BLICK 01 - 2009 thema mischen, ägyptischen und israelitischen Schriften postulieren darf. (Fotos ESA / Collage Gunnar Bartsch) 34 „Am Anfang war das Wort“ … oder doch der Urknall? Religiöse Wahrheiten und naturwissenschaftliche Erkenntnisse sind zwei verschiedene Ansätze, die sich gegenseitig aber nicht ausschließen. G enesis“ oder „Die Entstehung der Arten“, Evolutionstheorie oder wörtliche Bibelauslegung? Die katholische Kirche hat sich deutlich positioniert. Warum sie den Kreationismus ablehnt und wie sie naturwissenschaftliche Erkenntnisse mit theologischem Verständnis verbindet, dazu nimmt Professor Theodor Seidl, Lehrstuhl für Altes Testament und biblisch-orientalische Sprachen, im Interview Stellung. Herr Professor Seidl, was ist unter Kreationismus zu verstehen? Kreationismus ist eine neue Bewegung, die von Amerika auf den europäischen Kontinent übergegangen ist. Sie ist eine antidarwinische Theorie, welche die Evolutionslehre ganz bewusst ablehnt und das wörtliche Verständnis der biblischen Schöpfungsgeschichte reklamiert. Der Kreationismus geht von einem Schöpfer aus, der uranfänglich die Welt ins Dasein gerufen hat. In den Vereinigten Staaten wird diese Lehre vor allem von fundamentalistischen Kreisen mit kämpferischer Attitüde vorgetragen. Wo ist nach dem Ursprung dieser Schöpfungsgeschichte zu suchen? Die biblischen Schöpfungsberichte haben interessante Parallelen in Mesopotamien und Ägypten. Dort wird die Vorstellung der Schöpfung zum Beispiel durch einen Kampf der Götter oder durch Zeugung und Geburt beschrieben. Im Zweistromland gibt es Schöpfungsepen wie das „Enûma elîsch“ oder das noch nicht lange bekannte „Atramchasis-Epos“. Letzteres hat insofern frappierende Parallelen zum zweiten Schöpfungsbericht der Bibel, als es gleichermaßen anthropozentrisch akzentuiert ist. Zum Vergleich und für eine bessere Auslegung der biblischen Texte eignen sich auch die ägyptischen Weltentstehungslehren und Schöpfungstheologien. Warum sind sich viele dieser Geschichten sehr ähnlich – gibt es vielleicht einen gemeinsamen Ursprung? Das schließen wir heute aus. Die Gemeinsamkeiten ergeben sich aus dem übergreifenden altorientalischen Kulturhorizont, der Ägypten, Mesopotamien, Syrien und die ägyptischen Großreiche umspannt. Deswegen muss es keine literarische Beeinflussung gegeben haben, keine Abhängigkeit auf schriftlicher Basis. Durch Geografie und Klima ergab sich eine ähnliche Fragestellung nach dem Warum und Wie der bestehenden Welt. Schöpfungsberichte sind also keine naturwissenschaftlichen, kausal ausgerichteten Weltentstehungstheorien, sondern religiöse Deutungen der Welt, wie sie ist. Und weil sich diese Welt in Ägypten und Mesopotamien – also in Flusskulturen – mit ähnlichen Problemen, Fragestellungen und Gegebenheiten präsentiert, kommt es auch zu solchen Parallelen. Zeitlich und regional liegen die Berichte so weit auseinander, dass man keine unmittelbare literarische Abhängigkeit zwischen diesen mesopota- Die Schöpfungsgeschichte, von der Sie gesprochen haben, welche Stellung nimmt sie in der katholischen Lehre ein? Sie ist die Grundlage der christlichen Schöpfungslehre; diese erfährt im Neuen Testament eine Fortführung: Dort wird das Christusereignis in die Schöpfungsthematik integriert. Sie hat gleichfalls Bedeutung für die Kirchenväter und die gesamte systematische Theologie, die freilich von der griechischen Philosophie geprägt ist. Als Exeget