Nora oder Ein Puppenheim - Stadttheater Klagenfurt

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Nora oder Ein Puppenheim
Schauspiel in drei Akten von Henrik Ibsen / Aus dem Norwegischen von Angelika Grundlach
ab 14 Jahren
Regie ∙ Mateja Koležnik
Bühne ∙ Raimund Voigt
Kostüme ∙ Axel Aust
Bühnenmusik ∙ Mitja Vrhovnik-Smrekar
Choreografie ∙ Magdalena Reiter
Dramaturgie ∙ Sylvia Brandl
Besetzung
Nora Helmer ∙ Raphaela Möst
Torvald Helmer ∙ Till Firit
Christine Linde ∙ Anna Unterberger
Krogstad ∙ Sebastian Edtbauer
Doktor Rank ∙ Michael Schönborn
Premiere am 07. Januar 2016, 19.30 Uhr
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Sehr geehrte Theaterbegeisterte,
seit der Uraufführung 1879 in Kopenhagen ist Henrik Ibsens Nora oder Ein Puppenheim von
den Bühnen nicht mehr wegzudenken. Das Schauspiel über eine Frau, die durch ein Ereignis,
das acht Jahre zurückliegt und ans Tageslicht kommt, die Lüge ihrer Existenz und Ehe
erkennt, reißt mit, ist geschrieben wie ein Krimi, gewährt den Zuschauern tiefen Einblick in
das Denken und Fühlen der Personen. Noras Frage: Ich muss rauskriegen, wer Recht hat, die
Gesellschaft oder ich? steht immer noch im Raum. Zeitlos.
Wir wünschen Ihnen einen spannenden Theaterabend mit Nora oder Ein Puppenheim im
Stadttheater Klagenfurt.
Katharina Schmölzer
Theaterpädagogik
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Inhaltsangabe
Henrik Ibsen
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Kurzer zeitgeschichtlicher Hintergrund
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Das Stück
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Rezension zu Nora, Uraufführung am 21. Dezember 1879 in Kopenhagen
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Nora am Stadttheater Klagenfurt 2016
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Material für den Unterricht
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Henrik Ibsen
Henrik Ibsen wurde am 20. März 1828 in Skien, Norwegen geboren.
Er stammte aus einer reichen Kaufmannsfamilie. Als er acht Jahre alt war, erlebte er mit, wie
die bürgerliche Existenz seines Vaters durch Bankrott zu Grunde ging. Diese Erfahrung prägte
Ibsen.
Er musste vorzeitig das Gymnasium verlassen und begann eine Apothekerlehre. Später holte
er die Hochschulreife nach, um Medizin zu studieren.
Sein erstes Stück Catilina schrieb Ibsen 1848 unter dem Eindruck der Februarrevolution.
Er übernahm im Alter von dreiundzwanzig Jahren die künstlerische Leitung des Theaters in
Bergen. Dort sollte ein Nationaltheater entstehen, zu dessen Repertoire Ibsen jedes Jahr ein
eigenes Stück beisteuerte.
Ibsen übernahm 1857 die künstlerische Direktion des Norske Teatret in Christiania, dem
heutigen Oslo, das 1862 in Konkurs ging.
1858 heiratete er Susannah Thoresen. 1859 wurde ihr Sohn Sigurd geboren.
1864 erhielt er ein Stipendium für eine Studienreise ins Ausland und verließ Norwegen für
mehrere Jahre. Ibsen bereiste verschiedene Länder, er lebte unter anderem in Rom, Dresden
und München.
In diese Zeit fallen auch die Veröffentlichungen und Uraufführungen seiner Stücke, die ihn
zum Begründer des modernen Theaters machen.
Henrik Ibsen kehrte erst 1891 wieder nach Norwegen zurück.
1898 erschien die deutsche Gesamtausgabe seines Werkes.
Henrik Ibsen starb am 23. Mai 1906 nach drei Schlaganfällen und langem Krankenlager in
Christiania.
Werke u.a.
1850 Catilina
1850 Das Hünengrab
1853 Die Johannisnacht (dt. 1909)
1855 Frau Inger auf Östrot (dt. 1877)
1856 Das Fest auf Solhaug (dt. 1888)
1857 Olaf Liljekrans
1858 Die Helgen auf Helgeland (dt. 1876)
1862 Komödie der Liebe (dt. 1889)
1864 Die Kronprätendenten (dt. 1872)
1866 Brand (dt. 1872)
1867 Peer Gynt (dt. 1881)
1869 Der Bund der Jugend (dt. 1872)
1871 Gedichte (Auswahl)
1873 Kaiser und Galiläer (dt. 1888)
1877 Stützen der Gesellschaft (dt. 1878)
1879 Nora oder ein Puppenheim (dt. 1880)
1881 Gespenster (dt. 1884)
1882 Ein Volksfeind (dt. 1883)
1884 Die Wildente (dt. 1888)
1886 Rosmersholm (dt. 1887)
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1888 Die Frau vom Meer (dt. 1889)
1890 Hedda Gabler (dt. 1891)
1892 Baumeister Solness (dt. 1893)
1894 Klein Eyolf
1896 John Gabriel Borkman
1899 Wenn wir Toten erwachen (dt. 1900)
Henrik Ibsen schreibt über seine Arbeitsweise:
In der Regel mache ich von meinen Dramen drei Ausarbeitungen, die hochgradig voneinander
abweichen - in der Charakteristik, nicht im Verlauf der Handlung. Wenn ich an die erste
Ausarbeitung meines Stoffes herangehe, ist’s, als kennte ich meine Personen von einer
Eisenbahnfahrt; die erste Bekanntschaft ist gemacht, man hat sich über allerlei unterhalten.
