Reise in das digitale Zeitalter

Werbung
1 2016 Das Magazin für die Kunden der Schindler Aufzüge AG
next floor
Reise in das
digitale Zeitalter
Industrie 4.0 – Evolution oder Disruption
Michael Nilles: «Digitalisierung einsetzen, wo es Sinn macht»
BIM – Bauen vor dem Bauen
Digitale Fabrikation – Quantensprung für Architektur
Inhalt
4
Industrie 4.0 – Evolution,
Revolution oder Disruption?
8
Digitale Revolution im Kundenservice
12
Michael Nilles: «Digitalisierung unterstützt
den Austausch zwischen Menschen»
16
Leichter und besser unterwegs mit dem
digitalen Werkzeugkoffer von Schindler
18
BIM – Bauen vor dem Bauen,
am Beispiel Spital Limmattal
22
Schweizer Bauwirtschaft tut sich
noch schwer mit der Digitalisierung
26
Digitale Fabrikation – Quantensprung für
die Architektur
30
Russell Loveridge: «Planen und Bauen
wird sich dramatisch verändern»
31
Schindler-Hochleistungsaufzüge für
Aiguille du Midi im Mont-Blanc-Massiv
34
Roche Bau 1 – eines der energieeffizientesten
Hochhäuser Europas
38
next news: Spezielle Projekte und Produkte
aus der Schindler-Welt
Impressum
Herausgeber Schindler Aufzüge AG, Marketing & Kommunikation, CH-6030 Ebikon Redaktion Beat Baumgartner Redaktionsadresse next floor,
­Zugerstrasse 13, CH-6030 Ebikon / Luzern, nextfloor @ ch.schindler.com Adressverwaltung address @ ch.schindler.com Litho click it AG Layout aformat.ch
Druck Multicolor Print AG Auflage 32 000 Ex. Ausgaben next floor erscheint zweimal jährlich in deutscher, französischer und italienischer Sprache Titelbild Im Rahmen des Forschungsschwerpunkts Digitale Fabrikation haben Wissenschaftler der ETH Zürich einen revolutionären Roboter entwickelt.
Er kann mauern sowie schweissen – und ermöglicht dadurch neue Architekturformen. Bild Nique Nager, Luzern.
Copyright Schindler Aufzüge AG, Nachdruck auf Anfrage und mit Quellenangabe www.schindler.ch
Editorial
Digitalisierung
Liebe Leserinnen und Leser
Die Digitalisierung durchdringt immer stärker unseren Alltag, ob beim E-Banking, Self-Scanning
und Check-out im Lebensmittelladen oder beim Buchen unserer Ferien. Die elektronische Auf­
bereitung und moderne Nutzung von Daten und Informationen lassen keine Branche unberührt.
Dank 3D-Print, Automatisation und intelligenten Robotern zeichnen sich in manchen Bereichen
der Industrie geradezu revolutionäre Veränderungen ab.
Schindler hat bereits in einer frühen Phase auf die Digitalisierung gesetzt, zum Beispiel mit automatischen Lift-Zugangssystemen. In den letzten Jahren sind verschiedene Tools und Applikationen hinzugekommen, die unseren Kunden und uns selber die Arbeit erleichtern. Das Schindler
Dashboard zum Beispiel gibt unseren Kunden den kompletten Überblick über den Zustand ihrer
Aufzüge. Mit einem Fingertipp können sie jederzeit alle weiteren Daten und Details abrufen.
Sie sehen dabei auch, ob es etwa technische Störungen gab und wie lange es dauerte, bis die
Servicetechniker diese behoben hatten.
Architekten und Ingenieure haben mit dem Schindler-Planungsnavigator ein 3D-Zeichnungs­
system in der Hand, um die Aufzüge am Computer perfekt ins Gebäude zu integrieren. Feld­
applikationen wie der digitale Werkzeugkoffer unterstützen unsere Servicetechniker beim
­Einsatz, von der Routenplanung bis zur elektronischen Bestellung der Ersatzteile. Die Analyse
der von den Aufzügen ins Backend-System von Schindler eingespeisten Daten nutzen wir zur
Fernüberwachung und vorausschauenden Wartung.
Lesen Sie also auf den folgenden Seiten, wie die Welt von Industrie 4.0 mehr und mehr zum
Standard wird. Auch wenn wir darin mit verschiedenen Applikationen und Tools frühzeitig schon
einiges realisiert haben, ist die digitale Transformation für uns noch längst nicht abgeschlossen.
Die Reise geht weiter mit dem Ziel, die Qualität und Effizienz unserer Leistung und die Zuverlässigkeit unserer Aufzüge und Fahrtreppen nochmals zu steigern. Unsere Kunden laden wir ein,
die neuen digitalen Dienstleistungen zu nutzen und uns auf dieser spannenden Reise in die
­Zukunft zu begleiten.
Viel Spass beim Lesen wünscht Ihnen
Rainer Roten
CEO Schindler Schweiz
next floor
3
Industrie 4.0
Industrie 4.0 – Evolution,
Revolution oder Disruption?
Die vierte industrielle Revolution krempelt Industrie, Wirtschaft und Arbeitswelt völlig um. Die Schweiz
gehört zu den Pionieren der Entwicklung und ist bestens darauf vorbereitet. Zu diesem Schluss kommen
die Strategieberater von Roland Berger in ihrer Studie «Industry 4.0 – The role of Switzerland within an
European manufacturing revolution».
4
Text Pirmin Schilliger Bild Schindler Group | Roland Berger | Fotolia
D
ie ersten selbstfahrenden Autos kurven herum, in Kalifornien
und im Test auch schon mal in Zürich. In der Schweiz hat die
Post kürzlich den digitalen Briefkasten lanciert, das «Milchkästli 4.0».
Kluge Kühlschränke gibt es, die Milch und Butter selber nachbestellen und sich übers Mobiltelefon steuern lassen. Und auch sensitive
Heizungen sind auf dem Markt, die auf Wetterprognosen reagieren
und Lastwagen, die mittels GPS navigieren und ihre Frachtaufträge
übers Internet koordinieren und optimieren. Smarte Mobilität also,
smarte Gebäude, smarte Logistik, smarte Netzwerke – alles schon
vorhanden. Und doch ist dies laut den Autoren der Studie «Indus­try 4.0 – The role of Switzerland within an European manufacturing
revolution» erst ein Anfang. «Es ist bestenfalls ein Zehntel dessen,
was in den nächsten fünfzehn Jahren noch geschehen wird», sagt
Mitverfasser Oliver Grassmann von Roland Berger.
Der Schlüsselbegriff für diese neue Entwicklung heisst Industrie 4.0.
«Es geht dabei um die weitgehende Vernetzung und Automatisierung der gesamten industriellen Wertschöpfungskette durch
­Digitalisierung», erklärt Oliver Grassmann. Diese vierte Stufe der
­industriellen Revolution, nach Dampfmaschine, Fliessband und
Computer, wird riesige Veränderungen auslösen. Ob Evolution,
­Revolution oder – gemäss neustem Terminus – Disruption:
Industrie 4.0 bringt einen umfassenden Transformationsprozess
ins Rollen, bei dem die Karten in vielen Bereichen der Wirtschaft
von Grund auf neu gemischt werden.
Virtuell-physische Systeme und Marktplätze
Industrie 4.0 knüpft wesentlich bei der auf IT und Elektronik basierenden, von Computern gesteuerten und schon länger vorhandenen Automatisation an. Ein Novum ist allerdings, dass in der neuen
4.0-Welt über die blossen Daten hinaus auch Dinge und Objekte
nahtlos ins weltweite Informationsnetzwerk integriert werden.
­Wissens- und Warenwelt durchdringen sich gegenseitig. Alles, was
über eingebettete Elektronik verfügt und Internet-Protokolle versteht, lässt sich in die virtuelle Welt einbinden: Armbanduhren,
Thermostaten, Strassenlampen, Maschinen, ja sogar ganze Fabriken. Die vierte industrielle Revolution basiert auf der Idee einer unbegrenzten Digitalisierung, in der letztlich alle Aktivitäten und produktiven Einheiten der Wirtschaft miteinander verlinkt sind und in
einem ständigen Fluss Informationen austauschen. «Die physikalische und die virtuelle Welt verschmelzen», betont Oliver Grassmann.
IT-Programme, heute schon Hirn und Herz vieler Produktionssysteme,
werden in Zukunft noch bedeutsamer. Die Rechner werden noch
mehr intelligente Maschinen und Roboter steuern, die Transport- und
Lagerungsprozesse noch kompletter automatisieren. ­Algorithmen
und Apps werden das Personal beim Marketing, Verkauf und der
­ undenbetreuung noch besser unterstützen. Industrie 4.0 ermöglicht
K
nicht nur eine effizientere, sondern auch eine flexiblere und leichter
steuerbare Produktion, die rollend auf neue Bedürfnisse entlang der
Wertschöpfungskette angepasst werden kann.
Roboter und neue Rohstoffe
Die Computer der 4.0-Generation erkennen Sprache und Bilder. Die
neuen Roboter verfügen über Muskelkraft und über geistige Fähigkeiten – kein Zukunftsszenario, sondern bereits Realität: Roboter
Yumi von ABB zum Beispiel denkt mit, kommuniziert mit seinen
menschlichen Kollegen im Team und arbeitet mit ihnen Hand in
Hand. Ausserdem weiten die 4.0-Roboter ihren Aktionsradius nochmals beträchtlich aus. Über die Produktion hinaus übernehmen sie
Funktionen in der Logistik, im Back-Office und – warum nicht –
auch in der Führung. Sie ermöglichen den 24-Stunden-Betrieb, ohne
dass für die Nachtschichten länger menschliche Arbeitskräfte benötigt werden. «Ob Industrie 4.0 tatsächlich eine Revolution ist, wird
sich noch zeigen. Auf jeden Fall revolutionär ist das unglaubliche
Tempo dieses Transformationsprozesses», meint Oliver Grassmann.
Tatsächlich bringt es die rasende Digitalisierung mit
«Es geht dabei um die
sich, dass sich die elektroniweitgehende Vernetzung
schen Daten derzeit alle ein
und Automatisierung der
bis zwei Jahre verdoppeln.
gesamten industriellen
Die anschwellende Datenflut
zählt zu den neuen RohstofWertschöpfungskette
fen von Industrie 4.0. Aus
durch Digitalisierung.»
der Datenmenge lassen sich
Verhaltensmuster erkennen,
Bedürfnisse ableiten und
entsprechend neue Produkte
und Dienstleistungen kreieren, bis und mit neuen Geschäftsmodellen.
Industrie 4.0 beschleunigt
auch die Forschung und ­Entwicklung. Die einzelnen Schritte werden
mittels 3D-Design simuliert, bis ein virtuelles Ergebnis als ausgereifte Lösung vorliegt. Die früher notwendigen Proto­t ypen, Pilotund Testserien, Kalibrierungen und Feinjustierungen ­erübrigen sich.
Bei der Umsetzung einer Innovation in die reale Produktionswelt
verschwimmen die Grenzen zwischen Labor und Werkbank. Wenn
es hauptsächlich nur noch darum geht, Daten zu transferieren, kann
die physische Produktion ebenso gut in ­mobilen Fertigungsinseln
dezentral und lokal erfolgen, in Kleinstserien und ohne lange Umrüstzeiten. Dabei wird der 3D-Printer zum wichtigsten ­Zulieferer. Die
grössere Freiheit und Flexibilität im Produktionsprozess erlaubt c
next floor
5
Industrie 4.0
es, auch massgeschneiderte Produkte zu vergleichsweise geringen Grenzkosten zu fertigen. Zudem wird die Verteilung von Ersatzteilen und einfachen Konsumgütern leichter.
In den Medien, auf Kongressen und bei Symposien ist Industrie 4.0
längst ein Dauerthema. Auf den Podien diskutieren die Experten,
ob der Prozess Fluch oder Segen bedeutet. Einig sind sie sich darin,
dass Unternehmen, die die sich damit bietenden Möglichkeiten
nicht nutzen, an Wettbewerbsfähigkeit einbüssen. Sie riskieren, aus
dem Markt gedrängt zu werden. Selbst etablierte Player, die in der
analogen Welt gross geworden sind, kommen folglich nicht darum
herum, ihre Geschäftsmodelle zu überdenken und sich allenfalls neu
zu erfinden. Dabei treffen sie auf neue Mitbewerber und werden
mit radikal neuen Geschäftsmodellen konfrontiert. Allianzen werden geschmiedet, es gibt neue Formen der Zusammenarbeit zwischen multinationalen Playern und auf Nischen ausgerichteten
KMUs. Die Rollen entlang der Wertschöpfungsketten werden neu
verteilt.
c
Die Schweiz in bester Ausgangsposition
Welche Chancen bietet Industrie 4.0 speziell der Schweiz? «Die
Schweiz befindet sich laut unserer Studie in einer ausgezeichneten
Ausgangslage», sagt Oliver Grassmann. Sie gehört mit Deutschland
und Irland zu den Spitzentreibern der Entwicklung. Die gute Ausgangsposition beruht auf einer breiten industriellen Basis mit einem,
im internationalen Vergleich, hohen industriellen Wertschöpfungsanteil von annähernd 20 Prozent. Zudem ist der Automatisierungsgrad vieler Unternehmen bereits jetzt hoch. Die Autoren der Studie
weisen ausserdem auf die fortschrittlichen Geschäftsbedingungen
hin, auf eine gesunde Mischung von traditionellen und avantgardistischen Unternehmen, von KMUs und globalen Playern. Nicht zuletzt sind die digitalen Infrastrukturen auf neustem Stand, und dem
Land fehlt es nicht an gut ausgebildetem Personal. Wissen ist das
Kerngeschäft der 4.0-Zukunft der Industrie. Die Schweiz verfügt
­dafür heute schon über führende Kompetenzzentren in Inge­nieurs­
kunst, Robotik, Automation, Computerwissenschaften, Pharma,
Sensortechnik, Bio- und Nanotechnologie, Optik usw. «Wir sehen,
dass Schweizer Unternehmen wie auch europäische ­Firmen in
­Industrie 4.0 führend sind», betont Oliver Grassmann. Die vierte
­industrielle Revolution hat also begonnen, zum Beispiel bei ABB mit
dem Yumi-Roboter. Oder beim deutschen Hersteller Kuka, der die
6
Arbeitswelt ebenfalls mit lernfähigen Robotern beliefert. ­Industrie
4.0 lässt sich auch bei BMW in Regensburg erleben, wo wiederum
mit Hilfe von Robotern derzeit neun Fahrzeugtypen im stabilen
Takt über ein Hauptmontageband produziert werden. ­Siemens setzt
mit der «Digital Factory» neue Massstäbe, Bosch mit der eigenen
IoT Cloud.
