„Neuropsychotherapie“ – theoretische und

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Neuropsychotherapie
Schwerpunkt
Schwerpunkt
„Neuropsychotherapie“ –
theoretische und praktische Implikationen
eines „gewagten Konstruktes“
Matthias Berking & Hans Jörg Znoj
Zusammenfassung: Die Erkenntnisse der (affektiven) Neurowissenschaften sind einerseits
von großer Bedeutung für die Modellbildung und Interventionsentwicklung in der klinischen
Psychologie. Andererseits besteht jedoch die Gefahr, dass neuronale Modelle und Befunde
bei dem Versuch, sie für die konkrete therapeutische Praxis nutzbar zu machen, so stark
vereinfacht werden, dass sie der Realität bzw. den tatsächlichen empirischen Befunden nicht
mehr entsprechen. Vor diesem Hintergrund soll anhand von Beispielen aufgezeigt werden,
wie (a) relativ gesicherte Befunde der Neurowissenschaften schon heute wirkungsvoll in
Modelle zur Entwicklung psychischer Störungen integriert werden können, und wie (b) diese Befunde für die Entwicklung effektiver therapeutischer Interventionsmethoden genutzt
werden können.
Schlüsselwörter: Neuropsychotherapie, Störungsgenese, Emotionale Kompetenz, Training
Emotionaler Kompetenzen
“Neuropsychotherapy” –
theoretical and practical implications of an “adventurous concept”
Summary: Many findings from the (affective) neuroscience have important implications for
the development of theories and interventions in the field of clinical psychology. But care has
to be taken that the attempt to make use of these theories and findings in clinical practice
does not result in oversimplified models and statements that do not fit with empirical finding.
With this in mind we will present two examples of (a) how findings from the (affective)
neurosciences can be integrated into comprehensive theories that explain the development
of mental disorders and (b) how these finding can be used for the development of effective
clinical interventions methods.
Keywords: Neuropsychotherapy, etiology, psychopathology, emotion regulation skills, emotion regulation skill training
1. Einleitung
Klaus Grawe hat die großen Würfe immer geliebt.
Nachdem er in herausragender Weise die Erkenntnisse der Psychotherapieforschung und der Allgemeinen Psychologie nutzte, um die Entstehung und
Aufrechterhaltung psychischer Störungen besser
verstehen und dadurch deren Behandlung verbessern
zu können, wandte er sich in seinen letzten Lebensjahren dem Gebiet der (affektiven) Neurowissenschaften zu. Diese Ausrichtung war von der Überzeugung geleitet, dass in diesem Gebiet zurzeit in
rascher Folge bedeutsame Erkenntnisse gewonnen
werden, die für die Psychotherapieforschung von
großer Relevanz sind. Vor dem Hintergrund von
Erkenntnissen, die zeigen, dass psychotherapeu-
tische Interventionsverfahren die neuronale Verarbeitung im Gehirn kurz- und langfristig verändern
können, sah er es an der Zeit, dass Psychotherapeuten
das „bio“ im „bio-psycho-sozialen“ Krankheitsmodell nicht mehr nur als unveränderbare oder nur von
Psychiatern veränderbare Größe betrachten sollten.
Psychotherapeuten seien vielmehr aufgefordert, sich
über die Funktionsweisen des Gehirns zu informieren und sich Gedanken dazu zu machen, mit welchen
psychotherapeutischen Methoden sich die neuronalen Grundlagen des Erlebens und Verhaltens so
verändern lassen, dass psychischen Krankheiten
und Problemen die Grundlage entzogen wird. Doch
dieser Ansatz birgt durchaus Risiken. So sind die
biologischen Mechanismen zum einen so komplex,
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dass sie notwendigerweise mit vereinfachenden
Modellen beschrieben werden müssen, um sie für
das psychotherapeutische Setting handlungsrelevant
zu machen. Dabei besteht die Gefahr, dass vereinfachende Modelle und Annahmen der Realität den
tatsächlichen empirischen Befunden nicht mehr
gerecht werden. Eventuell sind psychologische Modelle viel besser geeignet, das komplexe Funktionieren eines biologischen Systems in toto zu erfassen. Neuropsychotherapeutische Theoriebildung
muss deswegen entscheiden, an welcher Stelle welche Erklärungsebene den größten heuristischen
Gewinn mit sich bringt. Um zu veranschaulichen,
wie die Befunde der Neurowissenschaften in multimodale Modelle der Entstehung psychischer Störungen integriert werden können, soll zunächst das
Berner Modell der Entwicklung psychischer Störungen aus einer biographischen Perspektive vorgestellt werden. Das Modell basiert zu großen Teilen auf den Überlegungen von Klaus Grawe (2004),
geht aber an bestimmten Punkten auch über diese
hinaus. Es stützt sich primär auf Befunde aus der
klinischen Psychologie, der Entwicklungspsychologie, der Sozialpsychologie und der Allgemeinen
Psychologie. Es integriert jedoch dort vergleichsweise abgesicherte Befunde aus den Neurowissenschaften, wo dies unseres Erachtens mit einem
bedeutsamen Erkenntnisgewinn verbunden ist. Am
Beispiel des Trainings Emotionaler Kompetenzen
soll anschließend illustriert werden, wie die Erkenntnisse der Neurowissenschaften schon heute
in der konkreten psychotherapeutischen Praxis genutzt werden können.1
2. Ein „neuro“-psycho-soziales Modell
der Entwicklung psychischer Störungen
Im Folgenden soll die prototypische Entwicklung
einer psychischen Störung im Laufe des Lebens
einer fiktiven Person skizziert werden. Mit dieser
biographischen Perspektive wird dem Umstand
Rechnung getragen, dass psychische Störungen
nicht „vom Himmel fallen“, sondern sich über die
Zeit und unter bestimmten Umständen entwickeln.
