Journal Club - Sterne und Weltraum

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· JOURNA L CLUB
ÿ Influenza-Virus dringt in die Zelle durch den Protonenkanal – so oder so?
ÿ Huntington’sche Erkrankung – Therapiemöglichkeit durch Inhibitoren
der Histon-Deacetylasen?
Lothar Jaenicke1
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Jochen Graw2
Influenza-Virus dringt in die Zelle durch den Protonenkanal – so oder so?
Eine noch immer offene Frage ist der
Weg, den das Influenza-Virion durch die
Zellmembran nimmt und zugleich die eine
Zeitlang wirksamen Medikamente überlistet. Ein solches ist das Virostatikum
Amantadin (1-Aminoadamantan). J. R.
Schnell und J. J. Chou (Nature 451 (2008)
591–595) sowie A. L. Stouffer et al. (l. c.,
596–599) verfolgten den Weg mittels
Struktur-Aufklärung des Protonenkanals
M2 und kommen zu homologen, aber im
Prinzip gegensätzlichen Ergebnissen.
ó Die Virus-RNA dringt durch ein Leck der
Membran in die Lungenepithelzellen ein – dies
ist der Protonenkanal M2. M2 ist ein die Membran mit einer Helix durchspannendes IsoTetramer von je 97 Aminosäuren, das sich im
Sauren weitet, im Neutralen schließt. Um sei-
ne Struktur zu erkennen, benutzte die erste
Gruppe NMR-Spektroskopie, die andere Röntgen-Diffraktion an verkürzten Monomeren, die
aber die 15 post-transmembranalen Aminosäurereste enthielten, in Anwesenheit eines
Inhibitors auf Amantadin-Basis. (Es wurde allerdings nicht bewiesen, dass diese auch in physiologischen Dimensionen H+-Transport-aktiv sind!)
Auf den ersten Blick decken sich die Ergebnisse: Sie zeigen Tipi-artig aggregierte Viererbündel und am Ende des Innenkanals einen
polaren, Proton-affinen Auslass, der zu eng für
andere Moleküle ist. Die Öffnung wird durch
eine Trp41-Klappe bedient. Die NMR-bürtige
Struktur zeigt den geschlossenen Zustand (die
vier Trp41 weisen nach innen), das Röntgenbild den offenen (die „Zeltstangen“ der vier
Untereinheiten sind cytoplasmawärts gebogen).
Y Der Kontroverspunkt ist die Lage des
Hemmstoffs und die Deutung. Danach blockierten vier Amantadin-Moleküle den Kanal in
der geschlossenen Konformation am (cytoplasmaseitigen) Basisende nach der NMR-Evidenz und stabilisiert ein Cluster den Kanal am
(oberen) Spitzenende in der geschlossenen Konformation nach Röntgenbild. Für beide Mechanismen gibt es Präzedenz-Argumente; keiner
ist hier bewiesen. Bisher gibt es keine sicheren
Daten über die Stöchiometrie der AmantadinMoleküle je M2-Tetramer – aber das wird sich
ändern, und auch der Funktions-Einwand sollte sich klären lassen. Immerhin gibt es ein vernünftiges Konzept.
Lothar Jaenicke ó
Huntington’sche Erkrankung – Therapiemöglichkeit durch Inhibitoren
der Histon-Deacetylasen?
Die Huntington’sche Erkrankung ist eine
der schweren Erkrankungen, die durch
expandierende (CAG)-Triplett-Mutationen
(hier im Huntingtin-Gen; HTT) hervorgerufen werden. Das mutierte Huntingtin-Protein besitzt entsprechend eine deutlich
vergrößerte Polyglutamin-Region und verändert posttranslationale Modifikationen
von Histonen, was schließlich zu kondensierten Chromatin-Strukturen führt. Dabei
ist der pathologische Prozess im Einzelnen noch nicht verstanden – dennoch
haben Joel Gottesfeld und seine Gruppe
aus La Jolla (E. A. Thomas et al., Proc.
Natl. Acad. Sci. USA 105 (2008) 15564–
15569) kürzlich eine neue Therapiemöglichkeit vorgestellt.
ó Dabei wird durch eine spezifische Hemmung von Deacetylasen die Deaceytylierung
von Histonen verhindert – und damit die Entstehung kondensierter Chromatin-Strukturen.