Zu den Pionieren von Industrie 4.0 zählen die Berater von Roland
Berger auch Schindler. Sie verweisen dabei auf den digitalen Werkzeugkoffer (siehe auch Seite 16). Tatsächlich hat Schindler mit diesem und weiteren Digitalisierungsschritten heute schon realisiert,
was in der Industrie 4.0-Welt punkto Service bald Standard sein
könnte: eine vorausschauende Wartung, die den Zustand der Anlagen permanent im Auge behält und das Risiko unvorhergesehener
Unterbrüche massiv reduziert. Die installierten Aufzüge und Fahr­­
treppen sind jetzt ein Teil des «Internets der Dinge» und bleiben über
ihren gesamten Lebenszyklus in den betrieblichen Alltag integriert. n
Selbst etablierte Player,
die in der analogen Welt gross
geworden sind, kommen
folglich nicht darum herum,
ihre Geschäftsmodelle zu
überdenken und sich allenfalls
neu zu erfinden.
Peter Schneidewind
ist Senior Partner im Competence Center EPHT in ­Zürich,
mit Verantwortung für Anlagenbau. Als Experte der Industrie –
mit grosser Praxis­erfahrung – und der Beratung hat er
fundiertes ­W issen in der Konzeption und Umsetzung von
Smart- ­Efficiency-Programmen, im Vertrieb und PMI.
«Wir erleben
eine dramatische Beschleunigung»
Nachgefragt beim Berater Peter ­Schneidewind von Roland Berger in Zürich.
Industrie 4.0 ist in aller Munde, doch
wie weit sind wir mit der Umsetzung:
Stecken wir schon mittendrin im Prozess
oder stehen wir erst am Anfang?
Peter Schneidewind: In Branchen wie der Automobil- oder der Maschinenindustrie ist
Industrie 4.0 schon in vollem Gange. In anderen Branchen hingegen steckt sie noch in den
Anfängen.
Mittel- und längerfristig erwarten wir noch
grössere Veränderungen im Hochbau. In 20
bis 30 Jahren dürften ganze Gebäude mit Hilfe
von 3D-gedruckten Komponenten erstellt
werden, die tragenden Bauteile genauso wie
die Haustechnik. Dabei eröffnen sich völlig
neue gestalterische und technische Möglichkeiten. Und die ausführenden Arbeiten unterstützen dann vermehrt ­Roboter.
Wo zum Beispiel?
Ich denke etwa an das Bauhauptgewerbe.
Auf den heutigen Baustellen dominiert immer
noch maschinenunterstützte Handarbeit. Verbreiteter ist I­ndustrie 4.0 bei den Architekten
und Ingenieuren, also in der Planung, sowie
bei den Bauzulieferern, die über die digitale
Vernetzung die Lieferketten optimieren. Insgesamt aber hat die Reise im Bausektor gerade
erst begonnen. Es zeichnet sich klar ab, dass
Industrie 4.0 den Planungsprozess dramatisch
beschleunigen und verkürzen wird. In der Zulieferung ermöglicht sie eine bislang unvorstellbare Transparenz über die Verfügbarkeit
von Materialien und eine sehr präzise Abstimmung.
Gemäss dem «Industry 4.0 Readyness
Index» ­befindet sich die Schweiz in hervorragender ­Ausgangsposition. Ist das Land
bereit, diese Chance zu nutzen?
Wir sind in der Schweiz hinsichtlich Industrie
4.0 tatsächlich gut aufgestellt. Der Automatisierungsgrad vieler Unternehmen ist bereits
hoch, es gibt gut ausgebildetes Personal, und
es fehlt auch nicht am notwendigen Investitionskapital. Werden alle Möglichkeiten genutzt, erwarten wir über alle Industrien hinweg ein zusätzliches Wertsteigerungspotenzial von 15 Milliarden Franken.
Das bedingt aber, dass wir uns mit dem gleichen Wagemut an Industrie 4.0 heranwagen,
wie das amerikanische Unternehmen tun: Unverkrampft und ohne Angst, auch mal Fehler
zu machen. In Bezug auf Dynamik und innovatives Umfeld setzen die USA in der Industrie
4.0 die Massstäbe. Wir können und müssen
davon noch einiges lernen, auch wenn es in
der Schweiz bereits einige Unternehmen gibt,
die wir zu den Pionieren von Industrie 4.0 zählen, wie ABB oder Schindler.
Was passiert in Zukunft
auf der Baustelle selbst?
Das grösste Potenzial hat Industrie 4.0 kurzfristig im Tiefbau, wo die Bedienung von Maschinen automatisiert werden kann. Der autonome Bagger wird wahrscheinlich schneller
kommen als der autonome Personenwagen.
Wird uns, wie Kritiker von Industrie 4.0
­befürchten, die Arbeit ausgehen,
wenn die Roboter und Algorithmen das
Kommando ­übernommen haben?
Wenn dem so wäre, dann wäre uns schon bei
der Einführung des mechanischen Webstuhls
oder der Dampfmaschine die Arbeit ausgegangen. Durch Industrie 4.0 entsteht neues
Wertschöpfungspotenzial, das letztlich zu
mehr Wohlstand führt. Der Strukturwandel,
den Industrie 4.0 zweifellos auslöst, muss
­allerdings gestaltet und begleitet werden.
­Niederqualifizierte Produktionsarbeitsplätze
werden weitgehend automatisiert. Ersetzt
werden diese durch höherqualifizierte Arbeitsplätze in der Bedienung und Programmierung
der neuen, automatisierten Produktion sowie
durch neue Jobs in den neuen Geschäfts­
modellen. Darüber ­hinaus können Länder
wie die Schweiz durch vermehrten Technologie-Export Arbeitsplätze hinzugewinnen.
Die grosse Herausforderung ist es, dafür zu
sorgen, dass die Umschulung bestehender
und die Ausbildung zukünftiger Arbeitnehmer
in eine Richtung läuft, wo nicht einzelne Menschen auf der Strecke bleiben. Ich bin aber
­optimistisch und überzeugt, dass wir mit der
richtigen Weichenstellung in der Bildung die
Frage der zukünftigen Arbeitsverteilung in
der Industrie 4.0 lösen können. n
next floor
7
Digitale Revolution
Kunden erwarten heute in allen
Geschäftsfeldern einen Premium-Service
und das in Rekordzeit. Dabei spielen
neu entwickelte Apps eine zentrale Rolle.
8
App statt Hotline, Fernsteuerung statt Besuch des Servicetechnikers, Nachbarschaftshilfe
statt Unternehmenssupport – der Kundenservice ändert sich derzeit gewaltig. Digitalisierung,
Automatisierung und neue Geschäftsmodelle machen Kunden das Leben leichter.
Digitale Revolution
im Kundenservice
Text Vera Hermes Bild Gettyimages | Fotolia | OPEL
E
igentlich verdient die Mila AG ihr Geld mit der guten alten Nachbarschaftshilfe. Die nennt sich heute kollaborativer Service oder
Crowdservicing und hat es wirklich in sich: Diese Spielart des Customer Care könnte für den traditionellen Kundenservice so etwas werden wie Uber für die Taxi-Branche oder AirBnB für die Hotellerie,
nämlich ein völlig neues plattformbasiertes Geschäftsmodell.
Das 2013 gegründete und Ende 2015 von Swisscom mehrheitlich
übernommene Start-up funktioniert zum Beispiel so: Der Kunde
­eines Telekommunikationsanbieters unterzeichnet einen Mobilfunkvertrag und erhält zugleich ein neues Smartphone. Ein anderer
wechselt zum Breitband-Internetzugang und bekommt dafür einen speziellen Router. Ein dritter erwirbt eine diWie kriegt man die
gitale TV-Box und ausserdem einen
Dinger zum Laufen?
neuen Fernseher. Kaum sind die beBei der Hotline rufen
gehrten Produkte ­geliefert, gehen die
die wenigsten an,
Probleme los: Wie kriegt man die Dindenn das kann
ger zum Laufen? Bei der Hotline rufen
bekanntlich
lange
die wenigsten an, denn das kann bedauern, ist mühsam
kanntlich lange dauern, ist mühsam
und kostet Nerven.
und kostet Nerven. Also fragen viele
Menschen Freunde oder Bekannte, die
sich auskennen.
Kunden suchen «Friends» via App
Dieses Verhalten macht sich Mila zunutze: Über den Online-Marktplatz oder via App können Endkunden so­genannte «Friends» – ganz
normale Leute, die ihnen weiterhelfen – in ihrer Gegend finden, buchen und bewerten. Laut Mila erhalten 80 Prozent der Kunden innerhalb der ersten Stunde Hilfe. Den Preis für den Service handeln
Friend und Kunde individuell aus. Mila ­erhält eine Provision. Weil
viele Menschen ihr Wissen gern weitergeben, hat Mila kein Problem,
Friends zu generieren. Die Kunden nutzen den Service gern, denn er
ist schnell und flexibel. Zudem vertrauen sie den Friends, denn die
wohnen in der Regel in der Nachbarschaft und können auch mal
abends oder am Wochenende vorbeikommen. Oder man trifft sich
samt Gerät im Café um die Ecke.
Beim Crowdservicing fungieren die Auftraggeber nur noch als Mittler – deren Contact Center verweist die Endkunden an die Plattform,
die technisch in die Kundenserviceprozesse integriert ist. Die Auftraggeber müssen weder das Personal vorhalten, noch bezahlen
oder schulen.
Premium-Service in Rekordzeit
Derlei Geschäftsmodelle nützen den Kunden und das ist heute
oberste Priorität. Kunden erwarten heute Premium-Service in Rekordzeit. Die Messlatte legen digitale Superstars wie Amazon oder
Apple, deren Service in puncto Einfachheit, Anwendbarkeit und
Kundenorientierung geradezu revolutionär gut ist. Kein Mensch versteht mehr, warum eine Kontoeröffnung acht Tage dauert, eine Versicherung Wochen zur Bearbeitung eines Vorfalls braucht oder eine
Ware nicht binnen Tagen verfügbar ist.
Apropos Kontoeröffnung: Auch die
Finanzdienstleistungsbranche wird
sich künftig im Kundenservice deutAlso fragen viele
lich mehr anstrengen müssen.
Menschen Freunde
Junge Fintech-Start-ups drängen
oder Bekannte,
mit schnellen, kostenlosen Services
auf den Markt. Beim unlängst mit
die sich auskennen.
viel Venture-Capital bedachten
Start-up Number 26 dauert die Eröffnung eines kostenlosen Girokontos via Smartphone gerade mal acht Minuten.
Für viele Kunden sind Self Services, etwa via App, schon heute eine
Selbstverständlichkeit, sie rufen erst dann beim Kundenservice an,
wenn sie im Web keine Lösung ihres Problems finden. Immer öfter
muss der Kunden schon gar nicht mehr tätig werden, Service geschieht ohne sein Zutun, das Stichwort lautet: Internet der Dinge.
Produkte werden ein Update bekommen, bevor sie kaputtgehen.
Während beispielsweise VW Dieselfahrzeuge in die Werkstätten c
next floor
9
Digitale Revolution
Service wird in Zukunft im alltäglichen Leben
allgegenwärtiger, er wird stark daten­getrieben und
für Unternehmen nahezu aller Branchen ein
unverzicht­barer Bestandteil ihres Geschäfts­modells sein.
