NACHRICHTEN & HINTERGRUND Schwäbische Zeitung Donnerstag, 8. November 2012 Obama reicht seinen Gegnern die Hand Strahlende Gesichter nach langer Nacht Versöhnliche Töne nach hartem Wahlkampf – Wiedergewählter Präsident mahnt zur Einheit In Berlin herrscht parteiübergreifend Freude über Obamas Wahlsieg Von Frank Herrmann WASHINGTON - So jubeln Sieger. Ei- nige haben sich in große Sternenbanner gehüllt, andere tragen rot-weißblaue, dick gefütterte Zylinder. Wieder andere halten demonstrativ die Wahlposter des Herbstes 2008 in die Höhe, die Plakate mit den Zauberworten Hope und Change, dem rhetorischen Versprechen, dem in der Praxis zu wenig folgte. Die meisten sind Studenten, herüber geeilt von der George Washington University, nur ein paar Straßenecken entfernt vom Weißen Haus, vor dessen Gittern die improvisierte Party steigt. „Four more years!“, skandiert eine Gruppe. Bald schallt, lauter noch als die Freude über vier weitere Amtsjahre für Barack Obama, ein patriotisches, trotziges „USA! USA!“ durch die Nacht. Das letzte Mal, dass die Pennsylvania Avenue ähnliche Szenen erlebte, war im Mai vergangenen Jahres gewesen, nach dem Tod Osama bin Ladens. Ein überlebensgroßer Obama wird herumgereicht, eine Figur aus Pappe, die Kulisse für schnelle Erinnerungsfotos. In einem Baum hängt die Fahne Kaliforniens, jemand trägt mit stolzem Lächeln ein Schild mit der Aufschrift „Ohio – Obama“ spazieren. In Ohio, dem ultimativen Swing State, hat der Amtsinhaber die Wahl gewonnen. Der Sieg zwischen Cleveland und Cincinnati reicht den Demokraten, um die magische Schwelle von 270 Wahlmännern zu überschreiten. Rasch wird aber auch Folgendes deutlich: Das Repräsentantenhaus bleibt fest in republikanischer Hand, während die Demokraten den Senat mit Müh und Not halten. Bald macht das Wort vom Status-quo-Votum die Runde. Eine 18 Monate dauernde, sechs Milliarden Dollar teure Kampagne produzierte im Grunde nur dasselbe Bild, wie es die politische Landschaft Amerikas seit zwei Jahren prägt. Ein Patt zwischen Exekutive und Legislative. Potenzielle Blockade. Umso bemerkenswerter die Töne, die beide Protagonisten in der Wahlnacht anschlagen. Obama lässt allein durch die Ortswahl erkennen, dass er kein rauschendes Fest zu feiern gedenkt. Zwar verbringt er den Wahltag erneut in Chicago, wie schon 2008. Zwar spielt er wie damals, offenbar abergläubisch, eine Partie Basketball mit ein paar Freunden. Aber den Grant Park, wo er seinerzeit vor unübersehbaren Menschenmassen im Ton eines Erlösers vom Von Sabine Lennartz Der Abbau des Budgetdefizits, eine Reform des Steuerrechts, eine Reparatur des Einwanderungssystems – nichts von dem, was Obama ankündigt, soll die Konservativen überfordern. „Wir sind größer als die Summe unserer individuellen Ambitionen, und wir bleiben mehr als eine Ansammlung von roten und blauen Staaten“, wiederholt er sein altes Versöhnermotiv, das Motiv, das ihn überhaupt erst ins Rampenlicht katapultierte. „Wir sind und werden es immer bleiben, die Vereinigten Staaten von Amerika. Wir leben in der größten Nation auf Erden.