Interdisziplinäre Fortbildungsreihe der Österreichischen Gesellschaft für Nephrologie ÖGN P.b.b. GZ 02Z031654 M, Benachrichtigungspostamt 1070 Wien Falls unzustellbar, bitte retour an: MEDMEDIA Verlag, Seidengasse 9/Top 1.1, 1070 Wien 11. Jahrgang / Nr. 2 / 2008 Malignome und Niere • Therapiekonzepte bei Nierenzellkarzinom • Nierenbeteiligung bei multiplem Myelom • Nephrotoxizität onkologischer Therapien MedMedia Medical Opinion Network 3 EDITORIAL Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Balcke Malignome und Niere alignome sind auch für den nephrologisch tätigen Arzt ein relevantes Thema. So kommen Malignome bei Dialysepatienten und nierentransplantierten Patienten sogar gehäuft vor und etwa 8 % der chronischen, nierenersatzpflichtigen Patienten versterben an einem Malignom (Österreichisches Dialyse- und Transplantationsregister, R. Kramar). Das vorliegende Heft greift einige wichtige und aktuelle Themen dazu auf. Diese reichen von der Häufigkeit und Art der Tumore, über den Sinn von Krebsvorsorgeuntersuchungen bei Dialysepatienten, über die Wartezeit bis zur Transplantationsmeldung nach einem Malignom bis zu Problemen, mit denen auch der Nephrologe bei onkologischen Patienten unter der Gabe von Angiogenese-Hemmern und Bisphosphonaten zu tun haben kann. M Zwei besonders wichtige Themen werden ausführlicher behandelt: das multiple Myelom und das Nierenzellkarzinom, mit denen der Nephrologe auch auf Grund ihrer Häufigkeit im besonderen Maße konfrontiert ist. Beim multiplen Myelom, dessen Prävalenz bei Dialysepatienten bei etwa 3 % liegt, erfordern neue Entwicklungen in der Diagnostik, etwa die Bestimmung der freien Ketten, und in der Therapie mit Bortezomib bzw. Thalidomid oder Lenalidomid auch vom Nephrologen besondere Kenntnisse bezüglich Wirksamkeit und Nebenwirkungen der onkologischen Therapie. Auch die Verwendung von High-Cut-offDialysatoren zur Elimination leichter Ketten stellt für den Nephrologen eine neue interessante Aufgabe bei Patienten mit multiplen Myelom dar. Die Prävalenz des Nierenzellkarzinoms ist mit etwa 4 % bei chronischen Dialysepatienten außerordentlich hoch. Zu der Zahl der neu diagnostizierten Fälle kommen noch Patienten, die nach Tumornephrektomie eine terminale Niereninsuffizienz erreichen. Zwei Kapitel sind deshalb neuen onkologischen und operativen Therapieoptionen beim Nierenzellkarzinom gewidmet. Bezüglich anderer onkologisch-nephrologischer Themen (etwa Cisplatin) möchte ich auf das NephroScript 1/03 verweisen. Es ist mir gelungen, äußerst kompetente Autoren für dieses Heft zu gewinnen, denen ich auch auf diesem Weg nochmals danken möchte. Da sich alle zudem viel Mühe gegeben haben, hoffe ich, dass dieses Heft Ihre Zustimmung findet. Ihr Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Balcke IMPRESSUM Verlag: MEDMEDIA Verlag und Mediaservice Ges.m.b.H. Herausgeber: Österreichische Gesellschaft für Nephrologie, Prim. MR Dr. Reinhard Kramar, 3. Interne Abteilung, Klinikum Kreuzschwestern Wels, und ao. Univ.-Prof. Dr. Alexander R. Rosenkranz, Klinische Abteilung für Nephrologie, Universitätsklinik für Innere Medizin, Innsbruck. Chefredakteur: Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Balcke, Vorstand der 1. Medizinischen Abteilung des Landesklinikums St. Pölten sowie des Karl-Landsteiner-Instituts für Nephrologie und Hämato-Onkologie. Anzeigen/Organisation: MEDMEDIA Verlag und Mediaservice Ges.m.b.H., Seidengasse 9/Top 1.1, 1070 Wien, Tel.: 01/407 31 11. Projektleitung: Friederike Maierhofer. Produktion: Alexandra Kogler. Redaktion: Peter Lex. Layout/DTP: Gerald Mollay. Lektorat: Peter Lex. Coverillustration: Martin Lachmair, creativedirector.cc. Druck: Bauer Druck, Wien. Druckauflage: 8.150 Stück im 4. Quartal 2007, geprüft von der Österreichischen Auflagenkontrolle. Bezugsbedingungen: Die Zeitschrift ist zum Einzelpreis von Euro 9,50 plus Mwst. zu beziehen. Grundsätze und Ziele von NephroScript: Information für nephrologisch interessierte Krankenhaus- und niedergelassene Ärzte. Angaben über Dosierungen, Applikationsformen und Indikationen von pharmazeutischen Spezialitäten müssen vom jeweiligen Anwender auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Herausgeber und Medieninhaber übernehmen dafür keine Gewähr. Literatur zu den Fachbeiträgen bei den jeweiligen Autoren. Allgemeine Hinweise: Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die persönliche und/oder wissenschaftliche Meinung des jeweiligen Autors wieder und fallen somit in den persönlichen Verantwortungsbereich des Verfassers. Mit „Freies Thema“ gekennzeichnete Beiträge sind entgeltliche Einschaltungen gem. § 26 Mediengesetz und fallen in den Verantwortungsbereich des jeweiligen Auftraggebers; sie müssen nicht die Meinung von Herausgeber, Reviewer oder Redaktion wiedergeben. Angaben über Dosierungen, Applikationsformen und Indikationen von pharmazeutischen Spezialitäten müssen vom jeweiligen Anwender auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Trotz sorgfältiger Prüfung übernehmen Medieninhaber und Herausgeber keinerlei Haftung für drucktechnische und inhaltliche Fehler. 5 INHALT 03 03 06 10 Editorial 14 Malignome vor und nach Nierentransplantation Dr. Katharina Hohenstein, ao. Univ.-Prof. Dr. Bruno Watschinger 20 40 Nephrotoxizität von intravenösen Bisphosphonaten Prim. Univ.-Prof. Dr. Dietmar Geissler 46 Onkologische Therapie des Nierenzellkarzinoms ao. Univ.-Prof. Dr. Manuela Schmidinger 55 Chirurgische Konzepte beim Nierenzellkarzinom Univ.-Doz. Dr. Michael Rauchenwald Impressum Seiten der Gesellschaft Was bringen Krebs-Vorsorgeuntersuchungen bei Dialysepatienten? Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Balcke Diagnostik des multiplen Myeloms OA Dr. Michael Pober, MSc 23 Therapie des multiplen Myeloms Univ.-Prof. Dr. Johannes Drach 31 Renale Attacke durch freie Leichtketten bei multiplem Myelom Dr. Elisabeth Dittrich, ao. Univ.-Prof. Dr. Sabine Schmaldienst 38 Renale Nebenwirkungen einer Anti-VEGFAntikörper-Therapie Dr. Clemens O. Wieser FREIE THEMEN (entgeltliche Einschaltungen) 59 Lenalidomid (Revlimid®) – Neue Daten für Lenalidomid bei multiplem Myelom 60 62 Imiquimod (Aldara®) – Creme gegen hellen Hautkrebs 64 Methoxy-Polyethylenglycol-Epoetin beta (Mircera®) – Stabile Hb-Werte in der Anämietherapie bei noch nicht dialysepflichtigen CKD-Patienten 65 Iodixanol (VisipaqueTM) und Paricalcitol (Zemplar®) – Der kardio-reno-vaskuläre Patient 71 PHARMA-NEWS Sevelamer (Renagel®) – Wie hält es Ihr Phosphatbinder mit der vaskulären Kalzifikation? Abstract-Einreichung für die Jahrestagung der ÖGN Einsendeschluss: 30.6.2008 Die Einreichung der Abstracts erfolgt ausschließlich per E-Mail an den Sekretär der ÖGN, ao. Univ.-Prof. Dr. Alexander Rosenkranz ([email protected]). Bitte senden Sie Ihre Unterlagen als MS Word mit max. 300 Wörtern bzw. 1 Seite DIN A4, in englischer oder deutscher Sprache. 6 SEITEN DER GESELLSCHAFT PATIENTENSYMPOSIUM ZUR NIERENTRANSPLANTATION AN DER INNSBRUCKER UNIVERSITÄT, 14. MÄRZ 2008 Transplantationsmediziner und Nephrologen unterstützen Patientenselbsthilfe Die Klinischen Abteilungen für Nephrologie und Transplantationschirurgie der Universität Innsbruck luden gemeinsam mit der Selbsthilfevereinigung für Dialysepatienten und Nierentransplantierte „Nephro Tirol“ zu einem Patientensymposium über das Thema Nierentransplantation. Zwei aktuelle Ereignisse standen Pate für die Idee zu diesem Patientensymposium: der Weltnierentag am 13. März und das 1-jährige Bestandsjubiläum von „Nephro Tirol“. Etwa 240 Gäste aus Tirol und aus anderen Bundesländern (überwiegend Transplantierte oder Nierenpatienten, die auf eine Organverpflanzung warten) waren der Einladung gefolgt. In der Begrüßung nahm Univ.-Prof. Dr. Gert Mayer, Leiter der Klinischen Abteilung für Nephrologie, Innsbruck, und Vorsitzender des Symposiums (neben Univ.-Prof. Dr. Raimund Margreiter, Vorstand der Innsbrucker Universitätsklinik für Chirurgie) Bezug auf den Weltnierentag und strich als dessen wesentlichsten Zweck heraus, dass die öffentliche Aufmerksamkeit vermehrt auf die Niere gerichtet werden sollte, um etwaigen Erkrankungen rechtzeitig vorzubeugen. „Wie bekomme ich ein Organ?“ Der erste Vortragende, ao. Univ.-Prof. Dr. Paul Hengster, stationsführender OA der Allgemein- und Transplantationschirurgie, beleuchtete in seinem Vortrag zunächst den epidemiologischen Kontext und gesetzliche Rahmenbedingungen für länderspezifische Unterschiede in der Angebots-Situation. In Österreich gibt es eine „Widerspruchsregelung“: die Menschen müssen zu Lebzeiten festlegen, dass sie nicht als Organspender in Frage kommen wollen. Ansonsten wird davon ausgegangen, dass man für den Fall des Todes in die Organspende einwilligt. Dieser Lösung steht die „Zustimmungslösung“ gegenüber, wie sie beispielsweise in Deutschland praktiziert wird. Wer dort keinen Organspenderausweis besitzt, dem dürfen nach seinem Tod Organe nur mit Zustimmung der nächsten Angehörigen entnommen werden. Nachdem nur etwa 10 % der Bevölkerung einen Organspenderausweis besitzen, muss ein sehr viel höherer Prozentsatz auf den Wartelisten sterben als in den Ländern mit Widerspruchslösung als gesetzlicher Basis. Im österreichischen Widerspruchsregister sind derzeit ungefähr 16.000 Namen gespeichert. Abb.: Univ.-Prof. Dr. Raimund Margreiter, ao. Univ.-Prof. Dr. Paul Hengster, Nina Sürth (Roche Austria), ao. Univ.-Prof. Dr. Gert Mayer, Egon Saurer (Obmann „Nephro Tirol“), Univ.-Prof. Dr. Paul König, ao. Univ.-Prof. Dr. Alexander Rosenkranz (v. l. n. r.) Alle relevanten Informationen über den Organspender werden vom Transplantationszentrum an Eurotransplant gemeldet, wo die Vergabe nach objektiven Kriterien erfolgt. Professor Hengster rekapitulierte die Eckdaten dieser Non-Profit-Organisation, die die vorhandenen Spenderorgane für einen Einzugsbereich von etwa 120 Millionen Menschen verwaltet, und ging auf das transparent nachvollziehbare Punktesystem ein, nach dem letztlich die Zuteilung eines Organs erfolgt. „Warum benötige ich Untersuchungen vor und nach der Transplantation?“ Der stationsführende OA der Klinischen Abteilung für Nephrologie, Innsbruck, ao. Univ.-Prof. Dr. Alexander Rosenkranz, wies auf das gestiegene Langzeitüberleben und dafür verantwortliche Faktoren hin: neue immunsuppressive Strategien, Verbesserung der chirurgischen und internistischen Betreuung unmittelbar nach dem Eingriff und Verbesserung der Langzeitbetreuung (Nachsorgeuntersuchungen). Auch die Auswahl der Kandidaten für eine Transplantation ist sorgfältiger. Prof. Rosenkranz wies in diesem Zusammenhang auf einen 2007 von Österreichs bedeutendsten Nephrologen und Transplantationsmedizinern erarbeiteten Consensus zu Vorbereitungsuntersuchungen zur Nierentransplantation hin. In der Präambel zu diesem Consensus werden die Grundsätze formuliert: Jeder Patient mit terminalem Nierenversagen sollte unabhängig von Alter, Geschlecht, sozialer, wirtschaftlicher oder ethnischer Zugehörigkeit in Hinblick auf eine Nierentransplantation (oder eine kombinierte Transplantation) evaluiert wer- 7 den. Auf die Möglichkeit einer Lebendspende sollen alle Kandidaten aufmerksam gemacht werden. Die Basisuntersuchungen sind bei allen Patienten vor der Aufnahme auf die Warteliste erforderlich. Darüber hinausgehende Untersuchungen sind bei entsprechender Anamnese, bei Risiko-Konstellation oder pathologischen Befunden je nach Situation durchzuführen. Wird der Patient seinerseits von einem Transplantationszentrum abgelehnt, so hat er das Recht, sich an ein anderes Zentrum in Österreich zu wenden, um von diesem vielleicht doch auf die Warteliste gesetzt zu werden. Untersuchungen nach der Transplantation entscheiden sehr wesentlich darüber, wie lange ein verpflanztes Organ lebt, überprüfen zugleich aber auch den Allgemeinzustand des Patienten. Denn transplantierte Patienten sind in mancherlei Hinsicht „Risikogruppen“, wenn sie sich nicht den regelmäßigen Untersuchungen stellen. „Was erwartet mich auf der Transplantations-Chirurgie?“ Professor Hengster orientierte sich in der Darstellung des Transplantationsereignisses selbst an einer vorbereiteten Präsentation des krankheitshalber entschuldigten Kollegen ao. Univ.-Prof. Dr. Walter Mark, Klinischer Leiter im Bereich Allgemein- und Transplantationschirurgie, Innsbruck. Er erklärte in einer auch für Laien verständlichen Sprache die eigentliche Prozedur der Nierentransplantation und die neuralgische Phase nach der Transplantation: Es sei nicht selbstverständlich, dass eine Niere vom ersten Tag an funktioniere. Nicht selten bekommen frisch transplantierte Patienten am Anfang noch eine Dialysebehandlung. Manche produzieren zwar Harn, können aber die harnpflichtigen Substanzen anfangs noch nicht beseitigen. Andere erzeugen zu Beginn gar keinen Harn und die Nieren übernehmen erst allmählich ihre Aufgaben. Allgemein muss am Anfang das Immunsystem am stärksten unterdrückt werden, wobei heute eine Vielzahl von Medikamenten existiert, die eine Abstoßung des verpflanzten Organs verhindern können. „Was kann ich als Patient zum Gelingen der Transplantation beitragen?“ Der stellvertretende Leiter der Klinischen Abteilung für Nephrologie, Univ.-Prof. Dr. Paul König, hob den Stellenwert der seelischen Verarbeitung des ganzen Geschehens für die Gesundheit des transplantierten Organs und seines Empfängers hervor und verwies in diesem Zusammenhang auf das Modell der Krankheitsbewältigung, wie es Kübler-Ross 1969 aufgezeigte: mit dem ersten Abschnitt die Verweigerung, eine schwere Krankheit anzunehmen. Der nächste Schritt ist dann der Versuch, sich damit zu arrangieren. Wenn dies alles keinen Erfolg zeitigt und das Nierenversagen beharrlich fortschreitet, setzt Trauer ein, die „re- aktive Depression“. Dies ist keine leichte Situation für die Angehörigen und es bedarf großer seelischer Stärke auch von ihrer Seite. Wenn der Patient schließlich seine Krankheit, den konkreten Zustand seines Lebens, bewusst und in voller Tragweite annehmen kann, wird die Situation für ihn für seine Umgebung leichter. Professor König erläuterte mit der Logotherapie Viktor Frankls und dessen dreidimensionalem Menschenbild – Körper, Geist, Psyche – nicht nur ein hilfreiches Interpretations-, sondern auch therapeutisches Selbsthilfekonzept in dieser existenziell bedrohlichen Situation. Die entscheidende Frage sollte immer sein: Wo geht der Weg jetzt weiter, was sollte anders gemacht werden, wie kann’s mir wieder besser gehen? Ein Jahr Verein „Nephro Tirol“ Um für die Selbstbestimmung und Selbstverantwortung als Nierenpatienten eine effektive institutionelle Grundlage zu schaffen, wurde am 15. 3. 2007 der Selbsthilfe-Verein „Nephro Tirol“ gegründet. Egon Saurer, einer der 8 Gründungsmitglieder und Obmann des Vereins, resümierte rückblickend das 1. Jahr dieser vorbildlichen Initiative, angefangen von der Erarbeitung der Vereinsstatuten und Herstellung der notwendigen Rechtsgrundlagen bis zu den ersten und sehr erfolgreichen Aktivitäten, um sich allen Nierenpatienten als hilfreiche Patienten-Ansprechplattform zu präsentieren. So konnte bereits im Juni 2007 die eigene Vereinshomepage nephrotirol.at mit einem hohen Standard an Informationen für Dialyse- und Nierentransplantierte online gehen. Zum Europäischen Tag der Organspende am 13. 10. 2007 veranstaltete der junge Verein einen Informationstag im Innsbrucker Rathaus. In der Mitgliedschaft ist auch das Fachmagazin „Diatra“ erhältlich und rechtzeitig zum 1-Jahres-Jubiläum wurde die Nullnummer der Mitgliederzeitung „Nephro Tirol Zeitung“ produziert, die 4-mal im Jahr erscheinen soll. Vor dem Hintergrund der Ressourcendiskussion strich Egon Saurer auch die wichtige Funktion der organisierten Patientenselbsthilfe als Stimme der legitimen ökonomischen Patienteninteressen hervor. Zuletzt richtete er noch Dankesworte an die Innsbrucker Klinische Abteilung für Nephrologie (mit ao. Univ.-Prof. Dr. Gert Mayer, der den Verein von Anfang an prominent unterstützt hatte, und Univ.-Prof. Dr. Paul König), die Transplantationschirurgie (mit Univ.-Prof. Dr. Raimund Margreiter und ao. Univ.-Prof. Dr. Hengster) und den Koordinator dieses Patientensymposiums, ao. Univ.-Prof. Dr. Alexander Rosenkranz. Auch der unermüdliche Einsatz vor Frau Nina Sürth vom Sponsor Roche Austria für die Organisation des Symposi■ ums fand schließlich anerkennende Würdigung. ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR NEPHROLOGIE Sekretariat: Klinische Abteilung für Nephrologie Universitätsklinik für Innere Medizin Medizinische Universität Innsbruck A-6020 Innsbruck, Anichstraße 35 Tel.: (0512) 504-25855, Fax: (0512) 504-25857 e-mail: [email protected] Innsbruck, 13. Feber 2008 Ausschreibung des Förderungspreises der Österreichischen Gesellschaft für Nephrologie 2008 PRÄSIDENT: R. Kramar Gemäß Beschluss der Vollversammlung der Österreichischen Gesellschaft für Nephrologie wird der VIZEPRÄSIDENT: G. Mayer Förderungspreis der Österreichischen Gesellschaft für Nephrologie in der Höhe von Euro 3.500,– BEIRAT: W. Gießauf W. Hörl K. Lhotta SEKRETÄR: A. Rosenkranz SCHATZMEISTER: R. Oberbauer für das Jahr 2008 ausgeschrieben. KOOPTIERTER VORSTAND: C. Aufricht M. Auinger P. Balcke U. Barnas G. Biesenbach H. Graf H. Holzer W. Hörl M. Joannidis R. Klauser-Braun P. König E. Pohanka H. Regele A. Sadjak R. Steininger O. Traindl W. Ulrich Gemäß den Satzungen der Österreichischen Gesellschaft für Nephrologie sind folgende Teilnahmebedingungen zu erfüllen: 1.) Der Bewerber muss österreichischer Staatsbürger sein oder seinen ordentlichen Wohnsitz in Österreich haben. Bei Gemeinschaftsarbeiten gilt diese Bedingung für mindestens einen der Autoren. 2.) Der Bewerber darf nur eine Arbeit einreichen. 3.) Es können nur Arbeiten mit klinischer Relevanz auf dem Gebiet der Nephrologie eingereicht werden, die noch nicht, oder nicht länger als ein Jahr vor dem Datum der Ausschreibung, im Druck erschienen sind. Der (die) Name (Namen) des (der) Autors* (Autoren) soll (sollen) nicht erkennbar sein. Habilitationsarbeiten sind von der Teilnahme ausgeschlossen. 4.) Der Arbeit muss ein versiegeltes Kuvert beigelegt werden, welches Namen und Anschrift des Autors beinhaltet und auf welchem außen der Titel der Arbeit steht. 5.) Die Arbeit muss in 6-facher Ausfertigung per Einschreiben eingereicht werden. 6.) Die Zuerkennung des Preises erfolgt unter Ausschluss des Rechtsweges. 7.) Die Einreichung der Arbeit hat an das Sekretariat der Österreichischen Gesellschaft für Nephrologie, Medizinische Universität Innsbruck, Klinische Abteilung für Nephrologie, z. Hd. Herrn Univ.-Prof. Dr. Alexander Rosenkranz, Anichstraße 35, 6020 Innsbruck, zu erfolgen. Der Endtermin für die Einreichung ist der 30. Juni 2008. ao. Univ.-Prof. Dr. Alexander Rosenkranz (Sekretär) * Bezeichnungen erfolgen geschlechtsneutral ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR NEPHROLOGIE Sekretariat: Klinische Abteilung für Nephrologie Universitätsklinik für Innere Medizin Medizinische Universität Innsbruck A-6020 Innsbruck, Anichstraße 35 Tel.: (0512) 504-25855, Fax: (0512) 504-25857 e-mail: [email protected] Innsbruck, 13. Feber 2008 Ausschreibung des Hans-Krister-Stummvoll-Preises der Österreichischen Gesellschaft für Nephrologie 2008 PRÄSIDENT: R. Kramar Gemäß Beschluss der Vollversammlung der Österreichischen Gesellschaft für Nephrologie wird der VIZEPRÄSIDENT: G. Mayer Hans-Krister-Stummvoll-Preis der Österreichischen Gesellschaft für Nephrologie in der Höhe von Euro 1.750,– BEIRAT: W. Gießauf W. Hörl K. Lhotta SEKRETÄR: A. Rosenkranz SCHATZMEISTER: R. Oberbauer für das Jahr 2008 ausgeschrieben. KOOPTIERTER VORSTAND: C. Aufricht M. Auinger P. Balcke U. Barnas G. Biesenbach H. Graf H. Holzer W. Hörl M. Joannidis R. Klauser-Braun P. König E. Pohanka H. Regele A. Sadjak R. Steininger O. Traindl W. Ulrich Gemäß den Satzungen der Österreichischen Gesellschaft für Nephrologie sind folgende Teilnahmebedingungen zu erfüllen: 1.) Der Bewerber muss österreichischer Staatsbürger sein oder seinen ordentlichen Wohnsitz in Österreich haben. Bei Gemeinschaftsarbeiten gilt diese Bedingung für mindestens einen der Autoren. 