Hygiene in Dialysewassersystemen, Teil 1 Dr. Michael Lohmeyer Mikrobiologisches Labor Dr. Michael Lohmeyer GmbH Technologiehof Münster Mendelstraße 11 48149 Münster [email protected] www.mikrobiologisches-labor.de Keime gibt es (fast) überall – allein der Mensch beherbergt in und auf sich mindestens 10mal so viele Bakterien wie körpereigene Zellen. Bakterien sind uns also sehr nahe und immer da. Sie vermehren sich gerne – wenn sie können und wenn man sie lässt. Und sie können fast immer. Auch in hochgradig filtriertem und damit gereinigtem Umkehrosmose-Wasser (Permeat oder Dialysewasser) der Wasseraufberereitungssysteme und Ringleitungen in Dialysezentren findet man regelmäßig Bakterien, die man ebenso regelmäßig beseitigen muss. Bakterien können Biofilme bilden, die nachträglich nur sehr schwer wieder aus den Wassersystemen zu beseitigen sind. Zerfalls- und Stoffwechselprodukte der Mikroorganismen zeigen wiederum verschiedenste Wirkungen auf den menschlichen Organismus. Um die mikrobiologische Qualität von Dialysewasser zu garantieren, müssen deshalb regelmäßig prophylaktische Desinfektionen durchgeführt werden, deren Frequenz im Rahmen einer initialen Validierung festgelegt werden sollte. Keime gelangen in das Dialysewasser-System, da es gegenüber der mehr oder minder belasteten Umgebung nicht perfekt abgeschirmt werden kann und somit auch nicht als steriles System betrachtet werden darf. Über Rückspüleffekte aus den Zulaufbereichen und den Anschlussschläuchen der Dialysemaschinen können Mikroorganismen in den gesamten Wasserkreislauf gelangen. Man spricht hier von einer retrograden Verkeimung. Weiterhin sind die technischen Membranen der Umkehrosmose-Systeme nicht zu 100% dicht oder das Reinstwassersystem wird bei Wartungs- oder Servicearbeiten geöffnet. Hierdurch können Mikroorganismen aus dem Trinkwasser in das Dialysewasser gelangen. Werden Keime nicht regelmäßig aus dem Dialysewasser entfernt, können sie sich sehr gut und sehr schnell vermehren. So wurden Verdopplungszeiten von unter 30 Minuten (z.B. bei E. coli) beobachtet. Mikroorganismen und die Produkte dieser Organismen im Dialysewasser können unerwünschte Folgen für die Patienten haben.1 Besondere Beachtung finden in diesem Zusammenhang die sogenannten Endotoxine. Diese entstehen, wenn bestimmte (Gram-negative) Bakterien absterben und Bruchstücke ihrer sterblichen Hülle unwillkürlich freigesetzt werden. Chemisch gesehen handelt es sich bei diesen Endotoxinen um Lipopolysaccharide (LPS, Lipid A). Ihre Wirkung auf das menschliche Immunsystem ist bemerkenswert. So verursachen bereits gerings Ingrid Ledebo. Ultrapure dialysis fluid - how pure is it and do we need it? Nephrol Dial Transplant (2007) 22: 20–23 1 26 Spektrum der Dialyse & Apherese I 05/2011 te Konzentrationen dieser Substanzen im Blut bei Mensch und Tier Fieber. Man spricht von einer pyrogenen Wirkung und die bakteriellen Endotoxine gelten als die weitaus häufigsten Pyrogene.2 Neben den Endotoxinen setzen Bakterien weitere Giftstoffe frei, welche man unter dem Oberbegriff Exotoxine zusammenfasst. Berüchtigt sind z.B. die Toxine (Exotoxin A, S) und Enzyme, welche von dem deshalb ungern gesehenen Bakterium Pseudomonas aeruginosa ausgeschieden werden und so in das Dialysewasser gelangen können. Wegen ihrer chemischen Struktur und geringen Größe sind diese Toxine durch die gängigen „ultra-sicheren“ Hochleistungsfilter der Dialysemaschinen kaum zu stoppen.3 Da es sich bei P. aeruginosa zudem um einen zähen Burschen handelt, der auch gerne Multiresistenzen gegenüber Antibiotika bereit hält, macht uns dieses Gram-negative Bakterium als Krankenhauskeim schwer zu schaffen. Keime sind nicht gern allein. In der freien Wildbahn, wie in den Wassersystemen der Dialyseeinrichtungen, bilden sie daher mit Vorliebe enge Zellverbände, in denen sie auf allen möglichen Oberflächen im sogenannten Biofilm fest aneinander haften. Biofilme sind bei allen Grenzflächen von Oberflächen und Wasser bekannt. Gebildet werden sie aus Ansammlungen unterschiedlicher Mikroorganismen, welche durch eine Matrix verbunden sind.4 Anonymus. Bacterial Endotoxins/Pyrogens. Dept. of health, education, and welfare, Public health service, Food and drug administration, *ora/oro/deio/ib*. 