Süddeutsche Zeitung

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A M WO C H E N E N D E
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HF1
MÜNCHEN, SAMSTAG/SONNTAG, 5./6. MÄRZ 2016
72. JAHRGANG / 9. WOCHE / NR. 54 / 2,90 EURO
Glück gehabt
Die Erde müsste schon seit einigen Tausend Jahren in einer Eiszeit stecken.
Es kommt wohl keine mehr. Warum? Forscher suchen nach Erklärungen
Wissen, Seite 33
CHINA MACHT DICHT
Eine schlechte Laune
der Natur: Nicht jedes Gesicht
wirkt freundlich
Gesellschaftlich, politisch,
ideologisch – die Zeit
der Öffnung ist vorbei
Stil, Seite 68
Politik, Seite 9
F O T O S : THOMAS J. CROWLEY, JEFF MINTON/CORBIS, DPA, JOHANNES SIMON
BITTE LÄCHELN
KAISERDÄMMERUNG
DFB-Affäre
„Sommermärchen“:
Eine neue Spur
führt zum
WM-Organisator
Franz Beckenbauer
Sport, Seite 37
(SZ) Als in Bayern noch der Prinzregent
Luitpold regierte und die politischen Verhältnisse bestens geordnet waren, reimte
der Dichter Ludwig Thoma: „Was ist
schwärzer als die Kohle? / Als die Tinte?
Als der Ruß? / Schwärzer noch als Rab'
und Dohle / Und des Negers Vorderfuß? / Sag mir doch, wer dieses kennt! / –
Bayerns neues Parlament.“ Gewiss, das
Wort „Neger“ hätte er streichen müssen,
das geht gar nicht, und ja, der süffisante
Unterton gegenüber christkatholischen
Volksvertretern wäre auch nicht nötig gewesen. Die konnten doch nichts dafür,
dass die Bayern stets die Politiker wählten, die der Pfarrer bei der Sonntagspredigt empfohlen hatte. Aber egal, viel interessanter ist ohnehin Thomas bahnbrechende Farbenlehre, derzufolge Schwarz
nicht gleich Schwarz ist, sondern ein variabler Farbton, der im Gefieder der Dohle
bei Weitem nicht so trostlos auftritt wie
in der jegliches Licht absorbierenden
Finsternis des bayerischen Landtags.
Mittlerweile beschäftigen sich zahllose Wissenschaftler mit der Entwicklung
des schwärzesten Schwarz, wobei das
„Vantablack“ der britischen Firma NanoSystems, das nur 0,035 Prozent des einfallenden Lichts zurückstrahlt, dem Landtagsschwarz verdammt nahekommt. Vantablack ist derart schwarz, dass der Betrachter das Gefühl hat, ins Nichts zu blicken – und wo das Nichts ist, sind sofort
die Künstler zur Stelle. Am schnellsten
war der britische Bildhauer Anish Kapoor, der sich soeben die Exklusivrechte
an Vantablack gesichert hat. Allein Kapoor darf das Höllenschwarz künstlerisch nutzen, alle anderen Künstler schauen in die Röhre. Bestenfalls Militärflugzeuge dürften sie mit Vantablack färben,
denn Kapoors Nutzungsrechte erstrecken sich nicht auf Tarnkappenbomber,
die ein ordentliches Schwarz brauchen,
um nicht in Radarfallen zu tappen.
Natürlich wirft der Fall die Frage auf,
was aus den Künstlern werden soll, die
das schwärzeste Schwarz nicht verwenden dürfen. Einige von ihnen machen bereits Rabatz, am lautesten der Maler
Christian Furr, der nicht einsehen will,
dass ein Kollege Alleinbesitzer einer Farbe sein soll. Dass es sich ausgerechnet
um Vantablack handelt, macht ihn besonders zornig, weil er gerade eine megaschwarze Bildserie malen wollte. Stattdessen auf das ebenso respektable Tizianrot
umsteigen will er auch nicht. Künstler
sind da oft recht eigen – und wer weiß:
Am Ende verfügt dieser Tizian gleichfalls
über Exklusivrechte, und Furr bekäme
Ärger. Jetzt, da die Dämme gebrochen
sind und über kurz oder lang alle Farben
in Privatbesitz sein werden, ist man froh,
dass das schöne Gelb, mit dem Vincent
van Gogh seine Sonnenblumen gemalt
hat, nicht seinem Freund Gauguin gehörte. Die beiden haben sich ja zerstritten,
weshalb van Gogh vom Gelbentzug bedroht gewesen wäre. Womöglich hätte er
sich vor Wut das Ohr abgeschnitten.