2.) Der Bewerber darf nur eine Arbeit einreichen. 3.) Es können nur Arbeiten mit klinischer Relevanz auf dem Gebiet der Nephrologie eingereicht werden, die noch nicht, oder nicht länger als ein Jahr vor dem Datum der Ausschreibung, im Druck erschienen sind. Der (die) Name (Namen) des (der) Autors* (Autoren) soll (sollen) nicht erkennbar sein. Habilitationsarbeiten sind von der Teilnahme ausgeschlossen. 4.) Der Arbeit muss ein versiegeltes Kuvert beigelegt werden, welches Namen und Anschrift des Autors beinhaltet und auf welchem außen der Titel der Arbeit steht. 5.) Die Arbeit muss in 6-facher Ausfertigung per Einschreiben eingereicht werden. 6.) Die Zuerkennung des Preises erfolgt unter Ausschluss des Rechtsweges. 7.) Die Einreichung der Arbeit hat an das Sekretariat der Österreichischen Gesellschaft für Nephrologie, Medizinische Universität Innsbruck, Klinische Abteilung für Nephrologie, z. Hd. Herrn Univ.-Prof. Dr. Alexander Rosenkranz, Anichstraße 35, 6020 Innsbruck, zu erfolgen. Der Endtermin für die Einreichung ist der 30. Juni 2008. ao. Univ.-Prof. Dr. Alexander Rosenkranz (Sekretär) * Bezeichnungen erfolgen geschlechtsneutral 10 VOR DEM HINTERGRUND DER MALIGNOMINZIDENZ Was bringen Krebs-Vorsorgeuntersuchungen bei Dialysepatienten? Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Balcke Vorstand der 1. Medizinischen Abteilung des Landesklinikums St. Pölten sowie des Karl-Landsteiner-Instituts für Nephrologie und Hämato-Onkologie iagnose, Therapie und Fragen der Malignomvorsorge stellen auch für den mit der Dialyse von Patienten betrauten Nephrologen ein wichtiges, aber oft unterbewertetes Thema dar. Es wird zumeist von den dialyseassoziierten und kardiovaskulären Problemen überschattet. Trotzdem werfen nicht nur die Malignome mit Nierenschädigungen wie das multiple Myelom, sondern auch solide Tumoren relevante Fragen auf. Dialyse erhöht das Risiko nicht, auch die Art der Dialysebehandlung hat keinen Einfluss. D Inzidenz von Malignomen bei Dialysepatienten Die jährliche Malignominzidenz ist mit 1,2 Diagnosen pro 100 Patientenjahren im Vergleich zur Normalbevölkerung deutlich erhöht (Standardised Incidence Ratio 1,18). Erhöhte Prävalenz vor allem bei Nierenzellkarzinomen: Dabei sind nicht alle Organe im selben Ausmaß betroffen. Deutlich erhöht ist das Risiko für diagnostizierte Karzinome der Nieren, Harnblase, Schilddrüse und der Cervix uteri, leicht vermindert jenes für Mammakarzinom und Prostatakarzinom. Die Inzidenzraten für Lungen- und kolorektale Karzinome entsprechen etwa der Vergleichspopulation. In absoluten Zahlen liegen Bronchialkarzinome, kolorektale Karzinome, Mammakarzinome, Harnblasenkarzinome und Nierenzellkarzinome etwa gleichauf. Tatsächlich dürften Nierenzellkarzinome aber deutlich häufiger vorkommen, als die diagnostizierten Fälle in Registern zum Ausdruck bringen. So erbrachte eine Ultraschalluntersuchung eine Prävalenz von Nierenkarzinomen von 3,8 % bei chronischen Dialysepatienten und damit eine 100-fach höhere Prävalenz als bei einem Vergleichskollektiv. Diese hohen Zahlen werden durch eine weitere Studie gestützt, bei der an im Rahmen von Nierentransplantationen entfernten Eigennieren pathologischanatomische Untersuchungen vorgenommen wurden. Dabei wurde ein Nierenzellkarzinom in 4,2 % der Fälle festgestellt. Adenome waren in 14 % und Onkozytome in 0,6 % der Fälle zu finden. Hepatozelluläre Karzinome treten gehäuft bei Hepatitis B und C sowie bei Diabetikern auf. Die Standardised Incidence Ratio ist am höchsten bei jungen Patienten und fällt mit zunehmendem Alter. Die Dauer der Erkrankungsstadium bei Diagnose: Was das Stadium der Erkrankung bei Diagnosestellung anlangt, so waren in einer Untersuchung Dialysepatienten trotz des ständigen Kontaktes mit Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Balcke einem Arzt nicht besser versorgt. Besonders das Prostatakarzinom wurde häufiger in einem nicht auf das Organ beschränkten Stadium diagnostiziert als bei Nichtdialysepatienten. Möglicherweise stellt das Wegfallen von Auffälligkeiten der Miktion bei Anurie eine Erklärung dafür da, dass die Diagnose später erfolgt. Ursachen einer erhöhten Inzidenz: Die Einflüsse bezüglich einer erhöhten Malignominzidenz bei Dialysepatienten scheinen vielfältig zu sein. Beeinträchtigungen des Immunsystems im Rahmen der Niereninsuffizienz, vorausgehende Behandlungen mit Immunsuppressiva, Störungen im DNARepairmechanismus sowie virale Infektionen (Papillomavirus beim Zungenkarzinom und Zervixkarzinom, HepatitisB- und Hepatitis-C-Viren bei hepatozellulärem Karzinom, Reaktivierung des Epstein-Barr-Virus unter Dialysebedin gungen) könnten wichtige Faktoren sein. Tabelle 1: Verwertbarkeit von Tumormarkern bei Niereninsuffizienz Einfluss der Niereninsuffizienz Tumormarker Unverändert bei Dialysepatienten -Fetoprotein, PSA (jedoch falsch niedrig bei High-FluxMembranen), -HCG Möglicherweise verändert bei Dialysepatienten CA 19-9, CA 125, CA 50 Falsch hoch bei Dialysepatienten CEA, SCC, NSE, 2-MG, Calcitonin 12 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 HD, kein Diabetes HD, Diabetes < 2 cm N– < 2 cm N 1–3 < 2 cm N > 4 Metastasiert Abb. 1: Annähernde 5-Jahres-Überlebensraten (%) bei chronischen Hämodialysepatienten (HD) und nierengesunden Patientinnen mit verschiedenen Stadien eines behandelten Mammakarzinoms 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 HD, kein Diabetes HD, Diabetes Dukes A Dukes B Dukes C Dukes D Abb. 2: Annähernde 5-Jahres-Überlebensraten (%) bei chronischen Hämodialysepatienten (HD) und nierengesunden Patienten mit verschiedenen Stadien eines behandelten Kolonkarzinoms 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 HD, kein Diabetes HD, Diabetes Stadium A Stadium B Stadium C Stadium D Abb. 3: Annähernde 5-Jahres-Überlebensraten (%) bei chronischen Hämodialysepatienten (HD) und nierengesunden Patienten mit verschiedenen Stadien eines behandelten Prostatakarzinoms Bei der hohen Häufigkeit der Nierenzellkarzinome scheint die Zystenbildung der wichtigste Faktor zu sein. Für die anderen Tumore im Harntrakt dürften vor allem chronische Entzündungen eine Rolle zu spielen. Weiters stellen Malformationen, Balkan-Nephritis sowie früher der PhenacetinAbusus prädisponierende Faktoren dar. Die Häufigkeit des Auftretens von Tumoren besonders bei jüngeren Patienten kann mit einer mit den vorbereitenden Untersuchungen zur Nierentransplantation assoziierten erhöhten Diagnoserate zusammenhängen, zum anderen könnte die durch die Niereninsuffizienz verursachte Beeinträchtigung des Immunsystems sich bei Jüngeren besonders auswirken, während sich die Unterschiede mit zunehmendem Alter durch die physiologische Beeinträch- tigung des Immunsystems beim älteren Nierengesunden angleichen. Das weniger häufige Vorkommen des Mammakarzinoms und des Prostatakarzinoms dürfte auf hormonelle Einflüsse bei Niereninsuffizienz zurückzuführen sein. Krebs-Vorsorgeuntersuchung bei Dialysepatienten Die Sinnhaftigkeit von Vorsorgeuntersuchungen wird bei Dialysepatienten, die nicht zur Transplantation gemeldet werden, im Hinblick auf die verminderte Lebenserwartung von chronischen Dialysepatienten weitgehend in Frage gestellt. Besonders in den USA wird eine strikt ablehnende Haltung eingenommen, während in Europa eher eine pragmatische Haltung vorherrscht. Vorsorgeuntersuchungen bei Gesunden: Folgende Vorsorgeuntersuchung werden in Österreich bei Gesunden empfohlen: Mammographie ab dem 40. Lebensjahr mindestens alle 2 Jahre, Krebsabstrich 1 x jährlich ab dem 20. Lebensjahr, Okkulttest regelmäßig ab dem 40. Lebensjahr, Koloskopie ab dem 50. Lebensjahr alle 5–7 Jahre, Hautselbstuntersuchung, Prostata-Krebsvorsorge mit Tastuntersuchung durch den Arzt über 45 Jahre 1-mal pro Jahr, Blutabnahme zur Bestimmung des Tumormarkers PSA ab dem 40. Lebensjahr 1-mal pro Jahr. Besonderheiten bei Dialysepatienten: • Mammographie: Die Beuteilung kann durch urämische Kalzifikationen in der Brust erschwert sein. Die Lebenserwartung einer 50-jährigen Dialysepatientin ohne Diabetes und ohne Risikofaktoren für Brustkrebs erhöht sich durch eine Mammographievorsorge um etwa 50 Tage, dagegen für eine gleichaltrige Patientin ohne Diabetes, aber mit 3 Risikofaktoren für Brustkrebs (2 Schwestern mit Brustkrebs, Menarche vor dem 12. Lebensjahr und Erstgeburt nach dem 25. Lebensjahr) um etwa 200 Tage. Bei Diabetikerinnen sind die Benefits wesentlich geringer. • Krebsabstrich: Der Krebsabstrich zur Vorsorge des Zervixkarzinoms bewirkt eine Lebensverlängerung um wenige Tage. • Stuhluntersuchung auf okkultes Blut und nachfolgende Koloskopie: Okkultes Blut ist bei Dialysepatienten häufig nachzuweisen. Der Überlebensvorteil eines Screenings liegt bei etwa 3 bis 43 Tagen. • Prostatakarzinom-Vorsorgeuntersuchung: Ein möglicher Benefit für das Überleben an der Dialyse ist in der Literatur nicht näher untersucht. PSA als Tumormarker ist jedoch ein verwendbarer Tumormarker. Bei Verwendung von High-Flux-Membranen kann er jedoch falsch niedrig sein (Tab. 1). • Screening auf Nierenzellkarzinom und Harnblasenkarzinom: Trotz der höheren Inzidenz beider Malignome bei Dialysepatienten im Vergleich zu Nierengesunden wird 13 die routinemäßige Screeninguntersuchung bei Dialysepatienten, die nicht zur Transplantation gemeldet werden, von den meisten Autoren nicht empfohlen. Eine Ausnahme stellen Patienten mit Analgetika-Nephropathie dar. Der Überlebensvorteil durch eine Screeninguntersuchung liegt bei 1,6 Jahren bezogen auf eine Dialysedauer von 25 Jahren. Bei einem etwa 60 Jahre alten Patienten ergibt sich ein Überlebensvorteil von etwa 5 Tagen. Fazit für die Praxis: Screeninguntersuchungen werden im Allgemeinen nicht empfohlen. Während in den USA zumeist eine generelle Ablehnung erfolgt, wird in Europa eher eine pragmatische, auf den individuellen Patienten bezogene Haltung eingenommen. Jungen Frauen mit familiärer Häufung von Mammakarzinom und anderen Risikofaktoren sollten regelmäßige Mammographien nicht vorenthalten werden. Dasselbe gilt für gynäkologische Untersuchungen ab dem 20. Lebensjahr und Prostatauntersuchungen einschließlich PSA- Bestimmung bei über 45-jährigen Patienten. Warum Vorsorgeuntersuchungen allgemein bei Dialysepatienten so wenig bringen, wird bei Betrachtung der schlechten Prognose der dialysepflichtigen Niereninsuffizienz verständlich. Selbst viele metastasierte Karzinome haben oft eine bessere Prognose als die dialysepflichtige Niereninsuffizienz beim älteren Patienten. Die Niereninsuffizienz an sich stellt eine annähernd gleich maligne Erkrankung dar wie Karzinome in einem fortgeschrittenen ■ Stadium (Abb. 1, 2, 3). Die Inzidenz von Malignomen ist bei Dialysepatienten im Vergleich zur Normalbevölkerung erhöht. Deutlich erhöht ist das Risiko für diagnostizierte Karzinome der Nieren, Harnblase, Schilddrüse und der Cervix uteri. Die Prävalenz von Nierenzellkarzinomen liegt bei Ultraschalluntersuchungen bei etwa 3,8 %. Die Inzidenzraten für Lungen- und kolorektale Karzinome entsprechen etwa der Vergleichspopulation, die von Mammakarzinom und Prostatakarzinom sind leicht vermindert. Krebsvorsorgeuntersuchungen werden auf Grund der verringerten Lebenserwartung von Dialysepatienten im Allgemeinen in der Literatur als nicht sinnvoll erachtet, sofern die Patienten nicht zur Transplantation gemeldet werden. Jedoch sollte ein Procedere unter Beachtung der Lebenserwartung gewählt werden. Mammographien – besonders bei Vorliegen von Risikofaktoren für Brustkrebs- und Krebsabstrichuntersuchungen sowie Untersuchungen der Prostata sollten bei höherer Lebenserwartung erwogen werden. Die Indikation eines Screenings auf Nierenzellkarzinom und Harnblasenkarzinom sollte unter Beachtung der renalen Grunderkrankung ebenfalls individuell gestellt werden. ANMELDUNG: Klinische Abteilung für Nephrologie, Medizinische Universität Innsbruck NEPHROLOGIE INNSBRUCK „STATE OF THE ART“ 2008 Veranstalter: Zeitpunkt: Ort: Klinische Abteilung für Nephrologie Medizinische Universität Innsbruck ao. Univ.-Prof. Dr. Alexander R. Rosenkranz 12.–13. September 2008 5081 Neu-Anif Salzburg z. Hd. Herrn ao. Univ.-Prof. Alexander R. Rosenkranz, 6020 Innsbruck, Anichstraße 35 Tel.: +43/512/504-25857 oder E-Mail: alexander.rosenkranz@ i-med.ac.at 14 MÖGLICHE KOMPLIKATION DER IMMUNSUPPRESSIVEN BEGLEITTHERAPIE Malignome vor und nach Nierentransplantation Dr. Katharina Hohenstein und ao. Univ.-Prof. Dr. Bruno Watschinger Klinische Abteilung für Nephrologie und Dialyse, Univ.-Klinik für Innere Medizin III, Medizinische Universität Wien ei der Auswahl von Transplantationskandidaten wird aus nahe liegenden Gründen besonderes Augenmerk auf kardiovaskuläre Fragestellungen gelegt. Aber auch die Frage einer Organtransplantation nach dem Auftreten eines Malignoms stellt sich immer wieder und stellt die Behandelnden vor oft schwierige Entscheidungen. B Dr. Katharina Hohenstein Innerhalb von 50 Jahren hat sich die Nierentransplantation zur bevorzugten Methode der Nierenersatztherapie entwickelt. Dies ist der kontinuierlichen Verbesserung der Transplantationsergebnisse mit einem beachtenswerten Anstieg der Patienten- und Transplantat-Überlebenszeiten zuzuschreiben. Während anfänglich nur ausgewählte Patienten zur Aufnahme auf die Transplantationswarteliste akzeptiert wurden, sind die Aufnahmekriterien heute wesentlich gelockert. Neben älteren Patienten werden auch Patienten mit Komorbiditäten von der Evaluierung nicht ausgeschlossen. Malignome nach Transplantation Signifikant erhöhtes Risiko: Malignome sind eine häufige Komplikation nach Nierentransplantation. Die Gesamtinzi- denz von Malignomen übertrifft bei Organtransplantierten jene der Normalbevölkerung um das 3- bis 5Fache. Die Häufigkeit ist jedoch für unterschiedliche Tumorarten sehr variabel. Während Hauttumoren mit Ausnahme des Melanoms eine bis zu 25-fach höhere Inzidenz aufweisen und ein 10- bis 15-fach gesteigertes ao. Univ.-Prof. Dr. Bruno Watschinger Risiko für Non-Hodgkin-Lymphome oder andere Karzinome (Lippen, Vulva, Perineum, Zervix, Niere, Ureter und Blase) beobachtet wird, ist das Auftreten von Lungentumoren, Melanomen, Prostata-, Kolon- oder Mammakarzinomen vergleichsweise nur gering vermehrt (etwa um das 2- bis 3-Fache). Das relativ erhöhte Malignomrisiko bei nierentransplantierten Patienten ist aus Registern wie dem Australian and New Zealand Dialysis and Transplant Registry (ANZDATA), der Collaborative Transplant Study (CTS), dem United Network of Organ Sharing (UNOS) oder dem Israel Penn International Transplant Tumor Registry (IPITTR) bekannt. Die Meldung an die Register basiert nur auf freiwilliger Basis. Wahrscheinlich wird das aus den Registern errechnete Risiko in den Analysen sogar unterschätzt, da sich die erwähnten Register auf inkomplette Daten stützen müssen und die vielen nicht gemel deten Tumoren in die Berechnungen nicht einfließen. 16 Tabelle 1: Risikofaktoren für Malignome nach der Transplantation Modifizierbare Risikofaktoren - Rauchen - Sonnenexposition - geographischer Lebensraum - Immunsuppression (Art der IS, kumulative IS, Induktionstherapie mit Antikörpern, Anzahl der IS-Medikamente, IS-Therapie vor der Transplantation) - Analgetikabusus - Splenektomie Nicht-modifizierbare Risikofaktoren - Alter - männlicher Geschlecht - Ethnizität - genetische Disposition - onkogene Viren - chronische Niereninsuffizienz/Dialyse-Dauer - Posttransplant-Lebensdauer - Malignom-Anamnese - zystische Nierenerkrankungen Stetig zunehmende Inzidenz nach Transplantation: Die Tumorhäufigkeit steigt mit zunehmender Dauer nach der Transplantation an. Hauttumoren ausgenommen beträgt sie im United States Renal Data System (USRDS) 3 Jahre nach der Transplantation 7,5 %. Das IPITTR nimmt eine Inzidenz von 20 % nach 10 Jahren, das ANZDATA von 30 % nach 20 Jahren an. Die kumulative Prävalenz von Tumoren nimmt in Abhängigkeit von der Beobachtungsdauer signifikant zu. Bei Hauttumoren beträgt die Langzeitinzidenz (nach 20 Jahren) etwa 60 % in Regionen mit wenig Sonnenexposition (z. B. Großbritannien), während sie beispielsweise in Australien, bei erhöhter Sonnenexposition auf über 80 % ansteigt. Drei Arten der möglichen Tumorgenese: Auch wenn die meisten Tumoren nach der Transplantation de novo entstehen, muss die Möglichkeit einer Reaktivierung von bereits vor der Transplantation behandelten Malignomen oder die Aggravierung unbekannter Tumoren unter immunsuppressiver Therapie immer in Betracht gezogen werden. Aus diesem Grund wird dem Thema Malignität im Rahmen der Voruntersuchung großes Augenmerk geschenkt. Prinzipiell sind 3 Arten der Entstehung von Malignomen bei Nierentransplantierten zu unterscheiden • De-novo-Tumoren nach der Transplantation (als häufigste Malignomursache nach Nierentransplantation) • Rekurrenz von Tumoren nach der Transplantation: Die Rekurrenzrate von Malignomen ist gering. Wie aus den größten Registern (OPTN/UNOS und ANZDATA) hervorgeht, beträgt sie lediglich 0,05 bis 0,09 %. Diese niedrige Inzidenzrate ist durch die sorgfältige Empfängerauswahl und das Einhalten vorgeschlagener Wartezeiten nach einer Tumorbehandlung zu erklären. • Transmission von Tumoren des Spenders: Sie ist mit 0,012 % ein noch selteneres Ereignis. Allerdings ist für einzelne Malignome ein erhöhtes Transmissionsrisiko bekannt. Daher sollten Spender mit bestimmten Tumoren in der Anamnese vermieden werden. Risikofaktoren: Das Auftreten von Malignomen nach Nierentransplantation wird durch bekannte Risikofaktoren wie fortgeschrittenes Alter, Nikotin- oder Analgetika-Abusus, aber auch durch genetische Faktoren, virale Infektionen sowie die Art und Intensität der Immunsuppression begünstigt (Tab. 1). Ein Tumor vor der Transplantation stellt einen Risikofaktor für De-novo-Tumoren nach der Transplantation dar. Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Patientenalter und der kumulativen Tumorinzidenz. 