Die Zeitachse verläuft in diesem Modell von links
nach rechts, das heißt, am linken Rand der Graphik
liegt die Geburt der fiktiven Person und am rechten
Rand der Moment, an dem es zur Ausbildung einer
manifesten psychischen Störung kommt. Das Modell
Teile dieses Artikels stammen aus Berking (in Druck).
Das Training Emotionaler Kompetenzen – Manual für
Gruppenleiter. Berlin: Springer.
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expliziert Risikofaktoren für die Entwicklung psychischer Störungen. Je mehr von diesen Faktoren
vorliegen, desto wahrscheinlicher ist die Entwicklung einer psychischen Störung (multifaktoriellprobabilistisches Modell). Die einzelnen Komponenten und Zusammenhänge des Modells werden
in den sich anschließenden Abschnitten näher erläutert.
2.1 Startbedingungen: Genetische Einflüsse
und frühe Inkonsistenzerfahrungen
Die Wurzeln für die Entwicklung psychischer Störungen reichen in der Regel weit in die Vergangenheit zurück. Schon im Moment der Geburt stehen
wichtige Faktoren fest, die die Vulnerabilität eines
Menschen für die Entwicklung psychischer Störungen wesentlich beeinflussen. Dabei handelt es
sich einerseits um das genetische Programm, mit
dem das Neugeborene ausgestattet ist (vgl. Abbildung 1, Punkt 1). Dieses kodiert zum einen die
Vulnerabilitäten für spezielle Störungen und zum
anderen das Temperament, welches ab dem Zeitpunkt der Geburt in bedeutendem Maß die Interaktionen beeinflussen wird, die das Kind mit seiner
Umwelt hat (Tellegen et al., 1988). Der zweite früh
wirkende Einflussfaktor ist der Verlauf von Schwangerschaft und Geburt. Es gibt mittlerweile eine
Reihe von neurowissenschaftlichen Befunden, die
darauf hindeuten, dass sich z. B. unkontrollierbarer
Stress für die Mutter während der Schwangerschaft
und Komplikationen bei der Geburt negativ auf die
Systeme im Gehirn des Kindes auswirken, die für
die Emotionsregulation verantwortlich sind (s. z. B.
Viltart et al., 2006 oder Wurmser et al., 2006). Der
dritte wichtige Einflussfaktor, der zum Zeitpunkt
der Geburt bereits feststeht, sind die Eltern des
Kindes. Deren Verfügbarkeit und Verhalten (bzw.
das von eventuell stellvertretend eintretenden Bezugspersonen) hat einen zentralen Einfluss auf die
Entwicklung einer guten Emotionsregulation. Wenn
sich die primären Bezugspersonen nicht gut um die
Bedürfnisse des Kindes kümmern (können), wird
dieses oft „Inkongruenz-Erfahrungen“ machen (vgl.
Abbildung 1, Punkt 2). Das heißt, es wird Wahrnehmungen machen, die nicht mit seinen Zielen und
Bedürfnissen im Einklang stehen (vgl. Grawe, 1998,
2004). Die Diskrepanz von Zielen/Bedürfnissen
auf der einen und den aktuellen Wahrnehmungen
auf der anderen Seite wird beim Kind zu einer
Stressreaktion führen. Dabei wird die Amygdala
– das Angst- und Stresszentrum im zentralen Nervensystem – eine erhöhte mentale und körperliche
Aktivierung einleiten (vgl. Abbildung 1, Punkt 3).
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Abbildung 1: Das Berner Modell der Entstehung psychischer Störungen aus einer biographischen
Perspektive
Risikofaktor 1
Genetische 1
Vulnerabilität
+
Risikofaktor 2
Leicht
3
auslösbare,
intensive und
lang andauernde
StressReaktionen
2
Frühe
InkongruenzErfahrungen
Starke und nicht
kontrollierbare 4
neg. Emotionen
7
Keine
Unterstützung bei
Emotionsregulation
Keine guten ERModelle
12
Angst vor
Gefühlen
13
Vermeidungs-
schemata
Geringe 11
emotionale
Selbstwirksamkeit
8
Abwertung, wenn
negative
Emotionen gezeigt
werden
9
Entwicklungs 5
schäden
bei PFC
&
Hippocampus
Negative
Emotionen
triggern
negatives
Selbstbild
10
+
Risikofaktor 3
Externe 17
Ereignisse
Vermeidung von 14
Situationen, die
negative
Emotionen triggern
Verdrängung
I
15
N
Kurzfristige 16
Spannungsreduktion durch
prä-pathologische
mentale Aktivitäten
(die Kontrolle
suggerieren):
18
hohes 19
Arousal
+
20
keine sekundäre
Kontrollerfahrung
K
O
N
Neurotoxische 21
Effekte von
Stress-Hormonen
G
R
Sich-Sorgen
Ruminieren
„Musturbieren“
Substanzgebrauch
Checking
Etc.
U
Hemmung von
hemmenden
PFC-Arealen
22
E
N
Z
Expression von23
genetischen
Risikofaktoren
24
Emotions-Regulations-Defizite
6
Psychische
Störungen
Zeit
Anmerkung:Die Erläuterungen zu den nummerierten Kästchen finden sich im Text.
Diese Aktivierung soll Handlungen erleichtern, die
zu Zielerreichung und Bedürfnisbefriedigung führen. Mit der erhöhten mentalen Aktivierung geht
(zunächst) auch eine Erhöhung der Lernbereitschaft
einher, die dafür sorgt, dass erfolgreiche Handlungen auch in Zukunft in ähnlichen Situationen
leichter abgerufen werden können. Wenn die Bezugspersonen auf die Inkongruenz-Signale des
Kindes angemessen reagieren, wird die Stressreaktion durch diesen „Eingriff von außen“ beendet.
