Neue Z}rcer Zeitung LITERATUR UND KUNST Samstag, 03.02.2001 Nr.28 83 Islam als Religion und Staatsideologie Aspekte einer schwierigen Symbiose Von Faraj Sarkohi Wie kaum ein anderes Beispiel aus der Gegenwart zeigt das Ringen zwischen orthodoxem und reformerischem Klerus in Iran die Konflikte, die mit dem Konzept einer islamischen Republik verbunden sind. Der im Exil lebende iranische Schriftsteller und Journalist Faraj Sarkohi beleuchtet die historischen Hintergründe dieser Situation. Der Islam als eine Religion mit einer fast 1400jährigen Geschichte wurde auf verschiedenste Weise interpretiert, so dass man eigentlich von verschiedenen «Islamen» sprechen muss. Den Islam als Religion muss man wiederum vom Islam als einer Staatsideologie unterscheiden. Auch die Bezeichnung «islamische Gesellschaft» ist letztlich nur ein Klischee. In jedem Land ist der Islam eine Symbiose mit der vorgefundenen Kultur eingegangen. Die Unterschiede zwischen dem Islam in Iran und dem Islam in Saudiarabien sind zum Teil grösser als die kulturellen Unterschiede zwischen Iran und Frankreich. In vielen islamischen Ländern sind grosse Teile der Bevölkerung mehr oder weniger nur formell Muslime oder aus Angst – sei es vor der Regierung oder vor traditionalistischen islamischen Führern. Sie achten ihre religiösen Traditionen, halten sich aber nicht an alle islamischen Vorschriften. Nur eine kleine Schicht richtet ihr gesamtes Leben, ihre Vorstellungen und Handlungsweisen vollständig nach dem Koran aus. Die anderen wünschen sich einen Gott, der ihnen in Not beisteht. Die Saat des Islams ging in der Auseinandersetzung mit zwei grossen Religionen auf – dem Judentum (in Teilen der arabischen Welt) und dem Zoroastrismus (in Iran). In seiner Frühzeit ging der Islam aus dem Zusammentreffen mit den grossen Zivilisationen Irans, Ägyptens und Indiens als Sieger hervor. Wie das Christentum erhebt der Islam einen Universalitätsanspruch. Im Verlauf seiner Entwicklung kam er bis nach Andalusien. Er behauptete sich gegenüber dem Christentum auf dem Feld theologischer und philosophischer Diskussionen ebenso wie in der militärischen Auseinandersetzung während der Kreuzzüge. Im 19. und 20. Jahrhundert wurde der Islam für die traditionell orientierten Schichten der islamischen Gesellschaft zum Banner des Kampfes gegen Kolonialismus und westliche Dominanz. Diese neue Funktion erhielt den Islam damals am © 2001 Neue Zürcher Zeitung AG Leben. Er gab islamischen Gesellschaften, die in dieser Zeit an einer Identitätskrise kränkelten, eine religiöse und kulturelle Identität und Rückhalt. Bis heute lässt sich bei einem Teil der in Europa lebenden Muslime eine Rückbesinnung auf den Islam feststellen. Er wirkt identitätsstiftend gegenüber einer Gastkultur, welche die Fremden nicht akzeptiert. Der Islam konnte diese verschiedenen Funktionen übernehmen, weil er sich im Laufe seiner Geschichte wandelte, sich dem Geist der Zeit anpasste und fremde kulturelle Einflüsse in sich aufnahm. GLAUBE UND MACHT Bis heute hat der Islam den Anspruch, nicht nur die ethischen Werte, die theologischen Diskussionen und die Formen des Glaubenslebens festzulegen, sondern auch Vorschriften zu liefern, die das Leben der Gesellschaft auf sozialer, wirtschaftlicher und politischer Ebene regeln. Dieser Anspruch erklärt die andauernde Diskussion um Politik und Islam. Geschichtlich gesehen unterschied sich das Verhältnis von politischer Macht und Religion im Islam seit je von dem Verhältnis zwischen politischer Macht und Religion im Christentum. Die Herrschaft der Kirche, wie sie das Christentum im Mittelalter erfuhr, gab es im Islam in Form einer Herrschaft der Moschee nie. Nur