263_279_BIOsp_0306.qxd 13.04.2006 9:32 Uhr Seite 263 Überblick 263 Bakterielle Klasse III Adenylatzyklasen Joachim E. Schultz, Ivo Tews* und Jürgen U. Linder Pharmazeutisches Institut, Abt. Pharmazeutische Biochemie, Eberhard-Karls-Universität, Tübingen, * Biochemiezentrum der Universität Heidelberg (BZH) Adenylatzyklasen (ACn) synthetisieren aus ATP den prototypischen second messenger 3’, 5’zyklisches AMP. Bald nach seiner Entdeckung durch Sutherland 1962 wurde die universelle Bedeutung von cAMP als Signalvermittler erkannt. Die Regulation der cAMP-Biosynthese ist daher von großem Interesse. Hier bestehen zwischen Pro- und Eukaryoten grundlegende Unterschiede. Im Tier ist die Aktivierung eines G-Protein-gekoppelten Rezeptors durch einen first messenger Voraussetzung für die Regulation der membranständigen ACn. In Bakterien gibt es keine G-Proteine und die ACn werden unmittelbar über regulatorische Domänen kontrolliert, die integrale Bestandteile von AC-Proteinen sind. Abb. 1: Domänenvielfalt und Organisation bakterieller Klasse III Adenylatzyklasen. AC: catalytic adenylyl cyclase domain; senkrechte Balken: transmembrane regions; HAMP-Domäne: benannt nach Vorkommen u. a. in Histidine kinases, Adenylyl cyclases, Methyl-accepting chemotaxis proteins and Phosphatases; GAF, benannt nach der Entdeckung u. a. in cGMP Phosphodiesterases, Adenylyl cyclases and Formate-hydrolase transcription activator; PAS, benannt nach Vorkommen u. a. in Period clock protein, Aryl hydrocarbon receptor and Single-minded protein; Rec: receiver domain; HisK, histidine kinase; AAA, AAA-ATPase; pH, pH-sensor domain; HTH: helix-turn-helix motif; TPR: tetratricopeptide repeat; 2Fe-2S, iron/sulfur cluster domain. 왘 In den letzten Jahren haben Genomprojekte viel Licht in das Panoptikum der bakteriellen ACn gebracht. Es gibt drei eigenständige Hauptklassen. Klasse I ACn werden in γ-Proteobakterien wie E. coli gefunden. Klasse II ACn sind extrazelluläre Toxine, z. B. aus Bordetella pertussis oder Bacillus anthracis. Intrazelluläre Funktionen für das Bakterium sind unbekannt[1]. Die meisten bakteriellen ACn (und alle eukaryontischen ACn) gehören in die Klasse III[2]. Generell wird hier das katalytische Zentrum an der Dimerisierungsfläche zwischen zwei katalytischen AC-Einheiten ausgebildet. Als rotationssymmetrische Homodimere besitzen alle bakteriellen ACn zumindest pro forma zwei katalytische Zentren, wobei überwiegend sechs kanonische Aminosäurereste für die Katalyse verantwortlich gemacht werden. Tierische Klasse III ACn sind dagegen asymmetrisch. Zwei unterschiedliche Monomere sind in einer Proteinkette miteinander verBIOspektrum · 3/06 · 12. Jahrgang knüpft und bilden in einem antiparallelen Dimer ein katalytisches Zentrum. Domänenstruktur bakterieller Adenylatzyklasen Die katalytischen Domänen bakterieller Klasse III ACn (ca. 25 kDa) sind meistens direkt mit regulatorischen Untereinheiten verbunden. Die Domänenvielfalt spiegelt die Palette der Reize wieder, die intrazellulär in ein cAMP-Signal münden können. Neben Membrandomänen, die wahrscheinlich eine Rezeptorfunktion haben, gibt es GAFund PAS-Domänen als Small Molecule-Binding Domains, einen pH Sensor, Receiver-, HAMP- und Histidinkinasedomänen mit Bezug zu Chemotaxis, Transkriptionsfaktoren, Eisen/Schwefel-Cluster und AAA-ATPasen (Abb. 1 und 2). Die Vielfalt der wahrnehmbaren Signale und die Regulationsmechanismen sind nur vereinzelt geklärt. 