10
Dr. Heike Simmet, BWL-Professorin
an der Hochschule Bremerhaven,
bezeichnet Autobauer Opel als Vorbild in
Sachen digitalisierter Kundenservice.
zurückholt, implementiert Tesla regelmässig neue Funktionen via
Mobilfunk; da kann es schon mal passieren, dass das Fahrzeug nach
einem Software-Update zehn Prozent weniger Strom verbraucht bei
zehn Prozent höherer Leistung. Fernwartung (remote maintenance)
und Fernsteuerung (remote control) sorgen schon heute in der Industrie dafür, dass Produktionsausfälle erst gar nicht entstehen. Wie
das ganz hervorragend funktioniert, stellt Schindler mit seiner gemeinsam mit Apple entwickelten Softwareplattform unter Beweis
(siehe Seite 12 und 16).
c
Autobauer Opel als Vorbild
Für Dr. Heike Simmet, BWL-Professorin an der Hochschule Bremer­
haven, ist Opel OnStar ein Vorbild für innovativen Service: Die Fahrer
kommen unter anderem in den Genuss eines leistungsstarken
WLAN-Hotspots, einer automatischen Pannen- und Notfallhilfe per
Knopfdruck sowie natürlich der Zieleingabe. Sie können per Smartphone Fahrzeuginformationen wie Reifenluftdruck und Öllebensdauer abrufen, und es gibt einen Diebstahl-Notfallservice, für den
Opel mit der Polizei zusammenarbeitet. Ausserdem sendet das
­System monatlich einen Statusbericht mit den wichtigsten Fahrzeugdaten.
«Opel macht das fantastisch», sagt Heike Simmet, «das ist ein hervorragendes Beispiel für Service über das Internet der Dinge.» Selbst
bei der Erklärung des Systems im Web ist Opel voll im Trend, nämlich im Bewegtbild-Trend: Sämtliche Features werden in kurzen
­Filmen einfach und verständlich erläutert. Somit vereint der Autobauer rund um OnStar gerade die wesentlichen Service-Erfolgsfaktoren Internet der Dinge, Smartphone und Bewegtbild zu einem
­cleveren, nutzwertigen Service.
Vieles hat Opel automatisiert: Erst wenn es ans Eigentum oder gar
ums Leben geht – etwa bei einem Unfall –, wird sofort ein persönlicher Kontakt zu einem Menschen aus Fleisch und Blut hergestellt.
«Menschen, die solche Premium-Services erbringen, werden ihren
Preis haben», sagt Heike Simmet. Sie schätzt, dass Contact-CenterAgenten zu 99 Prozent durch Maschinen ersetzt werden – nicht
aber qualifizierte Berater, denn der Bedarf der Menschen an per­
sönlichem, individuellem Service werde wachsen.
Service, so viel steht fest, wird in Zukunft im alltäglichen Leben allgegenwärtiger, er wird stark datengetrieben und für Unternehmen
nahezu aller Branchen ein unverzichtbarer Bestandteil ihres Geschäftsmodells sein. n
next floor
11
Digitale Revolution
Die Schindler-Gruppe ist auf dem Weg in die neue digitale Zukunft. Ein fachübergreifendes
Team hat in den vergangenen Jahren Innovationen vorangetrieben, die nicht nur für die
Aufzugsindustrie revolutionär sind. Welche Verbesserungen das für die Kunden bringt, erklärt
Michael Nilles, Chief Digital Officer (CDO) und Mitglied der Konzernleitung von Schindler.
12
«Die Digitalisierung
unterstützt den Austausch
zwischen den Menschen»
Text Marc Lustenberger Bild Nique Nager | Michael Zollinger
S
chindler ist ein klassischer Industriekonzern,
der mit Aufzügen und Fahrtreppen täglich
eine Milliarde Menschen bewegt.
Warum geniesst gerade die Digitalisierung
bei Ihnen einen derart hohen Stellenwert?
Michael Nilles: Schindler war schon immer ein Unternehmen, das sehr stark auf Innovationen gesetzt hat.
Bereits in den vergangenen Jahrzehnten wurden
bahnbrechende Innovationen gemacht. So
hat Schindler zum Beispiel die Zielrufsteuerung auf
den Markt gebracht. Im Zuge der Digitalisierung ergeben sich nun vielfältige neue Chancen, wie wir unseren Kundinnen und Kunden einen noch besseren Service bieten können. Gleichzeitig konnten wir uns
innerhalb der Branche einen klaren Wettbewerbsvorteil verschaffen.
Schindler wurde vergangenes Jahr mit dem
«MIT Sloan CIO Leadership Award» des
­Massachusetts Institute of Technology für
den innovativen Einsatz digitaler Technologien
ausgezeichnet. Was ist an den Methoden
neu, die Sie mit Ihrem Team entwickelt haben?
Wir haben uns sehr über den MIT-Award gefreut,
weil er eine ­renommierte Auszeichnung ist. Sie zeigt,
dass Schindler auf dem Gebiet der Digitalisierung in
der obersten Liga spielt. Wir haben als Team bei
Schindler sehr intensiv an digitalen Lösungen gearbeitet. Wir entwickelten in den vergangenen drei
Jahren komplett neue und innovative Lösungen für
das Servicegeschäft mit unseren Kunden. Dazu haben wir eine integrierte Plattform aufgebaut, die es
­ermöglicht, dass die Servicetechniker, die Kunden,
aber auch unsere Call-Center-Mitarbeiter in einem
integrierten System zusammenarbeiten. So konnten
wir den Prozess für die Kunden und alle Beteiligten
deutlich verbessern.
Die Erfolge der Schindler-Gruppe bei der Digitalisierung der
Dienstleistungen und Prozesse sind der intensiven Zusammenarbeit von fachübergreifenden Teams zu verdanken.
Was können wir uns konkret darunter
vorstellen? Wie funktioniert heute die Arbeit
des Servicetechnikers?
Ein Servicemitarbeiter von Schindler beginnt seinen
Arbeitstag ­irgendwo auf der Welt. Als erstes startet
er sein iPhone. Auf seinem Display findet er den sogenannten digitalen Werkzeugkoffer. Das sind verschiedene Apps, die ihm alle wichtigen Informationen
­liefern. Er sieht zum Beispiel die Route, die er an diesem Tag abfahren muss. Er findet aber auch technische Angaben zu den einzelnen Aufzügen, die er auf
seiner Tour warten muss. Und er erhält An­gaben zur
Historie einer Anlage, Informationen über den Kunden sowie die Möglichkeit, direkt über eine App Ersatzteile zu bestellen.
Welche Vorteile bringen diese neuen
Technologien den Kunden?
Für unsere Kunden ist es ein noch einfacherer Weg,
mit Schindler zusammenzuarbeiten. Wenn früher ein
Aufzug ausfiel, konnte es lange dauern, bis beispielsweise der Facility Manager des Gebäudes informiert
war. Das war für ihn unter Umständen unangenehm.
Heute erhält er eine solche Nachricht über eine App
direkt auf sein Smartphone oder auf ein anderes Gerät. Er sieht auf einen Blick, dass eine seiner Anlagen
ausgefallen ist, dass bereits ein Servicetechniker unterwegs ist und wann die Anlage voraussichtlich wieder in Betrieb genommen werden kann. Mit diesem
Angebot sind wir führend in der Aufzugsindustrie.
Findet der Kontakt mit den Kunden nur noch
auf digitalem Weg statt? Oder gibt es weiterhin
auch Telefon-Hotlines?
Die Digitalisierung ist für uns ein wichtiges Thema.
Aber wir haben natürlich weiterhin Telefon-Hotlines
und Customer Call Center, die rund um die Uhr Auskunft geben. Es gibt für unsere Kunden verschiedene
Kanäle – je nach ihren Bedürfnissen. Die Digitalisierung unterstützt dort, wo es Sinn macht, den Austausch zwischen den verschiedenen Menschen. Der
persönliche Kontakt bleibt aber auch in Zukunft sehr
wichtig. c
next floor
13
Digitale Revolution
Der Servicetechniker nutzt das Smartphone
mit seinen spezifischen Apps beim
Feldeinsatz als digitalen Werkzeugkoffer.
Schindler wandelt sich zu einem digitalen
­ nternehmen. Dennoch werden die Passagiere
U
wohl auch in Zukunft physisch mit Aufzügen und
Fahrtreppen transportiert. Was genau verstehen
Sie darunter?
Digitalisierung bedeutet für uns nicht, den Aufzug zu
ersetzen oder gar Menschen einen Stock höher zu
­beamen. Wir wollen unseren Passagieren damit ein
­sichereres und zuverlässigeres Fahrerlebnis ermöglichen. Zudem können wir unseren Kunden, wie etwa
den Projektentwicklern oder den Hausverwaltungen,
bessere Dienst­leistungen und zusätzliche Services
­bieten.
c
Mit den von Ihnen entwickelten neuen Techno­
logien werden riesige Mengen an Daten erzeugt.
Wie gelingt es, den Überblick zu behalten und
die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen?
Grosse Datenmengen alleine bringen noch keinen
­Nutzen, weder für uns als Betreiber der Aufzüge noch
für den Kunden. Es braucht Intelligenz und technisches
Know-how, um daraus einen Mehrwert zu schaffen.
Wir nutzen neue digitale Technologien, um daraus Informationen zum Nutzen der Kunden zu generieren.
Wir können zum Beispiel auf der Basis der Daten eine
vorausschauende und vorsorgende Wartung unserer
Aufzüge ermöglichen. Damit können wir die Ausfallzeiten der Anlagen auf ein Minimum reduzieren.
Schindler befindet sich zurzeit in einem
Transformations­prozess, der alle Geschäfts­
bereiche umfasst. Zahlt sich das bereits aus?
Auf jeden Fall. Die Digitalisierung erhöht massiv den
Kundennutzen. Wir sind schneller beim Kunden und
können einen zuverlässigeren Service bieten.
Sie sind schrittweise an diesen Prozess
herangegangen. Wie ist das konkret abgelaufen?
Wir haben die Digitalisierung in verschiedene Phasen
aufgeteilt. In der ersten Phase haben wir uns intensiv
mit der IT-Rationalisierung beschäftigt, indem wir die
alten Systeme auf den aktuellsten Stand brachten. In
der zweiten Phase haben wir weltweit einheitliche
­Prozesse aufgebaut, zum Beispiel für das Neuanlagengeschäft oder für das Finanz- und Rechnungswesen. In der dritten Phase haben wir dann einen digitalen Werkzeugkoffer für die Mitarbeitenden im Feld
geschaffen. Wir verbinden unsere Aufzüge so über
das Internet der Dinge und integrieren sie schrittweise in den Gesamtprozess, um Datenanalysen zu
ermöglichen.
14
Und wie wirkt sich die Digitalisierung
auf die Nachhaltigkeit, also auf die Umweltbilanz
des Schindler-Konzerns aus?
Die Servicetechniker müssen beispielsweise durch
­unsere intelligente Routenoptimierung jährlich rund
40 Millionen Kilometer ­weniger im Auto zurücklegen,
was zu einer Einsparung von mehr als 4000 Tonnen
CO2 führt. Mit dem digitalen Werkzeugkoffer haben
wir zudem eine Lösung geschaffen, die uns hilft, sehr
viel Papier zu sparen – nämlich einen fast 18 Kilometer hohen Stapel. Dazu haben wir die wichtigsten
­Dokumentationen digitalisiert.
Viele der rund 57 000 Mitarbeitenden von
­Schindler gehören nicht zu den Digital Natives,
sind also älter als 40 Jahre. Sind einige der Mit­
arbeitenden nicht überfordert durch den rasanten
Wandel, der jetzt im Konzern im Gang ist?
Wir hatten sehr viel Respekt vor der Aufgabe, die
­Mitarbeitenden auf die Reise in das digitale Zeitalter
mitzunehmen. Dafür haben wir entsprechende vor­
bereitende Massnahmen getroffen wie Trainings und
Change Management. Wir waren sehr positiv überrascht, wie offen und engagiert die Mitarbeitenden
dieses Thema angenommen haben. Das liegt bestimmt auch daran, dass wir mit den Geräten von
Apple eine sehr intuitiv bedienbare Lösung gefunden
haben. Die Mitarbeitenden nutzen auch in ihrem
­Privatleben Smartphones. Viele waren stolz, am
Abend ihrer Familie zeigen zu können, mit welchen
tollen Tools sie bei Schindler ihre Arbeit ausführen
können.
Schindler hat sehr früh auf die Digitalisierung
gesetzt. Wird dieses Thema den Konzern
noch etwas länger beschäftigen?
Die digitale Transformation ist noch längst nicht abgeschlossen, sondern es ist eine Reise, auf der wir
uns befinden. Wir haben sehr grosse Fortschritte
­gemacht und sind nun in vielen Bereichen in ­unserer
Industrie führend. Wir haben aber bereits viele weitere Ideen, wie wir unseren Kunden neue digitale Produkte und noch besseren Service anbieten können.
Einige davon befinden sich bereits in der Entwicklung
oder Umsetzung.
Der nächste grosse Trend ist also noch
nicht absehbar?
Es gibt auf jeden Fall Themen, die wir sehr genau
­anschauen und in die wir auch bereits investieren.
So steht zum Beispiel das Thema Smart Buildings in
Zukunft weit oben auf der Agenda. n
Zur Person
Michael Nilles ist seit April 2016 Chief Digital Officer
(CDO) und Mitglied der Konzernleitung von Schindler.
Er war seit 2009 als Chief Information Officer (CIO) verantwortlich für die Bereiche Digital Business, Business
Process Management und Informationstechnologie.
Zuvor war er bei verschiedenen Unternehmen im Bereich digitale Technologien tätig und lebte mehrere
Jahre in China und den USA. Michael Nilles hat an der
Universität Köln Wirtschaftsinformatik studiert und
­seinen MBA an der Kellogg School of Management in
den USA gemacht. Der Vater von zwei Töchtern spielt
in seiner Freizeit gerne Tennis, geht joggen oder segeln
und interessiert sich für Architektur und Geschichte.
