Unter Sterndeutern

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Unter Sterndeutern
Kocku von Stuckrads Geschichte der Astrologie
Von Helmut Zander
Die «Neue · Zürcher Zeitung» · enthält ihren
Lesern vor, was Millionen Menschen tagtäglich
konsultieren: das Horoskop. Wer wissen will, ob
diese «Zensur» gerechtfertigt ist, kann jetzt in
Kocku von Stuckrads Geschichte der Astrologie
nachschlagen. Sie beginnt bei der steinzeitlichen
Sternkunde, einschliesslich neuester Funde wie
der 2002 entdeckten Himmelsscheibe aus dem
sächsischen Nebra, und endet bei den letzten Versuchen des letzten Jahrtausends, mit Hilfe statistischer Berechnungen die Astrologie zu widerlegen oder zu bestätigen. Dazwischen lag die formative Phase in der Antike: Wir erfahren, dass
schon die Mesopotamier nicht nur Himmelsphänomene als Omina deuteten, sondern b ereits
Prognosen aus G estimkonstellationen ableiteten.
Und auch das übrige Instrumentarium, das Astrologen bis heute nutzen, war seit der Antike b eisammen: Man zeichnete Figuren, die «Tierkreiszeichen», in den Himmel (vermutlich als Hilfsnetz, das es Seeleuten erleichterte, die Sterne zur
Navigation richtig zuzuordnen), man erstellte ·p ersönliche Horoskope, und man las s~atliches Han~
dein · in einem stellaren Zusammenhang. Die
Astrologie gehörte damit, weil sie hoch qualifiziertes astronomisches Wissen voraussetzte und
produzierte, zum Kanon der Wissenschaft.
Aber schon Cicero formulierte die fundamentale Kritik: Wie soll man die Abweichungen d er
Sternbilder in unterschiedlichen Breitengraden erklären? Teilten alle, die in der Schlacht von Cannae fielen, das gleiche Schicksal? Und warum entwickeln sich Zwillinge unterschiedlich? Ist die
Astronomie, lautet die dahinter stehende Frage,
detenninistisch? Die As trologen wussten sich diesem Vorwurf zu entziehen, indem sie etwa den
Stand der Gestirne als Bedingungsrahmen nahmen, in dem sich die individuelle Existenz frei
entfalte. Auch den Verlust des geozentrischen
Weltbildes überstand die Astrologie, indem sie
eine je p ersönliche und insoweit erdbezogene
Konstellation postulierte. Aber nachdem die
moderne Astronomie die Vorstellung verabschiedet hatte, die Sterne seien belebt, die zentrale
Voraussetzung ihrer Einwirkung auf die Menschen in der Antike, ging die traditionelle Begründung der Astrologie unter - nicht aber die Astrologie. Sie schuf sich neu, indem sie die Gestimkonstellation zum Psychogramm erklärte. Vergleichbar der Lehre von den vier Temperamenten
oder der Theorie des «Enneagramms» mit seinen
neun Persönlich keitstypen sucht die Astrologie
heute, psychologische Komplexität auf ein be-
greifbares Mass zu reduzieren - und ist mit ihren
zwölf Tierkreissegmenten und deren Unterteilungen in sogenannte Häuser noch vergleichsweise
vielschichtig. Bei diesem Ansatz ist es dann nicht
so tragisch (wenngleich vielen Astrologen ein
Greuel), wenn Horoskope nach dem Zufallsprinzip aus dem Computer geschüttelt werden.
Von Stuckrad, Mitarbeiter am Lehrstuhl für ·
Hermetische Philosophie an der Universität Amsterdam, hat die gut 3000-jährige Geschichte der
Astrologie souverän (aber beschränkt auf Europa)
nachgezeichnet und damit nach Wilhelm Knappichs älterer (aber universalhistorisch angelegter)
Darstellung neue Massstäbe für die kulturhistorische Analyse der Astrologie gesetzt. Daneben
sind die astrologischen Konstruktionen meist
nachvollziehbar erläutert, und in einem Glossar
ist die astrologische Eigen sprache erklärt. Gleichwohl liest sich das Buch nicht ganz leicht, weil es
' Kocku ·von Stuckrad : Geschichte der Astrologie.
· Von···d en Anflingen bis zur Gegenwart. Verlag
C. H. ·Beck, München 2003. 413 S., Fr. 42.-."
den schwierigen Spagat zwischen Wissenschaftlichkeit und Popularität sucht:· Die vielen Nachweise im Text machen die Lektüre zu einem Hürdenlauf, und ·über weite Strecken gerät der Text
zu einem Handbuch, kehren doch seit der Antike
viele Themen mit wenigen Veränderungen immer
wieder.
Streiten kann man auch über die Umsetzung
von Stuckrads wissenschaftspolitischer Absicht,
das neu entstehende Forschungsgebiet der euro. päischen «Esoterik» mit Hilfe der Astrologie präsent zu machen: Geh örte die Sterndeutung dort
wirklich in allen Zeiten hin? Vielleicht erl'"Järt die
Etablierung eines neuen Forschungsterrains auch
manch hartes Urteil gegen die Konkurrenten der
Astrologie wie das Christentum. So bezeichnet
von Stuckrad die Bekämpfung der Astrologie als
«Kriminalisierung» nur dort, wo sie im frühen
Christentum geschah : Dabei findet sich die
Staatskirche vereint mit Tertullian, d er diese Kirche bekämpfte, und mit Origenes, d er von ihr bekämpft wurde. Vielleicht b raucht die historische
Esoterikforschung in der Anfangsphase solche
Vereindeutigungen, um ihren Ort, etwa gegenüber
der Kirch engeschichte, zu finden. Aber vennutlich löst sich in der «wahren» Geschichte das
Schwarz und Weiss d er wissensch aftlichen Disziplinen in die Graustufen des Lebens auf.
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