Schlaglicht 456 Die Komplexität bakterieller Histidinkinase/Antwortregulator-Systeme Kirsten Jung und Ralf Heermann Technische Universität Darmstadt, Institut für Mikrobiologie und Genetik Bakterien sind kontinuierlich schwankenden Umweltbedingungen wie Temperatur, Licht, pH, Sauerstoffkonzentration und einem unterschiedlichen Angebot an Verbindungen, die zum Beispiel Kohlenstoff, Stickstoff, Schwefel oder Phosphor liefern, ausgesetzt. Um zu überleben, sind Bakterien deshalb gezwungen, Veränderungen von Umweltparametern schnell wahrzunehmen und in intrazelluläre Informationen umzuwandeln, um entweder mit Veränderungen der Genexpression oder physiologischer Prozesse zu reagieren. Histidinkinase/Antwortregulator-Systeme (HK/RR-Systeme), die auch als „Zweikomponenten-Systeme“ bekannt sind, übernehmen bei Bakterien zum größten Teil diese Funktionen. Auch Archaea und niedere Eukarya besitzen HK/RR-Systeme. Bakterien verfügen entsprechend ihres Vorkommens über eine unterschiedliche Anzahl an HK/RR-Systemen. Der „Minimalorganismus“ Mycoplasma genitalium besitzt keine HK/RR. Freilebende Reiz Bakterien wie Escherichia coli, Enterococcus faecalis und Bacillus subtilis haben 36–60 Regulatorproteine dieser Art[1–3]; die doppelte Anzahl wurde bei Pseudomonas aeruginosa, Caulobacter crescentus und Anabaena sp. PCC 7120[4–6] gefunden. HK/RR-Systeme sind an verschiedenen Regulationsprozessen beteiligt. Zum Beispiel verhilft das bei der Chemotaxis involvierte HK/RR der Zelle, sich in eine chemisch günstigere Umgebung zu bewegen. Andere HK/RR sind bei der Adaptation an Umweltparameter (z. B. Osmoregulation, K+-Aufnahme, Mg2+-Transport), an Prozessen der Differenzierung (z. B. Sporulation bei Bacillus und Zellzyklus bei Caulobacter) sowie bei der Ausprägung von Pathogenitätsfaktoren (z. B. Bordetella) beteiligt. Genereller Mechanismus Die Domänen und der Informationsfluss in Form chemischer Modifikationen sind in Transmitter-Domäne Dimerisierungs- Katalytische und und His-Phospho- ATP-bindendeSensortransfer-Domäne Domäne Domäne (DHp) (CA) HK H TM1 HK/RR-Systemen hoch konserviert. Charakteristisch für HK/RR-Systeme sind zwei konservierte Proteine: Die Sensor- oder Histidinkinase (HK), ein meist in der cytoplasmatischen Membran verankertes Protein, nimmt den Reiz wahr und wandelt diesen in ein intrazelluläres Signal um. Der Antwortregulator (RR), ein cytoplasmatisches Protein, empfängt das Signal von der Histidinkinase und wird dadurch aktiviert. Beide Proteine weisen eine konservierte modulare Bauweise auf (Abb. 1A). Die Eingangsoder Sensordomäne der SK, die meist zwei oder mehrere transmembrane Domänen umfasst, nimmt den Reiz wahr. Diese Information führt zur reizabhängigen Autophosphorylierung eines Histidinrestes durch ATP in der Transmitterdomäne der HK. Die Phosphorylgruppe wird in einer sehr schnellen Reaktion auf einen Aspartatrest in der Empfängerdomäne des RR übertragen. Die Phosphorylierung führt zu großen Konformationsänderungen, die auf die Effektordomäne wirken und damit den RR aktivieren. RR sind in den meisten Fällen Transkriptionsregulatoren. Des Weiteren gibt es RR, die nur aus einer Empfängerdomäne bestehen (z. B. CheY) oder die anstelle der DNA-Bindedomäne eine Domäne mit einer enzymatischen Aktivität besitzen (z. B. Methylesterase von CheB, s. Abb. 2; cAMPPhosphodiesterase von RegA). Die Stabilität des RR~P reicht von Sekunden bis Stunden, TM2 N G1 F P Empfänger- EffektorDomäne Domäne G2 RR D P ATP ADP Antwort Reiz B Histidin-Phosphotransfer-Domäne (HPt) H TM1 TM2 P N G1 F ATP ADP G2 A D H D P P P Antwort Abb. 1: Schematische Darstellung der Domänenstruktur von HK/RR-Systemen. (A) ein klassisches HK/RR-System und (B) ein Phosphorelay-System bestehend aus einer Hybridkinase und einem RR. Konservierte Sequenzmotive sind mit H, N, G1, F, G2 und D gekennzeichnet. Der Informationsfluss