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WISSEN & BILDUNG
Frankfurter Rundschau
Dienstag, 13. August 2013
69. Jahrgang
Länder in Afrika sind – ebenso wie Regionen in Südostasien – in besonderem Maße von Hunger bedroht.
Nr. 186
DPA PICTURE ALLIANCE
Klimawandel befördert den Hunger
Studie der Unis Bonn und Reading / Einige Regionen könnten auch von der Erderwärmung profitieren
Von Joachim Wille
D
ie „Grüne Revolution“ hat in
den vergangenen Jahrzehnten Fortschritte bei der Bekämpfung des Hungers in den Entwicklungsländern gebracht. Der Anteil
der Hungernden an der Gesamtzahl der Bevölkerung hat sich
dort seit 1990 von 23 Prozent auf
15 Prozent verringert. Allerdings
drohen der Klimawandel und
steigende Nahrungsmittelpreise
die positive Entwicklung wieder
umzukehren. Das zeigte eine aktuelle Studie von Agrarforschern
der Universitäten Bonn und Reading (Großbritannien).
Steigende Agrarpreise
erschweren den Armen den
Zugang zu Nahrungsmitteln
Derzeit sind schätzungsweise
rund 850 Millionen der mehr als
sieben Milliarden Menschen auf
der Erde von Hunger betroffen.
Um 1990 waren es noch 980 Millionen gewesen. Die positive Entwicklung hat sich aber bereits seit
2007 wieder abgeschwächt, wie
der Bonner Agrarwissenschaftler
und Mitautor der Untersuchung,
Professor Joachim von Braun,
feststellt. Gründe waren unter anderem steigende Agrarpreise, die
ärmeren Bevölkerungsschichten
den Zugang zu Nahrungsmitteln
erschwerten. Als problematisch
gilt auch die steigende Nutzung
von Ackerböden für Agrosprit.
Laut der Untersuchung kann
der Klimawandel die Ernährungssicherheit der Menschen deutlich
verschlechtern. Bis 2100 muss
laut dem UN-Klimarat IPCC mit
einem Anstieg der globalen
Durchschnittstemperatur um 1,8
bis vier Grad gerechnet werden.
„Die Regionen der Welt, die
schon jetzt besonders von Ernährungsunsicherheit betroffen sind,
werden durch Dürren und vermehrte Extrem-Wetterlagen zusätzlich
belastet“,
erläutert
Brauns Co-Autor, Professor Tim
Wheeler in Reading.
Zu den Risikogebieten zählen
besonders das südliche Afrika
und Südasien. So wird laut der
Studie wegen steigender Temperaturen zu Beispiel der WeizenErtrag in Afrika bis zum Jahr
2050 um durchschnittlich 17 Prozent zurückgehen, Südasien habe
einem 16-prozentigen Rückgang
der Mais-Erträge zu verkraften.
Durch einen Anstieg der Temperaturen werde es zudem häufiger
zu Extremwetterlagen wie Starkregen oder Dürren kommen, die
Ernten vernichten.
Der Klimawandel kann allerdings auch positive Folgen für die
Erträge haben. So wirkt sich die
steigende CO2-Konzentration in
der Luft generell wie ein Dünger
aus, weil die Photosynthese der
Pflanzen verstärkt wird. Es wird
mehr Pflanzenmasse gebildet.
Zudem erwarten die Forscher
Veränderungen in der Struktur
der Niederschläge, die zum Beispiel einigen Trockengebieten in
Afrika mehr Niederschläge bringen können. Trotzdem dürfte die
Bilanz unter dem Strich negativ
sein. Professor Wolfgang Cramer,
Leiter des Bereich Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, sagt: „Ob-
wohl der Klimawandel einigen
Teilen Afrikas auch nützen kann,
ist das Schadenspotenzial insgesamt sehr groß.“ Auch der Agrarforscher Frank Ewert von der Universität Bonn, der unlängst die
Aussichten für die globale Weizenproduktion untersucht hat, ist
der Ansicht: „Die Temperaturerhöhung führt überwiegend zu Ertragsminderungen.“
In Finnland, aber auch in
Deutschland könnten sich die
Ernten deutlich erhöhen
Einige Regionen der Erde, besonders in nördlichen Breiten, dürften jedoch wirklich von der Erwärmung profitieren – unter anderem, weil die Wachstumsphase
verlängert wird und die Bauern
früher aussäen können. Länder
wie das kühl-feuchte Finnland, so
Ewert, könnten steigende Erträge
erzielen. Auch für Deutschland
sehen einige Experten die Möglichkeit, die Ernten sogar deutlich
zu erhöhen. So betonten der
Deutsche Wetterdienst (DWD)
und der Deutsche Bauernverband
(DBV) im vorigen Jahr gemeinsam die „großen Chancen“ für die
hiesige Landwirtschaft. Vorstellbar sei langfristig ein Plus bei der
SCHWARZROST
Die Getreidekrankheit Schwarzrost,
bisher nur in wärmeren Regionen wie
Afrika bekannt, ist jetzt erstmals auch
in Deutschland aufgetreten. Nach
Angaben des Julius-Kühn-Instituts (JKI)
– des Bundesforschungsinstituts für
Kulturpflanzen – sind einige Weizenpflanzen von dem Pilz Puccinia graminis befallen, der die Krankheit auslöst. Die Sporen seien mit dem Wind
nach Deutschland gelangt.