Die orale Gabe eines neuen HDAC-Inhibitors
aus der Klasse der Benzamide verbesserte in
einem transgenen Mausmodell die motorischen Defizite signifikant (die Mäuse haben
einen zusätzlichen Polyglutamin-Anteil im Huntingtin-Protein von etwa 300 Aminosäuren).
Die Verbesserungen der motorischen Fähigkeiten im Mausmodell gingen mit einer signifikanten Abschwächung der Verkleinerung des
Gehirns und der Atrophie des Striatums einher. Die Behandlung machte insbesondere
auch die Hypoacetylierung des Histons H3
rückgängig und korrigierte die veränderten
Transkriptionsprofile.
Y In früheren Untersuchungen zur Hemmung
von Histon-Deacetylasen (HDAC) wurden verschiedene andere chemische Verbindungen auf
ihre Wirksamkeit (aber auch Toxizität) untersucht. Wegen (relativ) hoher Toxizität erwiesen
sich viele Stoffe als ungeeignet, z. B. Suberoylanilid-Hydroxaminsäure, Natrium-Butyrat oder
Phenyl-Butyrat. Die hier getesteten HDAC-Inhibitoren aus der Klasse der Benzamide zeigen
dagegen vielversprechende erste Ergebnisse –
man ist gespannt, welchen Effekt mögliche
klinische Studien zeigen werden.
Jochen Graw ó
1 Institut f. Biochemie, Universität zu Köln, Zülpicher Straße 47, D-50674 Köln
2 Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt GmbH, Ingolstädter Landstraße 1, D-85764 Neuherberg,
[email protected]
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WISSENSCHAFT · JOURNAL CLUB
ÿ Olfaktion: zwei Fragen als Antwort auf eine Frage
ÿ Parkinson’sche Erkrankung – was können wir lernen von
genetischen Mausmodellen?
Johannes Sander3 Stephan Becker4
Udo Heinemann5
Olfaktion: zwei Fragen als Antwort auf eine Frage
Die hochempfindliche Geruchswahrnehmung der Insekten ist fast sprichwörtlich.
Aber wie passt das zu den Erkenntnissen,
die man allgemein über das olfaktorische
System hat? Genau wie beim Sehvorgang
scheinen die Insekten auch beim Riechvorgang die Dinge auf den Kopf zu stellen,
wie nun von K. Sato et al. (Nature 452
(2008) 1002–1006) und D. Wicher et al.
(l. c., 1007–1011) am Beispiel von Riechzellkulturen von Fruchtfliegenmutanten
entdeckt wurde.
ó Tatsächlich haben auch Fruchtfliegen G-Protein-gekoppelte Geruchsrezeptoren (GPCRs)
in den olfaktorischen Sensillen-Membranen.
Aber sie weisen eine andere Aminosäuresequenz als die der anderen Tiere auf. Obendrein wird in einem spezifischen Riechneuron
nicht nur sein spezifisches olfaktorisches
Rezeptorprotein (OR – bei Drosophila Or74b
bzw. Or22a) exprimiert, sondern zugleich ein
Glied des Or83b-Clans, der ein allgemeiner
Co-Rezeptor ohne Affinität für einen bekannten
Liganden, wohl aber für Transport und Funktion
essenziell ist. Besonders fällt auf, dass der
Insekten-GPCR kopfüber in der Membran fixiert
ist, nämlich mit dem N-Terminus cytoplasmawärts, dem C-Terminus nach außen dem
ankommenden Duftstoff in der Luft zugekehrt.
An Insekten-Riechzellkulturen zeigen beide
Gruppen, dass auf Reizung der Or/Or83b-Komplexe ein Kationenstrom nach innen erfolgt,
die Ionenkanäle aber sonst durchaus in das
Schema spannungsunabhängiger, unspezifischer Kanäle passen. Das bedeutet, dass
Insekten-Riechzellen nicht nur in der Struktur,
sondern auch in der Funktion reziprok zum
„Gewohnten“ sind.
