirken, sie zu ändern – und
wusst auch die Grenzen dieser Verant-
zugesprochen bekommt, jedoch die definierten Vorgaben des Berufsfelds.) Die ­Debatten
damit auch die amtstierärztliche Professi-
wortung in den Blick zu nehmen.
entlang des Responsibility Checks machten an mehreren Stellen deutlich, dass eine Dif­­
onsverantwortung.
Grenzen der Verantwortung
Gerade in komplexen Gesellschaften
sind
Wirkzusammenhänge
unüber-
enden. Im Nachdenken über die eigene
Verantwortung – im Besonderen über
die eigene Professionsverantwortung
– ist es daher erlaubt wie sinnvoll, be-
ferenz zwischen einer individuellen Verantwortung und einer beruflichen V
­ erantwortung
(oder Professionsverantwortung) sinnvoll sein kann. Mit individueller ­­Verantwortung
Aus amtstierärztlicher Sicht müssen einander die individuelle Verantwortung und die
soll dabei jene Verantwortung gemeint sein, die jeder Mensch ganz generell für seine
Professionsverantwortung nicht widersprechen, sie können aber durchaus in bestimmten
­Mitmenschen und andere Lebewesen übernimmt: etwa wenn es heißt, dass ich ­niemandem
­Situationen in Spannung zueinander treten: Welche Handlungen ich persönlich mit meinen
Schaden zufügen soll oder dass ich, wo dies möglich ist, das Wohlergehen anderer zu för-
eigenen Überzeugungen nicht in Einklang bringe, ist eine Frage, die stets aufs Neue zu re-
dern habe. Diese individuelle Verantwortung gestalte ich als Person ob meiner eigenen
flektieren ist. Gerade das Gefühl, „ohnehin nichts ändern zu können“ und „nur ein kleines
Grundüberzeugungen aus.
Rad im großen, unüberschaubaren System“ zu sein, darf dabei zu keiner Erosion der Verant70
71
Schwerpunkt 2 | Tiere – lebendiger Rohstoff?
Schwerpunkt 2 | Tiere – lebendiger Rohstoff?
Kniff an, im Zentrum seiner Darlegung steht aber eine überzeugende
individuelle Verantwortung sind demnach gedanklich zu differenzieren – zugleich aber ist
Argumentation.
es ein lohnendes Unterfangen, den Brückenschlag zu versuchen, sprich daran zu arbeiten,
die Dinge nicht nur korrekt, sondern auch richtig zu machen.
In den Gesprächen mit den ATÄ war ein wiederkehrendes Thema,
dass die Debattenkultur zu Fragen der Mensch-Tier-Beziehung
AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS
durchaus verbesserungswürdig sei. Deshalb werden im ­Folgenden
Rhetorik – Wie ist besseres Argumentieren möglich?
— in einem etwas ausführlicheren Block — acht typische Argu-
Für welche Fragen bin ich verantwortlich? Wann handle ich verant-
mentationsfehler vorgestellt, die in hitzigen Diskussionen häu-
wortungslos? Wie kann ich meine Entscheidungen ­begründen? All
fig vorkommen. Die vorliegende Guideline ist eine Adaption auf
diese Fragen spielen in der amtstierärztlichen Praxis eine wesent-
Fragen der Mensch-Tier-­
Beziehung einer Argumentationshilfe,
liche Rolle. Zugleich aber genügt die ethische Reflexion gerade mit
die im Rahmen der ethischen Begleitforschung des Bayerischen
Blick auf den beruflichen Alltag nicht: Ich kann eine ethisch schlüssige
Forschungsverbundes F
­orPlanta (Hochschule für Philosophie,
Argumentation auf meiner Seite h
­ aben; wenn ich diese aber nicht
­Christian ­Dürnberger) für ein besseres Diskutieren in der Gentech-
ebenso schlüssig kommunizieren kann, wird sie mir in Debatten nur
nikdebatte entwickelt wurde. Mit fehlerhaften Argumentations-
wenig helfen. An dieser Stelle zeigt sich das ­Naheverhältnis von
figuren beschäftigen sich auch Bleisch und Huppenbauer (2011,
Ethik und Rhetorik: Einerseits muss ethische Auseinandersetzung
130–147) sowie zahlreiche Blogs im Web wie etwa ratioblog.de. Die
notwendigerweise auf Wort und Argument zurückgreifen, um in ei-
angeführten Beispiele sind als idealtypische Verdichtungen von
ner moralischen Streitfrage zu überzeugen. Zugleich sperrt sich die
­Argumentationsweisen zu ­verstehen und unabhängig von ihrem
Gegenüberstellung dieser Begriffe ein Stück weit: Der Ethik geht es
spezifischen Inhalt zu ­lesen. In einem ­adäquaten Kontext können
um das „Richtige“ und das „Unbedingte“; Rhetorik hingegen erinnert
die Exempel zwar durchaus gewinnbringende ­Aspekte in die Dis-
viele an „Manipulation“ und „sprachliche Tricks“. Ein_e rhetorisch
kussion einbringen, als alleinstehende Argumente jedoch sind sie
Begabte_r kann in eleganter Wortwahl und mit s­ tarken Metaphern
kritisch zu betrachten.
­jene_n in Grund und Boden reden, der_die aus ­moralphilosophischer Sicht vielleicht im Recht wäre. Dieser Umstand trägt dazu bei,
dass Rhetorik als Redekunst nicht überall hoch angesehen wird.
Wer gegenwärtig Rhetorik nicht als Schmähbegriff verwendet, der
steht in der Regel in loser Tradition von Aristoteles. Dieser unterscheidet zwischen „Überredung“ und „Überzeugung“: Wer bloß
überredet, der setzt alle erlaubten wie unerlaubten Mittel ein und
zielt vor allem auf die Emotionen seines Publikums ab. Wer ­hingegen
überzeugt, der wendet zwar den einen oder anderen rhetorischen
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73
AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS
wortung führen und nicht in blinder Pflichterfüllung enden. Professionsverantwortung und
Schwerpunkt 2 | Tiere – lebendiger Rohstoff?
1. Die Person anstelle der Position attackieren – „Ad hominem“
Schwerpunkt 2 | Tiere – lebendiger Rohstoff?
Beispiel 2: „Die Keulung von gesunden, erregeranfälligen Tieren wird vom
Philosophen und Biologen Max Mustermann abgelehnt. Ein ExBei der Argumentationsfigur „Ad hominem“, also „auf den Menschen gerichtet“, wird nicht
perte mit gleich zwei Studienabschlüssen wird recht haben.“
der Standpunkt zum Thema, sondern die Person, die diesen Standpunkt vertritt.
Es ist an zahllosen Stellen in Debatten ohne Zweifel sinnvoll und notwendig, sich auf ArguBeispiel 1: „Dass der Amtstierarzt in diesem Stall kein relevantes Tierleid diagnostiziert, ist klar. Der ist ja selbst auf einem Bauernhof aufge-
mente, Studien und Ergebnisse von Expertinnen und Experten zu berufen – der Hinweis auf
eine Autorität allein ist jedoch keine Garantie für die Richtigkeit einer Position.
wachsen und mit den Bauern gut Freund.“
Beispiel 2: „Kein Wunder, dass diese Tierärztin den kranken Hund mit immer
3. „Das war schon immer so!“ – Der Sein-Sollen-Fehlschluss
neuen Therapien und Schmerzmitteln durchschleppt statt end-
lich eine Euthanasie vorzunehmen – für die ist ein todkrankes
Der Sein-Sollen-Fehlschluss gehört zu den meist diskutierten Argumentationsfiguren der
Tier doch bloß eine Gelddruckmaschine.“
Philosophiegeschichte. Im Folgenden soll eine simple Form dieser rhetorischen Figur dargelegt werden, die im Wesentlichen besagt: Eine ethische Forderung, wie etwas sein soll,
In beiden Beispielen wird auf Akteur_innen fokussiert, die eine Entscheidung getroffen
lässt sich nicht allein aus deskriptiven Beschreibungen gewinnen, wie etwas ist.
und dabei – wir nehmen es im vorliegenden Fall an – Argumente vorgebracht haben. Diese
Argumente aber werden von der Kritik nicht in den Blick genommen. Das hierbei häufig zu
Beispiel 1: „Wieso sollen wir auf fleischlose Ernährung umsteigen? Der
vernehmende „Interessensargument“ ist insofern zu problematisieren, als in der Regel alle
Mensch hat schon immer Fleisch gegessen.“
Beteiligten an einer Diskussion Interessen aufweisen und das Aufweisen von Interessen
noch keinen ethischen Skandal per se bedeutet. Das Sichtbarmachen von impliziten Inte-
Beispiel 2: „Kein anderes Tier verschlingt so viel Fleisch wie wir. Wir sollten
ressen kann einen Gewinn an höherer Transparenz bedeuten, die Kritik an Akteur_innen
uns mäßigen. Alles andere ist unnatürlich.“
darf jedoch nicht mit Kritik an deren Argumentationen verwechselt werden.
In beiden Beispielen wird aus einer Deskription eine unmittelbare Norm abgeleitet: Im
­ersten Fall dient die Geschichte, im zweiten Fall die Natur als Ausgangspunkt. Kritische
2. Ehrfurcht vor Autoritäten – „Ad verecundiam“
Gegenstatements hätten u.a. auf Folgendes hinzuweisen: Nur weil etwas immer schon so
gemacht wurde, ist daraus nicht zu schließen, dass man es weiterhin so machen soll. Im
Das Gegenteil der erstgenannten Argumentationsfigur, dabei jedoch ebenso diskussions-
zweiten Beispiel zeigt sich darüber hinaus die oft zu diagnostizierende Gleichsetzung von
würdig, ist das Argument „Ad verecundiam“, also das Argument „aus Ehrfurcht“. Hier wird
„natürlich“ und „gut“. Nicht zuletzt bereits John Stuart Mill hat aber zu Recht darauf hinge-
der eigene Standpunkt durch die Berufung auf eine Autorität bewiesen bzw. erhärtet.
wiesen, dass „die Natur“ oder „das Natürliche“ in ihrer Widersprüchlichkeit nicht als moralisches Vorbild taugt. Darüber hinaus kann in beiden Fällen gefragt werden, inwieweit die
Beispiel 1: „In der Nutztierhaltung ist ethisch alles in Ordnung. Das hat die
vorgebrachten Deskriptionen überhaupt stimmig sind.
hierfür eingesetzte Ethikkommission klar gemacht. Daher gibt
es daran nichts zu rütteln.“
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Schwerpunkt 2 | Tiere – lebendiger Rohstoff?
Schwerpunkt 2 | Tiere – lebendiger Rohstoff?
4. Das „Strohmann-Argument“
5. „Wenn wir das tun, dann …“ – das „Dammbruch-Argument“
Beim sogenannten „Strohmann-Argument“ stellt man die Gegenposition verzerrt und über-
Beim sogenannten „Dammbruch-Argument“ wird wie folgt argumentiert: Ein (relativ
zeichnet dar, um den eigenen Standpunkt in einem besseren Licht erscheinen zu lassen.
­kleiner) erster Schritt wird zu einer Kettenreaktion an ähnlichen Ereignissen führen und am
Ende werden wir uns in einer moralisch nicht akzeptablen Situation wiederfinden. Im Engli-
Beispiel 1: „Wer gegen die moderne Fleischindustrie ist, sehnt sich nach den
alten Zeiten zurück, in denen niemand genug zu essen hatte.“
schen wird dieses Argument „Slippery Slope“ genannt, also rutschiger Abhang. Das Bild soll
den Kern der Argumentationsfigur kommunizieren, der besagt: Wenn wir nur diesen einen
Schritt auf den Abhang setzen, gibt es kein Halten mehr.
