10. September 1918 (8. - 23. September) 1918

Werbung
Gründungsurkunde der Allrußländischen Obersten
Macht, 26. August - 10. September 1918 (8. - 23.
September) 1918
Zusammenfassung
Die "Gründungsakte" der Allrußländischen Provisorischen Regierung vom 23.
September 1918 gehört zu den bemerkenswertesten Zeugnissen der politischen
Geschichte des Russischen Bürgerkrieges. Sie war das Ergebnis einer
"Staatskonferenz" in der Stadt Ufa, die sich zum Ziel gesetzt hatte, alle
antibolschewistischen Kräfte zu vereinigen und einer anerkannten Regierung zu
unterstellen.
Zugleich
sollte
die
bestehende
Rivalität
zwischen
der
sozialrevolutionären Gegenregierung in Samara, die sich auf das Komitee der
Mitglieder der Konstituierenden Versammlung (Komu#) stützte, und der
nationalkonservativen Provisorischen Regierung Sibiriens in Omsk beendet werden.
Einführung
Im Sommer 1918 hatte die Tschechoslowakische Legion wichtige Städte an der
Mittleren Wolga von der Roten Armee zurückerobert. In Ufa sollten die etwa 170
Delegierten ein gemeinsames politisches und militärisches Programm ausarbeiten
und verabschieden. Nominell repräsentierten sie über zwanzig Regionalregierungen
auf dem Territorium des ehemaligen Zarenreiches sowie die wichtigsten
nichtbolschewistischen Parteien, Wirtschaftsvereinigungen, Selbstverwaltungsorgane
und Kosakenverbände. Am stärksten waren jedoch die Regierungen von Samara
und Omsk vertreten, deren kontroverse Standpunkte deshalb auch die Konferenz
beherrschten.
Wichtigstes Ergebnis der gut zweiwöchigen Verhandlungen der "Staatskonferenz"
war die Bildung einer "gesamtrussischen" Regierung. Dieses Direktorium umfaßte
fünf Mitglieder. Allerdings waren die Vertreter der Südregierung in Ekaterinodar bzw.
der Nordregierung in Archangelsk, der Konstitutionelle Demokrat (Kadett) N. I. Astrov
und der gemäßigte Volkssozialist N. V. #ajkovskij, in Abwesenheit gewählt worden
und lehnten nachträglich eine Mitwirkung im Direktorium ab. Da überdies der als
Stellvertreter vorgesehene populäre General M. V. Alekseev am 8. Oktober 1918 bei
einem Gefecht fiel, fehlte der "Koalition" von Beginn an eine personelle Verankerung
in zwei wichtigen Zentren der sehr brüchigen Front gegen Sowjetrußland. Somit
bestand die Regierung unter dem Vorsitz des gemäßigten Sozialrevolutionärs N. D.
Avksent’ev aus dem Konstitutionellen Demokraten V. A. Vinogradov, dem
ehemaligen Sozialrevolutionär und späteren Parteigänger der Kadetten P. V.
Vologodskij, dem Sozialrevolutionär V. M. Zenzinov sowie dem parteilosen General
V. G. Boldyrev. Formal hatten sich also die Befürworter einer kollektiven Führung
gegen die Anhänger einer Diktatur durchgesetzt. Einem wirklichen Konsens stand
jedoch entgegen, daß die Sozialisten (Sozialrevolutionäre, Vertreter der
Regionalduma
Sibiriens,
des
Bundes
der
Städte
und
ländlichen
Selbstverwaltungsorgane sowie einzelne Menschewiki) darauf beharrten, daß die
Anfang 1918 von den Bolschewiki aufgelöste Konstituierende Versammlung
(Konstituante) einzige Legitimationsbasis einer Regierung für ganz Rußland sei. Dies
sollte allerdings nur gelten, wenn bis zum 1. Januar 1919 ein Quorum von 250
Mitgliedern der Konstituierenden Versammlung (d. h. etwas mehr als ein Drittel der
703 gewählten Abgeordneten) erreicht werden konnte. Doch auch im anderen Fall
wäre noch der Ausweg geblieben, bis zum 1. Februar 1919 wenigstens 170
Deputierte (knapp ein Viertel) zu versammeln, um dieser umstrittenen Lösung zum
Sieg zu verhelfen. Ungeachtet dieser Vereinbarung trafen sich jedoch parallel zur
Staatskonferenz in Ufa etwa hundert sozialrevolutionäre Mitglieder der Konstituante
in Ekaterinburg und erklärten gemeinsam mit dem Großteil der Führung des
Komitees der Mitglieder der Konstituierenden Versammlung (Komu#), das sich als
legitime Repräsentanz der Konstituante ausgab, daß sie alle Beschlüsse der
Staatskonferenz und des Direktoriums nicht anerkennen würden. Dieser innere
Bruch schwächte das sozialistische Lager gegenüber den erstarkenden
Nationalkonservativen, um die sich in Omsk militärische Kräfte scharten. Dadurch
gelang es der noch nicht aufgelösten Provisorischen Regierung Sibiriens, dem
Direktorium den Zugriff auf beträchtliche Finanzmittel zu verwehren, die nicht zuletzt
zum Aufbau einer funktionsfähigen Verwaltungsstruktur benötigt wurden.
