FACHZEITSCHRIFT FÜR WIRTSCHAFTSRECHT M A I 2 0 1 5 05 www.ecolex.at 353 – 444 Rsp-Nr 137 – 170 Grünbuch zur Kapitalmarkt-Union Erbrechtsnovelle 2015 Schnittpunkte Krida? Untreue? Ausschüttung einer Sonderdividende Nachträgliche Änderung des Gewinnverteilungsbeschlusses Prozessvorbereitung mit Parteien und Zeugen HETA – BRRD/BaSAG Bankenabwicklungsregeln Glücksspielmonopol Kohärenzprüfung EUROPA C Apropos LG Linz: Glücksspielmonopol fällt bei Kohärenzprüfung durch ARTHUR STADLER / NICHOLAS AQUILINA Ein Spielteilnehmer auf einer in Malta lizenzierten Online-Roulette Plattform erhob Klage gegen die Betreiberin und verlangte die Rückzahlung seiner Spielverluste. Der Kl begründete das Klagebegehren mit dem Fehlen einer österr Konzession und der daraus resultierenden Rechtswidrigkeit des Angebots. Die Bekl wandte die Unionsrechtswidrigkeit des österr Glücksspielmonopols ein: Zahlreiche Bestimmungen des GSpG beschränkten ohne ausreichende Rechtfertigung die Dienstleistungsfreiheit des Art 56 AEUV und seien daher unbeachtlich. Aufgrund des unionsrechtlichen Anwendungsvorrangs erlaube die maltesische Lizenz der Bekl, auf Basis der Dienstleistungsfreiheit in Österreich Online-Glücksspiele anzubieten. Das ErstG1) wies die Klage ab und urteilte, das Glücksspielmonopol sei unionsrechtswidrig. Das BerG2) gab der Klage statt. Der OGH3) gab der Revision Folge und hob die E der Vorinstanzen auf. Der Gerichtshof führte aus, dass die Zulässigkeit des Monopols „als besonders gravierender Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit“ strengen Voraussetzungen unterliege. Werden diese nicht erfüllt, „sind die Monopol-Vorschriften aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts unanwendbar“. Dies gelte iS des effet utile für alle das Monopol normierenden Bestimmungen des GSpG. Der OGH verwies die Rs zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das ErstG zurück und trug auf zu prüfen, ob die Werbung der österr Monopolisten mit der stRsp des EuGH in Einklang steht. Werbung darf Spieler lediglich zum Monopolangebot lenken, jedoch nicht auf Expansion abzielen und aktiv zum Spielen anregen.4) Dies widerspräche der vom EuGH in stRsp geforderten kohärenten und systematischen Verfolgung des von Österreich als Rechtfertigungsgrund für die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit vorgebrachten Spielerschutzes.5) Die Beschränkung wäre unionsrechtlich nicht zu rechtfertigen und daher unanwendbar. Im fortgesetzten Verfahren wies das ErstG6) zunächst ein ergänzendes Vorbringen des Kl, wonach es ihm wegen Spielsucht an der notwendigen Geschäftsfähigkeit gemangelt habe, als verspätet und unzulässig zurück, zumal das gesamte Beweisverfahren von Anfang an nicht auf dieses Vorbringen konzentriert war. Das LG Linz befasste sich daraufhin eingehend mit der Geschäftspolitik der Glücksspielkonzessionäre (und de facto Monopolisten) Österreichische Lotterien GmbH (ÖLG) und Casinos Austria AG (CASAG) und führte deren jährlich steigende Werbeausgaben an. Das Gericht stellte fest, dass die Werbung der Monopolisten „nicht maßvoll“ ist, darauf abzielt, „den natürlichen Spieltrieb der Menschen zu fördern, um sie damit zur aktiven Teilnahme am Spiel anzuregen“ und „sich explizit auch an neue Kunden für 442 ecolex 2015 das Glücksspiel [richtet]“. „Ein positives Image wird dem Glücksspiel beispielsweise verliehen, wenn mit Slogans geworben wird, (. . .) wie ‚Ein Gewinn für Österreich!