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Kandidat hui, Parteien pfui
Seehofer spricht
von Wende
Die Popularität des Grünen Winfried Kretschmann offenbart einen Umbruch in der politischen Landschaft:
Spitzenkandidaten bekommen überragende Bedeutung, die Bindung der Wähler an Parteien löst sich auf
CSU-Chef: Die Kanzlerin hat ihre
Flüchtlingspolitik verändert
von heribert prantl
Eine Woche vor den Landtagswahlen in
den drei Bindestrichländern Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und SachsenAnhalt ist die politische Nervosität in
Deutschland so groß wie selten. Mit Sorge
betrachten die derzeit in den Parlamenten
vertretenen Parteien den Aufstieg der AfD
– ihr werden Ergebnisse vorhergesagt wie
sie einst die Westerwelle-FDP in ihren allerbesten Zeiten hatte. Und mit Staunen
schauen die politischen Beobachter nach
Baden-Württemberg, wo es den Grünen,
geführt von Ministerpräsident Winfried
Kretschmann, nach neuesten Zahlen gelingen könnte, die CDU als stärkste Partei
abzulösen. Aus einem schwarzen wird womöglich ein grünes Bundesland: Die Grünen liegen klar vor der CDU.
Bisher unumstößliche Gewissheiten
gelten offenbar nicht mehr. Bei allen Unwägbarkeiten des politischen Betriebs,
bei allen Veränderungen in der Parteienlandschaft und den Schwierigkeiten der
Koalitionsbildung, wie sie die Parlamentarisierung der Grünen und der Linken mit
sich brachte, galt bisher eines als unumstößlich: Eine große Koalition, also ein
Bündnis von Union und SPD, geht immer.
Aber dieses Sichere ist nicht mehr sicher:
In Baden-Württemberg stehen sowohl
CDU als auch SPD vor einem Absturz, der
so groß ist, dass ein Bündnis dieser Parteien im Land keine Mehrheit mehr hätte.
Dieser Absturz beider Parteien, die im
Bund als große Koalition regieren, gilt als
Menetekel für die Bundespolitik.
Jahrzehntelang war die Südwest-CDU
ein Kraftreservoir der Union. Sie büßt
nach jüngsten Umfragen im Vergleich zur
letzten Landtagswahl von 2011 etwa zehn
Prozentpunkte ein. Damals war sie zwar
noch stärkste Partei geblieben, hatte die
Der römische Senat war immer ein Ort
perfider Ränkespiele. Es gab gar eine Zeit,
als das Imperium noch mit S.P.Q.R. zeichnete, also mit Senatus Populusque Romanus (Senat und Volk von Rom). Da heckten sie im hohen Gremium auch mal niedere Morde aus. Still und heimlich. Nach
einer solchen Verschwörung im Senat
wurde Gaius Iulius Caesar ermordet. Seine Gegner hatten angenommen, er wolle
sich zum König aufschwingen. Gemeuchelt haben sie ihn, an den Iden des März,
44 v. Chr. Unter den Mördern Caesars waren hehre Republikaner, Neider, verhinderte Aufsteiger, solche, die sich pekuniär geprellt wähnten. Bemerkenswert war
dies: Obschon der Konspiranten viele waren, nämlich sechzig Senatoren, schafften sie es, ihren Plan geheim zu halten.
Das sollte man wissen, bevor man sich
die Geschichte von Giuseppe Vacciano anhört, einem „Senatore della Repubblica“
unserer Zeit, 43 Jahre alt, geboren in Neapel. Man kann die Geschichte kafkaesk
nennen, surreal. Römisch aber trifft es
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auf Parteien, nicht auf Personen ausgerichtet. In Zeiten der sich auflösenden Bindung der Wähler an Parteien gewinnt aber
offenbar die Persönlichkeit des Spitzenkandidaten eine neue Bedeutung. Die
Identifikation mit einer Partei nimmt rapide ab, die Identifikation mit einer Person
nimmt zu. Auch in Rheinland-Pfalz spielt
die Persönlichkeit der Spitzenkandidatinnen eine wichtige Rolle (wenn auch nicht
eine so große wie in Baden-Württemberg). Die SPD-Kandidatin Malu Dreyer
ist so beliebt, dass sie den negativen
Trend für die SPD in ihrem Land wieder
umdrehen konnte.
