85 BMVF aktuell Von Rechtsanwalt Hans-Ludger Sandkühler Rechtsanwalt Hans-Ludger Sandkühler ist Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes mittelständischer Versicherungs- und Finanzmakler (BMVF) e.V. Für AssCompact greift der Verband monatlich Themen für Makler auf. Europa – Kulturelle Wurzeln, Bürokratie und gute Nachrichten November 2012 Ein Bogenschlag von der griechischen Mythologie über die Entscheidung des ECON-Ausschusses zu MiFID2 und deren Auswirkungen auf Verhandlungen über die neue VersicherungsvermittlerRichtlinie bis hin zum Tagesgeschehen im Libanon. Der Name unseres Kontinents Europa stammt aus dem Griechischen und bedeutet etwa „die (Frau) mit der weiten Sicht“. Es ist der Name der schönen Tochter eines phönizischen Königs, die der griechische Götterfürst Zeus einst nach Kreta entführte. Der König wusste um die Schönheit seiner Tochter und hütete sie wie seinen Augapfel. Zeus hatte aber von ihrer Schönheit und ihrem Liebreiz gehört und sich bis über beide Ohren in Europa verliebt. Um sie trotz der Obhut ihres Vaters für sich zu gewinnen, musste er eine List anwenden. Dies auch, um seine Frau Hera zu täuschen, die aufgrund verschiedener Eskapaden ihres Gatten argwöhnisch geworden war. Diese schöne Geschichte aus der griechischen Mythologie beschreibt den Sprung von Vorderasien auf einen neuen Kontinent und steht für eine kulturelle Verbindung zwischen den Kontinenten. Im Orient wurde der Stier als heilig verehrt. Der Anfangsbuchstabe des griechischen Alphabets, das Alpha, symbolisiert noch heute einen stilisierten Stierkopf. Tatsächlich geht ein Teil der europäischen Kultur auf orientalische Einflüsse zurück. Eine der ersten Hochkulturen der Menschheit entwickelte sich im Zweistromland und in Ägypten. Und die älteste Hochkultur in Europa ist die – minoische. Zeus verwandelte sich also in einen weißen Stier und machte sich auf nach Sidon, dem Königssitz in Phönizien an der asiatischen Mittelmeerküste (heute Libanon). Dort mischte er sich mithilfe seines Götterboten Hermes unter eine Herde des Königs, die in der Nähe des Strandes weidete – dort wo Europa und ihre Freundinnen spielten. Zeus war ein sehr schöner Stier und schon bald wurden Europa und ihre Freundinnen auf ihn aufmerksam. Da er sanft schien, begannen sie zaghaft, mit ihm zu spielen. Er ließ sich die Spielereien der Mädchen geduldig gefallen. Schließlich setzte sich Europa übermütig auf den Rücken des Stieres, um ihn zu reiten. Darauf hatte Zeus nur gewartet. Er eilte mit seiner Beute zum Strand, stürzte sich in die Fluten des Meeres und schwamm mit ihr nach Kreta. Dort legte er seine Stiergestalt ab und gab sich Europa in seiner göttlichen Gestalt zu erkennen. Später erschien ihr die Liebesgöttin Aphrodite und sprach: „Du wirst einen Sohn von ihm zur Welt bringen. Sein Name soll Minos sein. Ihr werdet zusammen über die Insel Kreta herrschen. Der ganze Erdteil, zu dem diese Insel gehört, wird deinen Namen tragen und Europa heißen.