einschließlich der Phosphorylierung ist mit Pfeilen dargestellt. BIOspektrum · Sonderausgabe · 9. Jahrgang Schlaglicht 457 die durch die spontane Hydrolyse der Phosphatbindung, einer Autophosphataseaktivität des RR, externe Phosphatasen oder durch die Phosphataseaktivität der HK beeinflusst wird. Strukturanalysen liegen für einzelne Domänen der HK vor. Für verschiedene RR gibt es Strukturinformationen, teilweise sogar für die phosphorylierte Form[7; 8]. Die Komplexität von HK/RR-Systemen Neben den oben beschriebenen klassischen oder orthodoxen HK/RR gibt es Hybridoder unorthodoxe HK/RR-Systeme, die durch ein His-Asp-His-Asp–Phosphorelay gekennzeichnet sind (Abb. 1B). Hybrid-HK besitzen zusätzlich zur Sensor- und Transmitter-Domäne eine Empfänger- und eine HPt-Domäne. Beispiele dafür sind ArcB von E. coli (Regulation des anaeroben Stoffwechsels) und BvgS von Bordetella pertussis (Virulenzgenexpression). Allerdings kann die HPt-Domäne auch separat als einzelnes Protein auftreten, wie LuxU („Quorum-Sensing“-System von Vibrio harveyi) oder Spo0B (Sporulation bei Bacillus subtilis). Konse- quenterweise ermöglichen die zusätzlichen Phosphotransferreaktionen weitere Schaltund Kontrollpunkte der Informationsübertragung. Zunehmend gibt es Beispiele für HK/RRSysteme, bei denen neben den klassischen Sensor- und Regulatorproteinen zusätzliche Proteine involviert sind. Interessanterweise gehört zu dieser Kategorie von Systemen das zuerst gefundene und heute vielleicht am besten charakterisierte HK/RR-System, das Chemotaxis-System von E. coli[9] (Abb. 2). Ähnlich wie beim Chemotaxis-System, bei dem der Chemorezeptor den Umweltreiz wahrnimmt, gibt es beim UhpB/UhpA-System von E. coli ein weiteres membranintegriertes Protein, UhpC, das an der Reizwahrnehmung beteiligt ist. Das UhpABCSystem kontrolliert die Expression von uhpT, das für einen Transporter für phosphorylierte Hexosen (z. B. Glucose-6-P) kodiert. UhpC besitzt stark ausgeprägte Homologien zu dem eigentlichen Transporter UhpT, stellt aber weder ein Transportsystem dar noch ist es am Transport beteiligt. Man geht davon aus, dass UhpC mit UhpB einen Komplex bildet, und ausschließlich an der Reiz- wahrnehmung und -weiterleitung beteiligt ist[10] (Abb. 2). Für das HoxJ/HoxA-System (Wahrnehmung von H2) von Ralstonia eutropha gibt es ebenfalls einen zusätzlichen Sensor in Form des regulatorischen Hydrogenasekomplexes HoxBC[11]. Für das KdpD/ KdpE-System von E. coli, das die Expression des kdpFABC-Operons (kodiert für ein hochaffines K+-Aufnahmesystem) reguliert, sind verschiedene Faktoren gefunden worden, die die Autophosphorylierungsaktivität von KdpD in unterschiedlicher Weise (stimulierend oder inhibierend) beeinflussen[12]. Es war deshalb nicht anzunehmen, dass weitere Proteine an der Reizwahrnehmung und/oder Signaltransduktion beteiligt sind. Jüngste Untersuchungen belegen, dass das Gen yeiB für die KdpD/KdpE regulierte kdpFABC-Expression von Bedeutung ist. YeiB ist ein integrales Membranprotein, dessen Funktion bisher vollkommen unklar ist (Abb. 2) [R. HEERMANN und K. JUNG, unveröffentlicht]. Bemerkenswerterweise wurden für das KdpD/ KdpE-System von Mycobacterium tuberculosis H37Rv zwei Lipoproteine, die mit der Nterminalen Domäne von KdpD interagieren, gefunden[13]. Andere HK/RR-Systeme be- Schlaglicht 458 Stress aufdie die Streß auf Zellhülle Aufnahme K+-Limitation Chemotaxis phosphoryOsmostress lierter Hexosen BP CpxP CpxA CpxR P P P dsbA cpxP degP ppiA spy UhpC UhpC UhpB P UhpA YeiB KdpD KdpE P P uhpT -CH3 P P P B P MCP +CH3 CheW W P CheA CheA CheR P Y CheB CheY P kdpFABC Geißel Cytoplasma Periplasma Abb. 2: Verschiedene HK/RR-Systeme und die dazugehörigen Proteine von Escherichia coli. HK und RR sind in Blau, zusätzlich involvierte Proteine in Rot dargestellt. sitzen ein zusätzliches periplasmatisches Protein, das verschiedene Funktionen