‘ (. . .), ‚Ein Gewinn für die Gesellschaft!‘ (. . .).“ Slogans wie „Lotto sichert Ihre Pension“ (ob hier mit dem quasi-staatlichen Anschein von ÖLG und CASAG gespielt wird?) erhöhen die Anziehungskraft noch weiter. Das LG Linz findet deutliche Worte: „Nicht nur, dass die Werbung aktiv zur Teilnahme am Spiel anregen soll, sie verharmlost konsequent das Spielen ganz grundsätzlich und spielt bewusst mit den Sehnsüchten der Spieler. Zugkräftige Werbebotschaften und Sexismus sind dabei ebenso an der Tagesordnung wie auch das Werben mit Aktionen, die den Unternehmen ein positives Image verleihen sollen“. Damit vollzieht das LG Linz den sog „Scheinheiligkeitstest“ („hypocrisy test“), mit dem die kohärente und systematische Verfolgung der vorgebrachten Rechtfertigungsgründe geprüft wird. Die beschränkende Regelung muss geeignet sein, das verfolgte Ziel – hier insb der Spielerschutz – tatsächlich und widerspruchsfrei zu erreichen. „Aufgrund der aggressiven Bewerbung der von den Monopolisten angebotenen Glücksspiele können die mit dem Glücksspielmonopol einhergehenden Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit mit Verbraucher- oder Spielerschutzerwägungen nicht gerechtfertigt werden“. Das LG Linz kommt damit zum Schluss, dass das österr Glücksspielmonopol in seiner derzeitigen Ausgestaltung unionsrechtswidrig ist. Die §§ 14, 21 GSpG sind daher nicht anwendbar und die Bekl bietet legal Online-Glücksspiele in Österreich an. Somit besteht kein Rückzahlungsanspruch des kl Spielers. Das Urteil des LG Linz ist noch nicht rechtskräftig. Jüngste Medienberichte bestätigen die Aussagen des LG Linz: Die ÖLG konnte im vergangenen Jahr nicht nur ihren Umsatz auf 3,15 Mrd Euro (plus 3,3 Prozent im Vergleich zu 2013) steigern, sondern hat mit einem Bruttowerbevolumen von rund 50 Mio Euro auch eines der größten Marketingbudgets Österreichs.7) Diese expansionistische Geschäftspolitik ist mit dem Ziel eines besonders hohen SpieDr. Arthur Stadler ist RA und Mag. Nicholas Aquilina ist RAA der Kanzlei Brandl & Talos Rechtsanwälte GmbH. 1) LG Linz 22. 3. 2012, 1 Cg 190/11 y. 2) OLG Linz 13. 9. 2012, 3 R 99/12 t. 3) OGH 27. 11. 2013, 2 Ob 243/12 t, Online-Roulette. 4) EuGH 8. 9. 2010, C-316/07, Markus Stoß, Rz 103; 15. 9. 2011, C-347/09, Dickinger und Ömer, Rz 68. 5) EuGH 6. 3. 2007, C-338/04, Placanica, Rz 53; 8. 9. 2010, C-316/ 07, Markus Stoß, Rz 88, 97 f; 15. 9. 2011, C-347/09, Dickinger und Ömer, Rz 56; 30. 4. 2014, C-390/12, Pfleger, Rz 56. 6) LG Linz 28. 11. 2014, 1 Cg 190/11 y. 7) Die Presse 30. 1. 2015, S 16; Wirtschaftsblatt 30. 1. 2015, S 3; medianet 30. 1. 2015, S 12. EUROPA lerschutzniveaus unvereinbar. Das gravierend in die Dienstleistungsfreiheit eingreifende Monopol kann folglich nicht gerechtfertigt werden, womit das Ange- bot der in Malta lizenzierten Bekl aufgrund des Anwendungsvorrangs von Art 56 AEUV rechtskonform ist. ecolex 2015 443