Der Tunnel schließt sich

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Foto: © Uwe Wolfrum
Wissenschaft & Forschung
Der Tunnel schließt sich
Ursachen des Usher-Syndroms
erforscht Die Erbkrankheit UsherSyndrom führt zu Schwerhörigkeit
und Erblindung. Während die zunehmende Taubheit mit Implantaten
behandelt werden kann, gibt es
gegen den Sehverlust bisher kein
Mittel. Mainzer Zellbiologen hoffen,
die Krankheit in einigen Jahren
Foto: Sabine Kieslich
genetisch aufhalten zu können.
Obwohl vom deutschen Arzt Albrecht von Gräfe
bereits um 1858 beschrieben, wurde es nach dem
englischen Augenarzt Charles Howard Usher benannt: das Usher-Syndrom, eine Erbkrankheit, bei
der eine Hörbehinderung zusammen mit einem
fortschreitenden Sehverlust, bedingt durch Retinitis pigmentosa, auftritt. Dabei kommt es zu
einem allmählichen Absterben der Sehzellen.
Mainzer Biologen untersuchen derzeit die molekularen Grundlagen der neuronalen Degenerationsprozesse und sind Therapie-Ansätzen auf
der Spur.
Die Welt immer nur durch eine enge Röhre betrachten, so ergeht es Menschen, die an Usher leiden. „In der Regel sterben ab dem zehnten bis
15. Lebensjahr zunächst die Stäbchen ab, die für
das Nacht- und Dämmerungssehen verantwortlich sind“, schildert
Uwe Wolfrum, Professor für Zoologie, den
klassischen Krankheitsverlauf: „Das Gesichtsfeld beginnt sich vom
Rand her einzuengen,
bis nur noch ein kleiner
Sehrest im Zentrum
Forschung kontra
Blindheit: Uwe Wolfrum
Professor für Zoologie
[JOGU]
191/2005
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Meistens führt die Krankheit zum Erblinden:
Beispielhafte Veränderung des Sichtfeldes eines
Usher-Patienten im Laufe der Zeit
übrig bleibt. Dies hat den so genannten Tunnelblick zur Folge.“ In den meisten Fällen führt die
Krankheit zum Erblinden.
Zellbiologisch wird die
Krankheit hierzulande nur im
Mainzer Institut für Zoologie
untersucht.
„Beim Usher-Syndrom unterscheiden wir drei
Typen, die weitere genetisch heterogene Unterformen haben“, führt Wolfrum aus. Bei „Usher
Typ 1“, der schwersten Form, werden die Patienten meistens taub geboren. Am häufigsten
kommt „Usher Typ 2“ vor. Die betroffenen Patienten sind meistens von Geburt an hochgradig,
aber gleichbleibend schwerhörig. „Typ 3“ ist selten und umfasst eine von Geburt an mittlere, sich
verstärkende Schwerhörigkeit. „Gegen die Innenohrschwerhörigkeit werden mittlerweile Implantate eingesetzt, doch die Erkrankung des Auges
ist bislang nicht behandelbar“, sagt Wolfrum.
Rund 5.000 Menschen in Deutschland leiden am
Usher-Syndrom. Zellbiologisch wird die Krankheit
hierzulande nur im Mainzer Institut für Zoologie,
in der Abteilung Experimentelle Morphologie,
untersucht.
„Mittlerweile sind neun der elf auslösenden
Gene identifiziert“, sagt Wolfrum. „Liegt in einem dieser Gene eine Mutation vor, kommt es zur
Ausbildung der Krankheit und dem gemeinsamen
Phänotyp.“ Ziel von Wolfrum und seinem Team ist
es deshalb, einen Ansatz zu entwickeln, wie fehlerhafte Gene zukünftig repariert werden können. Zwar wäre es damit noch nicht möglich, die
Abb.: © Uwe Wolfrum
Wissenschaft & Forschung
Krankheit vollständig zu heilen, doch der fortschreitende
Sehverlust könnte möglicherweise aufgehalten werden. Dafür untersuchen die
Mainzer Wissenschaftler gemeinsam mit Kollegen aus
dem holländischen Nijmegen und vom Pariser Pasteur-Institut das Zellskelett
von Sinneszellen in Auge
und Ohr.
In Mainz stehen die Sinneszellen im Auge im Zentrum
der Forschung. „In den letzten Jahren konnten wir herausfinden, dass die Produkte von Usher-Genen, die
Usher-Proteine, in der Photorezeptorzelle der Netzhaut miteinander interagieren“, sagt Wolfrum. Er und
seine Kollegen sind sich sicher, dass dem Harmonin als
Organisator für diese Protein-Komplexe eine Schlüsselrolle zukommt. „Harmonin ist ein Gerüstmolekül mit so genannten
PDZ-Domänen. Dies sind Bindungsstellen, an die
sich andere Moleküle anheften“, erklärt Wolfrum. Die Wirkung entspreche bildlich gesprochen etwa der eines Kleiderhakens, an dem die
anderen Komplexpartner aufgehängt und damit
in räumliche Nähe gebracht würden.
„In drei Jahren könnten wir soweit sein“, hofft
Wolfrum. Mit konkreten Anwendungen für Patienten in klinischen Studien rechnet er in etwa
fünf Jahren. Ermöglicht werden die Forschungsvorhaben durch die Unterstützung der Deutschen
Forschungsgemeinschaft und durch Mittel von
Patientenorganisationen. Sabine KIESLICH I
Immunofluoreszenzmikroskopische Analyse der
Lokalisation des Usher 1C-Proteins Harmonin in
den Photorezeptorzellen der Mausretina.
Untersuchungen im Labor von Wolfrum zeigen,
dass sich die Komplexe in den Sehzellen der Netzhaut befinden, und zwar in den Synapsen. Hier,
an den Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen, dürften die Usher-Protein-Komplexe für das
Aufrechterhalten der Synapsenfunktion und somit für das Weiterleiten von Reizen zuständig
sein. Fällt nun einer der Komplexpartner aus, beispielsweise das Harmonin-Protein, so kommt es
nach Ansicht der Forscher zur Ausbildung der
Krankheit.
Geforscht wird derzeit an Mäusen, denen das
Harmonin fehlt. So können die Wissenschaftler
durch den Vergleich mit der Kontrollgruppe herausfinden, wie sich die Moleküle ohne Gerüst an
den Synapsen der Sehzellen positionieren.Als Zukunftsvision verbirgt sich dahinter, defekte Usher-Gene durch gezielte Mutation zu reparieren.
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