Der MIT-Award
Das Schindler-Team gewann 2015 den «MIT Sloan CIO
Leadership Award» des renommierten Massachusetts
Institute of Technology (MIT). Damit ehrt das MIT seit
acht Jahren Unternehmen für den innovativen Einsatz
von digitalen Technologien, die einen signifikanten
­Beitrag zum Unternehmenswert schaffen. Die AwardBewerber kommen aus unterschiedlichen Industrie­
zweigen und Ländern. Schindler erhielt den Preis für das
Projekt «Leading-Edge Digital Business», mit dem das
Unternehmen die Digitalisierung erfolgreich vorantreibt.
next floor
15
Digitale Revolution
Leichter und besser unterwegs
mit dem digitalen Werkzeugkoffer
iPhone und iPad als «digitale Werkzeugkoffer» nutzen? Diese Vision hat Schindler in
Partnerschaft mit Apple und mit Hilfe selber entwickelter Apps vor einem Jahr umgesetzt.
Mittlerweile sind über 30 000 Schindler-Servicetechniker mit dem neuen Tool unterwegs,
das sie bei der Arbeit unterstützt und zur besseren Servicequalität beiträgt.
16
Text Pirmin Schilliger Bild Marcel kaufmann | Alexander Kreuzer
O
bwohl noch kaum ein Jahr aufgeschaltet, ist die Neuerung für
die Servicetechniker von Schindler bereits zum Ritual geworden: Sie starten heute ihren Arbeitstag mit einem Fingertipp aufs
iPhone und die App FieldLink. Dort sehen sie die Auftragsliste des
Tages, mitsamt den Details für die einzelnen Aufträge. Ohne selber
lange planen zu müssen, weiss der Servicetechniker sofort, welche
Ersatzteile und Werkzeuge er auf die Tagestour mitnehmen muss.
Schwere Handbücher braucht er keine mehr, denn via App sind alle
Daten über die betreuten Aufzüge abrufbar. Die Routenplanung ist
ebenfalls kein Thema mehr. FieldLink reagiert auch auf plötzlich auf-
Emissionen um 4435 Tonnen reduzieren. Eingespart wurde ausserdem viel Papier, insgesamt ein A4-Stapel von 18 Kilo­­metern Höhe
oder mehr als zweimal die Grösse des Mount Everest.
Die Entwicklung des digitalen Werkzeugkoffers beruht auf einer
2013 gestarteten Zusammenarbeit zwischen Apple und Schindler.
Bei der App FieldLink handelt es sich – rein technisch gesehen –
gleich um mehrere Applikationen. Alle laufen sie auf dem iOS-­
Betriebssystem. Sie wurden aber von IT-Spezialisten des SchindlerKonzerns entwickelt und programmiert. Der digitale Werkzeug­­koffer
ist letztlich ein wichtiger Baustein der umfassenden digitalen Trans-
Digitaler Werkzeugkoffer: Informations- und
Kommunikationsfluss zwischen dem
Backend-System von Schindler und den
mit mobilen Geräten ausgerüsteten
Servicetechnikern.
tretende Störungen. Der Einsatzplan wird dann automatisch angepasst, die Reparatur einem Techniker in der Nähe zugewiesen.
Im ­digitalen Werkzeugkoffer stecken also nebst vielen Daten auch
eine grosse Portion Flexibilität und Intelligenz.
Zum Informationsfluss gehören Echtzeitanalysen, wie sie mittels Sensoren und eines ständigen Informationsflusses zwischen den Aufzügen mit dem Backend-System von Schindler möglich sind. Sie ermöglichen dem Servicetechniker, Unregelmässigkeiten im Anlagenbetrieb
frühzeitig zu entdecken und noch vor einem eigentlichen Störungsfall zu beheben. Der digitale Werkzeugkoffer unterstützt als Universaltool den Servicetechniker praktisch bei all seinen Tätigkeiten. Und
er versorgt ihn auch mit den notwendigen Kundeninformationen.
Zusammenarbeit mit Apple
Kaum eingeführt, ist das neue Instrument aus dem Feldeinsatz kaum
mehr wegzudenken. Mehr als 30 000 Mitarbeitende nutzen es inzwischen so selbstverständlich, als ob es das Tool schon immer gegeben
hätte. Sie führen dank der digitalen Unterstützung ihren Job noch
besser aus und sorgen für noch mehr Sicherheit und Zuverlässigkeit
bei den Aufzügen. Verbessern lässt sich mit dem digitalen Werkzeugkoffer auch die Ökobilanz: Schindler konnte die Wartungsrouten innerhalb eines Jahres um 40 Millionen Kilometer verkürzen und die
formation von Schindler in Richtung Industrie 4.0. Dabei werden die
­Informationen über Prozesse, Produkte, Mitarbeitende und Kunden
auf einer Plattform zusammengeführt und intelligent miteinander
verbunden.
Vorzeigebeispiel der Digitalisierung
«Die Bemühungen tragen, obwohl wir noch nicht alles umgesetzt
haben, bereits Früchte», sagt Michael Nilles, Chief Digital ­Officer
(CDO) der Schindler Group und verantwortlich für die digitale
Transformation. «Wir haben die Effizienz unserer Serviceleistungen,
die Zufriedenheit unserer Kunden und das Engagement unserer
­Mitarbeitenden deutlich steigern können», betont er weiter.
FieldLink gilt inzwischen auch bei Apple als Vorzeigebeispiel. Die
Amerikaner waren darüber derart begeistert, dass sie im vergangenen Jahr eigene Filmteams zu Schindler schickten. Wie die Servicetechniker konkret mit dem Digital Toolcase arbeiten, lässt sich nun
auf der Apple-Website bestaunen. «Für uns ist dieses Feedback von
Apple eine Bestätigung, dass wir mit der FieldLink-App alles richtig
gemacht haben», meint Clemens Marliani, Communication Officer
von Schindler Digital Business. n
www.apple.com/business/schindler
next floor
17
Building Information Modeling
Der Druck in der Bauindustrie steigt: Mehr Tempo und mehr Qualität werden gefordert, aber
für weniger Geld. Vor dem Hintergrund der allgegenwärtigen Digitalisierung und dank
innovativer Software können jetzt die Produktivität erhöht und die Kosten gesenkt werden:
Dem sogenannten «Building Information Modeling» (kurz BIM) gehört die Zukunft. Beim
Neubau Spital Limmattal in Schlieren bei Zürich, wo auch Schindler-Aufzüge eingebaut
werden, kommt das digitale Modell zum Einsatz.
BIM – Bauen vor dem Bauen,
am Beispiel Spital Limmattal
Text Losinger Marazzi AG Bild Losinger Marazzi AG | Julien Vonier
I
n vielen Lebensbereichen ist die Digitalisierung
selbstverständlich geworden. Auch in der Bauindustrie findet derzeit ein solcher Paradigmenwechsel
statt. Die klassische Bauplanung ist geprägt von phasenweisen Abläufen und nach Disziplinen segmentierten Prozessen. Wiederkehrende Informationserfassungen im Lebenszyklus eines Projektes führen
dabei rasch zu gravierenden Fehlern, Zeitverlust und
Budgetüberschreitungen.
Das «Building Information Modeling» – zu Deutsch
auch «Gebäudedatenmodellierung» – markiert den
Auftakt zur Digitalisierung der Welt des Bauens. Es
handelt sich um eine Weiterentwicklung der klassischen Arbeitsweise mit CAD-Programmen (Computer
Aided Design). Dabei werden Bauprojekte nicht mehr
nur gezeichnet, sondern objektbasiert und parametrisch modelliert. Am Computer entsteht ein dreidimensionales, virtuelles Gebäude, das aus Bauteilen
und Bauteilgruppen zusammengesetzt ist und laufend mit Informationen ergänzt werden kann. Durch
die Arbeit mit digitalen Modellen wird der Informationsaustausch zwischen den Beteiligten verbessert.
Zudem entstehen vielseitige Nutzungsmöglichkeiten
(Mengen- und Kostenberechnungen, Ressourcen-­
Planung, nachhaltige Projektierung usw.).
18
Man spricht von 3D, 4D, 5D, 6D und sogar 7D: einem
3D-Modell mit Zeitplanung, Kostenberechnung,
Energieeffizienz-Simulationen und sogar Informationen zum Betrieb und Unterhalt. Auch der Bauherr
zieht einen grossen Nutzen aus dem BIM: Er kann sowohl bei der Planung und Ausführung wie auch in der
Phase Betrieb/Unterhalt die Informationen aus der
Gebäudedatenmodellierung für Lebenszyklusanalysen seines Projektes nutzen.
Bauen vor dem Bauen
Bevor ein Projekt realisiert werden kann, wird es
­digital gebaut. Das heisst: Die Bauherrschaft kann
­bereits in der frühen Entwicklungsphase des Projektes
das zukünftige Gebäude virtuell besichtigen und die
Konzeption anhand zuverlässiger und verständlicher
Angaben validieren. Potenzielle Fehler werden zudem
bei der Projektentwicklung erkannt und eliminiert,
bevor sie sich auf die Realisierung auswirken.
Der Bauherrschaft kann somit verlässlich zugesichert
werden, dass ein Projekt termingerecht und im Kostenrahmen übergeben werden kann. Durch das digitale Baumanagement ist zudem ein kontinuierlicher
Soll-Ist-Vergleich möglich. Das Ziel ist es, aufgrund
der vollständigen Digitalisierung der Projekte sowie c
Mit BIM wird das ganze «Innenleben» eines
Gebäudes digital abgebildet und kann neu
auf- und umgebaut werden. Man kann das
Gebäude virtuell besichtigen und erfahren.
next floor
19
Building Information Modeling
Facts & Figures
Ort
Bauherrschaft
Totalunternehmung
Architekten
Planung/Realisierung
Aufzüge
Schlieren, Zürich
Spitalverband Limmattal
Losinger Marazzi AG
BFB Architekten AG, Zürich
Brunet Saunier Architecture, Paris
2012 bis 2018
11 Schindler 5500
5 Schindler 2200
3 Spezialaufzüge
Dank BIM können potenzielle Fehler
bereits bei der Produktentwicklung
erkannt und eliminiert werden.
c eines kollaborativen Prozesses besser planen, besser bauen und besser betreiben zu können. BIM bedeutet somit Bauen vor dem Bauen.
Pilotprojekt beim Neubau Spital Limmattal Schlieren
In Ländern wie Norwegen und Grossbritannien wird
die Gebäudedatenmodellierung im Bauwesen in vielen Bereichen angewendet, in der EU wird das BIM zu
einem wichtigen Bestandteil der Wettbewerbsrichtlinien. Die Schweiz mit ihren vielen mittelständischen
Unternehmen steckt in diesem Bereich dagegen noch
in den Kinderschuhen. Beim Neubau Spital Limmattal
(siehe Artikel rechte Seite) in Schlieren kommt die
Technik hier­zulande erstmals auf breiter Basis zum
Einsatz. Die ­Totalunternehmung Losinger Marazzi AG
setzt dabei auf das Prinzip «openBIM» – ein gemeinsames, interdisziplinäres BIM.
Ziel ist es, möglichst viele Projektbeteiligte einzubeziehen: Die beiden Architekten BFB Architekten AG
aus Zürich und Brunet Saunier Architecture aus Paris,
die das Projekt modellieren; die Tiefbauingenieure
von BG Ingenieure und Berater, die die Statik prüfen
und die Ausführungsplanung des Rohbaus erstellen;
die HLK-Ingenieure von Hans Abicht AG, die die
3D-Koordination realisieren; die Totalunternehmung
20
L­ osinger Marazzi AG, die BIM und Design koordiniert
und dabei die gemeinsam genutzte Datenbank pflegt,
sowie der Kunde, der darin unter anderem sein Mobiliar verwalten und sein Projekt validieren kann. Die
wichtigsten Fachdisziplinen sind somit mit eigenen digitalen Modellen beteiligt. Neben den jeweiligen Modellen werden alle Daten in einer zentralen Datenbank erfasst und sind für alle Projektbeteiligten
zugänglich. Ein Synthesezyklus ermöglicht es, alle Anmerkungen und Änderungen in digitaler Form anzubringen. Dadurch kann die Entwicklung des ­Projektes
laufend nachverfolgt werden. Anhand der 3D-Synthese können zudem während der Koordinationssitzungen Unstimmigkeiten zwischen den verschiedenen Projektpartnern ausgemacht und eliminiert
werden. Der Kunde hat zu jeder Zeit Zugriff auf die
Datenbank und kann in voller Transparenz darin eingreifen.
BIM hat bereits bei der strategischen Planung des
­Spitals vieles für die Vorstudien vereinfacht. Bei der
Projektierung war BIM für Entwurfsbesprechungen,
Modellierung, Berechnung des Energiebedarfs, statistische und technische Analysen, Normenprüfung und
3D-Koordination im Einsatz. In der Realisierungsphase
dient die Methode der Baustelleneinrichtung, den
Konstruktionssystemen, der Fertigteillieferung, dem
Material und der Dokumentation. Wichtig ist jedoch
die kontinuierliche Betrachtung über die gesamte Projektdauer. BIM kann somit auch Informationen für
den späteren Betrieb zur Verfügung stellen und unterstützt die künftige Bewirtschaftung.
