Endspurt Vorklinik Biochemie 2 3., vollständig überarbeitete Auflage Die Inhalte dieses Werkes basieren überwiegend auf dem Kurzlehrbuch Biochemie von Melanie Königshoff und Timo Brandenburger, erschienen im Georg Thieme Verlag 111 Abbildungen Georg Thieme Verlag Stuttgart • New York Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Ihre Meinung ist uns wichtig! Bitte schreiben Sie uns unter: www.thieme.de/service/feedback.html © 2015 Georg Thieme Verlag KG Rüdigerstr. 14 70469 Stuttgart Deutschland www.thieme.de Geschützte Warennamen (Warenzeichen ®) werden nicht immer besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt. Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen oder die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Zeichnungen: BITmap, Mannheim Umschlaggestaltung: Thieme Verlagsgruppe Satz: L42 Media Solutions, Berlin Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten ISBN 978-3-13-153423-1 Auch erhältlich als E-Book: eISBN (PDF) 978-3-13-166633-8 eISBN (epub) 978-3-13-203733-5 Wichtiger Hinweis: Wie jede Wissenschaft ist die Medizin ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbesondere was Behandlung und medikamentöse Therapie anbelangt. Soweit in diesem Werk eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autoren, Herausgeber und Verlag große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angabe dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes entspricht. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jeder Benutzer ist angehalten, durch sorgfältige Prüfung der Beipackzettel der verwendeten Präparate und gegebenenfalls nach Konsultation eines Spezialisten festzustellen, ob die dort gegebene Empfehlung für Dosierungen oder die Beachtung von Kontraindikationen gegenüber der Angabe in diesem Buch abweicht. Eine solche Prüfung ist besonders wichtig bei selten verwendeten Präparaten oder solchen, die neu auf den Markt gebracht worden sind. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers. Autoren und Verlag appellieren an jeden Benutzer, ihm etwa auffallende Ungenauigkeiten dem Verlag mitzuteilen. 123456 3 Auf zum Endspurt! Das Physikum naht, und „richtige“ Bücher scheinen alle zu dick? Dann laufen Sie mit unseren Endspurtskripten in die Zielgerade ein! Kurz und knapp finden Sie hier schwerpunktmäßig die Inhalte, auf die das IMPP mit seinen Physikumsfragen zwischen Frühjahr 2008 und Herbst 2014 abzielte. Doch beschränkt haben wir uns darauf nicht, denn schließlich überlegt sich das IMPP immer neue Fragen, und auch das Mündliche will bestanden werden. Ganz herzlichen Dank an alle Leser, die uns wieder geduldig auf inhaltliche Mängel hingewiesen haben. Durch ihre Hilfe sind unsere Skripten jetzt noch weiter verbessert worden. Festgehalten haben wir wieder an dem bewährten Aufbau unserer Hefte: Lernpakete. Sie stellen in unseren Skripten eine Lerneinheit dar. Wenn Sie ein Lernpaket pro Tag durcharbeiten, bringt Sie unser Zeitplan in 70 Tagen zum Physikum – und zwar einschließlich zwei Wochen Zeit zum Wiederholen mit 1 Skript pro Tag. Da das Lerntempo sehr unterschiedlich und auch abhängig vom bereits vorhandenen Wissen ist, können unsere Lernpakete nur ein Vorschlag sein. Vielleicht kommen Sie auch schneller oder eben etwas langsamer voran. Zum individuellen Planen finden Sie unseren Lernkalender unter www.thieme.de/endspurt. Prüfungsrelevante Inhalte. Inhalte, zu denen das IMPP seit Frühjahr 2008 Fragen gestellt hat, sind im Text gelb hervorgehoben. Wenn Sie nur diese Inhalte lernen, sind Sie für die Beantwortung der Altfragen gut gewappnet. FAZIT – DAS MÜSSEN SIE WISSEN – Die Fazitkästen sind zum Wiederholen der Altfragen-Inhalte gedacht – oder für