Dem Spitzenkandidaten wurde im
deutschen Wahlsystem jahrzehntelang
nur eine leicht beflügelnde oder leicht
Macht im Land aber an Grüne und SPD
verloren. Die Sozialdemokraten, 2011 mit
gut 23 Prozent bedacht und als Koalitionspartner der Grünen in Stuttgart noch fast
gleichauf mit diesen, stehen im Ländle vor
einem Absturz auf 13 Prozent. 13 Prozent
werden dort auch der AfD prognostiziert.
Die Südwest-CDU versucht ihr Desaster auf die Flüchtlingspolitik von Angela
Merkel zu schieben. Aber der CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf gilt als so
schwach, dass die Schwäche der CDU vor
allem ihm angelastet wird. Wolfs Konkurrent Kretschmann reüssiert auch damit,
dass er sich hinter die Flüchtlingspolitik
de Kanzlerin gestellt hat – auch damit gewinnt er offenbar bisherige CDU-Wähler.
Das deutsche Wahlsystem ist eigentlich
Wenn am Sonntag Landtagswahl wäre …
Angaben in Prozent, Veränderungen zum Vormonat in Klammern
Baden-Württemberg
GRÜNE
32 (+4)
CDU
30 (-4)
Rheinland-Pfalz
35 (-3)
Sachsen-Anhalt
32 (-1)
20 (+1)
34 (+3)
17 (+2)
SPD
13 (-2)
10 (+1)
AFD
11 (±0)
FDP
7 (+1)
LINKE
4 (+1)
Sonstige 3 (±0)
6 (-1)
6 (+1)
4 (-1)
5 (±0)
15 (-4)
5 (±0)
4 (+1)
7 (+1)
SZ-Grafik; Quelle: Forschungsgruppe Wahlen
Auch du, mein Sohn
Der Senator Giuseppe Vacciano sieht sich als Opfer einer
großen Verschwörung. Fast so wie im alten Rom
besser, treu alten Traditionen. Vacciano
versucht nämlich seit anderthalb Jahren
vergeblich, aus dem Senat rauszukommen, weg von der Politik. Er ist gewissermaßen gefangen im Palazzo Madama,
einem Prachtbau hinter der Piazza Navona. Und wird darüber fast wahnsinnig.
Zwei Mal zwang er die Kollegen schon,
über sein Rücktrittsgesuch abzustimmen. Beim zweiten Mal hatte er seine Sachen bereits in Schachteln gepackt, in
freudiger Erwartung. Allzu sehr leidet er
unter seinem Mandat, das er nach der
Wahl im Jahr 2013 als Senator der Protestpartei Movimento Cinque Stelle angetre-
ten hatte. Vacciano ist Buchhalter. Vor seinem Einstieg in die Politik arbeitete er bei
der Banca d’ Italia, der italienischen Zentralbank, Zweigstelle Latina. Der Komiker Beppe Grillo, Gründer des Movimento, motivierte ihn zum zivilen Engagement. Vacciano versuchte sich zunächst
bei der Bürgermeisterwahl in Latina, gewann aber nur tausend Stimmen. Zum Senatssitz reichte es dann locker.
Doch Vacciano war bald ernüchtert
über die Linie seiner Partei, stimmte mit
der linken Regierungsmehrheit und sagte, er wolle konsequent sein, er hänge
nicht an seinem Posten, er trete zurück.
bremsende Wirkung zugesprochen; als
ausschlaggebend galt die allgemeine
Grundstimmung für eine Partei. Das hat
sich schon bei den zurückliegenden Bundestagswahlen geändert. Wesentlich für
die Grundstimmung für eine Partei war
die Beliebtheit der Spitzenleute, ein Beleg
dafür sind die Erfolge der SPD unter Schröder und die der Union unter Merkel. Die
Werte der Parteien wurden jeweils von
den Persönlichkeitswerten nach oben gezogen. In dem Maß freilich, in dem das
jetzt in Baden-Württemberg geschieht,
hat es diesen Einfluss in der Bundesrepublik bislang nie gegeben – auch nicht bei
der Willy-Wahl von 1972.