Y Wie sie aber nun tatsächlich funktionieren,
ist kontrovers. Die japanische Gruppe schließt
aus ihren Kinetiken, dass die Or/Or83b-Komplexe selbst rasch ansprechende Ionenkanäle
sind, die unmittelbar durch den Geruchsstoff
aktiviert werden. Die deutsche Gruppe hält eine
langsam transmittierende Signalkette über
cAMP für wahrscheinlich, die durch die Belegung der Or/Or83b-Komplexe gestartet wird,
und zeigt, dass Or83b selbst einen auf Cyclonukleotide ansprechenden Kanal bildet. Das
widerspricht sich natürlich im Prinzip nicht,
wenn die erste Reaktion der cAMP-Bildung vorgelagert ist, aber – on verra.
Lothar Jaenicke ó
Parkinson’sche Erkrankung – was können wir lernen von genetischen
Mausmodellen?
Die Parkinson’sche Erkrankung ist zusammen mit „Alzheimer“ eine der wichtigen
neurodegenerativen Erkrankungen älterer
Menschen in Industrieländern. Unter
genetischen Gesichtspunkten erscheint
die Krankheit äußerst heterogen – entsprechend vielfältig sind auch die Versuche, die Parkinson’sche Erkrankung durch
entsprechend genetisch modifizierte
Mausmodelle nachzubilden. Jürgen Götz
und seine Gruppe von der Universität Sidney (Ittner et al., Proc. Natl. Acad. Sci.
USA 105 (2008) 15997–16002) haben
kürzlich ein neues Mausmodell vorgestellt.
ó Dieses exprimiert die Mutation K369I des
humanen MAPT-Gens (codiert für das humane
Tau-Protein) unter der Kontrolle eines Neuronen-spezifischen Promotors (mThy1.2) in verschiedenen Gehirnarealen (z. B. Cortex, Hippocampus, Basalganglien, Substantia nigra).
Die Mutation K369I ist bei Menschen für die
Ausbildung einer frontotemporalen Demenzerkrankung verantwortlich. Bei der oben
erwähnten transgenen Maus werden aber nicht
nur die entsprechenden Symptome (kognitive
Einschränkungen und Verhaltensänderungen)
beobachtet, sondern auch früh einsetzende
Einschränkungen der motorischen Fähigkeiten, die deutlich an die Parkinson’sche Erkrankung erinnern. Die Untersuchung der zugrunde liegenden molekularen Mechanismen zeigt,
dass die frühen Symptome mit einer Störung
des anterograden axonalen Transports ver-
bunden sind. Diese Störung des axonalen
Transports geht zeitlich dem Verlust dopaminerger Neuronen voraus und betrifft im
Wesentlichen den Transport von Vesikeln, die
das Dopamin-synthetisierende Enzym TyrosinHydroxylase enthalten. Entsprechend lassen
sich zumindest die frühen Erscheinungsformen in der Maus mit einer Gabe von L-Dopa
verbessern.
Y Die MAPT-K369I-Mutante der Maus ist
offensichtlich ein sehr gutes Mausmodell für
die Parkinson’sche Erkrankung beim Menschen, für einige Merkmale sogar einzigartig.
Das neue Mausmodell eignet sich in besonderer Weise auch zur Etablierung und klinischen
Evaluierung neuer Therapiekonzepte.
Jochen Graw ó
3 Falkenstraße 87, D-58553 Halver, [email protected]
4 Institut für Virologie, Hans-Meerwein-Straße 2, 35043 Marburg, [email protected]
5 Makromolekulare Struktur & Interaktion, Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, Robert-Rössle-Straße 10, D-13092 Berlin, [email protected]
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ÿ Kovergenz zweier Campylobacter-Arten
ÿ CRTC2 ist der Glucose-Sensor in der Leber
Kovergenz zweier Campylobacter-Arten
Neue Arten entstehen durch Artumwandlung oder Artaufspaltung. In letzterem
Fall entstehen aus einer Ausgangsart
zwei neue Arten. Kann dieser Prozess
auch wieder umgekehrt werden, sodass
aus zwei Arten wieder eine Art wird? Die
Gattung Campylobacter liefert hierfür ein
Beispiel.
ó C. jejuni und C. coli lassen sich zweifelsohne als zwei getrennte Arten unterscheiden.
