"Eine Erfindung des Nationalsozialismus"

Werbung
derStandard.at | Panorama | Integration | Dossier Scheinehe
26. Februar 2007"Eine
23:27 MEZ
Literaturtipps
Jens Eisfeld: Die
Scheinehe in
Deutschland im 19.
und 20. Jahrhundert.
Tübingen 2005:
Mohr Siebeck.
Nathan Stoltzfus:
Widerstand des
Herzens. Der
Aufstand der Berliner
Frauen in der
Rosenstraße – 1943.
München 2002:
Deutscher
Taschenbuch Verlag.
Die Paragraphen zur
Namens- und
Scheinehe stellten
einen Baustein in der
"völkischen"
NS-Ideologie dar.
Erfindung des Nationalsozialismus"
Die Geschichte der Scheinehe in Deutschland: "Namensehe" und
"Staatsbürgerschaftsehe"-Paragraphen leisteten Beitrag zur Begründung
eines "völkischen" und rassistischen Eherechts
Der Begriff der Scheinehe ist eine Erfindung des Nationalsozialismus,
argumentiert der deutsche Rechtswissenschafter Jens Eisfeld. Er rollt in
seiner Dissertation die Geschichte der instrumentalisierten Ehen im
Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts auf und verweist auf die
Gefahr der Ideologisierung des Eherechts.
* * *
Die "instrumentalisierte Ehe", also die Ehe als "Mittel zum Zweck", ist
vermutlich so alt wie die Ehe selbst; sie entstand, als Gesellschaften
mit der Institution der Ehe Vorteile verknüpften. Hinweise auf das
Problem sind bereits aus der römischen Rechtsgeschichte bekannt,
schreibt der Rechtswissenschafter Jens Eisfeld in seiner Dissertation zur
Scheinehe. Er selbst konzentriert sich jedoch auf die Scheinehe in
Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert. Die Scheinehe in der heute
diskutierten Form – als Aufenthalts- oder Staatsbürgerschaftsehe – sei
eine "Erfindung der nationalsozialistischen Gesetzgebung", so Eisfeld.
Im 19. Jahrhundert wurde zwar über die Wirksamkeit so genannter
"Simulationsehen" gestritten, "allerdings ging es hier – mangels
konkreter Fälle – eher um ein theoretisch-dogmatisches denn um ein
tatsächliches Problem der Rechtspraxis", erklärt Jens Eisfeld im
derStandard.at-Interview. Im Zentrum der Diskussion stand die Frage,
ob die bloßen Willenserklärungen der EhepartnerInnen denn ausreichen,
um eine Ehe zu begründen. Das verneinten einzelne
Rechtswissenschafter Ende des 19. Jahrhunderts: Sie forderten ein
Verbot der Simulationsehe – diese "widerspreche dem Wesen der Ehe".
Doch der Gesetzgeber entschied sich gegen einen derartigen
Ehe-Nichtigkeitsgrund, um ein Schlupfloch im Scheidungsrecht zu
vermeiden: Sonst wären "Ehen auf Zeit" und Konkubinate denkbar
gewesen. Damit wurde das so genannte "formale Konsensprinzip" der
Ehe festgeschrieben: Die Willenserklärung der Eheleute alleine war
ausschlaggebend; wie sie ihre Ehe lebten, blieb ihnen überlassen.
Nur vom Mann auf die Frau
Bei der im 19. Jahrhundert und bis in die 1930er-Jahre diskutierten
Simulationsehe ging es jedoch nicht um die heute vorherrschende
Scheineheform der Aufenthaltsehe, so Eisfeld, da einem Ausländer in
Deutschland kein selbständiges Aufenthaltsrecht zustand. "Jede
Aufenthaltsehe war daher zugleich auch Staatsangehörigkeitsehe.
Staatsangehörigkeitsehen waren jedoch für männliche Ausländer zu
dieser Zeit sinnlos, da die deutsche Staatsangehörigkeit nur von einem
deutschen Ehemann auf eine ausländische Ehefrau übertragen werden
konnte."
Häufiger tauchen in der Literatur nur noch Namensehen auf – also
Ehen, durch die Adelsbezeichnungen wie Freiherr, Graf oder Fürst
übertragen werden sollten. Auch hier konnte der Adelstitel nur vom
Mann auf die Frau übertragen werden, nicht umgekehrt. Der durch
Namensehen erworbene Adel wurde als "Scheinadel" bezeichnet.
"Aufnordung" des Adels
Die Deutsche Adelsgenossenschaft (DAG) hatte zwischen 1918 und
1933 einen zunehmend aggressiven Antisemitismus vertreten. Unter
Hitler nahm die DAG die Namensehen zum Anlass, sich beim
Nationalsozialismus anzudienen. An den Namensehen seien, so die
(unzutreffende) Begründung der DAG, vor allem Juden beteiligt. Die
Verhinderung oder nachträgliche Aufhebung von Namensehen sei daher
für eine "rassische Aufnordung" des deutschen Adels unbedingt
notwendig. Einem "gereinigten" Adel könne dann – so träumte die DAG –
eine Führungsrolle im nationalsozialistischen Deutschland nicht mehr
versagt werden.