Bei der zweiten Niederschrift sehe ich alles viel deutlicher vor mir, und ich kenne die
Menschen ungefähr so, wie man sich nach einem vierwöchigen Aufenthalt in einem Bade
kennt; ich habe die Grundzüge ihres Charakters und ihre kleinen Eigenheiten erfasst; aber ein
Irrtum in wesentlichen Dingen ist noch nicht ausgeschlossen. Bei der dritten Ausarbeitung
stehe ich endlich an der Grenze meiner Erkenntnis; ich kenne meine Menschen aus nahem,
dauerndem Verkehr; sie sind meine vertrauten Freunde, die mir keine Enttäuschung mehr
bereiten werden; so, wie ich sie jetzt sehe, werde ich sie immer sehen.
Ich schreibe keine Rollen, ich schildere Menschen.
Kurzer zeitgeschichtlicher Hintergrund
Norwegen kam 1815 zum Königreich Schweden, bei dem es bis 1905 blieb. Die politischen
Veränderungen führten zu rascher Industrialisierung und zur Gründung der Zentralbank von
Norwegen. Kulturell vollzog sich der Wandel von der Nationalromantik zur Moderne.
Es entstand eine neue Kunstbewegung, der Naturalismus, eine besonders radikale Variante
des kritischen Realismus. Ibsen wird von der Literaturwissenschaft zu den Realisten gezählt.
Die jungen Schriftsteller befassten sich in ihren Zirkeln mit Darwin, Marx, Engels, Bebel u.a.
Literatur sollte unter dem Einfluss von den Naturwissenschaften, der Politik und der
modernen Technik stehen. Ibsen nannte schon 1870 sein Das Fest auf Solhaug eine Studie.
Sein Werk beschrieb er als Selbstanatomie und erklärte: „Die Naturgesetze gelten auch auf
dem geistigen Gebiete.“
Der Naturalismus veränderte Themen und Figurenkonstellationen in der Literatur. Sie
wurden erweitert durch die unteren Volksschichten. Arbeiter, Kindermädchen, Kranke,
Randgruppen der Gesellschaft wurden zu Protagonisten. Situationen und Ereignisse, die bis
dahin nicht beachtet wurden, fanden getreu dem naturalistischen Prinzip, dass vor den
Augen des Künstlers alle Menschen gleich seien, Beachtung und Aufmerksamkeit.
Die wirtschaftliche Entwicklung Norwegens führte in kürzester Zeit zu einer kapitalistischen
Klassengesellschaft. Banken wurden Herrschaftsinstrumente. Nicht zufällig ist Torvald
Helmer Direktor einer Aktienbank. Verschuldung, Schuldscheine sind Thema für mehrere
Personen in Nora oder ein Puppenheim. In Ibsens eigener Biografie war der Bankrott seines
Vaters ein schlimmer Einschnitt, der sein Leben radikal veränderte.
(Quellennachweis: Königs Erklärungen, C. Bange Verlag, 2008)
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Das Stück
Nora oder Ein Puppenheim
Entstehungsgeschichte:
Familie Ibsen wohnte in Rom, sein Sohn Sigurd sollte dort an der Universität immatrikulieren.
Am 19. Oktober 1887 hält Henrik Ibsen seine Gedanken zur Gegenwarts-Tragödie, wie er sein
neues Stück nannte, schriftlich fest:
Es gibt zwei Arten von geistigen Gesetzen, zwei Arten von Gewissen, eine im Mann und eine
ganz andere in der Frau. Sei verstehen einander nicht, aber die Frau wird im praktischen
Leben nach dem Gesetz des Mannes beurteilt, als ob sie nicht eine Frau wäre, sondern ein
Mann. Die Ehefrau im Stück weiß am Schluss weder aus noch ein in der Frage, was Recht ist
oder Unrecht; das natürliche Gefühl auf der einen und der Autoritätsglaube auf der anderen
Seite bringen sie ganz in Verwirrung. Eine Frau kann in der Gesellschaft der Gegenwart nicht
sie selbst sein, welche eine ausschließlich männliche Gesellschaft ist, mit von Männern
geschriebenen Gesetzen und Anklägern und Richtern, die das weibliche Verhalten vom
männlichen Standpunkt aus beurteilen. Sie hat eine Fälschung begangen, das ist ihr Stolz.
Denn sie hat es aus Liebe zu ihrem Mann getan, um sein Leben zu retten. Aber dieser Mann
steht mit seiner alltäglichen Rechtschaffenheit auf dem Boden des Gesetzes und sieht die
Sache mit männlichem Auge an.
Seelenkampf. Unterdrückt und verwirrt vom Autoritätsglauben verliert sie den Glauben an ihr
moralisches Recht und ihre Kraft, die Kinder selbst zu erziehen. Verbitterung. Eine Mutter in
der Gesellschaft der Gegenwart macht sich, ebenso wie gewisse Insekten, bereit zu sterben,
wenn sie ihre Pflicht zur Fortpflanzung des Geschlechts getan hat. Liebe zum Leben, zum
Zuhause, zu Mann und Kindern und Familie. Ab und zu weibliches Abschütteln der Gedanken.
Plötzliche zurückkehrende Angst und Furcht. Alles muss alleine getragen werden. Die
Katastrophe nähert sich unerbittlich, unabwendbar. Verzweiflung, Kampf und Untergang.