“ Die Pulsader des modernen Europas schlägt in Brüssel. Für Besinnung auf historische Kulturwurzeln bleibt dort bedauerlicherweise wenig Zeit. In immer kürzeren Takten werden neue Regelwerke auf die Europäer losgelassen. Bei dem Tempo und der Dichte der Regelwerke drängt sich beim Betrachter der Eindruck auf, dass Regeldetails von Fachspezialisten kleinteilig entwickelt und von Parlamentariern ohne subtile Detailkenntnis durchgewunken werden (müssen). Ein Bürokratiemonster scheint nicht ausgeschlossen. Provisionsverbot in Brüssel vorerst gescheitert Und doch gibt es für alle Berater und Verkäufer von Finanzprodukten gute Nachrichten aus Brüssel. Die Europäische Kommission wollte in dem vorgelegten Entwurf der neuen Finanzmarktrichtlinie (MiFID2) für „unabhängige Anlageberatung“ die Zahlung von Provisionen verbieten. Im Ausschuss für Währung und Wirtschaft (ECON) des Europäischen Parlaments fand dieser Vorschlag keine Mehrheit. Stattdessen wurde eine Regelung verabschiedet, nach der der Anlageberater wählen kann, ob er Provisionen an den Anleger weiterleiten oder die Provisionen lediglich offenlegen will. Die Richtlinie soll im Oktober vom Gesamtparlament verabschiedet und dann im Ministerrat beraten werden. Die Entscheidung des ECON-Ausschusses hat Signalwirkung für die fast zeitgleich stattfindenden Verhandlungen über die neue Versicherungsvermittler-Richtlinie. Der Entwurf dieser Richtlinie sieht vor, dass Versicherungsvermittler ihre Kunden vor Abschluss des Versicherungsvertrages vollständig über die Provision für den angebotenen oder in Betracht gezogenen Versicherungsvertrag informieren müssen. Außerdem ist bisher darüber hinaus für die unabhängige Vermittlung sogenannter „Versicherungsanlageprodukte“ ein Provisionsverbot vorgesehen. Unter „Versicherungsanlageprodukten“ versteht die Richtlinie Versicherungsverträge, die als Anlageprodukte qualifiziert werden können. Für Anlageprodukte will die Kommission einheitliche und MiFIDbasierte Regeln einführen. Und das heißt eben auch Provisionsverbot für Anlageprodukte im Anwendungsbereich der IMD2. Wenn dieses nun bei der MiFID2 fällt, ist es nur konsequent, dass das Provisionsverbot auch im Entwurf der IMD2 wieder aufgehoben wird. Fast zeitgleich: Autobombe in Beirut tötet acht Menschen Nur etwa 40 Kilometer von Sidon, dem Ausgangspunkt unserer Geschichte, entfernt sind bei der Explosion einer Autobombe in der libanesischen Hauptstadt Beirut kürzlich an einem Freitag mindestens acht Menschen getötet und 78 verletzt worden. Ein ganzer Straßenzug wurde verwüstet, Autos durch die Luft geschleudert. Es werden Vermutungen laut, dass der Anschlag in Libanons Nachbarland Syrien initiiert worden ist. Dort wütet derzeit ein blutiger Konflikt zwischen Assads Armee und den Truppen der Aufständischen. Gewalt anstelle von Kultur? Nein, unsere Geschichte erinnert an die kulturelle Verbindung zwischen den Kontinenten. Und Kultur steht für das, was die Menschen geschaffen haben und nicht für das, was sie zerstören. Der arabische Frühling zeigt, dass das Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit tief in den Menschen verwurzelt ist. Nicht die Menschen in den Völkern oder gar die Völker selbst wollen Chaos, Gewalt und Krieg, sondern immer nur einzelnen Gruppen, die Gewalt einsetzen und/oder Machtinstrumente missbrauchen, um sich selbst Vorteile zu verschaffen. Um das zu erkennen und zu verhindern, brauchen die Menschen Vernunft und Verstand – und jede Kultur ein Stück Moral: Menschen fokussieren ihre Handlungen bewusst auf an sich gute Zwecke (Immanuel Kant). Und doch gibt es in der Demokratie immer nur Macht auf Zeit und unter Kontrolle des Parlaments. Und das ist gut so, auch wenn wir das unter der Last mancher bürokratischer Monster leicht vergessen. W Management & Wissen Management & Wissen 84 Anzeige 