“ ● Der Jubel kannte keine Grenzen: Anhänger von Barack Obama feiern vor FOTO: DPA dem Weißen Haus in Washington seinen Wahlsieg. Wandel sprach, der nun endlich nach Amerika komme, lässt er diesmal links liegen. Und wie Romney spricht Obama vom notwendigen Kompromiss in der Mitte, von der ausgestreckten Hand, der Kooperation mit den Republikanern, die er an- strebe. Die Agenda seiner zweiten Amtszeit, die er in ersten Umrissen skizziert, klingt, als wolle er endgültig Bill Clinton nacheifern, dem letzten Demokraten, der vor ihm im Oval Office regierte, und zwar strikt im politischen Zentrum. Mitt Romney zeigt in der Niederlage Klasse geführt, die Nation aber habe seinen Rivalen favorisiert, „daher beten Ann und ich aufrichtig für ihn und für diese große Nation“. Es ist Mitt Romney FOTO: AFP ein Abgang in Würde, mit Stil. Dabei war die Niederlage für ihn bitter, schien der Sieg doch bis zum Ende so greifbar nah. Er habe nur eine Siegerrede vorbereitet, 1118 Wörter sei sie lang, ließ er Reporter wenige Stunden vor dem Wahlabend wissen. (herr/dpa) Mitt Romney trat in der Wahlnacht als Erster vor seine Anhänger in Boston. „Ich habe gerade Präsident Obama angerufen und ihm zu seinem Sieg gratuliert“, sagt er. In einigen Orten an der Westküste sind die Wahllokale noch geöffnet, als Romneys großer Traum von der US-Präsidentschaft platzt. In der Stunde der Niederlage offenbarte der Herausforderer eine Klasse, wie sie in der Hitze des Kampagnengefechts nur gelegentlich aufgeblitzt war. Ohne die geringste Spur von Verbitterung bietet er dem Sieger die Zusammenarbeit an, um dringende Probleme zu lösen. Er hätte Amerika gern in eine andere Richtung Spekulationen übers Personal Kaum stand der Sieger fest, bestimmten Personalspekulationen, die Washingtoner Nachrichtenbörse. Die Frage ist, ob Barack Obama, dem man eine ausgeprägte Loyalität gegenüber langjährigen Mitarbeitern nachsagt, politische Zeichen setzt, indem er in seinem Kabinett die Karten neu mischt. Drei Schlüsselposten werden möglicherweise vakant. Hillary Clinton möchte nach eigenen Worten das State Department verlassen, wohl auch, um sich in Ruhe auf eine Präsidentschaftskandidatur 2016 vorzubereiten. Timothy Geithner, zuständig für das Finanzressort, ist dem Vernehmen nach so amtsmüde, dass ein Wechsel so gut wie sicher erscheint. Und Leon Panetta, der Pentagonchef, nutzt schon fast jedes freie Wochenende, um nach Kalifornien zu fliegen, wo er sich auf seiner Walnussplantage demnächst zur Ruhe setzen möchte. Als heißer Anwärter für die Clinton-Nachfolge wird John Kerry gehandelt, ein Mann mit langjähriger weltpolitischer Erfahrung, der sich zuletzt unter anderem darum bemühte, nach der Tötung Osama bin Ladens die Wogen im Streit mit Pakistan zu glätten. Derzeit leitet der Weltbürger aus Boston, 2004 erfolgloser Kandidat fürs Oval Office, den Auswärtigen Ausschuss des Senats, ein typischer „elder statesman“ mit einer gewissen Portion Gelassenheit. Kerrys letzter wichtiger Job war es, Obama auf die drei Fernsehdebatten mit Mitt Romney vorzubereiten – in den Sparringsduellen spielte er die Rolle des Republikaners. ● BERLIN - Gute Laune überall in Ber- Er hat es geschafft: US-Präsident Barack Obama zieht erneut ins Weiße Haus ein. Seine Anhänger in Chicago feiern ihn nach seinem Wahlsieg mit einem rot-blauen Konfettiregen. FOTO: AFP So haben die einzelnen Staaten entschieden X Wahlmänner je Bundesstaat WA 12 MT 3 OR 7 ID 4 NV 6 CA 55 ND 3 MN 10 SD 3 WY 3 NE 5 UT 6 CO 9 AZ 11 NM 5 WI 10 IA 6 KS 6 OK 7 TX 38 AK 3 Ein Video mit einem Duell von Obama und Romney auf Schwäbisch finden Sie unter schwaebische.de/schwaebisches-duell NY 29 MI 16 PA 20 IL IN 20 11 OH 18 WV MO KY 5 VA 10 8 13 NC TN 11 AR 15 6 MS AL GA SC 9 LA 6 9 16 8 nötig zum Sieg: derwahl ist ein schwer erkämpfter Sieg. Obwohl der große Hoffnungsträger in der ersten Amtsperiode vieles schuldig blieb, kann er weiterregieren. Allerdings wartet auf ihn eine Herkulesaufgabe, sagt der Amerikaner