C l a u d e N i c o l l i e r 34 Leistung unter ex t remen Bedingungen Claude Nicollier war es, welcher unseren ehemaligen Departementsvorsteher zu einem Ausspruch anstachelte, der noch in die Geschichtsbücher oder zumindest in Zitate-Lexika eingehen wird. Das ist aber natürlich nicht der Grund, weshalb sein Name ganz zuoberst auf der Referenten-Wunschliste stand, sondern weil seine Leistungen, die er unter extremen Bedingungen erbracht hat, ganz einfach für sich sprechen. Claude Nicollier ist nicht nur ein ESA-Astronaut, sondern wahrscheinlich der ESA-Astronaut. Er ist von allen Europäern am häufigsten im All gewesen. Im Rahmen seiner insgesamt vier Missionen im Weltraum führte er höchst anspruchsvolle Arbeiten aus, die sowohl in Fachkreisen als auch in der breiten Öffentlichkeit grosse Anerkennung gefunden haben. Insbesondere im Rahmen der vierten Mission musste er in einer bestimmten Zeitspanne unter extremen Bedingungen einen Auftrag erfüllen, für den er nur eine Chance hatte. Als Mitglied des Teams hatte er so eine individuelle Leistung zu erbringen, die weitgehend über Erfolg oder Misserfolg der Mission entschied. Ich bin überzeugt, dass uns Herr Nicollier vor diesem Erfahrungshintergrund ganz wesentliche Faktoren der psychischen Leistungsfähigkeit schildern wird. Es ist für mich ein grosses Vergnügen, hier an der ETH in Zürich über Leistung unter extremen Bedingungen zu sprechen. Ich möchte Herrn Dr. Annen herzlich für die Einladung danken. Ich habe vor zwei Tagen die Gelegenheit gehabt, während meines Aufenthalts in Zürich Dienst zu leisten. Dabei trainierte ich in Dübendorf individuell mit der PC-9 und werde das wohl auch am Montag tun. Ich möchte ihnen hiermit danken, dass sie es mir ermöglichen, auch hier meine Dienstpflicht zu erfüllen. Ich habe mich entschlossen, diesen Vortrag auf Deutsch zu halten. Es ist dies wohl ein gefährlicher Entschluss, zumal die Gefahr besteht, dass sie mich nicht verstehen. Es ist aber auch ein gefährliches Unterfangen für mich, da jederzeit die Möglichkeit besteht, dass ich nicht verstehe, was ich auf Deutsch sage. Dennoch, schliesslich bin ich in Zürich und hier spricht man bekanntlich deutsch. Ich habe die grosse Chance gehabt, als einer der ganz wenigen Menschen überhaupt den Weltraum während vier Missionen zu erleben. Die Möglichkeit, in den Weltraum zu fliegen, bringt natürlich sehr viel Freude. Die immer wieder überraschenden Ansichten der Erde sind ein unbeschreibliches Erlebnis und sehr eindrucksvoll. Der Sternenhimmel ist absolut wunderschön. Es gibt keinen Wolken- oder Regentag da oben. Das Schweben in der Kabine ist auch 35 ein sehr spezielles Gefühl und der Sinn von dem, was dort draussen gemacht wird, ist für mich sehr befriedigend. Aber es gibt auch eine Kehrseite. Es gibt Angst, Sorgen, Kopfschmerzen, Angespanntheit, Stress, Schlaflosigkeit und die Furcht, Fehler zu machen. Manchmal entstehen Fehler, obwohl man ständig bemüht ist, dies zu vermeiden, und die Toleranz für allfällige Fehler ist in dieser lebensfeindlichen Umgebung (unforgiving environment) sehr klein. Die Konsequenzen von Fehlern können in der Folge dramatische Auswirkungen haben. Bemannte Weltraumfahrt ist eine Herausforderung. Ich bin aber nicht der Meinung, dass das eine Exklusivität der bemannten Weltraumfahrt ist. Schlussendlich sind Spitzensportler, Bergsteiger, Piloten, Taucher, Soldaten, sogar Geschäftsleute und Chief Executive Officers auch sehr oft mit grossen Herausforderungen konfrontiert. Ich wurde angefragt, über Leistung unter extremen Bedingungen zu sprechen und ich werde das gerne tun. Es gibt sicher sogenannte „lessons learnt“ aus unserem Beruf, welche für andere Berufsgruppen, zum Beispiel dem Militär, von Wert und Bedeutung sein können. Es ist meine Hoffnung, das sie einige dieser Erfolgsrezepte, welche von der bemannten Raumfahrt her kommen, nützlich finden. In der Folge werde ich versuchen, ihnen eine Vorstellung davon zu geben, was es mit dem Abenteuer Planet Erde auf sich hat. Ich werde sicher über Leistung unter extremen Bedingungen sprechen, ihnen aber auch die bemannte Raumfahrt etwas näher bringen. Meine Ausführungen gliedere ich wie folgt: Ich werde ihnen zunächst eine kurze Einführung in die bemannte Raumfahrt geben. Dann komme ich zum Hauptthema dieses Vortrages, dem Rezept für Erfolge. Aus den vier Missionen, die ich bis jetzt durchgeführt habe, hatten zwei Missionen zum Ziel, Wartungsarbeiten am Hubble-Teleskop durchzuführen. Anhand dieses Beispiels der Hubble-Teleskop-Reparaturmission werde ich ihnen das Leben im All etwas näher bringen. Anschliessend werde ich das Projekt der Internationalen Raumstation beschreiben. Die meisten Shuttleflüge haben zur Zeit die Aufgabe, den Bau der Internationalen Raumstation voranzutreiben. Ich werde den Zeithorizont über die nächsten vier bis fünf Jahre kurz skizzieren und schliesslich den Vortrag mit einer kurzen Zusammenfassung beenden. C l a u d e N i c o l l i e r 36 Einführung in die bemannte Raumfahrt Warum Weltraumfahrt? Natürlich gibt es sehr viele Aspekte der Weltraumfahrt: Es gibt die praktischen Anwendungen, das sind die Kommunikationssatelliten, die Navigationssatelliten und Erdbeobachtung via Satellit, was für die optimale Nutzung der Erde von zunehmender Bedeutung