Michael Gees am Flügel und der Tenor Julian Prégardien sorgten mit dem Liederzyklus «Die Winterreise» von Franz Schubert für viele spannende Momente Bild: jst Auch ohne Schnee wurde Franz Schuberts Winterreise zu einem eindrücklichen Erlebnis Der Liederzyklus wurde im Murianer Festsaal in der historischen Fassung von 1862 aufgeführt Der junge und hervorragende Tenor Julian Prégardien und der renommierte Pianist Michael Gees, beide aus Deutschland, begeisterten in der Reihe Musik im Festsaal mit der «Winterreise» von 1862. Das besondere an der Aufführung waren die Zwischenspiele nach dem historischen Vorbild einer Soirée von Clara Schumann und Julius Stockhausen. Jörg Steinmann Den Bariton Julius Stockhausen lernte Clara Schumann im Sommer 1854 kennen, als Robert nach einem Selbstmordversuch bereits in die Heilanstalt Endenich eingeliefert worden war. Schon nach dem ersten Hören pries sie ihn als «herrlichen Sänger» und «wahrhaft erfreuliche Erscheinung am Kunsthimmel». Der in Paris ausgebildete Sänger war einer der ersten grossen Liedinterpreten des 19. Jahrhunderts. Er war der erste, der Schuberts und Schumanns Liedzyklen als Ganzes aufführte: in Wien 1854 Schuberts «Schöne Müllerin», 1861 Schumanns «Dichterliebe», am Klavier begleitet von Brahms. Clara Schumann führte mit Stockhausen vor genau 153 Jahren am 27. November 1862 die Winterreise in Hamburg auf. Dabei wurde der 24 Lieder umfassende Zyklus in drei «Portionen» geteilt und dazwischen erklangen Kompositionen von Bach, Scarlatti und Mendelssohn. Die Interpretation eines Liedzyklus ohne Pause war damals noch immer undenkbar. Julian Prégardien und Michael Gees mit der Fassung von 1862 Mit der Interpretation der Winterreise von Stockhausen und Schumann befassten sich auch die beiden hervorragenden Interpreten aus Deutschland. Der junge Tenor Julian Prégardien ist als Opern-, Konzertund Liedsänger international erfolgreich und arbeitet mit führenden Dirigenten und Ensembles der heutigen Zeit zusammen. Als Sohn des Sängers Christoph Prégardien erhielt er seine musikalische Grundausbildung im Elternhaus. Später studierte er bei der Limburger Dommusik und an der Musikhochschule Freiburg. Seit 2013 hat er einen Lehrauftrag in der Oratorienklasse der Hochschule für Musik und Theater München. Der Komponist, Pianist und Improvisator Michael Gees liess nach steiler Wunderkindkarriere als 15-Jähriger die Musik zunächst einmal hinter sich. Nach Studienjahre in Salzburg, Wien, Detmold und Hannover arbeitete er seit 1980 als freischaffender Komponist und Pianist. Er verbindet die Musik «alter Meister» mit der Darbietung eigener Werke und tritt in den Dialog mit den «Persönlichkeiten der Klassik». Ein Zyklus mit 24 Liedern von Wilhelm Müller Die Texte der Winterreise stammen von Wilhelm Müller aus Dessau, der in schwäbischen Dichterkreisen verkehrte. Die Gedichte entstanden in zwei Abteilungen, wobei Schubert die ersten zwölf Gedichte im Februar 1828 und die weiteren im Oktober des gleichen Jahres komponierte. «Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh’ ich wieder aus», mit diesen Versen des ersten Liedes der Zyklus eröffneten die beiden Musiker den Abend mit Liedern der Romantik und nahmen die Zuhörer mit auf die Wanderung zu verschiedenen Stationen wie etwa zur Wetterfahne. Dazwischen erfreute Michael Gees, der selber auch komponiert, mit passenden Improvisationen. Mit «Gfror'ne Tränen» oder «Erstarrung» erinnert der