Powered by Seiten-Adresse: https://www.biooekonomiebw.de/de/fachbeitrag/aktuell/nylon-aus-dem-biotank/ Nylon aus dem Biotank Im Cluster Biopolymere/Biowerkstoffe ist Anfang 2009 das Projekt „Biobasierte Polyamide durch Fermentation “ angelaufen. Ziel ist, mit biotechnologischen Verfahren Grundstoffe herzustellen, aus denen Kunststoffchemiker Polyamide mit neuen Eigenschaften entwickeln wollen. Damenstrumpfhosen, Drachenschnüre und Dübel haben eines gemeinsam: sie werden aus Polyamiden hergestellt. Die technisch-nüchterne Vokabel „Polyamid“ steht nicht nur für Erfolgsgeschichten wie der des Nylons, sondern auch für die Werkstoffträume vieler Produktentwickler. Die Kunststoffe werden chemisch-synthetisch hergestellt und lassen sich dabei so stark variieren, dass ihre Eigenschaften in viele Richtungen angepasst werden können. Keine Überraschung also, dass Polyamide nicht nur zu Massenwaren wie Shirts und Strumpfhosen verarbeitet werden, sondern auch für Zahnräder, Gleitlager, Gehäuse oder Implantate ein wichtiger Werkstoff sind. Neue Eigenschaften durch neue Basisstoffe Mit solchen Laborbioreaktoren führen Wissenschaftler erste Tests durch, um daraus biotechnologische Verfahren im Industriemaßstab zu entwickeln. © BIOPRO/Bächtle Obwohl Kunststoffproduzenten schon fast 75 Jahre Erfahrung bei der Herstellung und Verarbeitung von Polyamiden haben, stoßen sie immer mehr an Grenzen. Der Forschritt 1 fordert Polyamide mit besseren Eigenschaften – doch die langen Molekülketten lassen sich nicht beliebig biegen, ziehen, pressen oder erhitzen. Um das Anwendungsspektrum der Polyamide zu erweitern, müssen Neuentwicklungen erarbeitet werden. Das Nylon der Zukunft soll Werkstoffeigenschaften wie Schlagfestigkeit, Zugfestigkeit, Hitzebeständigkeit in einer Art und Weise kombinieren, die es bislang nicht gibt. Die Polyamide von morgen sollen noch besser verformbar und dennoch mechanisch stabil sein, sie sollen Umwelteinflüssen beharrlich trotzen und sich trotzdem gut anfühlen. Das Geheimnis der Eigenschaften eines Polyamids schlummert maßgeblich in den Grundstoffen, aus denen ein Polyamid aufgebaut ist. Entweder kommen Aminosäuren zum Einsatz oder die Entwickler greifen zu Mischungen aus Diaminen und Dicarbonsäuren. In beiden Fällen finden sich in den Grundstoffen genau die funktionellen Gruppen, die für die Polymerisierungsreaktion, also die chemische Synthese eines Polyamids, essenziell sind. Im Clusterprojekt „Biobasierte Polyamide durch Fermentation“ widmen sich die Projektpartner unter Federführung der BASF SE der biologischen Synthese von Diaminen. Unter ihnen gibt es nämlich einige technisch interessante Varianten, die bislang nur unter hohem Aufwand chemisch-synthetisch hergestellt werden können. Zu den hoffnungsvollen Kandidaten zählt das Diaminopentan, über das bereits der Erfinder des Nylons, Wallace Carothers, Mitte der 1930er Jahre sagte, dass es sehr gute Eigenschaften besäße. Als Grundstoff für Polymere konnte es sich bisher dennoch nicht durchsetzen – es war schlicht zu teuer. Doch der Fortschritt verändert die Bedingungen. Diaminopentan hat wieder das Interesse der Kunststoffindustrie geweckt, weil von einem chemisch eng verwandten Molekül inzwischen biotechnologisch mehr als 100.000 Tonnen pro Jahr hergestellt werden. Die Rede ist von Lysin, einer für Mensch und Tier lebenswichtigen Aminosäure. Die BASF SE und das Institut für Bioverfahrenstechnik der TU Braunschweig widmen sich daher zwei zentralen Fragen: Wie kann die biotechnologische Produktion von Diaminopentan über die Zwischenstufe Lysin wirtschaftlich realisiert werden? Und: Welche neuen Polyamide lassen sich aus Diaminopentan ableiten? Schlüsselstelle Stoffwechsel Aus Polyamiden werden unter anderem Textilfasern hergestellt. Das Bild zeigt das Rohmaterial. © BIOPRO/Bächtle Sollen Mikroorganismen oder Zellen für die Produktion von Gundsubstanzen wie 2 Diaminopentan effizient genutzt werden, kommt zwei Fachdisziplinen eine wichtige Rolle zu: Systembiologie und Metabolic Engineering. Die Systembiologie analysiert Stoffwechselwege und erstellt mathematische Modelle über Stoffströme und Stoffumsätze – sie liefert also die stoffwechselphysiologische Visitenkarte einer Zelle. Grundlage für derartige