Die Gruppen des rechten Flügels aus Vertretern der Provisorischen Regierung
Sibiriens, der Konstitutionellen Demokraten (Kadetten), der Kosaken und der
sozialdemokratischen Gruppe "Edinstvo" hatten in Ufa die Rückbindung an die "alte"
Konstituante zwar nicht verhindern können, hielten diese aber weiterhin für nicht
mehr repräsentativ. Als das Direktorium wenig später vor der Roten Armee nach
Omsk, in die Hauptstadt der Konservativen und der radikalen Rechten Sibiriens,
ausweichen mußte, engte sich sein Handlungsspielraum noch mehr ein. Mit seinen
programmatischen Leitsätzen identifizierte sich kein Lager vorbehaltlos, weil sie nicht
als Kompromiß ausgehandelt worden waren und deshalb trotz des offenkundigen
Bemühens um eine Ausbalancierung der Interessen und eine Mäßigung radikaler
Forderungen letztlich niemanden zufrieden stellte. Die Autoren hatten schwer
vereinbare Forderungen der beiden Hauptflügel nur lose aneinander gereiht.
Beispielsweise sollte es einer "entpolitisierten" Armee unter der Führung von – meist
antisozialistisch eingestellten Offizieren – obliegen, für "Demokratie", bürgerliche
Freiheiten, Recht und Ordnung, regionale Autonomie und "national-kulturelle
Selbstbestimmung" zu kämpfen. Die einen befürchteten eine Neuauflage des wenig
entschlußfreudigen Kerenskij-Regimes von 1917. Andere verglichen die
Staatskonferenz von Ufa mit der äußerlich prunkvolleren, im Ergebnis aber
folgenlosen Moskauer Staatskonferenz vom August 1917.
In der Wirtschaftspolitik standen sozialrevolutionäre Positionen neben Bekenntnissen
zu einem privaten Unternehmertum und zu ausländischen Investitionen. Der Staat
sollte auf das Getreidemonopol mit Fixpreisen verzichten, die Kontrolle über Industrie
und Handel sowie über die Verteilung von Mangelprodukten aber beibehalten. Die
Bauern erhielten das Nutzungsrecht für das von ihnen bestellte Land, wurden aber
zugleich auf eine endgültige Lösung der Bodenfrage durch die Konstituierende
Versammlung vertröstet. Die Passagen über die Arbeiterpolitik spiegeln einerseits
unverhohlene Kritik an den ruinösen Zuständen in den Fabriken bzw. an den Folgen
der revolutionären Selbstverwaltung der Betriebe durch die Beschäftigten.
Andererseits ist der Versuch erkennbar, zwischen Unternehmer- und
Arbeiterinteressen zu vermitteln.