5 Jahre nach der Transplantation besteht bei über 60-jährigen Patienten im Vergleich zu Patienten, die jünger als 30 Jahre alt sind, eine etwa 10-fach erhöhte Malignomhäufigkeit. Vor allem bei Patienten mit langjährigem Phenacetin-Abusus ist das Risiko für Urothelkarzinome nach Transplantation deutlich gesteigert. Zigarettenrauchen steigert nach Transplantation das Risiko für die Entwicklung eines Bronchialkarzinoms. Eine genetische Prädisposition bei der Tumorentstehung lässt sich davon ableiten, dass bei bekannter Anamnese für ein invasives Malignom das Risiko für einen zweiten invasiven Tumor erhöht ist. Auch das gehäufte Auftreten von Mehrfachtumoren bei transplantierten Patienten unterstützt die Annahme von genetischen Faktoren bei der Tumorentstehung. Einzelne seltene, genetisch bedingte renale Erkrankungen (z. B. Hippel-Lindau-Syndrom, WiskottAldrich-Syndrom, Drash-Syndrom) sind mit einem erhöhten Risiko für Tumoren nach Nierentransplantation assoziiert. Tabelle 2: Viren, die mit Malignomen nach Transplantation assoziiert sind Tumor Virus Hauttumoren (Nicht-Melanome) HPV 8, 19 Hauttumoren, Tonsillen-Karzinome HPV 16, 20 Kaposi-Sarkom humanes Herpesvirus Typ 8 (HHV 8) Lymphom Epstein-Barr-Virus Mb. Bowen HPV 58 Zervix-, Vulva-, Penis-Karzinom humane Papillomaviren (HPV) Hepatozelluläres Karzinom Hepatitis C (HCV), Hepatitis B (HBV) 17 Viele Studien haben enge Assoziationen und kausale Zusammenhänge zwischen chronischen Virusinfektionen und malignen Erkrankungen bei nierentransplantierten Patienten gezeigt. Es sind oft ausgewählte Infektionen, die zu besonderen Tumoren prädisponieren (Tab. 2). Malignome vor Transplantation Jedenfalls Wartezeit: Mit Anstieg des Alters der Patienten, die auf die Warteliste gesetzt werden, nimmt auch die Häufigkeit von Tumoren in der Anamnese zu. Der MalignomAusschluss im Rahmen der Voruntersuchungen zu einer Transplantation ist von besonderer Wichtigkeit. Abgesehen davon, dass ein aktiver Tumor eine Aufnahme auf die Warteliste verhindert bzw. eine positive Tumoranamnese die Dauer der Wartezeit verlängern kann, stellt ein Tumor vor der Transplantation einen Risikofaktor für De-novo-Tumoren nach der Transplantation dar. 7,8 % der Patienten mit Tumoranamnese (vs. 3,1 % ohne spezifische Anamnese) entwickeln nach Nierentransplantation einen De-novo-Tumor, nach Herztransplantation ist der Prozentsatz noch höher (15,3 vs. 9,7 %). Auch zytotoxische Therapien vor der Nierentransplantation (z. B. Cyclophosphamid) erhöhen das Risiko einer Tumorentstehung. Was gegen Transplantation bei Tumoranamnese spricht: Patienten mit einer Tumoranamnese vor der Transplantation Tabelle 3: Guidelines für die Evaluierung von Transplantationskandidaten • European Best Practice Guidelines for Renal Transplantation. Nephrol Dial Transpl 2000, Vol 15 (Suppl 7):3-38 • The Evaluation of Renal Transplant Candidates: Clinical Practice Guidelines. Am J Transplant 2001, Vol 1 (Suppl 2):5-95 • Canadian Society of Transplantation consensus guidelines on eligibility for kidney Transplantation. CMAJ, 2005, 173(10):S1-S25 • Österreichischer Consensus „Vorbereitungsuntersuchungen vor Nierentransplantation“. NephroScript 2007; 3:6-13 weisen im Vergleich zu tumorfreien Patienten eine herabgesetzte Lebenserwartung auf. Dies ist unabhängig davon, ob nach der Transplantation ein De-novo-Tumor auftritt oder das frühere Malignom rekurriert. Tritt bei diesen Patienten allerdings ein De-novo-Tumor auf, ist die Lebenserwartung noch weiter reduziert. Bei der Aufnahme von Tumorpatienten auf die Warteliste ist besondere Sorgfalt geboten. Dennoch bleiben Unsicherhei- Tabelle 4: Empfohlene Wartezeiten vor Aufnahme auf die Warteliste Europa USA Canada keine keine 1 Jahr keine keine keine keine keine keine 2 Jahre 2 Jahre 1–2 Jahre 2 Jahre 2 Jahre 2 Jahre k. A. 2 Jahre 2 Jahre 2 Jahre 2 Jahre 2 Jahre 2 Jahre 2 Jahre 0–2 Jahre 2 Jahre 2 Jahre 2–5 Jahre 2 Jahre Malignom Inzidentielles Nierenzell-Ca Basalzell-Ca Blasen-Ca in situ Zervix-Ca in situ Lymphom Prostata-Ca Thyroidea-Ca Hoden-Tumoren Symptomat. Nierenzell-Ca Bronchus-Ca Mamma (duktales Ca in situ) Mamma-Ca Malignes Melanom Invasives Zervix-Ca Invasives Blasen-Ca Kolorektales Ca 2 Jahre 3 Jahre 2 Jahre 4–5 Jahre 5 Jahre 5 Jahre 2–5 Jahre 2–5 Jahre k. A. 2 Jahre 0–5 Jahre (abh. von Stadium) 5 Jahre 2–5 Jahre k. A. 2 Jahre 2–5 Jahre (abh. von Stadium) 18 ten bestehen, da die Transplantation im Wissen erfolgt, dass bei diesen Patienten • die Antitumor-Immunität des Patienten schon vor der Transplantation versagt hat • die Antitumor-Immunität zur Aufrechterhaltung der Remission nicht klar ist • und der unterschiedliche Einfluss der verschiedenen Immunsuppressiva auf die Antitumor-Immunität nicht geklärt ist. 29 Prostata-Karzinome). Zudem finden sich meist keine Angaben über die bei den Patienten verwendete Immunsuppression, die selbstverständlich auch einen wesentlichen Einfluss auf die Tumorentstehung haben kann. Im Sinne der „besten Evidenz“ sind die Registerdaten und die daraus abgeleiteten Empfehlungen als Richtlinie für die vorgeschlagenen Wartezeiten nach einer Tumorerkrankung dennoch hilfreich. Tabelle 4 fasst die Empfehlungen in übersichtlicher Form zusammen. Neue Perspektive durch antiproliferativ wirksame Immunsuppressiva: Aus diesen Gründen könnte man die Meinung vertreten, dass eine Transplantation bei diesen Patienten eigentlich nicht in Frage kommt. Dieser Ansicht müssen allerdings die positiven Erfahrungen, die bei Patienten nach Tumorerkrankungen gemacht wurden, gegenübergestellt werden. So können beispielsweise Patienten mit hepatozellulärem Karzinom bei sorgfältiger Auswahl erfolgreich einer Lebertransplantation unterzogen werden. Eine Transplantation kann auch unter dem Aspekt neuer immunsuppressiver Substanzen (z. B. mTOR-Inhibitoren), für die auch experimentell gezeigt wurde, dass sie antiproliferative Eigenschaften haben und das Wachstum bestimmter Tumoren hemmen können, neu überdacht werden. Eine endgültige Bewertung der „antitumoralen Fähigkeiten“ dieser Substanzen in der Transplantation steht noch aus. Allerdings werden in diese Medikamente große Hoffnungen gesetzt und manche der Substanzen sogar in modifizierter Form in der Onkologie als Chemotherapeutika erprobt. Zusammenfassung Empfehlungen mit eingeschränkter Evidenz: Die Frage, ob man einen Patienten nach erfolgreich behandeltem Tumor einer Transplantation unterziehen kann, bleibt oft schwierig. Leider kann für die Entscheidung bei Patienten mit Tumoranamnese nicht auf Ergebnisse kontrollierter Studien zurückgegriffen werden. Auch wenn es sich im Einzelfall immer um eine individuelle Entscheidung handelt, kann als Hilfestellung für den Entscheidungsprozess auf die publizierten Guidelines verschiedener Gesellschaften zurückgegriffen werden (Tab. 3). Für alle diese Empfehlungen gilt allerdings, dass sie auf den oben erwähnten, inkompletten Registerdaten basieren bzw. sich oft nur auf einzelne Single-Center-Studien oder sogar nur Fallberichte beziehen können. In vielen Fällen ist einzig das Cincinnati Transplant Tumor Registry die Basis für die Empfehlung. Hier zeigt eine genauere Analyse, dass bei einzelnen Malignomen die Empfehlung nur auf der Beobachtung sehr weniger Patienten basiert. Im Jahr 2005 waren Daten von insgesamt 1.297 Patienten mit vor Transplantation bestehendem Tumor im Register verfügbar (d. h. selbst für häufige Tumoren bleiben die Fallzahlen gering; z. B. 300 Nierenzell-Karzinome, 39 Kolon-Karzinome, Bei Patienten, die auf die Wartliste zur Nierentransplantation aufgenommen werden sollen, muss das Vorliegen einer malignen Erkrankung ausgeschlossen werden. Bereits zum Zeitpunkt der Aufnahme auf die Transplantationswarteliste sollten Hochrisikopatienten identifiziert werden (z. B. Patienten mit EBV-negativem Serostatus, Patienten mit Tumoranamnese) und ein regelmäßiges Monitoring aller Transplantationskandidaten beginnen. Präventionsmaßnahmen (z. B. Hepatitis-Impfung, Sonnenschutz etc.) sollten sehr früh begonnen werden. Liegt ein Malignom vor, so muss dieses charakterisiert und in seiner Ausdehnung identifiziert werden. Nach erfolgreicher Behandlung entscheiden die Art und das primäre Tumorstadium über die Möglichkeit einer Transplantation bzw. über die Dauer der Wartezeit bis zur Transplantations-Meldung. Eine Wartezeit, die eine dauerhafte Heilung für Malignome anzeigt, kann aber nicht end■ gültig abgeleitet werden. Das Vorliegen eines Malignoms soll vor der Aufnahme auf die Warteliste ausgeschlossen werden. Patienten mit einem aktiven Tumor sollen nicht transplantiert werden. Die Patientenprognose mit oder ohne Transplantation soll abgewogen werden. Die Wartezeit nach erfolgreicher Tumorbehandlung muss individuell diskutiert werden. Die Wartezeit ist in Abhängigkeit von der Tumorart und dem Tumorstadium unterschiedlich. Die Wartezeit, die eine dauerhafte Heilung für Malignome anzeigt, kann nicht endgültig abgeleitet werden. Als einfache Regel gilt eine 2-jährige Wartezeit nach Malignomen. Ausnahmen stellen In-situ-Karzinome, Basaliome und zufällig entdeckte Nierentumoren dar, die keiner Wartezeit bedürfen. Bei Patienten mit kolorektalen Tumoren, Melanomen und Mammakarzinomen sollte eine längere Wartezeit eingehalten werden. 20 OFT NEPHROLOGIE ALS ERSTE GEFORDERT Diagnostik des multiplen Myeloms OA Dr. Michael Pober, MSc 1. Medizinische Abteilung, Landesklinikum St. Pölten ie Kenntnis des diagnostischen Procedere beim multiplen Myelom ist für den Nephrologen insofern von Bedeutung, da sich das multiple Myelom in Form eines akuten Nierenversagens präsentieren kann bzw. im Rahmen der Abklärung einer chronischen Niereninsuffizienz unbekannter Ursache entdeckt werden kann. Im vorliegenden Artikel wird der aktuelle Stand der Diagnostik von der Klinik bis zur Molekularpathologie dargestellt. D Vorbemerkung: Die im täglichen Sprachgebrauch verwendetet Bezeichnung „Plasmozytom“ sollte nur verwendet werden, wenn ein solitärer Herd vorliegt, sei es intramedullär oder extramedullär. Klinik Chronische Schmerzen, insbesondere im Bereich der mittleren und unteren Wirbelsäule, Leistungsverlust, Müdigkeit und Schwäche sowie Neigung zu bakteriellen Infekten sind häufig die ersten Symptome. Nicht selten sind auch akut einsetzende massive KnochenOA Dr. schmerzen auf Grund einer SponMichael Pober, MSc tanfraktur bei Knochenläsionen. Von Ossermann wurden 1968 3 Kriterien für die Diagnose beschrieben (10 % Plasmazellen im Knochenmark, Nachweis eines monoklonalen Immunglobulins im Serum oder Harn, Nachweis einer oder mehrerer Osteolysen und/oder einer generalisierten Osteoporose), von denen zumindest 2 vorliegen müssen. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass auch bei reaktiv entzündlichen Veränderungen Plasmazellvermehrungen bis 30 % und vereinzelt mehr vorkommen können. Monoklonale Gammopathien können ebenfalls auch bei anderen lymphoproliferativen Erkrankungen vorkommen sowie vorübergehend auch im Rahmen von massiven Entzündungen. In Frühstadien kann die Abgrenzung zwischen einem Stadium I und einem MGUS (monoklonale Gammopathie unbestimmter Signifikanz, früher „benigne“ monoklonale Gammopathie) schwierig sein. Stadieneinteilung Abb. 1: Typischer Lückenschädel bei Myelom Die gängige Stadieneinteilung nach Durie und Salmon 1975 ist durch das Internationale Staging System (ISS) abgelöst worden. Dabei werden anhand 21 von Beta-2-Mikroglobulin und Albumin 3 Stadien unterschieden (Tab. 1). Befunde Labor: Folgende Untersuchungen sollen durchgeführt werden: Blutbild und Differenzialblutbild, Kreatinin, BUN, Harnsäure, LDH, Elektrolyte, Kalzium, Phosphat, Gesamteiweiß, 2-Mikroglobulin, CRP, Serumelektrophorese, Immunfixation, freie Leichtketten im Serum und Harn (Abb. 2), quantitative Immunglobuline, Kreatinin-Clearance, 24-StundenEiweißausscheidung im Harn. Seit der Einführung der Bestimmung von freien Leichtketten im Serum und im Harn hat sich die Diagnostik des Myeloms vereinfacht. Auch konnten bei Fällen von so genannten „nicht-sekretorischen Myelomen“ eindeutig Leichtketten nachgewiesen werden, sodass die Diagnose „nicht-sekretorisch“ heute nur mehr selten gestellt wird. 100.000 - 10.000 - 1.000 Wesentlich erscheint, dass bei eingeschränkter Nierenfunktion die Serum-Leichtketten ebenfalls ansteigen. Da aber Kappa und Lambda gleichsinnig ansteigen, ergibt sich daraus ein normaler Quotient. Durch die Bildung des Quotienten können monoklonale von polyklonalen Erhöhungen der leichten Ketten abgegrenzt werden. + Normal sera ■ LCMM - ▲ LCMM NSMM 100 - Serum-Lambda (mg/l) SPE sensitivity Abb. 3: Typisches Bild von malignen Plasmazellen im KM-Ausstrich IIMM AL Amyloidosis 10 ▲ High plgG - + 1 - - 10 100 1.000 Serum-Kappa (mg/l) Abb. 2: Freie Leichtketten bei verschiedenen Erkrankungen - - 1 - - - - 0,1 - IFE sensitivity 10.000 100.000 Renal Impairment Knochenmarkuntersuchung: Neben Ausstrichen vom Knochenmark (Abb. 3) sollte immer auch eine Biopsie durchgeführt werden, da nur so der quantitative Anteil an Plasmazellen im Knochenmark exakt bestimmt werden kann. Röntgen und Nuklearmedizin: Weiterhin gilt der Röntgenstatus des zentralen Skelettes als obligatorisch: Schädel (Abb. 1), gesamte Wirbelsäule, Beckenübersicht, knöcherner Thorax, beide Schultern, Oberarme und Oberschenkel. Bei klinischem Verdacht können auch andere Skelettabschnitte röntgenisiert werden. Zunehmend hat im Bereich der Wirbelsäule die MRT das konventionelle Röntgen verdrängt, da doch eine wesentlich höhere Spezifität und Sensitivität ge- 22 EFS 1,0 - 0,8 - 0,6 - 0,4 - 0 p < 0,0001 - 80 Deaths/N 21/104 27/57 - 20 40 60 Months from Start of Therapy FISH13+/CA– 0,0 - FISH13+/CA+ - - - p < 0,0001 - 0 0,2 - Events/N 38/104 38/57 - - FISH13+/CA– 0,0 - FISH13+/CA+ 0,4 - - 0,2 - 0,6 - - Proportion Alive 0,8 Proportion Alive OS 1,0 - 20 40 60 Months from Start of Therapy 80 Abb. 4: Einfluss von zytogenetischen Veränderungen auf die Prognose des Myeloms: Die Prognose von Anomalien am Chromosom 13 ist dann besonders ungünstig, wenn diese auch in der Metaphase nachgewiesen werden können; bei alleinigem Nachweis in der Interphase unterscheidet sich die Prognose nicht von Patienten ohne zytogenetische Abnormität. geben ist. Aufgrund der im Regelfall rein osteolytischen Natur hat die Skelettszintigraphie keinen Stellenwert. Die PET-Untersuchung ist keine Routineuntersuchung, kann aber in Einzelfällen zusätzliche Herde aufzeigen, die sonst nicht erfassbar wären. Durchflusszytometrie: Aufgrund der meist charakteristischen Morphologie ist diese Untersuchung meist wenig hilfreich, evtl. bei plasmoblastischem Verlauf mit lymphozytenartiger Morphologie. Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH): Die Untersuchung der Interphasezytogenetik beim multiplen Myelom ist heute eine Standarduntersuchung und sollte in jedem Fall bei Diagnosestellung durchgeführt werden. Durch die Art der Chromosomenanomalien können eindeutige Rückschlüsse Tabelle 1: Internationales Staging-System bei multiplem Myelom Medianes Überleben (Monate) Stadium I 2-M Albumin 3,5 3,5 62 Stadium II 2-M Albumin oder 2-M 3,5 3,5 44 Stadium III 2-M 3,5 – 5,5 5,5 29 auf die Prognose und evtl. auch Therapieauswahl gezogen werden. Insbesondere Veränderungen am Chromosom 13 und die t(4;14) sind mit einer ungünstigen Prognose assoziiert (Abb. 4). Molekulargenetik: Die molekulargenetische Untersuchung ist derzeit keine Routineuntersuchung. An einzelnen Studienzentren wird das Immunglobulin-Rearrangement zum Monitoring der minimalen Resterkrankung ver■ wendet. Die Basisdiagnostik des multiplen Myeloms beruht nach wie vor auf den klassischen Werkzeugen der Labormedizin wie der Serumelektrophorese. Die zusätzliche Bestimmung der freien Leichtketten im Serum als sicheres und zuverlässiges ergänzendes Instrumentarium in der Diagnose sollte auch in der Routineabklärung eines akuten oder chronischen Nierenversagens nicht mehr fehlen. Durch die Bestimmung der Leichtketten-Ratio kann mit höherer Genauigkeit als bisher ein Hinweis für das Vorliegen einer hämatologischen Systemerkrankung gefunden werden. Bei fehlenden Osteolysen in der Nativradiologie sollte eine MRT von schmerzhaften Regionen durchgeführt werden. Die Stadieneinteilung beruht nunmehr auf den Parametern Albumin und Beta-2Mikroglobulin. Zur Prognoseabschätzung hat sich die Untersuchung der Chromosomenanomalien mittels FISH-Technologie als Standardmethode etabliert. 23 IN ETWA 20 % DER FÄLLE BESTEHT BEI DIAGNOSESTELLUNG EINE NIERENINSUFFIZIENZ Therapie des multiplen Myeloms Univ.-Prof. Dr. Johannes Drach Univ.-Klinik für Innere Medizin I, Klinische Abteilung für Onkologie, Medizinische Universität Wien as multiple Myelom (MM) macht etwa 1 % aller Krebsneuerkrankungen pro Jahr aus; Männer sind 2-mal häufiger betroffen als Frauen, das mediane Alter bei Diagnosestellung beträgt 65 Jahre. Die Inzidenz beträgt 4/100.000 pro Jahr, wobei in den letzten Jahrzehnten eine Zunahme der Inzidenz beobachtet wurde; es wird vermutet, dass dieser Anstieg auf Umweltfaktoren, die an der Entstehung eines MM beteiligt sind, zurückzuführen ist. D Klinische Symptomatik Meist ist der Beginn der Erkrankung schleichend und symptomarm. Bei etwa 20 % der Patienten handelt es sich um eine Zufallsdiagnose im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen oder Blutabnahmen aufgrund anderer Indikationen. Oft ist eine massive Erhöhung der Blutsenkungsgeschwindigkeit der erste auffällige Befund. Knochenschmerzen und pathologische Frakturen: Knochenschmerzen sind das häufigste Symptom, das zur Diagnosestellung führt. Prädilektionsstellen sind der Brustund Lendenwirbelbereich. Es handelt sich häufig um einen Dauerschmerz, der typischerweise durch Bewegung verstärkt wird. Eine plötzliche Verschlechterung der Symptomatik kann auf eine Wirbelkörperkompressionsfraktur hinweisen. Pathologische Frakturen anderer Knochen, z. B. der langen Röhrenknochen, können ebenfalls vorkommen. Häufig befallen, jedoch meist ohne klinische Symptomatik, ist der Schädelknochen, wo sich die im Röntgen typischen Veränderungen nachweisen lassen (Schrotschussoder Lückenschädel). Die Knochenveränderungen bei MM beruhen auf einer massiven Aktivierung der Osteoklasten (und gleichzeitiger Suppression der Osteoblastenaktivität) und stellen sich typischerweise im Röntgen als Osteolysen dar. Verlaufsformen mit diffuser Osteopenie sind wesentlich seltener. Anämie: Ein ebenfalls häufiger Befund beim MM ist eine multifaktoriell bedingte Anämie (reduzierte Knochenmarks- reserve durch Plasmazellinfiltration, eingeschränkte renale Erythropoetinproduktion, inadäquate Eisenutilisation im Sinne einer chronischen Tumoranämie). Bei Patienten mit hohem Paraproteinspiegel (> 50 g/l) liegt oft ein erhöhtes Plasmavolumen vor, sodass dadurch eine Anämie noch verstärkt werden kann. Die Anämie (häufig norUniv.