85 BMVF aktuell Von Rechtsanwalt Hans-Ludger Sandkühler Rechtsanwalt Hans-Ludger Sandkühler ist Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes mittelständischer Versicherungs- und Finanzmakler (BMVF) e.V. Für AssCompact greift der Verband monatlich Themen für Makler auf. Europa – Kulturelle Wurzeln, Bürokratie und gute Nachrichten November 2012 Ein Bogenschlag von der griechischen Mythologie über die Entscheidung des ECON-Ausschusses zu MiFID2 und deren Auswirkungen auf Verhandlungen über die neue VersicherungsvermittlerRichtlinie bis hin zum Tagesgeschehen im Libanon. Der Name unseres Kontinents Europa stammt aus dem Griechischen und bedeutet etwa „die (Frau) mit der weiten Sicht“. Es ist der Name der schönen Tochter eines phönizischen Königs, die der griechische Götterfürst Zeus einst nach Kreta entführte. Der König wusste um die Schönheit seiner Tochter und hütete sie wie seinen Augapfel. Zeus hatte aber von ihrer Schönheit und ihrem Liebreiz gehört und sich bis über beide Ohren in Europa verliebt. Um sie trotz der Obhut ihres Vaters für sich zu gewinnen, musste er eine List anwenden. Dies auch, um seine Frau Hera zu täuschen, die aufgrund verschiedener Eskapaden ihres Gatten argwöhnisch geworden war. Diese schöne Geschichte aus der griechischen Mythologie beschreibt den Sprung von Vorderasien auf einen neuen Kontinent und steht für eine kulturelle Verbindung zwischen den Kontinenten. Im Orient wurde der Stier als heilig verehrt. Der Anfangsbuchstabe des griechischen Alphabets, das Alpha, symbolisiert noch heute einen stilisierten Stierkopf. Tatsächlich geht ein Teil der europäischen Kultur auf orientalische Einflüsse zurück. Eine der ersten Hochkulturen der Menschheit entwickelte sich im Zweistromland und in Ägypten. Und die älteste Hochkultur in Europa ist die – minoische. Zeus verwandelte sich also in einen weißen Stier und machte sich auf nach Sidon, dem Königssitz in Phönizien an der asiatischen Mittelmeerküste (heute Libanon). Dort mischte er sich mithilfe seines Götterboten Hermes unter eine Herde des Königs, die in der Nähe des Strandes weidete – dort wo Europa und ihre Freundinnen spielten. Zeus war ein sehr schöner Stier und schon bald wurden Europa und ihre Freundinnen auf ihn aufmerksam. Da er sanft schien, begannen sie zaghaft, mit ihm zu spielen. Er ließ sich die Spielereien der Mädchen geduldig gefallen. Schließlich setzte sich Europa übermütig auf den Rücken des Stieres, um ihn zu reiten. Darauf hatte Zeus nur gewartet. Er eilte mit seiner Beute zum Strand, stürzte sich in die Fluten des Meeres und schwamm mit ihr nach Kreta. Dort legte er seine Stiergestalt ab und gab sich Europa in seiner göttlichen Gestalt zu erkennen. Später erschien ihr die Liebesgöttin Aphrodite und sprach: „Du wirst einen Sohn von ihm zur Welt bringen. Sein Name soll Minos sein. Ihr werdet zusammen über die Insel Kreta herrschen. Der ganze Erdteil, zu dem diese Insel gehört, wird deinen Namen tragen und Europa heißen.