unter dem Propheten selbst (etwa 610–632) und den vier ersten «rechtgläubigen» Kalifen (632–661, «ar-raschidun») herrschte im islamischen Grossreich eine Theokratie. Die Herrscher der ersten beiden islamischen Dynastien, Omaijaden (661–750) und Abbasiden (750–1258), regierten zwar weiterhin als Kalifen, als «Stellvertreter» Mohammeds, und erhoben den Anspruch, die politische Macht und religiöse Autorität in ihren Händen zu vereinen; doch dieser theokratische Anspruch wurde zunehmend zum Mythos, und das islamische Grossreich zerfiel in regionale Herrschaftsgebiete. Die Macht lag meist in den Händen von Königen und Blatt 1 Neue Z}rcer Zeitung LITERATUR UND KUNST Despoten. Sie waren zwar Muslime, ihre Herrschaft war jedoch keine religiöse. Der Titel Kalif, den sich die osmanischen Herrscher im 16. Jahrhundert zulegten, war rein formal. Als religiöse Autoritäten wurden sie nie anerkannt. Die islamischen Geistlichen regierten im Laufe der Geschichte zumeist nicht selbst und bildeten auch keine Einheit. Traditionalistische Geistliche hatten jedoch stets Anteil an der Macht. Der Einfluss dieser Gruppe reichte aus, die Stimmen von Wissenschaftern, Philosophen, Dichtern und Sufis zu ersticken – von allen Denkern, die ihnen als Apostaten galten. Das scharfe Schwert der Fatwas hing über den Köpfen von Chemikern wie Ibn Zakariya ar-Razi (lat. Rhazes, 865–923/32), dem Entdecker des Alkohols, Ärzten und Philosophen wie Ibn Sina (lat. Avicenna, 981–1037), der das berühmte Qanun (Kanon) und die philosophische Enzyklopädie Kitab al-Shifa (Sanatio) verfasste, Astronomen und Mathematikern wie Abu Raihan al-Biruni (973–1048), der Jahrhunderte vor Galileo Galilei und Kopernikus den Heliozentrismus postulierte und die Umlaufbahn der Erde berechnete, und Dichtern wie Omar Khayyam (1048 bis 1131), dessen ketzerische Vierzeiler die Bevölkerung liebte. Aus Angst vor einem Apostasie-Urteil schrieben und lehrten sie teilweise im Geheimen. Einige bedeutende islamische Philosophen, auf deren Werke heutige islamische Geistliche mit Stolz verweisen, wurden zu Lebenszeiten verfolgt. Zwei von ihnen, Shahab ad-Din as-Suhrawardi (1155–1191) und Ain al-Ghauzat al-Hamadani, wurden wegen Apostasie verurteilt und hingerichtet. Mullah Sadra (1571–1640) gilt heute als einer der grössten islamischen Philosophen; Khomeiny, der Verfasser der Fatwa gegen Salman Rushdie, sah sich als Anhänger seiner Schule. Mullah Sadra musste jedoch auf Befehl eines «Khomeiny seiner Zeit» viele Jahre in einem abgelegenen Dorf in der Verbannung verbringen. Die drei erwähnten Philosophen waren bedeutende KoranInterpreten und selbst hochrangige Geistliche. Ihre Interpretationen wurden jedoch von den einflussreichen traditionalistischen Geistlichen nicht anerkannt. Zu allen Zeiten gab es verschiedene, miteinander konkurrierende Auslegungen der islamischen Schriften. Einige dieser Interpretationen waren liberaler, und manche vertraten die Anliegen der Bevölkerung gegenüber der Regierung. MODERNE: JA ODER NEIN, UND WIE? Im 20. Jahrhundert erreichte durch den Kolonialismus die Moderne die islamische Welt. Die westliche Dominanz führte zu Rückständigkeit, © 2001 Neue Zürcher Zeitung AG Samstag, 03.02.2001 Nr.28 83 Abhängigkeit und der Infragestellung der eigenen religiösen und kulturellen Identität. Die islamische Welt beklagte in dieser Zeit den Verlust ihrer einstigen Grösse. Auf der anderen Seite erstürmten der Humanismus der Renaissance, die Vernunft Descartes', die Logik Hegels, der Geist der Französischen Revolution, der englische Positivismus, die klassische deutsche Philosophie, Rousseau, Shakespeare und Schiller die geschlossenen Tore der traditionellen islamischen Gesellschaften. Der einsetzende Konflikt zwischen Tradition und Moderne schlug sich in allen Lebensbereichen, vom Sport bis zur Literatur, vom Alltagsleben bis zur Politik, nieder. Basierend auf diesem Konflikt bildeten sich in islamischen Gesellschaften vier Tendenzen heraus: 1. Traditionalisten, die die Bewahrung der eigenen religiösen und nationalen Identität in der Ablehnung des Westens sehen. 