Einander Gehör schenken - Unterwegs

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Was gut
«Erklärt es mir nicht nur mit
Worten, sondern zeigt es mit Gesten,
schreibt es auf, beschreibt es.»
«Gut aufgehoben»
Ich fühle mich bei Brüggli gut aufgehoben und
werde mit Respekt behandelt. Die Kommunikation
ist für mich natürlich nicht immer einfach, dennoch
gebe ich mein Bestes, um die Leute zu verstehen,
und versuche mich so gut als möglich zu verständigen.
Meine Kolleginnen und Vorgesetzten sind in der Regel gut informiert, wie man mit Menschen mit Hörbeeinträchtigung umgeht. Nach der anfänglichen
Zurückhaltung können wir uns gut verständigen.
Wenn es um ein komplexes Thema oder wichtige
Ereignisse wie Termine und Gespräche geht, schreiben wir es manchmal lieber auf.
«Langsam sprechen»
Einander Gehör schenken
Kristina Jankovic verständigt sich mit
ihrer Aubildnerin Lucia De Martino.
Bilder: Melissa Frei, Roger Nigg
Bei Brüggli arbeiten auch Menschen mit Hörbeeinträchtigung.
Mehrere Leitende haben sich mit einer Fortbildung in Gebärdensprache auf ihre Bedürfnisse eingestellt.
«Einfach versuchen»
mha. «Es geht um die Symbolik», sagt Luigi Berini, agogischer Leiter von Brüggli, «ein Zeichen
der Wertschätzung und zugleich ein Zeichen für
Brügglis Professionalität». Es gehört zu Brügglis Anspruch, allen Menschen – ungeachtet ihres
Handicaps – eine Chance mit guter Arbeit zu bieten. Und so ist es ein konsequenter Schritt,
dass mehrere Leitende eine Fortbildung in
Gebärdensprache absolviert haben. Ein
Kollege hat sogar eine fortführende Ausbildung als «Kommunikations-Assistent
in Gebärde» besucht, die ihn befähigt,
als Sprachvermittler und Begleiter
für Hörbehinderte zu agieren. Der
Schweizerische Gehörlosenbund SGBFSS begrüsst dieses Engagement und
spricht von einer erfolgreichen Zusammenarbeit mit Brüggli (siehe Interview
mit Gabriela Uhl auf Seite 36/37).
Was aber halten Direktbetroffene bei Brüggli
davon? Wie erleben sie ihren Berufsalltag als
Menschen mit Hörbeeinträchtigung? Was läuft gut
– und was ist allenfalls noch zu verbessern? Wir haben drei Betroffene gefragt.
Ich verstehe zwar vieles noch nicht, aber alle bei
Brüggli sind sehr hilfsbereit und verständnisvoll.
Unter den Lernenden habe ich leider noch nicht viel
Anschluss, aber ich hoffe, dass sich das mit der Zeit
ändern wird. Der Beginn der Ausbildung ist für alle
eine Herausforderung – und für mich besonders.
Bitte sprecht langsam mit mir, lasst mir Zeit zu antworten. Erklärt es mir nicht nur mit Worten, sondern
zeigt es mit Gesten, schreibt es auf, beschreibt es.
Ich lerne einfacher, wenn ich es sehen kann. Dann
kann ich auch Abläufe besser erkennen und das
macht mich sicherer.
Bei Fragen und Problemen habe ich immer einen
Ansprechpartner. Der Austausch mit den Vorgesetzten und Lehrern ist sehr gut. Es wäre schön, wenn
es mehr Personen gäbe, die gebärden könnten.
Es hilft mir, wenn Sie langsam und deutlich in
Hochdeutsch und in normaler Lautstärke mit mir
sprechen. Es wäre auch gut, wenn Sie Blickkontakt
herstellen könnten, damit Menschen mit einer Hörbehinderung Ihre Lippen besser ablesen können.
Wenn ich Sie nicht verstehe, wiederholen Sie einfach das Gesagte oder schreiben Sie es auf.
Von meinem Umfeld wünsche ich mir, dass man
keine Hemmungen hat, mit mir zu sprechen oder
Fragen zu stellen. Ich möchte gerne darauf aufmerksam machen, dass bei Menschen mit Hörbeeinträchtigung das Hörvermögen sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Es lohnt sich, Betroffene nach
ihrer bevorzugten Kommunikationsform zu fragen.
Die Menschen sollen kein Mitleid mit den Gehörlosen
haben. Mitleid bringt uns nichts. Wir haben andere
Wege, um zu hören. Ich nehme Musik zum Beispiel
wahr, indem ich meine Hände auf die Stereoanlage
lege und so die Vibrationen im Körper spüre.
Es geht gut mit der Arbeit in der Textilabteilung. Ich
arbeite seit 16 Jahren hier. Nähen ist mein Traumberuf. Die Kolleginnen und Vorgesetzten akzeptieren
mich so wie ich bin.