sein wird (Umweltschutz, etc.). Es gibt den wissenschaftlichen Bereich und Hubble ist ein typischer Teil davon. Das Weltraumprogramm ist zum Teil bemannt, zum Teil unbemannt. Normalerweise ist Hubble auf sich selbst angewiesen und fliegt auf einer Umlaufbahn in einer Höhe von 600 km um die Erde. Die auszuführenden Arbeiten werden von der Bodenstation aus kommandiert. Die Daten werden telemetrisch und mit einem Fernsehsystem via Relaissatelliten an die Geostation geschickt. Das ist ein rein wissenschaftliches Programm. Es gibt ferner wissenschaftliche Forschung über das Leben und die Umgebung im All in grosser Höhe über der Erde. Es gibt wissenschaftliche Materialforschung und biologische Experimente. Für die bemannte Raumfahrt insbesondere gibt es noch das Element Schicksal. Ich glaube persönlich, dass es das Schicksal der Menschheit ist, den Weltraum zu erforschen. Natürlich ist es die „ultimate domain“ dieser Forschung, dass wir uns ausserhalb unserer Atmosphäre bewegen. Es gilt, eine unendliche Gegend zu erforschen. Und theoretisch steht uns das ganze Universum für diese Entdeckungsreisen offen! Es gibt auch einen Überlebensfaktor. Ich glaube persönlich, dass das Leben auf der Erde bedroht ist: nicht kurzfristig, aber sicher langfristig. Spätestens, wenn sich die Sonne in etwa 3 Milliarden Jahren zu einem riesigen Stern (roter Riese) aufbläht, werden die Tage der Erde gezählt sein, und man sollte dann fähig sein, ausserhalb des Planeten Erde zu leben. Bestimmt wird die Erde aber viel früher von einem grossen Meteoriten getroffen werden. Und man weiss, dass dies in der Geschichte der Erde zu dramatischen Veränderungen und Konsequenzen für das Leben hier geführt hat. Das wird früher oder später passieren. Dass wir die Möglichkeit haben, in den Weltraum zu reisen und auf andere Himmelskörper zu gehen, ist vielleicht ein Überlebensfaktor für die Menschheit. Die bemannte Weltraumfahrt ist etwa 40 Jahre alt. Der erste Flug von Gagarin war am 12. April 1961 und der erste Shuttleflug war genau 20 Jahre später, am 12. April 1981. Es gab zu Beginn einen sehr starken politischen Zweck, die bemannte Weltraumforschung voranzutreiben. Insbesondere das Apollo-Programm hatte – gemäss Dokumenten des Weissen Hauses – nur ein politisches Ziel. Es gab weder wissenschaftliche noch militärische oder kommerzielle Ziele, welche verfolgt wurden. Es waren rein politische Ziele. Es gab 37 natürlich auch, quasi nebenbei, sehr viele Daten für die Wissenschaft, aber das Hauptziel dieser Missionen war zu Beginn der Raumfahrt ein politisches. Nach dem Kalten Krieg hat sich sehr viel verändert. Die Russen und die Amerikaner arbeiten heute, zusammen mit anderen Partnern inklusive den Europäern, gemeinsam an und auf der Internationalen Raumstation. Nach dem Apollo-Programm haben die Vereinigten Staaten und Russland beschlossen, Raumstationen zu entwickeln und zu bauen, um eine permanente Präsenz im Weltraum zu gewährleisten. Die Amerikaner haben dabei einen anderen Weg gewählt als die Russen. Sie haben eine sehr effiziente und komplizierte Möglichkeit gefunden, wie man Transporte in den Weltraum unternehmen kann: den Space-Shuttle. Europa war beteiligt im Shuttleprogramm und beteiligt sich auch an der Errichtung der Internationalen Raumstation. Die bemannte Raumfahrt ist eine grosse Herausforderung. Es gibt viele Gefahren und der Preis ist sehr hoch. Leistung zählt sicher in der bemannten Raumfahrt. „Failure is not an option!“ – dieser Ausspruch aus dem Hollywoodfilm über Apollo 13, welcher von Gene Kranz, dem Flugdirektor dieses Unternehmens, ausgesprochen wird, bringt die Situation auf den Punkt. Es ist interessant, dass in der Apollo 13-Mission letztlich nicht die Astronauten die grossen Helden waren, sondern Gene Kranz. Die Lösung dieser extrem grossen Probleme, welche durch die Explosion eines Sauerstofftanks an Bord der Raumfähre verursacht wurden, wurde am Boden (Mission Control) erarbeitet. Die Astronauten haben an Bord ihres Flugkörpers das ausgeführt, was ihnen vom Boden aus mitgeteilt wurde. Zu Beginn der Raumfahrt war man nicht sicher, ob Leben im All und insbesondere in der Schwerelosigkeit überhaupt möglich war. Bevor die Sowjetunion und die Amerikaner überhaupt Menschen in das All geschickt haben, sandten die Sowjets die Hündin „Leika“ und die Amerikaner den Schimpansen „Sam“ zu Testzwecken ins All. Es wurde festgestellt, dass Leben in der Schwerelosigkeit möglich ist. In der Folge wurden Gagarin und Shepard in die Umlaufbahn geschickt. Heute weiss man, dass Menschen eine ziemlich lange Zeit im All leben können. Der grösste Faktor ist wirklich die Schwerelosigkeit. Man adaptiert sich bis zu einem gewissen Grad an das gravitationslose Sein. Das einzige Problem, das noch nicht gelöst ist, ist die Verminderung der Knochensubstanz. Es gibt bei einem Aufenthalt in der Schwerelosigkeit einen Verlust von 1% der Knochenmasse pro Monat – und zwar auch dann, wenn man an Bord regelmässig Übungen macht. Es versteht sich von selbst, dass nach einigen Jahren Aufenthalt im All die Verminderung der Knochenmasse so weit fortgeschritten C l a u d e N i c o l l i e r 38 wäre, dass es wohl am besten wäre, dort oben zu bleiben. Man könnte nicht mehr auf die Erde kommen. Durch die Apollo-Missionen wurde