Neues aus der Schulterchirurgie Mit zunehmender Verbreitung und Verbesserung arthroskopischer OP-Verfahren in der Schulterchirurgie bieten sich erweiterte Möglichkeiten für die Indikationsstellung und die Wahl der Therapieoption. Insbesondere auf dem Gebiet der rekonstruktiven Chirurgie und der Behandlung von Schulterinstabilitäten konnten Fortschritte und Erkenntnisgewinn erzielt werden. Dieser Artikel soll Ihnen einen Einblick in den aktuellen Stand der Diskussion für die Bereiche Instabilitätschirurgie, Rotatorenmanschettenrekonstruktion und Schultersteife geben und Ihnen als Hilfe zur Therapieplanung dienen. Instabilitäten Konservative Therapie Häufig stehen wir Ärzte vor der Beantwortung der Frage ob eine Erstluxation des Schultergelenkes operativ oder konservativ behandelt werden sollte. Unterschiedliche Ansprüche seitens der Patienten und eine unbefriedigende Datenlage bezüglich von Langzeitergebnissen erschweren die Entscheidungsfindung. Einen Meilenstein in der Langzeitbeobachtung konservativ therapierter Patienten nach Erstluxation hat Hovelius mit seiner Studie über einen Beobachtungszeitraum von 25 Jahren erzielen können (1). In dieser kommt er zu dem Schluss, dass junge Patienten die zum Zeitpunkt der Erstluxation ein Alter zwischen 11-25 Jahren aufweisen und konservativ behandelt werden mit einer 50%Wahrscheinlichkeit, über die folgenden 25 Jahre, ein stabiles Gelenk behalten. Mit steigendem Alter zum Zeitpunkt der Erstluxation sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Reluxation weiterhin deutlich. Die konservative Behandlung nach reponierter Schulterluxation sollte neben der analgetischen Therapie eine schmerzadaptierte Ruhigstellung nur für wenige Tage beinhalten. Eine Ruhigstellung in einer Orthese mit am Körper fixiertem Arm (Innenrotation) sollte vermieden werden, da diese Position eine Anheilung des verletzten Kapsel- / Labrumkomplexes in anatomischer Position verhindert. Weiterhin kontrovers diskutiert werden eine Lagerung in einer Außenrotationsorthese oder die frühe freie Mobilisierung ohne Orthese. Operative Therapie Für den Fall rezidivierender Luxationen oder schmerzhafter chronischer Subluxationen stellt die arthroskopische Kapsellabrumrekonstruktion weiterhin den Goldstandard der operativen Behandlung dar (Abb 1a-c). Auch hier haben in den letzten Jahren mehrere Studien Prognosefaktoren herausarbeiten können die eine Abschätzung eines Reluxationsrisikos erlauben (2-4). Zusammengefasst kristallieren sich folgende Punkte heraus, die das Reluxationsrisiko nach arthroskopischer Kapsel- / Labrumrekonstruktion negativ beeinflussen: junges Alter, sportliche Aktivität, Hyperlaxizität, knöcherne Humeruskopfdefekte (Hill-Sachs) und knöcherne Glenoidläsionen. Diese Risikofaktoren die mit einer Re-Luxationsrate von 10-20% im mehrjährigen Verlauf nach arthroskopischer Stabilisierung einhergehen (5) haben zur weiteren Differenzierung Behandlung von der OP-Verfahren rezidivierenden geführt. Insbesondere Schulterluxationen mit für die mangelhafter Weichteilqualität oder knöcherner Läsionen erfährt der Korakoidtransfer nach Latarjet eine Renaissance, da dieses OP-Verfahren offen und auch arthroskopisch durchgeführt werden kann (Abb 2-4) (6). Der Korakoidtranfer an den Glenoidrand erlaubt die Wiederherstellung eines suffizienten Glenoidrandes und verhindert das Herausgleiten und das Aushebeln des Oberarmkopfes im Falle von Rotationsbewegungen und vorliegender Hill-Sachs-Defekte (Abb 5a-b). Einen weiteren Vorteil bildet der sogenannte „sling“-Effekt der mittransferierten conjointtendons, die an der Korakoidspitze ansetzen. Diese stabilisieren die Schulter zusätzlich insbesondere bei Bewegungen über der Horizontalebene. Um die knöchernen Risikofaktoren so gut wie möglich präoperativ herauszuarbeiten eignen sich Spezialröntgenaufnahmen ((Bernageau (Abb 6), Rotationsaufnahmen (Abb 7)) sowie CT und MRT. Rotatorenmanschette Die arthroskopische Rotatorenmanschettenrekonstruktion (RM-Rekonstruktion) hat zum Ziel eine kraftvolle und schmerzfreie aktive Beweglichkeit des Schultergelenkes wieder herzustellen. Aus heutiger Sicht kann festgehalten werden, dass die RMRekonstruktion keiner Altersbeschränkung unterliegt, da selbst Teilrekonstruktionen bei schlechter Sehnenqualität im hohen Alter gute funktionelle Ergebnisse und einen Zugewinn an Lebensqualität bieten. Ebenfalls scheint die Frage nach der Anzahl zu verwendender Fadenanker und deren Konfiguration (single- / double-row) eher zweitrangig für das zu erwartenden klinische