Tenor an die Tücken des Winters und beeindruckte mit seiner bemerkenswerten Gestaltungskraft vom leisesten Piano bis zum mächtigen Fortissimo. Dazu passte dann die melancholische Sonata in c-Moll von Domenico Scarlatti hervorragend. Zu einem besonderen Hörerlebnis wurde das bekannte Lied «Der Lindenbaum», welches Julian Prégardien sehr schön interpretierte. Die Reise durch die Winterlandschaft führte zur «Wasserflut» und auf den Fluss. Träume von bunten Blumen und grünen Wiesen «Es brennt mir unter beiden Sohlen…» im Lied «Rückblick» benützte der Wanderer für einen kleinen Halt um sich zugleich die Gavotte in gMoll von J.S. Bach anzuhören, bevor er sich «In die tiefsten Felsengründe» im «Irrlicht» aufmachte. Und als sich die Müdigkeit bemerkbar machte, wie sie im Lied «Rast» zum Ausdruck kam, legte sich der Wanderer zur Ruhe und genoss die feinen Klänge der Scarlatti-Sonate in C-Dur und träumte von den Schönheiten des Frühlings, die der Tenor im Lied «Frühlingstraum» sehr schön skizzierte. Aber bald holte den Wanderer die Einsamkeit wieder ein. Dazu passte dann das Pianowerk von Felix Mendelssohn «Lied ohne Worte» hervorragend und leitete über zu einer Verschnaufpause auch für die Zuhörer. Aufgeweckt durch das Posthorn Frohgelaunt begann der zweite Teil des Abends mit dem beschwingten Lied «Von der Strasse her ein Posthorn klingt». Nachdenklicher wurde es dann wieder mit «Der greise Kopf» bis dann das Lied von der Krähe für Auflockerung sorgte. Und mit «Letzte Hoffnung» stand mit «Ach, und fällt das Blatt zu Boden» bereits wieder der Winter vor der Tür. Mit einer weiteren Improvisation leitete Michael Gees gekonnt über zum Besuch «Im Dorfe» mit bellenden Hunden und träumenden Menschen und dem Erwachen an einem stürmischen Morgen. Mit der Sonata in fis-Moll von Scarlatti und dem Thema in A-Dur von Mozart war wieder die Zeit zum Träumen gekommen, bevor der Wan- dersmann mit der nächsten Täuschung «Ein Licht tanzt freundlich vor mir her…» überrascht wird. Obwohl ein Wegweiser die Richtung angibt geht der Wanderer die Strasse, die noch keiner ging. Nach einem weiteren Lied ohne Worte von Mendelssohn ging es in ein Wirtshaus an einem besonderen Ort «Auf einen Totenacker hat mich mein Weg gebracht». Weil alle Kammern besetzt waren, packte er den Mut und setzte seinen Weg zu den Nebensonnen weiter fort. Mit dem Anblick der drei Sonnen mit ihrem stieren Verhalten zog der Wanderer das Dunkel wieder vor und stösst nach einer weiteren Improvisation auf den Leiermann hinter dem Dorf, der barfuss mit seinen starren Fingern die Leier spielte. Ein beeindruckender Konzertabend «Wunderlicher Alter! Soll ich mit dir geh’n? Willst du meinen Liedern deine Leier dreh’n?», mit diesen ernsten Liedversen ging eine abwechslungsreiche aber auch dramatische Wanderung durch den Winter mit zwei hervorragenden Interpreten zu Ende. Das nachdenklich gestimmte Publikum musste fast wach gerüttelt werden, als die Stimme des Tenors und des Flügels verstummt waren. Doch die Freude über das Gehörte war sehr gross und die Zuhörer bedankten sich mit einem tosenden Applaus für die eindrückliche Wiedergabe dieses beliebten Liederzyklus. Die beiden Künstler verabschiedeten sich dann mit «Abschied von der Erde» von Franz Schubert, einem Melodrama für Sprecher und Klavier. «Winterreise» Das Konzert wurde von Radio SRF 2 Kultur aufgezeichnet und wird am kommenden Donnerstag, 10. Dezember, um 20 Uhr ausgestrahlt. red