Finanzkrise: Erklärung aus dem Labor

Werbung
Finanzkrise: Erklärung aus dem Labor
Laut Urs' Fischbacher, Leiter
des Thurgauer Wirtschaftsinstituts, spielen in der Ökonomie nicht nur Rationalität
und Egoismus eine Rolle.
Neid ist ein weiteres Motiv.
Sie forschen zur Fairness. Ist der
Mensch das Problem?
Die Standardannahmen in der Ökonomie sind. dass man davon ausgeht,
dass die Menschen rational und egoistisch sind. In Experimenten zu spekulativen Blasen zeigt sich, dass Menschen nicht rational sind. Viele Experimente haben aber auch gezeigt, dass
die zweite Annahme, dass der Mensch
egoistisch ist, nicht erfüllt ist. Es gibt
verschiedene Phänomene, die dies zeigen: Es gibt Leute, die nett sind, die
andere belohnen. Es gibt aber auch
Neid und Leute, die gemein sind. die
andern schaden.
Herr Fischbacher, ist die klassische
Volkswirtschaft mit möglichst wenig
Staatskontrolle schuld an der Finanzkrise?
Urs FIschbacher: Wenn man die
Volkswirtschaft als Ganzes betrachtet,
nein. Was gescheitert ist, ist vielleicht
die Vorstellung, dass möglichst wenig Staatseingriffe auf jeden Fall immer optimal sind. Wenn viele Banken
gleichzeitig in Nöte kommen, hat das
Auswirkungen auf andere und auf den
Märkten gibt es viele extremere Ausschläge als erwartet. Da wären Staatseingriffe, die das Risiko reduzieren,
sinnvoll.
Allerdings wurde das Risiko von den
Banken auch unterschätzt. Da wurden
teilweise mathematische Modelle etwas naiv angewandt. Dafür kann man
natürlich nicht die Volkswirtschaft
verantwortlich machen. Allerdings
muss man zugeben, dass auch die meis-
«Egoismus heisst, dass
Sie sich wirklich nur
um Ihr eigenes Geld
kümmern))
Ist das denn nicht egoistisch?
Egoismus heisst, dass Sie sich wirklich
nur um Ihr eigenes Geld kümmern.
Wer bereit ist, etwas aufzuwenden,
um einer anderen Person zu schaden,
ohne dass es einem selbst nützt, handelt auch nicht egoistisch. Ein ähnliches Motiv ist Neid. Dieses Motiv
kann sogar im Finanzmarkt eine Rolle
spielen.
«Auch wenn Leute ein
faires Ergebnis wünschen, können sie es
nicht erreichen»
teu Ökonomen das Ausmass der Krise
zu spät erkannten.
-Spekulative Blasen treten Immer wieder auf., sagt Urs FIschbacher. Bild: $usann Basler
Hatte man das früher erkennen können?
Ausgelöst wurde die Krise ja durch die
spekulative Blase auf dem amerikanischen Immobilienmarkt. Spekulative
Blasen treten immer wieder auf. Ende
der 9Oer-Jahre hatten wir ja auch die
Internet-Blase. Dabei steigen die Preise auf unvernünftig hohe Niveaus und
sind nicht mehr an die Realwirtschaft
gekoppelt. SoUte man als Investor so·
fort aussteigen, wenn der Preis zu hoch
erscheint? Wenn man glaubt, dass die
Preise weiter steigen, ist das nicht die
beste Strategie. Allerdings bricht der
Preis irgendwann zusammen. Wann,
ist nicht klar. Man kann dies auch in
Experimenten zeigen. Was die Blase
treibt. ist, dass die Leute immer noch
glauben, dass ihnen noch jemand das
Produkt abkauft.
Inwiefern?
Alle setzen auf die spekulative Blase,
und mir ist klar: Die Blase platzt wahrscheinlich. Wenn sie tatsächlich platzt,
stehe ich gut da, wenn ich nicht investiere. Aber sicher bin ich nicht. Wenn
sie nicht platzt, bin ich der Einzige, der
keinen Gewinn macht. Wenn ich neidisch bin, will ich das vermeiden. Also
investiere ich trotzdem . Wenn viele so
denken, kann sich das hochschaukeln.
Dann war die Finanzkrise durch Neid
verursacht.
Neid ist nur eine mögliche Erklärung
für spekulative Blasen. Im Finanz·
markt, überhaupt im Markt, spielen so·
ziale Motive in der Regel eine geringe
Rolle. Auch wenn Leute ein faires Ergebnis wünschen, können sie es nicht
er,eichen. Ein Grund ist die Konkurrenz. Aus diesem Grund funktioniert
auch das ökonomische Standardmodell in vielen Situationen so gut.
Wo trägt Ihre experimentelle Wirtschaftsforschung zu Lösungen bei?
Die experimentelle Wirtschaftsforschung hilft, einzelne Aspekte der Finanzkrise besser zu verstehen. Um
spekulative Blasen zu erklären, wurden viele Experimente durchgeführt.
Die Forschung zu Fairness ist vor
allem wichtig bei der Bewältigung der
Krise. Für die Akzeptanz von Massnahmen ist deren wahrgenommene
Fairness wichtig. Das zeigt die Diskussion um die BonL Sie werden nur ak~
zeptiert, wenn man nicht glaubt, dass
damit auch eine hohe Leistung verbunden ist.
Können Sie Prognosen ableiten?
Im Labor kann man noch nicht sagen,
jetzt machen wir eine Finanzkrise und
schauen, was man dagegen tun kann.
Man kann aber einzelne Aspekte im
Experiment untersuchen. So wissen
wir beispielsweise, dass eine aktiye
Zinspolitik gegen spekulative Blasen
wenig nützt.
INTERVIEW: MADELEJNE STÄHEU TOUALB/A
I ZUR PERSON
Urs FIschbacher
Leiter Thurgauer Wirtschaftsinstitut
(TWI)
Der 48-jährige Urs Fischbacher ist
seit 2007 Leiter des TWI. An der Universität Konstanz ist er Professor und
hat ein Labor für experimentelle Wirt·
schafts forschung. (mst)
Herunterladen