KULTUR 41 BASEL | BASELLANDSCHAFTLICHE SAMSTAG, 30. MAI 2015 Ibsen als seichte Sitcom mit Stars Sneak Preview II Trotz supranationalen Starschauspielern missglückt Simon Stone die John-Gabriel-Borkman-Version 2.0 VON SUSANNA PETRIN, WIEN Gunhild Borkman skypt mit ihrer Therapeutin, shoppt ihre Unterwäsche online, googelt sich selbst obsessiv und spielt mit ihrem Sohn ein Ego-ShooterGame auf der Playstation. Innert Sekunden wird an der Wiener Uraufführung jedem klar, dass es sich bei diesem «John Gabriel Borkman» um eine neue Version des Ibsen-Stücks von 1896 handelt. Etwas sehr klar. Der junge Regisseur Simon Stone hat in die ersten zehn Dialogminuten so viel aus unserer schönen neuen Digitalwelt gepackt, wie er nur konnte. Falls er damit bezweckt, das Stück auf heutig zu trimmen, so tut er das auf unfreiwillig komische Art. Falls er absichtlich mit viel zu viel oberflächlicher Aktualität lustig sein will, ist es ihm gelungen. Doch nicht nur Gunhild, alle Hauptfiguren ergehen sich in länglichem Gefasel für seinen «Borkman» einige der bekanntesten deutschsprachigen Schauspieler gewinnen können: Birgit Minichmayr spielt Gundhild, Caroline Peters ihre Zwillingsschwester Ella Rentheim, Roland Koch den Freund und Nachbar Wilhelm Foldal und Martin Wuttke ist John Gabriel Borkman. Doch selten hat man diese grossen Schauspieler so schwach gesehen wie an dieser Premiere. Minichmayr behält von Anfang bis Ende denselben hysterischen Tonfall. Wuttke ist ein gammliger, aber cooler Alt-68er mit langem zerzaustem Haar. Und alle zusammen rutschen sie ständig in den Plauderton, den man aus Polleschs halbimprovisierten Konversationsstücken über heutige Befindlichkeiten kennt – es ist bestimmt kein Zufall, dass diese Schauspieler teils auch schon gemeinsam in Pollesch-Stücken gespielt haben. Eigener Ton und Fokus fehlen Martin Wuttke (John Gabriel Borkman), Birgit Minichmayr (Gunhild Borkman) über Facebook-Aktivitäten und was sie so auf den Klatschseiten der Gratiszeitungen aufgeschnappt haben könnten. Vielleicht will Stone uns vorführen, was für Quatsch wir mit unseren digital vermanschten Gehirnen den ganzen Tag von uns geben. Aber das viele Geplapper geht fürchterlich auf die Nerven. Gehypter Jungstar aus Sydney Alle reissen sich derzeit um den erst 30-jährigen Stückeschreiber und Regisseur Simon Stone. Zum zweiten Mal premierte er an den Wiener Festwochen, Matthias Lilienthal, neuer Intendant der Münchner Kammerspiele, will ihn, Andreas Beck, angehender Direktor des Theaters Basel, hat ihn bekommen: Stone ist hier ab Herbst einer der vier Hausregisseure. Viele lieben ihn für seinen erfrischend unbekümmerten Umgang mit Klassikern, die Stone jeweils komplett fürs Heute umschreibt. Dank seiner Beliebtheit hat der sympathische Australier – er ist übrigens in Basel geboren, aber verbrachte den grössten Teil seines Lebens in Sydney - INSERAT So fehlt nun der eigene Stone-Ton. Und es fehlt in der Fahrigkeit auch ein inhaltlicher Fokus. Dabei drängt das Original einem die Aktualität fast auf: Denn Borkman ist einer der ersten theatralischen Finanzspekulanten, ein hohes Banktier, das in seinen Wahnvorstellungen von der wundersamen Geldvermehrung die Gelder anderer veruntreute und seine grosse Liebe alldem opferte. Jahre später, Borkman verbrachte sie im Gefängnis und allein auf dem Dachboden, hängt er immer noch seinen alten Utopien nach. Für seinen Stillstand und für die Kälte, die seine illoyale Frau verbreitet, ist das Bühnenbild von Katrin Brack eine einzige überdeutliche Metapher: Eine Schneelandschaft, in der es schneit und schneit, und in deren weissen Massen die Figuren versinken und wieder auftauchen. So sind