die ganz Eiligen unter Ihnen. Sie listen die gelb markierten Antworten des vorangehenden Abschnitts noch einmal ohne die Zwischentexte auf. – Die Anzahl der ! zeigt an, wie häufig der Inhalt zwischen Frühjahr 2008 und Herbst 2014 vom IMPP gefragt wurde: – ! Hierzu gab es seit 2008 eine Frage. – !! Dieser Sachverhalt wurde zwei- oder dreimal gefragt. – !!! Zu diesem Thema stellte das IMPP vier oder mehr Fragen. Lerntipps und Co. Weitere Unterstützung beim Lernen bieten Ihnen unsere Lerntipps, Rechenbeispiele und Apropos-Texte. LERNTIPP In diesen Kästen finden Sie Hinweise darauf, welche Inhalte auch mündlich besonders gern gefragt werden, welche Tücken in bestimmten IMPP-Fragen auf Sie warten oder wie Sie sich manche Fakten besser merken können. RECHENBEISPIEL In einigen Fächern können Sie mit richtig gelösten Rechenaufgaben viele Punkte ergattern. Damit dies gelingt, finden Sie Übungen zu Rechenaufgaben, wie auch das IMPP sie stellt. Natürlich ist der auch Lösungsweg detailliert angegeben! Die Apropos-Texte sind unser Motivationsschub für Sie. Hier finden Sie spannendes Zusatzwissen, das hoffentlich hilft, dass Sie sich die „Warum muss ich das eigentlich Lernen?“-Frage nur selten stellen. Kreuzen mit examen online. Auf examenonline.thieme.de sind Prüfungssitzungen zusammengestellt, die exakt auf die jeweiligen Lernpakete zugeschnitten sind. So können Sie nach jedem Lernpaket direkt prüfen, ob Sie den Inhalt verstanden und behalten haben. Viele Unis stellen ihren Studierenden einen kostenlosen Zugang bereit – erkundigen Sie sich! Das Verzeichnis der teilnehmenden Universitäten finden Sie ebenfalls auf examenonline. thieme.de. Sollte Ihre Uni nicht dabei sein, können Sie natürlich auch privat einen Zugang erwerben. In den Lernpaketen werden übrigens ab Frühjahr 2015 die neuen Examensfragen ergänzt, damit Ihnen keine Frage entgeht! Fehlerteufel. Viele Augen sehen mehr! Sollten Ihre Augen in unseren Skripten etwas entdecken, das nicht richtig ist, freuen wir uns über jeden Hinweis! Schicken Sie Ihre Fehlermeldung bitte an [email protected] oder benutzen Sie den Link auf www. thieme.de/endspurt. Wir werden sie in einem Erratum sammeln und unter „Aktualisierungen“ auf www.thieme.de/endspurt online stellen. Und sollten Ihnen unsere Hefte gefallen: Lob ist natürlich ebenso willkommen ☺. Alles Gute für Ihr Physikum wünscht Ihnen Ihr Endspurt-Team Endspurt – Biochemie 2 In diesem Heft liegt der Schwerpunkt auf Enzymen. Sie finden Erklärungen zur Enzymkinetik, zu Vitaminen, Coenzymen, Spurenelementen und zur Verdauung. Auch die Hormone und der Stoff- wechsel der einzelnen Organe sind in diesem Heft berücksichtigt. Genaue Informationen zu den Stoffwechselwegen im Einzelnen finden Sie im Biochemie-Skript 1. 4 Inhaltsverzeichnis LERNPAKET 6 © ccvision Biochemie 2 LERNPAKET 4 1 Enzyme und Enzymkinetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 1.8 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundbegriffe der Energetik und Kinetik. . . . . . . . . . . . . Einfluss von Enzymen auf biochemische Reaktionen . . . Enzymkinetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Enzymklassen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Isoenzyme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cofaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prinzipien der Stoffwechselregulation . . . . . . . . . . . . . . . 5 5 5 8 9 15 16 17 18 4 Hormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 4.2 4.3 4.4 Hormoneigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Signalübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hormonelle Regulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Effektorhormone des Hypothalamus und der Hypophyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schilddrüsenhormone. