Hessischer Rundfunk hr2-kultur Redaktion: Inge Kämmerer Einflussreiche deutsche muslimische Denker der Gegenwart 04 Katajun Amirpur Von Monika Konigorski 16.02.2016, 16:30 Uhr, hr2-kultur Länge: 7‘23 Sprecherin: Regie: Yana Robin la Baume Marlene Breuer Copyright Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks. Anmoderationsvorschlag Die nächste Protagonistin in unserer Reihe „Einflussreiche deutsche muslimische Denker der Gegenwart“ ist Katajun Amirpur. Sie ist die erste deutsche Professorin auf einem Lehrstuhl für Islamische Studien und Theologie. Seit 2011 lehrt sie an der Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg und ist eine ihrer stellvertretenden Direktorinnen. Monika Konigorski hat sie getroffen. O-Ton 01 MD_04 Amirpur O-Ton 01 Ich bin ja der Überzeugung, dass Muslime sehr viel nachdenken über ihre Religion, und zwar schon eine ganze Weile. Es ist nur so, dass das bei uns hier in Deutschland nicht so wirklich ankommt. (0’09) SprecherIn: Aus diesem Grund hat Katajun Amirpur sechs der einflussreichsten Reformdenker des Islam in einem Porträtband vorgestellt, vom ExilÄgypter Nasr Hamid Abu Zaid, einem bedeutenden Koran- und Literaturwissenschaftler, bis zur afroamerikanischen Theologin und Feministin Amina Wadud. In dem Porträtband geht es vor allem um die Art und Weise, wie diese modernen Denkerinnen und Denker mit dem Koran umgehen. O-Ton 02 MD_04 Amirpur O-Ton 02 Kein Muslim würde sagen, Gott spricht nicht im Koran. Das ist auf irgendeine Art und Weise Gottes Wort. Aber auch dieses Sprechen von Gott im Koran ist ja nochmal Auslegungssache: Also, wie genau spricht denn Gott? Spricht er nun wirklich so wie Sie und ich sprechen? (0’16) SprecherIn: Dies sei eine sehr alte Frage, erklärt die Theologin. O-Ton 03 MD_04 Amirpur O-Ton 03 Gott ist ja etwas, er ist nun mal kein Mensch. Also wieso sollte er menschliche Sprache sprechen können? Also, irgendetwas muss da ja dazwischen passiert sein, bis dieses Menschenwort unten angekommen is... (0’09) SprecherIn: Göttlich inspiriert ja, Gottes Wort ja, aber nicht wortwörtliche Rede Gottes. Ein solches Verständnis des Korans, das auch Katajun Amirpur teilt, lässt Interpretationsspielraum. O-Ton 04 MD_04 Amirpur O-Ton 04 Dann kann man viel mehr argumentieren, dass Gott in Beispielen redet, dass er sich an Situationen anpasst, dass manches natürlich nicht mehr so verstanden werden kann, wie es im siebten Jahrhundert verstanden worden ist. Diese Art, das aufzufassen: man sagt, es ist göttlich inspiriert, es ist göttlich inspirierte Sprache, aber natürlich umgeformt in menschliche Sprache, die Sie und ich verstehen 1 können, bietet mehr Möglichkeiten zur Inspiration. Ist aber jetzt auch kein völlig neuer Gedanke – also auch das ist durchaus in grauer Vorzeit schon mal formuliert worden. (0’30) SprecherIn: Zu welchen Reformansätzen dieses Koranverständnis führen kann, zeigt Amirpurs Porträtband. Als „Standardwerk für den modernen muslimischen Umgang mit dem Koran“ wurde das Buch von Experten bezeichnet. Sein programmatischer Titel: „Den Islam neu denken. Der Dschihad für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte.“ O-Ton 05 MD_04 Amirpur O-Ton 05 Also, man weiß einfach nichts von diesen ganzen vielen Ansätzen, von diesem Reformdenken, das es im Islam gibt. Und insofern war es weniger mein Ziel, dass ich jetzt noch neuerlich zu diesem Nachdenken auffordere, sondern dass ich einfach auch eine Mehrheitsgesellschaft hier in Deutschland darüber informiere, dass das ja ständig und andauernd stattfindet. (0’23) SprecherIn: Ein altes Stadthaus mitten in der Kölner Innenstadt. Wer von der Hauptverkehrsstraße durch das Tor in den Innenhof tritt, steht in einer kleinen grünen Oase. Katajun Amirpur pendelt zwischen Hamburg, der Akademie der Weltreligionen, an der sie lehrt, und Köln, wo sie mit ihrer Familie lebt - ihrem Mann, dem Schriftsteller und Orientalisten Navid Kermani und zwei Töchtern. In Köln wurde sie auch geboren, im Jahr 1971. Der kulturelle und religiöse Dialog, für den sie sich einsetzt, wurde ihr quasi in die Wiege gelegt. O-Ton 06 MD_04 Amirpur O-Ton 06 Ich bin ja als Tochter eines Iraners und einer Deutschen aufgewachsen. Also, diese beiden Kulturen waren bei uns zuhause immer präsent. Und ich habe festgestellt, dass das ganz gut funktionieren kann. Es gibt viele Dinge, die einfach unterschiedlich sind, aber man kann das