Schön wäre es, wenn noch mehr Menschen die Gebärdensprache könnten; das würde vieles einfacher
machen. Wichtig ist, dass man deutlich und hochdeutsch mit mir spricht. Ich muss die Lippen sehen
können; Gesprächspartner sollten also ihre Hände
nicht vor den Mund halten.
Die Leute sollten keine Hemmungen haben. Versucht es einfach, kommt auf mich zu, habt Mut.
Sprecht mich bitte von vorne an, damit ich euch gut
sehe.
Sabine Marti, Mitarbeiterin Textil
Sabrina Graf, lernende Betriebspraktikerin PrA
Kristina Jankovic, lernende Kauffrau EFZ
unterwegs 1115 |
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Was gut
Fakten zum Hören
Wie tickt
das Ohr?
Lautstärken in Dezibel (dB)
Feinster Ton
0 dB
Raschelnde Blätter
40 dB
Lauter Donner,
Rasenmäher
110 dB
Ticken einer Uhr
Atemgeräusche
10 dB
Pianospiel,
normale Unterhaltung
Wahlton Telefon,
lautes Radio
60 dB
Rockband,
Bohrmaschine
Gehörmuschel
30 dB
Start eines Düsenjets
120 dB
90 dB
Laute Rockmusik
140 dB
Gehörschnecke
Geräusche wie ein Autohupen oder Musik
sind genau genommen Schallwellen. Sie
sind das Resultat von schnell und langsam vibrierenden Druckwellen. Langsame Vibrationen erzeugen tiefe, schnelle
Vibrationen hohe Töne. Die Schallwellen
werden von der Gehörmuschel, die ähnlich
wie ein Trichter funktioniert, aufgefangen
und von dort aus in den Gehörgang weitergeleitet, dessen röhrenartige Form wichtige
Laute verstärkt.
Stadtverkehr,
Cello, Geige
80 dB
Gehörknöchelchen
Gehörnerv
Das Ohr ist eine verstärkende Kettenreaktion, ein Orchester von
Impulsen und blitzschnellen
Übertragungsleistungen.
Geflüster
20 dB
Ovales Fenster
Gehörgang
Am Ende des Gehörgangs trifft der Schall auf das
Trommelfell im Mittelohr. Dieses beginnt im gleichen Rhythmus wie der Schall zu schwingen. Mit
dem Trommelfell ist das erste der drei Gehörknöchelchen, der Hammer, fest verwachsen. Schwingt
das Trommelfell, gerät auch er in Bewegung und
leitet die Schwingung an Amboss und Steigbügel
weiter. So gelangen die Laute ins Innenohr und
werden weiter verstärkt.
Abhebende Rakete
150 dB
180 dB
Quelle: Pro Audito Schweiz
Wer hört wie gut?
Quelle: www.only-one-world.de
Delfin
Fledermaus
Hund
Elefant
Mensch
Fisch
200 000 Hz
16 - 150 000 Hz
15 - 50 000 Hz
1 - 20 000 Hz
20 - 20 000 Hz
200 - 400 Hz
Dort befindet sich die Cochlea, die Gehörschnecke. Sie ist im Prinzip eine Knochenkapsel, durch
die sich ein dünner Schlauch windet. Wie das
gesamte Innenohr ist auch dieser Schlauch mit
Flüssigkeit gefüllt. Hier befindet sich das Herzstück
des Ohrsystems: die Tausenden von kleinen Haarsinneszellen. Sie wachsen entlang der gesamten
Gehörschnecke und sind nach verschiedenen Tonhöhen angeordnet. Direkt zu Beginn finden sich
jene Haarzellen, die für die hohen Töne zuständig
sind. Zuhinterst werden die tiefsten Töne wahrgenommen. Die Spitze der Sinneszellen ragen in die
Flüssigkeit des Innenohrs hinein. Unten haben sie
Kontakt zum Hörnerv.
Der Steigbügel schwingt im Rhythmus der Schallwelle und kippt immer wieder in das mit Flüssigkeit gefüllte Innenohr. Dadurch gerät in der Gehörschnecke die Flüssigkeit in Bewegung, und mit ihr
bewegen sich die Spitzen der Haarsinneszellen.
Je nach Höhe des Tones ist der Ausschlag am Anfang oder Ende der Gehörschnecke am stärksten.
Aussenohr
Dementsprechend werden
andere Haarsinneszellen angeregt, worauf diese einen Botenstoff freisetzen und am Hörnerv
einen elektrischen Impuls auslösen.
Mittelohr
Innenohr
Trommelfell
Eustachische Röhre
Quellen: Pro Audito Schweiz, Hörplus.de
Infografik: Regina Furger
Der Impuls gelangt über mehrere Schaltstationen zur Hörrinde im Grosshirn. Dort
wird das empfangene Signal mit bereits gespeicherten Mustern verglichen und der hörende
Mensch erkennt das Hupen als Hupen oder die
Musik als Musik.
