MEILENSTEINE WIE GROSSE IDEEN DIE ARCHITEKTUR VERÄNDERTEN MEILENSTEINE WIE GROSSE IDEEN DIE ARCHITEKTUR VERÄNDERTEN ISABEL KUHL PRESTEL München ∙ London ∙ New York Pyramiden Säulenordnung Architekturzeichnung Kuppelbau Basilika Gewölbe Kathedralen Renaissance-Architektur Zentralbau Barocke Baukunst Schlösser Eisen Wolkenkratzer Glasarchitektur Funktionalismus Licht Stahlbeton ArchiSkulptur Technik Dekonstruktivismus INHALT 6 10 16 26 30 40 48 58 70 80 86 94 102 114 126 134 142 150 160 170 178 188 189 190 192 Einleitung Die ersten Häuser für die Ewigkeit: Pyramiden Eine griechische Erfindung: die Säulenordnung Premiere: Architektur auf Papier Meilensteine im Kuppelbau Die Basilika wird Kirche Gewölbte Decken Heller, höher, weiter: die ersten Kathedralen Der Mensch wird das Maß aller Dinge: Renaissance-Architektur Symmetrie an erster Stelle: Der Zentralbau Barocke Baukunst: Architektur gerät in Bewegung Die ersten Schlösser Holz? Stein? – Eisen! Architektur, die an den Wolken kratzt Die ersten Häuser aus Glas Erst Funktion, dann Form Bauen mit Licht Rau und ungeschminkt: Die ersten Bauten aus Stahlbeton Eine folgenreiche Neuschöpfung: ArchiSkulptur Und in der Hauptrolle ... Technik! Neuland Dekonstruktivismus: Form follows phantasy Architekten und Ingenieure Literatur Register Bildnachweis | Impressum 6/7 EINLEITUNG Was haben Ägyptens Pyramiden, der Petersdom in Rom und das Guggenheim-Museum im spanischen Bilbao gemeinsam? Wenig, möchte man meinen, wo diese Bauwerke doch völlig unterschiedliche Zwecke erfüllen und ihre Entstehungszeiten Jahrhunderte oder gar Jahrtausende auseinanderliegen. Eine entscheidende Gemeinsamkeit haben sie jedoch: Sie behaupten sich als architektonische Meilensteine, die bis heute nachwirken und der Baukunst neue Richtungen eröffnet haben. Noch die viel diskutierte gläserne Louvre-Pyramide aus dem vergangenen Jahrhundert lehnt sich an beim viereinhalbtausend Jahre älteren Vorbild im ägyptischen Giseh. Mit St. Peter, der größten Kirche der Christenheit, läuteten die Baumeister im 16. und 17. Jahrhundert die Zeit des Barock ein. Und mit der GuggenheimDependance im Baskenland ist die High-TechArchitektur zum Reiseziel geworden. Damit ist auch bereits der zeitliche Rahmen der Stein gewordenen Ideen, die hier vorgestellt werden, abgesteckt: Von den Alten Ägyptern geht es bis zu den Baumeistern der Gegenwart. Dazu wurden 20 Themen ausgewählt, die von großer architektoni- links—Michelangelo, Neue Sakristei von San Lorenzo | Florenz 1520 — 1534 | Blick in die Decke scher Tragweite waren und sind. Die entsprechenden 20 Kapitel beschäftigen sich mit Bauaufgaben, technischen Errungenschaften oder Materialien, die der Architektur eine neue Wendung gaben. Klassische Meisterwerke stehen im Vordergrund, doch kommen auch stillere Entwürfe zur Sprache. Die Reihenfolge der Kapitel ist dabei chronologisch. Auf die Pyramiden folgt das Thema Säule, deren Bedeutung anhand der griechischen Tempel nachvollzogen und bis ins 19. Jahrhundert verfolgt wird. Weitere Kapitel widmen sich dem Kuppelbau und der Architektur auf Papier, dem Bauplan. Kirchengebäude als wichtige Bauaufgabe der westlichen Architektur begegnen uns auf der Reise entlang der architektonischen Meilensteine mehrfach. Die Kirchenbaumeister entschieden sich schon im Mittelalter meist für den Grundrisstyp der lang gezogenen Basilika, weshalb