263_279_BIOsp_0306.qxd 13.04.2006 9:32 Uhr Seite 264 Überblick 264 Abb. 2: Strukturen der katalytischen Dimere der mykobakteriellen ACn Rv1900c (oben) und Rv1264 (unten). Die rotationssymmetrischen Monomere sind grün und blau kodiert. Bei der Bindung des Substratanalogons AMPCPP in Rv1900c erfolgt eine Drehung (16,6°) und Verschiebung (11,4 Å) der Monomere[5]. Die Bewegungen bei der Aktivierung von Rv1264 sind in Abb. 3: dargestellt. Die katalytischen Aminosäuren sind als Stabmodelle eingezeichnet (Asp rot, Arg und Lys blau, Asn orange). Zwei Aspartate aus dem einen Monomer positionieren zwei Metallionen, das andere Monomer spezifiziert über ein Lysin-Aspartat-Paar das Substrat ATP und stabilisiert durch je ein Arginin und Asparagin den Übergangszustand. In Rv1900c sind nur die Metall-bindenden Aspartate und das Arginin eingezeichnet, da nur sie für die Katalyse notwendig sind. Dazu kommt, dass manche Bakterien mehr als 20 verschiedene AC-Gene besitzen, d. h. einen breiten sensorischen AC-Fächer. Allein in Mycobacterium tuberculosis wurden 15 Klasse III AC-Gene identifiziert[3]. Biochemische und strukturelle Untersuchungen mykobakterieller ACn haben nun einen gewissen Einblick in die Mechanismen der Katalyse und Regulation ermöglicht[4–6]. Ursprung der Asymmetrie von Klasse III Adenylatzyklasen Als Bindeglied zwischen bakteriellen ACn mit zwei Katalysezentren und den tierischen ACn mit nur einem wurde die mykobakterielle AC Rv1900c identifiziert[5]. Nur ein Molekül des Substratanalogons α,β-Methylen-ATP ist in einem asymmetrischen Homodimer gebunden (Abb. 2), während der Zugang zum zweiten katalytischen Zentrum blockiert ist. Die Asymmetrie von Rv1900c könnte damit eine Vorstufe der ausgeprägten Domänenasymmetrie tierischer ACn sein, deren zweite Substratbindungsstelle vollständig degeneriert ist. Darüber hinaus besitzt Rv1900c andere Mechanismen der Substratselektion und Katalyse, denn es werden nur drei der sechs kanonischen Aminosäuren benötigt, zwei metallbindende Aspartate und das den Übergangszustand stabilisierende Arginin (Abb. 2). Die drei anderen kanonischen Aminosäuren lassen sich folgenlos gegen Alanin austauschen und haben in der Kristallstruktur keinen Kontakt zum Substratanalogon. Es erscheint daher fraglich, dass alle Klasse III ACn denselben Katalysemechanismus besitzen. Struktur einer bakteriellen Adenylatzyklase mit regulatorischer Domäne Abb. 3: Strukturen der mykobakteriellen Adenylatzyklase Rv1264 im inhibierten (oben) und aktiven Zustand (unten). Die Monomere sind grün und blau kodiert, die Sequenz der α-N10-Schalthelix ist rot. Beim Übergang vom inhibierten in den aktiven Zustand rotiert die katalytische Domäne um 55° (bei einer Translation von 6 Å) mit Bezug zur regulatorischen Domäne, die jeweils unten ist. Mit der Strukturaufklärung der mykobakteriellen AC Rv1264 konnte die Interaktion zwischen regulatorischer und katalytischer Domäne etabliert werden[6]. Mit etwas Glück wurden zwei Kristallformen des Holoenzyms erhalten, die sich als pH-aktivierter (pH 6) bzw. gehemmter (pH 8) Zustand des AC-Homodimers herausstellten (Abb. 3). Im gehemmten Zustand werden die katalytischen Hälften durch eine prominente 5spiralige α-Helix (αN10-switch Helix) auseinander gespreizt. Die sechs katalytischen Aminosäureseitenketten sind bis zu 40 Å weit voneinander entfernt und eine Katalyse ist ausgeschlossen. Beim Übergang in die aktivierte Form schmilzt die αN10-switch Helix, die katalytischen Domänen rotieren um 55°, die katalytischen Reste aus beiden Domänen bewegen sich um bis zu 25 Å aufeinander zu und bilden in der Dimerisierungsoberfläche zwei katalytische Zentren (Abb. 2 und 3). Das Resultat ist eine 40-fache BIOspektrum · 3/06 · 12. Jahrgang 263_279_BIOsp_0306.qxd 13.04.2006 9:32 Uhr Seite 265 Überblick 265 Joachim Erdmann Schultz Studium der Pharmazie in Erlangen; 1965–1968 Doktorarbeit am MaxPlanck-Institut für Zellchemie, München; Abb. 4: Überlagerung der katalytischen Zentren von Rv1264 (farbige Reste) und einer Chimere aus den tierischen Adenylatzyklasen