Beide Arten sind weit verbreitet, mit teilweise
überlappenden Habitaten, und lassen sich über
die Nukleotidsequenzen von sieben Housekeeping-Genen, deren Allele einen jeweils typischen Code liefern, charakterisieren. Diese
Technik wird auch als multi-locus sequence
tagging (MLST) bezeichnet. Mithilfe dieser Analyse gelang es den Autoren (Sheppard et al.,
Science 320 (2008) 237–239) bei C. coli drei
Untergruppen zu unterscheiden, zwischen
denen jeweils ein asymmetrischer Genfluss –
der überwiegend von C. jejuni zu C. coli, aber
auch umgekehrt verläuft – stattfindet. Am ausgeprägtesten ist dieser Genfluss bei der Unter-
gruppe 1 von C. coli. Wahrscheinlich hat dieser Fluss erst in jüngerer Zeit zugenommen
und führt zu einer fortschreitenden genetischen Konvergenz, falls es keine starke Selektion gegen C. jejuni-Sequenzen im Genom von
C. coli gibt. Möglicherweise haben sich
bestimmte ökologische Bedingungen verändert, sodass es heute zu einer stärkeren Habitatüberlappung und damit zu einem stärkeren
Genfluss zwischen den Bakterien kommt. Infrage kommt hier etwa die Landwirtschaft, da die
von C. coli importierten Sequenzen vor allem
Sequenzen ähneln, die in Wiederkäuer- und
Geflügel-typischen C. jejuni-Stämmen vorkommen.
Y Viel wird in der Biologie über die Artbildung diskutiert. Hier liegt eine sukzessive „Artvermischung“ vor. Gerade für Bakterien zeigt
sich wieder, wie schwer es oft ist, eine „saubere“ Biospezies-Definition anzuwenden, denn
von genetischer Isolation kann hier nur bedingt
gesprochen werden.
Johannes Sander ó
CRTC2 ist der Glucose-Sensor in der Leber
Glukose (G) ist nicht nur Energiespender
für fast jeden Organismus, sondern auch
Signalstoff für die eigne Homöostase. Wie
konträr zu den Erwartungen dieser Regelkreis beim Säuger in der Leber funktioniert, zeigen R. Dentin et al. in Science
319 (2008) 1402–1405.
ó Erhöht sich die Konzentration der zirkulierenden G, wird die G-Bildung in der Leber
beschleunigt, nicht verlangsamt (typisch für
Spätdiabetes 2)! Eine plausible Erklärung können sie dafür nicht geben. Wohl aber muss
man daran denken, dass G in der Leber nicht
nur verstoffwechselt wird, sondern in viele
komplexe anabolische Stoffwechselwege als
Grundbaustein eingeht.Untersucht wurde die
Hexosamin(N-Acetylglucosamin, NAG)-Biosynthese in der Leber, die von UDPG ausgeht
und im Zentrum des Aufbaus der Glykoproteine steht, wohl auch die Insulin-Resistenz in
Fettzellen und andere Dysfunktionen in anderen Organen (mit)verursacht. Man weiß, dass
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UDP-NAG die posttranslationale enzymatische
O-Glycosylierung von Serin- und Threoningrupen in Kernporen- und Chromatin-Proteinen
treibt. Zu diesen hinzu kommt nun der Transkriptions-regulierende Transducer des CAMKontrollelement-Bindeproteins 2 (TORC2 oder
CRTC2). Dessen O-Glycosylierung von Ser127,
der „Serin-Schalter“, macht CRTC2 permeabel durch die Kernporen. Dort wird der Transkriptionsfaktor CREB und dadurch die Expression von Proteinen, welche die G-Produktion
vermehren, aktiviert.
Y Ein so eleganter Kontrollmechanismus
kann weder Zufall noch Krankheit sein. Die
simplistischen Lehrbuchvorstellungen reichen
nicht zur Erklärung. G6Pase ist eben nicht nur
Glykolysenzym, sondern katalysiert auch den
Rückwärtslauf von G zu G6P, und dieses wiederum steht in mehreren Schlüsselpositionen,
wenn man sich Stoffwechselschemata genauer betrachtet.