Je nachdem, wo in dieser Kette ein Defekt auftritt,
entsteht eine spezifische Form von Hörverlust. Diese kann entweder zu einer leichten Beeinträchtigung führen oder auch schwerwiegend sein und
einen völligen Hörverlust zur Folge haben. Man
unterscheidet im Wesentlichen drei Arten von
Hörverlust, abhängig davon, ob das Aussen-, Mittel- oder Innenohr betroffen ist.
arlen Hämmerli
M
Praktikantin Unternehmenskommunikation
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Was gut
Was heisst es, nichts zu hören?
Unter der Taucherglocke
Wenn man ein hermetisch verschlossenes Einmachglas öffnet, macht es plop oder klack. Das hat
mit dem Druckunterschied zu tun. Ähnliches erlebe
ich an diesem Abend, am Ende eines Experiments:
Ich lege den Lärmschutz ab, pelle die Ohrpfropfen
raus – und plop und klack: Da sind sie wieder, die
Stimmen, das Tastaturen-Stakkato, die Laufschritte,
die Kopierer-Auswürfe, das Elektronik-Gefiepe – all
die Klänge, die wir als Grundrauschen unseres zivilisierten Daseins wahrnehmen.
Probieren geht über Studieren: Im Ressort Unternehmenskommunikation haben
vier Personen einen Tag lang konsequent gehörlos gearbeitet, abgeschottet
mit Ohrenpropfen und Lärmschutzkopfhörern, beobachtet von einem Kollegen,
der sich als einziger Hörender ziemlich seltsam vorkam.
Alleine unter Leuten
Alle kleinen Nebengeräusche sind verstummt: das
Geplauder, das Klicken der Computermäuse. Und
doch höre ich vieles. Dumpf hallen meine Schritte
im Körper wider. Das Telefon klingelt nach wie vor
schrill und penetrant. Gleichzeitig fühle ich mich
isoliert, abgeschottet. Ich bin alleine mit meinen
Gedanken, völlig zurückgeworfen auf mich selbst.
Zusammensitzen fällt schwer. Lockeres Geplauder
ist verunmöglicht, Kommunikation umständlich. Etwas aufzuschreiben dauert eine gefühlte Ewigkeit.
Man fasst sich kurz und präzise. Unwichtig erscheinende Dinge oder Details lässt man weg. So bleibt
wenig, das sich aufzuschreiben lohnt. Was bleibt,
ist das Bedürfnis sich mitzuteilen. Am liebsten würde ich mich völlig abkapseln. Zum ersten Mal fällt
mir auf, wie viele Worte wir normalerweise fliegend
austauschen. Unser Geplapper füllt in Sekunden
Seiten und wir bemerken es nicht.
Ich versinke in der Arbeit. Mich zu konzentrieren
fällt mir wie immer leicht. Nur der Lärmschutz
drückt nach einiger Zeit schmerzhaft. Nun verstehe
ich, warum manche Bauleute trotz starkem Lärm
ohne Gehörschutz arbeiten.
Einmal fragt mich jemand, was wir eigentlich machen. Ich höre ihn sehr gut, denn er steht nahe
bei mir. Doch normal zu antworten wäre seltsam.
So strecke ich ihm bloss die Karte entgegen, welche um meinen Hals hängt: Darauf steht,
dass ich an einem Experiment mitmache. Er habe sich so etwas
Ähnliches bereits gedacht,
meint der Fragende und
geht weiter seines Weges.
Es ist als hätte ich eine Taucherglocke abgelegt, das Vakuum mit Leben gefüllt. Die
auditiven Reize überfluten
mich, vermengen sich mit
den visuellen Reizen, denen während des ganzen
Tages die Begleitmusik
gefehlt hat. Ich fühle mich
wieder komplett, unversiegelt und habe viel angestaute Energie. Am liebsten würde
ich jetzt gleich Musik hören; sie
versöhnt mich mit dem Alltag, inspiriert
mich, bringt Zerstreuung und Ablenkung; sie hat
mir sehr gefehlt.
te ins Freie, nehme den knallblauen Lärmschutz
ab und die gelben Ohrpfropfen raus. Die schmerzenden Ohrläppchen reibend frage ich mich: Höre
ich besser? Schlechter? Schwer zu beurteilen. Das
Verkehrsrauschen stört mich immer. Vielleicht ist es
nun noch extremer.
Erst am nächsten Tag merke ich den Unterschied. Ich
reagiere sensibler auf all diese kleinen Nebengeräusche. Nehme mehr wahr als sonst. Das Experiment
hat sich definitiv gelohnt. Vielleicht setze ich
den Lärmschutz wieder mal auf.