Typ II (katalytische Schleife II) und Typ V (katalytische Schleife I; graue Reste[7]. Die mittlere Abweichung der Cα-Positionen (rmsd) ist 0,69 Å. Die Kugeln symbolisieren die beiden koordinierten zweiwertigen Metallionen. Aktivierung. Zerstörung der αN10-switch Helix durch Punktmutationen bestätigen diese funktionelle Aufgabenzuordnung[6]. Da diese Aktivierung zwischen pH 6 und 8 erfolgt und die pH-Abhängigkeit spezifisch durch die N-terminale Domäne vermittelt wird, kann man Rv1264 als zelluläres pHMeter bezeichnen. Wieweit sind die Befunde an bakteriellen Klasse III ACn auf die tierischen Klasse III ACn übertragbar? Die Antwort lautet: hervorragend, denn eine strukturelle Überlagerung der katalytischen Zentren der mykobakteriellen AC Rv1264 und des aktiven Heterodimers der tierischen ACn II und V zeigt eine fast vollkommene Übereinstimmung (Abb. 4). Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass die Regulation der Klasse III ACn durch Reorientierung der katalytischen Domänen trotz aller Vielfalt im Detail mechanistische Gemeinsamkeiten aufweisen wird. Dabei kann das Reservoir bakterieller Klasse III ACn helfen, strukturelle und proteinbiochemische Fragen der AC-Regulation zu adressieren, die gegenwärtig mit den tierischen Isoformen nur schwer in Angriff genommen werden können. BIOspektrum · 3/06 · 12. Jahrgang 1969/70 Postdoc am Biochem. Institut Univ. Lund, Schweden; 1971/72, Postdoc am Natl. Inst. of Health, Bethesda, USA; 1973– 1976 wiss. Ass. am Inst. für Toxikologie der Univ. Tübingen; 1975 Habilitation für Biochemische Pharmakologie; seit 1976 Prof. für Pharmazeutische Chemie, Abt. Pharmazeutische Biochemie, Univ. Tübingen. 1985–1990 Studium der Biologie, Univ. Heidelberg; 1991 Diplomar- beit bei W. Kühlbrandt, EMBL Heidelberg; 1992–1996 Doktorarbeit am EMBL, bei K. Wilson, über die Struktur Chitin-abbauender Enzyme; 1999–2000 PostDoc am Natl. Inst. Med. Res., London (U.K.) bei S. Gamblin; ab 2000 PostDoc, dann Wiss. Ass. bei I. Sinning, BZH, Univ. Heidelberg. Jürgen Linder Geboren 1968; Studium der Chemie in Konstanz, sowie der Biochemie in Rochester, USA; 1997 Promotion in Pharmazeutischer Chemie in Tübingen; seit 1997 wiss. Ass. am Pharm. Institut der Uni. Tübingen; 2002 Habilitation an der Univ. Tübingen für Pharm. Chemie. Ivo Tews Literatur [1] Ladant, D, Ullmann, A (1999): Bordetella pertussis adenylate cyclase: a toxin with multiple talents. Trends Microbiol 7: 172–176 [2] Linder, J. U., Schultz, J.E. (2003): The class III adenylyl cyclases: multi-purpose signalling modules. Cellular Signalling 15: 1081–1089. [3] Cole, ST, et al. (1998): Deciphering the biology of Mycobacterium tuberculosis from the complete genome sequence. Nature 393: 537–534. [4] Guo, Y., Seebacher, T., Kurz, U., Linder, J.U., Schultz, J.E. (2001): Adenylyl cyclase Rv1625c of My- cobacterium tuberculosis: a progenitor of mammalian adenylyl cyclases. EMBO J. 20: 3667–3675. [5] Sinha, S.C., Wetterer, M., Sprang, S.R., Schultz, J.E., Linder, J.U. (2005): Origin of the asym- metry in homodimeric adenylyl cyclases: Structures of Mycobacterium tuberculosis Rv1900c. EMBO J. 24: 663–673. [6] Tews, I., Findeisen, F., Sinning, I., Schultz, A., Schultz, J.E., Linder, J.U. (2005): The structure of a pH sensing mycobacterial adenylyl cyclase holoenzyme. Science 308: 1020–1023. [7] Tesmer, J. J. G., Sunahara, R. K., Johnson, R. A., Gilman, A. G., Sprang, S. R. (1999): Two metal ion catalysis in adenylyl cyclase. Science 285: 756–760. Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Joachim E. Schultz Pharmazeutisches Institut, Abt. Pharmazeutische Biochemie Eberhard-Karls-Universität Tübingen Morgenstelle 8 D-72076 Tübingen Tel.: 07071-2972475 Fax: 07071-295952 [email protected]