Beispiel 2: „Amtstierärzte machen uns glauben, dass es immer noch mehr
Verbote braucht. Die würden am liebsten sogar gesetzlich regeln,
zu welcher Stunde ich meinen Hund füttere.“
Beispiel 1:
„Wenn wir erst einmal erlauben, dass Hunde und Katzen auf einem
Friedhof bestattet werden, wird bald gar kein Unterschied mehr
In beiden Statements wird die Position der Gegenseite karikiert, um die eigene Argumen-
gemacht werden zwischen Menschen und Tieren. Und irgendwann
tationsweise als die reflektierte und adäquate darzustellen. Die kritische Rückfrage hat
wird man als Mensch vergeblich auf ein Spenderorgan warten, weil
hier zu problematisieren, inwieweit die dargestellte Position tatsächlich jemand vertritt
eine Katze vor einem auf der Liste steht.“
bzw. gegebenenfalls in einem zweiten Schritt, inwieweit es – plakativ gefasst – klug und
angemessen ist, sich stets mit den „dümmsten“ Vertreter_innen der Gegenseite auseinan-
Beispiel 2: „Die Tierschützer fordern immer noch höhere Standards in der
derzusetzen, oder ob es einer Diskussion – und auch der Schärfung der eigenen Position
Nutztierhaltung. Irgendwann wird jedes Schwein im Stall besser
– nicht eher hilft, sich den reflektierten und klugen Kommentator_innen der Gegenseite zu
umsorgt sein als unsere Kinder und die Produktionskosten werden
widmen.
derart explodiert sein, dass es keinen einzigen Bauern mit Nutz-
tieren mehr in Österreich geben wird, weil es sich niemand mehr
leisten wird können, diesen Beruf auszuüben.“
Die Argumentationsfigur des „Slippery Slope“ bezieht seine rhetorische Kraft aus der
­Illustration einer meist düsteren Zukunft, die mit einer Entscheidung in der Gegenwart
in Zusammenhang gebracht wird. Die Rückfragen lauten hierbei: Führt der erste Schritt
tatsächlich notwendigerweise zur skizzierten Endsituation? Welche Regulierungen sind
denkbar, um das „Hinunterrutschen am Abhang“ nicht Realität werden zu lassen? In manchen Fällen ist auch zu fragen: Ist die Zukunftsprognose tatsächlich unter allen Umständen
­abzulehnen, und wenn ja, warum?
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Schwerpunkt 2 | Tiere – lebendiger Rohstoff?
6. „Entweder … oder“ – das „Falsche Dilemma“
Schwerpunkt 2 | Tiere – lebendiger Rohstoff?
deren kann sie über einen zu geringen Kenntnisstand verfügen, als dass für sie ein sachgerechtes Urteil möglich wäre. Darüber hinaus kann stets gefragt werden, ob die Mehrheiten
Bei der Argumentationsfigur des „Falschen Dilemmas“ wird suggeriert, es gäbe nur eine
überhaupt derart klar verteilt sind wie behauptet.
limitierte Anzahl an möglichen Handlungsoptionen.
Beispiel 1: „Entweder wir setzen auf großstrukturierte Betriebe in der Nutz-
8. „Ich kenne jemanden, der …“ – Anekdote statt Argument
tierhaltung, oder wir werden im Jahr 2030 verhungern.“
Eine beliebte rhetorische Figur ist schließlich der Rückgriff auf Erzählungen von Anekdoten
Beispiel 2:
„Entweder wir euthanasieren aggressive Hunde rigoros, oder in
und Beschreibungen von Einzelfällen.
den Parks der Stadt wird man bald nicht mehr sicher sein.“
Beispiel 1: „Ich habe einmal den Amtstierarzt angerufen, aber der meinte
In beiden Fällen werden nur zwei Möglichkeiten präsentiert; die Entscheidung wird zu
bloß, er könne erst in vier Wochen kommen. Das sind doch alles
­einem schlichten „Entweder–oder“ pauschalisiert. Insofern sich die Argumentationsfigur in
faule Beamte, die sich nicht um die Tiere kümmern wollen.“
der Regel auf zukünftige Prozesse richtet, ist sie oftmals mit Dammbruch-Argumentationsweisen angereichert. Bei derartigen „Falschen Dilemmata“ bedarf es stets der kritischen
Beispiel 2: „Ich kenne eine Frau, die ist mit ihrem kranken Hund von einem
Rückfrage nach weiteren Handlungsoptionen bzw. nach Szenarien, die Graustufen jenseits
Tierarzt zum nächsten und alle haben ihr geraten, ihn einschläfern
der bloßen „Ja oder Nein“-Fragestellung zulassen.
zu lassen. Gott sei Dank hat sie nicht darauf gehört. Der Hund ist
nämlich wieder gesund geworden und lebt noch immer. Man kann
den Medizinern einfach nicht vertrauen.“
7. „So viele können nicht irren“ – „Ad populum“
Derartige Erzählungen führen zu einer Fragestellung, die bereits Aristoteles ­beschäftigte,
Bei der Argumentationsfigur „Ad populum” wird die eigene Position durch den Hinweis
nämlich: Inwieweit darf man in Debatten die Emotionen des Publikums ansprechen? Die
­gestärkt, dass eine Mehrheit diesen Standpunkt teilt.
Antwort des antiken Philosophen scheint auch heute noch tauglich: Emotionen etwa durch
Anekdoten zu wecken, ist ein erlaubtes Mittel, jedoch dürfen derartige Einzelfallbeschrei-
Beispiel 1: „In den meisten Ländern der nördlichen Hemisphäre ist es völlig
bungen nicht mit Argumenten verwechselt werden, sprich: Die Diskussion darf sich nicht in
üblich, Pelz zu tragen. Die sind nicht so übersensibilisiert wie wir.“
­einem Austausch solcher Anekdoten erschöpfen, allenfalls können E
­ inzelfallbeschreibungen
empirisch belastbares Material von durchgeführten Studien ­veranschaulichen.
Beispiel 2:
„Nur 20 Prozent der Österreicher sind mit den Standards in der
Nutztierhaltung zufrieden. Das sagt doch schon alles.“
Die Tatsache, dass eine Mehrheit einen Standpunkt vertritt, ist selbst noch keine Aussage
über die Qualität dieses Standpunktes. Zum einen kann die Mehrheit schlicht irren, zum an78
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Schwerpunkt 2 | Tiere – lebendiger Rohstoff?
Weiterführende Fragen
Schwerpunkt 2 | Tiere – lebendiger Rohstoff?
Food Quality Required by the Public. Journal of Veterinary Medical
Vor dem Hintergrund aktueller Tierschutzdebatten über landwirtschafliche
sichtslose Verdinglichung“ der Tiere zu verstehen?
Tiernutzung und Produktion wird in diesem Beitrag eine klare Definition des
Tierschutzkonzepts in der öffentlichen Informationspolitik gefordert. ­­Da-
Welche weiteren diskussionswürdigen Argumentationsfiguren begegnen Ihnen im amtstier-
rüber hinaus wird die Notwendigkeit diskutiert, tierschutzrelevante Fragen,
ärztlichen Arbeitsumfeld? Welche generellen Schwierigkeiten stellen sich bei der Kommuni-
Ethik und gesetzliche Vorgaben in die veterinärmemedizinsche Ausbildung
kation oftmals ein – sei es mit Kolleg_innen, Nutztierhalter_innen, Behörden etc.?
zu integrieren.
Welche anderen Berufe lassen sich finden, deren Professionsverantwortung jener der
Candace, CC.: Words Matter: Implications of Semantics and Imagery
amtstierärztlichen Verantwortung ähnelt? Woraus ergeben sich Gemeinsamkeiten?
in Framing Animal-Welfare Issues. Journal of Veterinary Medical
Education. 2010 / 37 (1), 101–106.
Studie zum Einfluss von Sprache und Begriffswahl auf die Wahrnehmung
und Bewertung von Tierschutzfragen in unterschiedlichen Kontexten.
KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE
Tiere — lebendiger Rohstoff
Carlson, LW: Cattle: An Informal Social History. Chicago 2001.
Animal Ethics Dilemma. An Interactive Learning Tool for University
Soziologisch-historische Analyse zum Einfluss von Wissenschaft, Techno-
and Professional Training.
logie und Wirtschaft auf die Mensch-Nutztier-Beziehung am Beispiel der
http://www.aedilemma.net (28.7.2015).
Rinderhaltung. Die Autorin untersucht die wechselseitige Prägung der
Ermöglicht die Bearbeitung von Fallbeispielen ethischer Dilemmata in
­Beziehung von (Rind-)Vieh und Mensch von ihren Anfängen bis hin zur
Entscheidungssituationen und bietet prägnante Darstellungen relevanter
­Entwicklung der kommerziellen Rinderindustrie in den USA.
­ethischer Positionen.
Empel, W: Das Tier im Spannungsfeld zwischen Leistung, AnpasThe Animal Welfare Science, Ethics and Law Veterinary Association
sung und Bedürfnis. In: Busch, B / Joerden, JC (Hrsg.): Tiere ohne
http://www.awselva.org.uk (28.7.2015).
Rechte. Berlin / Heidelberg 1999, 103–108.
Materialien zu tierschutzrelevanten Informationen aus unterschiedlichen
Grimm, H: Tiere. Lebendiger Rohstoff? Zur Rekonstruktion der Ver-
Wissenschaftsbereichen, Ethik und Recht.
dinglichung als moralisch problematische Haltung. In: Fehlmann,
Busch, RJ / Kunzmann, P: Leben mit und von Tieren. Ethisches
M / Michel, M / Niederhauser, R (Hrsg.): Tierisch! Das Tier und die
­Bewertungsmodell zur Tierhaltung in der Landwirtschaft. München
Wissenschaft. Ein Streifzug durch die Disziplinen. Zürich 2015. (In
2006.
press)
Broom, DM: Animal Welfare: An Aspect of Care, Sustainability, and
80
81
KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE
Education. 2010 / 37 (1), 83–88.
Welche Praktiken der Nutztierhaltung und welche Ziele der Tierzucht sind / wären als „rück-
Schwerpunkt 2 | Tiere – lebendiger Rohstoff?
Grimm, H: Ethik in der Nutztierhaltung: Der Schritt in die Praxis. In:
Macho, T: Der Aufstand der Haustiere. In: Fischer-Kowalski, M /
Grimm, H / Otterstedt, C (Hrsg.): Das Tier an sich? Disziplinüber-
Haberl, H / Hüttler, W / Payer, H / Schandl, H / Winiwarter, V / Zangerl-
greifende Perspektiven für neue Wege im wissenschaftsbasierten
Weisz, H: Gesellschaftlicher Stoffwechsel und Kolonisierung von
Tierschutz. Göttingen 2012, 276–296.
Natur. Ein Versuch in sozialer Ökologie. Amsterdam 1997, 177–200.
In diesem Text werden Möglichkeiten und Methoden erörtert, tierethische Pro-
In kulturhistorischer Perspektive nimmt der Autor die Beziehung zwischen
bleme in der Landwirtschaft adäquat abzubilden und umsetzbare Lösungs-
Mensch und Tier unter dem Aspekt der Modernisierung und Umwälzung
ansätze zu formulieren. Die pragmatistische Methode in Anlehnung an John
menschlicher Lebensformen durch die industrielle Revolution in den Blick.
Dewey wird als möglicher Lösungsansatz für eine praxisorientierte Ethik
Veranschaulicht wird der Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft
vorgestellt.
und der Vernutzung von Mensch, Tier und Umwelt im Sinne der Rohstoffgewinnung.
Janiszewska, J: Ethische Aspekte bei der Zucht von Nutztieren. In:
Busch, B / Joerden, J (Hrsg.): Tiere ohne Rechte. Berlin / Heidelberg
Maisack, C: Tierschutzrecht. Haltung von Nutztieren, dargestellt an
1999, 109–113.
den Beispielen ‚Schweine’, ‚Hühner’, ‚Enten’. In: Grimm, H / ­Otterstedt,
C (Hrsg.): Das Tier an sich? Disziplinübergreifende Perspektiven für
Jürgens, K: Das Mensch-Nutztier-Verhältnis in der ­konventionellen
neue Wege im wissenschaftsbasierten Tierschutz. Göttingen 2012,
und ökologischen Landwirtschaft – vielgestaltig, komplex und wi-
198–235.
dersprüchlich. In: Hofmeister, G (Hrsg.): Hofgeismarer ­Protokolle.
Der Artikel untersucht den Zusammenhang zwischen gesetzlichen Vor-
Mit Tieren leben — Tiere erleben. Soziale Dimensionen der
schriften, Rechtsverordnungen, Haltungsvereinbarungen und Haltungs-
Mensch-Tier-Beziehung. Hofgeismar 2007, 49–62.
praktiken auf deren Konsistenz und thematisiert strukturelle Schwächen
des Tierschutzes im Allgemeinen und des Tierschutzgesetzes im Speziellen.
Jürgens, K: Die Mensch-Nutztier-Beziehung in der heutigen Landwirtschaft – Agrarsoziologische Perspektiven. In: Otterstedt, C / Hunt, A: Death by Birth. In: English Studies in Canada. 2013 / 39 (1),
Rosenberger, M (Hrsg.): Gefährten — Konkurrenten — Verwandte.
97–124.