ein ganz neues Bild der Erde zugänglich und die Menschen konnten dadurch aus einem neuen Blickwinkel entdecken, dass die Erde klein, zerbrechlich und sehr schön ist. Am 21. Juli 1969 machten Neil Armstrong und Edwin Aldrin die ersten Schritte auf dem Mond. Bis heute gab es sechs Missionen auf den Mond und es wurde auf unserem natürlichen Trabanten nicht nur marschiert, sondern man fuhr auch mit speziellen Jeeps. Ich habe gesagt, dass die beiden Supermächte – USA und Sowjetunion – nach dem Apollo-Programm unterschiedliche Wege in der Raumfahrt eingeschlagen haben. In Amerika wurde durch die NASA das Space-Shuttle-Programm entwickelt. Das war ein sehr schwieriges Unterfangen. Man wollte im Gegensatz zu früheren Missionen ein wiederverwendbares Raumfahrzeug produzieren. Um die Wiederverwendbarkeit zu erreichen, musste ein anspruchsvoller und mit vielen Herausforderungen gepflasterter Weg zurück gelegt werden. Schlussendlich sind sowohl der Orbiter (Shuttle), als auch die beiden Feststoffraketen, welche nach zwei Minuten abgestossen werden, wiederverwendbar. Sie werden zurückgeholt, gewartet und wieder benützt. Der einzige Teil, welcher bei jeder Mission verloren geht, ist der grosse mittlere Tank, der mit einem Gemisch aus Sauerstoff und Wasserstoff gefüllt ist. Etwa 800 Tonnen flüssiger Sauerstoff und Wasserstoff werden für den Aufstieg in die Umlaufbahn benötigt und während gerade einmal 8 Minuten und 30 Sekunden verbraucht. Es ist ein sehr grosser Kontrast zwischen dem Aufstieg des Shuttles von der Erde und der Phase im All. Zuerst Feuer, Gefahr, Vibrationen, Lärm – und nachher in der Umlaufbahn ist es absolut leise. Man hört nur Ventilatoren, welche für die Luftumwälzung in der Kabine verantwortlich sind. Man bewegt sich mit 8 km/s oder 27'000 km/h um die Erde. In eineinhalb Stunden umkreist man einmal die Erde. Das geschieht dann etwa 16 mal pro Tag und das Ganze absolut ohne Lärm – das ist wirklich sehr eindrucksvoll. Die Beteiligung Europas am Shuttle-Programm ist zwar eher bescheiden, trotzdem wurde ein hochwertiges Space Laboratorium entwickelt. So wurde es für die ESA möglich, in ca. 15 von insgesamt 100 geflogenen Missionen den Shuttle als eine kleine und kurzfristig brauchbare Raumstation für wissenschaftliche Laborexperimente zu benutzen. Das Interesse Europas an den Shuttlemissionen ist ausschliesslich wissenschaftlicher Natur. 39 Die Russen haben bekanntlich zuerst Saljut und später Mir entwickelt. Die Raumstation Mir ist fast am Ende ihres Lebens. Da sich die Russen an der Internationalen Raumstation beteiligen, haben sie nicht mehr die Mittel, parallel dazu ihre eigene Raumstation zu unterhalten. Dies war nebst vielen technischen Mängelerscheinungen der Grund, warum sich die Russen für die Aufgabe der 15-jährigen Mir entschieden hatten. Am 20. März wird sie mit einem Impuls wieder zur Erde geschickt und am 23. März in der Atmosphäre weitgehend in einem „suicidal dive“ zerstört werden. Die restlichen Teile werden schliesslich, sofern alles nach Plan verläuft, im Pazifischen Ozean versinken. Rezepte für den Erfolg Die nachstehenden Punkte sind nicht wirklich in der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit aufgeführt, aber sie widerspiegeln meine persönliche Meinung und Erfahrung. Das muss sich nicht mit der offiziellen Ansicht der ESA oder NASA decken. Aber ich zeige ihnen das, was ich persönlich als wichtig und sinnvoll erachte – für die Zwecke der Raumfahrt, aber auch für andere Anwendungsbereiche, die ich bereits schon erwähnt habe. 1. Wohldefiniertes Ziel und klare Prioritäten Jede Mission hat ein sehr klares Ziel. Ich gebe ihnen dazu ein Beispiel. In der letzten Mission, in der ich dabei war – die Mission 103 – war das Ziel, Reparaturarbeiten am Hubble-Teleskop gemäss einem sehr klar definierten Schema durchzuführen. Hauptziel war, sechs Kreisel auszuwechseln. Vier waren defekt und es gab nur zwei, welche einwandfrei funktionierten und zwei Kreisel genügten schlicht nicht, um die richtige Lage des Weltraumteleskops einzuleiten. Das Teleskop war zu dieser Zeit nicht funktionsfähig. In zweiter Priorität ging es darum, das „Gehirn“ von Hubble, einen Rechencomputer, auszuwechseln. Dritte Priorität war das Auswechseln eines Sternsensors. Dies war aufgrund der fehlerhaften Arbeitsweise nötig, nicht zuletzt auch deshalb, um die Lage von Hubble stabilisieren zu können. In vierter Priorität musste ein Datenübermittler ausgewechselt werden. Das Ziel wie auch die Prioritäten waren minutiös und detailliert beschrieben. Es ist entscheidend, dass man ein klares Ziel hat, und somit fokussiert arbeiten kann. Das Ziel war schwierig genug zu erreichen. Das war mit der Grund, dass wir zum Beispiel keine sekundärmedizinischen Experimente an Bord hatten. Denn das hätte wiederum nach zusätzlichen Trainingseinheiten verlangt, was aber Trainingszeit für das eigentliche Ziel gekostet hätte. Wenn man alles gemacht hätte, hätte man dort Zeit opfern müssen, wo es wirklich wichtig gewesen wäre, Zeit zu investieren. C l a u d e 2. N i c o l l i e r 40 Führungsstruktur (Mission Management / Flight Control / Crew) Das wurde schon in den vorhergehenden Vorträgen erwähnt. In unserem Fall gibt es Führung auf drei Stufen. Für jede Mission gibt es ein Mission Management