Vertreter der DAG wurden deshalb im Jahr 1933 bei Hitler vorstellig und
überreichten ihm eine "Denkschrift", die vor der "rassischen Gefährdung"
des Adels durch Namensehen warnte. Um eine "Reinheit des deutschen
Adels" zu gewährleisten sei es auch nötig, die DAG in Entscheidungen
über die Führung eines Adelstitels einzubeziehen.
Namensehen für nichtig erklärt
Letzteres wiesen Hitler und der Reichsjustizminister Franz Gürtner von
sich: Sie hatten keiner Interesse an Sonderrechten des Adels. Doch der
Forderung nach einem Verbot der Namensehe kamen sie nach –
allerdings müsse dieses Verbot der Scheinehe, forderte Gürtner, für alle,
nicht nur für den Adel gelten. Der entsprechende § 1325a BGB wurde
schon 1933 eingeführt: "Eine Ehe ist nichtig, wenn sie ausschließlich
oder vorwiegend zu dem Zwecke geschlossen ist, der Frau die Führung
des Familiennamens des Mannes zu ermöglichen, ohne daß die eheliche
Lebensgemeinschaft begründet werden soll."
"Die eheliche Lebensgemeinschaft, zu deren Begründung die Eheleute
vorher nur dem jeweils anderen gegenüber verpflichtet waren, wurde
durch das Ehehindernis der Namensehe zu einer staatlich kontrollierten
Ehevoraussetzung", schreibt der Rechtswissenschafter. Damit wurde
die Ehe entprivatisiert – der Paragraph der "Namensehe" leistete so
einen wichtigen Beitrag zur Begründung eines völkischen und
rassistischen Eherechts. Die Literatur zu diesem Paragrafen betonte
seine "erbpflegerische" Bedeutung: "Die ohne den Willen zur
Lebensgemeinschaft geschlossene Ehe verfehlt den Hauptzweck der
Ehe, die Erzeugung von Nachwuchs; ihr erbbiologischer Unwert liegt auf
der Hand", schrieb beispielsweise der Jurist Franz Maßfeller 1935.
"Unsittliche Ehen"
1938 wurde das Verbot der Namensehe bei der Einführung des
Ehegesetzes durch das der Staatsangehörigkeitsehe ergänzt. Dies war
nötig geworden, da es das Reichsgericht in einem Urteil aus dem Jahr
1938 ablehnte, das Verbot der Namensehe auf andere Formen
"unsittlicher Ehen" umzulegen. Nach einem Streit zwischen
Justizminister und Reichsgericht wurde daher das Eherecht um das
Verbot der Staatsangehörigkeitsehe erweitert.
Die amtliche Begründung zum Ehegesetz rechtfertigte dies auch mit
dem Wunsch "österreichischer Stellen": "In Österreich sei es häufig
vorgekommen, daß unerwünschte Ausländerinnen eine Formehe
eingingen, um durch den Erwerb der österreichischen
Staatsangehörigkeit die Möglichkeit zu einer beruflichen Niederlassung
in Wien zu erhalten’ ", zitiert Eisfeld die amtliche Begründung zum
Ehegesetz in der Zeitschrift "Deutsche Justiz".
Tatsächlich hatten sich die meisten österreichischen Behörden in einer
entsprechenden Umfrage gegen die Sanktionierung von Scheinehen
ausgesprochen. Grund für die ablehnende Haltung war vor allem die
schwierige Beweislage. Die Nationalsozialisten kümmerten derartige
Bedenken jedoch nicht; ihnen kam das angebliche Scheineheproblem
gerade recht, um die Ehe mit einem staatlich sanktionierten "Zweck" zu
versehen: "Es ging hier um die rassisch-völkische Ideologisierung des
Eherechts", erklärt Eisfeld.
Juden und Jüdinnen bereits ausgegrenzt
Juden und Jüdinnen waren von dem Verbot der Staatsangehörigkeitsehe
nicht mehr betroffen – sie waren bereits 1935, durch die Nürnberger
Gesetze, vollständig aus dem "Volkskörper" ausgegrenzt worden. Davor
hatte das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom
April 1933 das wirksamste Instrument der Nazis dargestellt, um Juden
zu diskriminieren und Ehen zwischen Deutschen und Juden möglichst zu
verhindern: JüdInnen und ihren EhepartnerInnen wurde über dieses
Gesetz der Zugang zum öffentlichen Dienst verweigert; alle
BewerberInnen für den öffentlichen Dienst mussten nachweisen, dass
die Eltern ihrer EhepartnerInnen Arier waren. Wer einen Juden oder eine
Jüdin geheiratet hatte, wurde entlassen. Es folgten Diskriminierungen
für die Berufsgruppen der Ärzte, Soldaten, Juristen, Journalisten. 1934
wurde ein Beförderungsverbot für alle Angestellten erlassen, die mit
JüdInnen verheiratet waren.
