1 Der neue Astro-Boom aus: Jupiter H. 2, Febr. 1991, 16ff veröffentlicht unter dem Pseudonym Jakob Stern Kein Zweifel, Astrologie ist "in". Immer mehr Menschen orientieren ihr Leben nach den Sternen, die Presse spricht von einer "neuen Sucht". Was eigentlich macht die Astrologie so beliebt? Angst vor der Zukunft? Flucht vor den Problemen des Alltags? Ersatz für eine verlorene Religion? Der Blick zu den Sternen hat die Menschen schon immer fasziniert. Ursprünglich war die Beschäftigung mit dem Lauf der Gestirne und ihren ewigen Gesetzen den Priestern vorbehalten, war wie Gottesdienst. Am gleichmäßigen, ja berechenbaren Himmels-schauspiel ließ sich die Macht der Götter ablesen. Das menschliche Schicksal, besonders das der fürstlichen Herrscher, war von der Gnade der himmlischen Mächte abhängig, und diese gnädige Macht zeigte sich in den Sternen. Nach über 5000 Jahren Geschichte der Astrologie haben sich die Verhältnisse heute gründlich geändert. Geblieben sind aber die Gestirne, die noch immer im Gleichmaß ihre Bahnen am Himmel ziehen. Geblieben ist auch ihre Symbolkraft - und ihre Anziehung. Astrologie versetzt viele in Spannung, und es kommt zu erregten Gesprächen. Woher kommt das? Gründe für den "neuen" (oder alten) "Astro-Boom" gibt es gleich 2 mehrere. Einer liegt sicherlich in der abnehmenden Wissenschaftsgläubigkeit unserer Zeit. Der absolute Glaube an die Kraft und Macht der Naturwissenschaften ist in den letzten Jahrzehnten auffallend geschwunden. Man traut der Logik des Verstandes nicht mehr viel zu, weder daß sie die weltweiten Krisen bewältigen, noch daß sie aus persönlichen Engpässen herausführen kann. Die Vernunft leitet das tägliche Leben, trotzdem genügt es vielen Menschen nicht mehr, nur vernünftig zu sein. Obwohl auf vielen Gebieten die Vernunft Hervorragendes leistet und wir immer wieder staunen, versagen im persönlichen Leben vernünftige Argumente immer häufiger. In diesem Spannungsfeld zwischen Vernunft und Glauben gelangt die Astrologie zu immer mehr Bedeutung. Trotz aller Vernunft-Orientierung hat sich in der westlichen Gesellschaft ein neues Bewußtsein entwickelt. Die Fragen nach dem Sinn des Lebens werden drängender gestellt. Die Naturwissenschaft bleibt hier vieles schuldig. Der Anspruch auf gültige Antworten ist radikaler geworden. Es herrscht eine Sehnsucht nach dem ganz anderen, nach einem unvergänglichen und beständigen Grund des Lebens, nach anderen als den herkömmlichen Deutungen des persönlichen Schicksals. Das alles soll vernünftig und verständlich sein, gleichzeitig sollen aber auch die Sehnsüchte gestillt werden. Hier entspricht die Astrologie den Erwartungen vieler Menschen. Astrologie: Zwischen Glaube 3 und Vernunft Ein anderer Grund für die Faszination der Astrologie liegt sicher in ihrem Versprechen, in die Zukunft blicken zu können. Auch Hellseher, Handleser und Kartenleger haben Hochkonjunktur. Doch nur bedingt läßt sich die Astrologie für Prognosen verwenden. Wenn dem menschlichen Leben bestimmende Gesetze innewohnen, dann lassen sich zwar Tendenzen der Zukunft aus den Konstellationen ablesen. Allerdings sind Astrologen mit ihren Prognosen oft auch überfordert. Nicht daß zukünftige Ereignisse nicht vorausgesehen werden könnten. Das Problem besteht vielmehr darin, daß Außenstehende es sich meist nicht vorstellen können, wie sich ein Ereignis auf das Bewußtsein auswirkt. Selbst wenn man die Wiedervereinigung prognostizieren könnte, wer hätte sich die Einzelheiten des Zustandes in Deutschland nach dem Fall der Mauer vorstellen können? Genauso geht es in der Betrachtung der Zukunft eines Lebenslaufes zu. Wer kann schon sagen, wie sich ein Mensch nach einer gelungenen Operation und einem mehrwöchigen Klinikaufenthalt im einzelnen fühlt? Das kann auch der Hellseher nicht. Immerhin: Die Möglichkeit, Zukunft zeigen zu können, treibt viele zur Astrologie. Der Astrologe stößt hier auf das Streben des Menschen nach Sicherheit. Dem muß er eigentlich widerstehen. Denn es gilt, daß alle Erfahrungen den Menschen auffordern, sein Leben als Gabe und Aufgabe zu begreifen. Auch auf der Suche nach einer geistigen Orientierung im Leben kommen viele Menschen zur Astrologie. Die Kirche steht zwar räumlich immer noch in der Mitte der Dörfer und Städte, aber nicht mehr in der Mitte der Herzen. Staat und Gesellschaft geben sich pluralistisch, zugleich aber in weltanschaulichen Fragen neutral und sogar 4 inkompetent. Es fehlt jene Orientierung über Leben und Tod, welche die Erbauer der mittelalterlichen Dome noch zur Verfügung hatten. Auch die ehrwürdigen Sprachformen der Dogmatik haben an Aussagekraft verloren. So manche Symbole sind unverständlich geworden. Das Urvertrauen in die Religion ist vom Verstand in Frage gestellt worden. Religion wurde scheinbar entbehrlich. Es entsteht ein Vakuum der Seelenlosigkeit. Wissenschaft und Logik haben zwar die Herrschaft übernommen. Zeichen