3/20/85 Number: 40 3 Gerhard Lonnemann. The quality of dialysate: An integrated approach. Kidney International, Vol. 58, Suppl. 76 (2000), pp. S112–S-119 4 Ulrich Szewzyk und Regine Szewzyk. Biofilme – die etwas andere Lebensweise. BIOspektrum · 3/03 · 9. Jahrgang 2 Dabei verändert sich die Physiologie der im Biofilm immobilisierten Mikroorganismen deutlich. Zudem besteht ein Biofilm zumeist aus vielen Schichten, wobei die inneren durch die äußeren gegen chemische und physikalische Einflüsse (Desinfektionsmaßnahmen) geschützt werden. Keime sollten deshalb konsequent vom Dialysewasser ferngehalten werden. Durch regelmäßige Desinfektion der Wassersysteme müssen die Bakterien beseitigt werden, bevor sie einen Biofilm bilden können. Dabei gilt das Prinzip: Vorbeugen ist besser als sanieren. Einigkeit macht stark, und so kann man einen einmal etablierten Biofilm und seine Matrix nur schwer oder meist gar nicht mehr restlos beseitigen. Auf verbliebenen Biofilmfragmenten können sich dann Keime schneller wieder anhaften und erneut einen massiven Biofilm bilden. Deshalb muss man die Entstehung von Biofilm verhindern! Übrigens: Sitzen die Bakterien innerhalb des Biofilms an der Leitungswand, findet man sie meist wesentlich weniger im Dialysewasser. Eine geringe Keimzahl in der Flüssigkeit sollte deshalb noch niemanden beruhigen. Eine genauere Beurteilung des mikrobiologischen Gesamtzustandes von Dialysewassersystemen ist durch die Bestimmung des Endotoxingehalts möglich. Hierdurch erhält man Auskunft über die „unsichtbare“ Biomasse, denn auch im Biofilm sterben regelmäßig Bakterien ab. Durch die Abgabe der Endotoxine in die Flüssigphase werden diese messbar. Die Bestimmung des Endotoxingehalts ermöglicht es, Aussagen über die Existenz eines aktiven Biofilms im Wassersystem zu treffen. Wenn die Keime im Biofilm absterben, entstehen neben den Endotoxinen (s.o.) weitere Substanzen, wie Proteine oder Bruchstücke der Nucleinsäuren, wie DNA und RNA. Ausgerechnet der „Problemkeim“ P. aeruginosa ist ein Meister der Biofilm-Bildung. Ohne prophylaktische Desinfektion der wasserführenden Systeme in angemessener Regelmäßigkeit kann die erforderliche mikrobielle Qualität des Dialysewassers nicht garantiert werden. Wasseraufbereitungssysteme sollen dabei den Anforderungen der neuen ISO 23500: 2010 “Guidance for the preparation and quality management of fluids for hemodialysis and related therapies” und ISO 26722: 2009 “Water treatment equipment for haemodialysis and related therapies” genügen. Darin sind regelmäßige Kontrollen der mikrobiellen Parameter (Keimzahl, Endotoxingehalt) festgelegt, die auch eine Validierung des Gesamtsystems bei Neu- und Umbauten umfassen. Mit diesen und den weiteren rechtlichen Grundlagen wird sich Teil 2 der Reihe „Mikrobiologie in Dialysewassersystemen“ in der nächsten Ausgabe des „Spektrum der Dialyse & Apherese“ beschäftigen. Zur Vertiefung der Problematik sei der Praxisworkshop „Hygiene in Dialysewassersystemen“ empfohlen, welcher auf den Dialysefachtagungen in Erfurt und Fulda angeboten wird. Das Praxishandbuch zu diesem Workshop kann beim Autor angefordert werden und wird kostenfrei zugesendet.