Team am Boden. Das sind Leute, die sehr viel Erfahrung mit bemannten Weltraummissionen haben, insbesondere dem Shuttle-Programm. Diese Leute beschliessen langfristige Elemente der Mission. Will man zum Beispiel einen Tag länger im All bleiben oder kommt man aus irgend einem Grund einen Tag früher zurück, wird das vom Mission Management entschieden. Die zweite Stufe ist der Flight Control Room unter der Leitung des Flugdirektors, z.B. Gene Kranz für Apollo 13. Diese Führungsstufe ist verantwortlich für die mittelfristigen Entschlüsse. Will man zum Beispiel einen Weltraumspaziergang etwas verlängern, von sechseinhalb auf sieben Stunden, da noch eine Arbeit beendet werden muss, werden solche Fragen vom Flugdirektor mit seinen Flugkontrolleuren beantwortet. Sie verfügen über die grösste Erfahrung mit den verschiedensten Elementen der Betriebsysteme. Schliesslich gibt es die Besatzung mit ihrem Kommandanten an der Spitze. Unsere Crew für diese Mission umfasste sieben Astronauten unter dem Kommandanten Curtis Brown. Entscheidungen, die sehr kurzfristig und wichtig für die Sicherheit sind, beschliesst die Besatzung und unternimmt wenn nötig die erforderlichen Massnahmen, um sich oder die Mission zu retten. Wenn wir während eines Weltraumspaziergangs ein Gerät verlieren, stehen wir immer vor der Entscheidung, ob wir uns das Ding wieder holen oder einfach im All zurücklassen, auch wenn es einige Millionen gekostet hat. Dieser Entschluss wird natürlich nicht vom Mission Management Team gefällt, sondern von der Besatzung, weil nur vor Ort eine sinnvolle Entscheidung getroffen werden kann. Mit dieser Führungsstruktur haben wir gute Erfahrungen gemacht. 3. Arbeits- und Verantwortlichkeitszuweisung Das Beste wäre, wenn die sieben Besatzungsmitglieder alles wissen würden. Aber das ist absolut unmöglich und darum verteilt man die einzelnen Bereiche. Ich kann beispielsweise den Space-Shuttle nicht landen. Ich habe das zwar mehrmals im Simulator gemacht und es würde in Wirklichkeit vielleicht funktionieren, aber ich habe nicht das richtige Training dafür. Curtis Brown, der Kommandant, oder Scott Kelly, der Pilot, hätten die Raumspaziergänge um den Sternsensor Nummer 2 am Hubble nicht durchführen können, da sie das dafür notwendige Training nicht hatten. Nicht, dass sie nicht fähig gewesen wären, dies zu lernen, aber es geht darum, eine gewisse Verteilung zu haben. In bestimmten Gebieten ist es allerdings notwendig, im Training eine Überlappung 41 anzustreben. Nebst dem Kommandanten kann auch der Pilot den Space-Shuttle landen. Es verhält sich wie in einem Linienflugzeug, das ist klar. Für die Weltraumspaziergänge gab es ebenfalls zwei Teams. Vier Weltraumspaziergänge waren nötig, um die Reparaturarbeiten an Hubble durchzuführen. Das benötigte drei aufeinanderfolgende Tage und somit war es nicht möglich, immer mit demselben Team zu arbeiten. Nach der grossen physischen und psychischen Anstrengung mussten sich die einzelnen Teams regelmässig erholen. Man hatte das Team mit John Grunsfeld und Steve Smith für die Weltraumspaziergänge 1 und 3 und für die Weltraumspaziergänge 2 und 4 waren Mike Foale und ich zuständig. Wir alle jedoch waren trainiert, alles durchzuführen, was für diese vier Weltraumspaziergänge vorgesehen war. Das ist aus Gründen der Sicherheit und der Flexibilität wichtig, wenn beispielsweise jemand ein medizinisches Problem oder Schwierigkeiten mit dem Raumanzug gehabt hätte. Zudem will man die Flexibilität haben, um für eine gewisse Arbeit ein anderes Crewmitglied einzusetzen. Also muss man alle diese Faktoren gut abwägen. Man will eine gewisse Redundanz haben, aber man muss auch die Verantwortlichkeiten und Spezialitäten klar verteilen. 4. Teamarbeit Ich habe schon erwähnt, dass nicht nur das Team an Bord wichtig ist, sondern auch die einzelnen Führungsgruppen im Kontrollzentrum am Boden eine bedeutende Rolle spielen: Zusammen sind wir ein ganzes Team, in dem jeder eine wichtige Funktion zu erfüllen hat. Innerhalb der Besatzung gibt es natürlich Teamarbeit. Und was wichtig für die Sicherheit ist, muss immer von mindestens zwei Personen gemeinsam gemacht werden. Unser Kommandant Curtis Brown hatte eine dezidierte Meinung dazu: „I don’t want any mistakes on my mission! If you make a mistake, you’re fired!“ Curtis Brown meinte das nicht ganz so ernst, wie es sich anhört, aber wir wussten, dass er sich sehr über allfällige Fehler ärgern würde. Er hat noch gesagt: „If you make a mistake, not one of you will be fired but two of you will be fired! Because everything that is critical has to be done by two at the time!” Es gibt fünf Rechner an Bord des SpaceShuttles: GPC, General Purpose Computer Nr. 1, 2, 3, 4 und 5. Diese Maschinen sind natürlich sehr wichtig für die Sicherheit: kein Computer – kein Überleben, keine elektrische Energie – kein Überleben. Wenn man nun an Bord des SpaceShuttles einen Schalter für diese Computer bewegt, ist das immer auch kritisch für die Sicherheit der Besatzung. Darum wird das immer durch zwei Personen gleichzeitig ausgeführt. Man kontrolliert GPC Nr. 1 – O.k. – I see, it’s GPC Nr 1, to „stand by“ – O.k. – „stand by“ – and then to „hold“. Das wird immer von zwei C l a u d e N i c o l l i e r 42 Personen ausgeführt. Wenn nur eine Person das machen würde, könnte es sein, dass es einen Fehler gibt. Wenn zwei Personen das machen, geht die Wahrscheinlichkeit, dass gleichzeitig ein Fehler von beiden gemacht wird, drastisch nach unten. Auch das ist ein Faktor der Teamarbeit. 