Ein Vorbild für Nora war die norwegisch-dänische Schriftstellerin Laura Kieler, die Ibsen
kannte. Wie Nora hatte Laura Kieler ohne Wissen ihres Mannes ein Darlehen aufgenommen,
um ihm eine Reise in den Süden zu ermöglichen und seine Lungenkrankheit heilen zu lassen.
Sie schrieb einen falschen Wechsel aus, um ihre Schulden zu bezahlen. Der Schwindel flog
auf. Es kam zum Skandal. Ihr Mann verließ sie, die Kinder wurden ihr weggenommen, sie
selbst in eine Irrenanstalt eingeliefert. Nach zwei Jahren kehrte Laura Kieler zu ihrem Mann
zurück.
Im Hause Ibsen war oft die Schriftstellerin Camilla Collett zu Gast, die das Thema der
Unterdrückung der Frau immer wieder auf den Tisch brachte.
Die endgültige Fassung unterscheidet sich von der ursprünglichen Konzeption entscheidend.
Nora geht nicht in den Tod, sondern verlässt Mann und Kinder. Der versöhnliche Schluss
hätte auch die Konzeption des Dramas auf den Kopf gestellt. Die eigentliche, ursprüngliche
Alternative war der Opfertod, der bis in den Schlussakt hinein Noras Denken und Fühlen
beherrscht. Wenn sie von ihm schließlich Abstand nimmt, dann aus der Einsicht heraus, dass
sie mit ihrem Rollenengagement gescheitert ist. Ihr geplanter Selbstmord wird von ihrem
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Mann Helmer nie als Opfertod verstanden werden. Die Abrechnung, die sie ihm zum Schluss
präsentiert, lässt für eine mögliche Wendung keinen Spielraum mehr. Das Wunderbare, die
Anerkennung ihrer Individualität durch ihren Mann Helmer, ist in einem Puppenheim nicht
zu verwirklichen.
Der deutsche Verleger fand diesen Schluss zu revolutionär, und so musste ihm Ibsen einen
neuen versöhnlichen Schluss zusenden.
Ein Puppenheim hat sich im deutschsprachigen Raumunter dem Titel Nora durchgesetzt.
Verständlich, da Nora das ganze Stück über auf der Bühne präsent ist.
Die Uraufführung fand am 21. Dezember 1879 in Kopenhagen statt. Die erste
deutschsprachige Uraufführung fand am 7. Februar 1880 in Flensburg statt, jedoch mit
geändertem, versöhnendem Schluss, der sich aber letztendlich nicht durchsetzen konnte.
Nora oder ein Puppenheim galt als das Emanzipationsstück schlechthin.
Dieses meisterhaft aufgebaute Psychodrama konzentriert sich auf die inneren Vorgänge, es
gibt wenige Personen auf der Bühne, der Zeitrahmen ist eng. Alle wichtigen Dinge, die
verhandelt werden, haben in der Vergangenheit stattgefunden. Die Gegenwart, die reale
Bühnensituation beschäftigt sich mit der Enthüllung, der Aufdeckung und den daraus
resultierenden Folgen. Ibsen wendet in Nora, wie in seinen anderen Gesellschaftsdramen
auch, die retrospektive Technik der antiken Tragödie an.
(Quellennachweis: Gerd –Enns Rieger: Henrik Ibsen, Rowohlt 1981)
Handlung
Ort der Handlung ist die Wohnung des Ehepaares Torvald und Nora Helmer.
1. Akt
Es ist Weihnachten. Torvald Helmer wird im neuen Jahr Direktor der Aktienbank, ein großer
finanzieller und gesellschaftlicher Aufstieg für die Familie. Als Noras Freundin
Christine Linde auftaucht, erzählt diese ihr, dass sie vor Jahren aus rein wirtschaftlichen
Gründen einen wohlhabenden Mann geheiratet hat, dafür ihre Jugendliebe, den
Rechtsanwalt Krogstad, verlassen musste. Ihr Mann ist nun tot und Christine sucht Arbeit.
Auf Bitten Noras hin stellt Torvald Helmer sie in seiner Bank ein. Nora hatte vor acht Jahren,
kurz nach der Hochzeit, eine Unterschrift gefälscht, um ein Darlehen bei Krogstad
aufzunehmen, als Frau hätte sie ohne Bürgen kein Geld leihen können.
Sie hatte das Geld gebraucht, um mit ihrem schwerkranken Mann zu verreisen. Diese Reise
rettete höchstwahrscheinlich sein Leben.
2. Akt
Da Helmer Krogstad kündigt, versucht dieser Nora mit der gefälschten Unterschrift zu
erpressen, um seine Stellung zurückzubekommen. Krogstad schreibt Helmer einen Brief, um
Noras Fälschung offenzulegen.
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3. Akt
Krogstad und Frau Linde treffen sich im Hause Helmer. Christine gesteht Krogstad, dass sie
ihn immer geliebt hat. Die beiden finden sich wieder. Christine spricht auch Krogstad
gegenüber aus, dass Torvald Helmer von dem Schuldschein wissen soll, dass der damalige
Vorfall zwischen dem Ehepaar aufgeklärt werden muss. Torvald erhält den Brief und hat
nicht das geringste Verständnis für Noras Tat. Aber er will keinen Skandal, er hat Angst um
seinen Ruf und seine Karriere und so soll der Schein einer glücklichen Familie bestehen
bleiben. Krogstad schickt ihm aber auch den Schuldschein zurück, da sein Leben durch das
Erscheinen von Frau Linde eine glückliche Wendung nimmt. Nun ist auch für Torvald Helmer
die Welt wieder in Ordnung.