Neubau Spital Limmattal
durch die Losinger Marazzi AG
Für die Losinger Marazzi AG bestätigen sich beim
Neubau Spital Limmattal die Erfahrungen aus früheren Projekten: Dank BIM ist die Kohärenz zwischen
Konzept und Realität gewährleistet. Der Kunde kann
den Betrieb und Unterhalt des Gebäudes planen –
ausgehend von einer konsolidierten Datenbank. Auch
die Steuerung und Einhaltung der vertraglichen Leistungen und Verpflichtungen sind vereinfacht. Schon
im Pflichtenheft des Projektwettbewerbs hatte der
Bauherr den Einsatz des BIM gefordert, um seine Ziele
in Bezug auf Flächenmanagement, Raumstudien usw.
einhalten zu können.
Entwicklung geht weiter
Das «Building Information Modeling» wird in Zukunft
noch stärker zum Einsatz kommen. Das vorhandene
Potenzial wird sich mehr und mehr ausschöpfen lassen. Dank verbesserter Ausbildung an den Universitäten steigen die Kompetenzen der Anwender laufend.
Gültige Standards werden die Datenübermittlung zudem weiter vereinfachen. Bei der Vergabe von öffentlichen Bauaufträgen und Ausschreibungen wird das
digitale Modell wohl zur Pflicht werden. BIM wird in
Zukunft bei wichtigen Bauvorhaben nicht mehr wegzudenken sein. n
Das aus einem Gesamtleistungswettbewerb her­
vorgegangene Projekt «Neubau Spital Limmattal»
in Schlieren bei Zürich wird von der Totalunter­
nehmung Losinger Marazzi AG entwickelt und
­realisiert. Die Losinger Marazzi AG ist eine in der
Schweiz führende Unternehmung in den Bereichen
Immobilien- und Quartierentwicklung, Generalund Totalunternehmung.
Das Projekt Neubau Spital Limmattal ist eines der
ersten grossen Bauvorhaben in der Schweiz, das mit
BIM-Technologie realisiert wird. Es handelt sich um
ein Projekt von 215 Mio. CHF für 200 Betten mit
einem Gebäudevolumen von 205 000 m³ und einer
Geschossfläche von 48 500 m². Insgesamt entstehen bis Ende 2018 Behandlungsmöglichkeiten
für rund 10 000 stationäre und 60 000 ambulante
Patienten pro Jahr.
Bei der Spitalinfrastruktur kommt die neuste Umwelttechnik zum Einsatz: Moderne Elektro- und Lüftungsanlagen minimieren Infektionsrisiken.
Die Minergie-Bauweise sowie Wärmepumpen und
Erdsonden tragen zur Nachhaltigkeit bei.
Im September 2015 fand in Paris die Preisverleihung
des Wettbewerbs BIM D’OR 2015 von der renommierten Fachzeitschrift «Le Moniteur» für die beste
Verwendung der Gebäudedatenmodellierung BIM
und des digitalen Modells statt. Der Neubau Spital
Limmattal wurde dabei in der Kategorie internationale Projekte zum Sieger gekürt.
next floor
21
Building Information Modeling
Das Gebäude zuerst
am Computer bauen
Dank intelligenter Software sollen die Effizienz und die Qualität von Bauten gesteigert werden.
Die Schweizer Bauwirtschaft tut sich noch schwer mit der Digitalisierung. Entziehen kann
sie sich der Entwicklung aber nicht.
Text David Eppenberger Bild Beat Brechbühl
W
er ein Haus baut, braucht Nerven aus Stahl. Es beginnt mit
dem Papierkrieg bei den Baubehörden. Ist der Aushub dann
einmal gemacht, halten Handwerker Termine nicht ein, Kosten werden überschritten und in der ganzen Hektik entstehen auch noch
Baufehler. Aber es gibt Licht am Horizont: Denn auch die Baubranche kann sich der fortschreitenden Digitalisierung unseres Lebens
nicht entziehen. «Wer hier den Kopf in den Sand steckt, hat ver­
loren», sagt Paul Curschellas von buildup AG. Das Unternehmen ist
ein Spin-off der ETH Zürich, in Zusammenarbeit mit der Schweizer
Bauwirtschaft. Paul Curschellas ist überzeugt, dass in der Schweiz
Beim idealen BIM haben alle Beteiligten
Zugriff zur Plattform mit dem elektronischen
Gesamt- oder Teilmodell und können
über Schnittstellen Änderungen anbringen.
die Bauten schon bald zuerst mit intelligenter 3D-Software virtuell
erstellt werden, bevor die Bagger auffahren.
Ist von der Digitalisierung des Bauens die Rede, steht oft der Fachbegriff BIM (Building Information Modeling, siehe auch Beitrag
Seite 18) im Raum. Bei BIM sind im Idealfall alle Teile des Gebäudes
im elektronischen Modell mit Informationen versehen, vom Dach
über die Wand bis zur ­Elektroinstallation. Bei jedem Fenster und
bei jeder Türe sind im Modell Parameter wie Wärmedurchgangs­
koeffizient oder Preis hinterlegt. So können bereits vor dem Bau
optimale Lösungen gefunden werden. Mit der Modellierung kann
die Statik oder das Heizungssystem getestet werden, überdimen­
sionierte Heizungen soll es künftig also nicht mehr geben. Beim
idealen BIM haben alle Beteiligten Zugriff zur Plattform mit dem
22
elektronischen Gesamt- oder Teilmodell und können über Schnittstellen Änderungen anbringen. Bei Projektänderungen sieht der
Bauherr sofort die Kostenfolgen, die Planung wird entsprechend
frühzeitig angepasst. Folgefehler und Leerläufe sollen mit BIM
­vermieden werden: Maler werden künftig nicht mehr vor unverputzten Wänden stehen. Paul Curschellas ist überzeugt: «Die
­bevorstehende ­Effizienzsteigerung in der Baubranche wird unausweichlich über die Digitalisierung ablaufen.»
Baubranche noch im Dämmerzustand
Doch, wie digital ist die Schweizer Baubranche heute? Bei den Gipsern und Malern vor Ort auf den Baustellen sei BIM noch kaum ein
Thema, sagt Peter Seehafer vom Schweizerischen Maler- und Gipserunternehmer-Verband (SMGV). Doch der Verband beschäftigt sich
mit der digitalen Zukunft und ist seit kurzem Mitglied bei der nationalen Interessengemeinschaft «Bauen digital Schweiz» (siehe Box
Seite 25). «Wir wollen auf dem Zug mitfahren und nicht von
diesem überrollt werden», sagt Peter Seehafer. Zurzeit entwickelt
sein Verband für die Mitglieder ein wissensbasiertes Ausschreibungssystem, das mit seiner Ausrichtung auf funktionale Einheiten
und Anforderungen bereits ein bisschen in Richtung BIM geht.
Noch nicht ganz angekommen ist das Thema beim Schweizerischen
Baumeisterverband (SBV). Workflow-Optimierungen seien in der
Branche bereits umgesetzt, sagt Vizedirektor Martin A. Senn. Er
sehe das Potenzial von BIM zurzeit nicht. Zumindest die grösseren
Mitglieder seines Verbandes sind allerdings längstens im BIM-Zeitalter angekommen. Implenia hat kürzlich eine Ausschreibung der
Deutschen Bahn für den Bau des Albvorlandtunnels gewonnen.
Die Nutzung von BIM sei dabei ein Pflichtkriterium gewesen, sagt
Reto Aregger von Implenia. Die international tätige Unternehmung
profitiere davon, dass sie in Projekten in Schweden und Norwegen
beteiligt sei. Diese Länder schreiben BIM bei öffentlich finan­zierten
Bauvorhaben bereits seit 2008 vor. «In der Schweiz profitiert Implenia von diesem Knowledge-Transfer», sagt Reto Aregger. Das c
Architekten werden in Zukunft die Gebäude am
Computer bauen, wie auf dem Bild Tanja Temel und Attilio
Lavezzari von Scheitling Syfrig Architekten in Luzern.
next floor
23
Building Information Modeling
Tablets werden künftig
auf Baustellen gehören
wie der Schraubenzieher
oder die Messlatte.
24
Bauen digital Schweiz
Thema habe bei Implenia eine hohe strategische Relevanz. Die
Gruppe baut aktuell eine Abteilung mit einem
eigenen «Head
of BIM» auf. Auch andere grössere Bauunternehmen planen BIMAbteilungen.
c
Mehr als ein Hype
Etwas anders sieht es in den vielen kleinen und mittleren Betrieben
in der Branche aus. Diese laufen seit Jahren am Limit und haben
kaum Zeit, sich mit einem vermeintlich so abgehobenen Thema zu
beschäftigen. Das bestätigt auch Jost Estermann, Verwaltungsratspräsident beim mittelgrossen Zentralschweizer Bauunternehmen
­Estermann AG: «Bei uns ist BIM noch kein Thema!»
Bei der Branchenorganisation der im Infrastrukturbau tätigen Unternehmen Infra Suisse beschäftigt sich Dejan Lukic intensiv mit dem
Thema. Er stelle zurzeit tatsächlich fest, dass das Interesse an BIM
in der Branche noch gering sei. «Allerdings sind viele, ohne es zu
­wissen, bereits ein Bestandteil davon, beispielsweise wenn sie mit
Planer-Software konstruieren oder auf einer gemeinsamen Plattform
arbeiten.» Es gehe jetzt eigentlich vor allem darum, einen Standard
zu entwickeln, der die Austauschbarkeit der vielen Daten ermögliche. Lukic warnt davor, dass zu viele unterschiedliche Standards
festgelegt werden und alles zu kompliziert werde.
Andere in der Branche sprechen sogar von einem «Hype», vergleichbar mit den Diskussionen um das Internet in den Nullerjahren. Doch
Die Digitalisierung ist in
der Bauwirtschaft eigentlich
längstens im Gang.
ein Jahrzehnt später ist gerade beim Internet vieles Wirklichkeit geworden, für das die Zeit damals noch nicht reif war. Vorarbeiter mit
iPads, die permanent online sind, trifft man heute schon auf Baustellen an. Das mobile Telefon sowieso. Es ist praktisch, wenn man
dem Kollegen schnell ein Bild von einer Installation schicken kann.
Die Digitalisierung ist in der Bauwirtschaft eigentlich längstens im
Gang. Planer beispielsweise arbeiten seit Jahrzehnten mit 2D-Software. Vor allem kleinere Architekturbüros wehren sich aber zurzeit
noch vehement gegen die Einführung von BIM, zu dem sie vor ­allem
die Softwarebetreiber auffordern. Doch schon beim Auf­kommen
der 2D-Software zeichneten einige Architekten aus Trotz noch von
Hand weiter. Heute macht das niemand mehr, weil dafür im Markt
kein Platz ist. Mit BIM werde das ähnlich ablaufen, sind sich die
­E xperten einig.
In der Interessengemeinschaft «Bauen digital Schweiz» sind
über 100 Firmen und rund 30 Institutionen der gesamten
Wertschöpfungskette «Bestellung, Planung, Zulieferung,
Bau, Betrieb und Technologie» vereinigt. Ziel ist es, die
Schweizer Bauwirtschaft bei der Umstellung hin zur Digitalisierung zu unterstützen und die Wettbewerbsfähigkeit zu
erhalten. Die Interessensgemeinschaft hat sechs Thesen zu
den grundlegenden Veränderungen in der Wertschöpfungskette entwickelt, die bearbeitet werden sollen: veränderte
Prozesse, neue Zusammenarbeitskultur, Rolle der Bauindustrie, revolutionäre Arbeitshilfsmittel, veränderte Rechte und
Pflichten sowie neue Geschäftsmodelle.
www.bauen-digital.ch
Jugendliche machen es vor
Paul Curschellas von buildup AG ist überzeugt, dass sich die Baubranche bei der Digitalisierung in einer Übergangsphase befindet.
Die technologischen Neuerungen beschleunigten den ökonomischen Druck laufend. Die Transformation sei voll im Gang. Obwohl
es in der Baubranche noch oft anders töne, sei sie in Wirklichkeit
sehr agil und werde in drei bis fünf Jahren im BIM-Zeitalter angekommen sein. Sogar schneller als beispielsweise die Bankenbranche,
weil sie stärker im nationalen und internationalen Wettbewerb
stehe und dynamischer sei. In bestimmten Ländern sei man schon
deutlich weiter bei der Digitalisierung als in der Schweiz.
«Immer mehr Bauherren werden BIM verlangen, weil es ihnen
­einen Nutzen bringt», sagt Paul Curschellas. Letztlich sei es eine
Frage der Offenheit der Marktteilnehmer gegenüber Neuem.
Die Technologie und die Software seien bereits vorhanden, genauso wie die Fachkompetenz im Bauen. Die Leute müssten nun
vor allem lernen, kooperativ an einem Projekt zusammenzuarbeiten und aufeinander zuzugehen. Vielleicht helfe hier auch ein Blick
auf den Computer unserer Kinder, sagt Paul Curschellas. Wenn
­Jugendliche spielerisch auf ihren Tablets virtuelle Räume, Villen
und ganze Landschaften gemeinsam bauen, werde eigentlich klar,
dass BIM bereits Realität sei. n
next floor
25
Digitale Fabrikation
Präzise und effizient: Norman Hack (links)
und Markus Giftthaler präsentieren
einen Baustellenroboter, der schweissen
und Ziegelsteine schichten kann.