Lothar Jaenicke ó
Kurz gefasst
ó Etablierung humaner adulter
Stammzellen aus Hodengewebe
Humane adulte Stammzellen spermatogonalen Ursprungs zeigen ähnliche molekulare und zelluläre Eigenschaften wie embryonale Stammzellen. S. Conrad et al. (Nature (2008)
Epub ahead of print) ist es gelungen,
humane adulte Stammzellen aus spermatogonalen Zellen des menschlichen Hodens zu züchten. Ferner
konnte eine Differenzierung dieser
Stammzellen in somatische Zellen
aller drei Keimzellblätter erzielt werden. Die Generierung dieser Stammzellen ermöglicht zukünftig ihren Einsatz in der individuellen Stammzelltherapie ohne ethische und immunologische Hindernisse.
Georgios Gakis
ó Das „All-Species Living Tree“Projekt
Ziel dieses ehrgeizigen Projekts ist es,
alle verfügbaren 16S-rRNA-Sequenzen von Typstämmen in einem einzigen phylogenetischen Baum darzustellen. Die erste Version dieses
Baums enthält fast 10.000 Sequenzen von Bakterien und Archaea, darunter die von 6.800 Typstämmen. Alle
verwendeten Sequenzen wurden
manuell überprüft. Die Rekonstruktion des Baums erfolgte durch einen
Maximum-Likelihood-Algorithmus
(RAxML). Es ist geplant, diesen Baum
kontinuierlich zu erweitern (P. Yarza
et al., Syst. Appl. Microbiol. 31 (2008)
241–250).
Michael Schloter
ó Z-Ring-Modelle in Liposomen
Kontraktile Ringe aus dem FtsZ-Protein spielen eine wichtige Rolle bei
der bakteriellen Zellteilung. Osawa et
al. (Science 320 (2008) 792–794)
konnten jetzt an einem Liposomenmodell zeigen, dass das FtsZ-Protein
für sich alleine nicht nur Ringe bilden,
sondern mit GTP als Energielieferant
auf die Liposomen auch eine
zusammenschnürende Kraft ausüben
kann. Dazu war es allerdings erforderlich, am C-Terminus des FtsZ-Proteins die Peptide, die normalerweise
das FtsA-Protein binden, durch YFP
und eine amphipathische Helix zu
ersetzen, um das Protein an der Membran zu befestigen. Diese Funktion
wird in vivo vom FtsA-Protein übernommen.
Johannes Sander
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WISSENSCHAFT · JOURNAL CLUB
ÿ Organisation der nicht-ribosomalen Peptidsynthese
ÿ Virophagen in Amöben?
ÿ Protein/Protein-Verkehr
Organisation der nicht-ribosomalen Peptidsynthese
Die große Mehrzahl der Peptidbindungen
in Zellen wird an den Ribosomen geknüpft.
In Bakterien, Pilzen und Pflanzen gibt es
aber auch nicht-ribosomale Peptid-Synthetasen (NRPS). Diese hochkomplexen Enzyme sind für die Synthese biologischer
Stoffe wie Toxine und Antibiotika verantwortlich. Eine Reihe strukturbiologischer
Analysen klärte wichtige Aspekte der
nicht-ribosomalen Peptidsynthese auf.
ó Wissenschaftlern um Mohamed A. Marahiel (Marburg) gelang die Kristallisation und
Strukturanalyse des kompletten Terminationsmoduls SrfA-C der Surfactin-Biosynthese von Bacillus subtilis. A. Tanovic et al. (Scien-
ce 321 (2008) 659–663) konnten damit die
strukturelle Organisation der vier katalytischen
Einheiten aufzeigen, die für die Adenylierung
der Aminosäure (A), die Peptidträgerfunktion
(PCP), die Kondensation (C) und die Termination durch Thioesterspaltung (TE) verantwortlich sind. Ihre Kristallstruktur zeigt, dass die
katalytischen Einheiten in einer Ebene angeordnet und ihre aktiven Zentren von der gleichen Seite zugänglich sind. Sie bilden damit
eine Plattform, auf der das zyklische Heptapeptid Surfactin assembliert wird – in der Sprache der Industrie eine Werkbank für die Endmontage. Zwei weitere aktuelle Arbeiten von D.
P. Frueh et al. (Nature 454 (2008) 903–906)
und A. Koglin et al. (Nature 454 (2008) 907–
911) berichten über Strukturanalysen von TEDomänen des Typs II aus NRPS, die Reparaturfunktionen ausüben.