Nora aber erkennt, dass es Torvald nur um den äußeren Schein ihrer Ehe geht. Sie verlässt
ihn, weil sie nur eine Puppe für ihn ist. Die Kinder verlässt sie, weil sie diese auch nur wie
Puppen behandelt.
Die Personen in der Klagenfurter Inszenierung:
Advokat Helmer
Nora, seine Frau
Doktor Rank
Frau Linde
Rechtsanwalt Krogstad
gestrichen sind:
Helmers drei kleine Kinder
Anne-Marie, Kindermädchen bei Helmers
Hausmädchen bei Helmers
Ein Dienstbote
Rezension zu Nora oder ein Puppenheim
Die Geschichte einer Ehe
Ein Puppenheim ist eine Ehegeschichte, in einem Drama erzählt und so erzählt, dass die Fabel
jedenfalls teilweise über Tausende erzählen könnte. Darum hat dieses Schauspiel so stark
bewegt, und – man darf das wohl sagen – so sehr gequält. Denn wir haben gesehen, dass
diese wenig lustige Geschichte über uns alle erzählt wird. Und eine unangenehme Wahrheit
quält uns immer, besonders, wenn sie uns im Beisein so vieler Menschen zugerufen wird.
Helmers und Noras Ehe ist nicht glücklich, nicht zufriedenstellend, ganz sicher nicht die
wahre Ehe. Aber viele Eheleute im Leben leben ebenso wie dieses Ehepaar auf der Bühne.
Helmer ist Advokat, ein angesehener Mann, der nur anständige Geschäfte machen will, der
gewissenhaft in allen Dingen ist, wahrheitsliebend – gegenüber anderen – im Ganzen sicher
ehrenhafter als die meisten. Ein gutes Beispiel für einen von denen, welche die Gesellschaft
ihre besten Stützen nennt und nennen muss. Er ist außerdem ein gebildeter Mann, eine
feinentwickelte Natur, Kind einer Zeit, wo die Schönheit eine größere Rolle spielte als jetzt,
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ästhetisch veranlagt, äußere Schönheit liebend, sozial präsentabel allenthalben – kurz gesagt,
moralisch und sozial korrekt.
Dieser Mann ist „der Mann“.
Nora ist hübsch, lebhaft, vielleicht belesen und musikalisch. Sie hat die Bücher verschlungen,
die im Bücherschrank ihres Vaters standen, die Melodien gespielt, die sie zu Hause auf dem
Notenständer fand. Man hat ihr gesagt, was sie denken sollte, und sie hat es gedacht, weil sie
glaubte, dass alle es dachten und dass es so sein müsse. Dann ist eine Zeit gekommen, wo sie
angefangen hat, etwas Neues zu ersehnen und zu erträumen. Ihr Traum hat Form
angenommen in Gestalt eines Mannes, und Helmer, der gerade im gegebenen Augenblick
gekommen ist und diese Möglichkeit des Sich-Verliebens, die bei ihr keimte, befruchtet hat,
ist dieser Mann geworden. Es ist, kurz gesagt, ganz so zugegangen, wie es zu gehen pflegt,
wenn ein junges Mädchen, das anscheinend ist, wie es junge Mädchen meistens sind, verlobt
und verheiratet wird.
Wie ist diese Ehe dann geworden? Ungewöhnlich glücklich? Eine lange Verliebtheit acht
Jahre hindurch, ein Leben, das verlaufen ist wie ein Fest, auf dem Nora die erklärte Göttin
und Helmer der Opferpriester gewesen ist, der ihrer Anmut und ihrer Schönheit opferte. Es
hat niemals ein böses Wort zwischen ihnen gegeben, sie ist ein bisschen verschwenderisch
gewesen und braucht viel Haushaltsgeld; isst auch dann und wann eine Makrone, obwohl er
es verboten hat. Aber sonst ist alles gut. Alle müssen meinen – und sie meinen es selbst –,
dass sie an der Seite des anderen ein glückliches Leben geführt haben.
Und doch zeigt es sich, dass der Dichter mit ihrer Ehe unzufrieden ist. Denn eine Ehe ist ein
Zusammenleben. Nora und Helmer haben zusammen gespielt, nie zusammen gelebt, und als
der Tag der Prüfung kommt, zeigt es sich darum, dass die Verliebtheit, auf welche ihre Ehe
gebaut war, eines niemals gewesen oder geworden ist: Liebe. Als der Augenblick eintrifft, wo
die Liebe, die sich selbst vergisst und sich nur an den erinnert, den sie liebt, alles auf sich
nehmen sollte, da versagt Helmer, seine Ehrenhaftigkeit ist unzureichend, seine Verliebtheit
verschwindet, nur sein Egoismus bleibt und spricht. So sieht Nora, dass sie hier mit einem
fremden Mann gelebt hat und dass sie drei Kinder mit einem Fremden hat.
