■ KNOW-HOW Organisation Interview mit Ingo Krauss, Strategischer Berater von Saatchi & Saatchi Auffallen im Informationskonfetti Der ehemalige Chairman der Werbeagentur Saatchi & Saatchi und heutige strategische Berater dieses Topmarkenmachers, Ingo Krauss, vermisst im Management mutige Visionäre. Für Mensch & Büro interviewte Franz-Gerd Richarz, Geschäftsführer der Richarz Kommunikation, den versierten Werbeprofi. von Kanälen und gleichzeitig eine Vielzahl von Printobjekten, dass es zunehmend schwieriger wird, selbst mit großem Budget eine relativ breite Zielgruppe ordentlich zu erreichen. Mensch & Büro: Eine Vielzahl neuer Kommunikationsmöglichkeiten, immer heterogener werdende Zielgruppen, ein globalisierter Wettbewerb und überall lacht der Slogan „Geiz ist geil“ – ist nach 50 Jahren Marketing und Markenführung in Deutschland, eine Zunft mit ihrem Latein am Ende, hat sie bereits alles gelernt, oder steht sie erst ganz am Anfang? Krauss: Ganz klar, wir stehen in einer Umbruchphase. Schlicht und einfach deshalb, weil die Zeiten in denen Kommunikationsfachleute mit USP’s arbeiten konnten vorbei sind. Das gilt auch für das anvertraute Produkt oder die Dienstleistung, die einen echten Vorteil hatten, den man dramatisieren konnte. In der Regel beschäftigen wir uns mit Produkten und Dienstleistungen, die weitgehend gleich sind. Dabei wird dann die Art, wie man etwas sagt, viel wichtiger als das, was man sagt. Und da gibt es einen zweiten Aspekt, den einer wesentlich heterogener gewordenen Medialandschaft. Gerade in Deutschland war es bis Mitte der 80er Jahre relativ leicht, denn im Fernsehbereich gab es nur ARD und ZDF und deshalb ging ein Großteil der Marketingetats in die Printmedien. Heute haben wir eine solche Vielzahl 54 Ingo Krauss, ehemaliger Chairman der Werbeagentur Saatchi & Saatchi und heute strategischer Berater dieses Topmarken-Machers, hält von Netzwerken nichts. Sich heute aus dem Informationskonfetti hervorzuheben, bedarf erheblich größerer Anstrengungen und größer Kreativität. Und damit meine ich nicht das Verrückte oder Abgehobene, sondern unter Kreativität verstehe ich das Relevante, wirklich Differenzierende, die zündende Idee. Mensch & Büro: Marketing ist also heute eine Herausforderung an die Qualität. Wo setzt man im Marketingfach und bei den Unternehmen an? Krauss: Zunächst einmal ist festzuhalten, dass kommerzieller Kommunikation in allen Disziplinen heute eine wichtigere Rolle im Marketing-Mix zukommt als früher. Dies braucht im Unternehmen Menschen, die „ja“ sagen dürfen und damit meine ich die, die tatsächlich Entscheidungen treffen dürfen. Häufig nämlich werden Konzepte durch zu viele Level hindurch präsentiert, so dass der endgültig Entscheidende oft nur noch ein Bruchstück dessen sieht, was ursprünglich auf dem Tisch gelegen hat. Nach meiner Meinung müssten Brand-Manager, und damit Markenverantwortliche deshalb ganz oben angesiedelt sein. Ein Brand-Manager dürfte gar kein Interesse daran haben, unbedingt in zwei Jahren den nächsten Karrieresprung zu machen. Seine Stellung müsste eine langfristig strategische sein. Er muss unbedingt mit dem Privileg des Ja-Sagens ausgestattet werden und er darf nicht das Gefühl haben, dass ihm jede Entscheidung jederzeit von allen Mitgliedern des Vorstandes korrigiert werden kann. Zu fordern ist also der Blick auf die langfristige Wirkung von Inhalten. Wenn ich mich da nochmals auf die Eingangsfrage beziehe, so ist beispielsweise „Geiz ist geil“ für das damit werbende Unternehmen der wahrscheinlich am besten zu erinnernde Spruch. Man hat damit ein Stück Zeitgeist, nämlich die Schnäppchenjagd, erfasst und forciert. Gleichzeitig wird man damit in absehbarer Zeit ein Riesenproblem haben. Dieses Thema lässt sich nämlich nicht endlos fortführen, aber davon wieder wegzukommen dürfte sehr schwer fallen. Mensch & Büro: Billig allein, das kann es tatsächlich nicht sein, was in einem Hochlohnland wie Deutsch- Mensch&Büro 3/2005 land die dringend gebrauchte zusätzliche Wertschöpfung bringt. Wo bietet Marketing Perspektiven für eine Veränderung? Krauss: Unser neuer Bundespräsident hat einen sehr wichtigen Satz geprägt, wenn er sagt: „Mein Traum ist, dass Deutschland ein Land der Ideen wird.