„Am Anfang war das Wort“ … oder doch der Urknall?

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BLICK 01 - 2009
thema
mischen, ägyptischen und israelitischen
Schriften postulieren darf.
(Fotos ESA / Collage Gunnar Bartsch)
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„Am Anfang war das Wort“
… oder doch der Urknall?
Religiöse Wahrheiten und naturwissenschaftliche Erkenntnisse sind zwei
verschiedene Ansätze, die sich gegenseitig aber nicht ausschließen.
G
enesis“ oder „Die Entstehung
der Arten“, Evolutionstheorie
oder wörtliche Bibelauslegung? Die katholische Kirche hat sich deutlich positioniert. Warum sie den Kreationismus
ablehnt und wie sie naturwissenschaftliche Erkenntnisse mit theologischem
Verständnis verbindet, dazu nimmt
Professor Theodor Seidl, Lehrstuhl für
Altes Testament und biblisch-orientalische Sprachen, im Interview Stellung.
Herr Professor Seidl, was ist unter
Kreationismus zu verstehen? Kreationismus ist eine neue Bewegung, die
von Amerika auf den europäischen
Kontinent übergegangen ist. Sie ist
eine antidarwinische Theorie, welche
die Evolutionslehre ganz bewusst ablehnt und das wörtliche Verständnis
der biblischen Schöpfungsgeschichte
reklamiert. Der Kreationismus geht
von einem Schöpfer aus, der uranfänglich die Welt ins Dasein gerufen hat. In
den Vereinigten Staaten wird diese Lehre vor allem von fundamentalistischen
Kreisen mit kämpferischer Attitüde
vorgetragen.
Wo ist nach dem Ursprung dieser
Schöpfungsgeschichte zu suchen?
Die biblischen Schöpfungsberichte
haben interessante Parallelen in Mesopotamien und Ägypten. Dort wird
die Vorstellung der Schöpfung zum
Beispiel durch einen Kampf der Götter oder durch Zeugung und Geburt
beschrieben. Im Zweistromland gibt
es Schöpfungsepen wie das „Enûma
elîsch“ oder das noch nicht lange bekannte „Atramchasis-Epos“. Letzteres
hat insofern frappierende Parallelen
zum zweiten Schöpfungsbericht der
Bibel, als es gleichermaßen anthropozentrisch akzentuiert ist. Zum Vergleich und für eine bessere Auslegung
der biblischen Texte eignen sich auch
die ägyptischen Weltentstehungslehren
und Schöpfungstheologien.
Warum sind sich viele dieser Geschichten sehr ähnlich – gibt es
vielleicht einen gemeinsamen Ursprung? Das schließen wir heute aus.
Die Gemeinsamkeiten ergeben sich aus
dem übergreifenden altorientalischen
Kulturhorizont, der Ägypten, Mesopotamien, Syrien und die ägyptischen
Großreiche umspannt. Deswegen muss
es keine literarische Beeinflussung gegeben haben, keine Abhängigkeit auf
schriftlicher Basis. Durch Geografie
und Klima ergab sich eine ähnliche
Fragestellung nach dem Warum und
Wie der bestehenden Welt. Schöpfungsberichte sind also keine naturwissenschaftlichen, kausal ausgerichteten
Weltentstehungstheorien, sondern religiöse Deutungen der Welt, wie sie ist.
Und weil sich diese Welt in Ägypten
und Mesopotamien – also in Flusskulturen – mit ähnlichen Problemen,
Fragestellungen und Gegebenheiten
präsentiert, kommt es auch zu solchen
Parallelen. Zeitlich und regional liegen
die Berichte so weit auseinander, dass
man keine unmittelbare literarische Abhängigkeit zwischen diesen mesopota-
Die Schöpfungsgeschichte, von
der Sie gesprochen haben, welche
Stellung nimmt sie in der katholischen Lehre ein? Sie ist die Grundlage der christlichen Schöpfungslehre;
diese erfährt im Neuen Testament
eine Fortführung: Dort wird das
Christusereignis in die Schöpfungsthematik integriert. Sie hat gleichfalls
Bedeutung für die Kirchenväter und
die gesamte systematische Theologie,
die freilich von der griechischen Philosophie geprägt ist. Als Exeget lege
ich diese Texte aber mit Blick auf ihre
Entstehungszeit und die vorchristliche Umwelt aus. Die systematische
Theologie hat lange die Schöpfungsberichte der Bibel mit dem aristotelischen Kausalprinzip interpretiert,
mit einseitigem Blick auf die prima
causa.
