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Die Komplexität bakterieller
Histidinkinase/Antwortregulator-Systeme
Kirsten Jung und Ralf Heermann
Technische Universität Darmstadt, Institut für Mikrobiologie und Genetik
Bakterien sind kontinuierlich schwankenden Umweltbedingungen wie Temperatur, Licht, pH, Sauerstoffkonzentration
und einem unterschiedlichen Angebot an
Verbindungen, die zum Beispiel Kohlenstoff, Stickstoff, Schwefel oder Phosphor liefern, ausgesetzt. Um zu überleben, sind Bakterien deshalb gezwungen, Veränderungen
von Umweltparametern schnell wahrzunehmen und in intrazelluläre Informationen
umzuwandeln, um entweder mit Veränderungen der Genexpression oder physiologischer Prozesse zu reagieren. Histidinkinase/Antwortregulator-Systeme (HK/RR-Systeme), die auch als „Zweikomponenten-Systeme“ bekannt sind, übernehmen bei Bakterien zum größten Teil diese Funktionen.
Auch Archaea und niedere Eukarya besitzen
HK/RR-Systeme. Bakterien verfügen entsprechend ihres Vorkommens über eine unterschiedliche Anzahl an HK/RR-Systemen.
Der „Minimalorganismus“ Mycoplasma genitalium besitzt keine HK/RR. Freilebende
Reiz
Bakterien wie Escherichia coli, Enterococcus
faecalis und Bacillus subtilis haben 36–60 Regulatorproteine dieser Art[1–3]; die doppelte
Anzahl wurde bei Pseudomonas aeruginosa,
Caulobacter crescentus und Anabaena sp. PCC
7120[4–6] gefunden. HK/RR-Systeme sind an
verschiedenen Regulationsprozessen beteiligt. Zum Beispiel verhilft das bei der Chemotaxis involvierte HK/RR der Zelle, sich
in eine chemisch günstigere Umgebung zu
bewegen. Andere HK/RR sind bei der
Adaptation an Umweltparameter (z. B. Osmoregulation, K+-Aufnahme, Mg2+-Transport), an Prozessen der Differenzierung (z.
B. Sporulation bei Bacillus und Zellzyklus
bei Caulobacter) sowie bei der Ausprägung
von Pathogenitätsfaktoren (z. B. Bordetella)
beteiligt.
Genereller Mechanismus
Die Domänen und der Informationsfluss in
Form chemischer Modifikationen sind in
Transmitter-Domäne
Dimerisierungs- Katalytische und
und
His-Phospho- ATP-bindendeSensortransfer-Domäne
Domäne
Domäne
(DHp)
(CA)
HK
H
TM1
HK/RR-Systemen hoch konserviert. Charakteristisch für HK/RR-Systeme sind zwei
konservierte Proteine: Die Sensor- oder
Histidinkinase (HK), ein meist in der cytoplasmatischen Membran verankertes Protein, nimmt den Reiz wahr und wandelt diesen in ein intrazelluläres Signal um. Der Antwortregulator (RR), ein cytoplasmatisches
Protein, empfängt das Signal von der Histidinkinase und wird dadurch aktiviert. Beide
Proteine weisen eine konservierte modulare Bauweise auf (Abb. 1A). Die Eingangsoder Sensordomäne der SK, die meist zwei
oder mehrere transmembrane Domänen umfasst, nimmt den Reiz wahr. Diese Information führt zur reizabhängigen Autophosphorylierung eines Histidinrestes durch ATP
in der Transmitterdomäne der HK. Die
Phosphorylgruppe wird in einer sehr schnellen Reaktion auf einen Aspartatrest in der
Empfängerdomäne des RR übertragen. Die
Phosphorylierung führt zu großen Konformationsänderungen, die auf die Effektordomäne wirken und damit den RR aktivieren. RR sind in den meisten Fällen Transkriptionsregulatoren. Des Weiteren gibt es
RR, die nur aus einer Empfängerdomäne bestehen (z. B. CheY) oder die anstelle der
DNA-Bindedomäne eine Domäne mit einer
enzymatischen Aktivität besitzen (z. B. Methylesterase von CheB, s. Abb. 2; cAMPPhosphodiesterase von RegA). Die Stabilität
des RR~P reicht von Sekunden bis Stunden,
TM2
N G1 F
P
Empfänger- EffektorDomäne Domäne
G2
RR
D
P
ATP
ADP
Antwort
Reiz
B
Histidin-Phosphotransfer-Domäne
(HPt)
H
TM1
TM2
P
N G1 F
ATP
ADP
G2
A
D
H
D
P
P
P
Antwort
Abb. 1: Schematische Darstellung der Domänenstruktur von HK/RR-Systemen. (A) ein klassisches HK/RR-System und (B) ein Phosphorelay-System bestehend aus einer Hybridkinase und einem RR. Konservierte Sequenzmotive sind mit H, N, G1, F, G2 und D gekennzeichnet. Der Informationsfluss einschließlich
der Phosphorylierung ist mit Pfeilen dargestellt.