Das Direktorium von Ufa bildete eine kurzlebige, aber wegweisende Etappe
antibolschewistischer Herrschaftsbildung im Bürgerkrieg. Mit ihm erreichte der
Einfluß der Mehrheitspartei der Sozialrevolutionäre einen letzten Höhepunkt, bevor
sie im Herbst 1918 vollends von den Epizentren der Macht verdrängt wurde. Das Ziel
des im Frühjahr 1918 im Moskauer Untergrund entstandenen Bundes für die
Wiedergeburt Rußlands, unter der Führung der Sozialisten eine breite
Einigungsbewegung aller nichtbolschewistischen Kräfte und mit dieser einen Ring
von Gegenregierungen um das von den Bolschewiki gehaltene Kerngebiet Rußlands
zu schaffen, traf in den Regionen nicht auf die erhoffte Unterstützung. Im Süden blieb
das Echo sogar gänzlich aus. Doch auch die im Sommer 1918 noch möglich
erscheinende militärische Frontlinie vom Weißen Meer im Norden über die
Wolga-Ural-Region bis nach Sibirien konnte nicht geschlossen werden. Auf diese
Weise blieben den Sozialrevolutionären lediglich wenige Wochen, um ihr Konzept
einer "russischen revolutionären Demokratie" auf einem begrenzten Territorium an
der Mittleren Wolga erproben zu können, bevor die Rote Armee das Gebiet wieder
unter ihre Kontrolle brachte. Bereits zwei Tage nach Beginn der Staatskonferenz war
Kazan’ wieder in die Hände der Bolschewiki gefallen. Simbirsk folgte wenig später.
Die Flucht des Direktoriums ins westsibirische Omsk war bereits ein Zugeständnis an
die Konservativen. Doch wäre auch ein Umzug nach Ekaterinburg prekär gewesen,
weil dort der erwähnte Kongreß der Mitglieder der Konstituante und die mit den
Sozialrevolutionären
sympathisierende
Tschechoslowakische
Legion
dem
Kompromiß von Ufa ablehnend gegenüber standen. In Omsk bereitete ein Putsch
unter Admiral A. V. Kol#ak am 18. November 1918 dem Direktorium ein Ende.
Führenden Mitgliedern der sozialistischen Parteien wurde nach der Inhaftierung das
Exil aufgezwungen, während die Organisationen fortan kaum weniger entschieden
bekämpft wurden wie die Bolschewiki. Die Diktatur des Admirals genoß trotz
Vorbehalten mehr Unterstützung seitens der alliierten Interventionsmächte als
andere Gegenregierungen. Auch die Südregierung unter General A. I. Denikin sah
sich schließlich zu einer formellen Anerkennung Kol#aks als Obersten Regenten
gedrängt. Damit war Omsk zum Zentrum des Kampfes gegen die Bolschewiki
geworden.
Das Komu# war damit endgültig mit dem Versuch gescheitert, die "alte" Konstituante
wiederzubeleben und eine legitime Nachfolgebehörde für die im Oktober 1917
gestürzte Provisorische Regierung zu schaffen. Das Konzept der Sozialrevolutionäre
von einer genuin russischen demokratischen Alternative zu den Bolschewiki hatte
sich unter den Bedingungen des eskalierenden Bürgerkriegs als illusorisch erwiesen.
Zum eine zeigte sich die Partei der militärischen Entschlossenheit und dem
Rigorismus sowohl der Bolschewiki auf der Linken als auch der staatsorientierten
Kräfte auf der Rechten organisatorisch unterlegen. Zum anderen mangelte es ihrer
Strategie eines "dritten Weges" zwischen "roter" und "weißer" Diktatur an einer
kritischen Einschätzung der Gegebenheiten. Selbst in den Hochburgen an der
Mittleren Wolga verweigerten ihnen die Bauern die Gefolgschaft, wenn sie für ein
abstraktes Ziel wie die Wiedereinberufung der Konstituierenden Versammlung
mobilisiert werden sollten oder wenn die sozialistische Regierung von Samara eine
Revision der "wilden" Landaneignungen ankündigte, mit der die Anarchie in der
Landwirtschaft und die sinkende Produktivität bekämpft werden sollte. Ohne aktive
bäuerliche Massenbasis besaßen die Sozialrevolutionäre aber keine Startvorteile
gegenüber den vielen konkurrierenden Kräften um die Vorherrschaft im Kampf gegen
die Bolschewiki. Sie mußten sich schließlich dem militärischen Übergewicht der in
Sibirien formierten Regionalmacht beugen.