Die Mensch-Tier-Beziehung im wissenschaftlichen Diskurs. Göttin-
Kulturwissenschaftliche und kritische Perspektive auf den Bereich der indus-
gen 2009, 215–235.
triellen Nutztierhaltung und Fleischproduktion. Der Autor beschreibt das Pa-
Die Autorin liefert einen kompakten Überblick zum aktuellen Forschungs-
radox der Produktion tierischer Körper zum Zwecke der Tötung und weist da-
stand der Mensch-Nutztier-Beziehung und erörtert die Möglichkeiten
mit auf den biopolitischen Zusammenhang von Produktion und Reproduktion
empirischer Forschung und interdisziplinär ausgerichteter sowie agrar­
in der Agrarindustrie hin: Die Bedingungen für eine Vernutzung von Tieren als
soziologischer Studien als weiterführende Untersuchungsmethoden auf
lebendigem Rohstoff in der Massentierhaltung werden deutlich.
­diesem Gebiet.
Petrus, K: Die Verdinglichung von Tieren. In: Chimaira – Arbeitskreis
für Human-Animal-Studies (Hrsg.): Tiere — Bilder — ­Ökonomien.
­Bielefeld 2013, 43–62.
82
83
KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE
KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE
Schwerpunkt 2 | Tiere – lebendiger Rohstoff?
Schwerpunkt 2 | Tiere – lebendiger Rohstoff?
Im Beitrag werden soziale Praktiken der Verdinglichung in der modernen
unterschiedlichen kulturellen und historischen Hintergründen. Die Inter-
Gesellschaft erläutert und problematisiert. Aus tierethischer Sicht wird
aktion zwischen Mensch und Tier und der Einfluss dieser Beziehung auf
­erörtert, wie Prozesse der Verdinglichung und Objektivation von Tieren
die Wandlung und Änderung menschlicher Wertevorstellungen wird unter
besonders im Nutztierbereich zu Instrumentalisierung und Legitimation
­Berücksichtigung empirischer Forschungsmethoden in verschiedenen Kon-
menschlicher ­Interessen und Besitzansprüche führen.
texten wie Schlachthöfen, landwirtschaftlichen Betrieben, Tierheimen oder
veterinärmedizinischen Tätigkeitsfeldern beleuchtet.
Rollin, BE: An Introduction to Veterinary Medical Ethics. Theory
and Cases. Oxford 22006.
Zeitelhofer, S: Vom Umgang mit dem Vieh. Eine qualitative Unter-
Der erste Teil dieses Überblickwerks bietet eine systematische Einführung
suchung zur Mensch-Nutztier-Beziehung in Niederösterreich. Wien
in die Ethik der Veterinärmedizin. Verschiedene Bereiche der veterinärmedi-
2009.
zinischen Praxis und Lehre werden in Bezug zu einer anwendungsorientier-
Qualitative Studie zur Mensch-Nutztier-Beziehung auf Grundlage der Befra-
ten Ethik gesetzt. Im zweiten Teil werden ethische Probleme und Dilemmata
gung von Landwirt_innen und Analyse ihrer ­subjektiven Erfahrungswerte
anhand konkreter Fälle bearbeitet und analysiert und mögliche Hilfestellun-
und Wahrnehmungen. Im theoretischen Teil der Arbeit werden darüber hi-
gen und Lösungsansätze aufgezeigt.
naus die historisch und gesellschaftlich geformten Beziehungsdimensionen
und Verhaltensweisen zwischen Mensch und Nutztier vor sozial- und kultur-
Sandoe, P / Christiansen, S / Rollin BE (Hrsg.): Ethics of Animal
anthropologischem sowie agrarsoziologischem Hintergrund abgebildet.
Use. Oxford 2008.
In dieser Publikation werden Möglichkeiten und Grenzen der Nutzung von
Ventura, BA / Keyserlingk, von MAG: The Welfare of Dairy Cattle:
­Tieren unter den Gesichtspunkten unterschiedlicher tierethischer Ansätze
Perspectives of industry stakeholders. In: Röcklingsberg, H / ­Sandin,
diskutiert. Die Lektüre bietet einen allgemeinen Überblick zu vorherrschenden
P (Hrsg.): Ethics of Consumption, the Citizen, the Market and the
ethischen Konzepten und setzt diese in Bezug zu unterschiedlichen F
­ ormen
Law. Wageningen 2013, 221–224
der Nutzung von Tieren.
Woods, A: Rethinking the History of Modern Agriculture: British
Steiger, A: Die Würde des Nutztieres. Nutztierhaltung zwischen
Pig Production, c. 1910–65. In: Twentieth Century British History.
Ethik und Profit. In: Liechti, M: Die Würde des Tieres. Erlangen 2001,
2012 / 23 (02), 165–191.
221–232.
Im Artikel werden einseitige Sichtweisen auf die Entwicklung moderner
Allgemeiner Überblick zu Tierschutzproblemen in der Nutztierhaltung unter
Landwirtschaft hinterfragt und es wird für eine historisch reflektierte Aus-
Berücksichtigung tierschutzrelevanter und tierethischer Kriterien zu Hal-
einandersetzung mit landwirtschaftlicher Modernisierung plädiert.
tung und Zucht sowie ökonomischen Zwängen in der Landwirtschaft.
Woods, A: The farm as clinic: Veterinary expertise and the transTaylor, N / Hamilton, L: Animals at Work. Identity, Politics and
formation of dairy farming, 1930–50. In: Studies in History and
­Culture in Work with Animals. Boston 2013.
­Philosophy of Science Part C: Studies in History and Philosophy of
Ethnografische Studie zum Arbeitsverhältnis von Mensch und Tier vor
Biological and Biomedical Sciences. 2007 38 (2), 462–487.
84
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KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE
KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE
Schwerpunkt 2 | Tiere – lebendiger Rohstoff?
Schwerpunkt 2 | Tiere – lebendiger Rohstoff?
Historische Analyse der Veränderungen landwirtschaftlicher Methoden und
Organisationstrukturen in England nach dem zweiten Weltkrieg. Der Fokus
des Beitrags liegt auf dem Wandel des veterinärmedizinischen Berufs vom
Selbstbild des individuellen Tierdoktors zum_zur hochprofessionalisierten
Schwerpunkt 3 | Der überforderte Mensch
Schwerpunkt 3
Der überforderte Mensch
Expert_in über Gesundheit und Produktivität von Tierbeständen.
Der Mensch als Maß aller Tiere
Die Rede von einer Vermenschlichung von Tieren setzt vielfältige Assoziationen frei: In
­Animationsfilmen und Kinderbüchern erleben Tiere menschenähnliche Abenteuer; sie können sprechen und agieren, wie man es sonst nur von Menschen gewöhnt ist. Bei d
­ iversen
Veranstaltungen werden Tiere zu Belustigungszwecken etwa als Clowns oder als Hochzeitspaare verkleidet; sie werden zum Gaudium des Publikums geschminkt und maskiert.
­Tendenzen einer Vermenschlichung finden sich jedoch nicht nur im Unterhaltungssektor,
sondern ebenso in der Heimtierhaltung: Hunde werden in Seminare zur Persönlichkeitsentwicklung geschickt; nach Ableben eines Tieres wird eine Trauerfeier organisiert. Operationen, die f­ rüher nur in der Humanmedizin stattgefunden haben, werden nun auch an Tieren
durchgeführt und mittlerweile gibt es in jeder größeren Stadt Schönheitssalons mit Stylist_innen für Heimtiere.
Fällt in diesen Kontexten der Begriff der Vermenschlichung, wird er in aller ­Regel n
­ egativ
verwendet: Er will eine Tierliebe anprangern, die jedes Maß verloren hat. ­Zugleich aber
zeigt sich bereits in den genannten Beispielen, dass es einem gesellschaftlichen Aushandlungsprozess und einem historischen Wandel unterliegt, was als übertrieben
empfunden wird – und was als angebracht. Für den einen mag es beispielsweise als maßlose Tierliebe gelten, für einen verstorbenen Hund eine Begräbnisfeier abzuhalten; für den
anderen wäre jeder alternative Umgang mit dem Tod seines Tieres undenkbar. Was vor
einigen Jahrzehnten noch als übertrieben gegolten hat, etwa kostspielige Operationen
bei Kleintieren, kann heute bereits größtenteils Standard sein. So schaffte es die Operation
eines Goldfisches wegen Verstopfung im Jahr 2015 noch in die Zeitungen und rief dort
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87
Schwerpunkt 3 | Der überforderte Mensch
Schwerpunkt 3 | Der überforderte Mensch
­durchaus kontroverse Reaktionen hervor: Auf der Website der österreichischen T
­ ageszei-
Zuneigung und um das Wohlergehen des Einzelnen. Dass jedoch beispielsweise auch gut
tung derStandard.at lauteten entsprechende Kommentare von Leser_innen etwa, eine
gemeinte Fürsorge tierschutzrelevante Auswirkungen haben kann, weiß wohl kaum eine
­solche Operation sei doch „krank“, ein typisches „First World Problem“, „eine Klospülung“ wäre
Berufsgruppe so gut wie jene der ATÄ.
„wesentlich günstiger gewesen“ oder auch, dass man für das investierte Geld „einen ­Blinden
in Afrika wieder sehend“ hätte machen können. Betrachtet man die Dynamiken in den
­letzten Jahrzehnten, könnte ein derartiger Eingriff in naher Zukunft jedoch bereits als all-
Amtstierärztliche Erfahrungen mit Vermenschlichung von Tieren
täglich gelten und keine Meldung mehr wert sein.
Welche Erfahrungen mit Vermenschlichung von Tieren machen ATÄ in ihrem Berufsalltag?
Derartige Debatten über die Frage, an welcher Grenze der adäquate Umgang mit dem Tier
Welche Assoziationen verbinden sie mit diesem Begriff? Die folgende Begriffswolke zeigt
zu einer übertriebenen Liebe wird, sind dabei kein Alleinstellungsmerkmal des 21. Jahr-
zentrale Gedanken und Termini der am Vethics for vets-Projekt Teilnehmenden.
hunderts. Knigge prangerte beispielsweise bereits im Jahr 1787 Tendenzen einer – seines
Erachtens – maßlosen Tierliebe an: „Ich kenne Damen, die ihre Katze zärtlicher umarmen
als ihre Ehegatten; junge Herrn, die ihren Pferden sorgsamer aufwarten als ihren Oheimen
und Basen, und Männer, die gegen ihre Hunde mehr Zärtlichkeit, Schonung und Nachsicht
beweisen als gegen ihre Freunde, die sich von jenen müssen mit Flöhen bevölkern lassen“
(Knigge 2013, 278). Was Knigge anspricht, nämlich inwieweit maßlose Tierliebe mit einer
Abwendung von anderen Menschen einhergeht, ist eine immer wieder diskutierte Frage.
Das Zusammenleben mit tierischen Weggefährten scheint manchem jedenfalls leichter zu
fallen als die Beziehung zu Mitmenschen: In ihrer Sprachlosigkeit geben Tiere keine Widerworte. Sie taugen als Projektionsfläche für eigene Gedanken und Gemütszustände, sind
zugleich aber biografiefähige Akteure, die ihren eigenen Charakter entwickeln und deren
Lebensgeschichten sich vom_von der Tierbesitzer_in erzählen lässt.
Begriffswolke:
Amtstierärztliche Erfahrungen mit Tendenzen
der Vermenschlichung in
der Heimtierhaltung aus
Wie auch immer man die Grenze zwischen „übertrieben“ und „adäquat“ zieht, die Schwer-
Sicht der Vethics for
vets-Teilnehmenden
punktsetzung einer Vermenschlichung von Tieren auf grundsätzlicher Ebene macht
­deutlich, dass (tier-)ethisch relevante Problemstellungen nicht nur in der Nutztierhaltung
bzw. in Ausnahmesituationen wie bei einer anstehenden Euthanasie, sondern durchaus
Ein zentraler Topos der Diskussion war, dass Tiere oftmals als Kinder- und ­Partnerersatz
auch in der täglichen Heimtierhaltung auftreten. Diese Diagnose widerspricht dabei einem
Verwendung finden. In diesen – aber auch anderen – Fällen kann es vorkommen, dass die
breiten Konsens in der öffentlichen Wahrnehmung: Während bei der Diskussion der Nutz-
eigenen Bedürfnisse dem Tier übergestülpt werden. Um hierfür ein plakatives Beispiel zu
tierhaltung nämlich ein Klima des Misstrauens auszumachen ist, geprägt von Vorwürfen der
bringen: Ein Tierhalter geht nur ungern spazieren; er bewegt sich wenig und zieht es vor,
Gier, der bloßen Produktionsmaximierung wie der Verdinglichung von Lebewesen, finden
daheim zu bleiben. „Mein Hund“, so seine Aussage hierzu, „ist mir da Gott sei Dank ä
­ hnlich.