Marlen Hämmerli
Praktikantin Unternehmenskommunikation
Das Telefon fehlt mir während des Experiments
nicht. Zwangsläufig kommt es zu weniger Sitzungen und weniger trivialen Diskussionen. Die Verlagerung der Kommunikation auf Handschriftliches
oder Mail bedingt eine Vorbereitung, ein Überlegen, und das führt zu einer Konzentration der
Worte. Wir sagen mit weniger mehr. Wir kommen
Der Tag neigt sich dem
Ende entgegen. Ich tre-
rascher auf den Punkt, weil es aufwändiger ist, sich
mitzuteilen, werden direkter, haben aber weniger
Platz für Ironie und Worte zwischen den Zeilen. Dafür spricht der Körper mehr: ein Lächeln hier, ein
in die Höhe gereckter Daumen da. Was mir auch
auffällt: Die Zeit vergeht anders, langsamer, weil wir
nicht so viel aufs Mal machen.
Die Ohrpfropfen kombiniert mit den Hörschützern
schotten das Ohr ab, dass es wie ein Klangkörper
wirkt. Ich höre meinen Puls und die Bewegungen
der Gelenke und Muskeln – quasi Stimmen aus
dem Innern. Sogar meine Augenlider machen Geräusche, mit jedem Blinzeln. Ich höre nichts mehr
und doch viel.
Am Mittagstisch frage ich mich, ob ich wie eine
Dampflokomotive schnaufe und ob ich sonst noch
Geräusche von mir gebe. Es fehlt die Resonanz.
Das Essen ist rasch vom Teller; bin froh, wenn ich
mich zurückziehen kann. All die fragenden Blicke
aus dem Stummfilm, der mich umgibt. Mittendrin
allein. Ein Statist, der sich nur mit Hand und Fuss
oder dem Schreibblock zu verstehen geben kann.
Mir gegenüber sitzt Dominik, der den ganzen Tag
unsere Telefone hütet und zwischen den Welten
vermittelt. Er hört wie immer. Ich frage mich, wer
der Ausgegrenzte ist: er oder ich.
Am Abend bin ich froh, das Experiment gemacht zu
haben – und dankbar und glücklich, dass ich hören
kann.
ichael Haller
M
Leiter Unternehmenskommunikation
Kein Tag wie jeder andere
Es ist kurz nach halb acht. Etwas nervös betrete ich
das Büro in Erwartung dessen, was da wohl auf
mich zukommt. Nebst einer Instruktion per SMS
tags zuvor, dass ich für einen Tag das Ohr der Abteilung sein werde, hatte ich keine Informationen.
Schnell wird mir klar, dies wird ein anstrengender
Tag. Aber weniger für mich als mehr für Marlen
Hämmerli, Regina Furger, Predrag Jurisic und Michael Haller. Denn wie sich im Laufe des Tages noch
zeigen wird, werden sie sich je länger je schwerer
mit ihrer temporären Bürde tun.
Als dürften sich die Blicke nur kreuzen und nicht
begegnen – das ist einer meiner ersten Eindrücke.
Das kann daran liegen, dass sich die Probanden
etwas blöd vorkommen mit ihren schlumpfblauen
Lärmschützen. Die neue Situation bringt nicht bloss
Stille mit sich, sondern auch Unsicherheit.
Dieses Phänomen weicht nach einiger Zeit dann
wieder der Normalität: Wir blicken einander in die
Augen, wenn Gedankengut ausgetauscht wird.
In der Pause setzen wir uns gemeinsam mit
Schreibzeug und ausreichend Papier an den Besprechungstisch. Und nach den ersten Minuten
wird klar: Smalltalk übers Wetter wird’s heute wohl
nicht geben. Etwas anders gestaltet sich dann auch
das Mittagessen, nicht ausschliesslich wegen der
vielen fragenden Blicke unserer Arbeitskollegen.
Ich sitze allein als Hörender mit vier vorübergehend Gehörlosen am Tisch und komme mir doch
glatt als Aussenseiter vor. Wie schnell sich so etwas
doch ändern kann.
Eine weitere, sehr interessante Beobachtung kann
ich bezüglich der Gestik und Mimik machen. Mir
war bis anhin gar nicht bewusst, welchen Stellenwert diese bei unserem täglichen Austausch
einnehmen. Es lassen sich erstaunlich viele Dinge
auch ohne Worte regeln.
Schliesslich galt das Experiment um 17 Uhr als offiziell beendet. Das Abnehmen der schlumpfblauen
Lärmschütze und Herausnehmen der Ohrpfropfen
schien von aussen betrachtet etwa so wie eine er-
folgreiche Landung nach einem überaus turbulenten Flug. Befreiend.
Dominik Widmer, lernender Mediamatiker
unterwegs 1115 |
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Was gut
Gebärdend sprachlos
Wie ein Eskimo im Iglu
Ich habe mich gefreut auf das Experiment. Einen Tag
lang schön in Ruhe, konzentriert und ganz ohne
akustische Ablenkungsmanöver der Arbeit nachgehen. Klingt gut. Doch nun klingt nichts mehr,
es rauscht in meinem Kopf. Mächtig laut sogar. Als
Erstes werde ich auf meine Atmung aufmerksam.
Schnaufe ich so laut? Hören das die andern? Ich
höre das eigene Blinzeln und meine Schritte dröhnen wie ein aufgedrehter Bass. Rasch werde ich
unruhig, da ich das Gefühl nicht loswerde, das sich
jemand geräuschlos anpirscht und mich erschreckt.