ihr ein Kapitel gewidmet ist. Zugleich ist das späte Mittelalter, die Epoche der Gotik, auch die Zeit der großen Kathedralen. Diese Kirchenbauten mit oft riesigen Ausmaßen konnten dank gewaltiger Fortschritte in der Konstruktion entstehen. Die historischen und geistigen Grundlagen einer Epoche stehen hier zwar nicht im Vordergrund der Darstellung, da ohne sie das Verständnis der Architektur aber oft kaum möglich ist, sollen sie zumindest angesprochen werden. Das gilt auch für die Architektur der Renaissance und des Barock, die ausgehend von ihren Zentren Florenz und Rom vorgestellt wird. Auch einige Bauaufgaben, die sich im Lauf der Jahrhunderte stellten, bilden eigene Kapitel – die herrschaftlichen Schlösser des Barock ebenso wie die spektakulären Wolkenkratzer des 20. Jahrhunderts. Apropos Wolkenkratzer: Mit dem Hochhausbau kommen Glas und Stahl ins Spiel. Bis ins 18. Jahrhundert dominierten die Materialien Holz und Stein alles Bauen, doch seitdem erweiterte sich das Vokabular erheblich – und das spiegelt sich hier in eigenen Kapiteln: Von der Entwicklung des Gusseisens profitierte auch der Einsatz von Glas in der Architektur. Im 20. Jahrhundert war dann Beton ein Werkstoff, der ganz neue Möglichkeiten eröffnete. Ein vergleichsweise leichter Stoff, das Licht, fasziniert Architekten bis heute und das Bauen mit Licht wird hier deshalb ebenfalls ›beleuchtet‹. Auch wichtigen Architekturströmungen begegnet der Leser: Die Überzeugung, dass die Form der Funktion eines Gebäudes gehorchen muss, fand erst mit den Verfechtern des Funktionalismus nach dem Ersten Weltkrieg ihren Weg aufs Reißbrett. Dass die Technik die Form eines Hauses bestimmen sollte, war wiederum eine Auffassung, die die Arbeiten der High-Tech-Architekten in den 1970er-Jahren prägte. Die Dekonstruktivisten schließlich zerlegten die herkömmlichen Ideen von Architektur allesamt. Für diese Publikation wurden 20 Ideen, die die Architektur prägten, ausgewählt. Andere architektonische Innovationen und Meisterwerke bleiben da zwangsläufig im Schatten: Die Bauwerke des englischen sehen völlig anders aus als die des italienischen Barock, die Pyramiden Mittelamerikas sind nicht weniger interessant als die ägyptischen, ganz zu schweigen von zahlreichen spannenden Bauaufgaben. Wenn sie hier nicht zur Sprache kommen, heißt das nicht, dass ihre Entdeckung nicht ebenfalls lohnt! Auf dieser Reise durch die Baukunst kommt eine Person vergleichsweise selten zur Sprache. Und das ist ausgerechnet der Architekt. Dieser Widerspruch erklärt sich aus seiner gesellschaftlichen Rolle: Bis ins Mittelalter war ein Bauwerk eher mit seinem Bauherrn verbunden als mit dem ausführenden Architekten, von dem wir nur selten etwas wissen. Der freischaffende, künstlerisch tätige Architekt ist eine recht junge Idee, die sich erst in der italienischen Renaissance im 15. Jahrhundert formte. Die Grundlage für das Selbstverständnis der Architekten legte der römische Baumeister Vitruv im 1. Jahrhundert v. Chr. Seine Zehn Bücher über Architektur sind die älteste überlieferte Schrift zur Baukunst. Für Vitruv machte schöpferische Begabung auf der Grundlage von Wissen den Architekten EINLEITUNG aus: »Denn alle Menschen, nicht nur die Architekten, können beurteilen, was gut ist, aber der Unterschied zwischen dem Laien und dem Architekten ist der, dass der Laie erst wissen kann, wie ein Gebäude aussehen wird, wenn er es fertig gesehen hat, während der Architekt, sobald er es im Geist entwickelt hat, schon vor Beginn der Ausführung eine genaue Vorstellung davon hat, wie es im Hinblick auf Anmut, Nutzung und Angemessenheit sein wird.