Debatten über Heimtierhaltung gemeinhin vor einer gänzlich anderen, nämlich unver-
Der bleibt auch lieber zu Hause und macht es sich gemütlich.“ Eine derartige Projektion der
dächtigen Hintergrundfolie statt. Hier, so die verbreitete Wahrnehmung, geht es um Liebe,
eigenen Vorlieben auf das Tier kann dabei tierschutzrelevante Ausmaße annehmen. Ein
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Schwerpunkt 3 | Der überforderte Mensch
Schwerpunkt 3 | Der überforderte Mensch
weiterer Punkt, der gerade im Kontext einer Vermenschlichung von Tieren immer wieder
den und Disziplinen. Erneut wird an dieser Stelle also die bereits weiter oben beschriebene
angesprochen wurde, ist die Schwierigkeit der Kommunikation. Der amtstierärztliche Hin-
Herausforderung deutlich, dass amtstierärztliche Praxis oft mit menschlichen Tragödien und
weis auf die medizinisch und biologisch feststellbaren Bedürfnisse eines Tieres verhallt nur
Schwierigkeiten umzugehen hat. Dieses Faktum wird sich nicht vermeiden lassen – umso
zu oft. Die Tierhalter_innen zeigen sich beratungsresistent und nehmen den Standpunkt
notwendiger ist es allerdings, dass ATÄ mit derartigen Fällen nicht alleine gelassen werden.
ein, ihr eigenes Tier doch besser zu kennen als irgendwelche Expert_innen, die ihr Wissen
aus Schulbüchern haben. Ein als „kalt“ empfundenes Expertenwissen prallt also hierbei auf
eine Art intuitives Wissen im Sinne von: „Nur ich weiß, was meinem Tier wirklich gut tut.“
Tiere in menschlichen Rollen
Im Rahmen des Vethics for vets-Projekts wurden die teilnehmenden ATÄ immer wieder
dazu aufgefordert, ethisch relevante Problemstellungen aus ihrem Berufsalltag aufs Tapet zu
­bringen. Ein hierbei genanntes Fallbeispiel taugt durchaus, um Tendenzen einer Vermensch-
Animal Hoarding — Wenn Tiere überhand nehmen
lichung – in diesem Fall zum Zwecke der Unterhaltung bzw. einer Leistungsschau – aus einer
ethischen Perspektive zu diskutieren. Genauer wurde von einem Teilnehmer folgendes Szenario beschrieben.
Eine Sonderform übertriebener Tierliebe – die jedoch zugleich exemplarisch für die amtstierFallbeispiel E: „Miss Euter“
lich das Phänomen Animal Hoarding dar. Der Begriff meint das krankhafte Sammeln und
Auf einer Landwirtschaftsmesse soll die Kuh mit dem größten ­Euter
­Halten von Tieren und kann allgemein durch vier Charakteristika näher beschrieben werden
prämiert werden. Damit die Euter zum Zeitpunkt der Preisentschei-
(­Patronek et al. 2006): (a) Durch die Zahl der Tiere bzw. die Enge der Räumlichkeiten wer-
dung prall gefüllt sind, melken die Besitzer_innen die Tiere vorher
den die Mindestanforderungen an Hygiene, Platz, Ernährung und tierärztlicher Versorgung
nicht mehr — wie lange vorher, ist schwer zu eruieren. Der Amtstier-
unterschritten. (b) Die Tierhorter_innen sind unfähig, die Defizite ihres Tuns zu erkennen.
arzt vor Ort ist sich ob der gesamten Veranstaltung unsicher: Wie
(c) Sie unternehmen Anstrengungen, ihre Sammlung aufrechtzuerhalten oder ­auszubauen.
ist eine solche Prämierung zu beurteilen?
(d) Die Probleme für die Tiere und ihre Umwelt werden von ihnen geleugnet oder klein
geredet (Patronek et al. 2006). In Deutschland zeigte eine Studie (Sperlin 2011), dass bereits
86 Prozent der Ämter mit derartigen Fällen von Animal Hoarding zu tun hatten.
Das gebrachte Beispiel mag auf den ersten Blick erstaunen, vielleicht auch – nicht zuletzt ob
des zugespitzten Titels – amüsieren, es weist jedoch auch spannende Facetten auf. Wett-
Diese Form maßloser Tierliebe hat vor allem psychische Ursachen aufseiten der Tier-
bewerbe, bei denen Körper zur Schau gestellt und prämiert werden, gibt es viele: Bei Body-
halter_innen. Und eben darin liegt ein Problem für die amtstierärztliche Praxis: Insofern die
building-Wettbewerben gewinnt die beeindruckendste Muskulatur, bei Schönheitswahlen
gehorteten Tiere oft an Erkrankungen und Mangelernährung leiden sowie Verhaltensstö-
einigt sich die Jury auf den schönsten Mann oder die schönste Frau. Bei diesen Wettbe-
rungen zeigen, fällt das Phänomen Animal Hoarding in den Zuständigkeitsbereich von ATÄ.
werben stehen allerdings Menschen im Fokus, die sich, so ist zu hoffen, freiwillig dieser
Sie sind es, die an die Türen der Betroffenen klopfen und das Gespräch zu suchen haben.
Konkurrenzsituation aussetzen. Wenn Vermenschlichung – weit gefasst – als ein Verkennen
Zugleich aber sind sie weder ausgebildet noch verantwortlich für einen adäquaten Umgang
der tierischen Bedürfnisse verstanden wird, bei dem Tiere gezwungen werden, Rollen zu
mit psychischen Erkrankungen. Hierfür braucht es den Austausch mit zuständigen Behör-
übernehmen, die typischerweise ansonsten von Menschen übernommen werden, so ist
90
91
FALLBEISPIEL
ärztlichen Herausforderungen in diesem Kontext genannt ­werden kann – stellt schließ-
Schwerpunkt 3 | Der überforderte Mensch
eine „Miss Euter“-Show durchaus in diesem Kontext zu verorten. Werden die Kühe also im
– und dies nur zum Zwecke der Unterhaltung des Publikums bzw. für eine Leistungsschau?
Inwieweit ist eine derartige Show ethisch problematisch? Um diese Frage zu diskutieren,
3. 2 Sind die Belastungen dem Tier zumutbar?
4. Welcher Nutzen entsteht für wen?
5. Stehen Belastungen und Nutzen in einem plausiblen ­Verhältnis?
kann auf ein weiteres Tool der angewandten Ethik zurückgegriffen werden: auf den ethi6. Gibt es realisierbare Alternativen?
schen Entscheidungspfad.
Anhand dieser sechs Schritte wird eine konkrete moralisch r­ elevante
AUS DEM ETHISCHEN WERKZEUGKASTEN
DER ETHISCHE ENTSCHEIDUNGSPFAD
Fragestellung diskutiert. Dabei besteht die Möglichkeit, dass die
ethische Reflexion frühzeitig abbricht – beispielsweise wenn das
Der sogenannte ethische Entscheidungspfad ist ein Diskussions-
diskutierte Vorgehen nicht den rechtlichen Mindestanforderungen
modell zur Tierhaltung in der Landwirtschaft (Busch und Kunzmann
entspricht oder wenn es unzumutbare Belastungen für das Tier mit
2006). Das Modell wurde am Institut TTN an der LMU München
sich bringt. Eine ethische Rechtfertigung ergibt sich dann, wenn
­entwickelt und stellt zwei grundsätzliche Fragen: Wie kann man zu
die Belastungsgrenzen des Tieres nicht überschritten werden, der
einem begründeten Entscheidungsweg für moralische Fragen in
Nutzen einen „guten Grund“ darstellt und nicht anders (mit weniger
der landwirtschaftlichen Tierhaltung gelangen? Und wie könnte ein
Belastungen) erreicht werden kann.
solcher Entscheidungsweg konkret aussehen? Trotz seines Fokus
auf Landwirtschaft taugt das Modell auch für eine strukturierte De-
Output
batte von ­Fragen abseits der Nutztierhaltung.
Der Entscheidungspfad strebt danach, den ethisch fundierten Dialog über moralische Fragen der Tierhaltung zu strukturieren und zu
Vorgehen
unterstützen. Das Modell erlaubt es, anhand weniger, übersichtlicher
Das Modell umfasst folgende aufeinander aufbauende Diskussions-
Schritte eine konkrete Fragestellung selbstständig zu diskutieren
schritte:
und idealerweise auf diesem Weg zu einer begründeten Entschei-
1. Welche konkrete Frage soll diskutiert werden?
dung zu gelangen.
2. Entspricht die Praxis den rechtlichen Mindestanforderungen?
3. 1 Inwieweit ist das Tierwohl – in Anbetracht der Dauer und Tiefe des Eingriffs – beeinträchtigt?
Sind die Tiere frei von
a Hunger und Durst, b Unbehagen, c Schmerzen, ­­­­Verletzungen
und Krankheiten, d Angst und Stress? e Sind sie frei, um ihre
normalen Verhaltensmuster ausleben zu können?
92
93
AUS DEM ETHISCHEN WERKZEUGKASTEN
vorliegenden Fall gezwungen, eine Rolle zu spielen, die nichts mit ihnen als Tiere zu tun hat
Schwerpunkt 3 | Der überforderte Mensch
Schwerpunkt 3 | Der überforderte Mensch
Schwerpunkt 3 | Der überforderte Mensch
Schritt 1 … Schritt 2 Schritt 3 Schritt 4 Schritt 5 Schritt 6
Schritt 1 Schritt 2 Schritt 3 Schritt 4 … Schritt 5 Schritt 6
… ist mit dem Fallbeispiel „Miss Euter“ klar umrissen. Die konkrete Fragestellung lautet:
… stellt die Frage, welcher Nutzen durch die Praxis für wen entsteht. Hierbei ist die Antwort
Ist die überdimensionale Stauung von Eutern im Rahmen einer derartigen Veranstaltung
insofern eindeutig, als der Nutzen auf Seiten des Menschen und nicht des Tieres liegt. Der
­moralisch vertretbar? (Nachgelagert kann die Frage diskutiert werden, welche Handlungen
Nutzen der Veranstaltung kann ökonomischer Natur sein (etwa für den Veranstaltenden
ATÄ in diesem Szenario ergreifen können bzw. sollten.)
oder auch für die Tierhalter_innen im Falle eines Preisgeldes und im Fall, dass die Prämierung den Zuchtwert einer Kuh erhöht). Er kann sich als Vergnügen und Spaß für die Besucher_innen des Festes beschreiben lassen; auch können die Lust am Wettstreit und der
Schritt 1 Schritt 2 … Schritt 3 Schritt 4 Schritt 5 Schritt 6
Ruhm für den_die Sieger_in manchen Tierhaltenden veranlassen, eine Kuh ins Rennen zu
­schicken. Für die Kühe selbst j­edenfalls stellt sich kein unbedingter Nutzen ein – allenfalls,
… stellt die Frage, inwieweit die Praxis den rechtlichen Mindestanforderungen entspricht.
so ein A
­ rgument, könnten Kühe, die bei derartigen Veranstaltungen regelmäßig reüssieren,
Tut sie dies nicht, handelt es sich um einen Missstand. Im vorliegenden Fall verstößt die
im Alltag mit besonderer Pflege bedacht werden.
Prämierung der Kuh mit dem größten Euter, so die Teilnehmenden, nicht prinzipiell gegen
geltendes Recht. Problematisch allerdings ist, dass die Melkzeiten vom Amtstierarzt vor Ort
nur schwer überprüft werden können. Der Wettbewerb lädt demnach zumindest zu Miss-
Schritt 1 Schritt 2 Schritt 3 Schritt 4 Schritt 5 … Schritt 6 brauch ein.