Quantensprung für
die Architektur
26
Am Computer entworfen, von ­Robotern gebaut:
Die digitale Fabrikation soll den Bauprozess
revolutionieren. Die Schweiz nimmt bei den
neuen Technologien eine Spitzenposition ein.
Text Raphael Hegglin Bild Nique Nager
W
ie ein kleiner Trümmerhaufen liegen die Gips­
elemente auf dem Labortisch. Vorsichtig greift
Doktorandin Ursula Frick nach den einzelnen Teilen
und stapelt sie aufeinander – ähnlich einem 3DPuzzle. Nur: Die Teile sind weder ineinander gesteckt
noch verklebt. «Die Form der Bauteile ist so berechnet
worden, dass die Stabilität der Zielform nur über
Druck- und Reibungskräfte realisiert wird.» Langsam
formt sich – senkrecht stehend – das Wort DMSc.
«Es ist nur eine Studie, die ich für einen Fachkongress
angefertigt habe», sagt Ursula Frick und zieht an
­einem der unteren Gipsteilchen – alles fällt in sich
­zusammen.
Ursula Frick ist Architektin und forscht für den Nationalen Forschungsschwerpunkt Digitale Fabrikation
an der ETH Zürich, Science City (siehe Box Seite 29).
Nichts weniger als eine Revolution der Architektur
und der Bauprozesse versprechen sich Ursula Frick
und ihre Kolleginnen und Kollegen davon. Es geht
­darum, eine nahtlose Verbindung zwischen digitalen
Technologien und physischem Bauprozess herzustellen. Die ­digitale Fabrikation umfasst dabei den Entwurf, die Planung, die Vorfabrikation von Bauteilen
und das Bauen von Gebäuden vor Ort, die sogenannte Vor-Ort-Fabrikation.
Maschinelle Massfertigung
Doktorandin Ursula Frick entwickelt digitale Entwurfsverfahren, um Tragwerkskonstruktionen zu
­finden, die eine neue Formensprache erlauben.
Dank Ursula Fricks komplexen Berechnungen
reichen Druck- und Reibungskräfte, um die
Gipselemente zusammenzuhalten.
E­ ntstanden sind so komplex gestapelte Modelle im
optimalen Gleichgewicht. Statisch betrachtet, unterscheiden sich die Modelle kaum von historischen
Steinbogenbrücken, die ebenfalls ohne Mörtel oder
mechanische Verbindungselemente auskommen: Sie
sind so konstruiert, dass nur Druckspannungen und
keine Zugspannungen auftreten. Doch Ursula Fricks
Bauteile sind wesentlich komplexer, und keines ist
gleich wie das andere. Ihre Formen sind das Resultat
neu entwickelter Berechnungsmethoden. «Müsste
man solche Bauteile einzeln mit individuellen Schalungen fertigen, wären sie unbezahlbar. Nicht aber durch
digitale Fabrikation: Sie ermöglicht eine effiziente
Massfertigung», erklärt Ursula Frick.
Ohne effiziente Vorfabrikation lassen sich die von
­Ursula Frick konstruierten Strukturen kaum verwirklichen. Im Untergeschoss von Science City wird deshalb ebenfalls intensiv geforscht und getüftelt. Architektin Ena Lloret-Fritschi ist Doktorandin. In einem
inter­disziplinären Team fertigt sie individuelle Betonsäulen – ganz ohne statische Schalungen.
«Grundvoraus­setzung ist ein in enger Zusammenarbeit mit Materialwissenschaftlern entwickeltes Betongemisch», erklärt Ena Lloret-Fritschi. Dieses lasse sich
aufschichten und ­formen, ohne dass es gleich zer- c
next floor
27
Digitale Fabrikation
Ena Lloret-Fritschi zeigt
modellierte Betonsäulen.
Sie sind ohne Schalung
entstanden.
fliesst. «Wir sind so in der Lage, Betonelemente mit
den unterschiedlichsten Formen zu modellieren. Und
das nicht von Hand, sondern mittels robotischer Maschinen.»
c
Weniger Zeit und Material
Im nahe gelegenen Trocknungsraum reiht sich Betonsäule an Betonsäule – gekrümmte, spiralförmige,
­konisch zulaufende. Sie sind das handfeste Resultat
des Forschungsprojektes «Smart Dynamic Casting»
der Gramazio Kohler Research Group an der ETH
­Zürich. Im Rahmen des Projektes untersuchen Ena
Lloret-Fritschi und weitere Forschende ein digitales
Gleitbauverfahren für nicht-standardisierte Beton­
elemente. «Dank unserer neu entwickelten Fertigungsmethode können wir auf klassische Schalungen
verzichten», sagt Ena Lloret-Fritschi. Doch nicht nur
das: Grosser Formenreichtum wird so möglich. «Mit
solchen Bauteilen können wir die Statik eines Gebäudes besser berücksichtigen. Säulen sind an jeder Stelle
nur so massiv ausgeführt, wie es wirklich notwendig
ist – das reduziert den ­Materialaufwand und somit
die Kosten.» Hinzu kommt: «Dank weniger Beton und
dem Verzicht auf individuelle Einmal-Schalungen verbessert sich auch die Ökobilanz eines Gebäudes.»
Nicht nur das Herstellen der Bauteile, auch das Zusammenfügen soll künftig durch Roboter erfolgen.
28
Ein solcher steht in einer anderen Halle auf dem Campus und sieht auf den ersten Blick wenig spektakulär
aus: Raupen zum Fortbewegen, Motoren, ein Roboterarm. Doch der Arm hat es in sich: «Je nach aufgesetztem Werkzeugkopf kann er Backsteine ablegen
oder Stahldraht schneiden und schweissen», erklärt
Markus Giftthaler, Doktorand in Robotik, und zeigt
auf eine wellenförmig geschwungene Mauer aus
Backsteinen. Kein Stein liegt dabei in gleicher Orientierung auf dem andern. «Es ist kaum denkbar, eine
so differenzierte Mauer von Hand zu erstellen. Was
unser Roboter in einer Stunde schafft, dauert von
Hand Tage – und die robotische Präzision bleibt unerreicht.»
Mensch weiterhin gefragt
Giftthalers Kollege Norman Hack, Doktorand in Architektur, zeigt auf dreidimensionale Drahtgeflechte,
die neben dem Roboter stehen. «Auch das ist sein
Werk.» Die an der ETH entwickelte Technologie soll
dereinst das schalungsfreie Bauen von komplex geformten Stahlbetonstrukturen ermöglichen. Dazu
schweisst der Roboter Stahlgeflechte in den Dimen­
sionen der zu erstellenden Mauern. Diese Stahlgeflechte bestehen aus einer engmaschigen Vorderund Rückseite, die mittels Draht verflochten sind und
dann mit einem Betongemisch aufgefüllt werden.
Aufgrund der engmaschigen Bauweise bleibt der
Beton im Gitter, nur wenig fliesst zwischen den Maschen hinaus und wird glatt gestrichen. Das Stahlgeflecht ist so vollständig von Beton umschlossen.
«Mit dieser Technik erstellen wir Schalung und Armierung in einem – der Bauprozess wird so erheblich effizienter und gleichzeitig voll individualisiert. Dem
Formenreichtum sind kaum Grenzen gesetzt», sagt
Norman Hack.
Werden anstelle von Menschen bald nur noch Roboter auf Baustellen arbeiten? «Nein», sind die Forscherinnen und Forscher des Nationalen Forschungsschwerpunkts Digitale Fabrikation überzeugt.
Die digitale Fabrikation werde neue Architekturformen ermöglichen und die Bauqualität verbessern.
Jedes Gebäude lasse sich individuell und ­seiner Nutzung entsprechend erstellen. Roboter und ähnliche
Maschinen seien die Schlüssel dazu. Doch auch
sie müssen von Menschen programmiert und bedient
werden. c
Digitale Fabrikation –
neue Architekturformen
und Konstruktionsarten
Wer jahrzehntealte Bilder einer Baustelle betrachtet, dem fällt auf: Das meiste wird heutzutage
immer noch gleich gemacht. Zwar sind die Baumaschinen moderner, doch gemauert und betoniert wird heute genauso wie früher. Die Baubranche ist in diesem Punkt ein Spezialfall: In
anderen Wirtschaftsbereichen hat die Digitalisierung längst Einzug gehalten. So produzieren
­Roboter in der gegenwärtigen Zeit zum Beispiel
Autos, Möbel und elektronische Geräte. In der
Architektur und auf der Baustelle ist hingegen
noch heute vieles Handarbeit. Die Gründe dafür
sind einerseits auf den Baustellen selbst zu suchen: Sie sind komplexe, sich ständig verändernde Arbeitsorte. Andererseits ist Bauen ein
sehr individueller Prozess, fast jedes Gebäude ist
ein Unikat, und selbst Fertighäuser variieren je
nach Kundenwunsch. Die digitale Fabrikation
nimmt darauf Rücksicht. Sie umfasst die Entwurfs- und Planungsphase, die Vorfabrikation
einzelner Bauteile und deren Montage auf dem
Bau sowie die direkte Vor-Ort-Fabrikation.
Dabei geht es nicht darum, standardisierte
­Verfahren für Fertigbauten zu entwickeln. Im
­Gegenteil: Die digitale Fabrikation ermöglicht
neue Architekturformen und Konstruktionsarten.
Gebäude werden am Computer entworfen und
dimensioniert. Der so entstehende ­Datensatz
dient dann Robotern und anderen Maschinen
dazu, das Gebäude zu bauen. Doch nur durch
­intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit lässt
sich das Potenzial der digitalen Fabrikation ausschöpfen.
Im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunkts (NFS) Digitale Fabrikation arbeiten deshalb Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
aus den Bereichen Architektur, Tragwerksentwurf, Material- und Computerwissenschaften,
Elektrotechnik, Maschinenbau sowie Robotik
eng miteinander zusammen. Sie kommen aus
verschiedenen Schweizer Hochschulen und
­Forschungseinrichtungen.
www.dfab.ch
next floor
29
Digitale Fabrikation
Im Gespräch mit
Dr. Russell Loveridge,
Geschäftsführer
Nationaler Forschungsschwerpunkt
Digitale Fabrikation (NFS)
c
«Planen und Bauen
wird sich dramatisch verändern»
H
äuser aus dem 3D-Drucker,
­mauernde Roboter und Beton,
der ohne Schalung gegossen wird:
Das klingt nach Zukunftsmusik. Wo
liegen die Möglichkeiten kurz- und
mittelfristig – und wie ­beeinflussen
sie die Arbeit auf der Baustelle?
Dr. Russell Loveridge: In den nächsten
zehn Jahren werden sich die Roboter
weiter verbessern und langsam ihren
Weg auf die Baustelle finden. Künftig
werden Mensch und Maschine eng auf
den Baustellen zusammenarbeiten. Wir
erforschen und entwickeln Roboter, die
in erster Linie repetitive oder körperlich
anstrengende Arbeiten übernehmen –
wie etwa das Erstellen von Mauerwerk.
Bedeutsame Entwicklungen sind auch
hinsichtlich der Materialien zu erwarten
– zum Beispiel bei Karbonfasern sowie
Verbund- oder Holzwerkstoffen. Doch
schon heute ist die digitale Fabrikation
im Bauprozess angekommen: und zwar
bei der Vorfabrikation von Bauteilen.
Sie werden in spezialisierten Industriebetrieben gefertigt und lassen sich auf
der Baustelle effizient montieren –
quasi im Plug-and-play-Verfahren.
30
Energieeffizienz und Baubiologie
sind mittlerweile zentrale Anliegen
beim Bauen. Was kann die ­digitale
Fabrikation hierzu beitragen?
Die digitale Fabrikation hilft, Bauen
nachhaltiger zu machen: Gebäude werden so designt, dass künftig weniger
Baumaterialien nötig sind. Denn die
Wahl und die Menge der Baumaterialien sowie die Art, wie diese in der Architektur des Gebäudes angeordnet
sind, beeinflussen den ökologischen
Fussabdruck eines Neubaus ganz wesentlich. Der Anteil an grauer Energie
reduziert sich dadurch stark.
Die digitale Fabrikation ermöglicht
neue ­Architekturformen. Dürfen
wir mit revolutionären Architekturkonzepten rechnen?
Ich sehe die digitalen Technologien als
Evolution, nicht als Revolution. Sie ändern zwar die Art und Weise, wie wir
entwerfen und bauen, dramatisch.
Doch das Erscheinungsbild eines Gebäudes hängt von vielen Faktoren ab –
wie Bauvorschriften, Umgebung,
­Kultur und natürlich den Kosten. Architekten werden aber mehr gestalterische Möglichkeiten haben und das zu
einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis.
Bauland wird knapper, wir bauen
mehr in die Höhe. Welche Rolle spielt
die digitale Fabrikation bei Hochhäusern und Wolkenkratzern?
Die digitale Fabrikation wird die Palette
an Möglichkeiten erweitern – nicht nur
was Bauweise und Architektur, sondern auch was die Finanzierbarkeit von
solchen Bauprojekten betrifft. Wir können dazu beitragen, dass der Bau von
Wolkenkratzern einfacher und günstiger wird. n
Aiguille du Midi
Der Mont Blanc zwischen Frankreich und Italien ist mit 4810 Metern Höhe der höchste Berg Europas.