Die Gründungsakte von Ufa spiegelt den komplexen Prozeß der politischen
Machtbildung und der programmatischen Orientierung nach dem revolutionären
Zerfall des Zarenreiches in einer der wichtigsten Regionen des russischen
antibolschewistischen Widerstands. Da keine Einigung auf einen Minimalkatalog
aktueller Aufgaben erreicht worden war, lasen die zerstrittenen Gruppen nur das aus
dem Dokument heraus, was ihren eigenen Interessen entsprach. Die Auflösung der
alten Parteibindungen beschleunigte sich. Die bereits im November 1917 in einen
kleineren linken und in einen mehrheitlichen rechten Flügel zerbrochenen Partei der
Sozialrevolutionäre stürzte in weitere Fraktionskämpfe. Wenn bereits die am 24.
September 1918 von der Roten Armee aus Samara vertriebene sozialrevolutionäre
Regierung den Radikalen in den eigenen Reihen als zu wenig revolutionär und den
Gemäßigten als zu radikal erschienen war, so geriet erst recht das Direktorium von
Ufa zwischen alle Fronten. Ein führender Sozialrevolutionär, A. A. Argunov,
beschrieb die fortschreitende Radikalisierung des Bürgerkriegs vereinfachend mit
den Worten, die Sozialisten hätten sich in einem Abwehrkampf gegen "zwei
Bolschewismen" befunden, nämlich gegen die linke Tyrannei der Bolschewiki und
gegen die rechte Militärdiktatur der "staatlichen Kräfte". Die zwischen diesen Polen
angenommene Mitte hatten die Sozialrevolutionäre allerdings weder programmatisch
ausfüllen noch organisatorisch stabilisieren können.
Nikolaus Katzer
Quellen- und Literaturhinweise
Boldyrev, V., Direktorija, Kol#ak, interventy. Vospominanija, Novonikolaevsk 1925.
Figes, O., Peasant Russia, Civil War. The Volga Countryside in Revolution
(1917-1921), Oxford 1989.
Katzer, N., Die weiße Bewegung in Rußland. Herrschaftsbildung, praktische Politik
und politische Programmatik im Bürgerkrieg, Köln u.a. 1999.
"Konstitucija Ufimskoj direktorii", in: Archiv russkoj revoljucii, Bd. XII, Berlin 1923, S.
189-193.
Trukan, G., Antibol’ševistskie pravitel’stva Rossii, Moskau 2000.
Tschernow, W., Meine Schicksale in Sowjet-Rußland, Berlin 1921.
"Ufimskoe gosudarstvennoe soveš#anie", in: Russkij istori#eskij archiv, Bd. 1, Prag
1929, S. 57-280.
"Ufimskoe soveš#anie i Vremennoe sibir’skoe pravitel’stvo", in: Krasnyj archiv, 1933,
Nr. 6 (61), S. 58-81.
Zenzinov, V. (Hrsg.), Gosudarstvennyj perevorot admirala Kol#aka v Omske 18
nojabrja 1918 goda. Sbornik dokumentov, Paris 1919.
Zayer Rupp, S., "Conflict and Crippled Compromise: Civil War Politics in the East
and the Ufa State Conference", in: The Russian Review, 56 (1997), S. 249-264.
Gründungsurkunde der Allrußländischen Obersten Macht, 26.
August - 10. September 1918 (8. - 23. September) 1918
Die Staatskonferenz, bestehend aus dem Kongreß der Mitglieder der
Allrußländischen Konstituierenden Versammlung und den dafür bevollmächtigten
Vertretern des Komitees der Mitglieder der Allrußländischen Konstituierenden
Versammlung, der Provisorischen Regierung Sibiriens, der Regionalregierung des
Urals, der Kosakenheere von Orenburg, des Urals, Sibiriens, von Irkutsk, von
Semire#ensk, vom Enisej und von Astrachan', den Vertretern der Regierungen
Baškiriens, der Alaš [Orda] und Turkestans, der Nationalverwaltung der Turk-Tataren
Innenrußlands und Sibiriens, der Provisorischen Regierung Estlands, den Vertretern
des Kongresses der Städte und Zemstva Sibiriens, des Urals und des Wolgagebiets,
den Vertretern politischer Parteien und Organisationen – der Partei der
Sozialrevolutionäre, der Rußländischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, der
Partei der Volkssozialisten, der Partei der Volksfreiheit, der Allrußländischen
Sozialdemokratischen Organisation "Einheit" und des Bundes für die Wiedergeburt
Rußlands, hat in einmütigem Bestreben zur Rettung des Landes, zur
Wiederherstellung seiner Einheit und zur Sicherung seiner Unabhängigkeit
beschlossen:
die gesamte Fülle der Obersten Macht auf dem gesamten Territorium des
Rußländischen Staates der Allrußländischen Provisorischen Regierung, bestehend
aus den fünf Personen Nikolaj Dmitrievi# Avksent’ev, Nikolaj Ivanovi# Astrov,
Generalleutnant Vasilij Georgievi# Boldyrev, Petr Vasil’evi# Vologodskij und Nikolaj
Vasil’evi# #ajkovskij, zu übertragen.