“ Die Pulsader des modernen Europas schlägt in Brüssel. Für Besinnung auf historische Kulturwurzeln bleibt dort bedauerlicherweise wenig Zeit. In immer kürzeren Takten werden neue Regelwerke auf die Europäer losgelassen. Bei dem Tempo und der Dichte der Regelwerke drängt sich beim Betrachter der Eindruck auf, dass Regeldetails von Fachspezialisten kleinteilig entwickelt und von Parlamentariern ohne subtile Detailkenntnis durchgewunken werden (müssen). Ein Bürokratiemonster scheint nicht ausgeschlossen. Provisionsverbot in Brüssel vorerst gescheitert Und doch gibt es für alle Berater und Verkäufer von Finanzprodukten gute Nachrichten aus Brüssel. Die Europäische Kommission wollte in dem vorgelegten Entwurf der neuen Finanzmarktrichtlinie (MiFID2) für „unabhängige Anlageberatung“ die Zahlung von Provisionen verbieten. Im Ausschuss für Währung und Wirtschaft (ECON) des Europäischen Parlaments fand dieser Vorschlag keine Mehrheit. Stattdessen wurde eine Regelung verabschiedet, nach der der Anlageberater wählen kann, ob er Provisionen an den Anleger weiterleiten oder die Provisionen lediglich offenlegen will. Die Richtlinie soll im Oktober vom Gesamtparlament verabschiedet und dann im Ministerrat beraten werden. Die Entscheidung des ECON-Ausschusses hat Signalwirkung für die fast zeitgleich stattfindenden Verhandlungen über die neue Versicherungsvermittler-Richtlinie. Der Entwurf dieser Richtlinie sieht vor, dass Versicherungsvermittler ihre Kunden vor Abschluss des Versicherungsvertrages vollständig über die Provision für den angebotenen oder in Betracht gezogenen Versicherungsvertrag informieren müssen. Außerdem ist bisher darüber hinaus für die unabhängige Vermittlung sogenannter „Versicherungsanlageprodukte“ ein Provisionsverbot vorgesehen. Unter „Versicherungsanlageprodukten“ versteht die Richtlinie Versicherungsverträge, die als Anlageprodukte qualifiziert werden können. Für Anlageprodukte will die Kommission einheitliche und MiFIDbasierte Regeln einführen. Und das heißt eben auch Provisionsverbot für Anlageprodukte im Anwendungsbereich der IMD2. Wenn dieses nun bei der MiFID2 fällt, ist es nur konsequent, dass das Provisionsverbot auch im Entwurf der IMD2 wieder aufgehoben wird. Fast zeitgleich: Autobombe in Beirut tötet acht Menschen Nur etwa 40 Kilometer von Sidon, dem Ausgangspunkt unserer Geschichte, entfernt sind bei der Explosion einer Autobombe in der libanesischen Hauptstadt Beirut kürzlich an einem Freitag mindestens acht Menschen getötet und 78 verletzt worden. Ein ganzer Straßenzug wurde verwüstet, Autos durch die Luft geschleudert. Es werden Vermutungen laut, dass der Anschlag in Libanons Nachbarland Syrien initiiert worden ist. Dort wütet derzeit ein blutiger Konflikt zwischen Assads Armee und den Truppen der Aufständischen. Gewalt anstelle von Kultur? Nein, unsere Geschichte erinnert an die kulturelle Verbindung zwischen den Kontinenten. Und Kultur steht für das, was die Menschen geschaffen haben und nicht für das, was sie zerstören. Der arabische Frühling zeigt, dass das Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit tief in den Menschen verwurzelt ist. Nicht die Menschen in den Völkern oder gar die Völker selbst wollen Chaos, Gewalt und Krieg, sondern immer nur einzelnen Gruppen, die Gewalt einsetzen und/oder Machtinstrumente missbrauchen, um sich selbst Vorteile zu verschaffen. Um das zu erkennen und zu verhindern, brauchen die Menschen Vernunft und Verstand – und jede Kultur ein Stück Moral: Menschen fokussieren ihre Handlungen bewusst auf an sich gute Zwecke (Immanuel Kant). Und doch gibt es in der Demokratie immer nur Macht auf Zeit und unter Kontrolle des Parlaments. Und das ist gut so, auch wenn wir das unter der Last mancher bürokratischer Monster leicht vergessen. W Management & Wissen Management & Wissen 84 Anzeige