James W. Davis, Direktor des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität St. Gallen, im Gespräch mit unserer Redakteurin Antje Merke. SZ: Professor Davis, wie erklären Sie sich den überraschend deutlichen Sieg Barack Obamas? War es wirklich der Sandy-Effekt? James W. Davis: Ich glaube am Ende war es Obama, der den Ängsten der Mittelklasse in Amerika am besten entgegenwirken konnte. Und Sandy hat dazu natürlich seinen Beitrag geleistet. Denn der Wirbelsturm hat gezeigt, dass wir Amerikaner einen schlagkräftigen Bund brauchen. SZ: Und woran lag es, dass Romney auf der Zielgeraden doch noch eingebrochen ist? Davis: Meiner Meinung nach war es niemandem so ganz klar, wofür Romney steht. Das war wiederum eine Folge davon, dass er anfangs ganz rechts außen kandidiert hat und dann nach dem Parteitag abrupt zur Mitte gewechselt ist. SZ: Der neue und alte US-Präsident kann sich auf seinem Sieg nicht lange ausruhen. Die USA stecken bis zum Hals in Schulden. Glauben Sie, dass Obama mit seinen Ideen das Land tatsächlich wieder nach vorne bringt? Davis: Die große Herausforderung ist, Amerika mit Investitionen in die Wirtschaft schlagkräftig für das 21. Jahrhundert zu machen und gleichzeitig die Schulden abzubauen. Diese Herkulesaufgabe muss Obama meistern – mit einem Kongress, in dem im Repräsentantenhaus die Republikaner die Mehrheit haben. Ich denke aber, er wird alles dafür tun, um seine Präsidentschaft am Ende erfolgreich abzuschließen. SZ: Wird Obama in seiner zweiten Amtszeit auch endlich das durchsetzen können, was er bereits vor vier Jahren versprochen hat? Denken Sie an Guantánamo und den Politologe aus USA Professor James W. Davis (Foto: pr) lehrt Politikwissenschaft an der Universität St. Gallen. Schwerpunkte des 49-jährigen gebürtigen Amerikaners sind die internationale Sicherheit, politische Psychologie sowie die transatlantischen Beziehungen. Klimaschutz. Davis: Das wird die große Frage sein. Es ist natürlich so, dass er immer noch mit einem gespaltenen Kongress zu tun hat. Allzu schnell werden sich die Dinge deshalb nicht ändern. Aber man kann nur hoffen: Die Republikaner sind einsichtig und erkennen, dass die USA mit einer Blockadepolitik nicht vorankommen. SZ: Der amerikanische Präsident hat angekündigt, dass er gemeinsam mit den Republikanern die Riesenprobleme der USA anpacken will. Er hat sogar Romney zu Gesprächen eingeladen. Halten Sie das für realistisch? Davis: Es ist eine nette Geste, realistisch ist das allerdings nicht. Mitt Romney dürfte für ein paar Monate noch als Parteiführer fungieren, aber er hat seinen Job als solchen gestern verloren. Doch letztlich muss Obama die Republikaner mit ins Boot holen, sonst werden die riesigen Probleme der USA nicht gelöst. SZ: Könnte es Obama schaffen, aus den momentan zerrissenen Staaten wieder die Vereinigten Staaten von Amerika zu machen? Davis: Ich glaube er ist auf dem Weg dazu. Immerhin hat Obamas bei dieser Wahl eine Mehrheit aus Minderheiten hinter sich gebracht. Jetzt muss er versuchen, auch diejenigen auf seine Seite zu bringen, die sich bislang noch nicht mit ihm identifi- zieren konnten. Wobei er natürlich bei den extremen Rechtskonservativen nach wie vor kein Gehör finden wird. SZ: Im US-Wahlkampf konnte man den Eindruck gewinnen, dass Europa in den USA quasi keine Rolle spielt. Wie erklären Sie sich das, und wird das aus Ihrer Sicht so bleiben? Davis: Aus Sicht der Amerikaner ist Europa stabil und befriedet. Es gibt also andere Brennpunkte auf der Erde, die für uns