Y Die hier vorgestellten Strukturen wichtiger
Module der NRPS schaffen die Voraussetzung
für deren gezielte Modifizierung und damit für
die enzymatische Synthese neuartiger Biomoleküle. Auf diesem Weg erzeugte Oligopeptide
können eine große strukturelle und funktionelle Vielfalt aufweisen, da sie nicht auf die 20
in Proteinen vorkommenden Aminosäuren
beschränkt sind.
Udo Heinemann ó
heit: Es ermöglicht einem kleineren Begleitvirus (Sputnik) ideale Replikationsbedingungen.
Nur in Anwesenheit des Mamavirus kann Sputnik in Amöben replizieren. Dies nährt Spekulationen darüber, ob es sich hier um die Infektion eines Virus durch ein anderes handeln
könnte. Gleichzeitig wird damit der alte Streit,
ob Viren leben oder nicht, neu entfacht. Die
Daten lassen einen solchen Schluss allerdings
nicht zu. Sputnik repliziert nicht im Mamavirus, sondern in intrazellulären Strukturen, die
das Mamavirus induziert. Dabei hat die Replikation von Sputnik allerdings negative Konsequenzen für das Mamavirus, das sich in
Gegenwart von Sputnik schlechter vermehrt
und morphologisch aberrante Formen ausbildet.
Y Es könnte sich bei dem Paar Sputnik-/
Mamavirus um das Beispiel einer Koevolution
handeln, das hier quasi „in flagranti“ ertappt
wurde und (noch) keine stabile synergistische
Gemeinschaft ausgebildet hat. Genomsequenzierungen zeigen, dass drei der 21 vorhergesagten Gene des Sputnik-Virus große Ähnlichkeiten mit Genen des Mamavirus haben. Dies
lässt die Vermutung zu, dass sich ein horizontaler Gentransfer zwischen beiden Viren ereignet hat.
Stephan Becker ó
talltrachten anzeigt aber auch, wenn
unterschiedliche Kristallisationen des
gleichen Proteins vorliegen.
ó O. F. Lange et al. (Science 320 (2008)
1471–1475) geben nun eine neue Perspektive, indem sie die übliche durch eine spezielle
verhältnismäßig langsame NMR-RelaxationsTechnik ersetzen, die im Bereich der molekularen Erkennungsvorgänge liegt und einen
Breitband-Bereich von Lösungen deckt. Mit
molekulardynamischen Simulationen kombiniert, lässt sich durch diese Methodologie die
essenzielle Protein-Population und -Dynamik
auf atomarem Niveau anzeigen. Als Objekt verwenden sie Calmodulin, wie schon frühere For-
scher mit analogem Konzept, aber orthodoxerer NMR-Technik. Im Ergebnis zeigt sich eine
Energielandschaft von Protein-Konformationen im, von den relativen ΔG abhängigen dynamischen Gleichgewicht. Aus diesem werden
die Bindesubstrate herausgewählt, wodurch
sich die Landschaft kontinuierlich anpasst.
Y Im großen Ganzen sprechen die Daten für
eine Kombination von vorwiegend „Induced
Fit“ und einem Anteil „Konformations-Auswahl“; es wird daher ein kombinierendes Dreitakt-Modell diskutiert: (a) diffusionskontrolleriertes Treffen; (b) Erkennung komplementärer
Strukturen; (c) Konformations-Relaxation zum
endgültigen Komplex. Lothar Jaenicke ó
Virophagen in Amöben?
2003 machte die Entdeckung eines Virus
Furore, das mit einer Genomgröße von
mehr als einer Million Basenpaare eine
größere Codierungskapazität als manches
Bakterium hatte (D. Raoult et al., Science
306 (2004) 1344–1350; B. La Scola et al.,
Science 299 (2003) 2033). Kürzlich wurde nun ein weiteres Riesenvirus entdeckt.
