Satz 1.18 (Kompaktheitssatz der Aussagenlogik) Σ ⊆ F ist erfüllbar genau dann, wenn jede endliche Teilmenge von Σ erfüllbar ist. Σ ⊆ F ist unerfüllbar genau dann, wenn es eine unerfüllbare endliche Teilmenge von Σ gibt. Beweis: (s. Vorlesung) Korollar 1.19 Es gilt Σ |= A genau dann, wenn es eine endliche Teilmenge Σ0 ⊆ Σ gibt mit Σ0 |= A. Der zweite Teil des Satzes ist die Grundlage für Beweisverfahren für Σ |= A. Dies ist der Fall, wenn Σ ∪ {¬A} unerfüllbar ist. Widerspruchbeweise versuchen systematisch eine endliche Menge Σ0 ⊆ Σ zu finden, so dass Σ0 ∪ {¬A} unerfüllbar ist. A. Poetzsch-Heffter (TU Kaiserslautern) Logik SoSe 2017 40 / 193 Anwendungen Kompaktheitssatz Beispiel 1.20 Sei Σ ⊆ F , so dass es zu jeder Belegung ψ ein Aψ ∈ Σ mit Bψ (Aψ ) = 1 gibt. Dann gibt es A1 , ..., An ∈ Σ (n > 0) mit |= A1 ∨ ... ∨ An . Beweisskizze: Betrachte die Menge Σ′ = {¬A | A ∈ Σ}. Σ′ ist unerfüllbar. (Sonst gäbe es ein ψ mit Bψ (¬A) = 1 für alle A ∈ Σ; nach Voraussetzung gibt es zu ψ ein Aψ mit Bψ (Aψ ) = 1, im Widerspruch zu Bψ (¬Aψ ) = 1.) Nach dem Kompaktheitssatz gibt es eine endliche nichtleere Teilmenge {¬A1 , ..., ¬An } von Σ′ , die unerfüllbar ist. Also gibt es für jede Belegung ψ ein i mit Bψ (¬Ai ) = 0, also Bψ (Ai ) = 1. Also gilt für jede Belegung ψ: Bψ (A1 ∨ ... ∨ An ) = 1. A. Poetzsch-Heffter (TU Kaiserslautern) Logik SoSe 2017 41 / 193 Deduktive Systeme der Aussagenlogik A. Poetzsch-Heffter (TU Kaiserslautern) Logik SoSe 2017 42 / 193 Deduktive Systeme Jede formale Logik baut auf einer formalen Sprache auf, deren Syntax und Semantik festgelegt ist. Die Semantik beschreibt insbesondere, unter welchen Bedingungen Aussagen/Formeln wahr sind. Jede formale Logik besitzt darüber hinaus (mindestens) ein deduktives System/Kalkül bestehend aus Axiomen und Regeln, mit dem man wahre Aussagen/Formeln ableiten (formal beweisen) kann. Man kann die Wahrheit von Formeln also auf zwei Arten “prüfen”: Durch Anwendung der Semantik. Durch Ableiten mit dem deduktiven System. Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit deduktiven Systemen/Kalkülen für die Aussagenlogik. Eine Formel wird Theorem der Logik genannt, wenn sie mit dem deduktiven System abgeleitet werden kann. Man kann deduktive Systeme angeben, in denen Formeln genau dann Theoreme sind, wenn sie auch Tautologien sind. A. Poetzsch-Heffter (TU Kaiserslautern) Logik SoSe 2017 43 / 193 Deduktive Systeme Definition 2.1 (Deduktives System) Sei F eine Menge von Formeln. Ein deduktives System F besteht aus einer Menge von Axiomen Ax ⊆ F und A , . . . , An einer Menge R von Regeln der Form 1 mit n > 0 und A A1 , ..., An , A ∈ F . Die Mengen F , Ax und R sind typischerweise entscheidbar. A. Poetzsch-Heffter (TU Kaiserslautern) Logik SoSe 2017 44 / 193 Deduktive Systeme (Fort.) Definition 2.2 Sei F = (Ax, R) ein deduktives System. Die Menge T (F) der Theoreme von F ist induktiv definiert durch: 1 2 Ax ⊆ T (F) alle Axiome sind Theoreme A , . . . , An Sind A1 , . . . , An ∈ T (F) und ist 1 in R, dann ist A ∈ T (F). A Schreibe A ∈ T (F) als ⊢F A und sage A ist in F herleitbar. Deduktiver Folgerungsbegriff: Sei Σ ⊆ F , A ∈ F . Dann ist A in F aus Σ herleitbar, kurz Σ ⊢F A, falls ⊢(Ax∪Σ,R) A gilt. FolgF (Σ) := {A ∈ F | Σ ⊢F A}. A. Poetzsch-Heffter (TU Kaiserslautern) Logik SoSe 2017 45 / 193 Deduktive Systeme (Fort.) Gibt es ein deduktives System F0 , so dass ⊢F0 A gdw. |= A? Bemerkung 2.3 Ist F aus dem Kontext klar, schreibt man abkürzend ⊢ A und Σ ⊢ A Definition 2.4 Σ heißt konsistent, falls für keine Formel A ∈ F gibt: Σ ⊢ A und Σ ⊢ ¬A. Andernfalls heißt Σ inkonsistent. A. Poetzsch-Heffter (TU Kaiserslautern) Logik SoSe 2017 46 / 193 Beweise in der Logik Bemerkung 2.5 Formel A ist in F herleitbar, falls es eine endliche Folge von Formeln B1 , . . . , Bn gibt mit A ≡ Bn und für 1 ≤ i ≤ n gilt: Bi ∈ Ax oder es gibt i1 , . . . , il < i und B i1 . . . B il ∈ R. Bi Die Folge B1 , . . . , Bn heißt auch Beweis für A in F. Eine Folge B1 , . . . , Bn heißt abgekürzter Beweis für Σ ⊢ Bn , falls für 1 ≤ j ≤ n gilt: Σ ⊢ Bj oder es gibt j1 , . . . , jr < j mit B j1 . . . B jr ∈ R. Bj Lemma 2.6 1 ⊢ A gilt gdw. es einen Beweis für A gibt. 2 Es gibt einen Beweis für Σ ⊢ A gdw. es einen abgekürzten Beweis für Σ ⊢ A gibt. A. Poetzsch-Heffter (TU Kaiserslautern) Logik SoSe 2017 47 / 193 Entscheidbarkeits- und Aufzählbarkeitseigenschaften Bemerkung 2.7 Eigenschaften der Elemente von T (F) werden durch strukturelle Induktion bewiesen. Die Menge der Beweise Bew := {B1 , . . . , Bn ∈ F + | B1 , . . . , Bn ist Beweis} ist entscheidbar. Mit der vorherigen Bemerkung ist die Menge T (F) der Theoreme rekursiv aufzählbar. Ist Σ entscheidbar, dann gelten die Aussagen entsprechend. Insbesondere ist FolgF (Σ) aufzählbar. A. Poetzsch-Heffter (TU Kaiserslautern) Logik SoSe 2017 48 / 193 Wichtige Eigenschaften zu deduktiven Folgerungen Lemma 2.8 Gilt Σ ⊢ A, dann gibt es eine endliche Teilmenge Σ0 ⊆ Σ mit Σ0 ⊢ A. (Folgt aus der induktiven Definition von T (F) (Eine Entsprechung zum Kompaktheitssatz für |=.) Ist Σ inkonsistent, dann gibt es eine endliche Teilmenge Σ0 ⊆ Σ, die inkonsistent ist. Ist Σ ⊆ Γ ⊆ F , dann gilt FolgF (Σ) ⊆ FolgF (Γ). Gilt Σ ⊢ A und Γ ⊢ B für alle B ∈ Σ, dann auch Γ ⊢ A. Ist also Σ ⊆ FolgF (Γ), dann gilt FolgF (Σ) ⊆ FolgF (Γ). (Beweise lassen sich also zusammensetzen.) Gilt Σ ⊢ A, so ist Σ ∪ {¬A} inkonsistent. (Gilt auch die Umkehrung?) Es gilt T (F) ⊆ FolgF (Σ) für jede Menge Σ. A. Poetzsch-Heffter (TU Kaiserslautern) Logik SoSe 2017 49 / 193 Beschreibungen von deduktiven Systemen/Schemata Die Mengen der Axiome und Regeln deduktiver Systems sind im Allgemeinen nicht endlich. Um sie endlich zu beschrieben, benutzt man häufig Schemata. Beispielsweise beschreibt das Formelschema A → (B → A) die Menge {A0 → (B0 → A0 ) | A0 , B0 ∈ F }. Das Regelschema A, A → B beschreibt die Menge von Regeln B { A. Poetzsch-Heffter (TU Kaiserslautern) A0 , A0 → B0 | A0 , B0 ∈ F }. B0 Logik SoSe 2017 50 / 193 Das deduktive System F0 Eingeführt von Stephen Cole Kleene (1909 — 1994). Definition 2.9 (Das deduktive System F0 ) Sei F0 die Formelmenge F{¬,→} . Das deduktive System F0 für die Aussagenlogik besteht aus der Axiomenmenge Ax, die durch folgende Axiomenschemata beschrieben ist: Ax1: A → (B → A) Ax2: (A → (B → C )) → ((A → B) → (A → C )) Ax3: (¬A → ¬B) → (B → A) Die Regelmenge R wird beschrieben durch das Regelschema MP: A. Poetzsch-Heffter (TU Kaiserslautern) A, (A → B) B Logik (modus ponens). SoSe 2017 51 / 193 Bemerkung zum deduktiven System F0 Ax1, Ax2 und Ax3 beschreiben disjunkte Formelmengen. Ax und R sind entscheidbar. Alle Axiome sind Tautologien. Da diese abgeschlossen gegen Modus Ponens sind, sind alle Theoreme Tautologien: T (F0 ) ⊆ TAUT(F0 ). Die Rückwärtsanwendung der Regel ist nicht eindeutig: A′ , A′ → B A, A → B und haben unterschiedliche Annahmen. B B Das erschwert das Finden von Beweisen. Es genügt, nur Axiome für Formeln in → und ¬ zu betrachten. Andere Formeln sind zu einer solchen Formel logisch äquivalent. Will man allerdings Beweise für die Formeln in F führen, braucht man weitere Axiome, zum Beispiel: Ax1∧ :(A ∧ B) → ¬(A → ¬B) A. Poetzsch-Heffter (TU Kaiserslautern) Logik Ax2∧ :¬(A → ¬B) → (A ∧ B) SoSe 2017 52 / 193 Beispiel Beispiel 2.10 Für jedes A ∈ F0 gilt ⊢ (A → A), also (A → A) ∈ T (F0 ) Beweis: B0 ≡ (A → ((A → A) → A)) → ((A → (A → A)) → (A → A)) B1 ≡ A → ((A → A) → A) B2 ≡ (A → (A → A)) → (A → A) B3 ≡ A → (A → A) B4 ≡ A → A A. Poetzsch-Heffter (TU Kaiserslautern) Logik Ax2 Ax1 MP(B0 , B1 ) Ax1 MP(B2 , B3 ) SoSe 2017 53 / 193 Deduktionstheorem Wie findet man Beweise im System F0 ? Einziger Hinweis: Sofern Zielformel B kein Axiom ist, muss sie in der Form (A1 → . . . (An → B) . . .) vorkommen. Wähle geeignete Ai . Hilfreich: Satz 2.11 (Deduktionstheorem (syntaktische Version)) Seien Σ ⊆ F0 und A, B ∈ F0 . Dann gilt Σ, A ⊢ B A. Poetzsch-Heffter (TU Kaiserslautern) gdw. Logik Σ ⊢ (A → B). SoSe 2017 54 / 193 Anwendungen des Deduktionstheorems Beispiel 2.12 Um ⊢ ¬¬A → A zu zeigen, genügt es, ¬¬A ⊢ A zu zeigen. Beweis: B1 B2 B3 B4 B5 B6 B7 B8 ≡ ¬¬A ≡ ¬¬A → (¬¬¬¬A → ¬¬A) ≡ ¬¬¬¬A → ¬¬A ≡ (¬¬¬¬A → ¬¬A) → (¬A → ¬¬¬A) ≡ ¬A → ¬¬¬A ≡ (¬A → ¬¬¬A) → (¬¬A → A) ≡ ¬¬A → A ≡A A. Poetzsch-Heffter (TU Kaiserslautern) Logik Ax1 MP Ax3 MP Ax3 MP MP SoSe 2017 55 / 193 Anwendungen des Deduktionstheorems (Fort.) Lemma 2.13 Die folgenden Theoreme gelten in F0 : (Transitivität der Implikation) (Folgerung aus Inkonsistenz) (Doppelnegation) (Kontraposition) (Implikation) (Hilfslemma 1) (Hilfslemma 2) (Negation aus Inkonsistenz) (Eliminierung von Annahmen) ⊢ (A → B) → ((B → C ) → (A → C )) ⊢ ¬B → (B → A) (1) (2) ⊢ B → ¬¬B ⊢ (A → B) → (¬B → ¬A) (3) (4) ⊢ B → (¬C → ¬(B → C )) ⊢ (A → B) → ((A → ¬B) → (A → ¬Ax)) (5) (E1) ⊢ (A → ¬Ax) → ¬A ⊢ (A → B) → ((A → ¬B) → ¬A) (E2) (6) ⊢ (B → A) → ((¬B → A) → A) (7) Es gilt Σ ⊢ A gdw. Σ ∪ {¬A} inkonsistent ist. A. Poetzsch-Heffter (TU Kaiserslautern) Logik SoSe 2017 56 / 193 Korrektheit und Vollständigkeit von F0 Frage: Lassen sich alle Tautologien als Theoreme in System F0 herleiten? Satz 2.14 (Korrektheit und Vollständigkeit von F0 ) Sei A ∈ F0 eine Formel der Aussagenlogik. a) Korrektheit: Gilt ⊢F0 A, dann auch |= A d.h. jedes Theorem in T (F0 ) ist eine Tautologie. b) Vollständigkeit: Gilt |= A, dann auch ⊢F0 A d.h. alle Tautologien lassen sich in F0 herleiten. A. Poetzsch-Heffter (TU Kaiserslautern) Logik SoSe 2017 57 / 193