-Prof. Dr. Johannes Drach mochrom und normozytär) äußert sich in Müdigkeit und Abgeschlagenheit und kann insbesondere bei älteren Patienten zu Belastungsdyspnoe und Tachykardien führen. Niereninsuffizienz: In etwa 20 % der MM-Fälle besteht bei Diagnosestellung eine Niereninsuffizienz, die vor allem durch rasche Ermüdbarkeit, Übelkeit, Erbrechen und Verwirrtheit symptomatisch wird. Bei den meisten Patienten wird die Funktionseinschränkung der Niere durch Bence-Jones-Proteinurie (Myelomniere) und Hyperkalzämie ausgelöst; weitere Faktoren können eine Amyloidose, Hyperurikämie sowie Dehydratation (nicht zuletzt im Rahmen von fieberhaften Infekten) sein. Das Vorliegen von -Ketten im Urin ist häufiger mit renaler Insuffizienz verbunden als die Ausscheidung von -Ketten. Bei der Myelomniere erfolgt die Nierenschädigung durch die glomeruläre Filtration von Leichtketten, die in den distalen Tubulus sowie das Sammelrohr gelangen. Die Präzipitation der leichten Ketten führt zur Tubulusschädigung sowie -atrophie, die bei Fortschreiten zur dialysepflichtigen Niereninsuffizienz führt. Hyperkalzämie: Bei etwa 25 % der Patienten kommen zum Zeitpunkt der Diagnose erhöhte Serumkalziumspiegel vor, die sich auf die gesteigerte Knochenresorption durch die Osteoklastenaktivierung beim MM zurückführen lassen; diese verursachen Übelkeit, Verwirrtheit, Polyurie und Obstipation. Eine Hyperkalzämie wird noch wesentlich häufiger während der terminalen Phase des MM beobachtet. Rezidivierende Infekte: MM-Patienten neigen insbesondere durch die starke Erniedrigung der normalen Immunglobu- 24 Tabelle 1: Diagnostische Tests beim multiplen Myelom - komplettes Blutbild inklusive Differenzialblutbild - Serumchemie einschließlich Kalzium, Gesamteiweiß, Albumin, Kreatinin, Harnsäure, LDH, CRP, 2-Mikroglobulin, Eisenstatus - Serumproteinelektrophorese, freie Leichtketten im Serum - Immunfixation im Serum und Harn - Harnstatus, Quantifizierung der Eiweißausscheidung im 24-h-Harn - radiologischer Skelettstatus, evtl. Magnetresonanz der Wirbelsäule - Knochenmarksaspiration und -biopsie (Zytologie, Histologie, Zytogenetik einschließlich FISH, Zellproliferation). Fakultative Zusatzuntersuchungen sind: - bildgebende Verfahren (CT, PET) und Punktion bei extramedullären Manifestationen, Schleimhautbiopsie bzw. Aspiration von subkutanem Fettgewebe (Amyloid?) - Nierenbiopsie line (sekundärer Immunglobulinmangel) zu wiederkehrenden bakteriellen und viralen Infekten. Weitere Symptome: Durch die Kompression des Rückenmarks (entweder im Rahmen von Wirbelsäulenveränderungen oder durch intraspinale Tumormanifestation) können Parästhesien bzw. motorische Schwäche der unteren Extremitäten sowie Blasen- und Mastdarmdysfunktion ausgelöst werden. Eine klinisch manifeste periphere Polyneuropathie tritt bei weniger als 10 % der Patienten auf und wird durch eine Interaktion des Paraproteins mit den Nervenscheiden verursacht. Distale sensomotorische Neuropathien treten auch bei einer Amyloidose auf. Selten wird ein Hyperviskositätssyndrom beobachtet, das bei sehr hohen Paraproteinkonzentrationen auftreten kann. Vor allem Paraproteine der Klassen IgA und IgG3, die zur Polymerbildung neigen, sind mit dem Auftreten eines Hyperviskositätssyndroms assoziiert. Unspezifische neurologische Symptome wie Schwindel und Kopfschmerzen, jedoch auch Präkoma, Ataxie, Nystagmus und Krampfanfälle werden dadurch ausgelöst. In schweren Fällen sind auch Blutungen (z. B. Schleimhautblutungen) möglich. Eine gesteigerte Blutungsneigung bei Patienten mit MM findet sich nicht nur bei einer Thrombopenie, sondern auch bei normalen Thrombozytenzahlen aufgrund einer gestörten Aggregationsfähigkeit. Die plasmatische Gerinnung ist ebenfalls beeinträchtigt, da es zur Komplexbildung zwischen Paraprotein und Gerinnungsfaktoren kommen kann. Diagnostik Bei klinischem Verdacht auf ein MM werden die in Tabelle 1 genannten Untersuchungen bzw. Tests durchgeführt. Die diagnostischen Kriterien wurden kürzlich von einer Konsensus-Gruppe erstellt, wobei neben dem Paraprotein und der Knochenmarksinfiltration auch eine mögliche Organmanifestation (Hyperkalzämie, Niereninsuffizienz, Anämie, Knochenläsionen; aufgrund der englischen Bezeichnungen als CRAB-Kriterien bezeichnet; vergleiche Tab. 2) relevant ist. Diese Kriterien dienen auch zur Abgrenzung des MM von der monoklonalen Gammopathie unbestimmter Signifikanz (MGUS) und dem asymptomatischen Myelom. Von Seiten des Paraproteins besteht beim MM in ca. 65 % der Patienten ein Immunglobulin der IgG-Klasse; ein IgAParaprotein findet sich bei ca. 20 %, ein Paraprotein mit Leichtketten (Bence-Jones-Myelom) bei etwa 10 %. Selten liegt ein biklonales MM oder ein IgD-Myelom vor. Das IgDMyelom ist durch häufigeres Auftreten von extramedullären Plasmozytomen, Niereninsuffizienz und Amyloidose sowie durch eine verkürzte Überlebenszeit gekennzeichnet. In etwa 1 % der Fälle lässt sich weder im Serum noch im Harn ein Paraprotein mittels Immunfixation nachweisen („asekretorisches Myelom“); die Mehrzahl dieser Fälle zeigt jedoch einen abnormen Befund im freien Leichtketten-Assay (neuer Serumtest zur Bestimmung der freien Kappa- und Lambda-Ketten, der zurzeit der sensitivste Test zum Nachweis eines Paraproteins darstellt). Stadieneinteilung und Prognose Für das MM wurde bereits 1975 die Stadieneinteilung nach Durie & Salmon etabliert, welche aber insbesondere hinsichtlich der Definition der Knochenläsionen limitiert war. Kürzlich wurde das deutlich vereinfachte International Staging System (ISS) beschrieben, welches auf den beiden Variablen Beta-2-Mikroglobulin (2-M) und Serum-Albumin beruht (Tab. 3). Unbehandelt betrug die Überlebenszeit für Patienten mit symptomatischem MM median nur 9–12 Monate. Wie wissen heute, dass die Überlebenszeit der Patienten mit MM zwischen wenigen Monaten und mehreren Jahren schwankt (median 3 Jahre bei Standarddosis Chemotherapie, zumindest 5 Jahre nach Hochdosistherapie). Deshalb wird nach prognostischen Faktoren gesucht, um das Überleben individueller Patienten präziser einschätzen und die Therapie individueller gestalten zu können. Die wichtigsten unabhängigen Prognoseparameter, die auf eine ungünstige Prognose hinweisen, sind chromosomale Veränderungen (Translokation 26 Tabelle 2: Diagnostische Kriterien bei Paraproteinämien MGUS Asymptomatisches Myelom Symptomatisches Myelom Asekretorisches Myelom Paraprotein < 30 g/l und > 30 g/l und/oder nachweisbar und nicht nachweisbar2 Plasmazellen im Knochenmark Organmanifestation1 < 10 % und nein > 10 % und nein > 10 % und ja > 10 % 1 2 ja Organmanifestation definiert als mindestens eine Veränderung nach den CRAB-Kriterien: Hyperkalzämie, Niereninsuffizienz, Anämie, Knochenläsionen ein Freie-Leichtketten-Assay ist bei 80 % der Fälle mit asekretorischem MM positiv t[4;14], t[14;16]); Deletion 17p, Deletion 13q), erhöhtes 2-M, erniedrigtes Serum-Albumin, gesteigerte Zellproliferation und unreife Plasmazellmorphologie. Diese Parameter wurden an Patientenkollektiven, welche in erster Linie mit Chemotherapie behandelt wurden, etabliert. Aktuell liegen Hinweise vor, dass durch die Behandlung mit sog. „neuen“ Substanzen diese negativen Faktoren zumindest teilweise überkommen werden können. Dies betrifft insbesondere Patienten mit ungünstiger Zytogenetik, welche durch Bortezomib effektiv behandelt werden können. Therapie Therapieindikation: Eine Behandlungsindikation für Patienten mit MM besteht bei progredienter, symptomatischer Erkrankung (zumindest eine Organmanifestation nach den CRAB-Kriterien). Keine Behandlungsbedürftigkeit besteht – wie bereits erwähnt – bei MGUS und asymptomatischem MM. Medikamente zur Behandlung des MM Chemotherapie: Unter den Zytostatika sind die alkylierenden Substanzen, insbesondere Melphalan und Cyclophosphamid, die wirksamsten Medikamente zur Therapie des MM. Anthrazykline wie Doxorubicin kommen häufig in Kombinationstherapien zur Anwendung. Melphalan wird auch als hoch dosierte Chemotherapie mit Stammzelltransplantation eingesetzt. Die Hauptnebenwirkungen von Melphalan sind Blutbildveränderungen und Mukositis; langfristig besteht bei intensiver Alkylantienbehandlung das Risiko von sekundären Myelodysplasien und akuten Leukämien. Kortikosteroide: Vor allem Dexamethason, welches bei Myelomzellen eine starke Wirkung zur Induktion der Apoptose hat, wird in vielen Medikamentenkombinationen eingesetzt. Dexamethason wird typischerweise in hoher Dosierung (40 mg Tagesdosis) als Stoßtherapie (4 Tage) eingesetzt. Als Einzelsubstanz kann Dexamethason bei etwa 40 % der Patienten mit MM zu einer Remission führen. Die kortikosteroidassoziierten Nebenwirkungen führen insbesondere beim älteren Patienten zur Notwendigkeit der Dosisreduktion. Neue Substanzen: • Thalidomid hat als Contergan® wegen der teratogenen Wirkung eine traurige Vergangenheit. 1999 wurde Thalidomid jedoch als wirksame Substanz in der Therapie des MM „wiederentdeckt“: Bei Rezidiv nach Hochdosistherapie wird ein Ansprechen bei etwas einem Drittel der Patienten beschrieben. Zum Wirkungsmechanismus von Thalidomid beim MM kommen eine antiangiogenetische Wirkung, Inhibition von Zytokinen (IL-1, TNF-) sowie immunmodulatorische Effekte in Frage. Heute wird Thalidomid in der Behandlung des MM häufig in niedriger Dosierung (50–100 mg täglich) und in Kombinationen eingesetzt. Wesentliche Nebenwirkungen von Thalidomid sind periphere Neuropathien und Obstipation; es wurde keine höhergradige hämatologische Toxizität beobachtet. In Kombinationen mit Dexamethason bzw. Chemotherapie liegt ein gesteigertes Risiko für venöse Thromboembolien vor, weshalb in dieser Situation eine Prophylaxe mit niedermolekularem Heparin empfohlen wird. • Lenalidomid (Revlimid®) stellt ein Derivat von Thalidomid dar und besitzt Wirksamkeit beim MM insbesondere in Kombination mit Dexamethason. Gegenüber Thalidomid ist das Nebenwirkungsspektrum verändert: Im Vordergrund stehen Leuko- und Thrombopenie, Lenalidomid verursacht jedoch nur wenig Müdigkeit und Neuropathien. Auch für Lenalidomid gilt die Empfehlung zur Thromboseprophylaxe. • Bortezomib (Velcade®): Als neues Therapieprinzip beim MM gilt die Inhibition des Proteasoms, wobei hier als erste Substanz dieser Medikamentenklasse Bortezomib seit 2004 in der Therapie des MM angewandt wird. Bortezomib hat Effekte sowohl auf die Myelomzellen 28 Tabelle 3: Internationales Staging-System (ISS) für das multiple Myelom Stadium % Patienten Kennzeichen Medianes Überleben I 28 Beta-2-Mikroglobulin < 3,5 mg/l Albumin > 3,5 g/dl 62 Monate II 33 Beta-2-Mikroglobulin < 3,5 mg/l Albumin < 3,5 g/dl oder Beta-2-Mikroglobulin 3,5–5,5 mg/l 44 Monate III 39 Beta-2-Mikroglobulin > 5,5 mg/l 29 Monate (Induktion von Apoptose) als auch auf Stromazellen des Knochenmarks (Hemmung der Adhäsion von MMZellen an Stromazellen, Antiangiogenese, Hemmung der Zytokinproduktion). Die häufigsten Nebenwirkungen sind gastrointestinale Symptome (Übelkeit, Diarrhö, Obstipation), eine transiente Thrombozytopenie, periphere Neuropathie und Fatigue. Wegen der Reaktivierung von Herpes zoster wird eine antivirale Prophylaxe empfohlen, eine Thromboseprophylaxe ist nicht erforderlich. Erstlinientherapie beim jüngeren Patienten Diese Empfehlungen gelten für Patienten im Alter unter 65 Jahren ohne relevante internistische Begleiterkrankungen. Als Standard gilt derzeit die hoch dosierte Chemotherapie mit Melphalan (200 mg/m2), gefolgt von einer autologen Stammzelltransplantation. Mehrere randomisierte Studien haben einen Überlebensvorteil nach dieser Behandlung gegenüber der konventionell dosierten Chemotherapie gezeigt. Die Ergebnisse können weiter verbessert werden, indem die Behandlung als sog. Doppeltransplantation (zweiter Zyklus Hochdosis-Melphalan innerhalb von 3 bis 6 Monaten) durchgeführt wird. Die Doppeltransplantation wird heute dann empfohlen, wenn nach der ersten Stammzelltransplantation noch keine komplette Remission erzielt werden konnte. Im Zentrum der aktuellen klinischen Forschung steht die sog. Induktionstherapie, d. h. die Behandlung, welche der Hochdosis-Chemotherapie vorausgeht. Die früher angewandte Polychemotherapie (z. B. VAD) gilt heute als überholt, da Kombinationstherapien unter Einschluss einer neuen Substanz wesentlich effektiver sind. Thalidomid + Dexamethason ist zwar etwas wirksamer als die alleinige Chemotherapie, jedoch ist aufgrund der niedrigen Rate an kompletten Remissionen nach Thalidomid + Dexamethason kein relevanter Effekt auf das Behandlungsergebnis nach autologer Transplantation dokumentiert. Ganz rezente Daten mit Bortezomib + Dexamethason bzw. der Kombination Bortezomib + Thalidomid + Dexamethason sprechen dafür, dass nach diesen effektiven Induktionstherapien eine Steigerung der Rate an kompletten Remissionen nach Hochdosistherapie erzielt wird; Daten hinsichtlich der Überlebenszeit stehen aber noch aus. Erstlinientherapie beim älteren Patienten Bei Patienten im Alter über 65 Jahre sowie Situationen, die gegen eine Hochdosistherapie sprechen (Begleiterkrankungen, Patientenwunsch, ungenügende Zahl an mobilisierten Stammzellen), erfolgt die Behandlung mittels konventionell dosierter Chemotherapie. Das historische, orale Schema mit Melphalan + Prednison (MP; Melphalan 8 mg/m2 und Prednison 60 mg/m2, jeweils für 4 Tage; Wiederholung alle 5–6 Wochen) ließ ein objektives Ansprechen bei etwa 50 % der Patienten erwarten, die mediane Remissionsdauer lag bei 18 Monaten. Komplette Remissionen waren selten und ebenfalls nicht anhaltend. Durch den Einsatz verschiedener Polychemotherapien konnten diese Ergebnisse nicht verbessert werden. Die aktuellen Studiendaten zeigen, dass MP gut mit einer neuen Substanz kombiniert werden kann und dadurch höhere Remissionsraten und ein verlängertes Überleben für Patienten mit MM erreicht werden können (3 Studien mit MP + Thalidomid sowie eine randomisierte Studie mit MP + Bortezomib zeigen diese Vorteile gegenüber MP). Daher wird heute die Kombination von MP mit einer neuen Substanz als Standard für die Therapie des älteren Patienten mit MM angesehen. Auch in Patientenkollektiven über 75 Jahre wurde die Effektivität und Machbarkeit von MP + Thalidomid bzw. Bortezomib gezeigt. Erhaltungstherapie Von den neuen Substanzen liegen bislang nur Daten zur Erhaltungstherapie mit Thalidomid nach Stammzelltransplantation vor. Niedrig dosiertes Thalidomid hat einen dokumentierten Effekt auf die Verlängerung der Remissions- 30 dauer und die Überlebenszeit, der aber auf solche Patienten beschränkt bleibt, welche keine komplette Remission nach Stammzelltransplantation erreicht haben. Die Verträglichkeit ist individuell stark unterschiedlich, Müdigkeit und Polyneuropathie machen bei vielen Patienten ein Absetzen innerhalb eines Jahres nötig. Behandlung des rezidivierten Myeloms Trotz aller therapeutischer Fortschritte der letzten Jahre kommt es weiterhin bei praktisch allen Patienten mit MM zu einem Rezidiv. Die Behandlungsmöglichkeiten im Rezidiv sind aufgrund der neuen Substanzen vielfältig, da eine Reihe von Kombinationsmöglichkeiten zur Verfügung steht. Bei gutem Ansprechen mit längerer Remissionsdauer nach Erstlinientherapie kann eine neuerliche Behandlung mit einem ähnlichen Schema durchgeführt werden. Dies gilt auch für eine neuerliche autologe Stammzelltransplantation bei jüngeren Patienten. Bei kurzer Remissionsdauer bzw. bei einem rasch progredientem MM empfiehlt sich jedoch der Wechsel auf eine bislang nicht verabreichte Substanz. Gerade die neuen Substanzen (häufig in Kombination mit Dexamethason) werden im rezidivierten Stadium bevorzugt eingesetzt. Die Auswahl der Medikamentenkombination ist von mehreren Faktoren abhängig (Allgemeinzustand des Patienten, Charakteristik des MM, eventuell vorhandene Einschränkungen der Organfunktion, insbesondere der Niere; evtl. Nebenwirkungen der vorangegangenen Therapielinie). Therapie des Myeloms mit renaler Insuffizienz Häufig liegt eine mäßiggradige Einschränkung der renalen Funktion vor, wobei durch effektive Anti-Myelom-Therapie, hohe Flüssigkeitszufuhr (3 l/Tag) und Allopurinol in vielen Fällen eine Verbesserung erreicht werden kann. Eine eventuell bestehende Hyperkalzämie muss rasch ausgeglichen werden. In Fällen mit schwerer Niereninsuffizienz kann eine Hämodialyse erforderlich sein, die längerfristig bei Patienten mit therapeutischem Ansprechen indiziert ist. Für die Erholung der Nierenfunktion ist vor allem die rasche Reduktion der nephrotoxischen Leichtketten erforderlich. Die früher häufig durchgeführte Plasmapherese ist anhand neuerer Untersuchungen dafür ohne therapeutischen Nutzen. Der rasche Einsatz eines schnell wirksamen Therapieschemas gilt heute als Therapie der Wahl, wobei sich hier vor allem eine bortezomibhältige Kombinationstherapie (z. B. mit Dexamethason und Doxorubicin) bewährt hat. Supportive Therapien Anämietherapie: Eine bei Krankheitsbeginn bestehende Anämie bessert sich im Allgemeinen bei Erreichen einer Remission. Die Regeneration der Erythropoese, insbesondere unter Chemotherapie, wird durch rekombinantes humanes Erythropoetin in der Mehrzahl der Patienten (70 %) mit symptomatischer Anämie unterstützt (signifikanter Anstieg des Hämoglobins um > 2 g/dl). Dies führt sowohl zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität als auch zu einer Reduktion der Transfusionsbedürftigkeit und damit der damit verbundenen Risiken. Bisphosphonate sind potente Inhibitoren der Knochenresorption, indem die Proliferation und Diferenzierung von Osteoklasten gehemmt und zusätzlich die Aktivität der Osteoklasten supprimiert wird. Intravenöse Präparationen (Pamidronat 90 mg; Zoledronat 4 mg; Ibandronat 6 mg; Applikation jeweils 1-mal monatlich; Dosisanpassung bei renaler Insuffizienz) sind den oralen Bisphosphonaten wegen der äußerst geringen Bioverfügbarkeit vorzuziehen. Eine kürzlich beschriebene Nebenwirkung, insbesondere bei längerer Anwendung von Zoledronat, ist die avaskuläre Nekrose des Kieferknochens, welche vor allem bei zahn-/kieferchirurgischen Eingriffen unter laufender BisphosphonatTherapie auftritt. Antibiose: Im Falle eines fieberhaften Infekts ist die sofortige antibiotische Therapie nach Abnahme von Blut- und Harnkulturen angezeigt. Je nach Antibiogramm kann dann eine Adaption der Therapie vorgenommen werden. Patienten mit häufig wiederkehrenden Infekten können (aufgrund des sekundären Antikörpermangels) von einer intravenösen ■ Therapie von Gammaglobulin profitieren. Die Behandlung des multiplen Myeloms konnte in den vergangenen Jahren deutlich verbessert werden. Neben der Etablierung der autologen Stammzelltransplantation (für Patienten im Alter unter 65 Jahren) haben vor allem die neuen Substanzen (Thalidomid, Bortezomib, Lenalidomid) zu einer Verbesserung der Prognose geführt. Durch die Verfügbarkeit effektiver und rasch wirksamer Kombinationstherapien ergeben sich auch für den Myelom-Patienten mit Nierenbeteiligung neue therapeutische Chancen, um die terminale Niereninsuffizienz lange zu verhindern. 31 HILFT UNS DIE „HIGH CUT-OFF“-DIALYSEMEMBRAN? Renale Attacke durch freie Leichtketten bei multiplem Myelom Dr. Elisabeth Dittrich und ao. Univ.-Prof. Dr. Sabine Schmaldienst Klinische Abteilung für Nephrologie und Dialyse, Univ.-Klinik für Innere Medizin III, Medizinische Universität Wien reie Leichtketten (fLC) sind ursächlich verantwortlich für die Entwicklung einer Cast-Nephropathie. Kommt es zu einer raschen Absenkung der fLC im Plasma, dann kann auch die renale Prognose verbessert werden. Mittels der „High Cut-off“-Membran gelingt in kurzer Zeit eine signifikante Reduktion der fLC. F Dr. Elisabeth Dittrich Beim multiplen Myelom finden sich im Knochenmark vermehrt langsam proliferierende klonale B-Zellen, die zu einer überschießenden monoklonalen Eiweißproduktion (Immunglobuline und/oder Leichtketten) führen. Diese diffuse Zellvermehrung bedingt im Knochen osteolytische Herde und eine gestörte Hämatopoese. Die Inzidenz des Myeloms beträgt 2 bis 4 Personen pro 100.000 Einwohner und macht 1 % aller Malignome und zirka 10 % aller hämatologischen Malignome aus. Das Myelom ist eine Erkrankung des höheren Lebensalters, das mittlere Lebensalter bei Diagnosestellung ist bei Frauen 70 Jahre und bei Männern 80 Jahre. Weniger als 1 % der Myelompatienten erkranken vor dem 40. Lebensjahr. Die Inzidenz bei 40- bis 49-Jährigen beträgt 1 pro 100.000 Einwohner und steigt in der Gruppe der über 80-Jährigen auf 49 Fälle pro 100.000 Einwohner. Die Diagnose, trotz eindeutiger Symptome, wird oft erst verzögert gestellt. Bei 35 % der Patienten erfolgt die Diagnose frühestens 3 Monate nach Einsetzen der Symptome, bei 6 % beträgt die Zeitspanne zumindest 6 Monate. Dieses lange Intervall dürfte entscheidend für die Entstehung der myelomassoziierten Nierenveränderungen sein. In etwa 50 % der Fälle kommt es zu einer monoklonalen IgG-Vermehrung, in ca. 25 % ist es IgA und sehr selten ist eine monoklonale Paraproteinämie durch IgD oder IgE bedingt. In 20 % der Fälle findet sich nur eine exzessive Erhöhung von fLC (Leichtketten-Myelom). Myelom und Niere: Ein Drittel der Myelompatienten haben bereits bei Diagnosestellung ein erhöhtes Serumkrea- tinin (> 1,3 mg/dl). Wird die Nierenfunktion mittels Kreatinin-Clearance bestimmt, da zu diesem Zeitpunkt die Muskelmasse bei vielen Betroffenen reduziert ist, findet sich bei 50 % eine Nierenbeteiligung. Eine Proteinurie unterschiedlichenSchweregrades kann bei 80 % der Patienten beobachtet werden. Es entwickeln aber nur 15 bis 20 % ein nephrotisches Syndrom. ao. Univ.