ihrer Macht sind große technologische Erfolge und mächtige Bauten von Instituten und Bibliotheken, die Dome der neuen Zeit. Aber das Denken ist enger geworden. Dagegen setzt Astrologie die Weite des Himmels und die Beständigkeit ihrer Gesetze. Die alten Symbole erwachen, Schicksal wird scheinbar wieder durchsichtig. Der Astrologe vermittelt zwar meist nicht den Sinn, aber er führt auf den Weg der Selbsterkenntnis. Das ist viel. Es ist mehr als Wissenschaft und Vernunft leisten. Die Zeichen am Himmel deuten und Zusammenhänge verstehen: Das ist der erste Schritt zu sinnvollem Leben. Es geht in der Astrologie um einen einfachen logischen Vorgang, den jeder lernen kann: Einer mathematischen Formel entspricht eine menschliche Eigenschaft oder ein Ereignis. Nach diesen Übereinstimmungen sucht der Astrologe: Hier Formel - dort Ereignis, nach der alten Regel: Wie oben - so auch unten. Hier liegt wohl die größte Faszination, die indessen nur von solider 5 astrologischer Arbeit ausgeht. Denn der Astrologe tut zunächst nichts anderes als eine Entsprechung von Formel und Ereignis festzustellen. Astrologie: Suche nach neuen Perspektiven Das fängt beim "Beweis" für die Geburt zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort an und setzt sich fort in den zahllosen Merkmalen eines Menschen, die das Horoskop dem Kundigen erschließen. Solche Übereinstimmungen lassen sich eben zu oft beobachten, als daß man hier von Zufall sprechen könnte. Spekulationen haben keinen Platz, Zuverlässigkeit ist gefragt, Vermutungen gehören nicht in die Astrologie. "Es könnte sein, oder es könnte auch nicht sein", solche Schein-Ergebnisse sind astrologisch nicht brauchbar. Obwohl manche Erkenntnisprobleme noch ungelöst sind, bleibt diese Methode, Lebensläufe zu untersuchen, erregend und anziehend. Leider erschließen sich weder Wahrheit noch Richtigkeit der Astrologie so einfach, wie es in manchen Büchern am Kiosk zu lesen ist. Man darf es nicht verschweigen: Auch die Astrologie hat ihre religiöse Verwurzelung weithin verloren. Sie ist entweder in reine Mathematik oder Psychologie abgeglitten, manchmal auch wirft sie sich den Erwartungen entwurzelter Menschen mit häufig unhaltbaren Versprechungen an die Brust. Dennoch übt sie eine ungeheure Anziehungskraft aus, weil sich trotz mancher Einwände bei den seriösen Astrologen die wissenschaftliche Methode und die Ehrfurcht vor dem göttlichen Grund der Welt verbinden. Außerdem wird jedes Wissen hier als Rat an 6 Hilfesuchende eingesetzt. Die Kritik an astrologischer Wahrheit ist härter und grundsätzlicher geworden, weil man nicht zugeben möchte: Keiner kann sein Leben selber "machen". Wir leben in einer Zeit, in der es heißt: "Mach dies und mach das, dann geht es Dir gut. Wenn es Dir trotzdem nicht gut geht, dann hast Du das Falsche oder zu wenig gemacht, dann mußt Du Dich noch mehr anstrengen". Astrologie sieht den Menschen nicht nur als "Macher", sondern aufgehoben in den Lebenserfahrungen, die für ihn bestimmt sind. Er soll wachsen und reifen, nicht nur schaffen und rackern. Aufklärung und Säkularisierung haben die Vernunft zu eigener Verantwortung befreit. Jeder kann, ja soll sich nun des eigenen Verstandes und seiner Lebenskräfte bedienen. Damit wird er unabhängiger von fremdgesteuerten Autoritäten. Damit haben aber zugleich auch die Gefahren der Vereinsamung zugenommen. Astrologie will hier helfen, indem sie Menschen in ihren persönlichen Erfahrungen, in ihren Ängsten und Wünschen ganz ernst nimmt. Eine Gefahr der Astrologie besteht allerdings darin, daß die Verantwortung für das eigene Schicksal jetzt auf die "Sterne" abgeschoben werden kann. "Schuld" am eigenen "Unglück" hat nun nicht mehr eine "fremde Autorität", sondern ein "böser Planet". Astrologie: Sehnsucht nach dem Sinn Die Angst vor der Zukunft wird aus astrologischer Sicht in ein Aufgehobensein im Lebensplan verwandelt. Das beruhigt und aktiviert zugleich, es überwindet Pessimismus und führt zu heilsamer Gelassenheit. Wo 7 allerdings Astrologie lediglich zu einer Technik heruntergekommen oder zu psychologischer Phantasie verkommen ist, wo also nicht methodisch und kritisch gedacht wird, da hilft es auch nicht, wenn kleine Märchen über Gott und die Welt erzählt werden, auch wenn die Menschen solches schon immer gern hörten. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß eine verantwortliche Astrologie den sich selbst verwirklichenden Menschen von dem Druck befreit, lediglich ein Fragment in einer Welt der Fragmente zu sein. Sein Lebenslauf ist eingebunden in die kosmischen Gesetze der Weltläufe, und er darf seinem eigenen Lebensgesetz folgen lernen. Das macht fröhlich, und es stellt sich danach heraus, daß er dies und jenes auch ändern kann. Was zu ändern ist, damit das Glück der Selbsterkenntnis gelinge, das kann ihm der Astrologe sagen. Vertrauen in den Lebensplan Gottes aber muß jeder selbst lernen. *