5. Strikte Einsatzdisziplin Man muss einfach sehr diszipliniert arbeiten. Man muss laufend mitteilen, was man macht. Man ist immer „Hot-Mic“, wenn man draussen ist, und man kommentiert dauernd, was man draussen gerade tut. Das grösste Problem bei einem Weltraumspaziergang ist, dass man sehr leicht Dinge verliert: Werkzeuge oder Objekte, die von A nach B bewegt werden müssen. Wenn wir nicht sorgfältig sind, dann verlieren wir diese Sachen. Alle Objekte, alle Werkzeuge zum Beispiel, sind mit Sicherheitsleinen verbunden. Man muss alle diese Verbindungen „managen“. Wenn man mit vielen Werkzeuge arbeitet, hat man alle diese kleinen Kabel und dann kann man der Bodenstation nicht melden, dass die Operation anstatt eine halbe Stunde nun eben einfach eine Stunde dauern wird, da das Arbeiten mit diesen Kabeln einen grösseren Zeitaufwand verlange. Da hilft nur ein sehr effizientes Training mit diesen Kabeln auf der Erde und dann im Weltall ein sehr diszipliniertes Arbeiten, so dass Zeitverzögerungen kein Thema sind. 6. Das Unvorhergesehene vorsehen Man trainiert die auszuführende Mission. Für den Weltraumspaziergang ist das wie Ballett. Jeder Spaziergang ist so strukturiert, dass man in jeder Zeiteinheit genau weiss, was zu tun ist. Man weiss, an welchem Ort in welcher Körperstellung, mit welchem Werkzeug, mit wie vielen Touren z.B. der Bohrer welche Schraube anziehen, respektive lösen muss. Man weiss das, weil man es unzählige Male auf der Erde geübt hat. Man muss aber auch Aktionsvarianten intus haben, falls es Probleme gibt. Dazu ist das Üben der Zusammenarbeit mit der Bodenstation ungemein wichtig. Während des Trainings wird nicht nur alles durchexerziert, sondern auch laufend alles dokumentiert. Wenn man im Training eine gewisse Anzahl von Fehlerszenarios trainiert und dokumentiert hat und während einer Mission im All ein ähnliches Problem auftritt, nimmt man das Protokoll zur Hand und hat in kürzester Zeit die Lösung. Man muss nicht etwas Neues erfinden, denn man hat das schon gemacht. Falls sich ein völlig unbekanntes neues Problem stellen würde, welches man noch nie hat lösen müssen, ist das Training so angelegt, schwierige Probleme zu meistern, sodass eine Kontrolle des Problems sehr wahrscheinlich ist. Das Unvorher- 43 gesehene vorsehen! Man trainiert unvorhergesehene Situationen, d.h. mögliche Fehler und Problemlösungen viel häufiger als die eigentliche Mission. 7. Trainieren, trainieren, trainieren – bis man nicht mehr kann! Man muss trainieren, bis man nicht mehr kann – auch wenn man überzeugt ist, die nächste Trainingseinheit nicht mehr zu brauchen, da man sehr sicher ist, dass man es beherrscht. Man muss trainieren, bis man „satt“ ist davon. Solange man nicht „satt“ ist, ist man nicht gut genug trainiert. Ich glaube, obwohl es der letzte Punkt ist, ist es wohl der wichtigste für unsere Arbeit. Man muss natürlich die technische Kenntnisse aller Systeme haben, aber dennoch erst recht trainieren, trainieren, trainieren, bis man nicht mehr kann. H u b b l e - Teleskop Mission Um die genannten Punkte zu verdeutlichen, schildere ich nun einige Elemente der Hubble-Mission. Die erste Wartungsmission, an der ich beteiligt war, war 1993 und die letzte 1999. Das Hubble-Weltraumteleskop ist ein Kooperationsprogramm zwischen der NASA und der ESA. Die Idee, welche dieser Mission zugrunde lag, war die, dass man ein Teleskop in der Erdumlaufbahn haben wollte, welches – ungefiltert von der Erdatmosphäre – Lichteindrücke von Sternen fremder Galaxien empfangen kann. Damit erreicht man eine viel bessere Schärfe der Bilder und erhält zusätzlich das ganze Spektrum der vorhandenen Strahlen. Natürlich hat das seinen Preis. Das Hubble-Weltraumteleskop hat etwa 2 Milliarden Dollar gekostet, wobei 15% von der ESA bezahlt wurde. (Bild von der Installation des Hubble-Teleskops.) Man sieht die Installation des Hubbles auf seiner Umlaufbahn im April 1990. Der Manipulatorarm des Space-Shuttles entlässt gerade das Hubble-Teleskop auf seinen Orbit. Die Solargeneratoren wurden von der ESA geliefert und sind zwecks Energieaufnahme optimal auf die Sonne ausgerichtet. Zu dieser Zeit lief alles gut, da man sich im Glauben wähnte, nun optimale Bilder und somit neue Erkenntnisse über den Aufbau von unbekannten Sonnensystemen zu erhalten. Leider wurden aber die grossen Hoffnungen und Erwartungen, die sich mit dem neuen, teuren Teleskop ergaben, vorerst nicht erfüllt, da nach der Übermittlung und Auswertung der ersten Bilder klar wurde, dass mit der Form des Hauptspiegels etwas nicht stimmen konnte. Der Hauptspiegel war zu flach, d.h. er war auf einen Durchmesser von 2.4 m am Rande zwei Mikrone (zwei tausendstel Millimeter) zu flach. Das scheint mechanisch gesehen ein vernachlässigbarer Fehler zu sein, jedoch optisch war das unannehmbar. Man probiert, die Form mit einer Präzision von C l a u d e N i c o l l i e r 44 einem Zehntel der Wellenlänge zu erreichen. Für das gelbe Licht ist die Wellenlänge ein halbes Mikron. Daraus wird ersichtlich, dass man weit über dem tolerierbaren Wert