Kinder sind zu Beginn ihres Lebens in hohem Maße
auf eine solche „externe Regulation ihrer Emotionen“ angewiesen und können erst nach und nach
lernen, ihre Emotionen selbst aktiv zu regulieren.
Befunde aus der Entwicklungspsychologie und aus
den Neurowissenschaften stützen die Hypothese,
dass die „externe Emotionsregulation“ in einer
guten Bindung wichtig ist für die Ausbildung der
neuronalen Strukturen, die es dem Kind ermöglichen, seine Stressreaktionen und negativen Gefühle
zunehmend eigenständig zu regulieren (z. B. Hofer,
1984, 1987; Ogawa et al., 1994; zusammenfassend
Grawe, 2004). Wenn das Kind trotz intensiven
Bemühens keine externe Unterstützung bei der
Regulation der Stressreaktion erfährt, macht es die
Erfahrung, dass es seine Umwelt in wichtigen Belangen nicht kontrollieren kann. Dieses Erleben
von Kontrollverlust (vgl. Abbildung 1, Punkt 4)
geht auf der physiologischen Ebene mit gänzlich
anderen Prozessen einher als das Erleben von kontrollierbarem Stress (vgl. Hüther, 1998). Bei einer
unkontrollierbaren Bedrohung der Grundbedürf38. Jg. (4), 777-778, 2006
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nisse kommt es zur verstärkten Ausschüttung von
Stresshormonen, die die Funktionsfähigkeit von
Bereichen beeinträchtigen, die Stressreaktionen
und negative Emotionen herunterregulieren können.
Dabei handelt es sich zum einen um die orbitofrontalen, die ventromedialen und die dorsolateralen
Bereiche des präfrontalen Kortex (PFC) und zum
anderem um den Hippocampus (vgl. Abbildung 1,
Punkt 5). Diese Bereiche werden durch einen anhaltend erhöhten Spiegel dieser Stresshormone auch
in ihrer Entwicklung beeinträchtigt. Somit resultiert
aus häufigen, intensiven und unkontrollierbaren
Verletzungen der Grundbedürfnisse eine defizitäre
Ausbildung der „Hardware“, die für die effektive
Regulation von Stressreaktionen und negativen
Gefühlen (vgl. Abbildung 1, Punkt 6) notwendig
ist (z. B. Graham, Heim, Goodman, Miller & Nemeroff, 1999; oder Nemeroff, 2004).
2.2 Defizitäre Lernmöglichkeiten in der späteren Kindheit
Doch der Einfluss der primären Bezugsperson geht
noch weiter. Mit dem Heranwachsen des Kindes
steigen prinzipiell auch seine Möglichkeiten, selbst
aktiv auf seine Stressreaktionen und negativen
Gefühle Einf luss zu nehmen. Bei dem Erwerb
diesbezüglicher Strategien und Fertigkeiten ist das
Kind allerdings auf Unterstützung angewiesen.
Wenn sich eine Mutter liebevoll und gekonnt um
ein Kind kümmert, wenn es diesem nicht gut geht,
wird sie dazu eine Reihe von Strategien einsetzen.
Sie wird sich zuerst dem Kind freundlich zuwenden.
Sie wird das Kind fragen, was los ist und ihm dabei
Angebote machen, wie man den aktuellen Gefühlszustand bezeichnen könnte („Bist du wütend?“).
Dann wird sie fragen, warum sich das Kind so fühlt
(„Was ist denn passiert?“) und dabei signalisieren,
dass sie das Erleben des Kindes verstehen kann
(„Ach, aber das ist ja auch wirklich blöd!“). Dann
wird sie mit dem Kind zusammen nach Veränderungsmöglichkeiten suchen („Was können wir denn
da tun?“) und letztlich wird sie ihm Unterstützung
anbieten und ihm Mut machen, dass es diese Ideen
auch umsetzen kann („Komm, ich helfe dir dabei,
zusammen schaffen wir das“). Durch diese Art von
„emotionalem Coaching“ in einer guten Bindung
(vgl. Abbildung 1, Punkt 7) kann das Kind dann
lernen, Emotionen wahrzunehmen, zu benennen,
zu verstehen, zu akzeptieren und sich selbst in
emotional schwierigen Situationen zu unterstützen.
Dadurch wird es dem Kind möglich, angstfrei und
offen mit problematischen Gefühlen zu experimentieren, so dass es im Laufe der Zeit immer mehr
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Strategien sammeln kann, mit denen man Stresszustände und negative Gefühle positiv beeinflussen
kann. Bleibt diese Unterstützung aus, fehlen diese
Kompetenzen. In diesem Fall kann das Kind immer
noch versuchen, über die Beobachtung nahestehender Personen diese Strategien zu erwerben. Aber
die Möglichkeiten des Modelllernens (vgl. Abbildung 1, Punkt 8) bestehen nur in dem Umfang, in
dem die Bezugspersonen auch selbst über effektive
Emotionsregulationskompetenzen verfügen. In einer Familie, in der die Eltern selbst keine guten
Emotionsregulationskompetenzen besitzen, in der
die Mutter bei jeder Enttäuschung depressiv wird
und der Vater bei jedem Ärger zur Flasche greift,
wird es für das Kind schwer sein, diese Strategien
von seinen Eltern zu lernen. Wenn das Kind dann
weiter mit dem ihm angeborenen Reaktionsrepertoire auf negative Gefühle reagiert (z. B. mit Weinen, Schreien, Wutausbrüchen) kann es zu einer
nicht unbeachtlichen Stressquelle für die Bezugspersonen werden. Vor allem dann, wenn diese selbst
ihre Emotionen nicht gut regulieren können, besteht
die Gefahr, dass sie in diesen Situationen dem Kind
gegenüber mit Abwertung und Aggression (vgl.