Bühnenbild und Neufassung wie Zaunpfähle, mit denen nicht gewunken, sondern mit denen uns allen eins übergebraten wird. Ibsen weiss seine Geschichten langsam von hinten her aufzufalten, nach und nach rückt die Wahrheit hinter den Lebenslügen ans Licht. Bei Stone ist von Beginn an alles grell beleuchtet; Figuren und Handlung verlieren an Spannung. Diesen Verlust kompensiert er, indem er den eher tragischen Stoff auf komisch trimmt. Aber für eine Komödie ist dieser Abend dann trotz lustigen Momenten zu wenig lustig. «John Gabriel Borkman» ist nach «Edward II.» die zweite Koproduktion zwischen Wien und Basel. Die Basler Premiere in derselben Starbesetzung folgt am 30. Januar. MARTIN P. BÜHLER/KUNSTMUSEUM BASEL Walter Kurt Wiemken: Das Denkmal des Generals, 1937, 32 x 24 cm, Öl auf Karton, Ankauf 1976. Zündhölzer muss man hier in der Tasche haben Mein Lieblingswerk aus dem Kunstmuseum (17) Der Schriftsteller Wolfgang Bortlik wählt Walter Kurt Wiemkens Bild «Das Denkmal des Generals» von 1937 « Ein Lieblingsbild aus dem Kunstmuseum ist unfair. Fünfzig wären okay. Dada. Surrealismus. Bilder, die schon immer meine Fantasie befeuert haben. Bilder, die mich zum Schwitzen bringen. Bilder, die mich nach Worten suchen lassen. Gut, eins aus fünfzig, dann also ist mein Favorit ein Bild des Basler Surrealisten Walter Kurt Wiemken. Möglicherweise ist er nicht mehr so bekannt in seiner Heimatstadt, umso besser ist es, an ihn zu erinnern. In Basel geboren und aufgewachsen, erkrankte Wiemken mit vier Jahren an Kinderlähmung, was ihn sein Leben lang körperlich behinderte. Er war ein überaus wacher, einfühlsamer, empathischer Geist, gut Freund mit Otto Abt und Walter Bodmer, Mitbegründer der Gruppe 33. 1940 verunglückte er bei einem Spaziergang im Tessin tödlich. Anlässlich seines hundertsten Geburtstags gab es 2007 eine Ausstellung im Kunstmuseum. Ich habe mir ein kleines Bild von ihm ausgesucht: «Das Denkmal des Generals» ist nur ein bisschen grösser als ein A4-Blatt, aber Flä- che ist ja nicht immer gleich Wirkung. Das Bild entstand 1937, unter dem Eindruck des Spanischen Bürgerkriegs, zur selben Zeit ungefähr Wolfgang Bortlik als Picasso «Guernica» malte. Ein Jahr vorher hatte der faschistische General Franco gegen die Republik geputscht und 1939, nach einem blutigen Krieg und mit Hilfe der Nazis, gesiegt. Das Bild von Wiemken ist mit einem wütenden Pinselstrich hingeworfen, voller Entsetzen hingemalt. Da sitzt dieser General auf einem Gerüst aus blutigen Leichen, auf einem Thron aus toten Republikanern, Anarchisten, Kommunisten. Von oben erscheint ein auch ziemlich leichenähnlicher, rosaroter Engel, um den General mit einem Lorbeerkranz zu zieren. Irritiert hat mich immer der leuchtend rote Uniformrock des so locker Dasitzenden. Und während die Toten alle noch ein Gesicht haben, hat der General keines. Er könnte also jeder der grossen Verbrecher jener Zeit bis heute sein. Eigentlich ist es auch gar kein Thron, auf dem der General sitzt, es ist eher ein Scheiterhaufen. Man müsste ihn nur anzünden.» SERIE ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● Mein Lieblingswerk Mit der bz-Serie «Mein Lieblingswerk aus dem Kunstmuseum» wollen wir während der Zeit der Schliessung des Basler Kunstmuseums dessen Schätze in unser Bewusstsein rufen. Dies, obwohl einige Meisterwerke im Museum der Gegenwartskunst (Moderne) und im Museum der Kulturen (Alte Meister) zugänglich sind. Jede Woche stellt eine bekannte Persönlichkeit aus der Region ihr Lieblingswerk aus der Sammlung des Kunstmuseums vor. Am 23. Mai wählte CVP-Grossrat und Kulturkommissionspräsident Oswald Inglin Oskar Kokoschkas Bild «Die Windsbraut» von 1913. (FLU)