bedrohlicher wirken. Aber Europa wird ziemlich schnell in die Diskussion zurückkehren, weil es uns Amerikanern nicht egal sein kann, wenn Europa eine Eurokrise, eine Schuldenkrise und vielleicht sogar eine politische Krise hat. Wir sind so verflochten miteinander, dass sich Amerika nur dann wirtschaftlich erholen kann, wenn sich auch Europa erholt und umgekehrt. SZ: Sie leben schon seit vielen Jahren auf dem alten Kontinent. Was könnte der amerikanische Präsident Ihrer Meinung nach von Europa lernen? Davis: Barack Obama könnte lernen, wie man eine moderne Wirtschaft, die auf Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein setzt, so aufbauen und betreiben kann, ohne dass es zu Rückschritten in der Lebensqualität der Gesellschaft kommt. Da hat Europa eindeutig Vorbildcharakter. 270 206 Stand: 7. 11. 2012 – Quelle: RealClearPolitics – Grafik: dpa – Bearbeitung: Matthias Wagner Ein Espresso vor dem Büro Doch ganz gleich, wann er endlich kommt – auf den Wahlpartys der Hauptstadt war er schon der Favorit. In der Telekom-Repräsentanz genauso wie am Bertelsmann-Sitz oder in der Allianz. Nach einer langen und spannenden Wahlnacht sah man gestern viele unausgeschlafene Gesichter. Viele überbrückten die kurze Zeit zwischen Wahlparty und Büro mit einem Espresso. US-Botschafter Philipp Murphy hat den Stress gut überstanden, zumal es für ihn positiver Stress war. „Natürlich bin ich glücklich“, sagt er am Morgen. Er dürfte sich wie in seiner eigenen Wahlkampf-Zentrale gefühlt haben. Wäre Deutschland der 53. Bundesstaat der USA, hätte sich Obama keine Sorgen um seine Wiederwahl machen müssen. Auch die Bertelsmann-Repräsentanz in Berlin war „Obama Country“. Beim Einlass konnten sich die Gäste zwischen einem Button mit Obama oder Romney entscheiden. Man sah fast nur Obama-Fans auf dem Fest mit Das Weiße Haus – Dienstsitz des US-Präsidenten 1 WASHINGTON D.C. 1 2 Weißes Haus E St Weihnachtsbaum Eisenhower Executive Office Building Querschnitt des Hauses (Bürogebäude der Regierung) Westflügel Constitution Ave 1800: 2. Sto ck Esszimmer 1. Sto ck der Präsidentenfamilie Red Room Oval Office (Präsidentenbüro) (Empfangszimmer) State Dining Room Presse(Speisesaal) konferenzen Eingang Roosevelt Room (Konferenzraum) Empfangsraum Ostflügel 1792: 4 1902: Priva tr des P räsidäume enten 1942: We flügestl Situation Room Navy Mess (Lagezentrum) (Kantine) Kino Diplomatic Room (Empfänge, Videoansprachen) Ausstellung für Besucher Ken Gartenedyn Küche Map Room (Veranstaltungen) Baugeschichte Baubeginn nach Plänen von Präsident Washington Erstbezug durch Präsident Adams Anbau Westflügel unter Präsident Roosevelt Anbau Ostflügel Eingang Eingangshalle East Room (Konzerte) Blue Room (Empfangszimmer) Green Room (Empfangszimmer) Floristen-Werkstatt Bibliothek Ros (Em engarte Presspfänge, n ekonf erenz en) Kabinettsaal Kühl reagiert nur Israels Regierungschef Viele Staats- und Regierungschefs haben dem alten und neuen USPräsidenten gratuliert. Die Reaktionen reichen von höflichen Glückwünschen bis zu offener Freude über die Wiederwahl Barack Obamas. Kommissionschef José Manuel Barroso und EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy schickten gleich am frühen Morgen gemeinsam in einer Mitteilung ihre Glückwünsche aus Brüssel, in der sie sich darauf „freuen, die in den vergangenen vier Jahren etablierte, enge Zusammenarbeit mit Präsident Obama fortzusetzen“. Der britische Premier David Cameron wiederum war sichtlich erleichtert, seinem wichtigsten außenpolitischen Partner nicht „goodbye“ sagen zu müssen. Auch Frankreichs Präsident François Hollande begrüßte Obamas Sieg: „Ihre Wiederwahl ist eine klare Entscheidung für ein offenes, solidarisches Amerika.