lag. Fazit: Die Bilder hatten nicht die erwartete Schärfe. Man musste etwas unternehmen. Ursprünglich war vorgesehen, alle drei Jahre einen Flug zum Hubble zu unternehmen, um Wartungs- und Reparaturarbeiten vorzunehmen. Die erste Wartungsmission war vorgesehen für Dezember 1993. Ich habe die Chance gesehen, dort als Bordingenieur und Operateur des Roboterarms dabei zu sein. (Bild von Astronauten im Wassertank) Trainieren, trainieren, trainieren! Man kann die Bedingungen der Schwerelosigkeit im Wasser simulieren. Sie sehen hier das Installieren einer Wide Field and Planetary Camera von Jeff Hoffmann und Storie Musgrave in einem grossen Tank in Huntsville, Alabama. Jetzt hat man auch einen in Houston. Es gibt hier im Wasser ein ziemliches „High Fidelity“-Modell des Hubble-Teleskops, des Space Shuttle-Frachtraumes und des Roboterarms, welcher in einem Raum ausserhalb des grossen Tanks von mir bedient wurde. Einer der Weltraumspaziergänger ist jeweils am Ende des Armes auf einer kleinen Plattform, das heisst, der Astronaut kann beide Hände für die Arbeit benützen. Der andere ist der sogenannte „Free Floater“. Die Herausforderung dieser Funktion besteht insbesondere darin, sich mit seinen Füssen und Beinen so zu verkeilen, dass man die Hände frei zum Arbeiten hat. Sonst muss man eine Hand benützen, um sich zu stabilisieren, so hat man aber zum Arbeiten nur eine Hand zur Verfügung, was natürlich sehr mühsam wäre. Das ist der „Challenge“ eines Weltraumspaziergangs: Geräte nicht zu verlieren und den eigenen Körper so zu stabilisieren, dass ein sinnvolles und effizientes Arbeiten möglich ist. Wir verbrachten etwa zehnmal mehr Zeit fürs Training im Tauchbecken als die effektive Zeit, während der wir uns dann beim Weltraumspaziergang im All aufhielten. Für die letzte Mission waren wir fast 200 Stunden im Wasser. Der Start für diese erste Wartungs-Mission war am 2. Dezember 1992 um 04 00 Uhr. Dabei ist zu beachten, dass man die Zeit sehr genau einhalten muss, wenn man ein Rendezvous mit einem Satelliten, einem Teleskop oder der Raumstation hat. Dies begründet sich damit, dass die Startrampe in der Ebene der Umlaufbahn sein muss – und das ist einmal pro Tag der Fall. Zwei Tage Später gab es die Begegnung mit dem Weltraumteleskop Hubble über dem Indischen Ozean in 600 km Höhe. Diese beiden Objekte, Hubble und SpaceShuttle, bewegen sich mit einer Geschwindigkeit von 8 km pro Sekunde. Man macht eine sehr langsame Annäherung an das Teleskop, um auf keinen Fall einen Fehler zu machen, denn wir hatten nur Treibstoff für einen Versuch bei uns. 45 Das Hauptziel dieser Mission war, den Hauptspiegel zu korrigieren, und zwar nicht, indem ein neuer Spiegel hätte montiert werden können, das war nicht möglich, sondern man installierte ein System, dass die falsche Form des Spiegels optisch korrigierte. Das zweite Ziel war, die Solargeneratoren auszuwechseln. Sie waren veraltet und hatten die Bedingungen im All nicht allzu gut überstanden. Auf dem Bild sind wir über Madagaskar, aber alles steht auf dem Kopf, da die Position des Frachtraumes immer zu unserem Planeten hin zeigte. So konnte man die einzelnen Konturen der verschiedensten Länder immer wieder aufs Neue studieren. Später waren wir über der nordwestliche Küste Australiens und waren so hoch, dass wir auf einen Blick den ganzen fünften Kontinenten sehen konnten. Der Horizont war etwa 2500 km entfernt, es war absolut fantastisch – ein Traum! Die Mission war ein voller Erfolg. Die Spiegelkorrektur konnte erfolgreich durchgeführt werden und die defekten Solargeneratoren wurden ausgewechselt. Es gab eine weitere Wartungsmission 1997, an der ich nicht teilnahm. Dabei ging es nicht so sehr um eine Reparatur des Hubble, sondern um eine Optimierung, wobei Astronauten wissenschaftliche Instrumente zum Fokus des Teleskops brachten. Dann hatten wir ein Problem mit den Kreiseln, welche zunehmend Schwächen zeigten und schliesslich zum Teil ersetzt werden mussten. Im Teleskop selbst gibt es sechs Kreisel, um die Arbeit des Hubble zu gewährleisten, braucht es deren drei. Zu Beginn des Jahres 1999 waren nur noch drei funktionsfähig und bald darauf nur noch zwei. Somit war das HubbleTeleskop für die Wissenschaft nicht mehr benutzbar. Nochmals hatte ich die Chance, für eine weitere Mission gewählt zu werden. Neu war diesmal, dass ich als Weltraumspaziergänger ins All gehen konnte. Das bedeutete, dass ich nicht wie in den Missionen zuvor im Kommandoraum des Space-Shuttles war, sondern selbst am Ende des Space-Shuttles am computergesteuerten Arm meine Aufgaben zu erfüllen hatte. Wieder einmal lebten wir nach dem Motto: Trainieren, trainieren, trainieren, bis man nicht mehr will. Normalerweise dauerten diese Trainingssessions sechs Stunden. Wir wurden um 07 00 Uhr gebrieft und anschliessend wurde uns der spezielle Anzug angepasst. Der Aufenthalt im Wasser begann um 08 30 Uhr und dauerte bis 14 30 Uhr, dann gab es ein Debriefing bis 17 00 Uhr. Dieses tägliche harte Training war physisch und psychisch eine grosse Herausforderung. Es ist jedoch der einzige Weg, um zum Erfolg zu gelangen. Erfolg hat man durch viel, viel, viel Training. Bis zum Zeitpunkt, wo der Raumanzug zur zweiten Hautschicht wird, vergeht eine lange Zeit, in der man sich an diesem Anzug