… stellt im Anschluss die Frage, ob die Belastungen für die Tiere und der beschriebene Nutzen in einem plausiblen Verhältnis zueinander stehen. Jeder Eingriff in das ­Wohlbefinden
Schritt 1 Schritt 2 Schritt 3 … Schritt 4 Schritt 5 Schritt 6
eines Tieres bedarf einer Rechtfertigung. Hierbei muss gefragt werden, ob der Grund auch
als „guter Grund“ taugt. Der hauptsächliche Grund für die Existenz der Veranstaltung
… diskutiert Fragen des Tierwohls. Hierbei stellt sich die Frage nach der Tiefe und der Dauer
„Miss-Euter“ ist das Vergnügen am Wettstreit und das Messen von Werten, die eventuell für
der Praxis: Wie lange dauert die Handlung an, die sich auf das Tierwohl auswirkt? Und wie
die Züchtung relevant sein könnten. (Ob ein prall gefülltes Euter bei einem derartigen Wett-
„tief“ geht sie? Das Modell nennt fünf Freiheiten, die hierbei eine Rolle spielen. Mit Blick auf
bewerb tatsächlich ein belastbarer Faktor zur Ermittlung der Milchleistung einer Kuh ist, war
die „Miss-Euter“-Show ist festzuhalten, dass die Dauer der Veranstaltung überschaubar
dabei in den Debatten umstritten.) Inwieweit diese Zwecke die Belastungen für die Tiere
ist. Sie ist stark zeitlich begrenzt, darüber hinaus ist davon auszugehen, dass derartige
rechtfertigen, kann – so der grundsätzliche Tenor der ATÄ in den Workshops – durchaus
Prämierungen im Leben einer Kuh nicht jeden Tag stattfinden. Über einen bestimmten Zeit-
umstritten genannt werden – noch vielmehr, da die Regeln wie oben beschrieben zu einem
raum hinweg nicht gemolken zu werden, ist den Tieren durchaus zumutbar. Eine überdi-
Missbrauch einladen, der den Kühen Schmerzen verursacht.
mensionale Stauung des Euters kann jedoch Schmerzen verursachen und zu Krankheiten
führen. Auch kann diskutiert werden, inwieweit der Lärm des Volksfestes Angst und Stress
verursacht.
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95
Schwerpunkt 3 | Der überforderte Mensch
Schritt 1 Schritt 2 Schritt 3 Schritt 4 Schritt 5 Schritt 6 …
Schwerpunkt 3 | Der überforderte Mensch
entlastend, Probleme und Möglichkeiten derartiger Veranstaltungen – etwa die geänderten
Spielregeln für die Prämierung – im Vorhinein zu debattieren.
… stellt schließlich die Frage, ob es realisierbare Alternativen zur bestehenden Praxis
gibt – eine Frage, die in moralisch geführten Debatten oftmals zu kurz kommt, jedoch von
Über die vom Modell vorgeschlagenen Fragen zum Tierwohl kann darüber hinaus gefragt
­entscheidender Bedeutung ist. Gibt es Alternativen, die bei vergleichbarem Nutzen ­weniger
werden, inwieweit es im Rahmen einer derartigen Veranstaltung zu einer Herabwürdigung
Belastungen erzeugen und darüber hinaus den Akteur_innen (zum Beispiel auch ökono-
der Tiere kommt, indem man sie zu Belustigungszwecken zur Schau stellt. Eine ­derartige
misch) zumutbar sind? Im vorliegenden Szenario zeichnet sich eine solche Alternative ab:
Würdeverletzung ist zwar empirisch kaum zu fassen – und daher auch für ATÄ alles an-
Wenn man unbedingt die Kuh mit dem größten Euter prämieren möchte, könnte man die
dere als eine einfache Diagnose – ,nichtsdestotrotz aber lohnt die Frage, ob das Zumuten
Spielregeln dieser Veranstaltung derart ändern, dass etwaiges Tierleid minimiert wird – ohne
mancher Rollen nicht auch dann ethisch problematisch sein kann, wenn die fünf genann-
die Veranstaltung abzusagen. Was spricht dagegen, dass die Kühe unter Aufsicht einer Jury
ten Freiheiten nicht verletzt werden. Ein zugespitztes Beispiel kann den Gedanken ver-
beispielsweise um acht Uhr vormittags gemeinsam und zeitgleich gemolken ­werden – und
anschaulichen: Geschminkte und als Clowns verkleidete Tiere erregen auch dann oftmals
ein paar Stunden später jene Kuhe prämiert wird, welche nun das größte Euter aufweist?
unser Unbehagen, wenn die Kostümierung keine Schmerzen, keine Verletzungen und kei-
Diese Spielregel würde das Grundprinzip der Veranstaltung nicht aushebeln, zugleich aber
nen Stress verursacht, ja wenn sie eventuell auch beim Tier keinen sichtbaren Missmut
Missbrauch vorbeugen. Der wie auch immer zu beschreibende Nutzen – eine Veranstaltung,
hervorruft und es zu keiner Einschränkung des normalen Verhaltensmusters kommt. Was
die Menschen anzieht, Erheiterung, sportlicher Wettstreit – wäre nach wie vor gegebenen,
ist es, was sich hier in uns regt? Ein ästhetisches Geschmacksurteil? Finden wir derartige
das potenzielle Tierleid zugleich wesentlich minimiert.
Maskeraden einfach nur peinlich und unschicklich? Oder ist es doch auch eine moralische
Empörung? Manche Stimmen greifen in diesem Zusammenhang auf den Begriff der Würde
zurück. Auch wenn der Begriff der Würde in der abendländischen Ideengeschichte eng mit
Anhand des ethischen Entscheidungspfads wurde von einem Großteil der Teilnehmenden
„Menschenwürde“ gekoppelt ist und es philosophisch durchaus anspruchsvoll ist, eine
also argumentiert, dass die Veranstaltung einer „Miss-Euter“-Show in ihrer gegenwär-
­Würde des Tieres näher zu begründen und auszuarbeiten, kann festgehalten werden, dass
tigen Form ethisch problematisch ist, insofern der Nutzen auch anders erreicht werden
die Rede von einer Würde in Bezug auf Tiere eine bedeutsame Intuition und Überzeugung
könnte und hierbei die Belastungen für die Tiere limitiert würden. Das Modell lieferte also
vieler Menschen auf den Punkt bringt. Manches Verhalten gegenüber Tieren empfinden
nicht nur eine strukturierte Diskussion des Problems, es führte darüber hinaus auch zur
viele auch dann als falsch und unrichtig, wenn es kein unmittelbares Leid hervorruft. Ein
Erarbeitung einer Alternative, deren Realisierung machbar und aus moralischen Gründen
­Wesen, dem wir eine bestimmte Würde zusprechen, kann entwürdigt und gedemütigt wer-
wünschenswert wäre. Wenn es dabei heißt, dass die Realisierung machbar ist, darf eines
den, ohne dass Schmerzen im Spiel sind.
nicht unterschätzt werden: Die Entscheidung, die Show stattfinden zu lassen oder doch zu
verbieten, findet im skizzierten Szenario nicht am Schreibtisch, sondern mitten im Trubel
eines Volksfestes statt. Es wird musiziert, gelacht und gefeiert; hochrangige Politiker_innen
­halten eventuell ihre Eröffnungsreden, vielleicht sind auch Medien vor Ort, um über die Messe zu berichten, etc. Dieser Volksfestcharakter der Veranstaltung erschwert eine rationale
Debatte zu diesen Fragen vor Ort. In anderen Worten: Die Prämierung absagen zu lassen,
­erfordert hohe Konfliktfähigkeit. Aus amtstierärztlicher Sicht wäre es dabei vorteilhaft wie
96
97
Schwerpunkt 3 | Der überforderte Mensch
Kulturelle Hintergrundfolien der Mensch-Tier-Beziehung
gesteuert ab, der Melkstand ist High-Tech, Drohnen überfliegen die
Das diskutierte Szenario rund um die Prämierung einer „Miss ­Euter“
Wiesen und Felder, um sie punktuell und präzise zu düngen. Wichtig
mag gerade bei einer fachfremden Leserschaft ein ­bestimmtes
für das Gedankenbeispiel ist, dass dieser Betrieb die zuvor genann-
Amüsement aufkommen lassen, zugleich jedoch verdeutlicht
ten Erwartungen erfüllt, dass er also unbedenkliche, ja gesunde
es einen wesentlichen Punkt amtstierärztlicher Praxis: ATÄ sind
Produkte abliefert, er eine sehr gute Ökobilanz aufweist und seine
­Sachverständige für wissenschaftlich basierte und gesetzlich re-
tiergerechten Standards im Vergleich mit anderen Höfen sehr hoch
levante Detailfragen, in diesem Fall für die Frage, inwieweit die
sind. Wenngleich der Betrieb also die Erwartungen erfüllt, löst die
Stauung des Euters tierisches Leid verursacht und dieses Leid dem
Vorstellung eines derartigen Hofes bei vielen Menschen dennoch
Tier zumutbar ist. Indem sie sich zu dieser Detailfrage äußern, stel-
eine Art „Verlustgefühl“ im Sinne von „Da ist etwas verloren gegan-
len sie jedoch weit mehr zur Diskussion. Im vorliegenden Fall etwa:
gen, da stimmt etwas nicht“ aus. Wie lässt sich dies erklären?
Welchen Wert haben Veranstaltungen dieser Art? Mitunter können
sie für einen Berufsstand wie nutztierhaltende Landwirt_innen
Viele Menschen neigen dazu, Landwirtschaft mit einer gewissen
oder Züchter_­innen identitätsstiftend sein oder zur Folklore einer
„Ursprünglichkeit“ oder „Beschaulichkeit“ zu assoziieren. Denken
Region beitragen. Bereichern sie also das kulturelle Leben? Sind
sie an einen Bauernhof, so sehen sie eher jenen familiär ­geführten
sie Zeichen einer lebendigen wie traditionsbewussten Gemein-
Betrieb vor ihrem geistigen Auge, wie er ihnen auf der Milchpackung
schaft? Oder zeigt sich in ihnen ein Superlativ-Denken im Sinne
oder im Bilderbuch begegnet, in dem die Anzahl der Kühe über-
von ­Bigger – Better – Faster – More, das durchaus kritisch gesehen
schaubar ist und in dem Technisierung im Grunde k­ eine Rolle spielt.
werden kann? Die f­undierte amtstierärztliche Einschätzung zur
Insofern diese Art der Betriebe gemeinhin große Wertschätzung
überdimensionalen Stauung von Eutern findet demnach in einem
genießt, werden landwirtschaftliche Produkte entsprechend selten
bestimmten kulturellen Setting statt.
mit dem Hinweis auf Innovation und Fortschritt verkauft – oder
Allgemein kann festgehalten werden, dass Debatten über die
wer kennt eine Milch, die den Slogan „Wir haben die ­modernsten
adäquate Mensch-Tier-Beziehung ihren Platz vor bestimmten
Melkanlagen der Welt“ abgedruckt hat? Die Konsument_innen
­kulturellen Hintergrundfolien einnehmen, die Erwartungen, ­Argu-
scheinen sich bei Fragen der Landwirtschaft eher nach technik-
mente und Urteile prägen. Um diesen Gedanken zu veran-
ferner Idylle denn nach Fortschritt und Wandel zu sehnen – das
schaulichen, kann auf ein Beispiel verwiesen werden (Dürnberger
­Agrarmarketing bedient diese Sehnsüchte mit großem Erfolg (wie
2013). Gefragt, was sie von einem landwirtschaftlichen B
­ etrieb mit
auch das M
­ arketing vice versa wohl nicht ohne Auswirkungen auf
Nutztierhaltung erwarten, a
­ntworten B
­ürger_innen gemeinhin:
die Erwartungen an die Landwirtschaft bleibt).
gesunde, unbedenkliche und ­
leistbare P
­rodukte, Tierschutz,
Nach dem Dargelegten mag auch verständlicher sein, warum die
Umweltschutz oder auch die Sicherung von Arbeitsplätzen im
Vorstellung, dass es Tieren in großen Betrieben notwendiger-
ländlichen Raum. (Eurobarometer 2010, 70) Stellen wir uns nun
weise schlechter geht als in kleinen Ställen mit ­­überschaubarem
­einen hochtechnisierten landwirtschaftlichen Betrieb mit Nutztier-
Bestand, in vielen Debatten so prominent ist. Hierbei stehen
haltung vor: In seinem großen, g
­ eräumigen Stall werden tausende
eben nicht die tierethischen Standards im Fokus der Beurteilung
Rinder ­gehalten, die gesamte Fütterung der Tiere läuft computer-
– denn diese sind in großen, modernen Ställen k­ einesfalls ­notwen-
98
99
AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS
AUF DEM WEG ZU EINEM AMTSTIERÄRZTLICHEN ETHOS
Schwerpunkt 3 | Der überforderte Mensch
Schwerpunkt 3 | Der überforderte Mensch
digerweise schlechter bestellt (WBA 2015, 118f.). Vielmehr sind
Schwerpunkt 3 | Der überforderte Mensch
Der überforderte Mensch
verstehen, wenn man die agesprochenen kulturellen Hintergrund-
Camenzind, S / Steiger, A: Heimtierhaltung — ein bedeutender, aber
folien rund um eine Ursprünglichkeit und B
­ eschaulichkeit von
vernachlässigter Tierschutzbereich. In: Grimm, H / Otterstedt, C
Landwirtschaft nicht ausblendet. Für die ­amtstierärztliche Praxis
(Hrsg.): Das Tier an sich? Disziplinenübergreifende Perspektiven für
bedeutet dies, dass ATÄ um diese kulturellen ­
Muster, Erzähl-
neue Wege im wissenschaftsbasierten Tierschutz. Göttingen 2012,
ungen und Bilder, die die Debatten über Tierhaltung wesentlich
236–259.
prägen, zumindest Bescheid wissen sollten, ansonsten werden
Im Aufsatz werden die Tierschutzprobleme in der Heimtierhaltung und
sie immer wieder erstaunt darüber sein, wie Diskussionen über die
Tierzucht vor dem Hintergrund der sich verändernden Mensch-Heimtier-­
Mensch-Tier-Beziehung – sowohl im Kontext der Nutztier- als auch
Beziehung in jüngster Zeit skizziert und es wird auf Lücken in der Regelung
der Heimtierhaltung und gerade an den „Fronten“ dazwischen – im
des Tierschutzgesetzes bei Heimtieren hingewiesen.