Die Allrußländische Provisorische Regierung läßt sich bei ihrer Tätigkeit von den
folgenden, durch die vorliegende Urkunde festgelegten Grundsätze leiten:
Allgemeine Grundsätze
1. Die Allrußländische Provisorische Regierung ist bis zur Einberufung der
Allrußländischen Konstituierenden Versammlung die einzige Trägerin der Obersten
Macht auf dem gesamten Territorium des Rußländischen Staates. 2. Alle Funktionen
der Obersten Macht, die angesichts der entstandenen Bedingungen zeitweise durch
die Regionalregierungen ausgeübt werden, sollen an die Allrußländische
Provisorische Regierung übergeben werden, sobald sie dies fordert. 3. Die
Festlegung der Zuständigkeitsbereiche für die Regionalregierungen nach den
Prinzipien breiter Gebietsautonomie und auf der Grundlage des unten erläuterten
Aktionsprogramms der Regierung wird dem Ratschluß der Allrußländischen
Provisorischen Regierung überlassen.
Die Verpflichtungen der Regierung gegenüber der Allrußländischen Konstituierenden
Versammlung
Es wird zur unerläßlichen Verpflichtung der Allrußländischen Provisorischen
Regierung gemacht:
1. Dem als staatsrechtliches Organ wirkenden Kongreß der Mitglieder der
Konstituierenden Versammlung bei seiner eigenständigen Arbeit zur Sicherstellung
der Anreise von Mitgliedern der Allrußländischen Konstituierenden Versammlung und
zur Beschleunigung und Vorbereitung einer erneuten Tätigkeit der Konstituierenden
Versammlung in der gegenwärtigen Zusammensetzung die größtmögliche
Unterstützung zu gewähren. 2. Sich unablässig von den unbestreitbaren obersten
Rechten der Konstituierenden Versammlung leiten zu lassen und unermüdlich
darüber zu wachen, damit in der Tätigkeit aller der Provisorischen Regierung
untergeordneten Organe nichts zugelassen werde, das zu einer Minderung der
Rechte der Konstituierenden Versammlung oder zu einer Verzögerung bei der
Wiederherstellung ihrer Arbeit führen könnte. 3. Der Konstituierenden Versammlung
über ihre Tätigkeit Bericht zu erstatten, sobald die Konstituierende Versammlung ihre
Arbeiten für wiederaufgenommen erklärt, und sich bedingungslos der
Konstituierenden Versammlung als der einzigen Obersten Macht im Lande
unterzuordnen.
Anmerkung: Dazu wird ein Beschluß des Kongresses der Mitglieder der
Allrußländischen Konstituierenden Versammlung vom 16. September 1918 beigefügt.
Aktionsprogramm der Provisorischen Regierung
Bei ihrer Tätigkeit zur Wiederherstellung der staatlichen Einheit und Unabhängigkeit
Rußlands soll die Allrußländische Provisorische Regierung die folgenden
unaufschiebbaren Aufgaben an die erste Stelle rücken:
1. Den Kampf für die Befreiung Rußlands von der Sowjetmacht; 2. Die
Wiedervereinigung der entrissenen, abgefallenen und voneinander getrennten
Gebiete Rußlands; 3. Die Nichtanerkennung des Vertrages von Brest-Litovsk und
aller weiteren Verträge internationalen Charakters, die sowohl im Namen Rußlands
als auch von einzelnen seiner Teile nach der Februarrevolution von welcher Macht
auch immer geschlossen worden sind, ausgenommen die der Allrußländischen
Provisorischen Regierung, und die Wiederherstellung der Wirkungsmächtigkeit der
vertraglichen Beziehungen zu den Mächten der Entente; 4. Die Fortsetzung des
Krieges gegen die deutsche Koalition.