BIOspektrum · Sonderausgabe · 9. Jahrgang
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die durch die spontane Hydrolyse der Phosphatbindung, einer Autophosphataseaktivität des RR, externe Phosphatasen oder
durch die Phosphataseaktivität der HK beeinflusst wird. Strukturanalysen liegen für
einzelne Domänen der HK vor. Für verschiedene RR gibt es Strukturinformationen,
teilweise sogar für die phosphorylierte
Form[7; 8].
Die Komplexität von HK/RR-Systemen
Neben den oben beschriebenen klassischen
oder orthodoxen HK/RR gibt es Hybridoder unorthodoxe HK/RR-Systeme, die
durch ein His-Asp-His-Asp–Phosphorelay
gekennzeichnet sind (Abb. 1B). Hybrid-HK
besitzen zusätzlich zur Sensor- und Transmitter-Domäne eine Empfänger- und eine
HPt-Domäne. Beispiele dafür sind ArcB von
E. coli (Regulation des anaeroben Stoffwechsels) und BvgS von Bordetella pertussis
(Virulenzgenexpression). Allerdings kann
die HPt-Domäne auch separat als einzelnes
Protein auftreten, wie LuxU („Quorum-Sensing“-System von Vibrio harveyi) oder Spo0B
(Sporulation bei Bacillus subtilis). Konse-
quenterweise ermöglichen die zusätzlichen
Phosphotransferreaktionen weitere Schaltund Kontrollpunkte der Informationsübertragung.
Zunehmend gibt es Beispiele für HK/RRSysteme, bei denen neben den klassischen
Sensor- und Regulatorproteinen zusätzliche
Proteine involviert sind. Interessanterweise
gehört zu dieser Kategorie von Systemen das
zuerst gefundene und heute vielleicht am
besten charakterisierte HK/RR-System, das
Chemotaxis-System von E. coli[9] (Abb. 2).
Ähnlich wie beim Chemotaxis-System, bei
dem der Chemorezeptor den Umweltreiz
wahrnimmt, gibt es beim UhpB/UhpA-System von E. coli ein weiteres membranintegriertes Protein, UhpC, das an der Reizwahrnehmung beteiligt ist. Das UhpABCSystem kontrolliert die Expression von uhpT,
das für einen Transporter für phosphorylierte Hexosen (z. B. Glucose-6-P) kodiert.
UhpC besitzt stark ausgeprägte Homologien
zu dem eigentlichen Transporter UhpT,
stellt aber weder ein Transportsystem dar
noch ist es am Transport beteiligt. Man geht
davon aus, dass UhpC mit UhpB einen Komplex bildet, und ausschließlich an der Reiz-
wahrnehmung und -weiterleitung beteiligt
ist[10] (Abb. 2). Für das HoxJ/HoxA-System
(Wahrnehmung von H2) von Ralstonia eutropha gibt es ebenfalls einen zusätzlichen
Sensor in Form des regulatorischen Hydrogenasekomplexes HoxBC[11]. Für das KdpD/
KdpE-System von E. coli, das die Expression
des kdpFABC-Operons (kodiert für ein hochaffines K+-Aufnahmesystem) reguliert, sind
verschiedene Faktoren gefunden worden,
die die Autophosphorylierungsaktivität von
KdpD in unterschiedlicher Weise (stimulierend oder inhibierend) beeinflussen[12]. Es
war deshalb nicht anzunehmen, dass weitere
Proteine an der Reizwahrnehmung und/oder
Signaltransduktion beteiligt sind. Jüngste
Untersuchungen belegen, dass das Gen yeiB
für die KdpD/KdpE regulierte kdpFABC-Expression von Bedeutung ist. YeiB ist ein integrales Membranprotein, dessen Funktion
bisher vollkommen unklar ist (Abb. 2) [R.
HEERMANN und K. JUNG, unveröffentlicht]. Bemerkenswerterweise wurden für das KdpD/
KdpE-System von Mycobacterium tuberculosis
H37Rv zwei Lipoproteine, die mit der Nterminalen Domäne von KdpD interagieren,
gefunden[13]. Andere HK/RR-Systeme be-
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Stress
aufdie
die
Streß auf
Zellhülle
Aufnahme
K+-Limitation Chemotaxis
phosphoryOsmostress
lierter Hexosen
BP
CpxP
CpxA
CpxR
P
P P
dsbA
cpxP
degP
ppiA
spy
UhpC
UhpC
UhpB
P
UhpA
YeiB
KdpD
KdpE
P P
uhpT
-CH3
P
P P
B
P
MCP
+CH3
CheW W
P
CheA CheA CheR
P Y
CheB CheY P
kdpFABC
Geißel
Cytoplasma
Periplasma
Abb. 2: Verschiedene HK/RR-Systeme und die dazugehörigen Proteine von Escherichia coli. HK und RR sind in Blau, zusätzlich involvierte Proteine in Rot
dargestellt.
sitzen ein zusätzliches periplasmatisches
Protein, das verschiedene Funktionen erfüllen kann. Zum Beispiel bindet LuxP von
V. harveyi den Autoinduktor AI-2[14], und dieser Komplex interagiert vermutlich mit der
Hybrid-HK LuxQ[15]. CpxP des CpxA/
CpxR-Systems von E. coli übernimmt wahrscheinlich eine duale Funktion: Zum einen
wirkt CpxP als negativer Regulator der HK
CpxA in Abwesenheit von Stress auf die
Zellhülle, zum anderen wird eine Rolle des
Proteins als Chaperon unter Stressbedingungen diskutiert[16] (Abb. 2).