Schnell vermisse ich die vertrauten Stimmen meiner
Arbeitskollegen.
Es kostet mich Energie, nichts zu hören. Erste Nachrichten trudeln in Form von eilig bekritzelten Zettelchen bei mir ein. Was steht da genau? Soll ich dies
nun in langwierigem Hin und Her herausfinden?
Ich ertappe mich beim Versuch, den Austausch
über gewisse Dinge auf morgen zu verschieben.
Ist doch einfacher, rasch darüber zu sprechen. Ei-
nige Leute sind
froh, mich bald wieder loszuhaben, um
mein Pantomimenspiel
nicht länger entschlüsseln
zu müssen. Nichts zu hören ist
anstrengend und fordert Geduld – von mir und
meinen Kommunikationspartnern. Meine anfängliche Freude auf Ruhe verkommt rasch zur inneren
Zerreissprobe. Ich wünsche mir eine Zeichensprache. Beim Mittagessen kracht der Salat im Kopf, es
matscht das Brot. Irgendwie schmeckt das Essen
heute nicht besonders, die Zermahlgeräusche irritieren mich.
Die Kommunikation beschränkt sich auf das Wesentliche und Nötige. Klare und knackige Botschaften, fokussiert und zielgerichtet. Das gefällt mir.
Gestik, Mimik und Blicke gewinnen an Bedeutung,
ich schaue bewusster in die Gesichter und auf die
Lippen, wenn mein Gegenüber mir etwas erklären
möchte. Ich versuche unbeabsichtigt,
mehr Emotionen in meine Gesten zu
bringen, in der Hoffnung, schneller verstanden zu werden. In der Pause einfach zusammen zu sitzen und nichts sagen zu müssen,
erlebe ich positiv.
Nachmittags fühle ich mich irgendwie allein. Abgeschottet wie ein Eskimo im Iglu, mit dicker Kapuze
über den Ohren, in der einsamen, stillen Arktis.
Werde es bald 17 Uhr, bitte. Ich schaue vermehrt
nach links, nach rechts. Geht es den andern auch
wie mir? Mich beschäftigt der Gedanke, wie es
wäre, ohne Musik leben zu müssen; zu singen ohne
Stimme und die eigenen Gitarrengriffe nur über die
Vibration der Saiten wahrzunehmen – ein niederschmetternder Gedanke. Nur noch fünf Minuten
durchhalten.
R egina Furger
Teamleiterin Grafik
Im Gang winke ich den Kollegen zu. Ich lächle. Mehr
als sonst. Ist es vielleicht ein Reflex, um nicht aufzufallen? Beim Wasserholen werde ich auf meine
Kopfhörer angesprochen. Ich lächle wieder und
verweise auf die Karte, auf der das Experiment erklärt ist. Ich ernte wohlwollende Zustimmung. Und
ein Like, kein virtuelles, sondern ein reales. Schöne
Gegensatzerfahrung.
Wieder zurück am Schreibtisch falle ich in eine fast
schon meditative Stimmung. Ich fühle mich entspannt. Ausser dem ungewohnten Druck auf den
Ohren. Ein Rauschen manifestiert sich in meinem
Kopf, das ich nicht einordnen kann: Ist es mein Gehörsinn, der sich da bemerkbar macht? Oder das
Blut in meinem Kopf? Fragen über Fragen, die wir
im Team am Pausentisch klären. Schriftlich. Präzis.
Ohne Blabla. Meine Welt ist nach innen gerichtet:
kein Telefon, kein Gespräch, keine Sitzung. Dafür
mehr Konzentration und Fokus.
Es ist Mittagszeit. Im Team gehen wir zum Restaurant. Blicke streifen uns. Tuscheleien gehen
los. Keine Ahnung, was die Menschen um mich
sagen. Am Salatbuffet geht's dann ruckzuck. Möglichst schnell den Teller füllen und hin zur Kasse:
Fragende Gesichter. Ich verweise erneut auf meine Karte zum Experiment. Wieder Anerkennung.
Dann das Essen. Blattsalat zuerst. Er ist nicht knackig wie in der Werbung beschrieben. Der knirscht
mehr wie frisch gefallener Schnee. Zwiebeln dagegen explodieren förmlich im Mund, während die
Wir sitzen im Speisesaal der Jugendherberge
und wagen kaum zu sprechen. Der Raum ist voller Menschen, die miteinander sprechen, doch es
ist mucksmäuschenstill.
Lebhaft wird gestikuliert,
das Gesicht verzogen
und diskutiert. Meine
Gruppe und ich fühlen
uns isoliert und fragen
uns im Flüsterton: «Was
läuft da?» An der Rezeption erwartet uns die Antwort in Form eines Schildes: Deutscher Gebärdensprachkongress.