ó Dieses vermehrt sich ebenfalls in Amöben
und wurde zur Unterscheidung von dem früher entdeckten „Mimivirus“ „Mamavirus“
genannt (B. La Scola et al., Nature 455 (2008)
100–104). Dieses Virus hält nicht nur den Größenrekord, sondern hat eine weitere Besonder-
Protein/Protein-Verkehr
Proteine mit passenden Oberflächen
lagern sich aneinander – Passung durch
Konformationsänderung (Induced Fit)
oder Auswahl der energieträchtigsten der
vorhandenen Konformationen aus einer
Population (Conformational Selection)
und dadurch Stabilisierung des Komplexes (ΔG < 0). Die Bindepartner in einer
Mischung können für mehrere ProteinSubstrate affin sein und dadurch die
Energielandschaft vielfältiger machen. So
sieht es der Klassiker. Schwierig ist es,
die produktive Konformation eines Proteins im Voraus zu definieren, da die Röntgenstrukturanalyse nur die Haupt-Kris-
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ÿ Pflanzenpathogen, Proteasom und mögliche Krebstherapie
ÿ Organisation des Gedächtnisses
Pflanzenpathogen, Proteasom und mögliche
Krebstherapie
Viele Pathogene nutzen Effektoren, um
ihre Virulenz zu erhöhen. Ein solcher
Effektor aus Pseudomonas syringae pv.
syringae, dem Erreger der Braunfleckenkrankheit bei Phaseolus vulgaris, ist das
Peptid Syrolingin A (SylA).
ó Groll et al. (Nature 452 (2008) 755–758)
haben zunächst in dem P. syringae-Stamm
B728a das für die Biosynthese von SylA notwendige sylC-Gen ausgeschaltet. Die Virulenz
des Stamms nahm daraufhin stark ab. Da es
bei Arabidopsis thaliana nach einer exogenen
Behandlung mit SylA zu einer Anhäufung von
Transkripten für die Proteasom-Untereinheiten kommt – ein Effekt, der bei Hefe- und Säugerzellen auch nach Behandlung mit Proteasom-Inhibitoren auftritt – wurde die Hemmwirkung von SylA auf das Proteasom getestet.
Dabei zeigte sich, dass SylA tatsächlich das
Proteasom in vitro und in vivo irreversibel inhibieren kann. Eine Kokristallisation von SylA
mit dem Hefe-Proteasom zeigte, dass das Peptid durch einen bisher unbekannten Mecha-
nismus über seine Carbonylgruppe kovalent
an einen Threoninrest im aktiven Zentrum des
Proteasoms bindet. Da das anti-tumorigene
Peptid Glidobactin A (GlbA) chemisch dem
SylA-Peptid ähnelt, wurde auch die Wirkung
dieses Peptids auf das Proteosom getestet.
Tatsächlich konnte auch bei GlbA eine ähnliche Wirkung festgestellt werden. Hinweise auf
verwandte Peptide gibt es bei dem Insektenpathogen Photorhabdus luminescens und dem
Humanpathogen Burkholderia pseudomallei.
Y SylA wird von den Bakterien nicht über ein
Typ-III-Sekretionssystem, sondern über einen
MFS-Exporter ausgeschieden. Dies passt zu der
Beobachtung, dass eine exogene Behandlung
mit SylA zur Proteasomhemmung ausreicht:
Offensichtlich kann SylA von den Zellen aufgenommen werden. Da das verwandte Peptid
GlbA Anti-Tumor-Aktivität besitzt und auch für
SylA eine solche Aktivität bereits festgestellt
wurde, eröffnet sich somit eine neue Möglichkeit zur Krebstherapie.
Johannes Sander ó
Organisation des Gedächtnisses
Der Hippocampus, die beiden Strukturen
des Gehirns nahe der Medianlinie, des Cortikalsaums, die für das Erinnerungsvermögen stehen, entwickeln sich im Säugerembryo am Ort dieses Cortikalsaums, der
Sekretionsort einer Anzahl morphogenetischer Proteinsignale ist, die Entwicklungsvorgänge kontrollieren. Schon lange hatte
man ihn im Verdacht, auch an der Morphogenese des Hippocampus beteiligt zu sein.
Einen originellen und entwicklungsbiologisch stilvollen Beweis, dass Lhx-SelektorAktivität die Cortex-Identität spezifiziert
und das Schicksal des Hippocampus-Organisators unterdrückt, geben V. S. Mangale
et al. (Science 319 (2008) 304–309).