“ Papst Benedikt XVI. erinnerte Obama in einer Glückwunschbotschaft an seine große Verantwortung für das eigene Land sowie für die internationale Gemeinschaft. Darüber hinaus ermahnte er den US-Präsidenten, an den Freiheits- und Gerechtigkeitsidealen festzuhalten, an denen sich die Gründerväter seines Landes orientiert hätten. Höchst unterschiedliche Glückwünsche gab es aus dem Nahen Osten. Während man in Ramallah Obama ausdrücklich ermutigte, sich des Nahost-Friedens anzunehmen, war in Jerusalem davon keine Rede. Stattdessen bemühte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu in unterkühlten Worten die „strategische Allianz“ zwischen Israel und den USA, „die stärker denn je sei“. Jeder weiß, dass er auf den Sieg von Mitt Romney gehofft hatte. In China dagegen scheint man mit dem Wahlausgang zufrieden sein. Obamas Verhältnis zur chinesischen Führung ist zwar angespannt, aber ein Romney-Sieg hätte die wirtschaftlichen und militärischen Konflikte zwischen den beiden Weltmächten wohl eher noch eskalieren lassen. Staatschef Hu Jintao sprach davon, dass die Beziehungen der beiden Weltmächte „positive Fortschritte“ gemacht hätten. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin hofft in einer ersten Reaktion „auf weitere positive Initiativen in der Zusammenarbeit zwischen Russland und den USA.“ (sz) ● Haupthaus 3 „Es wäre mir eine Freude, Sie bald wieder als meinen Gast in Deutschland begrüßen zu können“, schreibt Bundeskanzlerin Angela Merkel FOTO: DPA Stimmen aus der Region (gilt als Machtzentrum) Finanzministerium Besucherzentrum Weißes Haus 4 Wirtschaftsministerium 2 3 Pennsylvania Ave 14th St LEUTKIRCH - Barack Obamas Wie- CT 7 NJ 14 DE 3 MD 10 DC 3 303 15th St Der amerikanische Politikwissenschaftler James W. Davis zur US-Wahl und den Folgen Obama Romney 17th St „Der Präsident muss die Republikaner mit ins Boot holen“ MA 11 RI 4 FL 29 HI 4 18th St ● Die Wahl in Amerika ist gelaufen. US-Präsident Barack Obama wird weitere vier Jahre die Geschicke der Weltmacht lenken. Über Monate hinweg sprachen die Demoskopen von einem Kopf-anKopf-Rennen. Manche räumten Mitt Romney sogar Chancen ein, Obama zu schlagen. Die Zahlen sprechen jetzt aber eine völlig andere Sprache. Der Sieger kann sich über eine komfortable Mehrheit an Wahlmännern freuen. Wie denn das, wo doch nur knapp 2,7 Millionen von rund 117 Millionen Wählerstimmen landesweit zwischen Obama und Romney liegen? Es hat mit dem amerikanischen Wahlsystem zu tun. Das dort praktizierte Mehrheitswahlrecht führt dazu, dass der Kandidat, der in einem Bundesstaat die meisten Wählerstimmen erringt, dann auch sämtliche Wahlmänner hinter sich hat. Deshalb wirkt sich die knappe Stimmendifferenz zwischen beiden Kandidaten, dann doch relativ deutlich aus. (itz) NH 4 VT 3 ME 4 Verteilung der 538 Wahlmänner nach derzeitigem Stand Interview Wahlsystem und komfortable Mehrheit lin. Obama steht für die Träume und Wünsche auch der Deutschen, und so feiert die Hauptstadt seinen Sieg. „Es wäre mir eine Freude, Sie bald wieder als meinen Gast in Deutschland begrüßen zu können“, schreibt Bundeskanzlerin Angela Merkel gleich morgens an den neuen und alten amerikanischen Präsidenten. Merkel und Obama respektieren sich, aber sie gelten nicht als allerbeste Freunde. In der Eurokrise hatte es auch Kritik von Obama am Kurs der Bundesregierung