Im Verborgenen wurde aber weitergebärdet. Nach
über hundert Jahren wurde das Verbot aufgehoben
und seit den 1980er-Jahren wird die Gebärdensprache erforscht.
Gebärdensprache ist eine
visuelle Sprache aus
komplexen Äusserungen.
Mönche erfanden die «Affensprache»
Vor 200 Jahren nahmen sich Mönche als Erste der
Bildung von Gehörlosen an. Um die Kommunikation
zu erleichtern, nutzten sie Gebärden. So entstanden
die ersten Gehörlosenschulen in der Schweiz, welche schnell zu Treffpunkten wurden. Dies förderte
die eigenständige Entwicklung der Gebärdensprache sowie den kulturellen und meinungsbildenden
Austausch. Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts geriet
die Gebärdensprache jedoch zunehmend in Verruf.
Sie galt als primitive Affensprache und Hindernis
beim erzwungenen Lernen der Lautsprache. 1880
wurde sie schliesslich, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Gehörlosen, europaweit verboten.
Wenn der Salat wie Schnee knirscht
Kurz vor acht betrete ich das Büro. Ungewohnte
Stille empfängt mich. Ich winke allen zu und gehe
an meinen Platz. Das Experiment mit Ohrpfropfen
und Lärmschutz beginnt. Den Computer eingeschaltet setze ich mich an den Tisch und tippe
mein Passwort ein. Das gewohnte Klacken der Tasten bleibt aus. Dafür spüre ich den Druck meiner
Fingerbeeren, wenn diese die Tasten zum Schreiben antreiben. Ich fühle plötzlich mein Inneres: die
Schluckreflexe, die Atmung und den Herzschlag. All
das, was ich sonst nicht wahrnehme, erscheint mir
auf einmal wahnsinnig laut. Beim Gehen wandern
die Tritte bis zu meinem Kopf, als ob mein Körperwasser im Hirn hin- und herschwappt.
Dass die Gebärdensprache gesellschaftlich akzeptiert ist und auch
erforscht wird, ist eine neue Entwicklung. Über hundert Jahre lang war sie
europaweit verboten und die Gehörlosen gebärdeten im Verborgenen.
Weitere Fremdsprache
Die Gebärdensprache ist
eine vollständige Sprache wie jede Lautsprache
auch. Sie setzt sich aus
komplexen Äusserungen zusammen, die gleichzeitig über Gesicht und Hände produziert werden.
Die Orientierung von Gesicht, Oberkörper und Händen hat vor allem eine grammatikalische Funktion.
Bereits kleine Unterschiede in der Ausdrucksform
verändern die Aussage.
Damit ist die Gebärdensprache ebenso leicht
oder schwer erlernbar
wie andere Fremdsprachen.
Internationale und regionale Grenzen
In jedem Land entwickelte sich eine eigene Gebärdensprache. Die jeweiligen gesellschaftlichen,
kulturellen und historischen Gegebenheiten prägten die Gesten mit. So beschreibt ein Süddeutscher
den Sonntag, indem er seine Hände vor der Brust
zusammenlegt und den Kirchgang symbolisiert. Ein
Norddeutscher hingegen streicht sich über Brust
und Bauch seinen feinen Sonntagsanzug glatt. In
der Schweiz gibt es fünf regionale Dialekte: Zürich,
Basel, Bern, Luzern und St.Gallen. Sie unterscheiden sich je nach Region und Gehörlosenschule. In
der Romandie und im Tessin werden ebenfalls andere Gebärdensprachen benutzt.
Die Sprachbarrieren zwischen den Ländern sind
weniger hoch als bei den
Lautsprachen. Den internationalen Austausch erleichtert eine künstliche
Gebärdensprache: die
American Sign Language. Dabei handelt es sich um
keine eigene Sprache, sondern leicht verständliche,
oft bildhafte Gebärden.
Der Raum ist voller diskutierender Menschen, doch es
ist mucksmäuschenstill.
In Kursen wird erst ein Bewusstsein für die eigene Körpersprache entwickelt und Lockerheit geübt.
Denn Gebärdensprachler setzen den Körper sichtbarer ein. Die Sprache wirkt lebhafter. In einem zweiten Schritt lernt man erste Vokabeln. Die räumliche
Grammatik sollte man möglichst früh üben.
arlen Hämmerli
M
Praktikantin Unternehmenskommunikation
weissen Bohnen wie Sand
zwischen den Zähnen
durchsieben. Mein ganzer Kopf scheint sich zu bewegen. Meine Zähne zermalmen das Essen, und die
Zunge wischt es von links nach rechts und umgekehrt. Mein Unterkiefer tanzt. Das ist mir vorher nie
aufgefallen. Ich merke, wie andere Sinne in den
Vordergrund rücken: Das Essen schmeckt intensiver.
Auch schaue ich mehr um mich herum und suche
den Kontakt zum Gesicht meines Gegenübers, um
zu deuten, was die Person mir mitteilen will.