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Somatotropin (STH) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hormone der Nebennierenrinde. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sexualhormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katecholamine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Insulin und Glukagon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hormone des Calciumstoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . Gewebehormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hormone des Gastrointestinaltraktes. . . . . . . . . . . . . . . 4.5 4.6 4.7 4.8 4.9 4.10 4.11 4.12 4.13 39 39 40 43 43 44 46 46 49 51 53 56 58 60 LERNPAKET 7 5 Stoffwechsel der einzelnen Organe. . . . . . . . . . . 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 Leber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fettgewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Muskelgewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zentrales Nervensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Niere und Elektrolythaushalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bindegewebe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 61 66 69 74 77 79 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 LERNPAKET 5 2 Vitamine, Coenzyme, Spurenelemente . . . . . . . 2.1 2.2 2.3 2.4 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fettlösliche Vitamine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wasserlösliche Vitamine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spurenelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Ernährung und Verdauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 3.2 Ernährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verdauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 19 20 24 30 32 32 33 L E R NPAK E T 4 5 © ccvision Biochemie 2 L E R NPAK E T 4 1 Enzyme und Enzymkinetik 1.1 Einleitung Enzyme sind Biokatalysatoren. Sie sind an den meisten chemischen Umsetzungen des Stoffwechsels beteiligt. Die Stoffe, die von einem Enzym umgesetzt werden, heißen Substrate. Bei fast allen Enzymen handelt es sich chemisch gesehen um Proteine. Allerdings besitzen auch einige Nucleinsäuren wie RNA katalytische Aktivität. Sie werden als Ribozyme bezeichnet. Die wichtigste Aufgabe eines Enzyms besteht darin, die Reaktionsgeschwindigkeit zu erhöhen. Durch die Anwesenheit eines Enzyms kann die Geschwindigkeit einer Reaktion um den Faktor 1010 und mehr gesteigert werden. Das Enzym selbst wird bei den Reaktionen nicht verbraucht. Enzyme beschleunigen die Reaktionsgeschwindigkeit, indem sie die Aktivierungsenergie herabsetzen (s. u.). 1.2 Grundbegriffe der Energetik und Kinetik Die Energie, die der Organismus zum Leben benötigt, ist im Körper in Form von chemischen Verbindungen gespeichert. Diese Energie wird bei chemischen Reaktionen freigesetzt oder umgesetzt. Dabei spielen Enzyme eine entscheidende Rolle. 1.2.1 Enthalpie (H) Ausgangsstoffe einer Reaktion (z. B. Glucose) und ihre Produkte (z. B. H2O und CO2) unterscheiden sich in ihrer inneren Energie (Enthalpie, H). Ändert sich die innere Energie, kommt es zu einer Enthalpieänderung (ΔH; Einheit: J · mol–1). ▪ Nimmt die innere Energie der Ausgangssubstanz während der Reaktion ab, wird die entsprechende Energiemenge als Wärme frei (= negatives ΔH). Die Reaktion ist exotherm. ▪ Bei einer Reaktion mit positivem ΔH muss Wärme zugeführt werden, damit sie abläuft. Die Reaktion ist endotherm. 