Konkreten ablaufen.
Corr, SA: Companion Animals. In: Wathes, WM / Corr, SA / May,
SA/McCulloch, SP / Whiting, MC: Veterinary & Animal Ethics.
­Proceedings of the First International Conference on Veterinary and
Weiterführende Fragen
Animal Ethics. London 2011, 188–200.
Im Artikel wird aufgezeigt, welche ethischen Probleme aufgrund der
Was heute vielfach Standard der Mensch-Heimtier-Beziehung ist, wäre noch vor wenigen
­Gleichsetzung der Lebenskonzepte von Mensch und Tier im Heimtierbe-
Jahrzehnten als maßlose Tierliebe kritisiert worden. Von welchen gesellschaftlichen Bedin-
reich entstehen können. Dies stellt vor allem Veterinärmediziner_innen vor
gungen hängt es ab, ob diese Entwicklung in die eingeschlagene Richtung weitergeht?
besondere Herausforderungen und wirft Fragen der Verantwortung gegenüber Mensch und Tier auf.
Inwieweit können Fälle und Tendenzen einer „Vermenschlichung von Tieren“ auch als positive Entwicklungen verstanden werden? Wenn ja, als welche?
Grimm, H / Hartnack, S: Maßloser Tierschutz? Die Mensch-Tier-­
Beziehung. In: Berliner und Münchner tierärztliche W
­ ochenzeitschrift.
Inwieweit kann der Begriff der „Würde“ und der „Entwürdigung“ für die amtstierärztliche
2013 / 126, 370–377.
Praxis hilfreich sein?
Hens, K: Ethical Responsibility Towards Dogs: An Inquiry into the Human-Dog-Relationship. In: Journal of Agricultural and Environmental Ethics. 2009 / 22 / (1), 3–14
Nimmt das Mensch-Haustier-Verhältnis am Beispiel der Hundehaltung in
den Blick und benennt Aspekte und Dimensionen der Verantwortung aus
Sicht des Tierschutzes.
100
101
KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE
diese gesellschaftlich weit verbreiteten Überzeugungen nur zu
Schwerpunkt 3 | Der überforderte Mensch
Irvine, L: Pampered or Enslaved? The Moral Dilemma of Pets. In:
Podberscek, AL: Positive and Negative Aspects of Our Relationship
International Journal of Sociology and Social Policy. 2004 / 24 (9),
with Companion Animals. In: Veterinary Research Communications.
5–17.
2006 / 30 (1), 21–27. Kritische Sicht auf die Kultur des Mensch-Haustier-Verhältnisses. Es werden Fragen über „Welfare“ hinaus gestellt und es wird auf Tierrechtsargumente ­verwiesen, nach denen Haustierhaltung problematisch zu sehen ist.
Yeates, J: Ethics of Animal Enhancement. In: Wathes, WM / Corr, SA /
May, SA / McCulloch, SP / Whiting, MC: Veterinary & Animal Ethics.
Proceedings of the First International Conference on Veterinary and
Jones, S: Valuing Animals: Veterinarians and their Patients in Mo-
Animal Ethics, September 2011. London 2013, 100–112.
dern America. Baltimore / London 2003.
Ziel des Artikels ist es, unterschiedliche Bedeutungsebenen des Begriffs
Im Buch wird die Rolle der veterinärmedizinischen Profession in Bezug auf
„Animal Enhancement“ in den Bereichen Tierhaltung, Tierzucht und medi-
den Wandel des Mensch-Tier-Verhältnisses im 20. Jahrhundert untersucht.
zinische Betreuung von Tieren aufzuzeigen und die jeweils zugrunde lie-
Die Autorin beleuchtet kritisch, wie kontroverse Praktiken und das Setzen
genden Kriterien und Vorstellungen von Normalität und tierlichem Wohl-
neuer Standards in der veterinärmedizinischen Praxis einen entscheiden-
befinden vor dem Hintergrund ethischer und philosophischer Normen
den Beitrag zur Optimierung und Industrialisierung der landwirtschaftli-
abzubilden. Der Autor argumentiert, dass die moralische Frage des „Animal
chen Tierhaltung leisteten und die Etablierung der Haustierindustrie vor-
Enhancement“ grundsätzlich nur unter Berücksichtigung des jeweiligen
antrieben. Es wird gezeigt, wie sich unter dem Einfluss sozioökonomischer
Anwendungskontextes geklärt werden kann.
Prozesse und veterinärwissenschaftlicher Expertise das gesellschaftliche
Verständnis vom „Wert der Tiere“ veränderte, das Tier als Gefährte, Partner
und Patient einen neuen Stellenwert in Medizin und Gesellschaft erreichte
Der Mensch als Maß aller Tiere
und wie die soziokulturellen Entwicklungen eine neue Definition des Berufszweigs der Veterinärmedizin ermöglichten.
Benz-Schwarzburg, J: Affen, die sich zum Affen machen: Eine ethische Betrachtung von Tieren als Schau- und Belustigungsobjekte
Mayr, P: Das pathozentrische Argument als Grundlage einer
mit Blick auf problematische Haltungsbedingungen und mögliche
­Tierethik. Münster 2003.
Verbesserungsoptionen. In: Vet-Journal. 2014 / 5, 55–67.
Detaillierte Monografie, die einen Überblick über Funktionsweise und
Diskutiert kritisch die Zurschaustellung von Schimpansen im Schwabenpark (D).
Grundlagen pathozentrischer und anthropozentrischer Theorien bietet. Die
­Argumente für und wider den Pathozentrismus werden systematisch ent-
Böhme, H (Hrsg.): Tiere. Eine andere Anthropologie. Schriften des
lang prominenter philosophischer Positionen aufgearbeitet. Mayr legt die
Deutschen Hygiene-Museums Dresden, Bd. 3. Köln 2004.
Schwachstellen anthropozentrischer Positionen dar und argumentiert für
Der Band bietet einen Überblick zum geisteswissenschaftlichen Forschungs-
eine pathozentrische Tierethik.
stand zu Tieren mit Beiträgen aus Kultur-, Medien- und Geschichtswissenschaften sowie der Verhaltensforschung. Die ethische Diskussion wird vor
dem Hintergrund der Analyse des ambivalenten Verhältnisses ­
zwischen
Menschen und Tieren geführt.
102
103
KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE
KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE
Schwerpunkt 3 | Der überforderte Mensch
Schwerpunkt 3 | Der überforderte Mensch
Cronin, J: `Can´t you talk´? Voice and Visual Culture in Early Ani-
Eitler, P: Tierliebe und Menschenführung. Eine genealogische Pers-
mal Welfare Campaign. In: Early Popular Visual Culture. 2011 / 9 (3),
pektive auf das 19. und 20. Jahrhundert. In: Tierstudien. 2013 / 3,
202–203.
40–50.
Der Beitrag setzt sich mit der Geschichte einer Emotionalisierung der
Rosen, A: Die ‚Zirkustier‘-Mensch-Verhältnisse. Zwischen Anthro-
Mensch-Tier-Beziehung seit dem 19. Jahrhundert auseinander. Beschrieben
pomorphisierung und Othering. In: Tierstudien. 2012 / 2, 121–133.
wird, wie die anthropomorphe Zuschreibung von Gefühlen und die Voraus-
Untersucht werden die Machtbeziehungen in der komplexen Arbeitsbe-
setzung von Gefühlsfähigkeit bei Tieren den gesellschaftlichen Zweck der
ziehung von Mensch und Tier in der Geschichte des Zirkus. Prozesse von
Pädagogisierung und Disziplinierung des Menschen erfüllte und wie der Be-
Vermenschlichung und „Othering“ von Tieren werden als effektvolle Mecha-
griff der „Tierliebe“ mit dem Tierschutzgedanken in Verbindung steht.
nismen zum Zwecke der Sensation und Schaustellung beschrieben; sowie
die Auswirkung dieser Praktiken auf das tierische Individuum im Bereich
des Zirkus, aber auch in Kontexten der Heim- und Nutztierhaltung werden
Animal Hoarding
­kritisch hinterfragt.
Avery, L: From Helping to Hoarding to Hurting: When the Acts of
Serpell, JA: People in Disguise: Anthropomorphism and the
­Human-Pet-Relationship. In: Daston, L / Mitman, G (Hrsg.): Thinking
`Good Samaritans´ Become Felony Animal Cruelty. In: Valparaiso
University Law Review. 2005 / 39 (4), 815–858.
with Animals: New Perspectives on Anthropomorphism. New York
Bratiotis, C / Sorrentino-Schmalisch, C / Steketee, G: The Hoarding
2005, 121–36.
Handbook: A Guide for Human Service Professionals. Oxford / New
Stephany, M: Der Mensch im Tier – Anthropomorphisierung und
York 2011.
Funktionalisierung von Tieren im Zeichentrickfilm. In: Stephany, M /
Anwendungsorientierte Einführung und Leitfaden für Bewertung und
Ach, JS (Hrsg.): Die Frage nach dem Tier: Interdisziplinäre Perspekti-
­Umgang mit Animal Hoarding. Mit Fallbeispielen, Tipps, Strategien und An-
ven auf das Mensch-Tier-Verhältnis. München 2009, 95–109.
wendungsvorschlägen für Fachleute, die mit Animal-Hoarding-Situationen
Die Autorin untersucht unterschiedliche Praktiken und Funktionen der
konfrontiert sind.
­Anthropomorphisierung von Tieren in Zeichentrickfilmen und Literatur. Sie
beschreibt Formen der Funktionalisierung und Instrumentalisierung von
Patronek, GJ / Loar, L / Nathanson, JN (Hrsg.): Animal Hoarding:
Tieren in der medialen Darstellung, bezieht Überlegungen aus Philosophie,
Structuring Interdisciplinary Responses to Help People, Animals
Literaturwissenschaft und Verhaltensbiologie mit ein und weist auf die
and communities at Risk. Boston 2006.
ethischen Probleme von Vermenschlichungstendenzen in den Medien hin.
Praktisch orientierte Erläuterung psychologischer und soziologischer
­Perspektiven auf die Möglichkeiten und Grenzen interdisziplinärer Zusammenarbeit im Umgang mit Animal Hoarding.
104
105
KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE
KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE
Schwerpunkt 3 | Der überforderte Mensch
Schwerpunkt 3 | Der überforderte Mensch
Sperlin, TS: Animal Hoarding. Das krankhafte Sammeln von Tieren.
len von Animal Hoarding zwischen 2000 und 2003, die ein pathologisch
Aktuelle Situation in Deutschland und Bedeutung für die Veterinär-
geprägtes Bild der Tierhalter_innen transportieren. Demgegenüber wer-
medizin. Gießen 2012.
den die Rechtfertigungsstrategien systematisch beschrieben, die „Animal
Empirische Studie und systematische Erhebung amtlich verzeichneter Fälle
Hoarder“ anwenden, um dieses negative Bild zu neutralisieren.
von Animal Hoarding in Deutschland. Neben der psychologischen Definition des Phänomens widmet sich ein umfangreicher Teil der Publikation
den Möglichkeiten und Folgen veterinärmedizinischer Maßnahmen und
Tierschutzkonzepte jenseits der Vermeidung von
setzt diese in Bezug zu psychologischen, rechtlichen und ökonomischen
Schmerz und Leid
­Faktoren.
Balzer, P / Rippe, KP / Schaber, P: Menschenwürde versus Würde
Campbell, C / Robinson, J: Animal Hoarding. In: Bryant, C (Hrsg.):
der Kreatur. In: Wolf, U: Texte zur Tierethik. Stuttgart 2008, 61–72.
Encyclopedia of Criminology and Deviant Behaviour II. Philadelphia
Der Begriff der „Würde der Kreatur“ wird in diesem Artikel im Kontrast zum
2001, 11–15.