Netzwerke
Bisher gibt es nur spärliche Erkenntnisse
darüber, wie Spezifität und Effizienz der verschiedenen HK/RR-Systeme in einer Zelle
erreicht werden und ob es entsprechende
Schalt- und Verknüpfungspunkte gibt. Die
Systeme Uhp, Pho, Ntr und Arc wurden dahingehend untersucht, allerdings konnte
kein derartiger „Crosstalk“ festgestellt werden[17]. Weiterhin wurden die mRNA-Expressionsprofile für 36 HK/RR-Deletionsmutanten von E. coli nach aerobem Wachstum in Komplexmedium analysiert[18]. Die
größten Veränderungen zeigten Mutanten,
denen die Systeme EnvZ/OmpR oder
ArcB/ArcA oder der RR UvrY fehlen. Aber
auch diese Vorgehensweise erbrachte keinen
direkten Beweis für die Existenz von „Crosstalk“.
Ein Beispiel für das Zusammenspiel mehrerer HK/RR-Systeme stellt die Regulation
des ugd-Gens von Salmonella enterica serovar Typhimurium dar. Ugd kodiert für die
UDP-D-Glucose-Dehydrogenase, ein Enzym, das die Oxidation von UDP-D-Gluco-
se in UDP-D-Glucuronat katalysiert. Salmonella benötigt dieses Enzym für die Synthese von 4-Aminoarabinose, wodurch das
LPS modifiziert und das Bakterium resistent
gegenüber dem Antibiotikum Polymyxin B
wird. Die ugd-Expression wird durch Fe3+
stimuliert, ein Prozess, der durch das PmrA/
PmrB-System kontrolliert wird. Des Weiteren ist die Transkription von ugd bei niedrigen Mg2+-Konzentrationen erhöht. Mg2+
wird durch das PhoP/PhoQ-System wahrgenommen, welches die Verbindung zum
PmrA/PmrB-System über das kleine Protein
PmrD herstellt[19]. Jüngste Studien belegen,
dass das RcsC-YojN-RcsB-Phosphorelay die
ugd-Transkription in unabhängiger Weise
von PhoP/PhoQ und PmrA/PmrB beeinflusst[20].
HK/RR-Systeme: ein längst noch nicht
aufgeklärtes Regelwerk
Die Beispiele für HK/RR-Systeme zeigen,
dass selbst diese einfach gebauten Systeme
nicht ein einfaches „AN/AUS“-Prinzip darstellen. Zudem besitzen prokaryotische Zellen meist viele verschiedene HK/RR-Systeme. So wird sich in Zukunft das Forschungsinteresse mehr und mehr der Frage
widmen, wie Zellen in der Lage sind, verschiedene Informationen zu integrieren, um
auch bei unterschiedlichen Kombinationen
von Umweltreizen die richtige lebensnotwendige Entscheidung zu treffen.
Da wir weit davon entfernt sind, das durch
HK/RR-Systeme bestimmte Regelwerk einer Zelle zu verstehen, sollen abschließend
Methoden und Vorgehensweisen dargestellt
werden, um diese Systeme weiter zu untersuchen. Auch in Zukunft sind molekulare
Studien am einzelnen und isolierten
HK/RR-System notwendig, wobei sich für
in vitro-Studien die Rekonstruktion der Signaltransduktionskaskade bis hin zur Bindung des RR an die DNA als Testsystem
bestens bewährt hat[21]. Nach wie vor fehlen
Informationen zur Struktur und Dynamik
membranintegrierter HK. Die Funktion bisher unbekannter Domänen der HK und RR
sowie weiterer involvierter Proteine muss
aufgeklärt werden. Weitere Fortschritte in
den Genomsequenzierungen liefern dafür
erste Anhaltspunkte allein durch Sequenzvergleiche. Um die Gesamtheit des Regulationsnetzwerkes einer Zelle zu verstehen,
liefern Analysen des Transkriptoms, Proteoms und Phosphoryloms (Gesamtheit der
phosphorylierten Proteine) wertvolle Erkenntnisse. Schließlich sollten systembiologische Methoden genutzt und erweitert werden, um die schwer messbaren Vorgänge
zwischen Umweltreiz („input“) und Reaktion der Zelle („output“) zu modellieren.
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Korrespondenzadresse:
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Technische Universität Darmstadt
Institut für Mikrobiologie und Genetik
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