6 Biochemie 2 | 1 Enzyme und Enzymkinetik 1.2.2 Entropie (S) Die Entropie ist ein Maß für die Unordnung eines Systems. Ein System strebt immer den maximalen Grad an Unordnung an. APROPOS Dieses Prinzip erleben Sie jeden Tag beim Lernen, wenn Sie feststellen, dass das Chaos auf Ihrem Schreibtisch nahezu automatisch zunimmt, während es nie von alleine ordentlicher wird. Die Zunahme der Entropie kann einen Prozess antreiben. Ein Beispiel ist die gleichmäßige Verteilung von Natrium- und Chloridionen durch Diffusion, durch die sich der Grad der Unordnung im System erhöht. Die Entropie nimmt zu, gleichzeitig nimmt die freie Enthalpie des Systems ab. Die Differenz der inneren Energie zwischen Ausgangs- und Endzustand des Systems treibt die Diffusion der Ionen an. 1.2.3 Gibbs’ freie Energie (G) Ein Kriterium für den spontanen Ablauf von Reaktionen liefert die von Gibbs im Jahr 1878 eingeführte Gibbs' freie Energie G. Sie wird auch freie Enthalpie genannt. ΔG gibt die Änderung der freien Enthalpie bei einer Reaktion (auch freie Reaktionsenthalpie) an, sagt aber nichts über die Geschwindigkeit dieser Reaktion aus. Dabei gilt: ▪ ΔG < 0: Die Reaktion läuft spontan ab, sie ist exergon. ▪ ΔG = 0: Das System ist im Gleichgewicht. ▪ ΔG > 0: Die Reaktion kann nicht spontan ablaufen, sie ist endergon. Es ist eine Zufuhr von freier Enthalpie notwendig, um die Reaktion anzutreiben. Zum Beispiel ist die Hydrolyse von ATP zu ADP und Phosphat exergon und die Gibbs’ freie Energie unter Standardbedingungen ist negativ. Daher kann die bei der ATP-Spaltung frei werdende Energie genutzt werden, um andere Stoffwechselwege anzutreiben. 1.2.4 Gibbs-Helmholtz-Gleichung Die Änderung der freien Enthalpie, ΔG, d. h. die Energie, die eine Reaktion antreibt, errechnet sich aus der Differenz der Wärmemenge und der Differenz der Unordnung zwischen Ausgangssubstanzen und Produkten der Reaktion. Den mathematischen Zusammenhang dieses Sachverhalts gibt die Gibbs-HelmholtzGleichung wieder: ΔG = ΔH – T · ΔS Hierbei sind: ▪ ΔG = Änderung der freien Enthalpie ▪ ΔH = Änderung der Enthalpie ▪ ΔS = Änderung der Entropie ▪ T = Temperatur (in K) ΔG zeigt an, wie viel Arbeit eine Reaktion maximal leisten kann. 1.2.5 Veränderung von Gibbs’ freier Energie bei Konzentrationsänderungen Chemische Reaktionen führen zu einem Gleichgewicht der beteiligten Reaktionspartner. Eine Reaktion, in der die Stoffe A und B in die Stoffe C und D umgewandelt werden, wird folgendermaßen formuliert: A+B ⇌ C+D Nach dem Massenwirkungsgesetz lautet die Gleichgewichtskonstante K' dieser Reaktion: K' ¼ ½C½D ½A½B ð1:1Þ K' = Gleichgewichtskonstante K bei pH = 7 Die Änderung der freien Enthalpie dieser Reaktion berechnet man durch: ΔG ¼ ΔG0 ' þ RT ln ½C½D ½A½B ð1:2Þ Hierbei sind: ▪ ΔG = Änderung der freien Enthalpie ▪ ΔG0' = Änderung der freien Standardenthalpie bei pH 7 ▪ R = Gaskonstante = 8,314 J · mol–1 · K–1 = 8,314 · 10–3 J · mol–1 · K–1 ▪ T = absolute Temperatur = 298 K ΔG0 ist die Änderung der freien Standardenthalpie und die Kraft, die die Reaktion unter Standardbedingungen (Druck 101,325 kP; Temperatur 298 K; Konzentration von A, B, C und D zu Beginn der Reaktion jeweils 1 mol · l–1) in Richtung Gleichgewicht treibt. Bei Biochemikern beliebt ist ΔG0', das der Änderung der freien Standardenthalpie bei pH 7 entspricht. ΔG0' ist sozusagen eine Konstante mit einem für eine bestimmte Reaktion charakteristischen Wert. Die tatsächliche Änderung der freien Enthalpie, ΔG, ist dagegen eine Funktion der tatsächlich vorhandenen Konzentrationen von Ausgangssubstanzen und Produkten sowie der Temperatur. Nähert sich eine Reaktion dem Gleichgewicht, dann nähert sich ΔG null. Durch Kombination von Gleichung (1.1) und Gleichung (1.2) ergibt sich: ΔG = ΔG0' + R · T · lnK' Im Gleichgewicht gilt: ΔG = 0. Für ΔG0' dieser Reaktion gilt dann: ΔG0 ' ¼ RT lnK' ð1:3Þ Wenn man den Faktor für die Umwandlung des natürlichen in den dekadischen Logarithmus berücksichtigt, kann Gleichung (1.3) auch ausgedrückt werden als: ΔG0' = –2,303 R · T · log K' Diese Formel verbindet die Gleichgewichtskonstante einer Reaktion und die Änderung der freien Standardenthalpie miteinander. Je größer K', desto mehr Energie wird frei. ▪ K' > 1: ΔG0' ist negativ; die Reaktion ist exergon; ▪ K' = 1: ΔG0' = 0; das System leistet keine Arbeit; ▪ K' < 1: ΔG0' ist positiv; die Reaktion ist endergon, sie läuft nicht spontan ab. Reaktionen, die aufgrund von ΔG0' unter den gegebenen Bedingungen nicht spontan ablaufen, können dann spontan ablaufen, wenn man die Konzentrationen der Ausgangssubstanzen und Produkte verändert. Zum Beispiel können unter physiologischen Bedingungen Produkte aus dem Reaktionsgleichgewicht entfernt werden, indem sie aus der Zelle transportiert werden oder bei einer Anschlussreaktion als Substrate dienen. Eine weitere Möglichkeit, thermodynamisch ungünstige Reaktionen ablaufen zu lassen, ist die energetische Kopplung der Reaktion an eine Reaktion, bei der ausreichend Energie frei wird, um die Gesamtreaktion anzutreiben (s. u.). 1.2 Grundbegriffe der Energetik und Kinetik 1.2.6 Gruppenübertragungspotenzial und energiereiche Verbindungen Glucose + Pi → Glucose-6-P; mit ΔG0': +14 kJ/mol ATP + H2O → ADP + Pi; mit ΔG0': –30,5 kJ/mol Gesamtreaktion: ATP + Glucose ⇌ ADP + Glucose-6-phosphat, mit ΔG0': –16,7 kJ/mol Verbindungen mit hohem Gruppenübertragungspotenzial sind in Tab. 1.1 zusammengefasst. ATP steht am unteren Ende der in Tab. 1.1 genannten Verbindungen. Damit kann es sowohl als Phosphatgruppendonator wie als -akzeptor dienen. Es wird daher auch durch Umwandlung von 1,3-Bisphosphoglycerat in 3-Phosphoglycerat, von Phosphoenolpyruvat in Pyruvat und indirekt von Succinyl-CoA in Succinat gebildet. Man bezeichnet diese Form der ATP-Synthese als Substratkettenphosphorylierung. 1.2.7 Redoxpotenzial E Redoxreaktionen (Oxidationen und Reduktionen) sind Elektronenübertragungsreaktionen. Bei einer Oxidation werden Elektronen von einem Reaktionspartner abgegeben, bei einer Reduktion werden sie aufgenommen. Eine Oxidation ist immer mit einer Reduktion verbunden, da Elektronen weder einfach gebildet werden noch verschwinden können. Oxidationsmittel werden in der Reaktion selbst reduziert, Reduktionsmittel dagegen oxidiert. Während der Reaktion wird aus einem Oxidationsmittel ein Reduktionsmittel und umgekehrt. Die oxidierte und die reduzierte Form einer Substanz werden Redoxpaar genannt. Die Neigung eines Systems, Elektronen abzugeben bzw. aufzunehmen, bezeichnet man als sein Redoxpotenzial E (oder korrekter als Reduktionspotenzial). Man unterscheidet starke und schwache Oxidations- bzw. Reduktionsmittel. Da sich die Potenzialdifferenz eines einzelnen Redoxpaares nicht experimentell bestimmen lässt, bezieht man sich bei der Messung auf eine standardisierte Vergleichsgröße und misst ge- NH2 N Säureanhydridbdg. N Esterbdg. N O– O – O P O– O P Adenin N O O P O O CH2 O ATP Ribose O– Phosphatreste OH OH Adenosin Abb. 1.1 Struktur von Adenosintriphosphat (ATP). Tab. 1.1 Verbindungen mit hohem Gruppenübertragungspotenzial. energiereiche Verbindung Gruppenübertragungspotenzial Phosphoenolpyruvat –62 kJ · mol–1 1,3-Bisphosphoglycerat –50 kJ · mol–1 Kreatinphosphat –42 kJ · mol–1 Acetyl-CoA –35 kJ · mol–1 Glycerinphosphat –30 kJ · mol–1 gen die Standardwasserstoffelektrode. Ein negatives Standardoder Normalpotenzial (E0) bedeutet, dass eine Substanz eine geringere Elektronenaffinität als die Standardhalbzelle (E0 = 0) hat und umgekehrt. So gibt