Von den kranken Pflanzen gehe zwar
keine unmittelbare Gefahr aus, da die
Sommersporen und das Pilzmyzel den
Winter wahrscheinlich nicht überleben
würden. Dennoch schließt das Institut
eine Verbreitung des Erregers im Zuge
der Klimaerwärmung nicht aus. JKIExpertin Kerstin Flath:„Wenn jedes Jahr
neue Sporen mit Luftmassen aus wärmeren Regionen zu uns gelangen,
wächst der Druck auf unsere Weizenpflanzen.“
Enormes Schadenspotenzial besitzt
insbesondere die Rostpilz-Rasse „Ug
99“ (sie heißt so, weil sie 1999 erstmals in Uganda auftrat). Das Institut
untersucht nun, wie gut die deutschen
Weizensorten gegen diesen Schadpilz
gewappnet sind und ob Deutschland es
wirklich mit Ug 99 zu tun bekommen
könnte.
Erntemenge von 30 bis 40 Prozent, sagte der DBV-Vizepräsident
Werner Schwarz. Diese Zahlen
seien allerdings nur Vermutungen, schränkte er ein.
Der Wetterdienst wies darauf
hin, dass die mittlere Bodentemperatur in Deutschland im Aussaatmonat April seit den 1960er
Jahren um fünf auf 16 Grad zugenommen habe. „Dieser Trend
wird sich fortsetzen“, sagte DWDVizechef Paul Becker voraus.
Im Jahr 2100 könnten die Bauern dann drei Wochen früher aussäen als Mitte des vorigen Jahrhunderts, derzeit sei es im Schnitt
eine Woche. Laut Bauernverband
könne sich für viele Landwirte
künftig eine zweite Ernte im Jahr
lohnen. „Der Mais dürfte in
Deutschland zu den Gewinnern
des Klimawandels zählen“, sagte
Schwarz. Auch der Anbau von
Hirse werde attraktiver, und
Deutschland könne sogar zum
Soja-Anbauland werden. Diese
Pflanze, die bisher für hiesige
Breitengrade zu empfindlich war,
wird unter anderem in Bayern bereits erprobt.
Die Vertreter von DWD und
DBV verwiesen allerdings darauf,
dass der Klimawandel auch neue
Probleme für die Landwirtschaft
bringe. Die Niederschlagsmengen
zum Beispiel blieben übers Jahr
gesehen gleich, verteilten sich
aber anders. Die Sommer würden
wahrscheinlich feuchter, die
Frühling und Frühsommer dagegen trockener. Diese Tendenz sei
bereits in den vergangenen Jahren deutlich spürbar gewesen.
Laut Bauernverband müssen
deshalb die Nutzpflanzen resistenter gegen Trockenheit und
Pilzbefall werden. Das stelle
„neue Herausforderungen an die
Züchtung“, sagte Schwarz, es sei
wichtig, neue Sorten zu entwickeln, die sowohl größere Hitze
als auch Kälte vertragen. Außerdem müsse der Pflanzenschutz
angepasst werden. Zudem tauchten durch wärmeres und feuchte-
res Klima bereits jetzt Krankheiten auf, die vorher nur in Südeuropa ein Problem waren, so die
Blauzungen-Krankheit und das
Schmallenbergvirus – sie befallen
Rinder-, Schaf- und Ziegenherden. Dazu passt, dass die Hitzewelle im Juli diesen Jahres erstmals eine bislang hier nicht nachgewiesene
Getreidekrankheit
nach Deutschland brachte, den
„Schwarzrost“.
Studienautor von Braun warnt
denn auch davor, zu viel Hoffnung in eine höhere Agrarproduktion in nördlichen Breiten zu
setzen. „Der Norden ist nicht homogen“, sagte er der FR. In einigen wichtigen Produktionsgebieten des Nordens wie dem Mittleren Westen der USA würden zunehmende Dürre-Risiken prognostiziert. „Auch ist davon auszugehen, dass sich die Temperaturund Niederschlagsverteilungen
im Norden ändern, was die Pflanzenzüchtung schon jetzt vor neue
Herausforderungen stellt.“ Insgesamt werde ein mögliches Plus
beim Ertrag im Norden die erhöhten Ernährungsrisiken im Süden
nicht ausgeglichen. „Der Klimawandel macht die Welternährung
insgesamt unsicherer“, bilanzierte von Braun.
Der Politik raten die Forscher
zu umfassende Strategien, um
die Bedrohung abzumildern
Der Politik raten die Forscher von
Braun und Wheeler, eine an den
Klimawandel angepasste Agrarproduktion zu fördern, um die
Bedrohungen durch den Klimawandel für die Ernährung der Armen abzumildern. „Technische
Lösungen reichen aber nicht aus“,
warnen sie. Es brauche umfassende Strategien, darunter auch eine
„strategische Lagerhaltung“ von
Nahrungsmitteln für Krisenzeiten
sowie eine soziale Absicherung
für
besonders
verwundbare
Gruppen.
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