2. Diejenigen, die westliche Vorbilder übernehmen wollen – von Diktatoren, die ihren Ländern Modernität und Säkularisierung aufzwingen, bis hin zu Sozialisten, Liberalen und verschiedenen Anhängern einer westlichen Demokratie 3. Religiöse Reformer, die eine liberale und modernere Interpretation islamischer Prinzipien vertreten und so versuchen, den Islam mit der modernen Welt zu versöhnen. 4. Tendenzen, die versuchen, positive Aspekte von Tradition und Moderne kreativ zu vereinen. Vor dem Fall der Sowjetunion war die Welt geteilt in den «freien» Westen und die Ostblockstaaten. Aus Sicht der Muslime hingegen gab es den Westen – was Amerika, Europa und auch Israel und die Sowjetunion einschloss – und die islamische Welt. (China, Japan, Afrika und Lateinamerika wurde keine allzu grosse Aufmerksamkeit gewidmet.) Aus ihrer Sicht war der Westen reich, technologisch fortschrittlich, ausbeuterisch und dekadent und zwang den islamischen Ländern die westliche Kultur und Diktaturen auf. Aus dem Westen kamen neue, aber auch irreleitende Ideen. Die Muslime waren arm, rückständig, ausgebeutet, gefangen in Identitätsproblemen und kulturellen Übergriffen durch Christentum, Judentum und Atheismus ausgesetzt. Prowestlich eingestellte Regierungen in islamischen Ländern haben auf verschiedene Weise versucht, die eigene Gesellschaft an den Westen anzugleichen. Kulturelle und religiöse Traditionen und die politische und wirtschaftliche Struktur haben dies verhindert. Auch der Westen selbst hatte kein Interesse an einer solchen Entwicklung. Die westliche Dominanz und die aufgezwungene Moderne lösten auch eine kulturelle Gegenbewe- Blatt 2 Neue Z}rcer Zeitung LITERATUR UND KUNST gung aus: die Suche nach der eigenen kulturellen Identität und die Rückkehr bzw. Wiederbelebung von Traditionen. Davon haben vor allem die islamischen Traditionalisten und Fundamentalisten profitiert. In den letzten hundert Jahren lebten die Menschen in islamischen Gesellschaften an der Peripherie der Moderne. Am Ende des 20. Jahrhunderts öffnet sich dank der Globalisierung zum ersten Mal eine Tür ins Zentrum. MODELLFALL IRAN Die Geschichte Irans in den letzten hundert Jahren reflektiert die Herausforderungen, denen auch andere islamische Gesellschaften gegenüberstanden und -stehen. Iran kann bei der Diskussion über Islam und Demokratie als Modell dienen: eine islamische Gesellschaft, die zunächst die Herrschaft eines despotischen Schahs erlebte – eine extreme Form der Modernisierung und Verwestlichung –, dann eine islamische Regierung und den Aufstieg und den Machtzuwachs der religiösen Reformer. Eine Gesellschaft, die mehr als andere die Einflüsse aus dem Westen aufgenommen hat, gleichzeitig jedoch von islamischen Traditionalisten regiert wird. Das Land ist heute Zeuge der Auseinandersetzung zwischen islamischen Traditionalisten und religiösen Reformern auf der einen Seite und diesen Gruppen und laizistischen Tendenzen auf der anderen Seite. Der Blick der islamischen Welt ist auf Iran gerichtet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stand Iran an der Schwelle zur ersten modernen Revolution. Eine bäuerliche Gesellschaft mit einer islamischen Kultur und einer jahrtausendealten Geschichte der Despotie träumte den Traum von