ein starkes Reduktionsmittel leicht Elektronen ab und besitzt ein negatives Standardpotenzial, während ein starkes Oxidationsmittel leicht Elektronen aufnimmt und über ein positives Standardpotenzial verfügt. Die Redoxpaare werden (mit der oxidierten Form links und der reduzierten Form rechts) in einer elektrochemischen Spannungsreihe angeordnet, beginnend mit dem Redoxpaar, das das am stärksten negative Standardpotenzial besitzt und daher das stärkste Reduktionsmittel ist. oxidierte Form + e– → reduzierte Form Bei einer Redoxreaktion läuft jedoch eine Halbreaktion als Oxidation ab. Es ist die Halbreaktion mit dem geringeren Standardpotenzial (also mit der geringeren Elektronenaffinität). Das Vorzeichen von E0 dieser Reaktion wird daher bei der Berechnung von ΔE0 der Reaktion umgekehrt. ΔE0 = E0Oxidationsmittel – E0Reduktionsmittel Das Standardpotenzial (unter Standardbedingungen E0 bzw. E0') ist mit der freien Enthalpie über folgende Gleichung verbunden: ΔG0 = –n · F · ΔE0 Dabei ist: ▪ ΔG0: Änderung der freien Standardenthalpie ▪ n: Anzahl der übertragenen Elektronen ▪ F: Faraday-Konstante (1 F = 96,494 kJ · V–1 · mol–1) ▪ ΔE0: Änderung des Standardpotenzials unter Standardbedingungen Nach dieser Formel ist es möglich, die Änderung der freien Enthalpie einer Redoxreaktion aus der Differenz der Standardpotenziale der Reaktionspartner zu berechnen. L E R NPAK E T 4 Endergone Reaktionen können ablaufen, indem sie energetisch an eine exergone Reaktion gekoppelt werden. Voraussetzung ist jedoch, dass ΔG0' der exergonen Reaktion größer ist als ΔG0' der endergonen Reaktion, sodass ΔG0' der Gesamtreaktion negativ wird. An der energetischen Kopplung im Stoffwechsel sind häufig Enzyme beteiligt. Der Organismus koppelt in solchen Fällen häufig die durchzuführende endergone Reaktion an die Spaltung energiereicher Verbindungen wie ATP (Adenosintriphosphat). Es ist aufgebaut aus Adenin, Ribose und drei Phosphatresten (Abb. 1.1). Der erste Phosphatrest ist mit der Ribose verestert. Die Phosphatreste selbst sind über Säureanhydridbindungen miteinander verbunden. Energiereich sind vor allem die zwei Säureanhydridbindungen zwischen den drei Phosphatresten, weil sie leicht gespalten und die Phosphatreste auf andere Moleküle übertragen werden können. Es ist deshalb korrekter, ATP als eine Verbindung mit einem hohen Gruppenübertragungspotenzial zu bezeichnen. Die mit ΔG0' = –30,5 kJ · mol–1 stark exergone Hydrolyse von ATP kann an endergone Prozesse gekoppelt sein. Ein Beispiel für eine solche Reaktion ist die Hexokinasereaktion (der erste Schritt der Glykolyse). Die Phosphorylierung der Glucose ist endergon und läuft nicht freiwillig ab. Erst durch die gleichzeitige Hydrolyse von ATP kann die Reaktion stattfinden. 7 Biochemie 2 | 1 Enzyme und Enzymkinetik ÜZ RECHENBEISPIEL NADH + H+ ist Elektronendonator der Atmungskette und überträgt über mehrere Redoxpaare zwei Elektronen auf molekularen Sauerstoff (O2). Unter biologischen Standardbedingungen hat die Halbreaktion (NADH + H+)/(NAD+ + 2 H+) ein Potenzial von etwa –0,32 V und die Halbreaktion O2–/½O2 etwa +0,81 V. Die Faraday-Konstante F ist etwa 96,5 kJ · V–1 · mol–1. Wie groß ist die Gibbs’ freie Energie (freie Reaktionsenthalpie) unter diesen biologischen Standardbedingungen? Lösungsweg: Zunächst wird die Änderung des Standardpotenzials ΔE0 für die Gesamtreaktion ermittelt, das sich aus den Standardpotenzialen der Halbreaktionen ergibt. Die größere Tendenz, Elektronen abzugeben, hat NADH + H+. Es hat das geringere Standardpotenzial und ist daher das Reduktionsmittel. Die Elektronen werden vom Oxidationsmittel O2 aufgenommen. Die Änderung des Standardpotenzials berechnet sich also wie