Abbildung 1, Punkt 9) begegnen („Du Schreihals“,
„Du Heulsuse“, „Du kleiner Teufel“). Durch die
häufige Kombination von negativen Emotionen
einerseits und dem Erleben von verbaler und/oder
nonverbaler Abwertung bzw. körperlichen und/oder
verbalen Angriffen andererseits wird beim Kind
ein mit negativen Emotionen assoziiertes negatives
Selbstbild aufgebaut. Wenn das Kind dann zukünftig negative Emotionen erlebt, werden diese jedes
Mal das negative Selbstbild „triggern“ (vgl. Abbildung 1, Punkt 10). Dadurch kommt es zu einer
zusätzlichen Bedrohung des Bedürfnisses nach
Selbstwerterhöhung, wodurch die Inkongruenz
weiter erhöht wird. Damit einher geht die Aktivierung zusätzlicher, belastender Gefühle, wie z. B.
Angst vor den Reaktionen anderer, Schuld oder
Scham. Diese „sekundären“ Gefühle erschweren
dann zusätzlich den konstruktiven Umgang mit
den „primären“ problematischen Stressreaktionen
oder Gefühlen und untergraben emotionsbezogene
Selbstwirksamkeitserwartungen (vgl. Abbildung 1,
Punkt 11).
Damit haben wir auf Seiten der Bezugspersonen
drei Faktoren, die den Erwerb einer guten Emotionsregulation behindern können: (1.) Das Fehlen
des Coachings in emotional belastenden Situationen,
(2.) das Fehlen von Modellen und (3.) die Abwertung
in emotional belastenden Situationen. Je zahlreicher,
anhaltender und ausgeprägter diese Faktoren sind,
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umso schwieriger wird es für das Kind sein, eine
gute Emotionsregulation aufzubauen. Da diese Faktoren sich untereinander bedingen bzw. gemeinsame
Ursachen haben, kann man davon ausgehen, dass
sie gehäuft gemeinsam auftauchen. Wenn diese
Beeinträchtigungen des Erwerbs einer effektiven
Emotionsregulation zusammen mit häufigen Inkongruenzerfahrungen und/oder bei einem Kind mit
einem „schwierigen Temperament“ auftreten, kommt
es dazu, dass diese Kinder häufig anhaltende, ausgeprägte und unkontrollierbare Stressreaktionen
und negative Emotionen erleben. Und dies kann
gravierende Konsequenzen haben: Unkontrollierbare innerpsychische Stresszustände bedrohen in
hohem Maße die Funktionsfähigkeit des psychischen
Systems (s. o.). Deswegen werden in diesen Situationen Ängste (vgl. Abbildung 1, Punkt 12) ausgelöst
und Vermeidungsschemata (vgl. Abbildung 1, Punkt
13) aktiviert. Diese initiieren Verhaltensweisen, die
diesen Zustand möglichst schnell beenden sollen.
Da dieses Vermeidungsverhalten eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung der Emotionsregulationsdefizite und der Entwicklung psychischer Störungen spielt, sollen die drei wichtigsten Arten von
Emotionsvermeidung kurz vorgestellt werden.
2.2.1 Situationsvermeidung
(vgl. Abbildung 1, Punkt 14)
Eine Möglichkeit, unkontrollierbare, unangenehme
Emotionen zu vermeiden, besteht darin, Situationen
aus dem Weg zu gehen, die diese Emotionen auslösen. Durch ein solches Vermeidungsverhalten wird
allerdings auch das Erreichen wichtiger Annäherungsziele behindert, da viele Ziele nur erreichbar
sind, indem man sich Situationen stellt, die zunächst
auch negative Gefühle auslösen.
2.2.2 Verdrängung (vgl. Abbildung 1, Punkt 15)
Eine zweite Möglichkeit besteht darin, negative
Gefühle nicht bewusst wahrzunehmen, sondern zu
verdrängen. Mit dieser Möglichkeit geht der Nachteil einher, dass die Ressource, belastende Erlebnisse
kognitiv und emotional verarbeiten zu können, nicht
genutzt werden kann. Dies kann dann dazu führen,
dass die Zustände körperlicher Erregung, die durch
die Belastung ausgelöst wurden, länger als nötig
anhalten und dann zu körperlichen Beschwerden
führen. Außerdem wird der Erfahrungsraum um
den Bereich negativer Emotionen beschnitten, was
je nach Weltbild schon als ein Verlust an sich gesehen werden kann. Das Fehlen emotionaler Reaktionen kann sich letztlich auch beeinträchtigend auf
soziale Beziehungen auswirken, da diese ihre Le-
Schwerpunkt
bendigkeit zu großen Teilen aus dem Austausch
emotionaler Signale beziehen.
2.2.3 Aktivierung mentaler Prozesse,
die ablenken und/oder Kontrolle suggerieren
und/oder die Stimmung kurzfristig „reparieren“
(vgl. Abbildung 1, Punkt 16)
Diese dritte Möglichkeit der Emotionsvermeidung
ist für das Verständnis psychischer Störungen wohl
am relevantesten. Sie besteht darin, Prozesse zu
aktivieren, die von der schmerzhaften Emotion
ablenken und/oder Kontrollierbarkeit suggerieren
und/oder die Stimmung kurzfristig „reparieren“.
