Jäger, Ludwig (2006): Ohne Sprache undenkbar

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Jäger, Ludwig (2006): Ohne Sprache undenkbar. In Gehirn &
Geist. Dossier Nr. 3/2006. (8-15)
Jäger bietet einen kurzen geschichtlichen Überblick über die theoretischen
Vorstellungen des Verhältnisses zwischen Sprache und Denken und liefert
einen Beweis für die These, dass begriffliches Denken und Sprache in der
Kommunikation entstehen.
Stichwörter: Spracherwerb, kommunikative Theorie versus
Kognitivismus, Sprache und Denken, Kommunikation
EXZERPT
2 große theoretische Richtungen:
Die kommunikative Richtung
Jerry A. Fodor + Noam Chomsky: Sprache und Denken sind 2 getrennte
Funktionen. Die Sprache hat eine rein kommunikative Funktion und
beeinflusst nicht die Denkstrukturen. (8)
-> Erkenntnisse werden auf Studien mit Aphasikern gestützt. Deren
Denkvermögen wurde durch die Aphasie nicht beeinflusst. Allerdings
hatten die Testpersonen alle vor ihrer Aphasie die Sprache erworben. Es
ist nicht klar, ob sich dieses Denken auch ohne die Sprache entwickelt
hätte.

 Die kognitive Richtung
Daniel C. Dennett (Philosoph) + Vygotskij + Stephen C. Levinson: Denken
stützt sich auf Sprache und die Muttersprache beeinflusst wie wir denken.
(8)
Aber: Kinder könnten Dinge kategorisieren bevor sie sprechen.
-> Gibt es eine angeborene "Sprache des Geistes"? Linguistik: es gibt
elementare Bedeutungsbausteine, mit denen Denken arbeitet ("belebt" "unbelebt", männlich - weiblich).
Lakoff: es gibt universelle, kulturübergreifende Metaphern ("groß ist
wichtig" (8)
Bis Ende 18. Jh. kommunikative Auffassung (nach Aristoteles):
-> Wirklichkeit existiert unabhängig vom Denken der Menschen
(erkenntnistheoretischer Realismus) (9)
-> Jeder ist eigenständig der Erkenntnis fähig, braucht keine Anderen
(Solipsismus)
-> Sprache: Mittel zur Benennung von Denkinhalten
-> Der Mensch verfügt auch ohne Sprache über Begriffe (9)
Die kognitive Tradition (Herder, Humboldt, Hamann), seit Ende des 18.
Jh.: (9)
Sprache dient des Begriffsaustausches UND der Begriffsbildung (10)
Humboldts Nachfolger:
Unterscheidung von 3 Ebenen, auf denen Sprache Denken beeinflusst:
-> Art, wie der Wortschatz die Welt ordnet und durch die Grammatik
-> durch die physikalische Erscheinungsform der Sprache (Laute, Gesten,
Schriftbild…)
-> die allgemeinen Eigenschaften der Sprache (bildet Sprache die Realität
nur ab oder konstruiert sie sie mit?) (10=
Sapir-Whorf-Hypothese: Sprache beeinflusst das Denken (10)
-> Konzept erlebt gerade eine wissenschaftliche Renaissance (10)

Sprachversuche mit gehörlosen (noch keine Gebärdensprache erworben)
und sprechenden Kindern aus China und USA: Die Gehörlosen
gebrauchten die gleichen Gesten zur Bezeichnung gleicher Begriffe,
während die sprechenden Kinder Begriffe abhängig von ihrer Sprache
unterschiedlich ausdrückten. (11)
Beispiele für Schriftsprache, die Denken beeinflussen würde: Ong, Luria
(11-12)
Fazit aus heutiger Sicht:
Schriftlichkeit allein: oft keinen grundlegenden Einfluss auf das Denken
(12)
Aber: gewisse logische oder algorithmische Operationen sind erst durch
Nationsformen möglich geworden. (-> mathematische Schrift +
mathematisch-logisches Denken) (12-13)
"Sie unterstützen uns sozusagen als symbolbasierte Denkmaschinen."
(13)
Begriffe wurden Gehörlosen, die die Gebärdensprache beherrschen und
normal Sprechenden einer selben Kultur (wie die Gehörlosen) gezeigt.
-> beide Gruppen machten unterschiedliche Zuordnungen! (13)
Piaget: autistische Phase, egozentrische Phase, soziale Phase des
Sprechens (13)
Vygotskij: egozentrischer Sprachgebrauch bei Kindern, wenn sie Probleme
lösen -> die egozentrische Sprache trennt sich von der sozialen äußeren
Sprache ab und wird zur inneren Sprache, einer Grundstruktur des
Denkens (13)
Auch Menschenaffen können auf elementarem Niveau Begriffe bilden. (13)
Aber: Menschen sind nicht auf den sensorischen Typ von Begriffen
beschränkt (14)
Neurophysiologe Rizzolatti: untersuchte die Neuronen im F5-Areal von
Makaken-Hirnen (14)
"Diese Zellen sind daran beteiligt, visuelle Informationen über Objekte in
Handbewegungen zu übersetzen, und erlauben so den Affen
zielgerichtetes Greifen." (14)
-> Neurone haben motorische wie sensorische Eigenschaften (14)
Die Nervenzellen bilden einen ersten einfachen Begriffs: Visuelle Merkmale
von Objekten werden verarbeitet und eine dementsprechend eine
Griffform geformt. (15)
ein Affe beobachtete einen Forscher, wie dieser selbst die Hand
ausstreckte
-> Das Messgerät registrierte eine Erregung der F5-Neuronen
=> Die Neuronen reagiert auf analoge Bewegungen bei Anderen. =
"Spiegelneurone" (15)
Die Handlung eines Individuums wird im Hirn eines anderen abgebildet.
-> Wurde auch beim Menschen nachgewiesen.! (15)
Viele Paläoanthropologen sind der Ansicht, dass die Sprache zuerst in
Form von Gebärdensprache entwickelt wurde, dann erst zu einer
Lautsprache überging (15)
Implikationen auf das Verstehen von Kommunikation:
"Ich verstehe dann, wenn in meinem Kopf Spiegelneurone aktiv
werden - also dann, wenn ich beobachte, wie jemand eine
Handlung einleitet. Dann wird das gleiche motorische Programm
wie beim Gegenüber aufgerufen - wobei die tatsächliche Handlung
unterdrückt wird - und ich kann die Handlung im Kopf beenden."
(15)
-> Funktionieren im "Online-Bewusstsein"
Offline-Bewussttsein (ist nicht mehr an unmittelbare Reaktionen
gebunden, basiert auf symbolischen Repräsentationen)
"Der Übergang zum Offline-Modus erfolgt genau dann, wenn ein
Individuum gezielt eine Bewegung einsetzt, um das zugehörige Konzept
im Geist eines anderen aufzurufen: Die Geste wird zum Zeichen und der
zugehörige Begriff steht zu jedem beliebigen Zeitpunkt zur Verfügung."
(15)
F5-Areal des Makaken entspricht dem Broca-Areal im menschlichen
Gehirn!
(Broca-Areal: zuständig für Sprachproduktion)
Fazit
Sprache und begriffliches Denken: entstehen durch Kommunikation! (15):
"Trifft die Spiegel-Hypothese zu, dann entstehen Begriffe eben
nicht, wie Aristoteles vermutete, im Geist eines einsamen
Individuums, sondern erst durch die Kommunikation zwischen
Menschen. Anders gesagt: Ein zentrales Element unseres Denkens
entwickelt sich aus dem Gebrauch der Sprache." (15)
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