-Prof. Dr. Dies ist dadurch bedingt, dass man Sabine Schmaldienst heutzutage nicht mehr von „der Myelomniere“ sprechen kann, sondern es können unterschiedliche renaler Veränderungen beim Myelom gefunden werden. Pathogenese der renalen Veränderungen Obwohl das sich histologische Bild der einzelnen myelomassoziierten Nierenveränderungen deutlich unterscheidet, ist die gemeinsame Ursache die Überproduktion von monoklonalen, abnormen Immunglobulin-Fragmenten. Im gesunden Knochenmark, aber vor allem bei Plasmazellerkrankungen werden fLC im Überschuss produziert. Diese fLC werden glomerulär filtriert und im proximalen Tubulus durch Endozytose und Metabolisierung reabsorbiert. Bei Gesunden führen die fLC weder zu einer Ablagerung im Gewebe noch zu einer Funktionsstörung. Bei zwei Drittel der Myelompatienten wird, bedingt durch die exzessive Produktion von fLC, die tubuläre Resorptionskapazität überschritten und die fLC können im Harn gemessen werden. So dürfte zum einen die Überproduktion und zum anderen die strukturelle Veränderung der fLC das Entstehen von renalen Pathologien begünstigen. Die Injektion von fLC, gewonnen von Myelompatienten, hat in Mäusen typische Nierenveränderungen zur Folge. Warum bei einem Teil der Patienten tubuläre, bei einem anderen Teil glomeruläre Störungen auftreten, ist auch durch strukturell-morphologische Divergenzen der Immunglobuline zu erklären, wobei der Mechanismus dafür noch unklar ist. Es besteht aber ein enger Zusammenhang zwischen Tumormasse und Nierenfunktion. Ein akutes Nie- 32 renversagen findet sich bei 10 % der Patienten mit niederer Tumormasse und steigt an auf 44 % bei Patienten mit hoher Tumormasse. Entscheidend ist auch die Art des Myeloms. So hatten in einer rezenten Untersuchung 64 % der Patienten mit einem IgG- oder IgA-Myelom, jedoch nur 36 % der Patienten mit einem Leichtketten-Myelom ein Serumkreatinin von < 1,5 mg/dl. Die Unterschiede sind zum Teil dadurch zu erklären, dass Patienten mit einem LeichtkettenMyelom überdurchschnittlich häufig eine größere Proteinurie aufweisen. Vergleicht man Patienten mit identer Leichtkettenausscheidung (12 g freie Leichtketten im Harn/g Kreatinin), dann findet sich bei 48 bis 54 % ein Nierenver- sagen, unabhängig vom Myelomtyp. Für das Überleben ergab sich für - oder -Leichtketten kein Unterschied. Tubulointerstitielle Veränderungen Tubulär sind bislang zwei verschiedene Pathologien beschrieben worden: Myelom-assoziiertes Fanconi-Syndrom: Selten und wohl unterschätzt ist die Entwicklung eines Leichtketten-FanconiSyndroms. Dies ist meistens mit der Ausscheidung von überwiegend -Leichtketten vergesellschaftet und findet sich auch bei Patienten mit einer geringeren Tumormasse. Chemisch können diese fLC durch Cathepsin P proteolytisch gespalten werden und binden nicht an Tamm-HorsfallProtein. Die durch Spaltung entstandenen fLC-Fragmente lagern sich in den proximalen Tubulusepithelzellen ab und führen zur tubulären Dysfunktion. Die ursächliche Rolle dieser strukturell veränderten Leichtketten konnte rezent im transgenen Tiermodell bewiesen werden. Ersetzt man den endogenen J-Cluster durch einen humanen VJ-Cluster, isoliert aus einem Myelompatienten, dann kommt es zum Fanconi-Syndrom. Nach Deletion des humanen Clusters waren die morphologischen Veränderungen an den proximalen Tubulusepithelzellen größtenteils reversibel. Die Polymerisation der fLC in den Tubulusepithelzellen kann jedoch auch eine akute tubuläre Nekrose bedingen und damit zum Nierenversagen führen. Histologisch finden sich im proximalen Tubulus kleine dichte Einlagerungen im Zytoplasma von proximalen Tubulusepithelzellen. Diese entsprechen pathologisch akkumulierten Phagolysosomen, in denen sich immunhistochemisch monotypische fLC nachweisen lassen. Weiters sind im Tubuluslumen kristalloide Strukturen und Zylinder nachweisbar, welche auch im Harn ausgeschieden werden. Das Interstitium fibrosiert mit Fortschreiten des Syndroms und 34 da eine Reihe von Kofaktoren die Entstehung eines akuten Nierenversagens mitbegünstigen (Dehydratation, Hyperkalziämie, NSAR, Röntgenkontrastmittel, Infektionen etc.). Histologisch findet man typischerweise fLC-hältige Proteinzylinder in Tubuluslumina, welche aufgrund toxischer Reizung des Tubulusepithels von Epithelproliferaten und Histiozyten umschieden werden (Pfeil in Abb. 1). Schließlich lösen die intratubulären Zylinder eine massive Entzündungsreaktion mit Tubulusdestruktion bis hin zur Granulombildung aus. In weiterer Folge atrophiert der Tubulusapparat und es kommt zur Niereninsuffizienz mit interstitieller Fibrose. Glomeruläre Veränderungen Glomerulär sind bislang drei verschiedene Pathologien beschrieben worden: Abb. 1: Tubuläre leichtkettenhältige Proteinzylinder mit zellulärer Randreaktion; destruierte Tubuli; Tubulusatrophie wird dicht mononukleär infiltriert. Klinisch auffällig sind eine renale Glukosurie, Amino-Azidurie, Hypophosphatämie, Hypokaliämie und eine chronische Azidose. Myelomniere (= Cast Nephropathy): Die typische Form der Myelomniere ist die Cast-Nephropathie (CN). Wird das Reabsorptionsmaximum im proximalen Tubulus für fLC überschritten, gelangen die fLC in den distalen Tubulus und führen zur CN. Im Gegensatz zu den fLC, die proximal das Fanconi-Syndrom auslösen, werden diese fLC, die im distalen Tubulus schädigend sind, durch Trypsin oder Pepsin gespalten. Im distalen Tubulus entstehen Aggregate aus fLC und Tamm-Horsfall-Glykoprotein, welches physiologischerweise von Zellen im aufsteigenden Schenkel der Henle’schen Schleife sezerniert wird. Durch diese Makromoleküle kommt es zur tubulären Obstruktion. CN ist die häufigste Form der renalen Beteiligung beim Myelom (> 40 %). Zusätzlich zu dieser mechanischen Störung haben fLC per se eine toxische Wirkung. Die genauen Mechanismen sind zurzeit noch nicht bekannt. Wahrscheinlich ursächlich sind die Verschiebung des isoelektrischen Punktes auf über 5,1, eine Interferenz mit natriumabhängigen Transportmechanismen und eine Hemmung der Natrium-Kalium-ATPase-Aktivität und der DNS-Synthese. Trotz der großen Proteinurie (vorwiegend -Leichtketten oder -Leichtketten) haben nur etwa 10 % der Patienten ein nephrotisches Syndrom, überdurchschnittlich häufig findet sich jedoch eine Hyperkalziämie, eine Anämie, ein fortgeschrittenes Myelomstadium und und/oder das Vorliegen eines Leichtketten-Myeloms. Das Risiko des Nierenversagens korreliert eng mit dem Ausmaß der Proteinurie. Bei einer Proteinurie < 1 g/24 h findet sich ein Nierenversagen bei 16 % der Patienten, steigt bei einer Proteinurie von 1 bis 10 g/24 h auf 48 % an und beträgt ab einer Proteinurie von > 10 g/24 h 63 %. In bis zu 50 % der Fälle ist das Nierenversagen bei der CN zumindest teilweise reversibel, Monoklonale Immunglobulin-Ablagerung (MIDD – Monoclonal Immunglobulin Deposition Disease): Zirka 25 % der Myelompatienten mit renaler Affektion haben histologisch eine MIDD. Hierbei kommt es in der Niere, ähnlich wie bei anderen Organen, zu einer Ablagerung monoklonaler Immunglobuline (Leichtketten [LCDD – 67,6 %], Schwerketten [HCDD – 17,6 %] oder Kombinationen [LHCDD – 14,7 %]) in der glomerulären Basalmembran. In über 70 % der Fälle sind -Leichtketten nachweisbar. Bei Patienten mit MIDD führt typischerweise die Abklärung der eingeschränkten Nierenfunktion und der Proteinurie zur hämatologischen Diagnose. In einer größeren Untersuchung hatten 96 % der Patienten ein Serumkreatinin von > 1,5 mg/dl, 84 % hatten eine Proteinurie > 1 g/24 h und bei 40 % der Patienten betrug die Proteinurie mehr als 3,5 g/24 h. MIDD kann auch ohne zugrunde liegendes Myelom vorliegen, bei 65 % der Patienten konnte jedoch ein Myelom diagnostiziert werden. Histologisch präsentiert sich die MIDD unter dem Bild einer nodulären Glomerulosklerose, ganz ähnlich der diabe- High Cut-Off High Flux Abb. 2: Elektronenmikroskopische Darstellung der unterschiedlichen Porengröße 35 tischen Glomerulopathie. Es kommt zu einer massiven Auftreibung der Mesangiumfelder und letztlich zur sklerotischen Verödung von Kapillarschlingen. Immunhistochemisch sind in diesen monotypische fLC-Ablagerungen nachweisbar. Differenzialdiagnostisch wertvoll sind elektronenmikroskopisch erkennbare, bandförmige Verdichtungen in der Lamina rara interna von glomerulären Basalmembranen. AL-Amyloidose: Auch bei der Amyloidose führt oft die Abklärung von Proteinurie (80 %, nephrotisches Syndrom 30 bis 50 %) und Nierenversagen zur hämatologischen Diagnose. Bei ca. 20 % der Patienten liegt der Amyloidose ein Myelom zugrunde. Es handelt sich in der Mehrheit der Fälle um ein chronisches Nierenversagen und 20 % haben ein Serumkreatinin von > 2 mg/dl. Im Gegensatz zur MIDD finden sich bei der AL-Amyloidose -Leichtketten. Zirkulierende fLC werden von Makrophagen aufgenommen und teilweise metabolisiert. In der Folge werden Leichtkettenfragmente von diesen Zellen sezerniert und bilden dann die typischen kongorotpositiven, doppelbrechenden Fibrillen, die in sämtlichen renalen Strukturen, überwiegend jedoch in Glomerula, nachweisbar sind. In der elektronenmikroskopischen Vergrößerung erkennt man ihre feinfibrilläre Textur. Kristalloide Einschlüsse in Podozyten: Bei bislang ca. 20 Patienten (alle mit IgG--Myelom) fand sich in der Nierenbiopsie eine schwere kollabierende fokal segmentale Glomerulosklerose. Gemein ist diesen Myelom-Patienten die Bisphosphonat-Therapie mit Pamidronat. Bei einem Teil der Patienten kam es nach Absetzen der Substanz zu einer zu mindest teilweisen Erholung der Nierenfunktion und bei einem Patienten nach Reexposition zu einer neuerlichen Verschlechterung. Es wird suspiziert, dass Pamidronat eine direkte toxische Wirkung auf Podozyten hat und zu einem glomerulären Filtrationsdefekt führt. Dies bedingt einen vermehrten Proteineinstrom nach intrapodozytär und der Ablagerung und Kristallisierung der fLC in diesen Zellen. Therapie der Niereninsuffizienz bei Myelompatienten Myelomspezifische Therapie Ein Eckstein in der Therapie beim Myelom ist die Chemotherapie, wobei hier verschiedene Schemata zur Anwendung gelangen. Der Einsatz neuerer Medikamente (z. B. Thalidomid, Lenalidomid oder Bortezomib) stellt eine viel versprechende Therapieoption dar. Vor allem bei Schemata, die Bortezomib enthalten, gelingt eine rasche Reduktion der fLC im Serum. Möglicherweise bedingte durch diese rasche Abnahme der Tumorlast konnte in einzelnen Subanalysen und Fallberichten eine deutliche Verbesserung der Nierenfunktion beobachtet werden. Abb. 3: Zwei HCO-Membranen hintereinander geschlossen Reduktion der monoklonalen Immunglobuline Die Wertigkeit der Elimination von fLC vor allem bei Patienten mit akutem Nierenversagen bei CN, parallel zur Hemmung der vermehrten Nachbildung, wird seit längerem in der Literatur kontroversiell diskutiert. Untersuchungen zeigen aber, dass das renale Überleben verbessert wird, wenn die Niere nur kurz toxischen fLC ausgesetzt wird. Plasmaaustausch: In einer randomisierten Studie mit insgesamt 104 Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion konnten durch 5 bis 7 Plasmaaustauschbehandlungen weder eine Verbesserung der Nierenfunktion noch ein Überlebensvorteil beobachtet werden. Die Patienten dieser Untersuchung wurden nicht nierenbiopsiert, sodass davon ausgegangen werden muss, dass es sich nicht nur um Patienten mit CN gehandelt hat. Unterstützt wird diese Vermutung durch eine rezente Veröffentlichung, in der bei Patienten mit gesicherter CN mittels Plasmaaustauschbehandlungen eine Verbesserung der Nierenfunktion und damit bedingt auch ein besseres Überleben erzielt werden konnte. Leichtketten-Elimination durch „High Cut-off“-Dialysemembranen: Ein neuer Ansatz ist die Elimination von fLC mittels einer großporigen Dialysemembran. fLC sind relativ kleine Proteine. Das Molekülgewicht MG) von -Leichtketten beträgt 25 kD, das von -Leichtketten 50 kD. Die Poren herkömmlicher Dialysefilter sind zu klein (Durchlässigkeit bis zu einem MG von 10–20 kD), um eine klinisch relevante Menge fLC aus dem Serum zu eliminieren. Es ist nun eine großporige High-Cut-off-Membran ([HCO], HCO 1100, Gambro®, Deutschland) mit einem molekularen Cut-off von ca. 60 kD auf dem Markt (Abb. 2). In-vitro-Untersuchungen zeigten, dass durch reine Ultrafil tration (Serumfluss 400 ml/min, Transmembrandruck 36 300–400 mmHg) mit HCO die Reduktion der fLC 94 % () bis 96 % () betrug. Bei Dialysebehandlungen mit HCO konnten Leichtketteneliminationsraten von 35 bis über 70 % beobachtet werden. Die Eliminationsraten während einer Hämodialysebehandlung waren abhängig von der Ausgangskonzentration der fLC, der Dialysezeit, dem Dialysatfluss und der Filteroberfläche. Nur 15 bis 20 % der fLC finden sich intravasal und sind der jeweiligen extrakorporalen Therapie zugänglich. Im Anschluss an die Dialyse kommt es zu einer raschen Rückumverteilung aus dem Extravasal- in den Intravasalraum und damit zu einem neuerlichen Anstieg der fLC-Konzentration im Serum. Damit ergibt sich in der frühen Therapiephase die Notwendigkeit einer hochfrequenten Therapie (Behandlungsintervall 24 bis maximal 48 h). Um auch während der jeweiligen Dialyse den Effekt der Umverteilung aus dem Gewebe in den Intravasalraum auszunützen, konnte gezeigt werden, dass durch Verlängerung der Dialysedauer auf 6 bis 8 Stunden die Effizienz erhöht werden konnte. Durch Hintereinanderschalten von 2 HCO-Membranen wird eine Behandlungsoberfläche von 2,2 m2 erreicht (Abb. 3). Dadurch kann die Clearance-Rate für fLC von 7,6 ml/min auf 25 ml/min gesteigert werden. Der konvektive Transport ist bei der fLC-Elimination durch HCO, wie bereits erwähnt, ebenfalls entscheidend. Mittels Hämodiafiltration konnten verglichen mit Hämodialyse bessere Ergebnisse erzielt werden. Eine Erhöhung des Dialysatflusses korrelierte positiv mit der fLC-Reduktion im Serum. Um die eigene Therapieeffizienz unter laufender HCO-Dialyse beurteilen zu können, sollte regelmäßig die fLC-Konzentration vor und nach der Behandlung bestimmt werden. Bedingt durch die Porengröße kommt es aber zu einem nicht unbeträchtlichen Albuminverlust (im Mittel 1,5 g/h Dialysezeit), sodass eine regelmäßige Albuminbestimmung und gegebenenfalls eine Albuminsubstitution durchzuführen ist. Die HCO hat eine exzellente Clearance für kleinmolekulare Substanzen. Regelmäßige Kontrollen der Phosphat-, Kalzium- und Magnesiumwerte sind anzuraten. Es ist davon auszugehen, dass unter dieser Behandlung eine sehr gute Dialysequalität erreicht wird und damit möglicherweise die häufigen infektiösen Komplikationen bei urämischen Myelompatienten reduziert werden können. In einer britischen Studie wurden 5 Patienten mit dialysepflichtigem Nierenversagen bedingt durch eine CN über einige Wochen zusätzlich zur Chemotherapie hochfrequent mit einer HCO-Dialyse behandelt, um damit, bis zum Ansprechen auf die Chemotherapie, die fLC-Konzentration im Blut nieder zu halten. Bei 3 Patienten kam es zu einer deutlichen Verbesserung der Nierenfunktion (Dialysefreiheit). In 3 weiteren Fallberichten (12 Patienten) mit LeichtkettenMyelom und akutem Nierenversagen bedingt durch eine CN konnte durch den frühzeitigen und hochfrequenten Einsatz der HCO-Membran eine rasche Reduktion der fLC im Serum erzielt werden. Erfreulicherweise kam es in 9 Fällen zu einer signifikanten Verbesserung der Nierenfunktion (Dialysefreiheit) innerhalb weniger Wochen. Die Ergebnisse einer kontrollierten Studie zum Einsatz dieser Dialysemembran bei Patienten mit CN, auch in Hinblick auf Überleben, fehlen zum derzeitigen Zeitpunkt allerdings noch. Nierenfunktion und Prognose bei Myelompatienten Bei Myelompatienten ist das Vorliegen eines Nierenversagens innerhalb der ersten 60 Tage die dritthäufigste Todesursache. Unter den Patienten, die ein Serumkreatinin < 1,5 mg/dl hatten, lebten 62 % länger als 60 Tage, während bei den Patienten mit einem Serumkreatinin > 2,3 mg/dl nur 16 % diese Zeitspanne überlebten. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, bei Patienten mit Myelom von Anfang an renoprotektiv vorzugehen. Im Falle eines manifesten Nierenversagens sollte eher frühzeitig mit der Dialyse begonnen werden, um urämieassoziierte Probleme (v. a. Infekte) zu minimieren. In älteren Studien kam es unter myelomspezifischer Chemotherapie bei 10–20 % der Myelompatienten zu einer Erholung der Nierenfunktion. Eine deutliche Verbesserung der renalen Prognose dürfte durch neuere Substanzen wie z. B. Bortezomib gegeben sein. Ersten Berichten zufolge könnte der zusätzliche Einsatz von HCO-Membranen die Erholung der Nierenfunktion begünstigen. Nach heutigem Wissen ist aber davon abzuraten, bei jedem Myelompatienten mit Nierenversagen die HCO einzusetzen. Nur bei histologisch gesicherter CN ist von einer deutlichen Verbesserung der Nierenfunktion durch radikale Absenkung der fLC auszugehen, wobei dazu weitere Ergebnisse aus derzeit laufen■ den Untersuchungen zu erwarten sind. Bei Patienten mit multiplem Myelom kann es im Verlauf der Erkrankung zu einer Vielzahl renaler Pathologien kommen. Zum einen finden sich myelomspezifische tubuläre und glomeruläre Veränderungen, zum anderen kann es aber bedingt durch eine Reihe von Kofaktoren zum Auftreten eines akuten Nierenversagens kommen. Zur Differenzierung ist oft eine Nierenbiopsie notwendig. Da eine Nierenfunktionseinschränkung zu einer massiven Verschlechterung der Prognose des Patienten führt, stehen renoprotektive Maßnahmen auch ganz am Beginn der Therapieplanung. Durch den Einsatz neuerer Substanzen konnte der Verlauf der Grunderkrankung drastisch gebessert werden. Die zusätzliche extrakorporale Elimination von fLC bei Patienten mit dialysepflichtigem Nierenversagen bedingt durch CN ist ein viel versprechender Ansatz, es gilt aber die Ergebnisse von kontrollierten Studien abzuwarten. 