Auf dem beliebten Aussichtspunkt Aiguille du Midi hat Schindler jetzt im Auftrag der Compagnie
du Mont-Blanc (CMB) zwei neue Hochleistungsaufzüge installiert – in jeder Hinsicht ein Projekt der
Superlative. Es handelt sich dabei um die höchsten Duplexaufzüge ganz Europas.
«Pas dans le vide»
auf 3842 Meter über Meer
next floor
31
Aiguille du Midi
Facts & Figures
3842 m ü. M.
2 Schindler 7000 (High-Requirements)
Hubhöhe 65 m
Traglast 630 kg / 8 Personen
Geschwindigkeit 2,5 m / s
Kapazität 300 Personen pro Stunde
September 2014 Demontage des alten Aufzuges
Mai bis August 2015 Montage der neuen Aufzüge
8. / 15. August 2015 Eröffnung Aiguille du Midi Aufzüge
Die Aussichtsterrasse
auf dem Aiguille du Midi
mit der gläsernen
Kabine «Pas dans le Vide»
bietet einen atemberaubenden Blick auf das
Mont-Blanc-Massiv.
32
«Wir haben es gemeinsam geschafft.
Die höchste Duplexanlage Europas wird
tausende von Touristen aus der ganzen Welt
auf die 3842 Meter hohe Aussichtsplattform
‹Pas de Vide› transportieren.
Besten Dank an alle Beteiligten.»
Luc Bonnard (l.), Vizepräsident des Verwaltungsrates
der Schindler-Gruppe, mit Mathieu Dechavanne, Präsident
der Compagnie du Mont-Blanc.
Text Beat Baumgartner Bild Amanda Events | Fotolia
N
achdem die beiden neuen Schindler-7000-Hochleistungsaufzüge im August letzten Jahres den Betreibern übergegeben
­waren, stand François ­Reutter, Schindler-France-Direktor High-Rise
Division, die Erleichterung buchstäblich ins Gesicht geschrieben:
«Wir haben unter schwierigsten klimatischen, geologischen und
technischen Bedingungen ohne Zwischenfälle die zwei Aufzüge
montiert. Sie laufen jetzt zuverlässig und zur vollen Zufriedenheit
der Compagnie du Mont-Blanc und bieten für die zahl­reichen Besucher der Aussichtsplattform auf dem ­Aiguille du Midi deutlich mehr
Sicherheit und Komfort als die alte Anlage.»
Die Aussichtsterrasse auf dem Aiguille du Midi im Mont-Blanc-­
Massiv ist tatsächlich eine der Top-Attraktionen der Region. Leicht
auch mit der Seilbahn zu erreichen, zieht der Aussichtspunkt auf
3842 Metern Höhe jährlich mehr Touristen an – mittlerweile sind es
rund eine halbe Million pro Jahr –, insbesondere auch seit der Eröffnung des «Pas dans le Vide» (Schritt ins Leere) im Dezember 2013.
Von dieser vollverglasten Kabine aus, auch die Füsse stehen auf
­einem Glasboden, hat man einen unvergleichlichen Blick auf das
Mont-Blanc-Massiv und die Nebengipfel – sofern man den Mut hat,
den gläsernen Boden zu betreten.
Die Aussichtsplattform und der «Pas dans le Vide» sind allerdings
nur per Aufzug zu erreichen und dieser, Jahrgang 1966 (modernisiert 1996), war ziemlich in die Jahre gekommen. Zudem war der
­Zugang zur Aussichtsplattform jeweils blockiert, wenn Unterhalts­
arbeiten oder Reparaturen anstanden. Als das Betreiberunternehmen Compagnie du Mont-Blanc (CMB) darum 2011 beschloss, den
ganzen Aussichtspunkt Aiguille du Midi, inklusive Seilbahn, total zu
sanieren, war auch klar, die Situation der vertikalen Erschliessung zu
verbessern. Die Verhandlungen zwischen CMB und Schindler Frankreich begannen im September 2013, der Vertrag wurde am 15. Mai
2014 unterschrieben und bereits ein Jahr später, am 8. beziehungsweise 15. August 2015 wurden die beiden Aufzüge übergeben.
Dass die Montage von Aufzügen auf 3800 Metern Höhe – in ewigem
Eis und bei extremen klimatischen Bedingungen – kein Zuckerlecken
ist, versteht sich von selbst. Die sechs beteiligten Monteure von
Schindler Frankreich unter der Leitung von Robert Fridmann wurden
intensiven medizinischen Tests unterzogen und bereiteten sich während Monaten auf die strapaziöse Arbeit auf dem Aiguille du Midi
vor. Und als sie dann endlich loslegen wollten, gab es eine mehrmonatige Verspätung, da die Firma Acro BTP länger benötigte als geplant
mit der Vergrösserung des Granitschachtes und dem Abtransport
des Geröllmaterials. Die Schindler-Monteure überbrückten diese Zeit
mit einem Aufenthalt auf dem 3500 Meter hohen Gipfel Torino,
wo sie sich weiter an die Höhe akklimatisierten, Montagetrainings
übten und zwecks Teambildung Hochgebirgstouren unternahmen.
Nachdem die 200 m³ Schachtmaterial ausgebrochen und entsorgt
waren, begannen im Dezember 2014 die Umbau- und Montagearbeiten: Die Monteure waren fünf Tage pro Woche, im August sogar
sechs, im Einsatz, bei hoher Kälte und Luftfeuchtigkeit, Dunkelheit
sowie ständig wechselnden Wetterbedingungen. Statt eines Aufzuges wurden im 70 cm breiteren Schacht zwei neue Schindler 7000
nebeneinander eingebaut, mit je eigenem Maschinenraum unten
seitlich. Zwei grosse Vorteile hat diese Lösung: Auch bei Unterhaltsarbeiten oder Reparaturen ist immer ein Aufzug im Einsatz. Und falls
es mal zu einer Störung kommt, können die Passagiere im 65 Meter
hohen Schacht sicher von der stillstehenden Kabine in die noch laufende evakuiert werden. «Die neuen Aufzüge sind darum nicht
nur komfortabler, sondern auch schneller und sicherer», sagt François Reutter.
Seit Mitte August 2015 laufen nun die beiden Schindler 7000 zu­
verlässig und einwandfrei und vermitteln den Touristen auf dem
­Aiguille du Midi ein einmaliges Erlebnis, nachdem die Aussichtsplattform wegen des Umbaus rund ein Jahr nicht zugänglich ge­
wesen war. Luc Bonnard, Vizepräsident des Verwaltungsrates der
Schindler-Gruppe, liess es sich nicht nehmen, am 11. Januar 2016
allen Beteiligten dieses Grosserfolges in Chamonix persönlich zu
gratulieren, nachdem er bereits am 18. Juli 2014 mit CMB-Präsident
Mathieu Dechavanne auf 3842 Meter Höhe, im «Pas dans le Vide»,
die Partnerschaft von Schindler und der Compagnie du Mont-Blanc
mit einem Handschlag besiegelt hatte. n
next floor
33
Architektur Schweiz
Eines der energieeffizientesten
Hochhäuser Europas
Durch die im Energieleitbild des Pharmakonzerns Roche definierten Zielvorgaben ist beim
markanten Hochhaus Bau 1 in Basel grosses Augenmerk auf die Energieeffizienz gelegt
worden. Der Neubau mit 2000 Büroarbeitsplätzen – das mit 178 Meter höchste Gebäude der
Schweiz – besticht durch seine markante Keilform und die stufenförmigen Geschosstreppen
auf der Westseite sowie eine Gebäudehülle mit Bandfenstern.
34
Der Bau 1 von Roche in Basel ist ein sich
in der Höhe verjüngendes Hochhaus von 178 Metern
mit 41 Geschossen. Das bebaute Lichtraumprofil
ist Grundlage für die klare regelmässig
abgetreppte Form, welche nach Westen in ZweierStufen terrassiert und im Osten durch feinere
Dreier-Stufen beinahe senkrecht verläuft.
Text Curt M. Mayer Bild Ruedi Walti | Curt M. Mayer
D
ie Architektur von Bau 1 bringt die neuen Möglichkeiten der
­Bürokommunikation zum Ausdruck und unterstützt sie aktiv.
Das Konzept ist flexibel und bietet attraktive Arbeitsplätze und
­Infrastruktureinrichtungen. Die Herausforderung für die mit der
­Planung betrauten Architekten Herzog & de Meuron bestand darin,
einen urbanen Ort zu schaffen im Gegensatz zu einem monofunktionalen Bürobau, wo jedes Geschoss vom nächsten abgetrennt und
nur über einen zentralen Kern erschlossen wird.
Die Wendeltreppen, wie sie den Eingangsbereich
und die ­Kommunikationszonen dominieren,
entspringen einer baulichen ­Tradition von Roche,
wie sie auf die Architektur im Direktions­gebäude
von 1937 des Architekten Salvisberg zurückgeht.
Hochhaustypologie der Architektur
Vor der Projektierung des 178 Meter hohen Gebäudes stand ein
­intensiver Dialog für die Formfindung an. Daraus kristallisierte sich
eine Hochhaustypologie heraus, welche die interne Organisation
und Kommunikation der verschiedenen Funktionseinheiten abbildet
und fördert, wie Architekt Jacques Herzog anlässlich der Einweihung
ausführte. Die rund 2000 Arbeitsplätze unterschiedlicher Abteilungen von Roche waren bisher auf diverse Standorte in der Stadt verteilt. Mit diesem «Office Re-entry» genannten Verdichtungsprozess
wurden sie nun im Hochhaus zusammengefasst. Dadurch entsteht
eine Kommunikation zwischen und innerhalb der Einheiten, die
­bisher nicht möglich war. Es werden einerseits Arbeitssynergien ausgelöst, anderseits wird die Identifikation mit dem Unternehmen
durch ­Integration der Mitarbeitenden auf dem Gelände gefördert.
Die Nutzungen mit hohen Personenströmen, wie das Auditorium
mit 500 Sitzplätzen, das Mitarbeiterrestaurant sowie die zentralen
Sitzungszimmer, sind im unteren Gebäudebereich angeordnet und
somit für alle Mitarbeiter schnell zu erreichen. Das Auditorium
­zeichnet sich als ein weit auskragendes Bauvolumen ab, welches
klar den Haupteingang mit dem grosszügig überdeckten Aussen­
bereich markiert. Ab dem fünften Obergeschoss folgen die Büros
«Die Fertigstellung von Bau 1 ist der Startpunkt
für den weiteren Ausbau von Roche am
Standort Basel. Dafür sind zusätzliche Investitionen
in Gebäude in der Architektur­sprache des
Pharmakonzerns in der Grössenordnung von
3 Milliarden Franken initiiert worden.»
Severin Schwan, CEO von Roche
mit den Kommunikationszonen. Im 38. Stockwerk befindet sich
die Top-Floor-Cafeteria mit prächtigem Ausblick auf Basel und das
Umland.
Durch die schlichte, aber unverwechselbare Form und die Höhe des
Gebäudes wird das Roche-Areal im Stadtraum verankert, geben sich
die Architekten überzeugt. Die Geometrie des Gebäudes lässt Bau 1
von verschiedenen Standpunkten aus ganz anders erscheinen. So
tritt das Gebäude vom Rhein, also von Süden aus als abgetreppte
Keilform in Erscheinung. Aus der Fussgängerperspektive heraus fügt
sich das Gebäude durch die zurückspringenden Bandfenster in den
Strassenraum ein. Damit bildet sich ein weich verlaufender Übergang vom menschlichen Massstab zu den auf der Nord- und Südseite glatten Fassaden der urbanen Messlatte.
Innovative Fassade als Gebäudehülle
Das Hochhaus mit 41 Stockwerken verjüngt sich in seiner Höhe
von 178 Metern. Das bebaute Lichtraumprofil ist Grundlage für die
klare regelmässig abgetreppte Form, welche nach Westen in ZweierStufen terrassiert und im Osten durch feinere regelmässige DreierStufen beinahe senkrecht verläuft. Das Gebäude besteht aus ­einem
Kern und gliedert sich durch übereinandergeschichtete Geschossplatten. Diese drücken sich gegen aussen in Ost/West-Richtung
durch weisse, horizontal umlaufende Brüstungsbänder plastisch
aus. Das Bandfenster als typisches Merkmal der Moderne hatte bei
der Entwicklung der architektonischen Identität von Roche seit den
dreissiger Jahren eine stilbildende Wirkung. Diese prägt einige Gebäude am Standort Basel bis heute, wie Herzog rückblickend festhält. Bau 1 verkörpert diese architektonische Identität und Tradition
und verleiht ihnen einen neuen Ausdruck.
Das geforderte energieeffiziente Konzept wird durch eine innovative
Fassade nach dem System Closed Cavity Fassade (CCF) erfüllt. Diese
weist bei gesamthaft 38 000 m2 Fläche eine grosse Typenvielfalt, c
next floor
35
Architektur Schweiz
Der grosszügige Eingangsbereich
wird durch eine weit auskragende
Deckenkonstruktion geprägt,
auf der sich das Auditorium mit
500 Sitzplätzen entwickelt.
Als Besonderheit sind gemeinsame
Kommunikationszonen erschlossen
worden. Diese zwei- oder drei­
geschossigen Raumeinheiten sind
im Westen und Osten der Stockwerke
angeordnet und durch grosszügige
Wendeltreppen verbunden.
hochtransparente Gläser und effizienten Sonnenschutz auf.