reibt, in der man klaustrophobische Zustände erlebt und man sich mit schlechten Gerüchen arrangieren C l a u d e N i c o l l i e r 46 muss. Man kann nichts essen, man kann keinen Kaffee trinken während dieser sechs bis sieben Stunden im Wasser, aber .... man gewöhnt sich daran. Der Mensch ist sehr anpassungsfähig. Schliesslich, wenn man sich an den Anzug angepasst und gewöhnt hat, ist man fast bereit. Trainiert wird auch regelmässig mit dem Flugzeug. Die NASA hat immer diese T-38 benützt. Einerseits um von Houston nach Denver zu reisen. Das ist viel schneller, privater und schöner als mit einem grossen Vogel der Intercontinental Airways zu reisen. Es kostet etwas mehr, aber es sind Ausgaben des US-Governments... . Andererseits kann man dadurch die Lizenz als Pilot behalten, was sehr wichtig ist. Auch das ist ein Gebiet, wo Leistung zählt. Wenn man spätabends nach Houston zurückfliegt, die Wetterlage alles andere als schön ist und man mit einer beschränkten Menge Kerosen wieder heil am Boden ankommen will, muss man laufend unter Zeitdruck Entschlüsse fassen. Das hält einen ständig in Übung, man bleibt psychisch und physisch fit. Die T-38 ist ein sehr praktisches Reisemittel, dient aber auch dem mentalen Training. Am 19. Dezember 1999 gelangten wir nach einem Nachtstart in die Umlaufbahn, welche uns zum Hubble-Teleskop führte. (Bild von Hubble) Es ist nicht nur ein sehr effizientes, sondern auch ein wohlgeformtes, ästhetisches Instrument für die Wissenschaft. In seiner Dimension ist es etwa 15 m hoch. Wir sehen hier die Erde, es ist kurz vor Sonnenuntergang und die Sonne beleuchtet das Teleskop. Wie man sieht, ist das eine traumhafte Sicht aus dem Weltraum. Bei der Vorbereitung auf einen Weltraumspaziergang ist die Bedienung aller Geräte eine grosse Herausforderung. Einige Knöpfe sind an kritischen Stellen angebracht, die man nicht sieht, weil man ja den Kopf nicht frei bewegen kann. So kann man gewisse Bedienungselemente nur mit der Hilfe eines Spiegels erkennen. Somit ist zusätzlich alles spiegelverkehrt geschrieben. Auch diese Art von Bedienung will gelernt sein. Beim ersten Weltraumspaziergang ging es darum, die sechs Kreisel zu ersetzen. Diese Kreisel sind in drei Büchsen zu je zwei Kreiseln untergebracht. Sie wurden von Steve Smith und John Grunsfeld ausgetauscht. Auch hier musste alles, was für die Sicherheit wichtig ist, von zwei Leuten ausgeführt werden. Routinearbeiten, welche nicht als kritisch eingestuft werden, können von einem Astronauten alleine bewältigt werden, doch für die meisten Tätigkeiten braucht es den Double Check! Der zweite Weltraumspaziergang dieser Mission war am 23. Dezember 1999. Das war der grosse Tag für mich. Ich war draussen mit Mike Foale zusammen, der während früheren Weltraumspaziergängen schon Erfahrungen hat sammeln können. Für mich war es aber bekanntlich das erste Mal. Wir ersetzten das 47 Gehirn. Wir waren sozusagen die Gehirnchirurgen am Weltraumteleskop (schaut zu Kent Ruhnke ...). Mike Foale steht am Ende des computergesteuerten Armes auf der kleinen Plattform und ich habe die Funktion des Free Floaters. Herr Annen hat über „Kopf“, „Herz“ und „Hände“ gesprochen. Der „Kopf“ ist kein Problem, wenn wir im All draussen sind. „Herz“ ist auch kein Problem, etwa ein Schlag pro Sekunde. Aber die „Hände“, das ist das Problem. Man hat diese grossen Handschuhe. Wenn man damit arbeiten will, dann ist das schwierig. Meist benötigt man speziell entwickelte Werkzeuge. Diese erlauben uns, mit Hilfe unserer Hände feine Aktionen auszuführen. Sie sehen hier ein Sicherheitskabel. Ich halte mich lediglich mit einer Hand. Meine Füsse sind im „Nichts“. Es ist ein sonderbares Gefühl und ich war nicht unglücklich darüber, dass mich das Sicherheitskabel mit dem Space-Shuttle verband. Es ist selbstverständlich in unserem Interesse, dass wir uns nie über die Distanz der Sicherheitsleine von unserem Mutterschiff entfernen. Der zweite Teil unseres Weltraumspaziergangs bestand im Austauschen des alten Sternsensors, der wie ein Klavier aussieht. Wir haben den alten Sternsensor von Hubble weggenommen und seitlich des Hubble temporär fixiert. Anschliessend habe ich den neuen Sternsensor im Innern des Hubble montiert. (Bild) Wir sind hier über Australien. Sie sehen die Farben der Wüste Australiens. Und ich kann mich erinnern, dass ich mich ca. fünf Minuten, bevor diese Aufnahme gemacht wurde, am Ende des Manipulatorarmes befand; ich habe nach oben geschaut, also Richtung Erde, und ich erblickte die sich uns nähernde westliche Küste Australiens. Wir waren über dem Indischen Ozean, der ganz in Blau und Weiss erstrahlte. Mit einem Blick nach rechts konnte ich Java und Sumatra sehen. Ich sage ihnen das, um zu veranschaulichen, wie viel man dort oben sieht. Während einer Minute habe ich einfach inne gehalten und war schlicht überwältigt: „Incroyable!