Wie fügt sich hier die Evolutionslehre ein? Eine kritische Interpretation
der biblischen Schöpfungsberichte in
ihrem historischen Kontext steht nicht
im Widerspruch zur Evolutionslehre,
weil die biblischen Texte Bekenntnistexte sind und religiöse Zielsetzungen
aufweisen, während die Evolutionslehre eine naturwissenschaftliche Welterklärung darstellt.
mit einem fundamentalistischen Bibelverständnis angehören, das heißt, die
Bibel wörtlich nehmen. Allerdings war
auch die römische Kirche zu Zeiten
Galileis und Darwins diesem wörtlichen, also fundamentalistischen Bibelverständnis verpflichtet.
Was will man mit diesem fundamentalistischen Denken erreichen?
Die Bibel als oberste Glaubensautorität
„retten“, indem man sie vordergründig
naiv wörtlich nimmt.
Seit wann wird in der katholischen
Theologie die heute gängige Richtung verfolgt und warum? Seit dem
Zweiten Vatikanum (Anm. d. Redaktion: Oktober 1962 bis Dezember 1965), in
der evangelischen Kirche bereits seit
Beginn der Aufklärung am Ende des
18. Jahrhunderts. Ein echter Quantensprung in der katholischen Kirche
vollzog sich, als das kirchliche Lehramt die kritische Bibelauslegung als
die angemessene Methode akzeptiert
hat.
Was wurde dadurch erreicht? Eine
Entspannung im Gespräch von Theologie und Naturwissenschaften in Hin-
blick auf das Verständnis der Schöpfungslehre. Die beiden biblischen
Schöpfungsberichte sind auf dem alten, längst verabschiedeten, weil naturwissenschaftlich nicht mehr haltbarem
Weltbild aufgebaut. Die biblischen
Autoren waren darin Kinder ihrer Zeit
und in diesem Sinne durchaus auch
fehlbar – bezogen auf historisch bedingte, zeitbegrenzte Aussagen. Eine
fundamentalistische Bibelauslegung
erweist sich überall dort als falsch,
wo sie offenkundige Unwissenheiten
der biblischen Autoren als unfehlbare
Wahrheit annehmen muss, wie zum
Beispiel, dass Hase und Dachs Wiederkäuer seien oder Insekten vier Beine hätten.
Zusammengefasst
heißt
das
also…? Die Schöpfungstexte der Bibel bedienen sich der Sprache des Mythos. Ein Mythos im Alten Orient und
auch in der klassischen Antike möchte
die Welt erklären, wie sie ist, und die
Wirklichkeit aus gläubiger Sicht deuten. Mythen sind Lebens- und Weltdeutung, aber keine Theorien der
Weltentstehung.
Fragen: Dr. Gabriele Geibig-Wagner
Aber: Wie geht ein gläubiger
Mensch im Alltag damit um? Der
gläubige Mensch muss lernen, die
Schöpfungsberichte der Bibel richtig
zu verstehen und sie nicht wortwörtlich zu nehmen. Kreationismus ist eine
oberflächliche, vordergründige und
nicht sachgemäße Interpretation der
Bibel. Dagegen kämpfe ich als Exeget
an. Die biblischen Schöpfungsberichte
bekennen, dass Gott die Welt erschaffen hat und dass er die Welt erhält.
Vom Wie ist keine Rede. In den Schöpfungstexten der Bibel geht des demnach eher um die Welterhaltung als um
die Weltentstehung. So hat also auch
der gläubige Mensch keine Probleme,
wenn er die Evolutionslehre als plausible naturwissenschaftliche Welterklärung annimmt.
Warum greifen gläubige Menschen
in den USA auf den Kreationismus
zurück? Weil sie meist Gruppierungen
Professor Theodor Seidl
(Foto Dr. Gabriele Geibig-Wagner)
thema
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