Die Ablenkung kann zum Beispiel darüber erfolgen,
dass man mit der Aufmerksamkeit auf Körperempfindungen fokussiert, die eine potenzielle Gefahr
für die Gesundheit signalisieren. Da die „Sicherung
der körperlichen Unversehrtheit“ in der Zielhierarchie von Lebewesen in der Regel einen zentralen
Platz einnimmt, beinhalten solche Somatisierungsprozesse ein hohes Ablenkungspotenzial. Um Kontrolle zu erleben, kann man sich z. B. Sorgen machen.
Dabei suggeriert das ständige Analysieren, dass
man Ursachen finden und daraus Handlungspläne
entwickeln kann. Damit wird die Situation wieder
eher als kontrollierbar erlebt. Um kurzfristig die
Stimmung zu verbessern, kann man z. B. psychoaktive Substanzen konsumieren. Damit stimuliert
man Zentren im Gehirn, die für positive Stimmungen zuständig sind, und reduziert so den vorherigen
aversiv-unkontrollierbaren Zustand. Neben den
exemplarisch aufgeführten Prozessen des Somatisierens, des Sich-Sorgens und des Drogenkonsums
können eine Vielzahl weiterer Prozesse eine wichtige Funktion bei der kurzfristigen Emotionsregulation spielen, wie z. B. Selbstabwertung, Selbstbeschuldigung, Abwertung anderer, Anklammern an
andere, Rumination, überzogene Zielsetzungen,
Essen und Essanfälle, Fasten, Checking-Behavior,
Substanzmissbrauch, Zwänge etc. All diese Prozesse
können in den Dienst einer kurzfristigen Reduktion
aversiv-unkontrollierbarer Zustände gestellt werden.
Wenn sie diese Funktion erfüllen, werden sie selektiv verstärkt. Wenn die Verstärkung stark genug ist
oder sich über die Zeit aufsummiert, ohne dass alternative Mechanismen die emotionsregulierende
Funktion übernehmen können, dann können diese
Prozesse letztlich zum Ausgangpunkt der Entwicklung einer psychischen Störung werden oder zur
Aufrechterhaltung einer bestehenden Störung beitragen (s. u.).
Die drei eben aufgeführten Arten von Vermeidungsverhalten gegenüber unangenehmen Gefühlen
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haben alle denselben Nachteil: Sie erschweren den
Erwerb von Regulationsstrategien, die auch langfristig effektiv sind und weniger „Nebenwirkungen“
haben. Damit entsteht letztlich ein Teufelskreis:
Mangelnde Emotionsregulationsfertigkeiten führen
dazu, dass belastende Gefühle als unkontrollierbar
erlebt werden. Das Gefühl von Kontrollverlust löst
Angst aus und aktiviert bzw. generiert Vermeidungsschemata. Diese reduzieren dann die Möglichkeiten,
die eigenen Emotionsregulationskompetenzen aufzubauen und zu trainieren. Damit bleiben Erfolgserlebnisse aus, die eine emotionsbezogene Selbstwirksamkeitserwartung stärken könnten. Außerdem
verfestigen die Misserfolge das negative Selbstbild,
welches dann in emotionalen Belastungssituationen
aktiviert wird, die Selbsteffizienzerwartung weiter
reduziert und zusätzliche negative Gefühle auslöst.
Diese Teufelskreise können im Verlauf der weiteren
Entwicklung dann dazu beitragen, dass die Emotionsregulationskompetenzen auch dann noch bestehen bleiben, wenn das Kind bzw. der Jugendliche
oder junge Erwachsene sich im Zuge seiner weiteren
Entwicklung mehr und mehr von seinen primären
Bezugspersonen löst.
2.3 Akute Inkongruenzerfahrungen als Auslöser
Die soeben geschilderten vermeidungsorientierten
Umgangsweisen mit Emotionen und die dadurch
verfestigten Emotionsregulationsdefizite müssen
nicht zwingend zur Ausbildung psychischer Störungen führen. Viele Menschen leben lange sehr
gut und sehr erfolgreich, ohne dass sie sich mit
ihren Gefühlen jemals direkt beschäftigen. Problematisch kann diese Art, mit Emotionen umzugehen,
allerdings werden, wenn die Person mit Ereignissen
(vgl. Abbildung 1, Punkt 17) konfrontiert wird, die
mit massiven Bedrohungen und/oder Verletzungen
ihrer Ziele und Bedürfnisse einhergehen (vgl. Abbildung 1, Punkt 18). In dieser Situation sind die
eingespielten Coping-Mechanismen, die die Gefühle
bislang weit im Vorfeld des bewussten Erlebens
herunterreguliert haben, dann oft überfordert. In
einer solchen Situation steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Gefühle und/oder ihre somatischen
Manifestationen trotz vorliegender Vermeidungstendenzen ins Bewusstsein dringen, da dies der Ort
ist, an dem Probleme gelöst werden, für die keine
erfolgreichen Handlungsroutinen zur Verfügung
stehen. Wenn jetzt keine explizit kodierten Konzepte
abgerufen werden können, wie man diese Erfahrungen einordnen und wie man mit ihnen konstruktiv umgehen kann, kommt es (je nach Veranlagung
und frühen Inkongruenzerfahrungen) zu einem
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hohem psychophysiologischen Arousal (vgl. Abbildung 1, Punkt 19), zum Erleben von Kontrollverlust
(vgl. Abbildung 1, Punkt 20) und zur Ausschüttung
von Stresshormonen (vgl. Abbildung 1, Punkt 21).