38 ONKOLOGISCHER HOFFNUNGSTRÄGER BEVACIZUMAB Renale Nebenwirkungen einer Anti-VEGF-Antikörper-Therapie Dr. Clemens O. Wieser 1. Medizinische Abteilung und Nephrologie, Landeskrankenhaus Klagenfurt eit einigen Jahren steht nun auch als First-Line-Therapie eine Antikörpertherapie zur Verfügung, die in Kombination mit der konventionellen Chemotherapie in der Indikation metastasierendes kolorektales Karzinom zugelassen ist. Untersuchungen zur Anwendung beim Nierenzellkarzinom, Mammakarzinom, Pankreas- und Lungenkarzinom laufen und versprechen in der Kombination mit einer Chemotherapie eine Überlebensverlängerung im Vergleich zur alleinigen Chemotherapie. NO und damit zu einer verstärkten Vasokonstriktion. Über die Erhöhung des gesamten peripheren Widerstandes kommt es zu einer RR-Erhöhung. Zudem werden Einflüsse des VEGF auf das RAAS vermutet. S Das Wirkprinzip imponiert als einfach und logisch: Bevacizumab ist ein monoklonaler Antikörper aus der Gruppe der Immunglobuline (IgG1), der gegen den Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) gerichtet ist und die Gefäßneubildung in vor allem rasch wachsenden Geweben, wie sie Tumorzellen und Metastasen darstellen, unterdrücken kann. Als Angiogenesehemmer ist er in der Lage, Tumorzell- und Metastasenwachstum effizient zu beeinflussen. Neben der erwünschten Wirkung stellt sich aber natürlich auch die Frage, welche Auswirkungen die Blockade des VEGF auf den Organismus hat und mit welchen Nebenwirkungen zu rechnen ist. Da das Präparat in Kombination mit Chemotherapeutika verwendet wird, die von vornherein mit einer hohen Toxizität belastet sind, fällt eine Beurteilung schwer. Das Spektrum der Nebenwirkungen reicht von thromboembolischen Ereignissen, arterieller Hypertonie, Einschränkung der LVEF, Wundheilungsstörungen, Neuropathie, Blutungen bis zur Proteinurie. Therapeutische Konsequenzen ergeben sich aus dem RR-Verhalten: RR Dr. Werte >150/100 mmHg müssen vor Clemens O. Wieser dem Beginn einer BevacizumabGabe normalisiert werden, Patienten, die eine hypertensive Krise oder eine maligne Verlaufsform entwickeln, sollten von einer weiteren Gabe des Antikörpers ausgenommen werden. Die Behandlung des Hochdrucks richtet sich nach den gültigen Richtlinien zur Behandlung der Hypertonie. Proteinurie unter Bevacizumab Unter der Behandlung mit dem Angiogenesehemmer kann es zum Auftreten einer Proteinurie unterschiedlichen Schweregrades als Ausdruck einer Störung des VEGF-induzierten glomerulären Reparaturmechanismus kommen. Die Inzidenz einer Proteinurie wird mit Zahlen bis 38 % angegeben, ein nephrotisches Syndrom entwickelt sich in 1,4 %. A B Arterielle Hypertonie unter Bevacizumab Unter der Verwendung von Bevacizumab findet man sowohl Erstmanifestation als auch Verschlechterung eines schon vorbestehenden Hypertonus. Die Inzidenz der Hypertonie wird bis 34 % beschrieben. Als pathophysiologische Erklärung wird der Einfluss auf den Stickstoffhaushalt (NO) gesehen. NO gehört zu den potentesten physiologischen Vasodilatatoren. Die Regulation wird über VEGF gesteuert. Bei einer Blockade des VEGF-Systems kommt es zu einer Abnahme der Konzentration von (Kitamoto Y., Tokunaga H., Miyamoto K., Tomita K., VEGF is an essential molecule for glomerular structuring. Nephrol Dial Transplant 2002; 17:25-27) Abb.: Gefäßausgusspräparat (EM) von Maus-Glomeruli nach Anti-VEGF-Antikörper-Gabe (B) im Vergleich zu Kontrollen (A) 39 Kitamoto et al. konnte schon 2002 zeigen, dass VEGF sowohl bei der embryonalen Glomerulogenese als auch bei der entwickelten Niere wichtige Wachstums- und Reparationsimpulse im Glomerulum induziert. Im Elektronenmikroskop (Abb.) zeigt sich im Vergleich zu Kontrollgruppen bei mit Anti-VEGF-Antikörper behandelten Mäusen im Säugetiermodell eine deutlich veränderte Architektur der Glomerula mit Reduktion der Kapillaren. Bei experimenteller Glomerulonephritis und bei der thrombotischen Mikroangiopathie (Ratte) ist VEGF an der Reparatur der betroffenen Glomerula beteiligt. Zudem spielt VEGF eine wichtige Rolle bei der Regulation der glomärulären Zirkulation über Feed-back-Mechanismen mit NO, Endothelin 1 und Angiotensin II. Als Vorsichtsmaßnahmen werden regelmäßige Harnkontrollen Die Antikörpertherapie mit Bevacuzimab hat das onkologische Therapiekonzept der Chemotherapie bereichert. Allerdings können beachtenswerte Nebenwirkungen auftreten. Nephrologisch relevant sind Entwicklung und/oder Verschlechterung einer schon bestehenden Hypertonie und die Entwicklung einer Proteinurie. Intraktabler Hypertonus, hypertensive Krisen und eine Proteinurie über 2 g/24 Stunden sollten zu einer Unterbrechung der Antikörpertherapie führen. Die Hypertonie soll nach den gültigen Richtlinien behandelt werden, bei Auftreten einer Proteinurie muss eine Spontanremission abgewartet werden. empfohlen, bei einem Auftreten einer Proteinurie von über 2 g/24 Stunden soll die Therapie unterbrochen werden, bis die Eiweißausscheidung unter 2 g/24 Stunden gesunken ist. Sollte innerhalb von 3 Monaten dieser Zustand nicht erreicht werden, soll die Therapie mit Bevacuzimab gänzlich abgebrochen werden und der Patient einer weiteren nephrologischen ■ Abklärung zugeführt werden. 40 EINFLUSSGRÖßEN UND ZU EMPFEHLENDE VORSICHTSMAßNAHMEN Nephrotoxizität von intravenösen Bisphosphonaten Prim. Univ.-Prof. Dr. Dietmar Geissler Vorstand der 1. Medizinischen Abteilung, Landeskrankenhaus Klagenfurt nsgesamt handelt es sich bei Bisphosphonaten um eine Wirkstoffgruppe, die als nebenwirkungsarm zu bezeichnen ist. Das Nebenwirkungsprofil hängt von zahlreichen Faktoren ab, wie der Applikationsart, der Häufigkeit der Applikation und der Dosis. I Wie kommt es zu Nephrotoxizität? Nephrotoxizität variiert stark innerhalb der Substanzgruppe: Tierexperimentelle Untersuchungen und klinische Beobachtungen haben gezeigt, dass prinzipiell alle Bisphosphonate eine Nephrotoxizität aufweisen und akute tu- Prim. Univ.-Prof. Dr. Dietmar Geissler Apoptoseinduktion auch in den Tubuluszellen: Die Nephrotoxizität durch einen analogen apoptoseinduzierenden Mechanismus ausgelöst, wie die erwünschte Hauptwirkung der Bisphosphonate am Knochen. Bisphosphonate werden von aktivierten Osteoklasten aufgenommen. In diesen Osteoklasten wird in der Folge ein Apoptosesignal induziert und dadurch der Knochenabbau und Umbau gestoppt. Biochemisch greifen die Aminobisphosphonate, zu denen Pamidronat, Zoledronat und Ibandronat gehören, in den Mevalonsäuremetabolismus ein und stören dadurch die Cholesterolbiosynthese in den Zielzellen. Daneben hemmen Aminobisphosphonate kompetitiv die Funktion von Guanosin-Triphos phat-bindenden Proteinen und damit den Zellzyklus. FOTO: © ALFRED PASIEKA/SCIENCE PHOTO LIBRARY/PICTUREDESK.COM Intravenöse Bisphosphonate werden schwerpunktmäßig zur Behandlung der Hyperkalzämie, Osteoporose und bei Knochenmetastasen eingesetzt. Vier intravenöse Bisphosphonate kommen in diesen Indikationsgebieten zum Einsatz: Clodronat (Bonefos®), Pamidronat (Aredia®), Zoledronat (Zometa®), Ibandronat (Bondronat®). Häufige Nebenwirkungen, die prinzipiell bei allen Bisphosphonaten auftreten können sind: 1. Nephrotoxizität, 2. gastrointestinale Toxizität, 3. Akute-Phase-Reaktionen. Daneben treten seltene Komplikationen auf, wie: Hypokalzämie, Augenkomplikationen (Retinitis, Uveitis, Skleritis), Asthma bronchiale, Erytheme; Nebenwirkungen am ZNS (z. B. am Geschmacksinn), Kieferosteonekrosen. buläre Nekrosen verursachen können. Diese Nebenwirkung wurde sogar bei Alendronat (Fosamax®) und Risedronat (Actonel®) beschrieben. Die Nephrotoxizität variiert allerdings stark innerhalb der Gruppe der Bisphosphonate und hängt vor allem von der Pharmakokinetik, der Pharmakodynamik und der dadurch erzielten Spitzenkonzentrationen der einzelnen Bisphosphonate im Nierengewebe ab. 42 passiver Einstrom Tubuluslumen aktiver Transport Plasmakonzentration Bisphosphonatstau • Bisphosphonatmolekül Quelle: Bartl, von Tresckow, Bartl (2006): Bisphosphonat-Manual Abb. 1: Renale Ausscheidung von Bisphosphonaten Clodronat gehört zur Gruppe der aliphatischen Bisphosphonate. Diese fördern die Umwandlung von Adenosin-Triphosphat in toxische Analoga. Diese Mechanismen führen zu einer Apoptose von Osteoklasten und damit zu einer Hemmung des Knochenabbaus. Dieser Effekt ist ausschlaggebend für den Einsatz in der Behandlung von ossären Metastasen, der Hyperkalzämie und der Osteoporose. Im Rahmen der Osteoporosetherapie kann es allerdings durch eine überschießende Apoptoseinduktion bei Osteoklasten zu einer überschießenden Hemmung der Osteoklasten und damit zu einer Störung des Knochenumbauprozesses kommen. Da sekundär über Osteoklasten Osteoblasten angeregt werden, ist in der Folge der Regenerationsprozess des Knochens gestört. Eine ähnliche Apoptoseinduktion wird bei hohen Gewebsspiegeln auch in der Darmschleimhaut und in renalen Tubuluszellen beobachtet. Ausschlaggebend für diesen Prozess sind hohe Gewebespiegel, die vor allem von der Dosis und der Pharmakokinetik der einzelnen Bisphosphonate abhängen. Pharmakokinetik, Proteinbindung und renale Elimination: Im Tierexperiment wurde gezeigt, dass der Einstrom von Bisphosphonaten in Tubuluszellen passiv erfolgt und somit vorwiegend von der Serumkonzentration und der Eiweißbindung der einzelnen Bisphosphonate abhängig ist. Die Ausscheidung aus dem Tubulus in das Lumen hingegen ist ein aktiver Prozess, der eine begrenzte Transportkapazität aufweist und energieverbrauchend ist (Abb. 1). Ist dieser Transportmechanismus überladen, akkumulieren Bisphosphonate und können die Zelle zerstören. Bezüglich der Pharmakokinetik und der Eiweißbindung zeigen die einzelnen intravenösen Bisphosphonate starke Unterschiede. Einige wichtige pharmakokinetische Eigenschaften von intravenösen Bisphosphonaten sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Sowohl die peroral als auch die parenteral applizierten Bisphosphonate, die nicht vom Knochen aufgenommen werden, werden unverändert über die Niere ausgeschieden. Steigert man die Bisphosphonat-Dosis kontinuierlich, so zeigt sich zwar ein kontinuierlicher Anstieg des Gewebespiegels, parallel dazu steigt aufgrund der aktiven Elimination von Bisphosphonaten aus den Tubuluszellen in das Tubuluslumen die Harnkonzentration nicht über ein bestimmtes Niveau an. Für die intravenösen Bisphosphonate sind somit die Dosis, die Applikationsfrequenz und die Schnelligkeit der Infusion wichtige Determinanten für die Nierentoxizität. Reduziert man die Dosis und verlangsamt man die Infusionsrate, so kann damit die akute Nierentoxizität reduziert werden. Ebenso führt eine Verlängerung des Intervalls zwischen den einzelnen Applikationen zu einer Reduktion der chronischen Nierentoxizität. Peroral applizierte Bisphosphonate führen in den therapeutischen Dosen nicht zu Nierenkomplikationen. Wichtig für die Akkumulation im Nierengewebe ist vor allem die Proteinbindung und die Serum-Halbwertszeit der einzelnen Bisphosphonate. Nephrotoxizität einzelner i. v. Bisphosphonate Clodronat Clodronat wird nur sehr selten intravenös verabreicht, da es eine lange Infusionszeit (bis zu 4 Stunden) erfordert. Nierentoxizität wurde auch unter Clodronat beschrieben. Pamidronat Eine Nephrotoxizität unter Pamidronat wurde vor allem bei der Verwendung von höheren Dosen beobachtet. Einzelfälle wurden jedoch auch unter der Standarddosis von 90 mg beschrieben. Neben einer akuten Tubulusnekrose findet sich gelegentlich auch das Bild einer „collapsing glomerulonephritis“. Zoledronat Das am häufigsten verwendete intravenöse Bisphosphonat stellt die Zoledronsäure (Zoledronat) dar. In mehreren Publikationen wurde eine akute tubuläre Nekrose beschrieben. In einer Studie von Rosen L. S. et al. wurden unterschiedliche Dosierungen von Zoledronat mit Pamidronat verglichen. Vor allem in der 8-mg-Gruppe, die am Beginn dieser Studie verwendet wurde, kam es zu einer stärkeren Nierenschädigung und Kreatinin-Anstieg. In der Folge wurde die 8-mg-Dosis von Zoledronat gestoppt und die Infusionsdauer von von 5 auf 15 min verlängert. In dieser Studie kam es bei 9 % der Patienten unter Zoledronat (4 mg über 15 min) zu einer Verschlechterung der Nierenfunktion. 44 Tabelle 1: Proteinbindung und Eliminations-Halbwertszeit Dosis/ Infusionszeit Proteinbindung (%) t1/2 (Stunden) Cmax (ng/ml) Ibandronat 4 mg/15 min 85 12,0–16,0 284 Zoledronat 4 mg/15 min 56 1,4–1,9 468 Pamidronat 60 mg/1 h 54 0,8–2,5 2.790 Clodronat 300 mg/2 h 36 2,0–2,3 12.000 t1/2 = Serum-Halbwertszeit; Cmax = maximale Serum-Konzentration Adapted from Russell et al., Luckmann und Rogers 8 % der Patienten, die in der Kontrollgrupppe 90 mg Pamidronat über 2 Stunden erhielten, zeigten ebenfalls eine Verschlechterung der Nierenfunktion. Bezogen auf das renale Risiko zeigt Zoledronat in mehreren Untersuchungen ein doppeltes Risiko verglichen zu Pamidronat für die Entwicklung einer Nierenschädigung. Chang et al. beschrieben 2003 im NEJM 72 Patienten, die unter Zoledronat ein akutes Nierenversagen entwickelten. Dieser Report bezieht sich auf den Zeitraum 2001–2003 und beinhaltet Meldungen betreffend akutes Nierenversagen an die „Food and Drug Administration“. 42 Patienten wiesen als Grunderkrankung ein multiples Myelom und damit ein erhöhtes renales Risikoprofil auf, 22 % hatten solide Tumoren, lediglich 2 gutartige Erkrankungen. Black D. M. et al. publizierten 2007 im NEJM eine Studie, in der 3.889 Patienten im Rahmen einer doppelblinden placebokontrollierten Studie mit 5 mg Zoledronat über 15 min behandelt wurden. Zur Beurteilung der renalen Sicherheit wurde das SerumKreatinin vom 9. bis zum 11. Tag nach jeder Infusion gemessen. Ein signifikanter Anstieg war definiert als ein Anstieg des Serum-Kreatinin-Spiegels von > 0,5 mg/dl im Vergleich zum Ausgangsspiegel vor der 1. Infusion. Bei dieser Untersuchung zeigte sich, dass 1,3 % der Patienten in der Zoledronat-Gruppe mit einem Anstieg des Serum Kreatinins von > 0,5 mg/dl reagierten (in der Placebogruppe nur 0,4 %). Diese Veränderungen traten jedoch nur vorübergehend auf; innerhalb von 30 Tagen kehrte der Spiegel bei mehr als 85 % der Patienten wieder auf den Ausgangswert zurück. Bei den übrigen Patienten lag der Spiegel bei der nächsten jährlichen Nachuntersuchung wieder in diesem Bereich. Nach 3 Jahren bestand kein signifikanter Unterschied in den Serum-Kreatinin-Spiegeln oder der Kreatinin-Clearance zwischen den Gruppen. Auffällig war bei dieser Untersuchung, dass die Anzahl der Arrhythmien in der Zoledronat-Gruppe (266 Patienten bzw. 6,9 %) signifikant höher war als in der Placebogruppe. Vor allem kam es zum Auftreten von Vorhofflimmern bei insgesamt 50 Patienten der Zoledronat-Gruppe (1,3 %) verglichen mit 20 Patienten (0,5 % der Placebogruppe). Von den Herstellern wird besonders darauf hingewiesen, dass vor der Applikation von Zoledronat eine ausreichende Hydrierung der Patienten gegeben sein muss. Eine Bestimmung der Kreatinin-Clearance wird empfohlen, bei einer Kreatinin-Clearance < 60 ml/min muss eine entsprechende Dosisanpassung erfolgen. Ibandronat Ibandronat zeigt bei klinischen Untersuchungen ein renales Sicherheitsprofil, das ähnlich der Placebogruppe ist. In einer Phase-III-Studie mit intravenösem Ibandronat bei 466 Patienten mit Mammakarzinom und Knochenmetastasen zeigten 4 % der Patienten in der Ibandronat-Gruppe eine renale Nebenwirkung verglichen mit 4,5 % in der Placebogruppe. In einer Erweiterung dieser Studie erhielten 62 Patienten intravenöses Ibandronat über weitere 2 Jahre. Keiner dieser Patienten zeigte eine Nierenschädigung oder einen Anstieg des Serum-Kreatinins. Andere Studien haben gezeigt, dass das renale Sicherheitsprofil von Ibandronat auch bei einer Verkürzung der Infusionsdauer auf 5 min gleich bleibt. Die bessere Nierenverträglichkeit von Ibandronat im Vergleich zu Zoledronat dürfte auf die höhere Proteinbindung (Ibandronat 87–98 % gegenüber Zoledronat 22–56 %) bedingt sein. Präklinische Untersuchungen haben weiters gezeigt, dass Ibandronat eine relativ kurze Gewebehalbwertszeit von 24 Tagen im Vergleich zu 150–200 Tagen bei Zoledronat aufweist. Im Tierexperiment konnte gezeigt werden, dass Ibandronat mit 3 Wochen Dosierungsabstand keine akkumulierte Toxizität aufweist. Hingegen zeigten Tierexperimente mit Zoledronat im 3-Wochen-Dosierungsabstand eine steigende Akkumulation und damit Nephrotoxizität. Diese Untersuchungen zeigen, dass die intrarenale Akkumulation für das Ausmaß der Nierenschädigung ausschlaggebend ist. 45 Empfehlungen zur Vermeidung von Nephrotoxizität Folgende allgemeine Empfehlungen zur Vermeidung von Nephrotoxizität bei intravenösen Bisphosphonaten können aufgrund der vorliegenden Daten abgegeben werden: • ausreichende Hydrierung der Patienten • strikte Beachtung der vom Hersteller gegebenen Sicherheitsempfehlungen Zoledronat wird bei einer Kreatinin-Clearance von unter 30 ml/min nicht empfohlen. Abhängig von der Höhe der Kreatinin-Clearance werden folgende Dosierungen empfohlen: • 60 ml/min: volle Dosierung von 4,0 mg • 50–60 ml/min: 3,5 mg • 40–49 ml/min: 3,3 mg • 30–39 ml/min: 3,0 mg Vor jeder Gabe von Zoledronat sollte das Serum-Kreatinin gemessen werden. Auf eine weitere Behandlung sollte verzichtet werden, wenn sich die Nierenfunktion verschlechtert hat. Wechsel auf ein Bisphosphonat mit besserer Nierenverträglichkeit: Prinzipiell ist ein solcher möglich, z. B. auf Ibandronat (Bondronat®). Vom Hersteller werden bezüglich einer Bondronat®-Infusion folgende Empfehlungen abhängig von der Höhe der Kreatinin-Clearance abgegeben: • 50 ml/min: 6 mg > 15 min in 100 ml Infusionslösung • 30–50 ml/min: 6 mg > 1 h in 500 ml Infusionslösung • < 30 ml/min: 2 mg über 1 h in 500 ml Infusionslösung Als Dosierungsintervall werden 3–4 Wochen empfohlen. Literatur beim Verfasser Zusammenfassend zeigen sich trotz der generellen Nephrotoxizität von intravenösen Bisphosphonaten, die auf eine Akkumulation im Nierengewebe zurückzuführen ist, deutliche Unterschiede der einzelnen Substanzen. Ausschlaggebend für den Unterschied zwischen Clodronat, Pamidronat, Zoledronat und Ibandronat ist eine unterschiedliche Eiweißbindung und Pharmakokinetk. Zur Reduktion der Nephrotoxizität ist es wichtig, Patienten adäquat zu hydrieren. Vor der Applikation ist die KreatininClearance zu bestimmen und eine entsprechende Dosisanpassung vorzunehmen. ■ 46 ZIELGERICHTETE SUBSTANZEN ERSETZEN IMMUNTHERAPIE Onkologische Therapie des Nierenzellkarzinoms ao. Univ.-Prof. Dr. Manuela Schmidinger Klinische Abteilung für Onkologie, Klinik für Innere Medizin I, Medizinische Universität Wien Wirksamkeit von Immuntherapie Rationalen zum Zytokin-Einsatz: Grundlage für den Einsatz von Zytokinen waren folgende Beobachtungen: Das Nierenzellkarzinom tritt öfter (als andere Tumoren) bei Patienten auf, die – z. B. wegen einer Organtransplantation – eine immunsuppressive Therapie benötigen. Dies lässt den Schluss zu, dass dieser Tumor besonders empfindlich auf Änderungen der Immunologie reagiert. Weiters sind Nierenzellkarzinome stark lymphozytär infiltriert, was für eine Immunantwort des Körpers auf die Präsenz eines solchen Tumors spricht. Das wichtigste Argument für den Einsatz von Zytokinen aber war die Tatsache, dass Nierenzellkarzinome generell unempfindlich für Chemo- und Strahlentherapie sind, dafür aber Zytokine zuweilen durch direkte oder indirekte antitumoröse Wirkung eine Remission induzieren konnten. Eine Metaanalyse aus 58 randomisierten Studien bei beinahe 7.000 Patienten zur Wirksamkeit von Immuntherapie (Coppin, 2007) zeigt auf, dass Immuntherapie zwar häufiger als andere damals getesteten Therapien (Chemotherapie, Strahlentherapie, Hormontherapie) Tumorremissionen bewirken, jedoch waren diese Remissionen nur selten von einer Verlängerung des progressionsfreien Überlebens oder Gesamtüberlebens begleitet. Prognostische Parameter zum Ansprechen auf Immuntherapie: In den letzten Jahren wurde immer eindeutiger, dass diese Erkrankung viel weniger von der Immuntherapie selbst als von spezifischen patienten- und tumorbedingten Prognose-Parametern abhängig ist. Die bedeutendsten Parameter von Seiten des Patienten und Darüber hinaus sind tumorspezifische Kriterien für die Prognose und das Ansprechen auf Immuntherapie relevant: Reine Klarzellhistologien sind empfindlicher als papilläre Tumoren oder Mischformen, sarkomatoide Subtypen oder Ductus-Bellini-Karzinome sprechen gar nicht auf Immuntherapie an. Das wichtigste prognostische Modell (MSKCC-Kri- 1,0 - 0 Risikofaktoren (80 Patienten, 21 am Leben) 0,9 - 1 oder 2 Risikofaktoren (269 Patienten, 36 am Leben) 0,8 0,7 - 3, 4, oder 5 Risikofaktoren (88 Patienten, 0 am Leben) 0,6 0,5 - • LDH • Hb • Ca2+ 0,4 0,3 - • KPS • Zeit Primum bis • Metastasen < 1a 0,2 0,1 0,0 0 - Ü des Krankheitsverlaufs, die mit schlechter Prognose bzw. schlechtem Ansprechen auf Immuntherapie assoziiert sind, sind hierbei: • schlechter Performance-Status • kurze Zeit zwischen Primärtumor und Auftreten der Metastasen • niedriges Hämoglobin • erhöhtes korrigiertes Kalzium ao. Univ.-Prof. Dr. • erhöhte LDH Manuela Schmidinger • mehr als eine Metastasenlokalisation • bestimmte Metastasenlokalisationen wie Leber-, ZNS-, Lymphknoten- und Knochenmetastasen • erhöhte neutrophile Granulozyten Anteil Überlebender (%) ber mehr als 2 Jahrzehnte waren Zytokine wie Interferon alpha oder Interleukin 2 die Therapie der Wahl beim metastasierten Nierenzellkarzinom. Das objektive Tumoransprechen lag median bei 12–13 %, das progressionsfreie Überleben median bei 5 Monaten und das Gesamtüberleben bei 13 Monaten. Erst die Entwicklung und der Einsatz moderner Therapiestrategien in den letzten 2 Jahren hat dieser trostlosen Ära ein Ende gesetzt. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 Jahre seit Beginn der IFN--Therapie Abb.: Ansprechen auf Interferon--Therapie beim Nierenzellkarzinom in Abhängigkeit von Prognosefaktoren (MSKCC-Kriterien nach Motzer) 48 terien) stammt von Motzer (Motzer R., J Clin Oncol 2002) und ist in der Abbildung dargestellt. Das Überleben von Patienten im Metastasenstadium variiert sehr stark in Abhängigkeit von der Zahl dieser Faktoren. Rationale zur Entwicklung moderner Therapien Erkenntnisse über den zugrunde liegenden genetischen Defekt beim klarzelligen Nierenzellkarzinom sind die Basis moderner Therapien bei dieser Tumorerkrankung. Das Nierenzellkarzinom ist keine einheitliche Erkrankung, sondern eine Gruppe von Tumoren verschiedenen epithelialen Ursprungs mit unterschiedlicher Morphologie und unterschiedlichen zugrunde liegenden genetischen Defekten. Tabelle 1 stellt die verschiedenen histologischen Subtypen des Nierenzellkarzinoms dar und den dazugehörigen Gendefekt – so bekannt. Tumorsuppressorgen-Defekt führt zur HIF-alpha-Akkumulierung: Mit über 75 % ist das klarzellige Karzinom der häufigste Typ. Dieser ist durch einen Defekt des VHLTumorsuppressorgens (Von Hippel-Lindau) gekennzeichnet. Bei intaktem VHL-Gen bindet sein Genprodukt, pVHL, an ein Hydroxyprolin von HIF-alpha; nach Ubiquitin-Anlagerung wird HIF-alpha im Proteasom degradiert. Gelingt dies nicht – wie es bei defektem VHL-Gen der Fall ist –, akkumuliert HIF-alpha. In der Folge kommt es zu einer Dimerisierung mit HIF-beta, Translokation in den Zellkern, wo die Transkription von Genen ausgelöst wird, die für Wachstumsfaktoren kodieren. Diese Wachstumsfaktoren sind unter anderem: VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor, u. a. verantwortlich für Proliferation von Endothelzellen), EGF (Epidermial Growth Factor, u. a. verantwortlich für Zellproliferation), TGF-alpha (Tumor Growth Factor, verantwortlich für Tumorwachstum), PDGF (Platelet-derived Growth Factor, verantwortlich für Proliferation von Perizyten), CAIX (Carbonic-Anhydrase IX), TGF-alpha (Transforming Growth Factor) etc. Die Signalübertragung dieser Wachstumsfaktoren erfolgt über Oberflächenrezeptoren. Diese Wachstumsfaktoren leiten ihrerseits Signale ins Zellinnere, die wiederum zur HIFalpha-Akkumulation führen, wodurch ein Circulus vitiosus entsteht. Wirkmechanismen neuer Substanzen: Neue Substanzen haben zum Ziel, die HIF-alpha-Akkumulation zu verhindern, damit es nicht zur verstärkten Expression von Wachstumsfaktoren und deren Rezeptoren kommt. Dies kann an verschiedenen Orten erfolgen: • Im Serum wird der Wachstumsfaktor bereits gebunden, sodass er gar nicht erst an die Tumorzelle herankommt, Beispiel: der monoklonale VEGF-Antikörper Bevacizumab. • Der Rezeptor für die Wachstumsfaktoren an der Tumorzelle wird gebunden, sodass der natürliche Ligand, der Wachstumsfaktor, dort nicht mehr ansetzen kann. • Die Phosphorylierung des intrazellulären Rezeptoranteils wird verhindert, damit kann das Signal nicht in die Zelltiefe weitergeleitet werden, Beispiel: die TyrosinkinaseInhibitoren Sunitinib oder Sorafenib (Letzteres hat zusätzlich auch intrazelluläre Aktivität, siehe unten). • Es wird ein Enzym der intrazellulären Signaltransduktionskaskade gehemmt (Beispiel: Raf-Kinase-Aktivität von Sorafenib, mTOR-Inhibitor Temsirolimus). Manche Substanzen können mehrere Orte gleichzeitig blockieren. Allen gemeinsam ist, dass letztendlich die HIFalpha-regulierte Übertragung von Wachstumssignalen unterbunden wird. Ergebnisse klinischer Studien mit zielgerichteten Therapien Besprochen werden hier nur Studienergebnisse zum Nierenzellkarzinom, die aufgrund der herausragenden Wirkung und/oder großer Patientenzahl bemerkenswert sind: Tabelle 1: Histologischer Nierenkarzinom-Subtyp und Gendefekt Histologischer Typ Klarzell % RCC 75 Involviertes Gen VHL-Suppressor-Gen Papillär Typ 1 5 Papillär Typ 2 10 Chromophob 5 Birt-Hogg-Dube-(BHD)-Gen Onkozytom 5 Birt-Hogg-Dube-(BHD)-Gen Ductus Bellini, medullär Sarkomatoider Typ <1 C-Met-Onkogen Fumarathydratase-Gen ne ne Sunitinib: Sunitinib (Sutent®) ist ein „small molecule“ und wirkt über Inhibition zahlreicher Tyrosinkinasen am intrazellulären Anteil von WachstumsfaktorRezeptoren. Die Tyrosinkinase-Inhibition betrifft vor allem den VEGF (1, 2, 3) und PDGF-alpha- und PDGF-betaRezeptor, die sowohl an Tumor- als auch Endothelzelle und Perizyt (unterstützt Endothelzelle strukturell) exprimiert sind. Weiters hemmt Sunitinib den Stammzellfaktor KIT, den Macrophage Colony-stimulating Factor CSF-1R, den 50 Fms-like Tyrosinkinase-3 Receptor (Flt-3) und eine Kinase, die über Ret Proto-oncogene (RET) kodiert wird. Sunitinib wurde zunächst in zwei konsekutiv durchgeführten Phase-IIStudien bei Patienten mit metastasiertem Nierenzellkarzinom untersucht, welche bereits auf andere Therapien progredient waren. In der ersten Studie wurden 63 Patienten untersucht. Bei 40 % der Patienten – was für eine Nierenzellkarzinomtherapie eine erstaunlich hohe Zahl bedeutet– konnte eine objektive Remission festgestellt werden, bei weiteren 27 % konnte eine Stabilisierung erreicht werden. Die mediane Zeit bis zur Progression betrug 8,7 Monate und das mediane Überleben 16,4 Monate. In der zweiten in der Folge durchgeführten Studie betrugen die Ansprechraten 44 % und die Stabilisierungsrate 23 %. Aufgrund dieser viel versprechenden Ergebnisse wurde die Wirkung von Sunitinib in einer randomisierten, internationalen multizentrischen PhaseIII-Studie als Erstlinientherapie mit Interferon-alpha verglichen. 750 systemisch unbehandelte Patienten wurden in diese Studie eingeschlossen und entweder mit Sunitinib (50 mg/Tag, Tag 1–28/alle 6 Wochen) oder Interferon-alpha (9 MIU 3 x wöchentlich s. c.) behandelt. Das progressionsfreie Überleben (primärer Endpunkt der Studie) war für Patienten im Sunitinib-Arm signifikant länger als für InterferonPatienten (11 versus 5 Monate, HR 0,42–95 % Konfidenzintervall 0,32–0,54, p < 0,001). Auch erzielten signifikant mehr Patienten im Sunitinib-Arm eine objektive Remission (31 % versus 6 %) und berichteten über eine bessere Lebensqualität als Patienten im Interferon-Arm (Motzer, New Engl J Med 2007). Bemerkenswert ist, dass diese signifikante Verbesserung des progressionsfreien Überlebens nicht nur bei Patienten mit niedrigem Risiko (Risikogruppen nach Motzer 2002), sondern auch bei Patienten mit intermediärem und hohem Risiko vorzufinden war. Sunitinib wurde mittlerweile von der FDA und der EMEA als Erstlinientherapie beim metastasierten Nierenzellkarzinom zugelassen. Sunitinib wird oral in Tablettenform eingenommen, die Standarddosierung ist eine 50-mg-Tablette pro Tag über 28 Tage, gefolgt von einer 2-wöchigen Pause. Sorafenib: Sorafenib (Nexavar®) ist ein Multikinase-Inhibitor, der neben seiner Tyrosinkinase-Inhibierung für PDGF und VEGF(2, 3)-Rezeptoren (sowie Flt3, RET) zusätzlich eine inhibierende Wirkung auf ein Enzym (RAF-Kinase) einer wichtigen intrazellulären Signaltransduktionskaskade (Ras-Raf-MEK-ERK) hat. Diese Multikinase-Inhibition führt zu einer Verminderung der intrazellulären HIF-alphaAkkumulierung, welche nicht nur über VEGF-, sondern auch über TGF-alpha mediierte Stimuli anfallen kann. Der Rezeptor für TGF-alpha, EGFR (Epidermial Growth Factor Receptor) ist beim Nierenzellkarzinom oft sehr stark exprimiert ist; ein beträchtlicher Anteil des Tumorwachstums wird über diesen Signalweg stimuliert. Eine Blockade der nachgeschalteten, intrazellulären Signalwege – in diesem Fall RasRaf-MEK-ERK – erscheint daher besonders interessant. Sorafenib greift an der Endothelzelle, am Perizyten und an der Tumorzelle an, behindert damit Tumorzellproliferation und Gefäßneubildung. Sorafenib wurde in einer randomisierten, placebokontrollierten Phase-III-Studie (Escudier, New Engl J Med 2007) nach Versagen von Immuntherapie bei über 900 Patienten untersucht. Das mediane progressionsfreie Überleben war bei Sorafenib-Patienten mit 5,5 Monaten signifikant länger als bei Placebo-Patienten (2,8 Mo- Tabelle 2: Neue Erstlinientherapien bei Nierenzellkarzinom Sunitinib1 Bevacizumab + IFN-2 Temsirolimus3 n 750 649 626 Target(s) VEGFR 1, 2, 3; VEGF mTOR PGDFR-, -; C-KIT, FLT-3, RETetc. OR (%) 37 vs. 9* 31 vs. 13* 4,8 PFS (Mo.) total 11 vs. 5 10,2 vs. 5,4 5,5 vs. 3,1 - PFS günstig 14,9 (n = 38) 12,9 (n = 87) - - PFS intermediär 11 (n = 56) 10,2 (n = 183) - - PFS schlecht 4 (n = 23) 2,2 (n = 28) 5,5 (n = 209) S n. r. n. r. 10,9 vs. 7,3 OR: objektive Remission nach RECIST-Kriterien; PFS: progressionsfreies Überleben; S: Überleben 1 Motzer R.J. et al., N Engl J Med 2007; 356:115–24; 2 Escudier B. et al., Lancet 2007; 370:2103–11; 3 Hudes G. et al., N Engl J Med 2007; 356(22):2271–81 (* investigator assessed) 51 FOTO: LONDON_ENGLAND - FOTOLIA.COM nate) (HR in der Sorafenib-Gruppe: 0,44; 95%-Konfidenzintervall 0,35–0,55, p < 0,01). Die Ansprechraten unter Sorafenib waren weniger hoch als erhofft (10 % unter Sorafenib, 2 % unter Placebo), jedoch könnte dies auch auf einem Interpretationsproblem des Tumoransprechens beruhen: während manche Patienten eindruckvolle Remissionen zeigten, kam es bei anderen zu einer zystischen Vergrößerung des Tumors, die im Staging natürlich als Progression gewertet wurde. Oftmals hat sich aber herausgestellt, dass es sich dabei um eine zystische Degeneration handelte, sodass eigentlich ein Tumoransprechen vorlag. Neue Techniken zur besseren Evaluierung des Tumoransprechens, wie zum Beispiel kontrastmittelunterstützte Farbdoppler-Untersuchungen müssen daher bei dieser Therapie evaluiert werden. Mittlerweile wurde in einer randomisierten Phase-II-Studie die Wirksamkeit von Sorafenib im Vergleich zu Interferon alpha bei systemisch noch unbehandelten Patienten untersucht. Im Rahmen einer Interimsanalyse konnte kein signifikanter Unterschied zu Interferon in Bezug auf das progressionsfreie Überleben gezeigt werden. Dennoch ist diese Substanz eine beträchtliche Bereicherung des therapeutischen Armamentariums: So konnte beobachtet werden, dass Sorafenib Potenzial in der Vorbeugung von Hirnmetastasen haben dürfte, wie eine am ESMO 2006 präsentierte Subgruppenanalyse von zwei Zentren der TARGET-Studie zeigt (Abstr. 454, Massard). Bei 139 dahingehend analysierten Patienten war die Inzidenz an Hirnmetastasen in der Sorafenib-Gruppe deutlich niedriger als in der Placebogruppe. Sorafenib ist derzeit zur Therapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms nach Versagen oder bei Kontraindikation für Immuntherapie zugelassen. Bevacizumab: Der monoklonale Antikörper Bevacizumab (Avastin®) bindet den Wachstumsfaktor VEGF auf Serumebene. Dadurch kann das Wachstumssignal an den Rezeptor nicht herangetragen werden. Bevacizumab wurde beim metastasierten Nierenzellkarzinom in einer randomisierten, placebokontrollierten Phase-II-Studie an 116 Patienten untersucht (Yang, New Engl J Med 2003). Es wurden die Bevacizumab-Dosierung von 10 mg/kg (alle 14 Tage) und 3 mg/kg (alle 14 Tage) untereinander bzw. mit einem Placebo verglichen. Im progressionsfreien Überleben zeigte sich ein statistisch signifikanter Vorteil für die Hochdosis-Gruppe (4,8 versus 2,5 Monate, p < 0,001). Ein Vorteil im Überleben konnte nicht erkannt werden, allerdings war die Studie nicht so angelegt, einen solchen zu erkennen, und aufgrund der Ergebnisse im progressionsfreien Überleben war es den Patienten im Nachhinein möglich, in den Hochdosis-Arm zu wechseln. Das objektive Ansprechen in der Hochdosis-Gruppe lag bei 10 %. Analysen an diesem Patientengut zeigten, dass Patienten unter Hochdosis-Therapie eine – im Vergleich zu Patienten der Niedrigdosis (3 mg/kg) oder Placebo-Gruppe – deutliche Verminderung der Tumorlast über die Zeit haben, wenngleich diese nicht immer die Kriterien für RECIST erreicht. Auch hier muss also überlegt werden, ob die gängigen Kriterien zur Erhebung des Tumoransprechens ausreichen bzw. ob die Evaluierung des Ansprechens bei diesen Therapien etwas später als üblich erfolgen sollte, damit es nicht zu Interpretationsproblemen kommt. Am ASCO 2007 wurden schließlich die Ergebnisse der Phase-III-Studie präsentiert, im Rahmen derer Bevacizumab in der Kombination mit IFN-alpha versus IFN-alpha als Erstlinientherapie untersucht wurde (Escudier, Lancet 2007). 31 % der Patienten unter Bevacizumab + IFN-alpha erreichten eine objektive Remission nach RECIST-Kriterien versus 13 % der Patienten im Interferon-Arm. Die Tragweite dieses Vorteils im Tumoransprechen wurde auch in Hinblick auf das progressionsfreie Überleben demonstriert. Dieses betrug bei Patienten im Bevacizumab+IFN-alpha-Arm 10,2 Monate versus nur 5,4 Monate im Interferon-Arm. Dieser statistisch signifikante Vorteil war für alle MSKCC-Risikogruppen vorhanden, wenngleich in der Gruppe der Patienten mit schlechtem MSKCC-Profil weniger relevant. Da die vorgesehenen 9 Millionen Einheiten Interferon-alpha 3-mal wöchentlich für den Großteil der Patienten weniger gut tolerabel waren, wurden bei einer Vielzahl der Patienten Dosisreduktionen von IFNalpha auf 6 oder 3 Millionen Einheiten vorgenommen. Eine Subgruppenanalyse dieser Patienten zeigte keinerlei Nachteil im Hinblick auf Tumoransprechen oder PFS. 52 chen von 58 % (Merchan Abstract 5034, ASCO 2007). Temsirolimus ist für Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom zugelassen. Axitinib (AG013736): Axitinib ist ein Imidazol-Derivat, das in niedrigen Konzentrationen die Tyrosinkinasen aller VEGFR und die der PDGF--Rezeptoren hemmt. Axitinib wurde in einer Phase-II-Studie bei 52 vorbehandelten (Zytokine) Patienten mit metastasiertem Nierenzellkarzinom untersucht. Die Ergebnisse waren höchst vielversprechend: Erstaunliche 46 % der Patienten erreichten eine objektive Remission (RECIST-Kriterien), weitere 38 % eine geringere Remission, die noch nicht die RECIST-Kriterien erfüllt, und 14 % eine Stabilisierung. Nebenwirkungen umfassen Hypertonie, Bluthochdruck und Stomatitis, sind also mit Sunitinib vergleichbar. Dieses äußerst vielversprechende, ebenfalls oral zu verabreichende Medikament befindet sich noch in der Untersuchung an größeren Patientengruppen, wird aber mit immenser Spannung erwartet. Anti-EGFR-Therapie mit Lapatinib: Lapatinib ist ein Tyrosinkinase-Inhibitor für ErbB1 und ErbB2. Nierenzellkarzinome weisen oft eine sehr starke EGFR-Expression. Dennoch sind Versuche mit Anti-EGFR-gerichteten Therapien beim klarzelligen Nierenzellkarzinom bislang fehlgeschlagen. Lapatinib wurde in einer randomisierten Studie im Vergleich zu alleiniger Hormontherapie (Medroxyprogesteronacetat – FOTO: © DAVID MCCARTHY/SCIENCE PHOTO LIBRARY/PICTUREDESK.COM Temsirolimus: Temsirolimus (Torisel®) in ein mTOR-Inhibitor (Mammalian Target of Rapamycin). mTOR ist ein wichtiges Enzym der intrazellulären Signaltransduktionskaskade PI3K-AKT-mTOR, welche bei Aktivierung durch Wachstumsfaktoren und deren Rezeptoren ebenfalls zur HIF-alpha-Akkumulierung führt. Die Wirkung dieses Medikaments wurde als Erstlinientherapie bei Patienten mit schlechtem MSKCC-Score (ungünstigste Prognose im Metastasenstadium, medianes Überleben 4 Monate) im Vergleich zu Interferon alpha oder in Kombination mit Interferon alpha bei über 600 Patienten untersucht (Hudes, New Engl J Med 2007). Patienten im Temsirolimus-Monotherapie-Arm hatten ein um 95 % besseres progressionsfreies Überleben als Patienten im IFN-alpha-Arm (3,7 versus 1,9 Monate, p = 0,0001). Temsirolimus ist zudem, und das ist besonders relevant, von allen neuen Medikamenten das einzige, bei dem bereits die Information über eine statistisch signifikante 49%-Verbesserung des Überlebens vorliegt (11 versus 7 Monate) (HR 0,73, CI: 0,57–0,92), p = 0,0069). Eine weitere Beobachtung dieser Studie war die gute Verträglichkeit der Temsirolimus-Therapie im Vergleich zu Interferon alpha. Temsirolimus wird 1-mal wöchentlich als intravenöse Infusion in einer Absolutdosis von 25 mg verabreicht. Abgesehen von der nachweisbar vorteilhaften Wirkung von Temsirolimus bei Patienten mit schlechtem MSKCC-Profil dürfte diese Substanz aber noch mehr Potenzial haben. Eine Kombinationsstudie mit Bevacizumab zeigte ein objektives Anspre- Everolimus (RAD 001): Die Wirksamkeit des oralen mTOR-Inhibitors Everolimus wurde in einer randomisierten, Placebo-kontrollierten Phase-III-Studie bei Patienten mit metastasiertem Nierenzellkarzinom geprüft, die bereits auf einen oder zwei VEGFR-Tyrosinkinase-Inhibitor progredient waren. Ergebnisse der ersten Interimsanalyse wurden beim ASCO 2008 (American Society of Clinical Oncology) vorgestellt (Motzer R., Abstract 5026, J Clin Oncol 2008; 26, 18S, II). Patienten im Everolimus-Arm (10 mg pro Tag) erreichten ein progressionsfreies Überleben von 4 Monaten versus nur 1,9 Monaten für Patienten im Placebo-Arm. Diese Ergebnisse waren statistisch signifikant (p < 0,001, HR: 0,30, 0,22–0,44). Dieser Vorteil war bei Patienten aller MSKCCSubgruppen vorhanden. Grad-3/4-Toxizitäten umfassten Stomatitis, Pneumonitis, Asthenie und Fatigue. Da dies die erste Phase-III-Studie bei Patienten nach Versagen einer VEGFR-TKI-Therapie ist, kann aus akademischer Sicht Everolimus als Standardtherapie nach VEGFR-TKI angesehen werden. VEGFR-TKI wurden zwar auch auf ihre Wirksamkeit bei sequenzieller Gabe überprüft, dies jedoch bislang in kleinerem Patientensetting, die Ergebnisse haben somit nicht den gleichen Evidenzlevel wie diese Phase-III-Studie. Derzeit läuft eine Reihe von Phase-III-Studien, die die optimale Therapie nach VEGFR-TKI-Versagen untersuchen. 