Modelle sind Daten über das Erbgut eines Organismus’ und die Mechanismen der Genregulation, aber auch Kennzahlen über die Kinetik von Enzymreaktionen sowie Stoffkonzentrationen. So wurde zum Beispiel der Lysinsyntheseweg des Mikroorganismus’ Corynebacterium glutamicum in den vergangenen Jahren exakt analysiert. Zumindest für dieses Bakterium sind die Stellschrauben des Lysinstoffwechsels heute bekannt. Der Übergang von der Glykolyse zum daran paralell angekoppelten Pentosephosphatweg sowie die Produktion von Oxalacetat und Aspartat sind die wichtigsten Schlüsselstellen. Metabolic Engineering Meistens sind die Stoffwechselwege, die die Natur angelegt hat, nicht ideal für industrielle Produktionsverfahren. Es gibt Engstellen, Umwege, Nebenreaktionen, Sackgassen – Faktoren, die die Ausbeute schmälern. Für das Leben unter natürlichen Bedingungen sind diese Variationsmöglichkeiten wichtig, weil sie einem Organismus Spielräume schaffen. Im Bioreaktor ist Flexibilität jedoch ein unerwünschter Luxus, es zählen allein hohe Produktionsraten. Diese können nur dann erreicht werden, wenn der Stoffwechsel einer Zelle an den entscheidenden Stellen modifiziert und auf das gewünschte Produkt fokussiert wird. Mit dieser Aufgabe befasst sich das so genannte Metabolic Engineering. Es entwickelt den Stoffwechsel nach Maß. Welchen Einfluss das Metabolic Engineering auf das Produktionsverhalten eines Organismus’ haben kann, zeigen folgende zwei Beispiele. Bei Corynebacterium glutamicum kann die Lysinbildung um 50 Prozent gesteigert werden, wenn das Gen für das Enzym Pyruvatcarboxylase übermäßig exprimiert wird. Pyruvatcarboxylase setzt Pyruvat, ein Endprodukt der Glykolyse, zu Oxalacetat um. Dieses wiederum ist eine wichtige Vorstufe für die Lysinsynthese. Entfernt man hingegen das Pyruvatcarboxylase-Gen, bricht die Lysinsynthese ein. Des Weiteren fanden Wissenschaftler heraus, dass sie die Lysinproduktion um 40 Prozent verbessern können, wenn sie den zweiten Reaktionsschritt in der Glykolyse blockieren. Sie legten das Enzym Phosphohexose-Isomerase lahm und zwangen die Zelle, sich einer Nebenstrecke des Zuckerstoffwechsels zu bedienen – dem Pentosephosphatweg. Mit dieser Maßnahme verringerten sie Nebenreaktionen und steigerten zudem die Produktion an NADP – ein Molekül, das für die Lysinsynthese unverzichtbar ist. Lästige Anhängsel abspalten 3 Strukturformel der Aminosäure L-Lysin © Wikipedia Strukturformel von Diaminopentan © Wikipedia Diese Produktionszuwächse an Lysin sind wertvoll, aber dennoch nur die halbe Miete auf dem Weg zu neuen Polyamiden. Am Ende des biotechnologischen Prozesses soll schließlich nicht Lysin, sondern Diaminopentan stehen. Lysin besitzt gegenüber Diaminopentan lediglich ein zusätzliches Anhängsel aus Kohlenstoff und Sauerstoff – eine so genannte Carboxylgruppe. Mit den richtigen Modifikationen im Stoffwechsel von Corynebacterium glutamicum lässt sich die überzählige Carboxylgruppe bereits in der Zelle abspalten. Damit sind die Biotechnologen der fermentativen Produktion von Diaminopentan bereits einen großen Schritt näher gekommen. Vom Diaminopentan zum praxistauglichen Polyamid Trotz der bereits erzielten Erfolge bleiben noch einige Fragen offen, die nun im Projekt „Biobasierte Polyamide durch Fermentation“ bearbeitet werden. So soll die Ausbeute an Diaminopentan gesteigert werden, indem die aktuell verfügbaren Methoden aus der Systembiologie und dem Metabolic Engineering weiterentwickelt werden. Aus dem biotechnologisch gewonnenen Diaminopentan sollen anschließend praxistaugliche Polyamide produziert werden. Projektpartner aus der kunststoffverarbeitenden Industrie, wie zum Beispiel die Fischerwerke GmbH, aber auch Endanwender wie die Robert Bosch GmbH oder die Daimler AG werden mit den neuen Polyamiden umfangreiche Tests durchführen. Die Akteure berücksichtigen somit alle Schritte der Wertschöpfungskette: von der biobasierten Herstellung des Basisstoffs, über die Entwicklung neuer Rohpolymere, Verbundstoffe und Zwischenprodukte bis hin zum Endprodukt in Fahrzeugen, Bauelementen oder Spielzeugen. 4 Fachbeitrag 22.04.2009 chb BIOPRO © BIOPRO Baden-Württemberg GmbH Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers Wenn aus Pflanzen Plastik wird 5