Was diese Ehe vernichtet, ist nicht bloß – obwohl das Hauptanliegen des Dramas wohl ist,
uns den Egoisten als Ehemann zu zeigen – Helmers Egoismus, der in seiner Frau nur eine
Puppe gesehen hat, die sein Leben schmückte und seine Eitelkeit befriedigen konnte, es ist
auch Noras Leichtsinn und Unvermögen. Es ist ein Missverständnis zu glauben, dass der
Dichter nur einen Vorwurf gegen die Männer richten will, er muss gerecht genug sein, um
auch Nora zurechtweisen zu wollen. Wenn Nora in ihrer Ehe etwas vermisst hätte, wenn sie
sich nach dem Wunderbaren gesehnt hätte, von dem sie spricht, hätte sie ja einen Versuch
machen müssen, es zu befördern. Sie ist ja doch seine Frau, und es muss in jeder Ehe Zeiten
geben, wo eine Frau mehr werden kann als eine Puppe oder eine gesetzliche Geliebte,
nämlich eine wahre Frau für ihren Mann. Aber Nora hat nichts versucht, sie hat gelacht, sich
geputzt, getanzt, sich geopfert, das Geld für die Reise beschafft, gearbeitet, um es
zurückzahlen zu können, aber sie hat nie den Versuch gemacht, ihre Vereinigung zu einer Ehe
zu machen. Wahrscheinlich hat sie sich gar nicht klar gemacht, was sie vermisste, ihre
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Sehnsucht ist vage und unbestimmt geblieben. Aber das sieht lbsen natürlich gut. Er weiß
sehr gut, dass Nora nicht die ganze Verantwortung für das, was sie geworden ist, auf ihren
Vater und ihren Mann schieben kann, und dass man sich niemals zu einer willenlosen Puppe
machen darf. Deshalb ist es auch ein Missverständnis – wenn auch leider ein leicht
verständliches -, wenn man sagt, dass Nora als Sieger geht. Das tut sie nicht. Hier ist nicht die
Rede von einem Sieg, und Nora siegt ebenso wenig wie Helmer. Ihr Unrecht ist ebenso groß
wie seines, denn in der Ehe, wo alles gegenseitig ist, ist die Verpflichtung dieselbe, und wenn
Nora das Wunderbare vermisste, nämlich das wahre Zusammenleben in ihrer Verbindung,
hätte sie selbst versuchen können, es zu befördern.(…) Dass sie die Kinder verlässt, ist der am
meisten umstrittene Punkt in diesem so sehr umstrittenen Stück. Wo sollen die Kinder hin,
wenn eine unglückliche und unwahre Ehe aufgelöst wird? Oder soll das Unwahre ihretwegen
bestehen bleiben? Soll die Wahrheit geopfert werden, oder soll man aus Rücksicht auf die
Kinder auf eine verderbliche Einigung eingehen?
Es ist schwer, diese Frage zu beantworten, und Ibsen hat sie auch nicht beantwortet. Er lässt
Nora fortziehen, und er hat mit diesem Fortgehen den Gordischen Knoten zerhauen. Aber
den Knoten zu zerhauen, heißt nicht, ihn zu lösen. Ein Puppenheim ist keine Antwort, nur
eine imponierende Frage.
Und die durchschlagende Wirkung des Stückes zeigt, dass viele die Frage aufgenommen
haben. Henrik Ibsen kann zufrieden sein – er hatte sicher keinen anderen Sieg erwartet.
(Herman Bang: Rezension der Uraufführung am 21. Dezember 1879, Königliches Theater in
Kopenhagen.)
Die Uraufführung fand am 21. Dezember 1879 in Kopenhagen statt. Die Inszenierung mit
Betty Hennings als Nora erreichte in der gleichen Saison die für damalige Verhältnisse
erstaunliche Zahl von 21 Aufführungen. Die gleiche Inszenierung wurde mit derselben, etwas
gealterten Nora am 9. Februar 1907 zum hundertsten Mal gespielt.
In Skandinavien setzte sich das Stück nicht nur auf dem Theater schnell durch, sondern
wurde auch ein beispielloser Bucherfolg. Die erste Auflage von 8000 Exemplaren wurde so
schnell verkauft, dass innerhalb von drei Monaten eine zweite und dritte Auflage folgten. (…)
Mit diesem Stück, das heute in alle Kultursprachen übersetzt ist, begründete Ibsen seinen
Weltruhm. Nora wurde eine der begehrtesten Frauen-Rollen. (…) Die Rezeption als
Emanzipationsstück hat auf die Dauer den dichterischen und menschlichen Gehalt, auf den
es Ibsen in erster Linie ankam, nicht verdeckt.
(Quellennachweis: Gerd –Enns Rieger: Henrik Ibsen, Rowohlt 1981)
Das Stück war eine Sensation. Nora oder Ein Puppenheim feierte Erfolge auf den Bühnen
Europas. Das Schauspiel wurde mehrmals verfilmt, u.a. 1973 mit Jane Fonda als Nora, 1974
von Rainer Werner Fassbinder, mit Margit Carstensen in der Titelrolle. Ingmar Bergmans
Szenen einer Ehe setzte Ibsens Stück dort fort, wo es aufgehört hatte. Das Ehepaar besuchte,
bevor die Krise ausbrach, eine Vorstellung von Nora.
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Elfriede Jelineks Nora (1979) zeigt die Trümmer der Emanzipationsgeschichte. Jelinek hat
Ibsens Szenen teilweise übernommen, um zu zeigen, wie wenig sich seit Ibsens Stück
geändert hat.
Nora hat zu unzähligen Parodien angeregt, es entstanden auch erfundene Fortsetzungen.
(Quellennachweis: Königs Erklärungen, C. Bange Verlag, 2008)
Die Veränderung gegenüber der Zeit als Ibsen das Schauspiel schrieb, lässt sich daran
ablesen, dass diese (auch damals schon) die Gemüter bewegende Frage immer dringlicher
wird. Mit bloßem Weggehen ist es nicht (mehr) getan.
(Rolf Michaelis)
Nora oder ein Puppenheim am Stadttheater Klagenfurt 2016
Schauen die Zuschauer auf die Bühne, so könnten sie den Eindruck einer Puppenstube
haben. In der Bühnentiefe ein karger, schöner Raum, der den Charme einer großbürgerlichen
Altbauwohnung ausstrahlt.