folgt: ΔE0 = E0Oxidationsmittel – E0Reduktionsmittel = 0,81 V – (–0,32 V) = 1,13 V Nach der Formel ΔG0 = –n · F · ΔE0 steht die Änderung der freien Enthalpie mit der Änderung des Redoxpotenzials in Beziehung. Die Änderung der freien Enthalpie ist dann: ΔG0 = –2 · 96,5 kJ · V–1 · mol–1 · (0,81 V + 0,32 V) = –218 kJ · mol–1 Wie so oft bei den Rechenaufgaben reicht es aus, wenn Sie mit Näherungswerten rechnen. Hier kann man sich der richtigen Lösung also nähern über –2 · 100 kJ · V–1 · mol–1 · 1,0 V = –200 kJ · mol–1 Lösung: –218 kJ · mol–1 = –218 kJ/mol FAZIT – DAS MÜSSEN SIE WISSEN – ! Die Hydrolyse von ATP zu ADP und Phosphat ist exergon und Gibbs’ freie Energie unter Standardbedingungen ist negativ. – ! Die Änderung des Redoxpotenzials berechnet sich nach der Formel: ΔE0 = E0Oxidationsmittel – E0Reduktionsmittel – ! Bei einem negativen Wert von ΔG läuft eine Reaktion immer freiwillig ab. – !! Die Änderung der freien Standardenthalpie steht mit der Änderung des Redoxpotenzials unter Standardbedingungen über folgende Formel in Beziehung: ΔG0 = –n · F · ΔE0. 1.3 Einfluss von Enzymen auf biochemische Reaktionen 1.3.1 Energieprofil biochemischer Reaktionen und Katalyse Die meisten biochemischen Reaktionen laufen in wässriger Lösung nur langsam oder überhaupt nicht ab. Die Substrate müssen zuerst mithilfe der Aktivierungsenergie Ea einen „energiereichen“ Übergangszustand erreichen, bevor sie zu den Produkten reagieren können. Hat das Substrat den Übergangszustand erreicht, reagiert es ohne weitere Energiezufuhr zu den Produkten. Die Aktivierungsenergie wird dabei wieder frei, d. h., ΔG0 der Reaktion wird nicht verändert. Am besten wird dies durch ein Energieprofil dargestellt (Abb. 1.2). Ein Katalysator senkt die Aktivierungsenergie einer Reaktion, da das Energieniveau des Übergangszustands durch die Wechselwirkung zwischen Substrat und Katalysator geringer ist als ohne Aktivierungsenergie Ea ohne Katalysator freie Energie des Systems 8 ÜZ Aktivierungsenergie Ea mit Katalysator ΔG = Änderung der freien Enthalpie P Produkt Reaktionskoordinate Abb. 1.2 Energieprofil einer exergonen Reaktion. Ein Katalysator beschleunigt den Ablauf der Reaktion, indem er die Aktivierungsenergie herabsetzt (ÜZ = Übergangszustand). Katalysator. Dadurch wird die Reaktion beschleunigt. Die Gleichgewichtslage verändert sich jedoch nicht. Bei biochemischen Reaktionen übernehmen Enzyme die Rolle des Katalysators (s. u.). 1.3.2 Reaktionen im Gleichgewicht Im Gleichgewicht reagiert genauso viel Substrat zu Produkt wie umgekehrt. Der Quotient der Geschwindigkeitskonstanten entspricht der Gleichgewichtskonstanten. Es gilt: k1 AþB Ð CþD kþ1 K¼ ½C½D kþ1 ¼ ½A½B k1 RECHENBEISPIEL Für die Prüfung sollten Sie in der Lage sein, mit Gleichgewichtskonstanten zu rechnen. Stellen Sie sich die Reaktion AMP + ATP ⇌ 2 ADP vor, die von der Adenylatkinase katalysiert wird. Die Gleichgewichtskonstante betrage 1. Daraus folgt: K¼1¼ ½ADP2 ½AMP½ATP Die freie Konzentration im Gleichgewicht für AMP sei 0,2 μmol/l, die für ADP 20 μmol/l. Wie groß ist die Konzentration für ATP im Gleichgewicht? Lösungsweg: Einsetzen der Konzentrationen in die oben genannte Formel ergibt: 1¼ ð20 μmol=lÞ2 400 μmol2 =l2 ¼ ð0;2 μmol=lÞ½ATP ð0;2 μmol=lÞ½ATP daraus folgt durch Umformung: ½ATP ¼ 400 μmol ¼ 2000 μmol=l ¼ 2 mmol=l 0;2 l 1.3.3 Fließgleichgewicht Der Organismus stellt ein offenes System dar, das ständig energiereiche Substrate aus der Umgebung aufnimmt und energiearme Substrate abgibt. In diesem dynamischen Gleichgewichtszustand (steady state) halten sich Substanzzufluss und -abfluss die Waage. Es herrscht ein Fließgleichgewicht, bei dem die Konzentrationen der Zwischenprodukte konstant sind.