Als Green Building erreicht Bau 1 Werte deutlich unter dem Minergie-Standard und setzt neue Massstäbe bezüglich Nach­haltigkeit
und Energieeffizienz bei gleichzeitig sehr hoher Raumluftqualität.
Im Vergleich mit europäischen «Green Buildings» ist Bau 1 eines der
energieeffizientesten Hochhäuser, geben sich die Roche-Verantwortlichen überzeugt.
c
Nachhaltiges Energiekonzept umgesetzt
Die Basis für die energetische Auslegung des Hochhauses bilden
eine Minimierung des Energiebedarfs, eine nachhaltige Energieversorgung und ein energieeffizienter Betrieb. Dies im Rahmen des in
der Realisierung begriffenen Energieleitbildes 2020 von Roche. Damit beträgt der Energieverbrauch des Bau 1 bei einer vergleichbaren
Anzahl von Arbeitsplätzen nur ein Fünftel des zu ersetzenden über
40 Jahre alten Bau 74 und übertrifft somit den Standard für Minergie. Die nachhaltige Energieversorgung erfolgt durch Nutzung von
Arealabwärme zum Heizen, der Grundwassernutzung zum Kühlen,
der Wärmerückgewinnung sowie mit Wärmepumpen zur Warmwassererzeugung.
Für eine Reduktion des Energiebedarfs wurde diesem Projekt ein
­limitierter Glasanteil der Fassade von 60 Prozent effektivem Sonnenschutz zugrunde gelegt. Die Basis für die Energieeffizienz ist durch
eine gut isolierte Gebäudehülle gelegt. Zum Bereich der Lichtoptimierung gehört eine Tageslichtnutzung, hinzu kommen ferner LEDBeleuchtung und Konstantlichtregelung.
Flexible Büronutzungen
Die Gebäudenutzungen sind dem Lichtraumprofil folgend aufein­
andergestapelt. Durch Rücksprünge entstehen bei den 41 Geschossen zahlreiche begehbare Terrassen, die von den gemeinsamen
Kommunikationszonen aus zugänglich sind. Das sind zwei- oder
dreigeschossige Räume, jeweils durch grosszügige und elegante
Wendeltreppen verbunden. Die begehbaren Terrassen bieten den
Mitarbeitern, die in den festverglasten Bürobereichen arbeiten,
­einen Aussenbezug mit natürlicher Belüftung. Diese Begegnungsplattformen sind im Osten und Westen der Geschosse verteilt angeordnet. Sie schaffen auf diese Weise auf jedem Stockwerk Orientierungspunkte, wo sich die Mitarbeiter zum informellen Austausch
und zu Sitzungen treffen und sich zu Pausen in den Loungebereichen zurückziehen können. Die Wendeltreppen entspringen einer
baulichen Tradition von Roche, wie sie noch heute im Direktionsgebäude von 1937 des Architekten Salvisberg in Erscheinung tritt. n
36
Aufzugstechnik mit
Energierückgewinnung
Das höchste Gebäude der Schweiz ist mit 14 Hoch­
leistungsaufzügen sowie dem neuesten Verkehrs­
managementsystem ausgerüstet. Diese Aufzüge vom
Typ Schindler 7000 bringen die Passagiere mit einer
Geschwindigkeit von bis zu 6 m/sec bis ins 41. Stockwerk. Im Roche Bau 1 werden höchste Transport­
leistung mit hervorragender Energieeffizienz gepaart.
Ermöglicht wird dies durch ein Energierückgewinnungssystem von Schindler, das überschüssigen Strom
ins Gebäudenetz zurückspeist und damit zur positiven
Energiebilanz beiträgt.
Im Bau 1 kommt auch die Port-Technologie von
­Schindler zum Einsatz: Diese neuste Verkehrs­
managementsystem-Generation führt die Passagiere
­automatisch zu jenem Aufzug, der sie in kürzester
Zeit zum gewünschten Ziel bringt.
Facts & Figures
Roche Turm Bau 1
Bauherrschaft F. Hoffmann-La Roche AG
Architekten Herzog & de Meuron AG
Gebäudehöhe 178 m
Länge am Fuss 94 m
Breite 37 m
Stockwerke 41 (oberirdisch)
Grundfläche 3500 m²
Bruttogeschossfläche 83 000 m²
davon oberirdisch 74 200 m²
Gesamtvolumen 375 000 m³
davon oberirdisch 324 000 m³
Treppenstufen 3650
Kosten 550 Mio. CHF
Nachhaltige Arealentwicklung
Das Pharmaunternehmen Roche konkretisierte 2014
ein Investitionspaket in Höhe von 3 Milliarden Franken,
mit dem der Standort ihres Basler Areals weiter gestärkt werden soll. Davon entfallen 1,7 Mrd. CHF auf
­Anlagen für Forschung und Entwicklung, 1,3 Mrd. CHF
auf Erneuerungen am Hauptsitz sowie 550 Mio. CHF
auf ein neues Bürogebäude Bau 2 mit einer Höhe
von 205 Metern. Neben dem Ausbau der Forschungsstätten will das Unternehmen seine bisher im Stadt­
gebiet verteilten Arbeitsplätze weiter verdichten.
Dazu soll als weiteres Hochhaus der Bau 2 bis 2021
für 1700 Büro­arbeitsplätze bezugsfertig sein. Dieser
­Neubau auf der gegenüberliegenden Seite der Grenz­
acherstrasse wird optisch an den Bau 1 angelehnt
sein und mit rund 50 Stockwerken und 205 Metern
Höhe den bisherigen Roche Tower übertreffen.
next floor
37
nextnews
Broschüre mit
den Siegerprojekten
des Schindler Award
2015.
Schindler Global
Award – von
Shenzhen nach
São Paulo
Schindler-Aufzüge
und Fahrtreppen
für höchstes
Gebäude Europas
Der Schindler Global Award, einer der
bedeutendsten Wettbewerbe für Studierende aus Architektur und Städtebau, geht in die nächste Runde und
wechselt seinen Austragungsort von
Shenzhen nach São Paulo.
2015 hatte der Schindler Award erstmals eine
weltweite Ausrichtung, der Wettbewerb
­fokussierte auf die Metropole Shenzhen in
China. Weltweit nahmen über 600 Teams teil,
12 Projekte wurden speziell ausgezeichnet.
Der Wettbewerb war ein durchschlagender
Erfolg und brachte Studierende aus allen
Kontinenten zusammen, die ihre Ideen und
Schindler liefert alle Aufzüge und
Fahrtreppen für das Hochhaus Lakhta
Center im russischen St. Petersburg.
Die Fertigstellung des höchsten
­Gebäudes Europas mit seinen
462 Metern – sofern man die Spitze
des Wolkenkratzers hinzuzählt –
ist für 2018 vorgesehen.
Mit dem Bau des Wolkenkratzers am finnischen Golf wurde bereits im Oktober 2012
begonnen. Am Ufer des finnischen Meer­
busens soll ein Gesamtkomplex mit ins­
gesamt 330 000 m² Büro- und Geschäfts­
fläche entstehen. Der türkische
Entwürfe teilten. Die nächste Austragung
verspricht noch spannender zu werden.
Der Wettbewerb startet Mitte 2016 und
­dauert bis Mitte 2017. Teilnehmen können
Studierende im letzten Jahr ihres Bachelor-­
Studiums sowie Master-Studierende aus den
Bereichen Architektur, Landschaftsarchitektur, Städteplanung und -bau von Architekturund Städtebaufakultäten anerkannter Hochschulen und Universitäten.
Der Schindler Global Award 2017 wird von
der Schindler-Gruppe durchgeführt, erneut
in Zusammenarbeit mit dem Institut für
­A rchitektur und Städtebau von Professor
Kees Christiaanse der ETH Zürich. Der Wettbewerb 2017 thematisiert den Einfluss von
aktuellen und künftigen Mobilitätssystemen
in ­einer der bedeutendsten Metropolen
Südamerikas und der Welt, São Paulo.
www.schindleraward.com
38
Das Lakhta-Center
im russischen
St. Petersburg.
Generalunternehmer Renaissance Construction ist für den Bau des Hochhauses zu­
ständig, der Investor ist JSC’Lakhta, eine
Tochterfirma von Gazprom, dem grössten
russischen Erdgasförderungsunternehmen.
Schindler wird insgesamt 26 Schindler7000-Hochleistungsaufzüge für das Hochhaus liefern, davon 16 Doppeldecker, zusätzlich noch 7 Glasaufzüge, 3 Schindler
5500 sowie 2 Schindler 3300 und 2 Speiseaufzüge. Hinzu kommen noch 6 Fahrtreppen Schindler 9300. Schindler hat den Auftrag gegen harte internationale Konkurrenz
gewonnen.
Montagebeginn für den Millionenauftrag ist
April 2016, die Übergabe aller Aufzüge und
Fahrtreppen ist auf Anfang 2018 geplant.
Für die Realisierung des Grossprojektes hat
Schindler eigens einen Projektleiter aus der
Schweiz in St. Petersburg stationiert.
Die geplanten
Erweiterungs­bauten des
Kantonsspitals
St. Gallen.
Neubauprojekt
Kantonsspital
St. Gallen
mit Schindler
Schindler rüstet
grössten Flug­
hafen der Welt
in der Türkei aus
Schindler liefert alle Aufzüge für die
verschiedenen Neubauten des
Kantons­spitals St. Gallen, die zwischen
2016 und 2027 errichtet werden sollen. Das Unternehmen ist stolz darauf,
diese Grossausschreibung gewonnen
zu haben.
Ein Teil der Infrastruktur des Kantonsspitals
St. Gallen entspricht nicht mehr den aktuellen betrieblichen Anforderungen. Daher
­werden in den nächsten Jahren zwei Nebengebäude auf dem Spitalareal errichtet, die
perfekt angeordnete Untersuchungs- und
Behandlungsräume beherbergen. Das Ge-
Istanbul Grand Airport (IGA) hat
Schindler als Hauptlieferanten für
die Lieferung von Aufzügen und
­Fahr­treppen am neuen internationalen
Flughafen in Istanbul gewählt.
Mit der Vertragsvergabe der IGA an Schindler wird der grösste Flughafen der Welt
mit insgesamt 648 Schindler Anlagen aus­
gerüstet. Der Auftrag für den neuen Flug­
hafen umfasst die Lieferung, Installation und
Wartung von 306 Aufzügen, 159 Fahrtreppen sowie 183 Fahrsteigen.
Der neue Flughafen erhöht die Kapazität
der bestehenden Flughäfen der Stadt um
bäude 07a sollte 2021 bezugsbereit sein und
Gebäude 07b im Jahr 2027. Zudem wird das
Ostschweizer Kinderspital bis 2022 in Neubauten auf dem Areal des Kantonsspitals
umziehen. Die Gesamtkosten für die drei
Neubauten betragen über 600 Mio. CHF.
Schindler St. Gallen hat auch die Ausschreibung für die zukünftigen Bauvorhaben
­ge­­wonnen. Von Mai 2017 bis 2024 sollen
38 Aufzüge montiert werden: zwei Schindler
7000 für die Feuerwehraufzüge und
36 Personenaufzüge Schindler 5500. «Wir
sind stolz darauf, dass Schindler St. Gallen
das Vertrauen des Kunden für dieses
­wegweisende Vorzeigeprojekt gewinnen
konnte. Nun liegt es an uns zu beweisen,
dass wir dieses Vertrauen auch verdienen»,
so Beat Bussmann, Verkaufsleiter Neu­
anlagen, Schindler St. Gallen.
Der neue Flughafen
in Istanbul sprengt
alle Grenzen.
ein Vielfaches. Nach der Fertigstellung wird
der neue Flughafen von mehr als 150 Airlines genutzt, die wiederum über 350 Destinationen anfliegen. Es wird ein jährliches
Passagieraufkommen von rund 200 Millionen erwartet.
«Wir sind absolut davon überzeugt, den richtigen Partner gewählt zu haben. Schindler
liefert nicht nur qualitativ hochwertige Produkte und zuverlässigen Service sondern
steht auch für ein hochstehendes Projekt­
management, welches den hohen terminlichen Anforderungen dieses Megaprojekts
gerecht wird», erklärt Yusuf Akçayo ǧlu,
CEO der IGA.
Präzise, moderne und energieeffiziente
Schindler-Produkte finden sich beispielsweise bereits in den Flughäfen von Singapur,
Seoul, Mumbai, London, München oder
Rom und werden nun – nach dessen Fertigstellung – auch den reibungslosen Verkehrsfluss innerhalb des weltweit grössten Flug­
hafens in Istanbul sicherstellen.
next floor
39
4 World Trade Center, New York
Wir bewegen.
In Feusisberg und im weiteren Umkreis.
Täglich nutzen weltweit mehr als 1 Milliarde Menschen Aufzüge, Fahrtreppen
und innovative Mobilitätslösungen von Schindler. Hinter unserem Erfolg stehen
57 000 Mitarbeitende auf allen Kontinenten.
www.schindler.ch
Herunterladen