Auf Inventar wird verzichtet, alles ist in Weiß gehalten. Die beiden Türen, die dem Raum die
Atmosphäre eines Durchgangszimmers verleihen, werden zu Spielpartnern und
Geheimnisträgern. Was und wer ist hinter den Türen? Dialoge finden zwischen Tür und Angel
statt.
Das Bühnenbild, das auf jeden Aufputz verzichtet, lenkt die Aufmerksamkeit auf die
Personen. Die Zuschauer entkommen ihnen nicht.
Die Nora, die am Anfang des Stückes die Bühne betritt, glaubt man sofort kategorisieren zu
können. Auch ihren Ehemann kennt man, so wie er sich verhält. Umso spannender, wie sich
die Geschichte entwickelt, wie sich die Personen verändern.
Das Regieteam hat es geschafft, einen Spielraum zu eröffnen, der voll und ganz von der
Geschichte belebt und gestaltet wird, von den Schauspielerinnen und Schauspielern, die den
Text mit ihren Haltungen und Emotionen plastisch machen und so das Publikum auf die
Bühne ziehen und nicht mehr loslassen, bevor der Schlussvorhang fällt.
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Material für den Unterricht
Vorbereitung:
Textausschnitte aus Nora:
1.Akt
Nora Nimmt eine Tüte mit Makronen aus der Tasche und isst ein paar, darauf geht sie vorsichtig zur
Tür ihres Mannes. Summt wieder.
Helmer in seinem Zimmer: Ist das die Lerche, die da draußen zwitschert?
Nora im Begriff, einige der Pakete zu öffnen: Ja, das ist sie.
Helmer Ist es das Eichhörnchen, das da rumort?
Nora Ja!
Helmer Wann ist das Eichhörnchen denn nach Hause gekommen?
Nora Grad eben. Steckt die Makronentüte in die Tasche und wischt sich über den Mund: Komm raus,
Torvald, und schau dir an, was ich gekauft habe.
Helmer Nicht stören! Kurz darauf öffnet er die Tür und sieht herein: Gekauft, sagst du? Das alles? Ist
mein lockeres Vögelchen wieder draußen gewesen und hat mit Geld um sich geworfen?
Nora Aber Torvald, dies Jahr müssen wir uns doch wirklich ein bisschen was erlauben. Es ist doch das
erste Mal, dass wir Weihnachten nicht sparen müssen.
Helmer Also, weißt du, verschwenden können wir nicht.
Nora Doch, Torvald, ein bisschen können wir jetzt schon verschwenden. Nicht wahr? Nur ein
winziges kleines bisschen. Jetzt bekommst du doch ein großes Gehalt und wirst bald viel, viel Geld
verdienen.
Helmer Ja, ab Neujahr, aber dann vergeht noch ein ganzes Vierteljahr, bevor das Gehalt fällig ist.
Nora Pah, so lange können wir ja borgen.
Helmer Nora! Geht zu ihr und nimmt sie scherzhaft am Ohr: Geht jetzt der Leichtsinn wieder mit dir
durch? Angenommen, ich borge heute tausend Kronen und du bringst sie in der Weihnachtswoche
durch und dann kriege ich Silvester einen Zielgestein auf den Kopf und liege da·Nora legt ihm die Hand auf den Mund: Pfui, sag' nicht so was Hässliches.
Helmer Nimm mal an, dass so was passieren würde – was dann?
Nora Wenn so was Scheußliches passieren würde, wäre es mir völlig egal, ob ich Schulden hätte oder
nicht.
Helmer Und die Leute, von denen ich geborgt hätte?
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Nora Die? Was gehen uns die an? Das sind doch Fremde.
Helmer Nora, Nora, du bist ein Weib! Nein, aber im Ernst, Nora, du weißt, wie ich in diesem Punkt
denke. Keine Schulden! Niemals borgen! Es kommt etwas Unfreies und also auch etwas Unschönes
über das Heim, das auf Borgen und Schulden gegründet ist. Wir beide haben nun bis heute tapfer
ausgehalten, und das wollen wir auch weiter tun - es ist ja nur noch für kurze Zeit.
Nora: Ja, ja, wie du willst, Torvald.
Helmer: Aber, aber, die kleine Singlerche wird doch jetzt nicht die Flügel hängen lassen. Wie? Steht
das Eichhörnchen da und mault. Nimmt das Portemonnaie heraus: Nora, was glaubst du, was ich hier
habe?
Nora dreht sich rasch um: Geld!
(…)
Helmer Wie nennt man doch noch die Leute, die immer mit Geld um sich werfen?
Nora Ja, ja, lockere Vögel, ich weiß schon. Aber lass es uns doch so machen, wie ich sage, Torvald,
dann hab' ich auch Zeit zu überlegen, was ich am dringendsten brauche. Das ist doch sehr vernünftig.
Oder?
Helmer Doch, sicher, das heißt, wenn du wirklich das Geld zusammenhalten könntest, das ich dir
gebe, und wenn du wirklich etwas für dich selbst davon kaufen würdest. Aber so geht es drauf für
den Haushalt und dies und das und allerlei nutzloses Zeug und dann bin ich wieder dran.
Nora Ach, Torvald Helmer Ist nicht zu leugnen, meine liebe kleine Nora. Legt den Arm um sie: Mein Vögelchen ist süß,
aber es braucht sehr viel Geld. Es ist unglaublich, wie kostspielig es für einen Mann ist, sich so ein
Vögelchen zu halten.