ó Mit der Spemann’schen TransplantationsMethodik verpflanzten sie präsumptive Cortikalsäume in das neuroepitheliale Gewebe von
embryonalen Grünfluoreszenz-chimären K.-o.Mäusen (Lhx2-Null für das LIM-Homöobox-Gen,
das in Chorion-Plexusepithel-Zellen exprimiert
wird) nächst dem Gewebe, das für Hippocampus kompetent wird. Sie induzierten dadurch
gemischt normal/grünfluoreszierende ExtraBIOspektrum | 07.08 | 14. Jahrgang
Hippocampi. Ohne funktionierendes Lhx2 exprimieren die Zellen nur Komplemente anderer
Gene, wie Wnt oder Bmp. Die ungewundenste
Deutung ist, dass Lhx2 aus Cerebralcortexsaum-Zellen den Hippocampus organisiert. Das
implantierte Gewebe ist ein sekundärer Organisator. Wichtig ist aber, dass die Hippocampus-Achse vom Gyrus dentatus zu den Feldern
der drei Cortex-Raumachsen (CA1, 2 und 3)
erhalten bleibt, denn die morphogenetische,
wie auch andere entwicklungsbiologisch-spezifizierende Information, wandert räumlich
gerichtet. Wird die Geometrie nach der Geburt
gestört, führt das, wie man vom Menschen
weiß, zu schwerstem Gedächtnisverlust.
Y Man erkennt, wie und wo die nächsten Fragen liegen: Mechanismus der Achsen-Bildung,
Biochemie der Organisatorsignale, Übertragung
auf bekannte klinische Hirndefekte und ihre
genetischen Grundlagen. Dann kommt die Utopie der sich auszahlenden („bio“-chirurgischen,
pränatalen) Erzeugung mehrfacher Hippocampi für das Übergedächtnis etc. bei Maus
und Mann und andere Hirnareale – brav, brav!
Lothar Jaenicke ó
Kurz gefasst
ó Licht schaltet Differenzierung
und Sekundärstoffwechsel
Hyphenpilze können zwischen vegetativer Hyphen-Phase (im Licht) und
generativer Sporen-Phase (im Dunklen) schalten. Bei Aspergillus nidulans
ist Protein VeA das Signalelement.
Über eine Signalkette aus mehreren
Protein-Gliedern, die in Funktion ein
reversibel dissoziables Assoziat bilden, kann entweder der Sekundärstoffwechsel oder mit einem noch
unbekannten Kettenglied die Sexualentwicklung von den korrespondierenden Gen-Abschnitten abgerufen
werden (Ö. Bayram et al., Science 320
(2008) 1504–1506).
Lothar Jaenicke
ó Aminoacetonitrile als hochspezifische Anthelminthica
Nicht nur Mikroorganismen und
Arthropoden, auch Schadwürmer
werden immer resistenter. Die Neuentwicklung von Anthelminthica auf
Aminoacetonitril(AA)-Basis durch
gezielte Genomik und Synthetik (R.
Kaminsky et al., Nature 452 (2008)
176–180) gibt neuen Impetus, weil sie
einen andersartigen Wirkmechanismus als die bisherigen Nematodenmittel haben: nicht auf die Neurotransmission über allgemeine Acetylcholin-Rezeptoren (aAChR) oder die
Membranpermeabilitäten, sondern
über eine Nematoden-eigentümliche
Untereinheit des AChR, dem nAChR.
Sie sind deshalb für alle anderen
Organismenklassen unschädlich.
Lothar Jaenicke
ó Auxingradient als Differenzierungssignal
Da Pflanzen kein Verteilungssystem
haben, das von einer Drüse aus ein
Hormonsignal im Organismus an den
Wirkort bringen kann, sind sie darauf
angewiesen, auf einen Umwelteinfluss
hin das (Gegensteuerungs-)Signal an
Ort und Stelle zu bilden. Dies ist ganz
allgemein ein Auxin-Gradient. Wie nun
gezeigt wird, werden (externe) Lichtreize oder (interne) Ethylensignale
dadurch beantwortet, dass das erste
Enzym der Umwandlung von L-Tryptophan in Indolylessigsäure (= Auxin),
die Tryptophanoxidase, aktiviert wird,
sodass ein örtlicher Gradient entsteht
(Y. Tao et al., Cell 133 (2008) 164–
176; A. N. Stepanova, l. c., 177–191).
Lothar Jaenicke
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