Ich war einen Tag lang gehörlos. Einen Tag auf
mich statt die Aussenwelt konzentriert. Einen Tag
ohne Musik. Was mir gefehlt hat, waren die Gespräche mit dem Team. Sonst war es ruhig. Zu ruhig.
u
n
t
e
r
w
e
g
s
P redrag Jurisic
Fachleiter PR
unterwegs 1115 |
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Was gut
Niemanden ausschliessen
«Unser Zugang zur Welt der Hörenden
wächst. Wir kämpfen dafür, dass es
auch am Arbeitsplatz vorangeht.»
Mehr Mut und weniger Berührungsängste: Das wünscht sich
Gabriela Uhl vom Schweizerischen Gehörlosenbund SGB-FSS.
Sie freut sich, dass Brüggli mit gutem Beispiel vorangeht.
Brüggli hat mehreren Leitenden eine Fortbildung
in Gebärdensprache ermöglicht. Was halten Sie
davon?
Gabriela Uhl: Das ist einfach gut. Die Kommunikation
mit den Mitarbeitenden ist wichtig, und da Brüggli auch Mitarbeitende mit Hörbeeinträchtigung beschäftigt, ist eine Fortbildung in Gebärdensprache
sehr sinnvoll. Es ist ausserdem ein Symbol: Brüggli
zeigt, dass hier auch Menschen mit Hörbeeinträchtigung ganz selbstverständlich in den Arbeitsprozess integriert sind. Brüggli schreitet mit gutem
Beispiel voran.
gibt’s zum Beispiel das Restaurant «Blinde Kuh»,
wo man blind einkehrt – super. Denn so erlebt man,
was es heisst, blind zu sein. Mit der Gehörlosigkeit
verhält es sich genau
gleich. Es geht um die
Empathie, ums Mitfühlen. Und mitfühlen kann
man am besten, wenn
man selber erfährt, was
es heisst, nichts mehr zu
hören.
Die Gehörlosigkeit ist eine unsichtbare Behinderung. Das bringt mit sich, dass man sich schwer
tut, sie zu sehen und zu verstehen.
Gabriela Uhl: Dieser Umstand ist ein Teil des Problems. Darum setzt sich der Gehörlosenbund dafür
ein, auch auf politischer Ebene mehr Einfluss zu
bekommen. Wir wollen
im Parlament vertreten
sein, und wir wollen,
dass die Rechte von
Menschen mit einer
Hörbehinderung
respektiert und umgesetzt
werden.
«Habt keine Angst, geht auf
die Gehörlosen zu, klopft an
und lasst sie teilhaben.»
Wir haben zu viert einen Tag lang konsequent gehörlos gearbeitet. Es war ein Experiment, das Teil
unserer umfangreichen Berichterstattung zum
Thema Gehörlosigkeit ist. Wie finden Sie das?
Gabriela Uhl: Ich bin sehr gespannt auf eure Erfahrungsberichte. Es ist gut,
dass Hörende in die Welt
der Gehörlosen eintauchen und so besser mitfühlen können. Wir vom
Schweizerischen Gehörlosenbund erklären die
Zusammenhänge, wir zeigen Bilder, wir vermitteln
– und wenn da noch Erlebnisse am eigenen Leibe
dazukommen, dann ist das sehr interessant. Ich finde euer Experiment sehr gut.
Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen
bei der Ausbildung und beruflichen Integration
von Menschen mit Hörbeeinträchtigung?
Gabriela Uhl: Ich habe es selbst erlebt: Man ist
rasch isoliert. In der Pause, zum Beispiel, sind
die Gehörlosen aussen vor. Und oft erhalten sie
wichtige Infos nicht oder zu spät. Das lässt sich
mit Dolmetschern vermeiden. So können alle Mitarbeitenden dieselben Infos zum selben Zeitpunkt
erhalten – es wird niemand ausgeschlossen. Kurse
in Gebärdensprache sind ebenfalls sinnvoll. Und
generell hilft es, wenn Unternehmen sich mit der
Kultur der Gehörlosen
auseinandersetzen – so
wie Brüggli das aktuell
tut. Vorträge von betroffenen Fachleuten dienen
der Sensibilisierung. So
gesehen, ist die grösste
Herausforderung einfach die Auseinandersetzung
mit dem Thema – offen, unverkrampft. Der Schweizerische Gehörlosenbund bietet hierbei vielfältige
Unterstützung.
Kann man ein solches Experiment auch als Anbiederung oder Betroffenheitskitsch interpretieren?
Gabriela Uhl: Nein, gar nicht; ich finde es einfach
wertvoll, weil es das Verständnis fördert. In Zürich
Was können Hörende tun, um Betroffenen die
Arbeit und den Alltag zu erleichtern?
Gabriela Uhl: Ideal ist es, wenn möglichst viele Leute die Gebärdensprache beherrschen. Aber auch,
Wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit Brüggli?