Industrialisierung, Demokratie und der Angleichung an den Westen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts besuchte ein reformorientierter, einflussreicher Geistlicher, Seyyid Jamal ad-Din Asadabadi, Europa. Er wollte das Geheimnis erkunden, auf dem der wissenschaftliche, militärische und technologische Fortschritt des Feindes beruhte. Anders als zur Zeit der Kreuzzüge stand der Islam nicht mehr kampflustigen Rittern gegenüber, sondern der Satire von Voltaire und der Vernunft von Diderot und Montesquieu. Asadabadi kehrte nach Kairo, Istanbul und Teheran zurück – den drei Machtzentren der damaligen islamischen Welt – und sah die einzige Rettung für den Islam in einer Bewegung entsprechend der christlichen Reformation und dem Protestantismus. Er wollte den Islam mit der modernen Welt, Industrialisierung und technologischen Entwicklung versöhnen. An der Al-Azhar-Universität in Kairo, an den © 2001 Neue Zürcher Zeitung AG Samstag, 03.02.2001 Nr.28 83 islamischen Hochschulen in Istanbul, Kerbela, Najaf und Teheran löste er ein Beben aus. Eine Welle von islamischen Reformbewegungen folgte nach. Die Kommentare mit den neuen KoranAuslegungen der Reformer bestimmten die Diskussionen. Ihr Einfluss ebenso wie das Bedürfnis nach Reformen war so stark, dass die Grenzen der Diskussionen auf theoretischer Ebene gesprengt wurden. Politische und gesellschaftliche Unruhen ergriffen die islamische Welt. Türkische Intellektuelle erheben sich gegen die osmanischen Herrscher. Die neue Generation in Ägypten fordert den Gouverneur zum Kampf heraus. Die Kugel aus der Pistole eines treuen Anhängers von Asadabadi, die den iranischen König Nasir-duDin Schah in den Kopf trifft (1896), wird zum Startschuss für die Konstitutionelle Revolution (1906), die erstere Bewegung in Iran, die sich gegen die despotische Herrschaft des Schahs für eine parlamentarische Regierung einsetzt. Die regierungstreuen Geistlichen und königliche Würdenträger verbannen Asadabadi. Ein hoher Geistlicher aus Teheran, Scheich Fazollah Nuri, erklärt alle neuen Interpretationen des Islams zu Apostasie. Die Hinrichtung Fazollah Nuris auf Erlass der Fatwa eines anderen hohen Geistlichen bezeugt das Ausmass der Diskrepanz. Asadabadi starb im Exil, aber die reformistische Bewegung setzte sich fort. Einige Jahre später reiste der Iraner Taqizadeh, selbst ein hochrangiger Geistlicher und einer der Führer der Konstitutionellen Revolution, auf den Spuren seines Vorgängers nach England. Nach seiner Rückkehr nach Teheran legte er die Kleider eines geistlichen Würdenträgers ab und forderte, dass sich Iran vollständig an den Westen angleichen müsse, um sich sozial und wirtschaftlich entwickeln zu können. In den letzten hundert Jahren spielten schiitische Geistliche bei allen drei bedeutenden politischen Bewegungen in Iran eine herausragende Rolle. Während der Konstitutionellen Revolution unterstützte eine Gruppe von Geistlichen die Bewegung, während andere Anhänger des Schahs waren. In der Bewegung für Unabhängigkeit und Demokratie (die in Iran als Bewegung für die Verstaatlichung des Erdöls bekannt ist) unterstützten die Geistlichen zunächst Mossadegh (1880–1967), den Führer der Bewegung. Der liberale und demokratische Mossadegh unterwarf sich jedoch nicht ihren Forderungen nach der Inkraftsetzung islamischer Gesetze. Daraufhin arbeiteten sie mit dem Schah und der CIA zusammen, um ihn zu stürzen. Die dritte Bewegung – die islamische Revolution (1978/79) – haben Teile der Geistlichkeit in ihren Händen monopo- Blatt 3 Neue Z}rcer Zeitung LITERATUR UND KUNST lisiert. Auf dem Gebiet theologischer Diskussionen wurde der Konflikt täglich tiefer. Die Auseinandersetzung mit den neuen Ideen und Entwicklungen versetzte den Islam zunehmend in die Defensive. Der Islam steht nicht seinem alten Konkurrenten, dem Christentum, gegenüber, sondern der Moderne. Die Geistlichen erblicken jedoch im Gesicht des Feindes einen Teil der Werte des alten Konkurrenten. Die Traditionalisten haben sich noch weiter in den Panzer des Dogmas zurückgezogen. Anders die islamischen Reformer. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts füllte sich der Markt mit den Büchern der Reformer zu Themen wie Islam und Darwinismus, Islam und Physik, Chemie oder Biologie. Das Ziel dieser Bücher war es, den auf Wissenschaft und Technologie begierigen Jugendlichen zu beweisen, dass der Koran mit den modernen Wissenschaften übereinstimmt. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts suchte man Antworten auf Fragen, die durch die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen aufgeworfen worden waren. Den Islam stellte man nun Begriffen und Konzepten wie Kolonialismus, Imperialismus, Sozialismus, soziale Gerechtigkeit, Wirtschaft, Politik und der Frage nach der Regierungsform gegenüber. Teile der schiitischen Geistlichkeit Irans beriefen sich auf das Prinzip des «velayat-e faqih» (Regierung des Rechtsgelehrten), sunnitische Geistliche forderten wieder «al-khilafa al-islami» (ein islamisches Kalifat: die Herrschaft von Geistlichen basierend auf den göttlichen Gesetzen). Ein Ideal, das mit der Islamischen Republik Iran und durch die Taliban in Afghanistan in die Realität umgesetzt wurde. Die islamische Revolution in Iran war eine Reaktion auf die übertriebene Verwestlichung und aufgezwungene Modernisierung des Schahregimes. Khomeiny, der Revolutionsführer, ernannte den bekannten islamischen Reformer Bazargan, der in Frankreich Maschinenbau studiert © 2001 Neue Zürcher Zeitung AG Samstag, 03.02.2001 Nr.28 83 hatte, zum Premierminister. Andere einflussreiche Posten dagegen vergab er an Traditionalisten. Die islamische Revolution öffnete den Geistlichen den Weg, alle Macht in ihren Händen zu konzentrieren. Khomeiny schrieb eine Verfassung, die auf einem Paradox aufbaut: Die Bevölkerung hat das Recht, alle vier Jahre den Präsidenten und das Parlament zu wählen (Demokratie und Moderne), die eigentliche Macht liegt jedoch in den Händen des religiösen Führers (rahbar), der auf Lebenszeit bestimmt wird. Gewählt wird er von einem Rat hochrangiger Geistlicher. Sechs Geistliche, der Wächterrat, haben das Recht, gegen jegliche Entscheidung des Parlaments ihr Veto einzulegen. Alle Gesetze müssen auf den göttlichen Vorschriften basieren (Tradition und Despotie). Ähnliche Widersprüche lassen sich in fast allen Abhandlungen über eine auf dem Islam basierende politische Theorie in der gesamten islamischen Welt finden. Die Koalition zwischen religiösen Reformern und islamischen Traditionalisten in Iran hatte nur ein Jahr Bestand. Zwanzig Jahre der Regierung der Traditionalisten liessen den heiligen Anachronismus offenbar werden. Die stellvertretende Herrschaft Gottes auf Erden führte zu Totalitarismus, Krieg, wirtschaftlichem Zusammenbruch und Korruption. Sie stürzten die iranische Gesellschaft und auch den Islam in eine noch tiefere Krise. Mit dem Anspruch, eine islamische Demokratie zu errichten, kehrten die islamischen Reformer auf die politische Bühne zurück, diesmal in einer stärkeren Position als zuvor. Und noch ist nicht abzusehen, ob der Druck der Bevölkerungsmehrheit, die sich aus dem ideologischen Rahmen befreien will und die Trennung von Religion und Staat anstrebt, dem Experiment einer islamischen Demokratie eine Chance gibt. Aus dem Persischen von Sabine Kalinock Blatt 4