Panorama Der Landbote Freitag, 23. Dezember 2016 Rätselhafte Meeresbewohner mit Sinn für Romantik BIOLOGIE Bei Seepferdchen gebären nicht die Weibchen, sondern die Männchen die Babys. Weshalb das so ist, versuchen Forscher nun anhand von Genanalysen herauszufinden. Das Seepferdchen zählt wohl zu den absonderlichsten Lebewesen, welche die Evolution hervorgebracht hat: Sein Kopf ähnelt dem eines winzigen Pferdes, seine lange, schmale Schnauze ist zu einem Saugrohr geformt, der Körper ist mit knochigen Platten gepanzert, und an seinem Ende ringelt sich ein Greifschwanz wie von einem Klammeraffen. «So ein Tier könnte sich niemand ausdenken», sagt der Evolutionsbiologe Axel Meyer von der Universität Konstanz. Darum ist auf den ersten Blick auch nicht zu erkennen, dass Seepferdchen eigentlich Fische sind. Das zeigt sich jedoch eindeutig daran, dass sie Kiemen und eine Schwimmblase besitzen. Doch wie kommt es, dass sich die Tiere so sehr von gewöhnlichen Fischen unterscheiden? Eine Antwort darauf haben Meyer und sein Team in den Seepferdgenen gesucht. Dazu haben sie gemeinsam mit Forschern aus China und Singapur das Erbgut einer bestimmten Art analysiert, des Tigerschwanz-Seepferdchens Hippocampus comes. Die bis zu 18 Zentimeter grossen Tiere leben im westlichen Pazifik an Korallenriffen und ernähren sich von winzigen Krebsen, die sie mit ihrer rüsselähnlichen Schnauze einsaugen wie mit einem Staubsauger. Verlorene Gene In ihrem Erbgut entdeckten die Forscher einige Besonderheiten. So kam den Seepferdchen zum Beispiel ein bestimmtes Gen abhanden, welches bei anderen Fischen und auch beim Menschen zur Entwicklung der Zähne nötig ist. Diese wurden jedoch überflüssig. Denn die zahnlosen Tiere kauen ihre Nahrung nicht, sondern verschlucken sie nach dem Einsaugen einfach. Durch den Verlust eines weiteren Gens besitzen Seepferdchen keine Bauchflossen. Sie haben lediglich zwei kleine Schwimmflossen hinter den Kiemen, dazu eine Rücken- und eine winzige Afterflosse. Mehr ist nicht nötig: «Sie bewegen sich ohnehin fast nicht vom Fleck», sagt Meyer. Sämtliche der über 50 Seepferdchenarten sind miserable Schwimmer. Die meiste Zeit klammern sich die Meeresbewohner einfach mit ihrem Schwanz an Korallen, Seegras oder Mangrovenwurzeln fest, um nicht davongetrieben zu werden. Viele sind sehr gut getarnt. Ihre Überlebensstrategie lautet: bloss nicht auffallen! Auch in der Liebe sind Seepferdchen keine Draufgänger, dafür aber richtige Romantiker. Viele Arten sind monogam. Vor der Paarung führen die Partner einen anmutigen Tanz auf, der mehrere Stunden dauern kann. Sie schwimmen Seite an Seite, steigen auf und lassen sich wieder sinken, ringeln ihre Schwänze umeinander, stupsen sich mit den Schnauzen an. Manchmal scheint es, als würden sie etwas beschämt zu Boden blicken. Und dann kommt der merkwürdigste Teil: Das Weibchen legt seine Eier in die Bruttasche des Männchens, die sich an seinem Bauch befindet. Das Männchen gibt seinen Samen ins Wasser ab und saugt ihn dann mit der Bauchtasche ein, wo er die Eier befruchtet. Diese trägt es mit sich herum – je nach Art zwischen zwei und vier Wochen –, bis der Nachwuchs schliesslich aus den Eiern geschlüpft ist. Die Kleinen, die bereits aussehen wie MiniaturSeepferdchen, presst das Männchen unter wehenartigen Kontraktionen ins Meerwasser hinaus. Von jetzt an sind sie auf sich allein gestellt. Weshalb es bei den Seepferdchen die Männchen sind, die schwanger werden – eine Einzigartigkeit im Tierreich –, ist bisher unklar. Eine Antwort auf dieses Rätsel haben die Konstanzer Forscher ebenfalls im Erbgut der Tiere gesucht. Dabei stiessen sie auf eine Gruppe von sechs Genen, die in unterschiedlichen Stadien der männlichen Schwangerschaft aktiv sind. Das zeigte sich, als die Forscher das Gewebe der Bruttasche untersuchten. «Diese Gene haben wahrscheinlich eine Rolle dabei gespielt, dass die Bruttasche entstanden ist», sagt Evolutionsbiologe Meyer. Männchen mit Gebärmutter Bruttaschen haben sich im Laufe der Evolution erst nach und nach entwickelt. Diese finden sich noch nicht bei nahen Verwandten der Seepferdchen, den Fetzenfischen. Bei ihnen kleben die Weibchen ihre Eier einfach an den Bauch der Männchen, welche sie dann bis zum Schlüpfen mit sich herumtragen. Bei anderen Arten hat das Männchen bereits eine Einstülpung am Bauch. Die voll entwickelten Bruttaschen der Seepferdchen sind hingegen