18 Sonderthema Nummer 80 Dienstag, 4. April 1995 Die „Heimatfront" umfaßte alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Die Frauen wurden zu organisierten Näh- und Flickarbeiten herangezogen. Hier ein Blick in eine Nähstube der NS-Frauenschaft in der Tonhalle. WinDcncr SaßeWatt Trümmer in der Kampstraße nach dem Bombenangriff vom Dezember 1943. Die Existenz der Fotos von Kriegszerstörungen ist ungewöhnlich: Sie aufzunehmen, war Unbefugten bei Strafe verboten. Der Anfang vom Ende Fortsetzung chen der britischen Besatzungszeit Mindens waren, wird in diese Darstellung des Kriegsendes in Minden einbezogen werden, weil die Auswirkungen dieses Krieges natürlich auch nach der Besetzung der Stadt für die Bevölkerung jeden Tag aufs stärkste spürbar waren und weil der Zweite Weltkrieg in Europa erst am 9. Mai 1945 endgültig zu Ende war. Um zu diesem Ende zu kommen, mußte die deutsche Wehrmacht mehrere Kapitulationsurkunden unterzeichnen: am 29. April 1945 Wehrmacht wurde in Deutschland geschlagen in Italien (am 2. Mai 1945 bekanntgegeben), am 4. Mai 1945 im Hauptquartier des britischen Feldmarschalls Montgomery bei Lüneburg für die deutschen Truppen in den Niederlanden, in Nordwestdeutschland, Dänemark und Norwegen, am 7 Mai 1945 im Hauptquartier des amerikanischen Oberbefehlshabers General Eisenhower in Reims die Gesamtkapitulation und als deren Wiederholung am 8. Mai 1945 im Hauptquartier des sowjetrussischen Marschalls Shukow in Berlin-Karlshorst. Der „Führer" Adolf Hitler hatte die Führung des „Großdeutschen Reiches" bereits am 30. April 1945 durch Selbstmord beendet. Sein Nachfolger als Staatschef und Oberbefehlshaber der Wehrmacht, Großadmiral Karl Dönitz, wurde am 23. Mai 1945 mit der „geschäfts- Das bisherige politische System gehörte nun der Vergangenheit an. „Verdunkelung ist aufgehoben" ließ der Mindener Landrat im April 1945 offiziell und kommentarlos bekanntmachen. Er meinte damit natürlich den Fortfall der Verpflichtung zur Verdunkelung der Fenster abendlich erleuchteter Räume - Fliegeralarme und Luftangriffe gehörten damals für Minden bereits der Vergangenheit an - doch ist diese landrätliche Bekanntmachung doppeldeutig und im übertragenen Sinne auch anders zu inter- Das historische Rathaus mit den Insignien der NS-Macht. Nur der gotische Bogengang überlebte die 12 Jahre „Tausendjähriges Reich" führenden Reichsregierung" verhaftet und in Gefangenschaft geführt. Der von den Nationalsozialisten während des Krieges so ge fürchtete „Dolchstoß" in den Rücken der Front, also das Versagen der Heimat, das man nach dem Ersten Weltkrieg unterstellte und das man für die Kapitulation Deutschlands 1918 verantwortlich gemacht hatte, konnten die bisherigen Nationalsozialisten nach 1945 nicht behaupten, denn die deutsche Wehrmacht war in Deutschland geschlagen worden. Die Fronten im Osten und Westen waren Ende 1944 längst mit der „Heimatfront" identisch, und diese Heimat war durch Luftangriffe bereits weitgehend zerstört. Die Frage, ob das Kriegsende 4. April oder 8. Mai 1945 - für die Geschichte der Stadt Minden eher eine „Stunde Null" und damit das Ende einer Epoche dar- stellt oder ob über dieses Datum hinaus auch Kontinuitäten in bestimmten kommunalen Strukturen, Entwicklungen und Ereignissen sichtbar und wirksam gewesen sind, kann in der Ausstellung und der begleitenden Veröffentlichung nicht mehr erörtert Nicht nur besetzt, sondern auch befreit pretieren: Der Nationalsozialismus, der eine furchtbare Verdunkelung Deutschlands darstellte, ist aufgehoben, auch im Kreis Minden. Minden war 1945 eben nicht nur von Feindtruppen besetzt, sondern auch vom Nationalsozialismus befreit worden, auch Geschichte der wenn ein großer Teil der BevölNachkriegszeit kerung der Stadt damals das Kriegsende nicht als Befreiung noch aufzuarbeiten empfunden haben mag. Als Befreiung empfand es jedenfalls jener Teil der Bevölkerung, der werden, da sie für das Kriegsende vom NS-Staat aus politischen, in Minden nicht relevant ist. Die „rassischen" oder religiösen Gründen verfolgt worden war Erörterung dieser Frage gehört und diese Verfolgung überlebt zur Nachkriegsgeschichte Mindens, die noch aufzuarbeiten sein hatte, sowie die große Zahl der ausländischen Kriegsgefangenen wird. und Zwangsarbeiter, die in MinEine deutliche Zäsur aber beden bis zum Kriegsende arbeiten deutet das Jahr 1945 in jedem Fall für die Geschichte der Stadt: mußten. Gefallene, Vermißte, Verwundete und in Gefangenschaft geratene Soldaten aus Minden, bei den Luftangriffen auf Minden i'*äBS^SSWiSSKS^M«4Sais8»»«iiS» Selbst die Kinder mußten zum totalen Krieg beitragen. „Freiwillig" sollten sie ihre Rodelschlitten abgeben, die für die im tiefsten russischen Winter kämpfenden Truppen von Gebrauchswert sein sollten. Auch Winterkleidung und Wintersportgerät der Erwachsenen wurde gesammelt. Anscheinend stellte sich niemand die Frage, in welchem Zustand denn sich wohl eine Armee befände, die auf derartige Unterstützung angewiesen sein sollte. Gefallene, Vermißte, Verwundete, Bombenopfer, Verfolgte ums Leben gekommene, verletzte und „ausgebombte" Zivilisten, verschollene und gefallene „Luftwaffenhelfer" und „Wehrmachtshelferinnen" Evakuierte aus dem Westen, Flüchtlinge aus dem Osten, politisch Verfolgte, Juden und andere antisemitisch verfolgte Mindener, verfolgte Zeugen Jehovas und verfolgte Sinti aus Minden, ausländische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter vieler Nationen in Mindener Betrieben - sie alle gehören in eine kurze Bilanz zum Schluß der Ausstellung, in eine Bilanz von Ereignissen, Entwicklungen und Auswirkungen, die der Zweite Weltkrieg für die weitgehend in Im Oktober 1944 gelang bei Hartum einem auf dem Rückflug von einem weiter östlich gelegenen Einsatzgebiet befind- Trümmern liegende Stadt Minden lichen britischen Bomber eine Notlandung. Selbst als Wrack demonstrierte das Flugzeug die allierte Luftüberlegenheit. und ihre Einwohner gehabt hat. Mit allem nationalsozialistischen Pomp wurden die Gefallenen des Bombenangriffes vom Oktober 1944 auf dem Nordfriedhof beigesetzt. Uniformierte Partei- und Militärformationen marschierten auf, die Särge waren mit Hakenkreuzfahnen geschmückt, Parteigrößen hielten Durchhaltereden und grüßten mit Hitlergruß. So wurden selbst die Toten der offiziell heruntergespielten Bombardierungen für die permanente Propaganda mißbraucht.