Im Bereich der Innenpolitik soll die Provisorische Regierung die nachfolgenden Ziele
verfolgen:
I. Im Militärbereich
1. Die Wiederherstellung einer starken, kampffähigen und einheitlichen
Rußländischen Armee, die außerhalb des Einflusses politischer Parteien zu stellen
und in Gestalt ihres Oberkommandos der Allrußländischen Provisorischen Regierung
unterzuordnen ist; 2. Die vollständige Nichteinmischung der Militärbehörden in den
Bereich der Zivilverwaltung, mit Ausnahme der Örtlichkeiten, die Schauplatz von
Militärhandlungen sind oder durch Verordnungen der Regierung in den
Kriegszustand versetzt worden sind, wenn dies eine extreme staatliche
Notwendigkeit erfordert; 3. Die Herstellung fester Militärdisziplin nach den Prinzipien
der Gesetzlichkeit und der Achtung der Persönlichkeit; 4. Die Nichtzulassung
politischer Organisationen von Militärbediensteten und das Fernhalten der Armee
von der Politik.
II. Im Zivilbereich
1. Das sich befreiende Rußland nach den Prinzipien der Anerkennung breiter
Autonomierechte für seine einzelnen Regionen auf der Grundlage von
geographischen, wirtschaftlichen und ethnischen Merkmalen zu organisieren, mit der
Absicht, den Staatsaufbau durch die unumschränkt herrschende Konstituierende
Versammlung nach föderativen Prinzipien endgültig zu gestalten; 2. Die
Anerkennung der Rechte nationaler Minderheiten, welche kein gesondertes
Territorium einnehmen, auf kulturell-nationale Selbstbestimmung; 3. Die
Wiederherstellung der demokratischen städtischen und ländlichen Selbstverwaltung
in den von der Sowjetmacht befreiten Teilen Rußlands und die Festlegung von
Neuwahlen in kürzester Frist; 4. Die Herstellung aller bürgerlichen Freiheiten; 5. Das
Ergreifen von Maßnahmen zum wirksamen Schutz der öffentlichen Sicherheit und
der staatlichen Ordnung.
III. Im Bereich der Volkswirtschaft
1. Der Kampf gegen die wirtschaftliche Zerrüttung; 2. Unterstützung der Entwicklung
der Produktivkräfte des Landes. Heranziehung von russischem und ausländischem
Privatkapital zur Förderung der Produktion und die Ermunterung von Privatinitiative
und Unternehmergeist; 3. staatliche Regulierung von Industrie und Handel; 4.
Ergreifen von Maßnahmen zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität und Kürzung des
unproduktiven Verbrauchs von Nationaleinkommen; 5. Entwicklung der
Arbeitsgesetzgebung auf der Grundlage eines wirksamen Arbeitsschutzes sowie die
gesetzliche Regelung der Bedingungen für die Einstellung und für die Entlassung
von Arbeitern; 6. Anerkennung vollständiger Koalitionsfreiheit; 7. Abkehr vom
Getreidemonopol und von Festpreisen im Bereich der Lebensmittelpolitik unter
Beibehaltung der normierten Verteilung derjenigen Produkte, die nicht in
ausreichender
Menge
vorhanden
sind.