Je länger der erhöhte Spiegel von Stresshormonen
wie Cortisol und Noradrenalin anhält, desto mehr
wird die Hemmung von negativen Emotionen oder
problematischen Verhaltensweisen gestört, die vom
PFC und vom Hippocampus ausgehen (vgl. Abbildung 1, Punkt 22). Damit können jetzt „pre-pathologische Reaktionsmuster“ ungehemmt auftreten.
Wenn diese kurzfristig den bedrohlichen Zustand
unkontrollierbaren Stresses reduzieren – etwa dadurch, dass sie die Aufmerksamkeit verschieben,
Kontrolle suggerieren oder positive Emotionen
auslösen –, werden sie selektiv verstärkt. Zukünftig werden sie dann in ähnlichen Situationen mit
einer erhöhten Wahrscheinlichkeit automatisch
aktiviert (und gegebenenfalls wieder selektiv verstärkt). Über diese Verfestigung des Reaktionsmusters und die anschließende Einbindung anderer
Reaktionsweisen, die dieses Muster weiter aufrechterhalten (z. B. Vermeidung bei Angst), können beim
Scheitern adäquater Selbsttherapiebemühungen
(z. B. Aktivierung konstruktiver Emotionsregulationsstrategien) aus den „prä-pathologischen Mechanismen“ manifeste psychische Störungen (vgl.
Abbildung 1, Punkt 24) entstehen. Außerdem ist
davon auszugehen, dass diese anhaltende massive
Stressreaktion die Expression von Genen fördert,
die spezifische Störungsmuster kodieren (vgl. Abbildung 1, Punkt 23).
Das eben geschilderte Modell stellt eine Integration wichtiger Befunde aus den verschiedenen
Unterdisziplinen der Psychologie und den Neurowissenschaften dar. Ein solches Modell kann praktisch arbeitenden Therapeuten als Bezugssystem
dienen, innerhalb dessen sie das aktuelle Verhalten
ihrer Patienten besser verstehen können. Unter Umständen kann das Modell auch (in Teilen) als Hilfestellung herangezogen werden, um mit Patienten
zusammen zu erarbeiten, wie ihre aktuellen Beschwerden entstanden sind. Die Integration der
neuronalen Ebene kann dabei zumindest bei einer
Subgruppe von Patienten eine wichtige Hilfestellung
sein, um diese einerseits von Selbstvorwürfen zu
entlasten, andererseits aber auch für Veränderungsbemühungen zu motivieren (vgl. Berking & Grawe,
2005a). Zum anderen kann die Einnahme der neurowissenschaftlichen Perspektive helfen, das Bewusstsein dafür zu stärken, dass sich die Therapie
nicht nur auf die Reduktion psychopathologischer
Symptome reduzieren darf. Die Befunde zur patho-
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Neuropsychotherapie
logischen Wirkung unkontrollierbaren Stresses legen
nahe, dass in der Therapieplanung sorgfältig geprüft
werden muss, wie sich die Wahrscheinlichkeit verringern lässt, dass der Patient zukünftig in diese
Zustände gerät. Dazu gilt es zum einen, die Ziele
und Bedürfnisse des Patienten besser mit seinen
Wahrnehmungen in Einklang zu bringen bzw. ihn
in die Lage zu versetzen, etwaige Diskrepanzen
zukünftig selbst zu reduzieren. Da diese Diskrepanzen jedoch nie völlig reduziert werden können,
gilt es auch zu prüfen, ob gezielte Maßnahmen zur
Verbesserung des Umgangs mit intrapsychischen
Stresszuständen indiziert sind. Wenn es gelingt, in
der Therapie die Kompetenzen im konstruktiven
Umgang mit negativen Emotionen zu stärken, wird
damit verhindert, dass intrapsychische Stresszustände als überwältigend und nichtkontrollierbar
erlebt werden. Auf diesem Weg wird die Notwendigkeit reduziert, auf pathologische mentale Prozesse
zurückzugreifen, um diese Zustände zu reduzieren.
Somit kann die Verbesserung emotionaler Kompetenzen die störungsbezogenen Interventionen stärken und langfristig ein wichtiger Schutz vor Rückfällen sein.
Auf der Grundlage dieser Überlegungen haben
wir ein spezielles Training emotionaler Kompetenzen entwickelt, das im folgenden Abschnitt vorgestellt werden soll.
3. „Neuropsychotherapie“ in der Praxis: Das Training Emotionaler
Kompetenzen (TEK)
Das Training Emotionaler Kompetenzen wurde mit
dem Ziel entwickelt, die emotionsbezogenen Bewältigungskompetenzen von Menschen zu stärken,
die entweder unter psychischen Störungen leiden
oder ein erhöhtes Risiko aufweisen, psychische
Störungen zu entwickeln. Da diese Kompetenzen
für Patienten mit diversen psychischen Störungen
wichtig sind (vgl. Berking, in Druck), haben wir
das TEK als störungsübergreifendes Interventionsmodul entwickelt. Im Training sollen die emotionalen Kompetenzen gestärkt werden, die sich empirisch als besonders wichtig für die psychische
Gesundheit erwiesen haben (vgl. Berking & Grawe,
2005b). Bei der Behandlung psychischer Störungen
sollte das TEK eine Komponente eines Behandlungsangebotes darstellen, das auch störungsspezifischere Interventionsmodule enthält. Im nichtklinischen und präventiven Bereich kann das TEK
auch als eigenständige Intervention eingesetzt werden.