Gabriela Uhl: Es ist ein Wow-Erlebnis. Die Kursteilnehmer von Brüggli sind motiviert; sie machen
mit; man merkt, dass es ihnen wichtig ist. Und man
merkt: Brüggli kümmert sich um alle Mitarbeitenden.
wenn ihr sie nicht beherrscht: Habt keine Angst,
geht auf die Gehörlosen zu, klopft an und lasst sie
teilhaben, mit Respekt und ohne Berührungsängste. Das gibt Betroffenen
ein gutes Gefühl: Ich
gehöre auch dazu. Im
Weiteren empfehle ich,
für wichtige Informationen einen Dolmetscher
beizuziehen.
«Brüggli zeigt, wie Gehörlose in den Arbeitsprozess
integriert werden können.»
«Die Kursteilnehmer von
Brüggli sind motiviert. Ich
merke: Es ist ihnen wichtig.»
Was wünschen Sie sich im Namen des Gehörlosenbundes von der Öffentlichkeit?
Gabriela Uhl: Es gehört zu den Zielen des Schweizerischen Gehörlosenbundes, die Akzeptanz und
Förderung von Gehörlosen in Beruf und Bildung
voranzubringen und Betroffenen ein barrierefreies Leben zu ermöglichen. Am Arbeitsplatz
heisst das, dass die Chefetage auch
Gehörlosen eine Chance gibt; hierbei
wünsche ich mir mehr Mut und Probierfreude – es ist noch viel mehr möglich.
Es ist wenige Jahrzehnte her, da war die Gebärdensprache verpönt und gar verboten, besonders an Schulen.
Gabriela Uhl: Ich habe es selbst erlebt
in meiner Schulzeit. Wir Gehörlosen
haben uns in der Pause versteckt
und heimlich gebärdet. In der
Berufsschule gabs keine Dolmetscher; wir mussten uns selber
helfen. Heute läuft das zum
Glück besser. Betroffene Kinder haben bessere Chancen,
einen erfolgreichen Weg
einzuschlagen.
Was funktioniert sehr gut?
Gabriela Uhl: Die Kommunikation wird
immer einfacher, viel besser als früher. Die Untertitel im Fernsehen, die
Möglichkeiten mit Smartphone, FilmChats und SMS ... Es hat sich einiges
getan; unser Zugang zur Welt der
Hörenden wächst und wächst. Schule und Bildung funktionieren immer
besser. Es gibt aber noch viel zu tun,
vor allem, dass wir Informationen in
Gebärdensprache erhalten. Der Gehörlosenbund kämpft auch weiter dafür,
dass es am Arbeitsplatz vorangeht und
Gehörlose gleichbererechtigt ihren Beitrag leisten können.
Was war Ihr schlimmstes Erlebnis als Gehörlose?
Gabriela Uhl: Ich
war auf der Notfallstation im Spital. Ich hatte keine
Zeit mehr gehabt,
einen Dolmetscher
zu bestellen und ich
Gabriela Uhl, Soziokulturelle Sachbearbeiterin beim Schweizerischen Gehörlosenbund. Bei ihr besuchen mehrere Leitende
von Brüggli eine Fortbildung in Gebärdensprache.
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konnte dem Arzt nicht erklären, was mir fehlte. Der
Arzt verstand es nicht; er verlor sichtlich die Nerven.
Dann kann zum Glück ein Bekannter von mir dazu,
der vermitteln konnte. Ein weniger dramatisches,
aber doch bezeichnendes Beispiel vom Bahnhof: Es
gibt kurzfristig einen Fahrplan- oder Gleiswechsel,
der nur via Lautsprecher
mitgeteilt wird, derweil
die lesbaren Infos noch
nicht aktualisiert sind –
und schon ist der Zug für
mich abgefahren.
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Was war Ihr schönstes Erlebnis als Gehörlose?
Gabriela Uhl: Es sind nicht unbedingt einzelne Erlebnisse, sondern einzelne Entwicklungen, die mich
insgesamt freuen. Der technische Wandel erlaubt
uns Gehörlosen, uns einzubringen und auszutauschen. Und die Durchmischung der Völker bringt
mit sich, dass sich Menschen mit verschiedenen
Sprachen begegnen. Da kann man nicht einfach
davon ausgehen, dass man vom Gegenüber schon
verstanden wird. Es ist interessant, wie einfach die
Konversation zwischen Gehörlosen und Ausländern
funktioniert. Die Ausländer, eine Minderheit wie die
Gehörlosen, gehen auch davon aus, dass man sie
nicht versteht – und schon bewegen sich beide
Gesprächsteilnehmer auf derselben Ebene. Für uns
Gehörlose ist es oft einfach, mit Ausländern in Kontakt zu kommen.
Einfach, weil die Ausländer gar nicht erst davon ausgehen, dass sie problemlos verstanden
werden?
Gabriela Uhl: Ja, das führt zu einem unverkrampften
Miteinander. Man versucht es einfach, auch mal mit
Gesten – und staunt oft, wie gut man sich trotz aller
Differenzen versteht.
I nterview: Michael Haller
Leiter Unternehmenskommunikation
Bild: SGB-FSS
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