Verfolgung
einer
staatlichen
Beschaffungspolitik unter Beteiligung von Privathandel und Kooperativen; 8. im
Finanzbereich Kampf gegen die Entwertung des Papiergeldes, Wiederherstellung
des Steuerapparats und Verstärkung der direkten Einkommensbesteuerung sowie
der indirekten Besteuerung; 9. Im Bereich der Bodenpolitik beläßt die Provisorische
Allrußländische Regierung das Land in den Händen seiner faktischen Nutzer, ohne
solche Veränderungen in den bestehenden Bodenbeziehungen zuzulassen, welche
eine Lösung der Bodenfrage in vollem Umfang durch die Konstituierende
Versammlung behindern würden. Des weiteren ergreift sie, unter Berücksichtigung
der Gewohnheiten und wirtschaftlichen Besonderheiten der einzelnen Regionen und
Gebiete, Maßnahmen zur umgehenden Wiederaufnahme der Bemühungen um eine
Regelung der Bodennutzung nach den Prinzipien einer maximalen Vergrößerung des
kultivierbaren Landes und der Erweiterung werktätiger Bodennutzung.
Ordnung für eine Änderung der Regierungszusammensetzung
1. Die Provisorische Allrußländische Regierung handelt als Kollegialorgan, indem sie
die Oberste Macht nach den genannten Grundsätzen ausübt. Ihre Mitglieder sind bis
zum Zusammentritt der Konstituierenden Versammlung niemandem verantwortlich
und nicht absetzbar. 2. Für den Fall des Ausscheidens des einen oder anderen
Mitglieds aus dem Bestand der Provisorischen Regierung werden als Stellvertreter
gewählt: Andrej Aleksandrovi# Argunov, Vladimir Aleksandrovi# Vinogradov,
Infanteriegeneral Michail Vasil’evi# Alekseev, Vasilij Vasil’evi# Sapožnikov und
Vladimir Michajlovi# Zenzinov. 3. Im Fall des Ausscheidens irgendeines Mitglieds der
Provisorischen Allrußländischen Regierung ersetzt der Stellvertreter den
Ausgeschiedenen. Stellvertreter N. D. Avksent’evs ist A. A. Argunov, N. I. Astrovs V.
A. Vinogradov, V. G. Boldyrevs M. V. Alekseev, P. V. Vologodskijs V. V. Sapožnikov
und N. V. #ajkovskijs V. M. Zenzinov. 4. Da es für die Provisorische Allrußländische
Regierung notwendig ist, umgehend in ihrer vollständigen Zusammensetzung zur
Ausübung der Macht und zur Verwaltung des Staates überzugehen, sollen vor der
Ankunft der derzeit abwesenden Mitglieder umgehend deren persönliche
Stellvertreter in ihren Bestand eintreten. 5. Die Mitglieder der Provisorischen
Allrußländischen Regierung leisten bei ihrem Eintritt das feierliche Versprechen
gemäß dem hier beigefügten Text.
Für den Vorsitzenden Staatskonferenz:
Der stellvertretende Vorsitzende Evgenij Francevi# Rogovskij,
Mitglied der Allrußländischen Konstituierenden Versammlung.
Der stellvertretende Vorsitzende der Staatskonferenz, Versorgungsminister der
Provisorischen Regierung Sibiriens, I. I. Serebrjannikov.
Der Sekretär der Staatskonferenz und Mitglied der Konstituierenden Versammlung,
Boris Moiseenko.
Der Sekretär der Staatskonferenz und Mitglied der Regionalregierung des Urals,
Petr Murašev.
Die Mitglieder der Allrußländischen Konstituierenden Versammlung:
K. Burevoj, Michail Gendel’man, Apol. Nik. Kruglikov, V. Podvickij, O. S. Minor, N.
Ivanov, D. Rozenbljum, G. Teregulov, V. Pavlov, V. Pankratov, N. Zdobnov, G. Titov,
S. Šendrikov, Barancev, N. Oganovskij, K. Šumakov, S. Volodin, Moisej Krol’, A.
Vlasov, V. Ch. Tana#ev, S. Lotošnikov, N. Fomin, M. Vozmitel’, B. Archangel’skij, A.
Šapošnikov, D. Šnyrev, A. Minin, N. Lev#enko, M. Slonin, V. Mamonov, V. L. Utgov,
B. Sokolov, F. Tuchvatullin, N. Ljubimov, Iv. Vasil’ev, V. Lomšakov, M. Achmerov, D.
Petrov, Vissarion Gurevi#, V. Vladykin, Koz’ma Gurov, A. Devizorov, B. #ernenkov,
P. Suchanov, Ach. Bajtursunov, A. Beremžanov, G. A. Alimbekov, S. Doš#anov,
Ipmagomet, A. Zisman, L. Efremov, M. Lindberg, V. Alekseevskij, L. Krol’, V.