erfüllen kann. Zum Beispiel bindet LuxP von V. harveyi den Autoinduktor AI-2[14], und dieser Komplex interagiert vermutlich mit der Hybrid-HK LuxQ[15]. CpxP des CpxA/ CpxR-Systems von E. coli übernimmt wahrscheinlich eine duale Funktion: Zum einen wirkt CpxP als negativer Regulator der HK CpxA in Abwesenheit von Stress auf die Zellhülle, zum anderen wird eine Rolle des Proteins als Chaperon unter Stressbedingungen diskutiert[16] (Abb. 2). Netzwerke Bisher gibt es nur spärliche Erkenntnisse darüber, wie Spezifität und Effizienz der verschiedenen HK/RR-Systeme in einer Zelle erreicht werden und ob es entsprechende Schalt- und Verknüpfungspunkte gibt. Die Systeme Uhp, Pho, Ntr und Arc wurden dahingehend untersucht, allerdings konnte kein derartiger „Crosstalk“ festgestellt werden[17]. Weiterhin wurden die mRNA-Expressionsprofile für 36 HK/RR-Deletionsmutanten von E. coli nach aerobem Wachstum in Komplexmedium analysiert[18]. Die größten Veränderungen zeigten Mutanten, denen die Systeme EnvZ/OmpR oder ArcB/ArcA oder der RR UvrY fehlen. Aber auch diese Vorgehensweise erbrachte keinen direkten Beweis für die Existenz von „Crosstalk“. Ein Beispiel für das Zusammenspiel mehrerer HK/RR-Systeme stellt die Regulation des ugd-Gens von Salmonella enterica serovar Typhimurium dar. Ugd kodiert für die UDP-D-Glucose-Dehydrogenase, ein Enzym, das die Oxidation von UDP-D-Gluco- se in UDP-D-Glucuronat katalysiert. Salmonella benötigt dieses Enzym für die Synthese von 4-Aminoarabinose, wodurch das LPS modifiziert und das Bakterium resistent gegenüber dem Antibiotikum Polymyxin B wird. Die ugd-Expression wird durch Fe3+ stimuliert, ein Prozess, der durch das PmrA/ PmrB-System kontrolliert wird. Des Weiteren ist die Transkription von ugd bei niedrigen Mg2+-Konzentrationen erhöht. Mg2+ wird durch das PhoP/PhoQ-System wahrgenommen, welches die Verbindung zum PmrA/PmrB-System über das kleine Protein PmrD herstellt[19]. Jüngste Studien belegen, dass das RcsC-YojN-RcsB-Phosphorelay die ugd-Transkription in unabhängiger Weise von PhoP/PhoQ und PmrA/PmrB beeinflusst[20]. HK/RR-Systeme: ein längst noch nicht aufgeklärtes Regelwerk Die Beispiele für HK/RR-Systeme zeigen, dass selbst diese einfach gebauten Systeme nicht ein einfaches „AN/AUS“-Prinzip darstellen. Zudem besitzen prokaryotische Zellen meist viele verschiedene HK/RR-Systeme. So wird sich in Zukunft das Forschungsinteresse mehr und mehr der Frage widmen, wie Zellen in der Lage sind, verschiedene Informationen zu integrieren, um auch bei unterschiedlichen Kombinationen von Umweltreizen die richtige lebensnotwendige Entscheidung zu treffen. Da wir weit davon entfernt sind, das durch HK/RR-Systeme bestimmte Regelwerk einer Zelle zu verstehen, sollen abschließend Methoden und Vorgehensweisen dargestellt werden, um diese Systeme weiter zu untersuchen. Auch in Zukunft sind molekulare Studien am einzelnen und isolierten HK/RR-System notwendig, wobei sich für in vitro-Studien die Rekonstruktion der Signaltransduktionskaskade bis hin zur Bindung des RR an die DNA als Testsystem bestens bewährt hat[21]. Nach wie vor fehlen Informationen zur Struktur und Dynamik membranintegrierter HK. Die Funktion bisher unbekannter Domänen der HK und RR sowie weiterer involvierter Proteine muss aufgeklärt werden. Weitere Fortschritte in den Genomsequenzierungen liefern dafür erste Anhaltspunkte allein durch Sequenzvergleiche. Um die Gesamtheit des Regulationsnetzwerkes einer Zelle zu verstehen, liefern Analysen des Transkriptoms, Proteoms und Phosphoryloms (Gesamtheit der phosphorylierten Proteine) wertvolle Erkenntnisse. Schließlich sollten systembiologische Methoden genutzt und erweitert werden, um die schwer messbaren Vorgänge zwischen Umweltreiz („input“) und Reaktion der Zelle („output“) zu modellieren. Literatur [1] Mizuno, T. 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