bereden … (0’14) SprecherIn: Ihr muslimischer Vater war Kulturattaché unter Schah Mohammed Reza Pahlavi, ihre Mutter ist Christin. Der religiöse und kulturelle Dialog, mit dem Katajun Amirpur aufgewachsen ist, habe gut funktioniert, sagt sie. O-Ton 07 MD_04 Amirpur O-Ton 07 Ich denke mir: sowas kann gehen und kann durchaus bereichernd sein, wenn man vom Glauben des Anderen, von der Kultur des Anderen sehr viel erfährt. Es ist nichts, was einen zerreißen muss. Es ist nichts, was bedrohlich ist, sondern im Gegenteil: es ist wirklich ein zusätzlicher Reichtum, den man haben kann. (0’16) 2 SprecherIn: Amirpur studierte Politik und Islamwissenschaft in Bonn, und anschließend anderthalb Jahre lang schiitische Theologie in Teheran. Ihren Migrationshintergrund habe sie selbst nie als etwas Behinderndes wahrgenommen. Im Gegenteil. O-Ton 08 MD_04 Amirpur O-Ton 08 Ich bin ja in der glücklichen Lage, ein Vaterland und ein Mutterland haben zu können. (0’03) SprecherIn: Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit arbeitet Katajun Amirpur auch als Publizistin. Sie ist Mitherausgeberin der „Blätter für deutsche und internationale Politik“, schreibt als freie Journalistin für die überregionale Presse und hat zudem mehrere Bücher veröffentlicht. Sie ist eine gefragte Kommentatorin, wenn es um das politische Geschehen im Iran geht. Zu beiden Ländern, Iran und Deutschland, hat sie eine enge Bindung und sieht sich sowohl als Iranerin wie auch als Deutsche. Und das sei völlig unproblematisch. O-Ton 09 MD_04 Amirpur O-Ton 09 Es ist ja nicht so, als würde man sich zwischen zwei Stühle setzen, nur weil man zwei Identitäten hat. Sondern: es ist im Gegenteil ein ziemlich großer Gewinn, wenn von beidem was hat: von beiden Ländern was hat, von beiden Sprachen was hat, von beiden Essenstraditionen, Kulturen. Und ich glaube, das einzige Problem taucht immer nur dann auf, wenn Iran und Deutschland in der Weltmeisterschaft gegeneinander spielen, das ist ein-, zweimal passiert, dann wird es wirklich kritisch. Wobei ich dann, glaube ich, tendenziell immer für Iran bin, weil der einfach die schlechteren Chancen haben. Aber das ist so der einzige Problempunkt, den ich sehe. (0’29) SprecherIn: Als Professorin an der "Akademie der Weltreligionen" will Katajun Amirpur dazu beitragen, den Dialog zwischen den Religionen in das wissenschaftliche Denken hineinzutragen. Sie ist Schiitin gehört damit einer Minderheit unter den Muslimen in Deutschland an. In ihrem Unterricht stellt sie sowohl die sunnitische als auch die schiitische Sichtweise, beispielsweise der frühislamischen Geschichte dar. Und sie legt Wert darauf, auch unterschiedliche Positionen innerhalb des sunnitischen Spektrums aufzuzeigen. O-Ton 10 MD_04 Amirpur O-Ton 10 Wichtig finde ich, also speziell für einen in Deutschland gelebten Islam, dass man sich sehr klar darüber ist, dass diese Unterschiede bestehen. Dann kann man sich ja für seine eigene Position entscheiden. Man darf die andere nicht verteufeln oder verdammen, sondern muss eben letztlich sagen – wie das ja gute islamische Tradition ist, und letztlich weiß es eben doch nur Gott – was da die richtige Variante war und ist. Und dann versucht man eben mit diesen verschiedenen Positionen zu 3 leben. Und das hat eigentlich in der islamischen Geschichte auch immer ganz gut geklappt. Also, da war man durchaus auch offen und konnte mit so einer Meinungspluralität leben. (0’32) SprecherIn: Diese Tradition will die Professorin wachhalten. Und sie dem Bild des Islam entgegensetzen, das islamistische Terroristen prägen. Jenen Terroristen, die andere Menschen umbringen, weil sie nicht ihren Glauben teilen. O-Ton 11 MD_04 Amirpur O-Ton 11 Ich weiß ja, was das für eine wunderschöne und reiche Kultur ist. Und es tut mir im Herzen weh, zu sehen, wie teilweise darüber berichtet wird, was viele Menschen darüber denken. Deswegen ist es irgendwie so ein natürliches Bedürfnis, so etwas zu korrigieren zu versuchen und sich dafür einzusetzen, dass Menschen einfach friedlicher miteinander leben. Ich glaube, das kann man ganz gut, wenn man einen Dialogstudiengang unterrichtet, wie ich das tue. Und es ist nun mal das Land, in dem ich lebe, es ist das Land, in dem meine Kinder groß werden. Und es wäre fatal, wenn man nicht zumindest im Kleinen oder gar so im Großen versuchen würde, da eher für ein friedliches Miteinander zu sorgen. (0’37) 4