Nora Pfui, wie kannst du nur so was sagen. Ich spare doch wirklich, wo ich nur kann.
Helmer lacht: Ja, das ist ein wahres Wort. Wo du nur kannst. Aber du kannst eben nicht.
Nora summt und lächelt stillvergnügt: Hm, wenn du wüsstest, was für Ausgaben wir Lerchen und
Eichhörnchen haben, Torvald.
Helmer Du bist ein komisches kleines Ding. Ganz wie dein Vater. Du nimmst jede Gelegenheit wahr,
um zu Geld zu kommen, aber sobald du es hast, zerrinnt es dir gleichsam unter den Händen, du weißt
nie, was du damit gemacht hast. Nun, man muss dich nehmen, wie du bist. Das liegt im Blut. Doch,
doch, doch, Nora, so was ist erblich.
Nora Ach, ich wünschte, ich hätte viele von Papas Eigenschaften geerbt.
Helmer Und ich wünsche dich nicht anders als genauso, wie du bist, meine süße kleine Singlerche.
Aber hör mal, da ist etwas -. Du siehst heute so - so - wie soll ich mich ausdrücken? - so verdächtig
aus.
Nora So?
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Helmer Ja, wirklich. Sieh mir mal in die Augen.
Nora sieht ihn an: Nun?
Helmer droht mit dem Finger: Das Leckermäulchen sollte doch wohl nicht etwa heute in der Stadt
über die Stränge geschlagen haben?
Nora Nein, wie kommst du denn darauf.
Helmer Hat das Leckermäulchen wirklich keinen Abstecher in die Konditorei gemacht?
Nora Nein, ich versichere dir, Torvald Helmer Nicht ein bisschen Kompott genascht?
Nora Nein, überhaupt nicht.
Helmer Nicht einmal eine Makrone geknabbert oder zwei?
Nora Nein, Torvald, ich versichere dir wirklich Helmer Na, na, na, natürlich war das nur ein Scherz.
Nora: Es würde mir nie einfallen, dir zuwiderzuhandeln.
3. Akt
Nora Du hast mich nie verstanden. - Es ist viel Unrecht an mir verübt worden, Torvald. Erst von Papa
und dann von dir.
Helmer Was! Von uns beiden, -von uns beiden, die dich mehr als alle andern geliebt haben?
Nora schüttelt den Kopf: Ihr habt mich nie geliebt. Es hat euch nur Spaß gemacht, in mich verliebt zu
sein.
Helmer Nora, was sind das für Worte?
Nora Ja, das ist nun mal so, Torvald. Als ich noch zu Hause bei Papa war, hat er mir seine Meinungen
über alles erzählt, und so hatte ich dieselben Meinungen; und wenn ich andere hatte, dann hab' ich
das verheimlicht, denn das hätt' er nicht gemocht. Er nannte mich sein Puppenkind, und er spielte
mit mir, wie ich mit meinen Puppen gespielt hab'. Dann kam ich zu dir ins HausHelmer Was für einen Ausdruck gebrauchst du denn da für unsere Ehe?
Nora unbeirrt: Ich mein', dann bin ich aus Papas Händen in deine übergegangen. Du hast alles nach
deinem Geschmack eingerichtet, und so bekam ich denselben Geschmack wie du, oder ich tat nur so,
ich weiß nicht genau, - ich glaub', es war von beidem was, bald das eine, bald das andere. Wenn ich
jetzt zurückblicke, wird mir klar, dass ich hier wie ein bettelarmer Mensch gelebt habe, - nur von der
Hand in den Mund. Ich hab' davon gelebt, dir Kunststücke vorzumachen, Torvald. Aber du wolltest es
ja so haben. Du und Papa, ihr habt eine große Sünde an mir begangen. Ihr seid schuld daran, dass aus
mir nichts geworden ist.
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Helmer Nora, wie ungerecht und undankbar du bist. Bist du hier nicht glücklich gewesen?
Nora Nein, das bin ich nie gewesen. Ich hab' es geglaubt, aber ich bin es nie gewesen.
Helmer Nicht - nicht glücklich!
Nora Nein, nur lustig. Und du warst immer so nett zu mir. Aber unser Heim war nichts weiter als eine
Puppenstube. Hier war ich deine Puppenfrau, so wie ich zu Hause Papas Puppenkind war. Und die
Kinder, die waren wieder meine Puppen. Es machte mir Spaß, wenn du mit mir spieltest, so wie es
ihnen Spaß machte, wenn ich mit ihnen spielte. Das war unsere Ehe, Torvald.
Helmer Es ist etwas Wahres an dem, was du sagst, ..... so übertrieben und überspannt es auch ist.
Aber von jetzt an soll es anders werden. Die Zeit des Spielens ist vorbei, jetzt kommt die der
Erziehung.
Nora Wessen Erziehung? Meine oder die der Kinder?
Helmer Sowohl deine als auch die der Kinder, meine geliebte Nora.
Nora Ach, Torvald, du bist nicht der Mann, um mich zu einer richtigen Frau für dich zu erziehen.
Helmer Und das sagst du?
Nora Und ich, - wie bin ich darauf vorbereitet, die Kinder zu erziehen?
Helmer Nora!
Nora Hast du es nicht vor einer Weile selbst gesagt, - diese Aufgabe wagst du mir nicht
anzuvertrauen?
Helmer Im Augenblick der Erregung! Wie kannst du das ernst nehmen?
Nora Nein, das hast du ganz richtig gesagt. Ich kann diese Aufgabe nicht bewältigen. Zuerst muss
eine andere Aufgabe gelöst werden. Ich muss versuchen, mich selbst zu erziehen. Und du bist nicht
der Mann, mir dabei zu helfen. Das muss ich allein schaffen. Und darum geh' ich jetzt weg von dir.