Begriff der Menschenwürde untersucht. Vor dem Hintergrund einer biozentrischen Sichtweise werden Möglichkeiten zur Begründung eines neuen
Deininger, E: Wenn Menschen zu viele Tiere haben – das Phäno-
Würdekonzepts aufgezeigt, mit dem jedem Lebewesen gleichermaßen ein
men des Animal Hoarding. In: Buchner-Fuhs, J (Hrsg.): Tierische ­
inhärenter moralischer Wert zugesprochen werden kann.
Sozialarbeit. Ein Lesebuch für die Profession zum Leben und
­Arbeiten mit Tieren. Wiesbaden 2012, 185–201.
Benz-Schwarzburg, J: Verwandte im Geiste – Fremde im Recht?
Kompakter Überblick zu Begriffsdefinition und psychologischen sowie em-
­Sozio-kognitive Fähigkeiten bei Tieren und ihre Relevanz für Tier-
pirischen Daten und Fakten zum Animal Hoarding. Der Beitrag geht auf die
ethik und Tierschutz. Erlangen 2012.
Vielschichtigkeit der Probleme im Umgang mit dem Phänomen ein und
Gestützt auf Ergebnisse empirischer Forschung analysiert die Autorin
berücksichtigt dabei die Rolle von Veterinär- und Sozialämtern sowie Tier-
dieser umfangreichen Monografie, inwiefern sich Erkenntnisse über die
schutzvereinen.
Ähnlichkeit menschlicher und tierischer sozio-kognitiver Fähigkeiten auf
tierethische Debatten auswirken. Die Analyseergebnisse werden mit mo-
Patronek, GJ / Nathanson, JN: A Theoretical Perspective to Infor-
ralischen Fragen zu Menschenpflichten und Schutzansprüchen verknüpft.
med Assessment and Treatment Strategies for Animal Hoarders. In:
Dadurch ergeben sich auch Fragen nach der Notwendigkeit eines Perso-
­Clinical Psychology Review. 2009 / 29, 274–281.
nenstatus bestimmter Tiere im rechtlichen Kontext.
Vaca-Guzman, M / Arluke, A: Normalizing Passive Cruelty: The Ex-
Camenzind, S: Dignity of Creature: Suffering and Further. In:
cuses and Justifications of Animal Hoarders. In: Anthrozoös.
­Röcklingsberg, H / Sandin, P (Hrsg.): The Ethics of Consumption. The
2005 / 18 (4), 338–357.
Citizen, the Market, the Law. Wageningen 2013, 279–284.
In einer deskriptiven Studie analysiert der Aufsatz mediale Berichte zu Fäl-
Der Autor argumentiert, dass die Aufnahme des Würdebegriffs in das
106
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KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE
KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE
Schwerpunkt 3 | Der überforderte Mensch
Schwerpunkt 3 | Der überforderte Mensch
Schweizer Tierschutzgesetz zu einem paradigmatischen Wandel in der
In der Praxis auftretende Konflikte bezüglich der Rechtfertigung von Abgren-
Mensch-Tier-Beziehung geführt hat, da er über die Tragweite herkömmli-
zungskriterien zwischen Mensch und Tier werden in dieser Publikation aus
cher tierethischer Konzepte hinausgeht. Am Beispiel der Fleischindustrie
rechtswissenschaftlicher Sicht geprüft. Die Autorin zeigt die ­Widersprüche
wird aufgezeigt, dass eine konsistente Anwendung des Verständnisses tier-
und Unzulänglichkeiten im rechtlichen Umgang mit Tieren auf und fordert
licher Würde fundamental die Sicht auf und die Haltung gegenüber Tieren
eine neue rechtliche Ordnung, in der die Stellung des Tieres als Rechts-
erschüttert.
subjekt und -objekt klar definiert ist.
Camenzind, S: Auf zu neuen Ufern – Übermäßige Instrumentali-
Rippe, KP: „Würde des Tieres“ aus rechtsphilosophischer Sicht. In:
sierung im Sinne des TSchG aus philosophischer Sicht. In: Michel,
TIERethik. 2011 / 3, 8–31.
M /Kühne, J / Hänni, D (Hrsg.): Animal Law – Tier und Recht. Zürich
Der Beitrag bietet einen Überblick zum schweizerischen Rechtskonzept,
2012, 173–201.
­befragt das Konzept der Menschenwürde als relativen Wert zur tierlichen
Im Aufsatz wird das Kriterium der übermäßigen Instrumentalisierung im
Würde und bildet die kontroverse Diskussion zu diesem Konzept ab. Dabei
Sinne des Schweizerischen Tierschutzgesetzes aus rechtsphilosophischer
liegt der Fokus auf der Untersuchung der Kohärenz des Rechtssystems.
Sicht bewertet. Die „Würde der Kreatur“ wird als moralisch relevantes
­Kriterium einer biozentrischen Ethik skizziert und von anderen ethischen
Rutgers, B / Heeger, R: Inherent Worth and Respect for Animal
Positionen unterschieden. Das Konzept der Würde wird kontextspezifisch
­Integrity. In: Dol, M / Fentener van Vlissingen, M / ­Kasannmoentalib,
in Bezug auf die entsprechende Bestimmung in der Schweizerischen Bun-
S / Visser, T / Zwart, H (Hrsg.): Recognizing the Intrinsic Value of
desverfassung und deren Konkretisierung im Schweizerischen Tierschutz-
­Animals. Beyond Animal Welfare. Assen 1999, 41–51.
gesetz sowie der Tierschutzverordnung untersucht.
In diesem Beitrag wird erörtert, welche Art der menschlichen Verantwortung
die Voraussetzung eines inhärenten Wertes für Tiere mit sich bringt, wie
Liechti, M (Hrsg.): Die Würde des Tieres. Erlangen 2001.
eine moralische Haltung des Menschen gegenüber Tieren ­charakterisiert
In diesem Sammelband werden praxisbezogene Fragen zum Würdebe-
und in den Kontexten der Veterinärmedizin und Tierzucht begründet wer-
griff für Tiere aus philosophischer, anthropologischer, psychologischer und
den kann. Die Annahme eines inhärenten Wertes wird durch das Argument
rechtlicher Perspektive gestellt. In den Beiträgen wird das Hauptaugenmerk
der­Integrität des Tieres fundiert. Respekt gegenüber der Integrität des Tie-
auf die unterschiedlichen Konzepte von Menschen- und Tierwürde und die
res ­bedeutet, dessen Ganzheit und Vollkommenheit nicht zu schädigen, die
daraus resultierende Ungleichbehandlung gelegt.
Möglichkeit zum artspezifischen Erhalt nicht zu beeinflussen und dem Tier
die Ausübung seiner Fähigkeiten zuzugestehen.
Raspé, C: Die tierliche Person. Vorschlag einer auf der Analyse der
Tier-Mensch-Beziehung in Gesellschaft, Ethik und Recht basieren-
Von der Pfordten, D: Tierwürde nach Analogie der Menschen-
den Neupositionierung des Tieres im deutschen Rechtssystem.
würde. In: Brenner, M (Hrsg.): Tiere beschreiben. Erlangen 2003,
­Berlin 2013.
105–123.
Im Beitrag wird gefragt, inwiefern ethische und rechtspolitische ­Aspekte
zum Konzept der Tierwürde in Analogie zur Menschenwürde begriffen
108
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KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE
KOMMENTIERTE AUSWAHLBILBLIOGRAFIE
Schwerpunkt 3 | Der überforderte Mensch
Schwerpunkt 3 | Der überforderte Mensch
­werden können. Grundlegende ethische Positionen werden in Beziehung zu
Ausblick
Auf dem Weg zu einer Ethik in der amtstierärztlichen Praxis
konkreten Bereichen der Tierhaltung gesetzt. Der Autor äußert sich kritisch
zur Aufnahme des Konzepts der Tierwürde ins Verfassungsrecht als grund-
Eine Ethik für die amtstierärztliche Praxis fordert zu selbstständiger Reflexion und zu
sätzlichen Bewertungsmaßstab schützenswerter Interessen des Tieres.
­einem Blick über den Tellerrand des Alltags auf. Sie ist damit nicht zuletzt als ein Akt der
(Selbst-)Bildung zu verstehen: Sie meint nicht nur die Aufnahme und Verarbeitung von
Sachinformationen, sondern auch das Erkennen von Zusammenhängen, das Hinterfragen von vorgegebenen Bedingungen, den ­argumentativen Austausch zu strittigen Fragen
und die Vertiefung des Verständnisses der eigenen Rolle. Die im Rahmen des Vethics for
vets-­Projekts stattgefundenen Diskussionen haben d
­ abei nicht nur ­verdeutlicht, dass eine
­ethische Reflexion der amtstierärztlichen Tätigkeit für die Philosophie Herausforderungen bei der Erprobung von Theorien und Modellen in einem verantwortungsvollen Feld
der Praxis birgt; sie ist auch und gerade für ATÄ selbst ein lohnendes Unterfangen, um
sich strukturiert über ­Werte, Verantwortung, ­Normen und moralische Schwierigkeiten ihres
­Berufsfelds auszutauschen.
In der angewandten Ethik gilt es, Theorien zu bilden, sie in der Tätigkeit zu prüfen und weiterzuentwickeln, neue Forschungsfragen zu generieren, die Nöte und Schwierigkeiten der
handelnden ­Akteur_innen begrifflich einzufangen sowie praxistaugliche H
­ ilfestellungen zu
erarbeiten. In Bezug auf diese Ziele steckt eine Ethik der ­Veterinärmedizin — im Vergleich
mit der Medizinethik und keineswegs a
­ usschließlich im deutschsprachigen Raum — noch in
den Kinderschuhen. So sehr der Wandel der Mensch-Tier-Beziehung z­ unehmend moralisch
diskutiert wird und die Disziplin der Tierethik dabei ist, akademisch wie gesellschaftlich Fuß
zu fassen, so gering ist bislang die Aufmerksamkeit für die Belange einer veterinärmedizinischen Ethik. Wünschenswert wie notwendig sind vor diesem ­Hintergrund der Ausbau
von Forschungs- wie ­Begleitprojekten, eine verstärkte internationale Vernetzung sowie
die Förderung des öffentlichen Interesses an veterinärmedizinischen Fragestellungen. Das
Projekt Vethics for vets hat hierbei einen wichtigen Beitrag geleistet.
An der besonderen Relevanz und Dynamik der amtstierärztlichen Praxis im Rahmen einer
Ethik der Veterinärmedizin hat das Projekt dabei keinen Zweifel gelassen. Der amtstierärztliche Beruf trat in den Workshops, sowie ihrer Vorbereitung und ­Aufarbeitung als ein Prototyp einer ethisch herausfordernden Expertenaufgabe zutage: Daten und Fakten bilden
die G
­ rundlage der Entscheidungen, die sich dennoch nicht von selbst ­verstehen, sondern
110
111
Verwendete Literatur
Ausblick
auf Basis einer selbstständigen Abwägung von ­Gütern getroffen werden ­müssen. Normen-
Verwendete Literatur
konflikte sind dabei nicht die Ausnahme, sondern die Regel. ATÄ handeln an ­Schnittstellen
von sozialen Bereichen, die emotional diskutiert werden und von ­Widersprüchlichkeiten
Aerts, S: Practice-oriented ethicals models to bridge animal production, ethics and society.
­ esetzliche Vorgaben, als Exgeprägt sind. Als Vertreter_innen des S
­ taats ­exekutieren sie g
Leuven 2006.
pert_innen und Bürger_innen sind sie zugleich dazu a
­ ufgerufen, ­diese ­Vorgaben mitzugestalten. Und schließlich sind sie nicht nur h
­ erausgefordert, Entscheidungen zu treffen
Beauchamp, T / Childress, J: Principles of Biomedical Ethics. New York 2001.
und zu begründen, sondern sie sollen darüber ­hinaus in zahllosen Situationen moderie-
Birnbacher, D: Lässt sich die Tötung von Tieren rechtfertigen? In: Wolf, U. (Hrsg.): ­Texte zur
rend und vermittelnd wirken. Eine Ethik für einen ­­derartigen „Prototypen“ ­eines ethisch
Tierethik. Stuttgart 2008, 212–231. herausfordernden ­
Berufsfelds hat k­ontextspezifisch, problemorientiert und praxisnah
zu sein: Es müssen Angebote ­entwickelt werden, die den Handelnden einen adäquaten
Busch, R / Kunzmann, P: Leben mit und von Tieren. Ethisches Bewertungsmodell zur
­Umgang mit den Abwägungen und Schwierigkeiten ermöglichen. Die ­verständliche wie
­Tierhaltung in der Landwirtschaft. München 2006.