Matuškin, M. F. Tuchtarov, Breškovskaja, E. Lazarev, V. Vol’skij, M. Svjatickij.
Die Vertreter des Komitees der Mitglieder der Allrußländischen Konstituierenden
Versammlung:
M. Vedenjapin
Die Vertreter der Provisorischen Regierung Sibiriens:
Generalmajor Ivanov-Rinov, der geschäftsführende Innenminister S. Starynkevi#, für
die Sibirische Regierung und die Sibirischen Kosaken Generalleutnant G. Katanaev,
Oberst Bobrik, der Kommissar des Uralgebiets Professor Petr Maslov.
Die Vertreter der Provisorischen Regionalregierung des Urals:
Koš#eev, Ip. Vojtov.
Die Vertreter der Heeresregierungen der Kosakenheere:
Des Heeres der Uralkosaken, General M. Chorošchin.
Der Vertreter des Sibirischen Kosakenheeres und Vertreter des Heeresatamans, der
Kosakenoberstleutnant E. Berezlovskij.
Der Stellvertreter des Semire#ensk-Kosakenheeres Il’ja Šendrikov.
Der Stellvertreter des Enisej-Heeres Prokopij Šuvaev.
Des Astrachan-Kosakenheeres G. Astachov.
Des Irkutsk-Kosakenheeres I. Peženskij.
Der Vertreter der Regierung Baškiriens:
Das Mitglied der Regierung Baškiriens Iskander Bek-Muchametiarovi# Sultanov.
Die Vertreter der kirgisischen Regierung "Alaš Orda":
Der Vertreter der autonomen Alaš und Vorsitzende der Alas-Orda Alichan Bukejchan,
Imam Alimbek.
Die Vertreter der Provisorischen Regierung des autonomen Turkestans:
Der Vorsitzende der Provisorischen Regierung M. #okaev, das Mitglied der
Provisorischen Regierung des autonomen Turkestan A. Urazaev, das Mitglied des
Provisorischen Volksrates Turkestans S. A. Muftizade.
Die Vertreter der Nationalverwaltung der Turk-Tataren Innenrußlands und Sibiriens:
Die Vertreter der Nationalverwaltung der muslimischen Turk-Tataren Innenrußlands
und Sibiriens Džantjurin, M. G. Ischakov, Sultan-Bek Šagi-Bekovi# Mamleev.
Die Vertreter der Provisorischen Regierung Estlands:
B. Linde, A. L. Kaelas, Aleksej Neu.
Die Vertreter des Kongresses der Städte und Zemstva Sibiriens, des Urals und des
Wolgagebiets:
I. Achtjamov, A. Ga#i#eladze, S. Tret’jakov, N. Mitkevi#.
Die Vertreter der Zentralkomitees der politischen Parteien und Organisationen:
Des Zentralkomitees der Partei der Sozialrevolutionäre Michail Gendel’man, Flor.
Fedorovi#, der Delegation der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei B. Kibrik, S. M.
Lepskij, des Zentralkomitees der Partei der Volkssozialisten-Trudoviki F. #embulov,
S. Znamenskij, I. Suchanov.
Das Mitglied des Zentralkomitees der allrußländischen sozialdemokratischen
Organisation "Einheit" V. Fomin.
Des Zentralkomitees der Partei der Volksfreiheit A. I. Korobov, A. P. Mel’gunov.
Der Vertreter des Bundes für die Wiedergeburt Rußlands S. Znamenskij.
Originalunterschriften:
Provisorische Allrußländische Regierung:
N. Avksent’ev
V. Boldyrev
V. Zenzinov
V. Sapožnikov
Der Geschäftsführer der Provisorischen Allrußländischen Regierung A. Kruglikov.
Für die Richtigkeit:
In Vertretung des Kanzleichefs Permjakov
Übersetzung von N. Katzer.
Quelle: http://1000dok.digitale-sammlungen.de/dok_0014_ufa.pdf
Datum: 18. Mai 2017 um 17:07:55 Uhr CEST.
© BSB München
Herunterladen