Schwerpunkt
Im TEK sollen die Patienten/Teilnehmer lernen,
mit diversen negativen Emotionen konstruktiv umgehen zu können. Das heißt konkret, dass sie negative Emotionen entweder (a) positiv verändern und/
oder (b) akzeptieren und aushalten können und (c)
dass sie sich dieser Fähigkeiten bewusst sind. Zur
Förderung der emotionsbezogenen Selbsteffizienz
werden den Patienten im TEK sieben „Basiskompetenzen“ vermittelt (s. Abbildung 2). Diese Kompetenzen werden als Werkzeuge angesehen, die man
wie „in einem Koffer bei sich hat“ und bei Bedarf
einsetzen kann. Sie sind Handlungspläne, deren
Verfügbarkeit der Einschätzung vorbeugt, negativen
Gefühlen hilflos ausgesetzt zu sein. Die Basiskompetenzen zeichnen sich dadurch aus, dass sie bei
allen negativen Gefühlen hilfreich sind. Zusätzlich
zu den Basiskompetenzen werden im TEK noch die
„spezifischen Kompetenzen“ vermittelt, die sich auf
den Umgang mit einzelnen, für die Gesundheit
besonders relevanten affektiven Reaktionen beziehen. Dazu zählen: Stress, Angst, Ärger, Traurigkeit,
Depressivität, Schuld und Scham. Je nach Bedarf
kann diese Liste noch um Gefühle erweitert werden,
die für die jeweilige Patientengruppe besonders relevant ist (z. B. Ekel oder Eifersucht). Um individuelle Schwierigkeiten bei der Regulation dieser Gefühle identifizieren zu können, haben wir mit dem
EMO-Check (Berking & Znoj, zur Veröffentlichung
eingereicht) einen speziellen Fragebogen entwickelt.
Über ein ebenfalls kürzlich entwickeltes online-gestütztes Erfassungs- und Auswertungssystem können
die Veränderungen der emotionalen Kompetenzen
während des Training ohne viel Aufwand monitoriert
und an Patienten und Therapeut/Trainer rückgemeldet werden (s. www.emoforsch.info).
Inspiriert von neurowissenschaftlichen Befunden, die belegen, dass für die Veränderung synaptischer Verschaltungen eine intensive und anhaltende Stimulation dieser Verschaltungen notwendig
ist, wird dem Trainingsaspekt im TEK besondere
Beachtung geschenkt. So wird zum Beispiel jede
der Basiskompetenzen erst durch Psychoedukation
und vertiefende Übungen vermittelt und dann immer
weiter verkürzt, so dass sie letztlich in kurzer Zeit
anwendbar sind. Die Patienten werden dann mit
verschiedenen Techniken dabei unterstützt, diese
Übungen einmal am Tag in einer Langform (15
Minuten) und dreimal am Tag in einer Kurzform
(15 Sekunden) zu üben. Diese Kurzformen werden
dann zur so genannten „TEK-Sequenz“ zusammengesetzt, die sich in emotional belastenden Situationen als intrapsychisches Coping einsetzen lässt.
Eine der Hilfestellungen für das möglichst regel38. Jg. (4), 777-778, 2006
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Schwerpunkt
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Abbildung 2: Die sieben im TEK vermittelten „Basiskompetenzen“
1. MuskelEntspannung
7. Regulieren
6. Analysieren
Wenn
Gefühle
verletzen
5. Selbstunterstützung
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3.
Bewertungsfreie
Wahrnehmung
4. Akzeptieren
& Tolerieren
mäßige, eigenverantwortliche Training der TEKKompetenzen besteht z. B. darin, dass die Patienten
(bei Interesse) über ein spezielles Computerprogramm über den Tag verteilt SMS-Botschaften
zugeschickt bekommen, die jeweils zu den gerade
im TEK behandelten Übungen einladen.
Ein weiterer Punkt, an dem das TEK von den
neurowissenschaftlichen Befunden profitiert, ist die
Vermittlung eines motivierenden Störungs- und
Veränderungsmodells. So wird im psychoedukativen
Teil des TEK z. B. zunächst erklärt, welche „neuronalen Teufelskreise“ zu einer Chronifizierung
negativer Gefühle führen. Aus jedem der sieben
explizierten Teufelskreise wird dann eine der TEKBasiskompetenzen als eine Möglichkeit abgeleitet,
wie dieser Teufelskreis durchbrochen werden kann.
Ein Vorteil dieses Vorgehens besteht darin, dass die
dabei verwendeten Grafiken der beteiligten Hirnstrukturen viel anschaulicher, konkreter und damit
„realer“ sind als die abstrakteren „Kästchenmodelle der Psychologie“. Auch bei der Thematisierung
der Relevanz regelmäßigen Übens wird auf Bilder
zurückgegriffen, die die neuronalen Mechanismen
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2. AtemEntspannung
des Lernens darlegen (Stichwort „use it or lose it“).
Bislang haben wir mit diesem Vorgehen sehr gute
Erfahrungen gemacht. Speziell für eher somatisch
orientierte Patienten hilft diese Vorgehensweise oft,
die Offenheit für psychotherapeutische Verfahren
zu erhöhen (Psychotherapie als „Hirntraining“).
4. Fazit und Ausblick
Der Einbezug von Erkenntnissen aus den Neurowissenschaften hat bislang sicher nicht zu revolutionären Veränderungen bei der Erklärung und
Behandlung psychischer Störungen geführt. Aber
wie wir oben anhand von Beispielen zeigen konnten,
kann der Einbezug dieser Perspektive der therapeutischen Praxis bereits jetzt wertvolle Impulse geben.
Das TEK, das die Erkenntnisse der Neurowissenschaften systematisch zu nutzen sucht, wird mittlerweile in einer Reihe von Institutionen bei einer
Vielzahl von psychischen Störungen eingesetzt und
auf seine Effektivität geprüft. Erste empirische
Befunde sprechen dafür, dass das Training als zusätzliches Interventionsmodul die Effektivität be-
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Neuropsychotherapie
währter Behandlungsverfahren noch weiter steigern
kann (Berking, Reichardt, Pejic & Dippel, 2007).