Helmer springt auf: Was sagst du da?
Nora Ich muss ganz auf meinen eigenen Füßen stehen, wenn ich mir über mich und alles andere klar
werden will. Deshalb kann ich nicht mehr bei dir bleiben.
Helmer Nora, Nora!
Nora Ich werd' jetzt sofort von hier weggehen. Kristine nimmt mich wohl für heut Nacht bei sich auf Helmer Du bist wahnsinnig! Das erlaub' ich dir nicht! Ich verbiete es dir!
Nora Es nützt nichts, mir jetzt noch was zu verbieten. Ich nehm' mit, was mir gehört. Von dir will ich
nichts haben, weder jetzt noch später.
Helmer Was für ein Wahnwitz!
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Nora Morgen fahr' ich nach Hause, - ich mein', in meine alte Heimat. Dort wird es am leichtesten für
mich sein, irgendwo unterzukommen.
Helmer Oh du verblendetes, unerfahrenes Geschöpf!
Nora Ich muss versuchen, Erfahrungen zu sammeln, Torvald.
Helmer Dein Heim verlassen, deinen Mann und deine Kinder! Und du denkst nicht daran, was die
Leute sagen werden.
Nora Darauf kann ich keine Rücksicht nehmen. Ich weiß nur, es ist notwendig für mich.
Helmer Oh, es ist empörend. So kannst du deine heiligsten Pflichten verraten!
Nora Was betrachtest du als meine heiligsten Pflichten?
Helmer Das muss ich dir erst noch sagen! Sind es nicht die Pflichten gegen deinen Mann und deine
Kinder?
Nora Ich habe andere ebenso heilige Pflichten.
Helmer Das hast du nicht. Was für Pflichten sollten das wohl sein.
Nora Die Pflichten gegen mich selbst.
Helmer Du bist in erster Linie Frau und Mutter.
Nora Daran glaub' ich nicht mehr. Ich glaube, dass ich in erster Linie ein Mensch bin, ich genauso gut
wie du, - oder jedenfalls, dass ich versuchen muss, es zu werden. Ich weiß, dass die meisten dir
rechtgeben werden, Torvald, und dass so was in den Büchern steht. Aber ich kann mich nicht mehr
damit begnügen, was die meisten sagen und was in den Büchern steht. Ich muss selber über die
Dinge nachdenken und versuchen, mir darüber klar zu werden. (…)
1. Die beiden ausgewählten Szenen sollen laut vorgelesen werden.
2. Die SchülerInnen sollen die Dialogpartner, also Torvald und Nora, anhand des Textes
beschreiben.
Welche Veränderung nehmen sie zwischen den verschiedenen Textpassagen wahr? - Die
Handlung von Nora spielt sich an drei aufeinanderfolgenden Tagen ab.
3. Ein Foto soll gemacht werden. Zwei SchülerInnen stellen sich hin, um das Ehepaar aus dem
1.Akt darzustellen. Zwei andere um das Ehepaar aus dem 3. Akt zu zeigen.
Wie unterscheiden sich die Bilder voneinander?
4. Torvald aus dem 1.Akt beschreibt seine Frau. Ebenso beschreibt Nora ihren Mann.
5. Die gleiche Übung wird mit den Personen aus dem 3.Akt gemacht.
An die beiden Torvalds und die beiden Noras werden Fragen gestellt.
z.B. Was magst du einer deiner Frau/deinem Mann am liebsten?
Wie soll der ideale Ehemann/ die ideale Ehefrau sein?
Also Fragen, die in erster Linie die Beziehung, die Ehe betreffen.
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6. Eine Diskussion wird angeregt, ob die Dialoge auch heute noch so stattfinden könnten.
7. Gibt es für die SchülerInnen die Mann - und Fraurolle noch, wie sie im Schauspiel Nora
gezeigt wird?
8. Wortassoziationsspiele:
Wörter werden der Reihe nach assoziiert. Mehrere Runde mit verschiedenen
Anfangswörtern: Ehe, Liebe, Vertrauen, Frau, Mann, Geld, Karriere, Freiheit, Puppe, Heim,
Gesellschaft.
Nach dem Theaterbesuch:
Was hat der Bühnenraum erzählt?
Welche Atmosphäre überträgt sich?
In welcher Zeit siedeln die SchülerInnen die Inszenierung an?
Nora wurde vor 136 Jahren uraufgeführt. Ist die Geschichte von Nora heute noch aktuell?
Erinnert Nora in ihrem Aussehen an eine bestimmte Puppe?
Wie würden sie die einzelnen Personen, so wie sie in der Klagenfurter Inszenierung gespielt werden,
beschreiben? Handelt es sich um Prototypen?
Kennen sie Verhaltensmuster, die ihnen bei den Personen im Stück begegnen, aus ihrem Leben, aus
ihrem Umfeld? Treffen die Muster auf bestimmte Berufsgruppen, auf bestimmte
Gesellschaftsschichten zu?
Was ist das Wunderbare, auf das Nora wartet? Bringt es in einem Wort bzw. einem kurzen Satz auf
den Punkt.
Wie interpretieren die SchülerInnen das Ende von Nora in der Klagenfurter Inszenierung?
Was nehmen sie aus der Inszenierung mit?
Leben heißt –
Dichten heißt -
Dunkler Gewalten
Gerichtstag halten
Spuk in sich bekämpfen.
Über sein eigenes Ich.
Henrik Ibsen
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