­strukturierte Darstellung der e
­ ntsprechenden K
­ onflikte, in der die normativen Grundlagen
Coleman, GJ: Educating the Public: Information or Persuasion? In: Journal of Veterinary
explizit gemacht ­werden, ist dafür Voraussetzung: Oftmals ist die präzise Beschreibung
eines m
­ oralischen Dilemmas ein entscheidender Schritt, um mit ihm u
­ mzugehen.
­Medical Education. 2010 / 37 (1), 74–82.
Dürnberger, C: Was erwartet die Gesellschaft von der Landwirtschaft? Auf der Suche nach
Der vorliegende Wegweiser zielt demnach nicht auf das Erarbeiten eines Ethikcodex’ ab,
einem besseren Verständnis von gegenwärtigen Debatten. In: Bayerisches Staatsministe-
sondern auf das Einüben e
­ iner ethischen Reflexionsfähigkeit. Ziel war nicht, eine H
­ andvoll
rium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Hrsg.): Schule und Beratung. 2013 / 6 (7),
Regeln aufzustellen, die zwar durchaus zentrale Werte zu fassen ­vermögen, dabei jedoch
12–15.
immer ein Stück weit abstrakt zu ­bleiben haben, sondern eine bestimmte Art des Nachdenkens und des ­Miteinander-ins-Gespräch-Kommens zu kultivieren: strukturiert und sachgerecht, am Konsens orientiert, ohne Konflikte zu kaschiren. Bei all dem, so wurde eingangs
Eurobarometer: Europäer, Landwirtschaft und Gemeinsame Agrarpolitik. Special Eurobarometer 336. European Opinion Research Group EEIG. Brüssel 2010.
festgehalten, versteht sich der Wegweiser als ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einer
Hartnack, S: Tierseuchenbekämpfung. In: Grimm, H / Otterstedt, C (Hrsg.): Das Tier an
Etablierung einer amtstierärztlichen Ethik in der Philosophie wie in der amtstierärztlichen
sich. Disziplinenübergreifende Perspektiven für neue Wege im wissenschaftsbasierten Tier-
Ausbildung und Praxis. Weitere Schritte im Austausch mit ATÄ zu unternehmen, ist dabei ein
schutz. Göttingen 2012, 347–359.
festes Ziel der Abteilung Ethik der Mensch-Tier-Beziehung am Messerli ­Forschungsinstitut.
Heidegger, M: Das Ding. In: Ders.: Vorträge und Aufsätze. Martin Heidegger G
­ esamtausgabe,
Bd. 7, Frankfurt am Main 2004, 165–187.
Jürgens, K: Tierseuchen in der Landwirtschaft. Die psychosozialen Folgen der Schweinepest
für betroffene Familien – untersucht an Fallbeispielen in Nordwestdeutschland. Würzburg
2002.
Knigge, AF: Über den Umgang mit Menschen. Berlin [1788] 2013.
112
113
Verwendete Literatur
Ethik trifft Praxis
Luy, J: Die Tötungsfrage in der Tierschutzethik. Diss. med. vet. Berlin 1999.
Mepham, B / Kaiser, M / Thorstensen, E / Tomkins, S / Millar, K (Hrsg.): Ethical Matrix. Den
­Haag 2006.
Ethik trifft Praxis | Ausgewählte Vethics for vets-Veranstaltungen
Während des Projekts fand in den Workshops eine Zusammenarbeit von Amtstierärzt_innen
aus allen österreichischen Bundesländern und aus Bayern sowie ­Tierschutzombudsleuten
Nussbaum, M: Konstruktionen der Liebe, des Begehrens und der Fürsorge. Stuttgart 2002.
Patronek, GJ / Loar, L / Nathanson, JN: Animal Hoarding Structuring interdisciplinary
­responses to help people, animals and communities at risk. In: Tagungsband des Hoarding
of Animals Research Consortium. 2006, 19–20.
mit Vertreter_innen verschiedener (geistes-)wissenschaftlicher Disziplinen statt. Die Projektarbeit und Resultate wurden und werden vom Projektteam auf (tier-)ethischen und
(amts-)tierärztlichen Konferenzen präsentiert und für eine breitere akademische Diskussion zugänglich gemacht.
Singer P: Practical Ethics. Cambridge [1980] 2011.
4. Juni 2012: Präsentation „Professional Ethics für Amtstierärztinnen und Amtstierärzte“.
Ropohl, G: Das Risiko im Prinzip Verantwortung. Kritiken und Replik. In: Ethik und Sozial-
nen und Amtstierärzte (ÖVA), Melk
Herwig Grimm, 12. Fortbildungstagung des Österreichischen Verbands der Amtsstierärztin-
wissenschaften. 1994 / 5, 109–120.
Sperlin, TS: Animal Hoarding. Das krankhafte Sammeln von Tieren. Aktuelle Situation in
Deutschland und Bedeutung für die Veterinärmedizin. Hannover 2011.
27. Februar und 10. April 2013: „Besser Sterben. Tiergerechtes Töten“. Messerli Forschungsinstitut, Wien
WBA – Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik beim Bundesministerium für
18. April 2013: Vortrag „Vethics for vets – Euthanasie in der Kleintierpraxis“. Kerstin
­Ernährung und Landwirtschaft: Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhal-
Weich / Svenja Springer, Arbeitskreis Mensch-Tier-Beziehung, Veterinärmedizinische Uni-
tung. Berlin 2015.
versität Wien
Wolf, JC (2014): Das Beraubungsargument gegen die Tötung von Tieren. In: TIERethik.
2014 / 1 (8), 7–13.
22. April 2013: Präsentation „Vethics for vets – Amtstierärzt_innen im Spannungsfeld
­zwischen Politik, Öffentlichkeit, Ökonomie und Tierschutz“. Herwig Grimm, 31. Internationaler Veterinärkongress des Bundesverbandes der beamteten Tierärzte, Bad Staffelstein
2. Mai 2013: Vortrag „Vethics for vets – Euthanasie in der Kleintierpraxis“. Kerstin
Weich / Svenja Springer, Jahrestagung der ÖTT, Veterinärmedizinische Universität Wien
2. Mai 2013: Vortrag „Die Ethik des Tötens“. Herwig Grimm, 13. Fortbildung der ÖVA,
­Gaschurn / Montafon
14. Mai 2013: Präsentation „Vethics for vets. Ethik in der amtstierärztlichen Praxis. Tiertötung“. Herwig Grimm / Kerstin Weich, Schleißheimer Forum, LGL, Bayern
114
115
Ethik trifft Praxis
Ethik trifft Praxis
12. September 2013: Vortrag „Vethics for vets“. Kerstin Weich, EurSafe Conference,
2. Dezember 2014: Vortrag „Ethik und Tierschutz in der Veterinärmedizin“. Herwig Grimm,
­Uppsala, Schweden
KELDAT-Ringvorlesung, Ludwig-Maximilians-Universität, München
18. September und 6. November 2013: „Kadaver – Kreatur – Kotelett. Schlachten und
4. Dezember 2014: Vortrag „Produktive Körper: Zur Ästhetik von Nutztieren“. Kerstin
­Keulen“. Messerli Forschungsinstitut, Wien
Weich, 27. IGN-Tagung „Tierzucht und Tierschutz“, Celle
30. September und 1. Oktober 2013: Vortrag zu Ethik und Geschichte der Tiermedizin und
27. Jänner 2015: Vortrag: „Vermenschlichung von Tieren – Ein- und Ausblicke zur Rolle von
Projektvorstellung Vethics for vets. Herwig Grimm, Kerstin Weich & Martin Huth, Forum
Amtstierärzt_innen in aktuellen Debatten“. Kerstin Weich / Christian Dürnberger: Vortrag:
Tiere und Geschichte, Naturhistorisches Museum, Wien
„Animal Hoarding zwischen psychologischer Pathologie, Rechtsdelikt und ethischem Dilemma“. Birgit U. Stetina, Öffentliche Abendveranstaltung, Universität Wien
13. März 2014: Vortrag „Tiere: Lebendiger Rohstoff?“. Herwig Grimm, Interdisziplinäre Ringvorlesung „Tierisch! Das Tier und die Wissenschaft“, Universität Zürich
3. März 2015: Vortrag „Tiermedizin und Tierschutz – eine Frage der Ethik.“ Kerstin Weich,
Keldat-Ringvorlesung, Ludwig-Maximilians-Universität, München
13. Mai und 27. Mai 2014: „Tiere – lebendiger Rohstoff? Verdinglichung ohne Rücksicht“.
22. April 2015: Vortrag „Amtstierärzt_innen im Spannungsfeld“. Christian Dürnberger,
Messerli Forschungsinstitut, Wien
Anschlussseminar der Jahrestagung des Bundesverbands der beamteten Tierärzte in
24. Juni 2014: Vortrag „Verdinglichung ohne Rücksicht? Moralische Praktiken im Umgang
Deutschland, Österreich und der Schweiz, Bad Staffelstein
mit Tieren“. H. Grimm; Vortrag: „Zu den ethischen Dimensionen amtstierärztlicher Praxis
in der Tiernutzung“. Kerstin Weich / Stefano Saracino, Öffentliche Abendveranstaltung,
25. April 2015: Vortrag „Recht und Moral in der Tiermedizin“. Kerstin Weich, Fortbildung der
­Universität Wien
Tierärztekammer Berlin „Gleiches Recht für Alle?“, Berlin
21. September 2014: Vortrag „Tierschutzethik: Positionen und Schwierigkeiten der Positio-
24. April 2015: Gastvorlesung „Tierärztliche Ethik“. Kerstin Weich, Freie Universität Berlin,
nierung“. Herwig Grimm, 29. VÖK-Jahrestagung, Salzburg
Fachbereich Veterinärmedizin, Berlin
19. Oktober 2014: Vortrag „Ergebnisse aus dem Projekt Vethics for vets – Ethik in der
30. Mai 2015: Vortrag „Sichtbarkeit der Unsichtbarkeit. Zur Repräsentation von Nutz-
amtstierärztlichen Praxis“. Kerstin Weich, Tagung „Der Doktor und das liebe Vieh – im
tieren“. Kerstin Weich, Tagung „Ökonomien tierischer Produktion“, Institut für Europäische
Spannungsfeld von Tierschutz, Verbraucherschutz und Ökonomie“, Lutherstadt Wittenberg
Ethnologie, Universität Wien
4. November und 18. November 2014: „Der überforderte Mensch. Der Mensch als Maß aller
18. Juni 2015: Präsentation „Vethics for vets“. Herwig Grimm, VetNEST Annual Meeting
Tiere / Animal Hoarding: Wenn Tiere überhand nehmen“. Messerli-Forschungsinstitut, Wien
2015, Veterinärmedizinische Universität Wien
19. Juni 2015: Vortrag „Ethik in der Nutztierhaltung“. Christian Dürnberger, ZAG-Länderkonferenz, Rabenstein
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Ethik trifft Praxis
17. und 18. September 2015: Internationale Abschlusstagung: Keynote: „Companion ­Animal
Welfare and Ethics – What is the Role of the Veterinary Profession?“ Prof. Peter Sandoe;
Keynote: „The Foundations of Veterinary Medical Ethics“. Prof. Bernard E. Rollin, Tagung
„Vethics for vets. Ethik in der amtstierärztlichen Praxis. Animal Welfare and Veterinary
Medicine“, Veterinärmedizinische Universität Wien
12. November 2015: Vortrag „Ergebnisse aus dem Projekt Vethics for vets – Ethik in der
amtstierärztlichen Praxis“. Christian Dürnberger, VetLeb-Tagung, Berlin.
14. November 2015: Vortrag „Ergebnisse aus dem Projekt Vethics for vets – Ethik in der
amtstierärztlichen Praxis“. Christian Dürnberger, Tierärzteforum 2015 der Landestierärztekammer Mecklenburg-Vorpommern, Rostock.
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Der vorliegende Wegweiser will einen Beitrag zur Förderung
der ethischen Reflexion der amtstierärztlichen Praxis leisten.
Anliegen ist es, Amtstierärztinnen und Amtstierärzte dabei zu
unterstützen, mit den Konflikten ihres Berufsfeldes s­ trukturiert
und fundiert umzugehen.
Der Wegweiser entstand im Rahmen des Projekts ‚Vethics for
vets – Ethik in der amtstierärztlichen Praxis‘.
Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Gesundheit
­gefördert und an der Abteilung Ethik der Mensch-Tier-Beziehung des Messerli Forschungsinstitutes (­Veterinärmedizinische
Universität Wien, Medizinische Universität Wien und ­Universität
Wien) von 2012 bis 2015 durchgeführt.
ISBN: 978-3-200-04267-4
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