“ Das ist eine sehr hehre Forderung und als Marketingmann sage ich ganz realistisch, dass sich Ideen nicht auf allen Gebieten mit absolut tief greifender Wirkung realisieren lassen. Tatsache ist und bleibt, wir haben in Deutschland früher schon davon gelebt, dass wir bestimmte Dinge produziert haben, die andere in dieser Form nicht herstellen konnten. Diesen Wettbewerbsvorteil haben wir in vielen Bereichen verloren. Und um so dramatisch besser zu werden, wie es nötig wäre, um die Lohnnachteile gegenüber dem Wettbewerb auszugleichen, das wird uns nur in wenigen Kategorien gelingen. Meine Hoffnung ist, dies in einigen wichtigen Kategorien wieder zu schaffen, beispielsweise in der Automobilbranche, wo die Chancen durchaus gut sind. In anderen Bereichen, wie der braunen Ware, also TV und HiFi, haben wir zu früh aufgegeben. In Deutschland wurde von Telefunken das PAL-System erfunden, heute ist Telefunken als Marke verschwunden. Man hat sich den Vorsprung hier viel zu leicht abnehmen lassen. Mensch & Büro: Deutschland, zukünftig ein Land der Marken und Marketingideen – was brauchen wir außer innovativen, technischen Entwicklungen und kreativen Köpfen? Krauss: Kommunikation. Eine große Hoffnung von mir ist, dass man die vielfältigen Möglichkeiten, die man heute hat, besser miteinander vernetzt. Im Marketing wird häufig davon geredet, alles aus einem Guss, alles aus einer Hand zu liefern. Aber dem ist nicht so. Internet, klassische Medien und Handelsmarketing laufen häufig ohne wechselseitige Absprache nebeneinander. Angesichts der Möglichkeiten aufgrund der neuen Mediagegebenheiten wünsche ich mir, dass bei allen Verantwortlichen eine Rückbesinnung stattfindet. Die drei wichtigsten Säulen, nämlich Klassik, Mensch&Büro 3/2005 Salespromotion und Direktmarketing, sollten dabei aus einer Hand sein. Und wir müssen uns offensiv mit Begriffen wie Verantwortung und Mut auseinandersetzen. In unserem Arbeitsfeld müssen Kreative verstehen lernen, dass sich bei einem Kunden nicht in Sekundenschnelle Begeisterung für das entwickeln kann, was eine Agentur in den einzelnen Konzeptschritten oft über monatelange Arbeit hat wachsen lassen. Darüber hinaus brauchen wir Menschen mit Mut und Ideen. Nehmen sie beispielsweise Red Bull, hier hat jemand eine Idee gehabt und hat sie konsequent durchgesetzt. Und er hat den Mut gehabt, auch Geld einzusetzen, was er so in der Form zunächst einmal gar nicht hatte. Das ist die Art des unternehmerischen Risikos, die ich mir für die Zukunft verstärkt wünsche. Oder schauen sie auf das Beispiel Swatch. Auch hier war es die Vision und der Visionär, die es geschafft haben. Davon gibt es für mich heute leider zu wenige. Mensch & Büro: Welchen Stellenwert haben Netzwerke, von denen heute nahezu inflationär die Rede ist? Krauss: Es wird zu viel in das Thema Netzwerk hinein interpretiert. Es hat eine nicht wirkliche Bedeutung, es ist nur eine Pseudohilfe, denn es hat nichts mit der Qualität einer Idee zu tun. Es steht nämlich nur für die Qualität von Beziehungen. Entscheidend aber ist, wenn eine Idee nichts taugt, wenn sie nicht relevant ist für eine genügend große Zielgruppe, dann hilft auch ein Netzwerk nichts. Die Idee muss genügend differenzieren von anderen, die es bereits in diesem Umfeld gibt. Dahingehend interpretiere ich auch die Vision unseres Bundespräsidenten so: „Um Arbeit in unserer Zeit zu haben, müssen alle vermutlich auf Dauer viel mehr Arbeit in unsere Zeit investieren.“ Red Bull ist nach Auffassung von Ingo Krauss ein Unternehmen, das für den Mut zum Risiko belohnt wurde. 55