Speziell für stationäre, interdisziplinäre Behandlungseinrichtungen bringt die neuropsychotherapeutische Perspektive des TEK den Vorteil mit sich,
dass sie für die Arbeit der verschiedenen Berufsgruppen ein einheitliches Behandlungsrational zur
Verfügung stellt.
Ermutigt von diesen vielversprechenden Erfahrungen und Befunden planen wir zurzeit weitere
Forschungsprojekte, in denen wir untersuchen, inwieweit das TEK bei der langfristigen Stabilisierung
des Behandlungserfolgs helfen kann. Dabei entwickeln wir unter anderem in Kooperation mit der
Universität Lüneburg internetbasierte TEK-Angebote
zur Nachbetreuung der Patienten nach der eigentlichen Therapiephase. Ein weiterer Entwicklungsstrang besteht darin, störungsspezifische Variationen
des psychoedukativen Teils des TEK zu entwickeln.
In diesen soll „neuropsychotherapeutisch“ dargelegt
werden, warum die emotionalen Kompetenzen für
die einzelnen Störungen von Relevanz sind.
Literatur
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Berking, M. & Grawe, K. (2005a). Angststörungen aus
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Berking, M. & Grawe, K. (2005b, September). Be smart
– suffer less: About the importance of emotional
intelligence for well-being and mental health.
Vortrag auf dem 35. Kongress der European Association of Cognitive Behavioral Therapy, Thessaloniki, Griechenland.
Berking, M., Reichardt, A., Pejic, T. & Dippel, A. (2007).
The effectiveness of an intense emotion regulation skills training as an additional component
in the treatment of unipolar depression. Vortrag
auf dem 160. Kongress der American Psychiatric
Association, San Diego, USA.
Berking, M. & Znoj, H.-J. (zur Veröffentlichung eingereicht). Entwicklung und Validierung eines Fragebogens zur standardisierten Selbsteinschätzung
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Zu den Autoren
Dr. Matthias Berking ist Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut und Supervisor. Nach
dem Studium der Psychologie arbeitete er zunächst
38. Jg. (4), 777-778, 2006
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für einige Jahre an der Paracelsus Roswitha Klinik
in Bad Gandersheim. Anschließend promovierte er
an der Universität Göttingen. Danach war er mehrere Jahre als Assistent von Prof. Dr. Klaus Grawe
an der Universität Bern tätig. Zurzeit arbeitet er, im
Rahmen eines Stipendiums des Schweizer Nationalfonds, zusammen mit Marsha M. Linehan an der
University of Washington (USA) vor allem im Bereich „Interventionen zur Verbesserung der Emotionsregulation bei Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung“. Weitere Forschungsschwerpunkte
sind: „Emotionsregulation als therapeutischer Ansatzpunkt bei diversen psychischen Störungen“,
„Ressourcenaktivierung“ und „Förderung der Therapiemotivation“.
Prof. Dr. Hans Jörg Znoj, Studium der Psychologie,
Promotion 1992 zum Dr. phil., die Habilitation folgte
2001. Seit 1988 Übernahme und Durchführung von
Psychotherapien an der Praxisstelle des Instituts für
Psychologie, Mitglied des Leitungsteams. 2002 bis
2006 Assistenzprofessor an der Universität Bern,
2006 Berufung zum a.o. Professor für Klinische
Psychologie. Von 2005 bis voraussichtlich Mitte
2007: ad interim Leitung der Abteilung Klinische
Psychologie und Psychotherapie der Universität
Bern.
Forschungsinteressen: Psychotherapieprozesse;
Effektivität von Psychotherapeutischen Interventionen; Emotionsregulation und Bewältigungsprozesse im Zusammenhang mit kritischen Lebensereignissen; Trauer und Trauerverabeitung; Positive
Psychologie (Wachstum – „personal growth“); gesundheitspsychologische Fragen; Evaluation und
Entwicklung psychologischer Interventionen bei
somatischen Störungen.
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M atthias Berking & H ans Jörg Znoj
Korrespondenzadressen
Dr. Matthias Berking
University of Washington
Behavioral Research and Therapy Clinics
Department of Psychology
Box 351525
Seattle, WA 98195, USA
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. Hans Jörg Znoj
Klinische Psychologie und Psychotherapie
Institut für Psychologie
Universität Bern
Gesellschaftsstr. 49
CH-3012 Bern
E-Mail: [email protected]
Danksagung
Wir danken dem Team der Psychotherapeutischen
Praxisstelle der Universität Bern, Chefärztin Frau
Alexandra Dippel, Dipl.-Psych. Marek Szczepanski
und Dipl.-Psych. Tanja Pejic von der Vogelsbergklinik, Prof. Dr. Waldemar Greil, Dr. Christine
Huwig-Poppe und Dipl.-Psych. Verena Jäggi vom
Sanatorium Kilchberg, Dipl.-Psych. Salome Lienert
von der Neurologie Reinfelden, Dr. Frank Meyer
und Monika Stratmann von der Chrisoph-DornierKlinik Münster) sowie David Ebert von der Fachhochschule Lüneburg für die Hilfe bei der Evaluation des TEK bzw. die wertvollen Tipps für die
kontinuierliche Weiterentwicklung des Trainings.
Weiterer Dank geht an den Schweizer Nationalfonds
(SNF), der Grundlagenforschung, auf der das Training aufbaut, im Rahmen des Projektes Nr. PA001113040/1 von M. Berking unterstützte.
Verhaltenstherapie & psychosoziale Praxis
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