“ Dann hiess es wieder: Weiterarbeiten! Die Sicht auf unseren blauen Planeten ist so unbeschreiblich schön, dass man manchmal versucht ist, nichts anderes zu tun als einfach nur dort hin zu schauen. Ich kann ihnen auch versichern, es ist nie langweilig im Weltall. Ständig wechselt der Hintergrund auf spektakuläre Weise. Ziel unserer Missionen war natürlich nicht, die Schönheit der Erde zu beobachten, aber die ständig variierende Kulisse hielt uns gelegentlich schon ein wenig in Atem. Zwischen den einzelnen Weltraumspaziergängen muss eine Wiederinstandstellung der Weltraumanzüge vorgenommen werden, um den nächsten Ausflug ins All am kommenden Tag optimal vorzubereiten. Das dauert etwa fünf bis sechs Stunden: Der Anzug wird gereinigt, die Sauerstoffflaschen gefüllt, Wasser muss für das Kühlsystem aufgefüllt werden und das System, welches Kohlen- C l a u d e N i c o l l i e r 48 dioxyd eliminiert und in reine Sauerstoffzufuhr umwandelt, muss ersetzt werden. Man muss alles konsequent machen, Fehler hätten gravierende Auswirkungen. Die Besatzung führt diese Arbeit aus. Man hat kein zusätzliches Personal, welches einen von dieser Aufgabe entbinden könnte. Um diese Arbeit zu verrichten, gibt es sehr wenig Platz „and no room for failures!“ Am Weihnachtstag 1999 schliesslich, dem 25. Dezember wurde das Hubble-Teleskop nach erfolgreicher Reparatur wieder in die ihm eigene Umlaufbahn entlassen. Das Loslassen von Hubble auf seine Umlaufbahn in 600 km Höhe war ein spezielles Erlebnis. Sehr langsam entfernte sich das teure Gerät, um schliesslich im Dunkel des Alls nicht heller als ein Stern zu entschwinden. (Bild) Wir sind wieder über dem Pazifischen Ozean. Es braucht sehr lange, um über den Pazifik zu fliegen – etwa 20 Minuten... ! Hingegen dauert es nur etwa 30 Sekunden, um von Genf nach Romanshorn zu gelangen. Wenn auch nicht mit der eigenen Familie, so feierten wir an diesem ungewohnten Ort doch wie eine Familie Weihnachten. Die Bodenbesatzung hatte sinnigerweise rote „Santa Claus Hats“ in einem Fach versteckt. Uns wurde gesagt, dass wir dieses Fach erst an Weihnachten öffnen durften: So entstand eine witzige und schöne Aufnahme (Bild), die uns glücklich und zufrieden zeigt, eine erfolgreiche Mission durchgeführt zu haben. (Zwei Bilder mit einem winzigen Ausschnitt des Weltalls, welche von Hubble aufgenommen wurden.) Das eine Bild wurde von Hubble nach unserer erfolgreichen Mission gemacht – Mitte Januar 2000. Sie sehen einen Galaxiehaufen, ca. 2 Milliarden Lichtjahre von uns entfernt. Das andere ist ein sogenanntes Hubble Deep Field, eine Aufnahme, die während 10 Tagen entstanden ist. Mit einer normalen Kamera kann man das nicht machen. Um Weihnachten 1995 hat Hubble durch ein sehr kleines „Fenster“ von gerade einmal einer Bogenminute über einer Bogenminute das Licht von sehr weit entfernten Galaxien gesammelt. Eine Bogenminute ist ein Dreissigstel des Durchmessers des Vollmondes. Das ist ein winziges Fenster und trotzdem sieht man durch dieses Fenster lediglich zwei Sterne, die zu unserer Galaxie gehören. Alle anderen Objekte sind andere Galaxien. Jede dieser Galaxien hat etwa 100 Milliarden Sterne, welche mit der Sonne vergleichbar sind. Und die schwächsten dieser Galaxien sind ca. 10 Milliarden Lichtjahre entfernt. Die sind so, wie sie eine relativ kurze Zeit nach dem Urknall waren. Internationale Raumstation Die Internationale Raumstation (International Space Station, ISS) ist das grosse bemannte Weltraumforschungsprogramm der Vereinigten Staaten, Russland, 49 Europa, Kanada und Japan. Momentan hat man nur einige wenige Module der langsam entstehenden Raumstation im All. Aber in vier Jahren, so ist es jedenfalls geplant, wird die ganze Raumstation zusammengebaut und vollständig eingerichtet sein, sodass sie für die wissenschaftliche Arbeit der verschiedenen Nationen gebraucht werden kann. Ein Modul kommt aus Europa, das sogenannte Kolumbusmodul ist aus Japan, es gibt ein Robotersystem aus Kanada, weitere Module sind aus Russland und der Rest stammt aus den USA. Natürlich wird unentwegt am Bau der Raumstation gearbeitet, einerseits mit Weltraumspaziergängen und andererseits mit Robotern. Zusammenfassung Bemannte Raumfahrt ist eine Herausforderung, sie haben das sicher gut verstanden. Hier sind nochmals die Elemente, welche ich ihnen vorher gezeigt habe. Das Rezept für den Erfolg beinhaltet – ein wohldefiniertes Ziel und klare Prioritäten; – die aus drei Stufen bestehende Führungsstruktur (das geht gut für uns, aber sicher gibt es auch noch andere Anwendungen); – Teamarbeit; – Arbeits- und Verantwortlichkeitszuweisung (man will eine gewisse, aber keine totale Redundanz haben); – strikte Einsatzdisziplin; – das Unvorhergesehene vorsehen, und – trainieren, trainieren, trainieren, bis man nicht mehr kann. Illustriert habe ich diese Elemente insbesondere an Hand der Arbeit am HubbleTeleskop. Davon sehen wir noch das letzte Bild. Es ist ein sehr schlichtes und einfaches Bild, welches während der zweiten Wartungsmission des HubbleTeleskops aufgenommen wurde. Es ist ein symbolisches Bild, welches uns die Werte der bemannten Weltraumfahrt vor Augen führt: Durch die Weltraumfahrt gewinnen wir ein besseres Verständnis unseres Universums und der sich darin befindlichen Objekte wie Galaxien, Sterne, Planeten und der Sonne. Durch die Präsenz im Weltraum erhalten wir weitere Möglichkeiten, die Erde neu zu sehen und wichtige Abläufe zu verstehen – und mit diesen Erkenntnissen schliesslich die Erde zu schützen. Durch dieses Wissen können wir uns selbst, unseren Platz im Weltall und schliesslich unser Schicksal besser begreifen lernen. Aber dafür muss etwas geleistet werden, darum: Leistung – wenn’s zählt!