bis auf eine kleine Öffnung nach aussen abgeschlossen. Dadurch bieten sie den Embryos einen geschützten | 13 Mit Laser gegen Prostatakrebs MEDIZIN Ein neues Verfahren macht die Behandlung von Prostatakrebs in einem frühen Stadium möglich. Ärzte in London spritzten ihren Patienten dazu eine Substanz, die Tumorzellen abtötet, wenn sie mit rotem Laserlicht bestrahlt wird. Den Laser bringen die Ärzte durch einen feinen Schnitt zwischen Anus und Hoden direkt zum Tumor. So wirkt das Medikament nur auf den Krebs und lässt den Rest des Körpers unbehelligt. In Tests an 413 Patienten mit Prostatakrebs in einem frühen Stadium verschwand der Krebs bei der Hälfte vollständig. Ohne Behandlung heilte der Tumor nur bei 13 Prozent spontan. Zurzeit zögern Männer mit Prostatakrebs die Behandlung möglichst lange hinaus, weil die Entfernung des Organs Nebenwirkungen wie Impotenz und Inkontinenz zur Folge haben kann. glo Stabiles Hirschgeweih Raum, in dem sie vom Männchen mit Sauerstoff und Nährstoffen wie Calcium und Eisen versorgt werden und der sie vor Infektionen schützt. «Fast wie in einer Gebärmutter», sagt Meyer. Wie es allerdings dazu kam, dass sich Bruttaschen ausgerechnet bei den Männchen und nicht den Weibchen entwickelt haben, ist nach wie vor nicht geklärt. «Das können wir aus den Genen nicht herauslesen», so Meyer. Allerdings sei es auch bei anderen Fischarten üblich, dass die Männchen einen grösseren Teil der Brutpflege übernehmen als die Weibchen. Die putzigen Meeresbewohner faszinieren nicht nur Forscher, sondern sind auch anderweitig begehrt: Nach Schätzungen der Schutzorganisation Project Seahorse werden jährlich 25 Millionen Exemplare gefangen, entwe- Gestreifte Seepferd­ chen bei der Paarung: Das Weibchen legt seine Eier in die Bauchtasche des Männchens. Getty Images NANOFASERN Im Herbst liefern sich Hirsche den jährlichen Kampf um Revier und Weibchen. Dabei lassen sie ihre Geweihe heftig gegeneinanderkrachen und drücken mit voller Kraft gegen den Rivalen. Doch wie halten die dünnen Geweihknochen diese Belastung aus, ohne zu brechen? Das haben Forscher der Londoner Queen-Mary-Universität untersucht. Dazu haben sie die Struktur der Geweihe im Nanobereich angeschaut, das heisst in einem Massstab, der tausendmal kleiner ist als der Durchmesser eines menschlichen Haares. Befund: Die Knochenfasern des Geweihs sind nicht parallel angeordnet, sondern vernetzt. So kann der majestätische Kopfschmuck die Energie der Schläge dämpfen. Diese Erkenntnis wollen die Forscher nun nutzen für die Entwicklung von neuen, schockresistenten Materialien. she Energie aus dem Vulkan der gezielt oder als Beifang in der Fischerei. Die meisten enden getrocknet und zu Pulver zermahlen als Heilmittel, denn in der Traditionellen Chinesischen Medizin gelten die Tiere als wirksam gegen Potenzprobleme, Krebs und weitere Krankheiten. Andere landen in Aquarien oder in Souvenirläden. Und auch die Zerstörung ihres Lebensraums durch Umweltverschmutzung und den Klimawandel macht den Tieren zu schaffen. Ein Viertel der Arten ist vom Aussterben bedroht – auch das von den Forschern untersuchte Tigerschwanz-Seepferd. Um das Rätsel um die schwangeren Männchen doch noch zu lösen, bleibt also vielleicht nicht mehr viel Zeit. Claudia Hoffmann Sonderbare Meerestiere: Ein Tigerschwanz-Seepferdchen klammert sich mit seinem Greifschwanz an einer Koralle fest. Das kaum zwei Zentimeter grosse Pygmäen-Seepferdchen ist in seiner Umgebung bestens getarnt. Ein Seepferd-Männchen gebärt Junge, die es in seiner Bauchtasche ausgetragen hat. Bilder Getty Images, iStock, Shutterstock GEOLOGIE In der Nähe von Reykjavik in Island bohren Geologen zurzeit am wohl heissesten Loch der Erde. Ihr Ziel ist, in fünf Kilometern Tiefe in einen Vulkankegel einzudringen. Dort vermuten sie 500 Grad Celsius heisses Gestein und Wasser, das für die Energiegewinnung genutzt werden soll. Gemäss Vorausberechnungen wird damit eine Energiemenge verfügbar, die rund zehnmal grösser ist als bei einem herkömmlichen Geothermie-Kraftwerk. Dass dieses Projekt in Island lanciert wurde, ist nicht verwunderlich. Das Land liegt auf der Naht zwischen zwei tektonischen Platten, weshalb das glühend heisse Magma aus dem Erdinnern vergleichsweise nahe an die Oberfläche reicht. Gegenwärtig ist die Bohrung bei 4,5 Kilometer Tiefe angelangt. Bis Ende Jahr soll die Fünf-Kilometer-Marke erreicht sein. she