gegeben, sie ist ihm zu zögerlich. „Für Kanzlerin Merkel wird es nicht einfach“, meinen die Grünen-Fraktionschefs Jürgen Trittin und Renate Künast. Denn sie müsse nun mit einem US-Präsidenten weiterhin zusammenarbeiten, „der der festen Überzeugung ist, dass die deutsche Politik in der Eurokrise Teil der wirtschaftlichen Probleme der USA ist“. Sie schätze die Begegnungen und Gespräche mit ihm sehr, hat Angela Merkel an Obama geschrieben. Die Regierung hätte ihn am liebsten im nächsten Sommer, kurz vor der Bundestagswahl, zu Gast. Und dieses Mal würde ihn die Regierungschefin wahrscheinlich sogar gerne vor dem Brandenburger Tor reden lassen – das hat sie aber nicht geschrieben. Von amerikanischer Seite wird darüber nachgedacht, ob ein Besuch nicht anlässlich des 50. Jahrestages der berühmten Kennedy-Rede („Ich bin ein Berliner“) vom 26. Juni 1963 möglich wäre. Schließlich ist Kennedy ein berühmter Vorgänger Obamas aus den Reihen der Demokraten. Hamburgern, Truthahn und Eis. Während viele zitterten, sagte der CDU-Politiker Norbert Röttgen schon lange vor dem Ergebnis, er rechne fest damit, dass Obama gewinnt – und das deutlicher, als man erwarte. Wenige Stunden später freut sich SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, dass Obama die Gelegenheit erhält, sein Amt fortzusetzen. Auch der designierte Kanzlerkandidat der SPD, Peer Steinbrück, wünschte Obama viel Glück. „Nicht zuletzt die Folgen der Wirtschaftsund Finanzkrise haben erneut überdeutlich gemacht, von welch herausragender Bedeutung die intensive und freundschaftliche und transatlantische Zusammenarbeit für eine gute gemeinsame Zukunft der Vereinigten Staaten und Europas ist“, schrieb Steinbrück. Die deutsche Industrie wünsche sich, dass Obama „die Partnerschaft mit Deutschland und Europa wieder intensiviert“, sagt BDI-Präsident Hans-Peter Keitel. Die Grünen freuen sich, dass nun auch die Gesundheitsreform in den USA Bestand haben wird. „Obama wird jetzt mutiger werden“, ist die Einschätzung von Harald Leibrecht, dem Koordinator der Bundesregierung für die transatlantischen Beziehungen. Sowohl bei den sozialen Reformen als auch bei Vorhaben zur Infrastruktur des Landes könne Obama jetzt größere Schritte machen. Der in Evanstone bei Chicago geborene FDP-Bundestagsabgeordnete geht von einem größeren Entgegenkommen der Republikaner aus, nachdem Mitt Romney sehr versöhnlich auf den Wahlsieg Obamas reagiert habe. Leibrecht Harald Leibmacht keinen recht FOTO: PR Hehl daraus, dass auch er sich über die Wiederwahl Obamas freut. Er wünscht sich, dass die transatlantischen Beziehungen so gut bleiben wie in der Vergangenheit. „Und dass bei aller Asien- und Pazifik-Euphorie die Beziehung zu Europa wichtig bleibt.“ Leibrecht hofft auf ein Freihandelsabkommen zwischen Europa und Amerika, „das wäre jetzt ein günstiger Zeitpunkt“. Aber auch bei den großen Themen Klimaschutz und Abrüstung werde Obama ein Zeichen setzen. Allerdings: Leibrecht kann sich vorstellen, dass die Anforderungen an Europa in nächster Zeit größer werden. Bei Konflikten wie Syrien, Nahost und dem Nuklearprogramm des Iran werde Europa gebraucht. „Die Amerikaner besinnen sich zunehmend darauf, dass sie nicht alle Krisen alleine lösen.“ China Room (Porzellan-Sammlung) Ost flügel Quelle: White House – Grafik: dpa – Bearbeitung: Matthias Wagner Positiv bewertet der frühere Außenminister Joschka Fischer (Grüne/Foto: dapd) Obamas Wiederwahl. „Ich bin hoch erfreut“, erklärte er gestern gegenüber der Schwäbischen Zeitung in Stuttgart. Doch die Aufgaben, die vor Obama lägen, seien gewaltig: „Ich hoffe, dass ihm in der Klimaschutzpolitik ein Neustart gelingt. Die USA tragen dafür eine hohe Verantwortung. Vielleicht haben ja die Auswirkungen des Wirbelsturms Sandy in einer Region wie New York das Bewusstsein für dieses Thema erhöht.