Das Eherecht war zwar noch nicht geändert, doch Anwälte und
Gerichte begannen schon 1933, die Gesetze im Sinne der Machthaber
umzudeuten, beschreibt Nathan Stoltzfus in seinem Buch "Widerstand
des Herzens": "Einige Richter stellten die radikale Behauptung auf, daß
Mischehen mit der Begründung verhindert werden könnten, daß die
Reinerhaltung deutschen Bluts ein ‚bindendes Rechtsprinzip’ sei.
Heißumstritten war die Frage, ob ein Paar sich einzig und allein
deswegen scheiden lassen könne, weil ein Partner arisch und der
andere jüdisch war."
Umso schneller vor den Altar
Einige Paare, so Stoltzfus, waren dem Druck des Regimes und der
Gesellschaft nicht gewachsen und ließen sich zwischen 1933 und 1935
scheiden. Zum Ärger des Staates reagierten jedoch andere
jüdisch-deutsche Liebespaare auf die Ankündigung eines Verbotes der
Mischehen damit, dass sie möglichst schnell vor den Altar traten. Dies
war allerdings mit Schwierigkeiten verbunden, da sich immer mehr
Standesbeamte weigerten, Ehen zwischen "gemischten" Paaren zu
trauen.
Mit dem Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze im Jahr 1935 war der
Rassenwahn juristisch festgeschrieben und ein großer Schritt in
Richtung Holocaust getan. Heiraten zwischen als "Juden" und als
"Deutschen" konstruierten Menschen waren verboten, der
Geschlechtsverkehr wurde zum Verbrechen. Bereits bestehende
eheliche Verbindungen zwischen Deutschen und Juden, in der
rassistischen Nazi-Terminologie als "Mischehen" oder "gemischtrassige"
Paare bezeichnet, wurden zwar nicht aufgelöst, die Paare wurden aber
in vielerlei Hinsicht benachteiligt, verfolgt und unter Druck gesetzt.
Dennoch leisteten, wie Stoltzfus in seinem Buch anhand von einzelnen
Biographien beschreibt, jüdisch-deutsche Paare die ganze Zeit des
Nationalsozialismus hindurch einen heldenhaften "Widerstand des
Herzens" – bis hin zu einer Demonstration von Frauen in der Berliner
Rosenstraße vor dem Gestapo-Hauptquartier im Jahr 1943.
Alliierter Kontrollrat reformierte das Ehegesetz
Nach der NS-Diktatur schaffte der Alliierte Kontrollrat in Deutschland
das Ehehindernis der Staatsangehörigkeitsehe ab: Im reformierten
Ehegesetz von 1946 wurde nur noch die Namensehe als
Ehe-Nichtigkeitsgrund angeführt; 1976 wurde dann auch diese
Bestimmung aufgehoben. Ab Ende der 70er-Jahre weigerten sich jedoch
– vor dem Hintergrund eines zunehmend ausländerfeindlichen politischen
Klimas – viele StandesbeamtInnen, bei offensichtlichen Aufenthaltsehen
mitzuwirken. Die Zivilgerichte gaben den BeamtInnen mehrheitlich recht.
Begründet wurde dies laut Eisfeld mit dem ungeschriebenen Grundsatz
vom Verbot des Rechtsmissbrauchs, der bereits im Nationalsozialismus
zur Rechtfertigung der Scheinehevorschriften herangezogen worden
war.
Ein Rechtsmissbrauch wurde angenommen, wenn "die Herstellung der
ehelichen Lebensgemeinschaft von den Aufgebotsbewerbern nicht
beabsichtigt wird, sondern deren Verhalten nur darauf abzielt, einem
Beteiligten unter Umgehung der geltenden ausländerrechtlichen
Bestimmungen die Aufenthaltserlaubnis in der Bundesrepublik
Deutschland zu verschaffen". Das "formale Konsensprinzip" war damit
aufgegeben: Man sah nun nicht mehr nur den Willen zur Eheschließung
als ausschlaggebend an, sondern auch die Absicht zur Begründung der
ehelichen Lebensgemeinschaft und eines "engen, partnerschaftlichen
Verhältnisses, das auf gegenseitiger Liebe und Achtung beruht", zitiert
Jens Eisfeld das Amtsgericht Freiburg aus dem Jahr 1981.
Abschaffung der Scheinehe-Bestimmung gefordert
1998 wurde der Ehenichtigkeitsgrund der Scheinehe wieder in das
deutsche Recht aufgenommen. Von einer erneuten Ideologisierung des
Eherechts könne man zwar nicht sprechen, so Eisfeld: "Der
Eheaufhebungsgrund der Scheinehe wird in der Rechtssprechung nur
sehr zurückhaltend angewandt." Dennoch fordert er die Abschaffung
der Scheinehe-Bestimmung: Die Geschichte hätte gezeigt, welche
Gefahr in der "Öffnung des Eheschließungsrechts für staatliche
Ehezwecksetzungen" liege, sagt der Rechtswissenschafter im
derStandard.at-Interview. (Heidi Weinhäupl, derStandard.at, 27. 2.
2007)
© 2007 derStandard.at - Alle Rechte vorbehalten.
Nutzung ausschließlich für den privaten Eigenbedarf. Eine Weiterverwendung und Reproduktion über den
persönlichen Gebrauch hinaus ist nicht gestattet.
Herunterladen