Münzen im Kalk und Flora in den Pflasterritzen - Forschung Spezial - derStandard.a... Seite 1 von 2 derStandard.at › Wissenschaft › Welt › Forschung Spezial Münzen im Kalk und Flora in den Pflasterritzen 21. August 2012, 17:47 Geologen und Biologen eröffneten bei einem wissenschaftlichen Stadtspaziergang neue Blicke auf kleine Details Durch die Augen eines Wissenschafters betrachtet bekommen selbst altbekannte Plätze und Gebäude ganz neue Seiten. Der Stadtflaneur muss nur etwas genauer hinsehen, dann offenbaren sich Details, die fast immer auch eine Geschichte erzählen. Einen Einblick darin, was es aus wissenschaftlicher Sicht in der Wiener Innenstadt zu entdecken gibt, gab vergangene Woche ein interdisziplinärer Stadtspaziergang. "Wir stehen hier auf einem Stück Waldviertel", klärte Thomas Hoffmann von der Geologischen Bundesanstalt (GBA) auf. Gemeint ist der Minoritenplatz, Sitz des Wissenschaftsministeriums, das den Ausflug organisiert hat. Das Pflaster stammt aus den Tiefen der Böhmischen Masse und ist geschätzte 330 Millionen Jahre alt. Der helle Kalksockel des Ministeriums hingegen stammt aus Istrien und hat sich vor etwa 50 Millionen Jahren in einem warmen, tropischen Klima gebildet. Darüber geben münzförmige Scheiben im Gestein Auskunft, sogenannten Nummuliten. "Das sind zentimetergroße Einzeller, die Kalk speichern können", sagte Hoffmann. "Ich hoffe, dass der Sockel nie restauriert wird." Die Minoritenkirche gegenüber dem Ministerium ist aus jüngerem Gestein erbaut. Etwa zehn Millionen Jahre zählt der Kalkstein, der vom Rand des Wiener Beckens angeliefert wurde, als es noch Meeresgrund war. Die vielen kleinen Löcher, welche die Quader spicken, entstanden durch Muschelschalen, die sich im Lauf der Zeit abgelöst haben. Die Forscher der Geologischen Bundesanstalt arbeiten an einer systematischen Bestandsaufnahme heimischer Gesteine, nicht nur in Wien. Der kürzlich erschienene österreichische Rohstoffplan gibt einen Überblick über die Vorkommen. Die Expertise der Geologen ist aber auch bei akuten Ereignissen gefragt, betonte GBA-Direktor Peter Seifert. Bei den Hangrutschungen, die kürzlich das steirische St. Lorenzen bedrohten, kartierten die Forscher das Ka tastrophengebiet, um das Risiko für die Bewohner abzuschätzen. Zurück im steinernen Herzen von Wien, machte der Biologe Friedrich Ehrenhofer darauf aufmerksam, welche "erstaunliche Diversität an Pflanzen und Tieren" zwischen dem Gestein anzutreffen sind. Ein besonders hartnäckiges Beispiel ist die Pflaster ritzenflora. Allein am Minoritenplatz hat der Forscher von der Kommission für Interdisziplinäre Ökologische Studien der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) mehr als 15 Arten auf dem Gehsteig gefunden, darunter den Vogelknöterich, den breitblättrigen Wegerich und - geschützt unter einem Mistkübel - Liebesgras. Auch Bäume haben sich an allen möglichen Orten breitgemacht, etwa ein amerikanischer Nussbaum bei der Minoritenkirche oder ein Götterbaum aus China an der Südfassade des Stephansdoms. "Der ist bestimmt nicht gepflanzt worden", sagte Ehrenhofer. "Die Art hat sich Mitte des 18. Jahrhunderts über Paris und London nach Wien ausgebreitet." Die ÖAW-Biologen dokumentieren die Pflanzenwelt Österreichs - samt der "Migranten". Die Pestsäule am Graben wiederum gibt Hinweise auf den Umgang mit der damals noch unbekannten Mikrobiologie im 17. Jahrhundert: Auf der Barocksäule wird der Pesterreger als schaurige Figur verarbeitet. Doch auch Landschaftsarchitekten und Musikwissenschafter finden in der Wiener City immer neue Blickwinkel, wie ein Besuch im Mozarthaus und am Hohen Markt zeigte. http://derstandard.at/1345164757392/Muenzen-im-Kalk-und-Flora-in-den-Pflasterritzen 23.08.2012 Münzen im Kalk und Flora in den Pflasterritzen - Forschung Spezial - derStandard.a... Seite 2 von 2 Selbst Wildtierforscher sind im Einsatz: etwa im Augarten jenseits des Donaukanals, wo mehr als 20 Dachsfamilien hausen. (kri/DER STANDARD, 22. 8. 2012) © derStandard.at GmbH 2012 Alle Rechte vorbehalten. Nutzung ausschließlich für den privaten Eigenbedarf. Eine Weiterverwendung und Reproduktion über den persönlichen Gebrauch hinaus ist nicht gestattet. http://derstandard.at/1345164757392/Muenzen-im-Kalk-und-Flora-in-den-Pflasterritzen 23.08.2012