Datum: 05.12.2011 Gesamt Regio Aargauer Zeitung 5001 Aarau 058/ 200 58 58 www.aargauerzeitung.ch Medienart: Print Medientyp: Tages- und Wochenpresse Auflage: 91'956 Erscheinungsweise: 6x wöchentlich Themen-Nr.: 37.3 Abo-Nr.: 37003 Seite: 4 Fläche: 35'282 mm² Gastbeitrag von Daniel Bochsler zur Zusammensetzung des Bundesrats und den Interessen, die hinter der Sitzverteilung stehen Konkordanz: Kalkulation oder Kalkül? VON DANIEL BOCHSLEI NIRGENDWO steht das Prinzip der breiten parteipolitischen Zusammensetzung des Bundesrates festgeschrieben. Die -.41 Schweizer Regie- rungs co «ranz beruht daher bestenfalls auf Parteienabsprachen oder auf zufälligen Mehrheitskonstellationen im Parlament. Mangels anderer Argumente suchen die Parteien jetzt in mathematischen Formeln Legitimität für ihre Ansprüche. Solche Kallmlationen beruhen jedoch höchstens auf Gewohnheit; umso wichtiger ist also der Blick zurück. Entwickelt hat sich die Konkordanz aus zwei Komponenten, einer arithmetischen und einer politischen. SEIT DEM AUSBAU der direktdemo- kratischen Rechte, 1874 und 1891, sind in der Schweiz Regierungen ohne breite Abstützung zum Scheitern verurteilt. Dank Referenden und Initiativen hat die Opposition in der Schweiz ein einmaliges Mittel in der Hand, um die Regierungsarbeit zu blockieren und so die eigene Einbindung zu erzwingen. Die Regierungsbeteiligung haben sich die Minderheitsparteien jeweils mit Oppositionsdruck erkämpfen, aber auch mit programmatischen Konzessionen erkaufen müssen. Insbesondere dem Eintritt der SP in den Bundesrat (1943) ging ein Stück Anpassung voraus. Sie schraubte ihr klassenkämpferisches Vokabular etwas zurück und bekannte sich zur Landesverteidigung, und oftmals wurden (ver- Kurt Wernli. Das Gleiche könnte analog für Widmer-Schlumpf gelten. Alles in allem entpuppen sich vermeintwählt lich mathematische Kalkulation also FÜR DIE ZUSAMMENSETZUNG der eher als pragmatisches - sprich willRegierung bietet aber die Arithmetik kürliches - politisches Kalkül. Hand. Parteistärken lassen sich mit mathematischer Präzision in Sitzan- DER POLITISCHE ASPEKT der Konkordanz lässt sich hingegen nicht präsprüche umrechnen. Aufgrund der zis in Formeln giessen, sondern ist Stimmenanteile der Parteien lautet die proportionale Formel: 2 SVP, 2 SP politische Verhandlungs- (und Maniund je 1 FDP, CVP und Grüne. Diese pulations)masse. Zurzeit wird an der Formel kommt jedoch keiner der Par- Berner Börse als Preis für die Einbinteien entgegen, und daher bleibt die dung der SVP immer wieder das Bekenntnis zum bilateralen Weg sowie Algebra in der Schublade und wird durch Pseudo-Arithmetik ersetzt, et- die Absage an Volksbegehren, die ihn gefährden würden, genannt InteresVermeintlich mathemasanterweise sollen den Preis aber nur tische Kalkulationen die Kandidaten, nicht aber die Partei selbst zahlen. Legitimiert wird diese entpuppen sich als Forderung mit dem nicht näher defiwillkürliches nierten Landesinteresse oder mit Interessen der Wirtschaft, gelegentlich politisches Kalkül. auch durch Volksabstimmungen. wa durch die aus der Luft gegriffene Doch wer die politische Konkordanz 2-2-2-1-Formel der FDP, mit Verweis auf Abstimmungsresultaten basieren auf die Wähleranteile. Pikanterweise möchte, begibt sich auf Glatteis. Setverteidigte die FDP ihre Doppelvertre- zen wir diese Idee konsequent um, tung noch vor kurzem mit Blick auf dann müsste nach jeder Abstimdie Sitzzahl in der Vereinigten Bunmungsniederlage der Bundesrat in desversammlung. Weil diese aber corpore ausgewechselt werden. heute den 2. Sitz nicht mehr legitimieren würde, ist die Partei klamm- DABEI WIRD VERGESSEN, dass das heimlich auf den Volk selber den politischen KomproWähleranteil umge- miss weit über arithmetische Forschwenkt. Interpre- meln stellt: In den Kantonen und Getationsspielraum er- meinden, wo das Volk die Regierungibt sich auch im gen bestellt, hat die SVP seit ihrer rechnerischen Um- programmatischen Neuausrichtung gang mit ausgetre- an Einfluss verloren und umgerechtenen oder ausgenet nur noch 13 Prozent der kantonaschlossenen Regierungsmitgliedern. len Regierungssitze inne. Wie beim SP-Dissidenten wurden in den Kanto- Sturm aufs Stöckli verwandelt sich bei Regierungswahlen der Blochernen in der Regel auf Kosten des SPSitzanspruches wiedergewählt, bis zu Kurs zum Bumerang-Effekt. Und nach dem Ausschluss der BDP fehlen in der ihrem Rücktritt, etwa der Aargauer SVP prominente Köpfe links von Blomeintlich) gemässigte Kandidaten in den Bundesrat ge- Medienbeobachtung Medienanalyse Informationsmanagement Sprachdienstleistungen ARGUS der Presse AG Rüdigerstrasse 15, Postfach, 8027 Zürich Tel. 044 388 82 00, Fax 044 388 82 01 www.argus.ch Argus Ref.: 44423298 Ausschnitt Seite: 1/2 Datum: 05.12.2011 Gesamt Regio Aargauer Zeitung 5001 Aarau 058/ 200 58 58 www.aargauerzeitung.ch Medienart: Print Medientyp: Tages- und Wochenpresse Auflage: 91'956 Erscheinungsweise: 6x wöchentlich Themen-Nr.: 37.3 Abo-Nr.: 37003 Seite: 4 Fläche: 35'282 mm² cher. Diese SVP hat bei den Wählenden keine Chance auf (volle) Regierungsbeteiligung. DIE REGIERUNGSFORMELN der Schweizer Kantone und Gemeinden, aber auch des Bundesrats, haben viel mit Übereinstimmung in politischen Kernfragen zu tun, was auch das Volk verlangt Legitimation für die Regierungsformel könnten demnach direkte Verhandlungen und für die Wählerinnen und Wähler einsehbares Koalitionsabkommen verschaffen. Dies könnte auch legitimieren, dass nicht immer alle Kräfte mit rechnerischem Regierungsanspruch eingebunden werden. Ein Weg, der viel transparenter und legitimer wäre als meist falsche Pseudo-Kalkulationen. * Daniel Bochsler, tätig am Zentrum für Demokratie Aarau sowie im nationalen Forschungsprogramm NCCR Democracy an der Universität Zürich. Medienbeobachtung Medienanalyse Informationsmanagement Sprachdienstleistungen ARGUS der Presse AG Rüdigerstrasse 15, Postfach, 8027 Zürich Tel. 044 388 82 00, Fax 044 388 82 01 www.argus.ch Argus Ref.: 44423298 Ausschnitt Seite: 2/2