lege ich diese Texte aber mit Blick auf ihre Entstehungszeit und die vorchristliche Umwelt aus. Die systematische Theologie hat lange die Schöpfungsberichte der Bibel mit dem aristotelischen Kausalprinzip interpretiert, mit einseitigem Blick auf die prima causa. Wie fügt sich hier die Evolutionslehre ein? Eine kritische Interpretation der biblischen Schöpfungsberichte in ihrem historischen Kontext steht nicht im Widerspruch zur Evolutionslehre, weil die biblischen Texte Bekenntnistexte sind und religiöse Zielsetzungen aufweisen, während die Evolutionslehre eine naturwissenschaftliche Welterklärung darstellt. mit einem fundamentalistischen Bibelverständnis angehören, das heißt, die Bibel wörtlich nehmen. Allerdings war auch die römische Kirche zu Zeiten Galileis und Darwins diesem wörtlichen, also fundamentalistischen Bibelverständnis verpflichtet. Was will man mit diesem fundamentalistischen Denken erreichen? Die Bibel als oberste Glaubensautorität „retten“, indem man sie vordergründig naiv wörtlich nimmt. Seit wann wird in der katholischen Theologie die heute gängige Richtung verfolgt und warum? Seit dem Zweiten Vatikanum (Anm. d. Redaktion: Oktober 1962 bis Dezember 1965), in der evangelischen Kirche bereits seit Beginn der Aufklärung am Ende des 18. Jahrhunderts. Ein echter Quantensprung in der katholischen Kirche vollzog sich, als das kirchliche Lehramt die kritische Bibelauslegung als die angemessene Methode akzeptiert hat. Was wurde dadurch erreicht? Eine Entspannung im Gespräch von Theologie und Naturwissenschaften in Hin- blick auf das Verständnis der Schöpfungslehre. Die beiden biblischen Schöpfungsberichte sind auf dem alten, längst verabschiedeten, weil naturwissenschaftlich nicht mehr haltbarem Weltbild aufgebaut. Die biblischen Autoren waren darin Kinder ihrer Zeit und in diesem Sinne durchaus auch fehlbar – bezogen auf historisch bedingte, zeitbegrenzte Aussagen. Eine fundamentalistische Bibelauslegung erweist sich überall dort als falsch, wo sie offenkundige Unwissenheiten der biblischen Autoren als unfehlbare Wahrheit annehmen muss, wie zum Beispiel, dass Hase und Dachs Wiederkäuer seien oder Insekten vier Beine hätten. Zusammengefasst heißt das also…? Die Schöpfungstexte der Bibel bedienen sich der Sprache des Mythos. Ein Mythos im Alten Orient und auch in der klassischen Antike möchte die Welt erklären, wie sie ist, und die Wirklichkeit aus gläubiger Sicht deuten. Mythen sind Lebens- und Weltdeutung, aber keine Theorien der Weltentstehung. Fragen: Dr. Gabriele Geibig-Wagner Aber: Wie geht ein gläubiger Mensch im Alltag damit um? Der gläubige Mensch muss lernen, die Schöpfungsberichte der Bibel richtig zu verstehen und sie nicht wortwörtlich zu nehmen. Kreationismus ist eine oberflächliche, vordergründige und nicht sachgemäße Interpretation der Bibel. Dagegen kämpfe ich als Exeget an. Die biblischen Schöpfungsberichte bekennen, dass Gott die Welt erschaffen hat und dass er die Welt erhält. Vom Wie ist keine Rede. In den Schöpfungstexten der Bibel geht des demnach eher um die Welterhaltung als um die Weltentstehung. So hat also auch der gläubige Mensch keine Probleme, wenn er die Evolutionslehre als plausible naturwissenschaftliche Welterklärung annimmt. Warum greifen gläubige Menschen in den USA auf den Kreationismus zurück? Weil sie meist Gruppierungen Professor Theodor Seidl (Foto Dr. Gabriele Geibig-Wagner) thema BLICK 01 - 2009 35