Ergebnis zu sein. Wichtiger erscheint das vollständige Lösen von Verwachsungen und die an die jeweilige Rupturform angepasste Reparation. Diese sollte stets sowohl die oberflächlichen als auch die tiefen gelenkseitigen Sehnenschichten berücksichtigen. RM-Rekonstruktion und Schultersteife Eine bisher ungelöste Frage betrifft die oft begleitend auftretende Schultersteife. Eine gleichzeitige arthroskopische oder offene Arthrolyse (Lösung der Verwachsungen) kombiniert mit einer einzeitigen Rekonstruktion der Rotatorenmanschette galt bisher als obsolet, obwohl keine wissenschaftliche Arbeit sich mit diesem Thema befasste. Aus einer eigenen Studie kann deutlich gemacht werden, dass eine einzeitige Versorgung beider Pathologien möglich ist und ein gutes bis sehr gutes klinisches Ergebnis erzielt werden kann. Der Schlüsselfaktor scheint die Arthrolyse der intraund extraartikulären Weichteilvernarbungen zu sein, welches am besten arthroskopisch gelingt (7). RM-Rekonstruktion und Release des Nervus suprascapularis Anatomische Studien zeigen, dass die Reposition einer retrahierten RMMassenruptur einen massiven Zug auf den sensibel und motorisch innervierenden Nerven, den Nervus suprascapularis, ausübt (8). Dieser Nerv innerviert zu großen Teilen die RM und große Anteile der Schulter- und AC-Gelenkskapsel. Weiterhin ist bekannt, dass die Reparation großer retrahierter RM-Rupturen, mittelfristig aufgrund von Atrophie und fettiger Degeneration zu einer erneuten Ruptur führen kann. Aus diesen Beobachtungen leitet sich die Frage ab, ob ein release des Nervus suprascapularis in seiner physiologischen Enge zwischen transversem Ligament und der Incisura scapulae eine Schmerzreduktion und ein verbessertes Ergebnis bezüglich der Muskelverfettung und Atrophie bei der Rekonstruktion von großen, retrahierten RM-Rupturen, erzielen kann. Vorläufige Ergebnisse aus einer eigenen noch unveröffentlichten Studie zeigen, dass die Gruppe der kombiniert retrahierten Supra- und Infraspinatusrupturen (Retraktionsgrad Patte II oder höher) mit Nerven release, im Vergleich zur identischen Gruppe ohne Nervenrelease, eine deutliche Schmerzminderung in der ersten frühen postoperativen Phase erfährt (Abb 8-10). Ob sich dies auch in besseren kinischen Ergebnissen widerspiegeln wird, bleibt abzuwarten. Literatur (1) Hovelius L, Olofsson A, Sandstrom B et al. Nonoperative treatment of primary anterior shoulder dislocation in patients forty years of age and younger. A prospective twenty-five-year follow up. J Bone Joint Surg Am. 2008;90:(5)945952. (2) Boileau P, Villalba M, Héry JY, Balg F, Ahrens P, Neyton L. Risk factors for recurrence of shoulder instability after arthroscopic bankart repair. J Bone Joint Surg Am. 2006;88:1755-1763. (3) Porcellini G, Campi F, Pegreffi F, Castagna A, Paladini P. Predisposing factors of recurrent shoulder dislocation after arthroscopic treatment. J Bone Joint Surg Am. 2009;91:2537-2542. (4) Calvo E, Granizo J, Fernandez-Yruegas D. Criteria for arthroscopic treatment of anterior instability of the shoulder. J Bone Joint Surg Br. 2005;87-B:677-83. (5) Mauro C, Voos J, Hammoud S, Altcheck D. Failed anterior shoulder stabilization. J Shoulder Elbow Surg. 2011; in press:1-11. (6) Lafosse L, Lejeune E, Bouchard A, Kakuda C, Gobezie R, Kochhar T. The arthroscopic Latarjet procedure fort he treatment of anterior shoulder instability. Arthroscopy 2007;23(11):1242.e1-1242.e5. (7) Giannakos A, Sahu D, Bongiorno V, Lafosse L. Traitement arthroscopique des ruptures de coiffe avec épaule raide. Vortrag SFA Dezember 2011. (8) Warner JP, Krushell R, Masquelet A, Gerber C. Anatomy and relationships of the suprascapular nerve: anatomical constraints o mobilization oft he supraspinatus and infraspinatus muscles in the management of massive rotator-cuff tears. J Bone Joint Surg Am. 1992;74-A:1-10. Abbildungsverzeichnis Abb 1a-c: Arthroskopische Kapsel- / Labrumrekonstruktion. Fadenanker am Glenoidrand, Hindurchführen des Fadens durch das Labrum und Refixation durch Knoten am Glenoidrand. Abb 2-4: Arthroskopische Korakoidosteotomie und Verschraubung des Korakoides am anterioren Glenoidrand. Abb 5a-b: Hill-Sachs-Defekt am posterioren Oberarmkopf. Aushebeln des OA-Kopfes am anterioren Glenoidrand durch Außenrotation. Abb 6: Bernageau-Aufnahme: anteriorer Glenoidranddefekt. Abb 7: Rationsaufnahme Abb 8: Nervus suprascapularis unterhalb des transversen Ligamentes in der Incisura scapulae Abb 9-10: Release des transversen Ligamentes und Darstellung des Nervus suprascapularis