« Erst in der Renaissance sollte Vitruvs Schrift ihre volle Wirkung entfalten. Bis dahin galten Baumeister als Handwerker. Zwar kennen wir seit dem 13. Jahrhundert häufiger ihre Namen aus Urkunden, Rechnungen oder Inschriften und mitunter wanderten sie als gefragte Experten von Baustelle zu Baustelle und trugen so ihr Wissen um die Baukunst weiter, doch ihre gesellschaftliche Bedeutung änderte sich erst in der Renaissance. Viele der Architekten des 15. und 16. Jahrhunderts waren Künstler, die wegen ihrer Erfindungsgabe mit Bauprojekten beauftragt wurden. Filippo Brunelleschi war eines der ersten Universaltalente der Epoche, seine Leistungen läuteten die Architektur der Renaissance ein. Sein Zeitgenosse oben—Herzog & de Meuron, Nationalstadion Peking | 2008 8/9 Leon Battista Alberti näherte sich der Baukunst in Anlehnung an Vitruvs Architekturtraktat auch theoretisch und publizierte 1452 sein einflussreiches Werk Über die Baukunst. Mit Brunelleschi und Alberti war die neue Stellung der Architekten eingeleitet: Dank der wissenschaftlichen Untermauerung der Baukunst galten sie nun als Gelehrte und nicht mehr als Handwerker. Die gesellschaftliche Anerkennung der Architekten in den folgenden Jahrhunderten zeigen Beispiele wie das des Barockbaumeisters Sir Christopher Wren, der ein hochrangiges Mitglied am Hof König Karls II. von England war. Als akademische Disziplin etablierte sich die Architektur dann im absolutistischen Frankreich. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstanden die ersten theoretischen Baulehren – das Fach hatte sich seinen Platz erkämpft. Mit dem Eisenbau kamen im 19. Jahrhundert einschneidende Änderungen auf: Ein neues Material, neue Bauaufgaben und damit auch neue technische Herausforderungen sorgten für die Trennung von entwerfendem Architekten und konstruierendem Ingenieur. Ob aus Eisen oder Stein, von unbekannten Baumeistern, gefeierten Architekturgenies oder kühnen Ingenieuren – jedem Bauwerk liegt eine Idee zugrunde. Und einige der spannendsten Ideen in der Architekturgeschichte gibt es auf den nächsten Seiten zu entdecken. ............................. um 2890 v. Chr.—Beginn der II. Dynastie in Ägypten................................................................................. um 2300 v. Chr.—Ende des Alten Reichs in Ägypten ... ............................................................................................................. um 2686 v. Chr.—Ende der II. Dynastie in Ägypten .............................................................................................. ................................................................................................................................................................................... um 2500 v. Chr.—Bau der Pyramiden von Giseh ....................................................... 10/11 um 2800 v. Chr. Imhotep DIE ERSTEN HÄUSER FÜR DIE EWIGKEIT: PYRAMIDEN Grabbauten waren sie streng genommen nicht, die Pyramiden in Ägypten. Ihre Erbauer sahen in ihnen vielmehr Wohnhäuser für das Leben nach dem Tod. Über 80 dieser ewigen Häuser aus Stein stehen noch immer in der flachen Landschaft des Niltals. Die Pyramiden faszinieren bis heute. Und sie haben sich längst einen Platz gesichert im architektonischen Formenvokabular. Die ersten Pyramiden – riesige, mit Kalkstein verkleidete Bauten entlang des Nils – entstanden im 3. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung. Die Tradition des Pyramidenbaus begann mit den Königen des Alten Reiches. Der griechische Geschichtsschreiber Diodor erklärte den Kult im 1. Jahrhundert v. Chr.: Die Ägypter »halten die Zeit des Lebens für sehr kurz, die Zeit nach dem Tode für sehr lang. Daher nennen sie die Wohnungen der Lebenden Herbergen, die Gräber der Verstorbenen ewige Häuser«. Die monumentalen Steinbauten, in der flachen Tallandschaft weithin zu erkennen, waren keineswegs Solitäre: Sie waren Teil ausgedehnter Bestattungsbezirke, gebaut für das Weiterleben nach dem Tod. In Giseh, am Westufer des Nils unweit von Kairo, breitete sich im 3. Jahrtausend v. Chr. eine ganze links—Pyramiden von Giseh | 3. Jahrtausend v. Chr. Totenstadt aus: Mehrere Pyramiden von unterschiedlicher Größe und Hunderte von Beamtengräbern erstreckten sich auf einer Fläche von über einem Quadratkilometer. König Cheops legte dort auf einem Felsplateau seinen Friedhof an, seine Pyramide wurde mit über 146 Metern die höchste je errichtete – und nebenbei auch das größte Bauwerk der antiken Welt (Abb. S. 12/13). In nur gut 20 Jahren, von 2554 bis 2531 v. Chr., türmten Tausende von Arbeitern rund 2,5 Millionen Steinblöcke zu 210 Lagen auf. Transporteure und Diener mitgerechnet, waren etwa 20 000 bis 25 000 Menschen mit dem Bau der Cheops-Pyramide befasst, ein Prozent der damaligen Gesamtbevölkerung Ägyptens. Etwa 5000 Steinmetze sorgten in den Steinbrüchen für den Abbau der nötigen Fels- und Kalksteinquader. Die schieren Berge von Material, ganz zu schweigen von der großen Zahl der beteiligten Arbeiter, liefern beeindruckende Daten zum Pyramidenbau. Dahinter standen, nicht minder eindrucksvoll, eine hoch entwickelte Bautechnik und sehr gute mathematische Kenntnisse. Mit dem Beginn des Pyramidenbaus ging auch ein gewaltiger bautechnischer Fortschritt einher. Während Grabbauten in Ägypten zuvor aus Lehmziegeln errichtet worden waren, fand für die Pyramiden erstmals Stein als wesentliches Baumaterial Verwendung. Dabei war bereits der Transport der riesigen Steinquader eine Meisterleistung und ihre UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE Isabel Kuhl Meilensteine - Wie große Ideen die Architektur veränderten Paperback, Flexobroschur, 192 Seiten, 19,3x24,0 160 farbige Abbildungen ISBN: 978-3-7913-4655-7 Prestel Erscheinungstermin: Mai 2012 Höhepunkte der Baukunst entdecken und Zusammenhänge verstehen Die neue Reihe „Meilensteine – Wie große Ideen die Architektur veränderten” bietet ein faszinierendes Konzept, das mit der Fokussierung auf individuelle architektonische Höhepunkte eine beispiellose Geschichte der Baukunst präsentiert – ausgehend vom Alten Ägypten bis zur zeitgenössischen Architektur. Ergänzend durch eine informative Einleitung über Baukonzepte, Materialien, technische Errungenschaften und Gebäudetypen werden in 25 Kapiteln nicht nur die jeweiligen ausgewählten architektonischen Meilensteine kompetent und kompakt vorgestellt, sondern auch wichtige Entwicklungslinien zwischen einzelnen Baumeistern und ihren Werken sichtbar gemacht.