“ „Aus wirtschaftlicher Sicht ist Obamas Wiederwahl gut für uns“, glaubt Marcel Tyrell (Foto: pr), Finanzwissenschaftler an der Zeppelin Universität. Obamas Wahl könnte in Europa sogar Wachstumsprogramme zur Bekämpfung der EU-Schuldenkrise anstoßen. „Mit Obama werden auch hier die Kräfte gestärkt, die Europa nicht kaputtsparen wollen“, erklärt der Experte für Finanzkrisen. Obama verstehe die Sorgen und Nöte der Europäer sehr viel besser als sein Heraus- forderer Romney, der immer wieder seine Abneigung gegen das europäische System der sozialen Marktwirtschaft zum Ausdruck gebracht habe. Für die EU und gerade für das exportstarke Deutschland sei es wichtig, dass die USA unter Obama zu keinen protektionistischen Maßnahmen greifen, um ihre Wirtschaft zu stärken, erklärt Peter Jany (Foto: pr), Hauptgeschäftsführer der IHK Bodensee-Oberschwaben. „Die Konsequenzen würden unsere Unternehmen deutlich zu spüren bekommen.“ BodenseeOberschwaben sei eine innovative High-Tech-Region. „Ein umweltfreundlicher Kurs des wiedergewählten Präsidenten, der die Abkehr von fossilen Energieträgern vorantreibt, würde die USA hier zu einem interessanten Abnehmer für unsere Technologie werden lassen.“ Der Landesverband der BadenWürttembergischen Industrie (LVI) begrüßt vor allem, dass die Wahlen in den USA ein rasches, eindeutiges Ergebnis hervorgebracht haben. „Die baden-württembergische Industrie erwartet eine weitere Intensivierung der Beziehung zu Deutschland und der Europäischen Union und setzt gerade in diesem Kontext darauf, dass die USA insbesondere den notwendigen Beitrag zur Stabilisierung der Finanzmärkte erbringen“, erklärt Wolfgang Wolf (Foto: pr), geschäftsführendes Vorstandsmitglied des LVI. Juri Schnöller (Foto: pr) hat die Wahl besonders gespannt mitverfolgt. Der Student der Zeppelin Universität in Friedrichshafen am Bodensee jobbte während seines Auslandaufenthaltes in Washington D.C. mehrere Monate lang im Hauptquartier der Demokraten als Wahlkampfhelfer für den Präsidenten. Dass Virginia letztlich knapp an die Demokraten gegangen ist, hat den Studenten besonders gefreut. Obamas überraschend deutlichen Sieg findet er „super“. Der Präsident hat sich für die Arbeit des deutschen Austauschstudenten schon vor Monaten bei einem Empfang im Weißen Haus per Handschlag bedankt. „Das war schon stark. Den amerikanischen Präsidenten trifft man schließlich nicht alle Tage“, erinnert sich Schnöller. Peter Kulitz (Foto: pr), Präsident der IHK Ulm, glaubt, dass „die Politik in BadenWürttemberg mit der Politik Obamas mehr Gemeinsamkeiten als mit der Romneys“ hat. Ein Beispiel sei die regenerative Energie. Romney hätte zudem die Kapitalmarktregulierung zurückgeschraubt. Obama wolle dagegen genau wie Deutschland den Kapitalmarkt regulieren. Auch Schriftsteller Martin Walser (Foto: dpa) aus Wasserburg am Bodensee hat sich zur US-Wahl geäußert. „Wir, das heißt die Europäer, können froh sein, dass Obamas Wahl vor vier Jahren kein politischer Zufall war, sondern ein Beweis dafür, dass die USA wirklich auch eine große Demokratie sind“, sagte der 85-Jährige gestern. „Ich hoffe, dass er jetzt stark genug ist, in Afghanistan aufzuhören, so dass auch wir aus diesem unseligen Unsinn herauskommen.“