Der Namenstagskalender verzeichnet
am 13. März den Namen des Heiligen Hilarius. Dieser Name, der so viel bedeutet wie
„der Heitere“, steht Kretschmann zu. Dem
grünen Ministerpräsidenten gelingt im
Wahlkampf offenbar so etwas wie eine landesväterliche Apotheose, die Erhebung zu
einem schwäbelnden Halbgott. Seine bedächtige Art, Politik zu machen, stößt auf
eine Zustimmung, wie sie zuletzt – schon
lange her – der ihm artverwandte CDU-Ministerpräsident Erwin Teufel hatte. Aber
mit dieser Art schiebt Kretschmann die
Grünen an die Stelle der bisher führenden
CDU. Das ist so spektakulär, dass es ausstrahlen wird: Wahlen in Deutschland
könnten, ohne dass das Wahlsystem geändert wird, zu Persönlichkeitswahlen neuen Stils mutieren. Diese präsidiale Kraft
werden künftige Regierungschefs gut
brauchen können, wenn sie eine Regierung zusammenhalten wollen. Der Aufstieg der AfD, die Rückkehr der FDP und
die allgemeine Schwäche der bisherigen
Großparteien CDU und SPD wird dazu führen, dass immer öfter zwei Parteien nicht
mehr reichen, um eine Regierung zu bilden.
Das sagen im Verlauf einer Legislatur viele und führen noble Gründe an. Doch wirklich ernst meinen es dann doch nur ganz
wenige, schließlich verdienen Parlamentarier nirgendwo in Europa mehr als in Italien. Vacciano hängt aber offenbar auch
nicht am Geld. Er will einfach zurück zum
alten Job, zu seinem früheren Leben.
Zwei Mal stimmten sie also schon gegen seinen Rücktritt – in geheimer Abstimmung, wie es das Reglement vorschreibt. Das erste Mal war absehbar gewesen: Das tun sie immer, damit es sich
der Parlamentarier noch einmal überlegen kann. Das zweite Mal aber ist schäbig.
Nun hat er das dritte Gesuch eingereicht,
zusammen mit einem dringenden Appell
an den Senatspräsidenten. Man erzählt
sich in Rom, die Linke lasse Giuseppe Vacciano deshalb nicht gehen, weil sonst an
dessen Stelle ein linientreuer „Grillino“
nachrücken würde, ein echter Widersacher. Da läuft also eine Verschwörung gegen den armen Mann, eine böse Intrige.
Fast wie im alten Rom. oliver meiler
Budapest – CSU-Chef Horst Seehofer
sieht eine Wende in der Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU).
Seehofer begründete das am Freitag mit
der Lage in Griechenland, wo Zehntausende Flüchtlinge festsitzen, weil Mazedonien die Grenze dichtgemacht hat. „Es wird
jetzt nicht gesagt, das Problem lösen wir
dadurch, dass ich die Flüchtlinge nach
Deutschland bringe“, sagte Seehofer am
Rande eines Besuchs beim ungarischen
Ministerpräsidenten Viktor Orbán in
Budapest: „Wenn das keine Wende ist.“
Zugleich betonte Seehofer seine Unterstützung für Merkels Verhandlungsposition in der EU. Auf Dauer sei eine Lösung
nur in „europäischer Solidarität“ zu erreichen. Orbán hingegen lehnte Flüchtlingsquoten strikt ab. „Schon die Zahl eins wäre für uns zu viel“, sagte Orbán. Er werde
keine Vereinbarung akzeptieren, die
einen Transfer von Migranten nach Ungarn vorsieht. sz
Seiten 2 und 4
Polizei zerschlägt
Neonazi-Gruppe
Potsdam – Nach der Zerschlagung einer
mutmaßlich militanten Rechtsextremisten-Gruppe in Nauen prüft die Bundesanwaltschaft, ob sie Ermittlungen wegen
der Bildung einer terroristischen Vereinigung aufnimmt. Ein 29 Jahre alter NPDFunktionär gilt laut Polizei als „der Kopf
oder einer der Köpfe“ der rechtsextremen Gruppierung. Sie soll für einen
Brandanschlag auf eine Turnhalle in
Nauen verantwortlich sein, in der Flüchtlinge unterkommen sollten. sz Seite 7
MIT STELLENMARKT
Dax ▲
Dow ▶
Euro ▲
Xetra 16:30 h
9762 Punkte
N.Y. 16:30 h
16932 Punkte
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Im äußersten Osten und Südosten bleibt
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