54 MPA) bei 417 Patienten untersucht. Patienten mit einer 3+positiven, also sehr starken EGFR-Expression hatten einen Überlebensvorteil durch Lapatinib-Therapie im Vergleich zu MPA (11 versus 9 Monate, p = 0,02). Diese Therapie erscheint für ein spezifisches Patientengut und da auch vor allem in Kombination mit anderen zielgerichteten Substanzen besonders interessant. Leider besteht derzeit keine Zulassung für dieses für bestimmte Patienten viel versprechende Medikament. Toxizitäten neuer Therapien Sunitinib- und Sorafenib-Nebenwirkungen umfassen eine zum Teil sehr ausgeprägte Müdigkeit und eine Hypertonie auch bei vormals diesbezüglich unauffälligen Patienten. Letztere ist aber medikamentös sehr gut kontrollierbar und zwingt in der Regel nicht zum Therapieabbruch. Manche Sunitinib-Patienten klagen über Stomatitis, die sich auch als Störungen des Geschmackssinnes äußern kann. Diarrhöen sind ein weiteres – wenngleich therapeutisch zumeist gut beherrschbares Problem bei Sorafenib- und Sunitinib-Therapie. Weitere Nebenwirkungen von Sunitinib umfassen Leuko- und Thrombopenien, diese können durch eine kontinuierliche Gabe mit 37,5 mg (ohne 2-wöchige Pause) leichter kontrolliert werden. Weiters kann es unter Sunitinib zu einer Gelbfärbung der Haut ohne zugrunde liegenden Ikterus und – in seltenen Fällen – eine Haardepigmentierung auftreten. Ursache könnte eine Störung des KIT-Signalweges sein, der für Melanozyten eine Rolle spielen dürfte. Vor allem Sorafenib, aber auch Sunitinib können zu dermatologischen Nebenwirkungen führen. Diese umfassen ein „Hand-FußSyndrom“, eine schmerzhafte, brennende Rötung der Hand- und Fußsohlen. Hierfür gibt es teilweise höchst erfolgreiche Cremen zur vorbeugenden, aber auch therapeutischen Anwendung. Weiters werden Hautausschläge beobachtet. Beide Tyrosinkinase-Inhibitoren können kardiale Toxizitäten verursachen, der zugrunde liegende Pathomechansimus ist vielschichtig. Es wurden Verminderungen der LVF, Überleitungsstörungen, ST-Strecken- oder T-Wellen-Veränderungen, aber auch Myokardinfarkte beobachtet (Schmidinger, J Clin Oncol in press). Eine beobachtete Temsirolimus-Nebenwirkung ist das Auftreten von nicht-infektiösen Pneumonitiden, was bei 30 % der Patienten mit Atemnot assoziiert war. Abgesehen davon kann Temsirolimus Thrombopenien verursachen, zumeist jedoch nicht mehr als Grad 2. Auf das exzellente Sicherheitsprofil von Temsirolimus muss im Besonderen hingewiesen werden, Patienten unter dieser Therapie haben keine Einschränkung ihrer Lebensqualität und nehmen dafür gerne in Kauf, dass dieses Medikament intravenös (Kurzinfusion) 1-mal wöchentlich ambulant im Krankenhaus verabreicht wird. Zudem kann dieses Medikament, wie die Ergebnisse der Stu- die zeigen, bei Patienten in sehr stark reduziertem Allgemeinzustand verabreicht werden. Nebenwirkungen der Bevacizumab-IFN-alpha-Kombination umfassen Hypertonie, grippeartige Symptome wie Fieber und Schüttelfrost, durch Bevacizumab induzierte Thrombosen und Embolien. Auch eine reversible Proteinurie ist bei Bevacizumab-Therapie zu beobachten und erzwingt zuweilen eine Therapie-Pause. Weiters ist auf Blutungen (vor allem bei großen, gefäßnahen Metastasen der Lunge und bei präexistierenden Hämoptysen) zu achten. Sehr selten sind bei Patienten mit Risikofaktoren wie Divertikulose, St. p. Strahlentherapie im Bereich des Abdomens etc. auch ■ Darmperforationen beobachtet worden. Das bessere Verständnis für die Pathogenese des häufigsten Nierenzellkarzinomtyps, des klarzelligen Karzinoms, hat erst den Einsatz zielgerichteter Therapien bei dieser Erkrankung möglich und sinnvoll gemacht. Aus jetziger Sicht kann gesagt werden, dass diese Substanzen bei insgesamt gut beherrschbaren Nebenwirkungen beträchtliche Wirksamkeit zeigen. Große Erwartungen werden in synergistisch wirkende Kombinationstherapien gesetzt. Dringend sollte das Potenzial dieser modernen Therapien auch in der adjuvanten Situation, also in der Vorbeugung von Rezidiv/Metastasen nach Nephrektomie untersucht werden. Die Möglichkeit der ambulanten Gabe sollte dennoch keinesfalls zur Annahme veranlassen, dass diese Therapie frei von Nebenwirkungen ist. Ein regelmäßiges Monitoring von Blutbild, Blutdruck sowie EKG und Herzultraschall und nicht zuletzt die Erfahrung des betreuenden Arztes im Umgang mit diesen Medikamenten erscheint aus heutiger Sicht unerlässlich. Die Ära der Immuntherapie ist noch nicht restlos zu Ende, jedoch sollte sich die Anwendung auf jene ca. 5–10 % aller Patienten beschränken, die spezifische prädiktive und prognostische Kriterien für Immuntherapie erfüllen. Die breite Anwendung an der Gesamtpopulation von Nierenzellkarzinompatienten erscheint aus heutiger Sicht durch die Fülle an Daten zur Unwirksamkeit bei einer Vielzahl von Patienten obsolet. Einen gesicherten Einfluss auf das Überleben, auch im Stadium der Metastasierung, hat die Entfernung des Primärtumors. Dies konnte in 2 großen, randomisierten Studien belegt werden (Mikisch, Lancet 2001; Flanigan New Engl J Med 2001). Derzeit wird in Studien geprüft, ob der Stellenwert der Operation auch im Zeitalter moderner Therapien noch gegeben ist. 55 RADIKALE TUMORNEPHREKTOMIE UND ORGANERHALTENDE PROZEDUREN Chirurgische Konzepte beim Nierenzellkarzinom Univ.-Doz. Dr. Michael Rauchenwald Vorstand der Abteilung für Urologie und Andrologie, Sozialmedizinisches Zentrum Ost – Donauspital, Wien rotz der vor rund eineinhalb Jahren erfolgten Einführung der Tyrosinkinasehemmer (TKI) als wirksame medikamentöse Behandlungsform beim fortgeschrittenen bzw. metastasierten Nierenzellkarzinom ist die chirurgische Therapie nach wie vor die wichtigste und meist primäre therapeutische Maßnahme. können praktisch alle Tumoren jeder Größe und jeder Lage, auch im oberen Polbereich, ohne Erweiterung der Inzision nach thorakal reseziert werden. Bei Bedarf ist auch eine interaortokavale Lymphadenektomie möglich. Die Inzidenz des Nierenzellkarzinoms betrug in Österreich in den letzten 10 Jahren konstant zwischen 1.200 und 1.250 Fälle pro Jahr, auch die Mortalität blieb in diesem Zeitraum annähernd gleich und betrug konstant um die 420 Fälle pro Jahr. Männer sind häufiger betroffen als Frauen. Knapp 60 % der Nierenzellkarzinome sind bei Diagnosestellung lokalisiert, jeweils etwa 12–14 % regionalisiert bzw. disseminiert. Beim Rest ist laut Statistik Austria das primäre Tumorstadium nicht bekannt. Adrenalektomie: Bereits Mitte der 1990er-Jahre wurde die Notwendigkeit der begleitenden Adrenalektomie, Univ.-Doz. Dr. nicht zuletzt durch die aufgrund der Michael Rauchenwald Schnittbilddiagnostik verbesserten Möglichkeiten der präoperativen Diagnostik, hinterfragt und kritisch bewertet. Heute erscheint eine Mitnahme der Nebenniere im Rahmen der Tumornephrektomie nur mehr bei Tumoren von über 7 cm Durchmesser ( T2), einem Tumor am oberen Pol mit möglicher direkter Invasion sowie einem positiven CT- bzw. MRT-Befund indiziert. T Tumornephrektomie Die chirurgische Entfernung eines Nierentumors steht bei einem operationstauglichen Patienten in der Regel außer Zweifel, insbesondere wenn keine Fernmetastasen nachgewiesen werden können oder lokale Probleme mit Blutungen oder Schmerzen bestehen. Über fast 3 Jahrzehnte bestand die Therapie des Nierenzellkarzinoms in erster Linie in der radikalen Tumornephrektomie nach den Prinzipien von Robson (Journal Urology 1969). Diese umfassen eine frühe Kontrolle der zentralen Gefäße, Entfernung der tumortragenden Niere einschließlich ihrer Fettkapsel und der sie umgebenden Gerota’schen Faszie mit dem bedeckenden Peritoneum sowie die Mitnahme der ipsilateralen Nebenniere und der regionalen parakavalen bzw. paraaortalen Lymphknoten vom Zwerchfellschenkel bis in Höhe der Aortenbifurkation. Robson plädierte primär für einen transperitonealen bzw. thorakoabdominalen Zugang. Grundsätzlich ist der Zugang nicht standardisiert, auch ein eventuell modifizierter Flankenschnitt ist möglich. Persönlich bevorzuge ich den Rippenbogenrandschnitt, der bei Bedarf in Form einer Chevron-Inzision auf die gegenüberliegende Seite erweitert werden kann. Der Zugang zu den großen Gefäßen ist hierbei besonders gut möglich und es Chronische Insuffizienz der verbleibenden Niere: Nach radikaler Tumornephrektomie kommt es in der verbleibenden Niere zu einer Hyperperfusion, die insbesondere bei vorgeschädigtem Nierengewebe zu einer Verschlechterung der Nie- Abb. 1: OP-Präparat nach radikaler Tumornephrektomie bei einem großen papillären Nierenzellkarzinom (pT2 G3) bei einer 52-jährigen Frau 56 • elektive Indikation bei lokalisiertem ipsilateralen Nierenzellkarzinom mit gesunder kontralateraler Niere Abb. 2: Intraoperativer Situs nach Heminephrektomie und Versiegeln der Resektionsfläche mit einem Fibrinklebervlies nach Resketion eines 13 cm großen klarzelligen Nierenzellkarzinoms (pT2, Fuhrman Grad 3) links bei beiderseitigen Nierentumoren bei einer 54-jährigen Frau renfunktion führen kann. Eine Studie aus dem Memorial Sloan-Kettering Cancer Center in New York (Urology 2002) konnte nachweisen, dass Patienten nach einer radikalen Nephrektomie im Vergleich zur nierenerhaltenden Chirurgie bei vergleichbarer Tumorgröße ein höheres Risiko für eine chronisch progrediente Niereninsuffizienz aufweisen. Diese Daten dürften in Kürze von der Mayo Clinic bestätigt werden. Nierenteilresektion Bedingt durch die Verbreitung von Ultraschall und CT hat der durchschnittliche Tumordurchmesser seit Ende der 70er Jahre kontinuierlich abgenommen und bereits 1990 maßen etwa 50 % der neu entdeckten Tumoren weniger als 5 cm. Heute werden etwa 2/3 der Nierentumoren inzidentell entdeckt und über 70 % befinden sich bei Diagnosestellung im Stadium T1 (< 7 cm). Mit Zunahme kleinerer Nierentumoren wurde auch die Notwendigkeit einer radikalen Entfernung der gesamten Niere in Frage gestellt. Wir konnten an Hand einer österreichischen Multicenterstudie mit 120 Patienten bereits 1990 zeigen, dass die Nierenteilresektion bei damaligen T1-Tumoren (≤ 4 cm) praktisch eine 100%ige 10-Jahres-Überlebensrate zeitigte. Durch Novick et al. wurde später ebenfalls bestätigt, dass die „Nephron Sparing Surgery“ (NSS) bei Tumoren bis zu einer Größe von 4 cm gleich gute Ergebnisse zeigt wie die radikale Tumornephrektomie. Auf dieser Basis haben sich folgende onkologische Indikationen für die Nierenteilresektion etabliert: • absolute Indikation bei anatomischen oder funktionellen Einzelnieren • relative Indikation bei funktionstüchtiger kontralateraler Niere mit Gefahr des zukünftigen Funktionsverlustes, z. B. aufgrund einer nephrologischen Erkrankung oder bei Diabetes mellitus Die Tumorresektion selbst erfolgt nach Freilegen der gesamten Niere von einem Flankenschnitt aus in der Regel in Organischämie unter Belassen des perirenalen Fettes lediglich über dem Tumor. Hierzu wird nach Darstellen sämtlicher Nierengefäße und Nephroprotektion durch Gabe von 20%igem Mannit zuerst die Arterie geklemmt und 1 Minute später auch die Vene gedrosselt. Es erfolgt eine externe Kühlung der Niere mit sterilem Eis für 10 Minuten. Nach Inzision der Nierenkapsel mit dem Kauter wird der Tumor mit einem schmalen Saum gesunden Parenchyms auspräpariert, kleinere Gefäße werden bipolar koaguliert, die größeren mit feinem Nahtmaterial umstochen. Sollte das Hohlraumsystem eröffnet sein, wird dieses doppelt fortlaufend übernäht. Nach retrograder Prüfung des Hohlraumsystems auf Dichtigkeit wird der Blutstrom wieder freigegeben, etwaige stärkere Blutungen werden umstochen. Anschließend wird die Resektionsfläche mit einem mit Fibrinkleber benetzten Kollagenvlies ausgeklebt bzw. versiegelt (Abb. 2). Danach wird die Niere wieder in ihre Lage gebracht und die Fettkapsel verschlossen. Tumorlokalisation: Wurden früher in erster Linie peripher gelegene Tumoren bis 4 cm Größe organerhaltend reseziert, so wird an Zentren wie dem unseren die Indikation zunehmend auf alle T1-Tumoren, das heißt bis zu einem Tumordurchmesser von 7 cm, erweitert. Novick et al. (Journal Urology 1998) konnten in einer Vergleichsstudie zeigen, dass das onkologische Ergebnis bei Resektion zentral gelegener Tumoren mit einem karzinomspezifischen 5-Jahres-Überleben von 100 % gleich gut ist wie bei peripher gelegenen Tumoren. Auch das Risiko für ein Tumorrezidiv zeigte keinen statistisch signifikanten Unterschied. Die Resektion zentraler Tumoren ist allerdings technisch anspruchsvoller, es kommt naturgemäß zu einem häufigeren Eröffnen des Hohlraumsystems und die durchschnittliche Ischämiezeit ist verlängert. Es gibt aber praktisch keine Tumorlokalisation mehr, die für einen erfahrenen Operateur nicht resektabel wäre. Resektionsrand: Mit der Lage des Tumors nahe an den großen Gefäßen bzw. im Hilusbereich stellt sich auch die Frage der notwendigen Breite der Resektionsränder, um eine onkologisch bedenkenlose Resektion zu ermöglichen. Auch hier hat die Gruppe von Novick (Urology 2002) federführend zeigen können, dass bei einem durchschnittlichen Follow-up von 8,5 Jahren keine Assoziation zwischen der Breite des Resektionsrandes und einer Krankheitsprogression besteht. Aus heutiger Sicht ist lediglich zu fordern, dass ein negativer Resektionsrand besteht, der Tumor also knapp im Gesunden entfernt wurde. 57 Beiderseitige Nierentumoren: Die soeben geschilderten Bedingungen haben eine besondere Bedeutung bei Vorliegen von multiplen, eventuell sogar beidseitigen Nierentumoren. Hier ist ein besonders organschonendes bzw. organsparendes Vorgehen angezeigt. Beim Vorliegen bilateraler Nierentumoren wird in der Regel die geringer befallene oder leichter zu resezierende Seite zuerst operiert. Nach einer Erholungsphase von 6–8 Wochen wird die Funktion der operierten Niere überprüft, um bei operationstechnischen Problemen auf der stärker befallenen Seite eventuell die Option einer Nephrektomie zu haben. Generell muss gesagt werden, dass im Rahmen der organerhaltenden Tumorchirurgie meist mehr gesundes Organ erhalten werden kann, als von den präoperativen CT- oder MRT-Bildern zu erwarten gewesen wäre. Dignität kleinerer Nierentumoren: Ein weiteres Argument für ein organerhaltendes Vorgehen ist, dass vor allem bei kleinen Nierentumoren mit max. 4 cm Durchmesser in etwa 1/3 mit einem gutartigen Tumor zu rechnen ist. Dies konnte mit einer eigenen Serie am Landesklinikum St. Pölten als auch an Hand einer bereits publizierten Serie aus dem Donauspital (Urology 2004) gezeigt werden. In dieser Serie von 129 Patienten trat bei einem mittleren Follow-up von 34 Monaten in 0,8 % Lymphknoten-, in 1,6 % Fernmetastasen und in 0,8 % ein multilokulärer Tumor auf. Knapp 97 % der Patienten hatten keinen Hinweis auf eine weitere Erkrankung. Eine Sammelstatistik aus 3 erfahrenen europäischen Zentren ergab für Tumoren von durchschnittlich 3,4 cm Durchmesser im Rahmen eines median 8-jährigen Follow-ups eine 10bzw. 15-jährige karzinomspezifische Überlebensrate von über 96 %. Auch die Leitlinien der European Association of Urology (EAU) sehen die organerhaltende Nierentumorchirurgie als etablierte Methode an und stellen fest, dass Tumoren von 4–7 cm Größe an Zentren mit entsprechender Expertise bei geeigneten Fällen organerhaltend reseziert werden können. gung eines eröffneten Hohlraumsystems in der im Rahmen einer warmen Ischämie zur Verfügung stehenden kurzen Zeit von maximal 30 Minuten, da die laparoskopische intrakorporale Naht in der Regel deutlich mehr Zeit in Anspruch nimmt als die offen chirurgische. Anspruchsvollere Tumoren sind diesbezüglich nur speziellen Zentren vorbehalten. Alternative minimal invasive Verfahren Die neueren minimal invasiven Verfahren zur Tumorablation, wie die Radiofrequenz- oder Kryoablation bzw. Ablation mit Laser oder hochfokussiertem Ultraschall stellen keine etablierten Behandlungsverfahren dar, werden aber speziell bei älteren oder multimorbiden nicht operationstauglichen Patienten mit eingeschränkter Lebenserwartung im Einzelfall angewendet. Für die besonders schonenden perkutanen Techniken sind hierbei Größe und Lage des Tumors limitierend. Bei großen blutenden Nierentumoren und mangelnder Operationstauglichkeit oder zur Unterstützung der Operation bei großen Expansionen mit schwer zugänglichem Nierenhilus kann im Einzelfall die radiologisch geführte perkutan-transluminale (präoperative) Embolisation der Nierenarterie hilfreich sein. Vena-cava-Tumorthrombus Das Ausmaß bzw. der Level eines intravenösen bzw. intrakavalen Tumorthrombus bestimmt die Prognose weniger als die biologische Aggressivität des Tumors. Natürlich liegt bei einem intrakavalen Tumorthrombus in der Regel ein höheres Tumorstadium mit einem höheren Tumorgrad vor. Auch die Wahrscheinlichkeit von begleitenden Lymphknoten- oder Fernmetastasen ist bei Vorliegen eines Tumorthrombus in der Laparoskopie Die laparoskopische Tumornephrektomie kann bei Tumoren des Stadiums T1–T2, wenn keine Indikation zur Nierenteilresektion vorliegt, als Standard angesehen werden. Je nach Situation kann auch hier retroperitoneoskopisch bzw. laparoskopisch transperitoneal zugegangen werden. Die Lokalisation und Größe der Expansion werden hier das Vorgehen bestimmen. Bei der Nierenteilresektion ist allerdings das offen chirurgische Vorgehen noch als Standard anzusehen. In der Praxis werden hilusferne, peripher gelegene, kortikale Läsionen von < 4 cm Durchmesser ohne Verdacht auf Befall des Hohlraumsystems sowie der Nierenvenen in warmer Ischämie laparoskopisch reseziert. Problem der laparoskopischen Nierenteilresektion ist die suffiziente Blutstillung und Versor- Abb. 3: CT-Längsschnitt eines ausgedehnten klarzelligen Nierenzellkarzinoms rechts (Grad 3 nach Fuhrman) mit Infiltration des perirenalen Fettgewebes (pT3b) und Tumorzapfen in der Vena cava (Level 1) bei einem 55-jährigen Mann 58 Metastasenchirurgie rechte Nierenvene Vena cava Abb. 4: Intraoperativer Situs zu Abb. 3 – partiell ausgeklemmte und eröffnete Vena cava mit bereits extrahiertem Tumorzapfen Das Nierenzellkarzinom metastasiert bevorzugt in Lunge, Knochen, Gehirn, Nebenniere und Leber. Solitäre Metastasen sollten, wann immer möglich, reseziert werden. Dies gilt auch für sequenziell auftretende Filii. Je länger das Intervall von der Entfernung des Primärtumors bis zum Auftreten von Fernmetastasen, desto besser die Prognose bei Entfernung derselben. Nach Entfernung solitärer Metastasen werden 5Jahres-Überlebensraten von bis zu 35 % angegeben. Die beste Prognose haben solitäre Lungenmetastasen mit bis zu 54 %. Wie bereits erwähnt, sollte bei primärem Vorliegen von Metastasen trotzdem eine zytoreduktive Entfernung des Tumors angestrebt werden, um den Erfolg einer adjuvanten Therapie mit TKI zu verbessern. Chirurgie eines Lokalrezidivs Vena cava doppelt so hoch. Im Sinne einer zytoreduktiven Chirurgie, deren Wert für eine adjuvante Immuntherapie im Rahmen zweier Studien bewiesen werden konnte (Flanigan, NEJM 2001; und Mickisch, Lancet 2001), sollte bei operationstauglichen Patienten die Tumornephrektomie mit Kavotomie und Extraktion des Tumorthrombus auf alle Fälle versucht werden. Das Ausmaß des Tumorthrombus bestimmt dabei auch das gefäßchirurgische Vorgehen. Dies kann von einem partiellen Ausklemmen der Vena cava (Abb. 4) über eine komplette passagere Okklusion der subhepatischen Vena cava einschließlich zuführender Gefäße bis zu einem partiellen Cava-Ersatz durch eine Gefäßprothese oder einem partiell extrakorporalen Kreislauf mit Hilfe der Herz-LungenMaschine reichen. Im extremsten Fall eines bereits länger dauernden Verschlusses der infrarenalen Vena cava hat sich mitunter ein derartig ausgeprägter Kollateralkreislauf entwickelt, dass die obliterierte große Hohlniere vollständig reseziert bzw. ligiert werden kann. Lokale Rezidive in der Nierenloge sind sehr selten und werden mit 2 % der operierten Patienten angegeben. Die Entscheidung zur Resektion eines Lokalrezidivs muss sehr individuell getroffen werden, kann aber im Einzelfall eine deutliche Lebensverlängerung mit verbesserter Lebensqualität zur Folge haben. Wenn keine Fernmetastasen vorliegen, werden 5-Jahres-Überlebensraten von ca. 50 % angegeben. Neoadjuvante TKI-Therapie Ob der neoadjuvante Einsatz der neuen TKI eine verbesserte Operabilität von primär lokal weit fortgeschrittenen, scheinbar inoperablen Nierenzellkarzinomen bringen wird, bleibt ■ abzuwarten und ist Gegenstand laufender Studien. Literatur beim Verfasser Lymphadenektomie Der kurative Wert einer ausgedehnten radikalen retroperitonealen Lymphadenektomie konnte nie bewiesen werden. In der Regel wird im Rahmen der Tumornephrektomie regional entlang der großen Gefäße lymphadenektomiert, insbesondere wenn makroskopisch vergrößerte Lymphknoten vorliegen. Dies dient in erster Linie dem Staging. Eine EORTC-Studie konnte zeigen, dass bei negativer präoperativer Bildgebung nur in 3,3 % positive Lymphknoten vorhanden waren und die Lymphadenektomie keinen Überlebensvorteil erbrachte. Der Lymphabfluss der Niere ist sehr variabel, insbesondere scheinen direkte Lymphverbindungen in das Mediastinum vorzuliegen. Die chirurgische Entfernung des Primärtumors ist nach wie vor die Basis der Therapie des Nierenzellkarzinoms. Bei auf die Niere beschränkten Tumoren bis 7 cm Durchmesser wird primär eine Organerhaltung angestrebt. Ansonsten wird auch bei Vorliegen von Metastasen bei operationstauglichen Patienten die radikale Tumornephrektomie empfohlen. Ein aggressives chirurgisches Vorgehen erscheint auch bezüglich Fernmetastasen, wann immer möglich, angezeigt. Patienten mit multiplen Metastasen und schlechtem Performance-Status sollten primär medikamentös behandelt werden.